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Diplomarbeit im Rahmen der Abschlussprüfung zur <strong>Atem</strong>- und<br />

KörperpsychotherapeutIn<br />

am<br />

<strong>Institut</strong> <strong>für</strong> <strong>Atem</strong>psychotherapie, Stefan Bischof<br />

Freiburg i. Br.<br />

<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>.<br />

<strong>Atem</strong>psychotherapie als Basis <strong>für</strong> traditionelle,<br />

pädagogische <strong>Atem</strong>therapie bei Strukturschwächen<br />

von<br />

Brigitte Maas<br />

Alte Allee 28<br />

81245 München<br />

089 / 820 14 38<br />

15. Juli 2010


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Seite<br />

1. Abstract ................................................................................................................. 3<br />

2. Einleitung............................................................................................................... 3<br />

3. Die psychischen Instanzen in der Analytischen Psychologie ................................. 3<br />

3.1. Der Begriff des <strong>Ich</strong>s bei S. Freud und C.G. Jung............................................. 3<br />

3.2. <strong>Ich</strong>-Entwicklung in der frühen Kindheit – entwicklungspsychologische<br />

Grundlagen .............................................................................................. 5<br />

3.2.1. Die psychische Geburt des Menschen nach Margret S. Mahler................ 6<br />

3.2.2. Die Begriffe von <strong>Ich</strong> und Selbst in der Entwicklungspsychologie............... 8<br />

3.3. Zusammenfassende Überlegungen zum Begriff der <strong>Ich</strong>-Kraft. ........................ 9<br />

4. Das Selbstverständnis der traditionellen <strong>Atem</strong>pädagogik /-therapie als<br />

Entwicklungs- und Wachstumsarbeit ....................................................................... 10<br />

4.1. Das <strong>Ich</strong> im atempädagogischen /-therapeutischen Menschenbild ................. 11<br />

4.2. Voraussetzungen <strong>für</strong> den Beginn atempädagogischer /-therapeutischer Arbeit<br />

............................................................................................................... 12<br />

4.2.1. Fähigkeit zu Achtsamkeit und Sammlung ............................................... 12<br />

4.2.2. Fähigkeit zu Abgrenzung ........................................................................ 13<br />

4.2.3. Fähigkeit zu Hing<strong>ab</strong>e .............................................................................. 13<br />

5. Mögliche Störungsfelder zu Beginn der atempädagogischen / therapeutischen<br />

Arbeit anhand von Beispielen .................................................................................. 14<br />

6. Der Ansatz der <strong>Atem</strong>psychotherapie zur Strukturierung und Stärkung des <strong>Ich</strong>s .. 16<br />

6.1. Beziehung – das Wirkfeld zwischen Klient und Therapeut ............................ 16<br />

6.1.1. Klientenzentrierte Basis .......................................................................... 16<br />

6.1.2. Die vorrangige Wahrnehmungsfunktion.................................................. 17<br />

6.1.3. Das Wissen um Übertragung und Gegenübertragung ............................ 17<br />

6.2. Sammeln diagnostischer Hinweise zur Klärung der <strong>Ich</strong>-Kraft ........................ 18<br />

6.3. Das Vorgehen in der <strong>Atem</strong>psychotherapie anhand von Fallbeispielen .......... 19<br />

6.3.1. Fallbericht Frau A. .................................................................................. 19<br />

6.3.2. Fallbericht Frau B. .................................................................................. 24<br />

6.4. Strukturierung von Beziehungsrahmen und Setting....................................... 27<br />

6.5. Die Ressourcen finden.................................................................................. 28<br />

6.6. Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit und St<strong>ab</strong>ilisierung <strong>du</strong>rch<br />

Strukturarbeit.......................................................................................... 28<br />

6.7. Das Umgehen mit Emotionen und Widerstand.............................................. 29<br />

7. Überlegungen zur Therapietheorie ...................................................................... 31<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 1


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

7.1. Diagnostik des Strukturniveaus..................................................................... 31<br />

7.2. Progressives und regressives Arbeiten ......................................................... 33<br />

7.3. Strukturarbeit als grundlegende <strong>Ich</strong>-stärkende Basisarbeit............................ 34<br />

7.3.1. Körperstrukturen..................................................................................... 35<br />

7.3.2. <strong>Atem</strong>strukturen ....................................................................................... 36<br />

7.4. Einsatz verbaler Interventionen..................................................................... 38<br />

8. Diskussion ........................................................................................................... 40<br />

9. Literaturverzeichnis ............................................................................................. 42<br />

Anhang 1: 2 Stundenbilder <strong>für</strong> APT-Gruppenstunden<br />

Anhang 2: 5 Themen-Folien<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 2


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

1. Abstract<br />

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Rolle der <strong>Ich</strong>-Kraft in der atemtherapeutischen<br />

Arbeit. Sie geht zunächst der Frage nach, wie sich <strong>Ich</strong>-Struktur in der frühen Kindheit<br />

entwickelt. Im Folgenden wird die These vertreten, dass die traditionelle<br />

atempädagogische Arbeit nach Middendorf ein gewisses Maß an <strong>Ich</strong>-Struktur <strong>für</strong> ein<br />

Gelingen voraussetzt. Für Menschen mit Strukturschwächen, meist aufgrund früher<br />

Verletzungen, stellt die tiefenpsychologisch ausgerichtete <strong>Atem</strong>psychotherapie<br />

Möglichkeiten bereit, mit denen im Vorfeld an der <strong>Ich</strong>-Nachreifung gearbeitet werden<br />

kann. Hat das <strong>Ich</strong> genügend St<strong>ab</strong>ilität entwickelt, kann der frühverletzte Mensch den<br />

Übergang von einer Therapeuten-Patienten/Klienten-Beziehung zu einer Lehrer-<br />

Schüler-Beziehung finden.<br />

2. Einleitung<br />

Meine Themenstellung ist aus einer Hilflosigkeit heraus entstanden. Immer wieder<br />

war es so, dass ich - <strong>Atem</strong>pädagogin nach Prof. Ilse Middendorf - Klientinnen kaum<br />

in der erlernten Art und Weise behandeln konnte und mich fragte, was ich denn tun<br />

könne, um diese Frauen ihrem <strong>Atem</strong> näher zu bringen, bzw. den <strong>Atem</strong> erst einmal<br />

zum Leben zu erwecken. Einerseits äußerten sie das Bedürfnis nach innerer Ruhe<br />

und meist auch nach Berührung und Nähe, andererseits schien sie mein Angebot zu<br />

überfordern. In dem Wunsch, indivi<strong>du</strong>eller auf meine Klientinnen eingehen zu<br />

können, begann ich die Ausbil<strong>du</strong>ng in <strong>Atem</strong>psychotherapie. Dort lernte ich, dass <strong>Ich</strong>-<br />

Struktur und <strong>Ich</strong>-Kraft eines Menschen sehr unterschiedlich sein können aufgrund<br />

entwicklungs- und lebensgeschichtlicher Bedingungen und die atemtherapeutische<br />

Arbeitsweise darauf <strong>ab</strong>gestimmt werden müsse.<br />

Diesen Zusammenhängen zwischen der noch genauer zu definierenden <strong>Ich</strong>-Kraft<br />

bzw. <strong>Ich</strong>-Struktur, ihren entwicklungspsychologischen Grundlagen und einer<br />

angemessenen atemtherapeutischen Arbeitsweise möchte ich mich in dieser Arbeit<br />

widmen. Ein zentrales Anliegen ist mir d<strong>ab</strong>ei, zu reflektieren, was <strong>Ich</strong>-stärkendes<br />

Arbeiten bedeutet und welche Möglichkeiten die <strong>Atem</strong>psychotherapie (im Folgenden<br />

APT) da<strong>für</strong> zur Verfügung stellt und differenziert einsetzt.<br />

3. Die psychischen Instanzen in der Analytischen Psychologie<br />

Zur Begriffsklärung scheint es mir notwenig, zunächst kurz über den <strong>Ich</strong>-Begriff bei<br />

S. Freud und C.G. Jung zu referieren.<br />

3.1. Der Begriff des <strong>Ich</strong>s bei S. Freud und C.G. Jung<br />

Freud ging in seinem Strukturmodell der Psyche von drei intrapsychischen Instanzen<br />

aus, die das Denken und Handeln einer Person bestimmen.<br />

Das Es wurzelt in der Körpersphäre und bezieht seine Energie aus Trieben und<br />

Instinkten. Es strebt nach Lust und vermeidet Unlust. Das <strong>Ich</strong> ist am Realitätsprinzip<br />

orientiert. Das Über-<strong>Ich</strong> beinhaltet erlernte Gebote und Verbote, spielt die Rolle eines<br />

Richters und umfasst Funktionen des Gewissens und der Idealbil<strong>du</strong>ng. Das<br />

Zusammenspiel dieser drei Instanzen wird als Psychodynamik des innerseelischen<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 3


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Lebens bezeichnet, das sich im Feld des Bewussten, Vorbewussten oder<br />

Unbewussten bewegt.<br />

Das <strong>Ich</strong> entwickelt sich aus dem Es und entsteht im Rahmen von<br />

Anpassungserfordernissen im Kontakt mit der äußeren Realität. „Das <strong>Ich</strong> hat<br />

Management-Aufg<strong>ab</strong>en, es tritt als Mittler der Interessen der ganzen Person auf, ihm<br />

sind die Selbsterhaltungstriebe zugeordnet.“ (Elgeti, 2004). Es vermittelt zwischen<br />

den Ansprüchen des Es, den Forderungen der äußeren Realität und den Befehlen<br />

des Über-<strong>Ich</strong>s. Gerät es d<strong>ab</strong>ei in einen nicht lösbaren Konflikt, so hat es die<br />

Möglichkeit, über unterschiedliche Mechanismen Teile des intrapsychischen<br />

Szenariums <strong>ab</strong>zuwehren, um sich dann weitgehend ungestört wieder den<br />

Alltagsanforderungen widmen zu können. Diese Abwehrmechanismen werden<br />

gesehen als kreative <strong>Ich</strong>-Leistung in dem Sinn, dass sich das <strong>Ich</strong> damit vor allzu<br />

heftigen, bedrohlichen Affekten schützt und damit das Funktionieren der Psyche<br />

gewährleistet. Mit dieser Thematik beschäftigt sich vor allem die <strong>Ich</strong>-Psychologie, die<br />

Anna Freud mit ihrer Schrift „Das <strong>Ich</strong> und die Abwehrmechanismen“ 1936<br />

begründete (vgl. König, 2006).<br />

Im Weiteren möchte ich auf das Menschenbild C.G. Jungs zurückgreifen, auf das in<br />

der middendorfschen <strong>Atem</strong>lehre häufig Bezug genommen wird (vgl. Fischer &<br />

Kemmann-Huber, 1999) und das auch dem Menschenbild der APT zu Grunde liegt.<br />

Die beiden wichtigsten Aspekte der Jungschen Psychologie sind das <strong>Ich</strong> und das<br />

Selbst.<br />

Das <strong>Ich</strong> ist Zentrum und „Subjekt des Bewusstseins“, <strong>wo</strong>bei das Bewusstsein „wie<br />

eine kleine Insel auf dem un<strong>ab</strong>sehbaren, eigentlich die ganze Welt umfassenden<br />

grenzenlosen Meer des Unbewussten“ schwimmt“ (Jacobi, 1980, S. 18). C.G. Jung<br />

beschreibt die Psyche als in unterschiedliche Komplexe strukturiert, <strong>wo</strong>bei diese<br />

Komplexe gedacht sind als „Energiezentren, die um einen affektbetonten<br />

Bedeutungskern aufgebaut wurden...“ (Kast, 1990, S. 44). Über den <strong>Ich</strong>-Komplex<br />

schreibt C.G. Jung:<br />

Unter <strong>Ich</strong> verstehe ich einen Komplex von Vorstellungen, der mir das Zentrum meines<br />

Bewusstseinsfeldes ausmacht und mir von hoher Kontinuität und Identität mit sich selbst zu<br />

sein scheint. (Jung zitiert nach: Jacobi, 1980, S. 18).<br />

Als Basis des <strong>Ich</strong>-Komplexes werden von Jung der Körper und das Körpergefühl<br />

betrachtet:<br />

Der <strong>Ich</strong>-Komplex ist beim normalen Menschen die oberste psychische Instanz: wir verstehen<br />

darunter die Vorstellungsmasse des <strong>Ich</strong>s, welche wir uns von dem mächtigen und immer<br />

lebendigen Gefühlston des eigenen Körpers begleitet denken.<br />

Der Gefühlston ist ein affektiver Zustand, der begleitet ist von körperlichen Innervationen. Das<br />

<strong>Ich</strong> ist der psychologische Ausdruck des festassoziierten Verbandes aller körperlichen<br />

Gemeinempfin<strong>du</strong>ngen. Die eigene Persönlichkeit ist daher der festeste und stärkste Komplex<br />

und behauptet sich (Gesundheit vorausgesetzt) <strong>du</strong>rch alle psychologischen Stürme hin<strong>du</strong>rch.<br />

(Jung zitiert nach: Kast, 1990, S. 67).<br />

Inhalt und affektiver Kern des <strong>Ich</strong>-Komplexes sind bestimmt vom Erleben der<br />

eigenen ganzheitlichen Identität und dem Gefühl des Selbstwertes.<br />

Konnte sich der <strong>Ich</strong>-Komplex altersgemäß aus den Elternkomplexen heraus<br />

differenzieren und klare, <strong>ab</strong>er <strong>du</strong>rchlässige Grenzen entwickeln, wird von einem<br />

„kohärenten <strong>Ich</strong>-Komplex“ gesprochen (vgl. Kast, 1990, S. 70).<br />

Damit wir unseren <strong>Ich</strong>-Komplex wahrnehmen und im Alltag organisieren können,<br />

stehen uns sog. <strong>Ich</strong>-Funktionen zur Verfügung. Zu ihnen zählen: die<br />

Wahrnehmungsfähigkeit, die Empfin<strong>du</strong>ng, das Erinnerungsvermögen, das Denken,<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 4


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

die Begriffsbil<strong>du</strong>ng, die Orientierung in Raum und Zeit, die Orientierung in der<br />

eigenen Person, die Aufmerksamkeit, das Fühlen, das Fantasieren, die<br />

Realitätsprüfung, die Affektkontrolle, die Motorik, Willens- und<br />

Entschei<strong>du</strong>ngsleistungen, Handlungen, die Abwehrmechanismen (vgl. Kast, 1990, S.<br />

86 und Müller, 2003, S.182).<br />

Wenn der <strong>Ich</strong>-Komplex aufgrund z.B. traumatischer Einwirkungen seine Kohärenz<br />

nicht entwickeln konnte oder verliert (d.h. fragmentiert), sind die <strong>Ich</strong>-Funktionen in<br />

der Regel gestört.<br />

Das <strong>Ich</strong> wird nicht statisch gesehen, sondern in ständiger Veränderung begriffen, im<br />

besten Fall auf dem Weg der Selbstwer<strong>du</strong>ng, der Indivi<strong>du</strong>ation.<br />

Dieser Weg der Indivi<strong>du</strong>ation führt über vermehrte Bewusstwer<strong>du</strong>ng, denn das<br />

Unbewusste ist „das ursprünglich Gegebene, aus dem sich das Bewußtsein immer<br />

wieder neu hervorhebt“ (Jacobi, 1980, S. 20). Auf diesem Weg sind u.a. unbewusste<br />

Schattenanteile so weit wie möglich zu integrieren und das Gegengeschlechtliche in<br />

Form von Animus und Anima zu differenzieren. Die Persona, das Bild, das der<br />

Mensch nach außen von sich zeigt, sollte in Bezug auf seine Authentizität hinterfragt<br />

und gegebenenfalls der Lebensform angepasst werden.<br />

Diese Arbeit an der Bewusstwer<strong>du</strong>ng stärkt die Verbin<strong>du</strong>ng zwischen <strong>Ich</strong> und Selbst.<br />

Mit dem Begriff des Selbst versucht Jung die psychische Gesamtpersönlichkeit mit<br />

ihren bewussten und unbewussten Anteilen zu beschreiben. Das Selbst als Zentrum<br />

der Persönlichkeit und archetypisches Prinzip hat einen ordnenden und steuernden<br />

psychodynamischen Charakter. Es trägt als „apriorisches Gestaltungsprinzip in der<br />

Entwicklung eines Menschen“ (Kast, 1990, S. 74) immer neue Entwicklungsimpulse<br />

an das <strong>Ich</strong> heran. Im Jungschen Sinn wird es von Kast verstanden als<br />

Ganzheit der jetzigen ge<strong>wo</strong>rdenen und zukünftigen Persönlichkeit, es entbirgt im Laufe eines<br />

Lebens unser verborgenes Lebensziel <strong>du</strong>rch die Entwicklung des <strong>Ich</strong>-Komplexes, die auch<br />

vom Selbst her intendiert ist. (Kast, 1990, S. 73).<br />

Im Erleben z.B. in Form von Traumsymbolen ist das Selbst nach C.G. Jung oft <strong>du</strong>rch<br />

besondere Numinosität gekennzeichnet und verweist auf transpersonale<br />

Erfahrungsmöglichkeiten.<br />

Durch die Entfaltung des <strong>Ich</strong>-Komplexes aus dem Unbewussten heraus entsteht die<br />

von Erich Neumann so genannte <strong>Ich</strong>-Selbst Achse, auf der bildlich gesprochen<br />

Bewusstes und Unbewusstes innerhalb der Psyche miteinander in Verbin<strong>du</strong>ng sind.<br />

Das <strong>Ich</strong> sollte d<strong>ab</strong>ei in einer kompensatorischen, d.h. sich ergänzenden Beziehung<br />

zum Selbst stehen. So können sich, mit zunehmender Bewusstwer<strong>du</strong>ng und<br />

Integrationsarbeit, die Selbstregulierungsprozesse der Gesamtpsyche <strong>du</strong>rchsetzen.<br />

Der Mensch wird dann nicht mehr von seinen unbewussten Komplexen und<br />

Motivationen gesteuert. Mit Jolande Jacobi gesprochen ist er nicht mehr „in seiner<br />

kleinlichen und persönlich empfindlichen <strong>Ich</strong>-Welt befangen ist“ (Jacobi, 1980, S.<br />

129), sondern angebunden an seinen „psychischen Urgrund schlechthin“, seinen<br />

inneren Kern, der letztlich gleichgesetzt wird mit der transzendenten Erfahrung<br />

unseres indivi<strong>du</strong>ellen Anteils an Gott (Jacobi, 1980, S. 132).<br />

3.2. <strong>Ich</strong>-Entwicklung in der frühen Kindheit – entwicklungspsychologische<br />

Grundlagen<br />

Die kindliche Entwicklung des <strong>Ich</strong>s tritt Mitte des letzten Jahrhunderts in Verbin<strong>du</strong>ng<br />

mit der Säuglings- und Kleinkindforschung verstärkt in den Blickpunkt der<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 5


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

psychoanalytischen Forschung. Wegbereitend sind die Untersuchungen von<br />

Margaret S. Mahler, die den Fokus auf die Beziehungsaspekte zwischen Kind und<br />

Bezugspersonen richtet. (In dieser Hinsicht reiht sich Mahler in die Psychologie der<br />

Objektbeziehungstheorie ein, die von Melanie Klein begründet wurde. Weitere<br />

Vertreter sind u.a. Otto Kernberg und Daniel Stern.)<br />

3.2.1. Die psychische Geburt des Menschen nach Margret S. Mahler<br />

Mahler (vgl. Mahler, 1997) geht aufgrund ihrer empirischen Untersuchungen davon<br />

aus, dass sich beim Kleinkind erst gegen Ende des 3. Lebensjahres ein<br />

eigenständiges, st<strong>ab</strong>iles <strong>Ich</strong> gebildet hat. Diesen Zeitpunkt bezeichnet sie als die<br />

psychische Geburt des Menschen. Der Weg <strong>dort</strong>hin <strong>du</strong>rchläuft mehrere Phasen, die<br />

jeweils gekennzeichnet sind <strong>du</strong>rch die Ausbil<strong>du</strong>ng spezifischer leib-seelischer<br />

Funktionen und damit verbunden <strong>du</strong>rch eine spezifische Form der Beziehung<br />

zwischen Kind und Mutter, bzw. primärer Beziehungsperson (Objektbeziehung).<br />

Biologische Reifung und Beziehungsmuster greifen bei der Bil<strong>du</strong>ng der <strong>Ich</strong>-Struktur<br />

ineinander.<br />

Gleich nach der Geburt überwiegen, laut Mahler, schlafähnliche Zustände, die ein<br />

homöostatisches Gleichgewicht des Organismus gewährleisten.<br />

In der symbiotischen Phase (2. - 5./6. Monat) erlebt sich, so Mahler, der Säugling<br />

innerhalb einer undifferenzierten Einheit mit dem bemutternden Objekt, d.h. das Kind<br />

kann zunächst noch nicht zwischen innen und außen, <strong>Ich</strong> und Nicht-<strong>Ich</strong><br />

unterscheiden. Der Säugling hat noch keine Vorstellung von den Grenzen seines<br />

Körpers. Erst mit der langsamen Reifung des Wahrnehmungsapparates beginnt das<br />

Kind die Quelle seiner Bedürfnisbefriedigung zu identifizieren.<br />

Das Körper-<strong>Ich</strong> differenziert sich, im Anschluss an die pränatale Entwicklung, über<br />

Wahrnehmungen innerer leib-seelischer Spannungs- und Lösungsphänomene, der<br />

Oberflächen- und Tiefensensibilität, Empfin<strong>du</strong>ng <strong>für</strong> Berührung, Temperatur, Druck,<br />

Gewicht, Lage und Tastsinn. D<strong>ab</strong>ei verschiebt sich die sensorische Wahrnehmung<br />

von den inneren Spannungs- und Lösungsvorgängen (Kern des Selbst) zunehmend<br />

an die Peripherie des Körpers, <strong>wo</strong> die Stimulation der Körperoberfläche über<br />

Hautkontakt und Berührung im Zusammenspiel mit dem spiegelnden Augenkontakt<br />

die Wahrnehmung einer Grenze zwischen Selbst und Objekt unterstützen.<br />

In Verbin<strong>du</strong>ng mit den Themen Sattheit versus Hunger, Sicherheit <strong>du</strong>rch<br />

Gehaltenwerden versus existenzielle Angst <strong>du</strong>rch leib-seelisches Verlassensein etc.<br />

bilden sich Erinnerungsinseln in Form von guten-lustvollen oder bösen-frustrierenden<br />

leiblichen Erlebnissen, die noch unverbunden sind.<br />

Gelingt es der Mutter, über gute emotionale Einfühlung dem Kind ein basales<br />

Sicherheitsgefühl zu vermitteln und dem Kind, Mutter und Umwelt libidinös zu<br />

besetzen und Urvertrauen zu entwickeln, so ist eine gute Grundlage gelegt <strong>für</strong> eine<br />

grundsätzlich positive Beziehungserwartung und spätere Bin<strong>du</strong>ngsfähigkeit.<br />

Die folgende Phase der Loslösung und Indivi<strong>du</strong>ation ( 4./5. – ca. 36. Monat)<br />

beinhaltet zwei getrennte, parallel laufende Entwicklungen:<br />

die Loslösung stellt das Auftauchen des Kindes aus der symbiotischen Verschmelzung mit der<br />

Mutter dar...und die Indivi<strong>du</strong>ation besteht aus jenen Errungenschaften, die zeigen, dass das<br />

Kind seine indivi<strong>du</strong>ellen Persönlichkeitsmerkmale als solche annimmt. (Mahler, 1997, S.14).<br />

Diese Phase wird in vier Subphasen unterteilt: Differenzierung, Übung,<br />

Wiederannäherung und Konsolidierung der Indivi<strong>du</strong>alität.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 6


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

In der Differenzierungsphase ( Beginn 4. / 5. Monat) beginnt das Kind aufgrund<br />

gereifter sensorischer Wahrnehmung (Sehen, Hören) und besserer<br />

Bewegungsmöglichkeiten sich selbst vom Objekt zu unterscheiden und mit ihm<br />

bewusst in Beziehung zu treten, z.B. <strong>du</strong>rch Lächeln oder Anschmiegen und sich<br />

Wegschieben. Es erkennt zunehmend die physische, noch nicht die psychische<br />

Trennung. Die Erforschung der Umwelt erfolgt vor allem über den Tastsinn.<br />

Die Übungsphase setzt ein mit der Fähigkeit des Kindes zu selbständiger<br />

Fortbewegung (Kr<strong>ab</strong>beln, Laufen). Damit kann es nun Abstand und Nähe zur Mutter<br />

selbst bestimmen.<br />

Ist die symbiotische Phase gut verlaufen, überwiegt eine vertrauensvolle Erwartung<br />

mit Neugier auf die Umwelt. Das Kind beginnt mit großem Interesse die Welt zu<br />

erforschen. Es entwickelt d<strong>ab</strong>ei auf der Basis eines Sicherheitsgefühls über die noch<br />

fantasierte Einheit mit der allmächtigen Mutter ein starkes Omnipotenzgefühl, ist<br />

„verliebt in die Welt und in seine eigene Größe und Allmacht“ (Mahler, 1997, S. 94).<br />

Seine <strong>Ich</strong>-Funktionen (Wahrnehmen, Erinnern, Erkennen, Urteilen, Überprüfen der<br />

Realität) entwickeln sich rasch. Die Entwicklung der Motorik differenziert das eigene<br />

Körperbild und vermittelt Empfin<strong>du</strong>ngen von Kraft oder Schwäche.<br />

Je besser die Bin<strong>du</strong>ng zur Mutter und der „Entfernungskontakt“ (Mahler, 1997, S.<br />

89), desto unternehmungsfreudiger ist das Kind. Zur Mutter kehrt es immer wieder<br />

zurück zum emotionalen Auftanken. Durch Weglaufen und sich wieder Einfangenlassen<br />

versichert sich das Kind der immer noch weitgehend symbiotisch erlebten<br />

emotionalen Nähe der Mutter. Geht die Mutter als Anker verloren, kann es zu einem<br />

Stimmungs<strong>ab</strong>fall aus Angst vor Objektverlust kommen. Insgesamt zeigt das Kind in<br />

dieser Phase eine hohe Frustrationstoleranz gegenüber Beeinträchtigungen seines<br />

Körperselbst.<br />

In der Wiederannäherungsphase (ca. 18. – 24. Monat) sind die kognitiven<br />

Fähigkeiten des Kindes nun soweit entwickelt, dass es sich auch psychisch als von<br />

der Mutter getrenntes Wesen wahrnimmt. Das Kind möchte nun seine Erkenntnisse<br />

und Besitztümer mit der Mutter teilen, es sucht die soziale Interaktion. Es zeigt<br />

konstantes Interesse <strong>für</strong> den Aufenthaltsort der Mutter, ein starkes Bedürfnis nach<br />

ihrer Liebe und gesteigerte Trennungsangst mit Ruhelosigkeit, Trauer, Wut- und<br />

Angstausbrüchen.<br />

Gleichzeitig verteidigt das Kind seine wachsende Selbständigkeit <strong>du</strong>rch das Nein und<br />

gesteigerte Aggression. In dieser Ambivalenz zwischen der Furcht vor dem Verlust<br />

der mütterlichen Liebe auf der einen Seite und der Furcht, erneut von der Mutter<br />

symbiotisch vereinnahmt zu werden auf der anderen Seite, in der es die Mutter in oft<br />

dramatische Kämpfe verwickelt, erfährt sich das Kind als relativ hilfloses, kleines und<br />

getrenntes Indivi<strong>du</strong>um mit starken und bedrohlichen Gefühlsschwankungen. Das<br />

Omnipotenzgefühl weicht nun der Frustration, die eigenen begrenzten Möglichkeiten<br />

werden deutlicher wahrgenommen, ebenso körperliches Unbehagen.<br />

Verstärkt wird die Problematik <strong>du</strong>rch elterliche Anforderungen an das Kind<br />

(beginnende Über-<strong>Ich</strong> Entwicklung) z.B. im Rahmen der Reinlichkeitserziehung,<br />

verbunden mit Anerkennung oder Ablehnung, <strong>wo</strong>rauf das Kind hochsensibel reagiert.<br />

Parallel zur Ausprägungsstärke seiner emotionalen Ambivalenz spaltet das<br />

frühverletzte Kind die Mutter oft in ein „gutes“ und in ein „böses“ Objekt, damit die<br />

gute Seite der Mutter gegenüber den kindlichen Aggressionen Bestand h<strong>ab</strong>en kann.<br />

Diese Zeit ist eine Krisenzeit, <strong>für</strong> die jedes Kind entsprechend der indivi<strong>du</strong>ellen<br />

Ausprägung der Mutter-Kind-Beziehung eigene Lösungswege suchen muss, was<br />

nicht immer gelingt.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 7


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Nach erfolgreicher Loslösung von der primären Beziehungsperson beinhaltet die<br />

vierte Subphase die Konsolidierung der Indivi<strong>du</strong>alität und die Anfänge der<br />

emotionalen Objektkonstanz (24. – 36. Monat).<br />

Das Kind lernt, das „gute“ und „böse“ Objekt zu einem einheitlichen, überwiegend<br />

positiven Bild zu vereinen und das Objekt zu lieben, auch wenn es keine direkte<br />

Befriedigung gewähren kann. Dieses Bild kann nun verinnerlicht werden und das<br />

Kind während der physischen Abwesenheit der Eltern emotional stützen, <strong>wo</strong><strong>du</strong>rch<br />

Trennungen besser ertragen werden können.<br />

Parallel dazu entwickelt das Kind ein Gefühl der Einheitlichkeit <strong>für</strong> das eigene Selbst<br />

in seinen eigenen Grenzen. Es lernt, sich vom Du zu unterscheiden, ohne sich zu<br />

verlieren, und zu akzeptieren, dass andere Menschen nicht seiner Macht unterliegen,<br />

sondern getrennte, eigenständige Personen sind.<br />

Mit der Ausbil<strong>du</strong>ng konstanter Selbst- und Objektrepräsentanzen hat die psychische<br />

Geburt stattgefunden, ein <strong>ab</strong>gegrenztes <strong>Ich</strong> hat sich et<strong>ab</strong>liert.<br />

Der weitere Weg führt von der emotional befriedigenden und zuverlässigen<br />

Zweierbeziehung (Dyade) über die Erkenntnis des Geschlechtsunterschiedes und<br />

die Vaterbeziehung (Triangulierung) hinaus in die Vielfalt der Welt.<br />

Mahlers Sichtweise wurde in der Zwischenzeit weiterentwickelt. Nach den jüngeren<br />

Forschungsergebnissen bei der Säuglingsbeobachtung belegt z.B. Daniel Stern eine<br />

große interaktive Kompetenz des Säuglings. Vor allem Mahlers Annahmen <strong>für</strong> die<br />

ganz frühe Säuglingszeit sind so nicht zu halten. Insgesamt <strong>ab</strong>er spielen ihre<br />

Theorien immer noch eine große Rolle <strong>für</strong> das Verständnis sog. Früher Störungen<br />

wie der schizoiden, narzisstischen und der Borderline-Störung (vgl. Elgeti, 2004, S.<br />

8).<br />

3.2.2. Die Begriffe von <strong>Ich</strong> und Selbst in der Entwicklungspsychologie<br />

Neben der <strong>Ich</strong>-Psychologie und der Objektbeziehungstheorie hat sich in der<br />

psychoanalytischen Literatur als weiteres Gebiet die sog. Selbst-Psychologie (nach<br />

Kohut) entwickelt. Ohne die umfangreiche Literatur <strong>du</strong>rchgearbeitet zu h<strong>ab</strong>en,<br />

möchte ich doch eine kurze Begriffsklärung versuchen.<br />

Allgemein wird der Begriff des Selbst in der Psychologie meist verwendet, um die<br />

leib-seelische Ganzheit der menschlichen Person (einschließlich ihrer unbewussten<br />

Anteile) zu benennen, also das Selbst in Differenzierung zum Gegenüber, dem<br />

Objekt.<br />

Heinz Kohut benutzt den Begriff des Selbst, um eine zweite Entwicklungslinie neben<br />

der des <strong>Ich</strong> zu et<strong>ab</strong>lieren. Für ihn basiert das <strong>Ich</strong> auf kognitiven Funktionen, das <strong>Ich</strong><br />

ist quasi Manager und Organisator des Alltags. Das Selbst dagegen ist der Teil des<br />

Menschen, der erlebt, sich lebendig fühlt, Anteil nimmt und kreativ ist. Es wächst aus<br />

dem Gespiegeltwerden <strong>du</strong>rch die Mutter (vgl. König, 2006).<br />

Kohut forschte vor allem über den Selbstwert in Verbin<strong>du</strong>ng mit narzisstischen<br />

Störungen.<br />

Der Körperpsychotherapeut Jack Lee Rosenberg definiert das <strong>Ich</strong> als den kognitiven<br />

Teil des Selbst, dessen verbale Struktur (vgl. Rosenberg, 1996), das Selbst als das<br />

„im Körper erlebte Gefühl der Identität und Kontinuität“, das sich als „unblockierter<br />

oder uneingeschränkter Energiefluss“ kund tut (Rosenberg, 1996, S. 398) und sich<br />

letztlich aus der „grundlegenden Energie eines Universellen Lebensursprungs“<br />

(Rosenberg, 1996, S. 398) speist.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 8


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Das Bewusstsein des Selbst ist zurückzuführen auf die angemessene Spiegelung des<br />

wachsenden Bewusstseins des Kindes von seiner Indivi<strong>du</strong>alität und seinem persönlichen<br />

Wert, seiner Gültigkeit und Selbstachtung. (Rosenberg, 1996, S. 398).<br />

Ebenso wie Kohut postuliert Rosenberg, dass sich das <strong>Ich</strong> intakt entwickeln könne<br />

trotz Verletzungen des Selbst.<br />

Das <strong>Ich</strong> ist die Persönlichkeit, mit der man sich in der Außenwelt bewegt. Es überdeckt<br />

entwicklungsbedingte Verletzungen und ermöglicht es einem, erfolgreich mit der Außenwelt<br />

umzugehen. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand die äußerlichen Leistungsmaßstäbe<br />

erfüllt oder sogar übertrifft und seine Verletzungen sich nur in seinem Innenleben zeigen –<br />

und in seinen engen persönlichen Beziehungen. Wenn das Selbst nicht intakt ist, kann der<br />

Betroffene weder in seinen Leistungen große Befriedigung finden noch ein inneres Gefühl des<br />

Wohlbefindens aufrechterhalten. (Rosenberg, 1996, S. 171).<br />

Das Selbstgefühl ist der Träger der inneren Identität und des Selbstwertes und damit<br />

maßgeblich verant<strong>wo</strong>rtlich <strong>für</strong> die innere St<strong>ab</strong>ilität und Struktur des Menschen. Für<br />

eine gesunde Entwicklung des Selbst sind ebenfalls die ersten drei Lebensjahre<br />

maßgeblich. Rosenberg übernimmt in seiner Beschreibung die Phasenstruktur<br />

Mahlers, lenkt den Blick <strong>ab</strong>er vorwiegend auf die mütterliche Aufg<strong>ab</strong>e des<br />

nonverbalen und verbalen empathischen Spiegelns und die Entwicklung eines<br />

st<strong>ab</strong>ilen, realitätsbezogenen Selbstvertrauens und Selbstwertgefühls beim Kind.<br />

Die Mutter vermittelt dem Kind ein Bild davon, wer oder was es ist, und sorgt da<strong>für</strong>, dass es<br />

ihm gut damit geht. Es bedeutet allerdings mehr als nur das. Sie sagt damit auch: „Früher<br />

waren wir eins, und das war gut. Jetzt bist <strong>du</strong> <strong>du</strong>, und das ist auch gut. “ Das ermöglicht es<br />

dem Selbst des Kindes, weiter zu wachsen und gibt ihm die Erlaubnis, wirklich es selbst zu<br />

sein, anders als seine Mutter zu sein. (Rosenberg, 1996, S. 181).<br />

Die Mutter hütet das Selbst des Kindes und hilft ihm damit, sich insbesondere in<br />

Phasen starker Frustration emotional nicht verlassen zu fühlen und somit sich nicht<br />

selbst verlassen zu müssen.<br />

3.3. Zusammenfassende Überlegungen zum Begriff der <strong>Ich</strong>-Kraft.<br />

<strong>Ich</strong> möchte den Begriff der <strong>Ich</strong>-Kraft hier als Synonym nehmen <strong>für</strong> die<br />

innerpsychische St<strong>ab</strong>ilität eines Menschen, die aus einem gut strukturierten und<br />

kohärenten <strong>Ich</strong>-Komplex (vgl. Jung und Kast) erwächst.<br />

Für die Entwicklung von <strong>Ich</strong>-Struktur und <strong>Ich</strong>-Kraft ist offensichtlich die frühe Kindheit<br />

von der Geburt bis zum vollendeten 3. Lebensjahr von entscheidender Bedeutung.<br />

Erst zu diesem Zeitpunkt scheint die Basis gelegt <strong>für</strong> eine st<strong>ab</strong>iles <strong>Ich</strong> bzw. Selbst<br />

(nach Kohut und Rosenberg), das sich realitätsgerecht weiterentwickeln und als<br />

solches nach außen in Erscheinung treten kann.<br />

Kriterien <strong>für</strong> diese <strong>Ich</strong>-Kraft sind u.a.: (vgl. <strong>Ich</strong>-Psychologie, 2010)<br />

• Funktionierendes Zusammenspiel der <strong>Ich</strong>-Funktionen: Wahrnehmung,<br />

Absichten, Bewegung, Erinnerungsfähigkeit, Sprache, Gefühlsregulation und<br />

Denken<br />

• Realitätssinn: die Realitätswahrnehmung aufrecht erhalten können<br />

• Erleben der Konstanz und Kohärenz des eigenen Selbst unter Einbeziehung<br />

des eigenen Körpers. Unterscheiden können zwischen Selbst- und<br />

Objektrepräsentanzen<br />

• Urteilsvermögen: logische und kausale Zusammenhänge erkennen<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 9


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

• Affektregulation: Impulse und Affekte kontrollieren und alltägliche<br />

Verstimmungen (z.B. Angst oder Depression) <strong>ab</strong>wehren können<br />

• Frustrationstoleranz: Frustrationen verarbeiten und integrieren können<br />

• Abgrenzungsvermögen: sich nicht von inneren und äußeren Reizen überfluten<br />

lassen<br />

• Bewältigungskompetenzen: subjektives Gefühl von Kompetenz halten können,<br />

das mit der tatsächlichen Leistung übereinstimmt<br />

<strong>Ich</strong>-Kraft ist als <strong>du</strong>rchwegs positive Kraft zu werten, die dem Menschen ermöglicht,<br />

das eigene Leben aktiv und selbstbestimmt zu gestalten.<br />

In der <strong>Atem</strong>psychotherapie wird das <strong>Ich</strong> mit seinen oben genannten Kompetenzen<br />

als im Körper verankert gesehen. Aus dem Zusammenwirken von<br />

Sammlungsfähigkeit, Empfin<strong>du</strong>ngsfähigkeit u.a. <strong>für</strong> Körpergrenzen und -struktur,<br />

tonischen Abläufen im Körper und dem bewussten zugelassenen <strong>Atem</strong>fluss entsteht<br />

eine spezifische Qualität der <strong>Atem</strong>bewegung im mittleren Körperraum, der die<br />

jeweilige psychischen <strong>Ich</strong>-Kraft des Menschen spiegelt (vgl. Punkt 4.1).<br />

In der Psychotherapie werden unterschiedliche <strong>Ich</strong>-Strukturniveaus unterschieden.<br />

Bei deutlichen Defiziten in der Entwicklung der <strong>Ich</strong>-Struktur, die ihre Wurzeln<br />

innerhalb der ersten drei Lebensjahre h<strong>ab</strong>en, spricht man von sog. Frühen<br />

Störungen (vgl. Punkt 7.1). Petzold verweist darauf, dass sich bei einem Störungsbild<br />

mit klinischem Ausmaß diese Politraumatisierungen im weiteren Verlauf der Kindheit<br />

und vor allem im Jugendalter fortsetzen bei weitgehender Abwesenheit von<br />

protektiven Faktoren (vgl. Petzold, 1993, S. 650).<br />

Generell scheinen mir die Ausführungen Kasts wichtig, die darauf hinweist, dass die<br />

strukturelle Beschaffenheit des <strong>Ich</strong>-Komplexes nicht <strong>du</strong>rchgängig ist und sich auch je<br />

nach zu bewältigender Situation im Laufe des Lebens immer wieder verändert.<br />

Natürlich ist es so, daß Menschen, die einen wenig kohärenten <strong>Ich</strong>-Komplex entwickeln<br />

konnten, im Laufe ihres Lebens eher zur Fragmentierung und zum Verlust der <strong>Ich</strong>-Struktur<br />

neigen – sie sind sozusagen strukturschwach – als Menschen, die einen kohärenten <strong>Ich</strong>-<br />

Komplex entwickeln konnten. Dennoch ist zu beachten, daß Menschen auch innerhalb eines<br />

wenig kohärenten <strong>Ich</strong>-Komplexes sehr kohärente <strong>Ich</strong>inseln h<strong>ab</strong>en können, und Menschen mit<br />

einem kohärenten <strong>Ich</strong>komplex Inseln, die nicht so sehr kohärent sind. Auch gibt es<br />

Lebenssituationen, Lebensereignisse, denen kein <strong>Ich</strong>komplex wirklich gewachsen ist, im<br />

Sinne eines reibungslosen Funktionierens, auch nicht gewachsen sein muss. (Kast, 1990, S.<br />

102).<br />

4. Das Selbstverständnis der traditionellen <strong>Atem</strong>pädagogik /-therapie als<br />

Entwicklungs- und Wachstumsarbeit<br />

Nach der Begriffsbestimmung und der Klärung der psychoanalytischen Sichtweise im<br />

Hinblick auf die Entwicklung von <strong>Ich</strong>-Struktur und <strong>Ich</strong>-Stärke möchte ich mich nun der<br />

Sichtweise der traditionellen atempädagogischen /-therapeutischen Arbeit nach den<br />

Grundprinzipien der Lehre Ilse Middendorfs zuwenden und stütze mich d<strong>ab</strong>ei neben<br />

meiner praktischen Erfahrung vor allem auf die grundlegenden Ausführungen von<br />

Karin Fischer und Erika Kemmann-Huber (vgl. Fischer & Kemmann-Huber, 1999).<br />

Die „Arbeit mit dem bewussten zugelassenen <strong>Atem</strong>“ (Fischer & Kemmann-Huber,<br />

1999) versteht sich als ganzheitlicher Selbsterfahrungsprozess basierend auf dem<br />

bewussten Erleben des eigenen Körpers und der Innenbewegung des nicht<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 10


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

manipulierten, zugelassenen <strong>Atem</strong>s. Die Arbeit zielt zunächst auf eine Erweiterung<br />

der Wahrnehmungs- und Empfin<strong>du</strong>ngsfähigkeit, sodann auf einen Prozess der<br />

Differenzierung und Entfaltung unterschiedlicher Empfin<strong>du</strong>ngs-, Erfahrungs- und<br />

Ausdrucksqualitäten, die emotionale Erlebnisaspekte mit einschließen.<br />

Ebenso wie der <strong>Atem</strong>, verstanden als verbindendes Element von körperlichen,<br />

seelischen und geistigen Anteilen im Menschen, die momentane Befindlichkeit eines<br />

Menschen und sein Ge<strong>wo</strong>rdensein spiegelt, kann die Arbeit am <strong>Atem</strong> auf<br />

umgekehrtem Wege tiefgreifende innere Wirkung zeigen. Wird es möglich, den <strong>Atem</strong><br />

als „eine Form des eigenen Selbstausdrucks“ zu erfahren, so können<br />

über die Arbeit am und im <strong>Atem</strong> eigene Themen bewusst werden, seien sie nun körperlicher,<br />

seelischer oder geistig-spiritueller Art. Und wenn sich dieser Mensch auf das prozesshafte<br />

Geschehen der <strong>Atem</strong>arbeit einlassen kann, können darüber auch Veränderung,<br />

Transformation und Wandlung dieser Themen und damit leibliche und seelisch-geistige<br />

Entwicklung möglich werden. (Fischer & Kemmann-Huber, 1999, S. 15).<br />

Insofern fühlt sich die <strong>Atem</strong>arbeit grundsätzlich dem leib-seelischen Wachstum des<br />

Menschen verpflichtet.<br />

4.1. Das <strong>Ich</strong> im atempädagogischen /-therapeutischen Menschenbild<br />

Dem <strong>Ich</strong> kommt in der traditionellen <strong>Atem</strong>arbeit nach Middendorf besondere<br />

Bedeutung zu. Ebenso wie bei Jung wird das <strong>Ich</strong> als Zentrum des Bewusstseins<br />

gesehen, das die Erfahrungen der äußeren und inneren Welt dem Bewusstsein<br />

zugänglich macht.<br />

Auch hier werden dem <strong>Ich</strong> eine Reihe von <strong>Ich</strong>-Kräften zugeordnet, die den Menschen<br />

befähigen, sich in seinem Alltagsleben zu organisieren und zu behaupten. Fischer &<br />

Kemmann-Huber benennen Willenskräfte, die zu intentionaler Handlung und<br />

Entschei<strong>du</strong>ng befähigen, sowie die Fähigkeit zu Kontakt und Begegnung ebenso wie<br />

zu Abgrenzung und Autonomie.<br />

Als leibliche Entsprechung der psychischen <strong>Ich</strong>-Instanz wird in der <strong>Atem</strong>arbeit der<br />

mittlere Körperinnenraum gesehen, der sich zwischen N<strong>ab</strong>el und Brustbeinspitze<br />

direkt unterhalb des Zwerchfells eröffnet, mit dem Mittenzentrum in seinem Inneren.<br />

Besonders die Arbeit am Mittenzentrum, so Fischer & Kemmann-Huber, lasse die<br />

seelischen Qualitäten von Eigenständigkeit, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und<br />

Autonomie erlebbar werden.<br />

Über die Schwingungen des Zwerchfells verbinden sich in diesem Mittenbereich der<br />

untere mit dem oberen Körperinnenraum. Die von unten kommenden vitalen und<br />

triebhaften Impulse bekommen in der Mitte eine der jeweiligen Person<br />

entsprechende indivi<strong>du</strong>elle Färbung, um dann im oberen Bereich des Körpers zum<br />

Ausdruck gebracht zu werden. Auf umgekehrtem Weg nehmen wir im oberen<br />

Bereich des Körpers Sinneseindrücke auf und lassen sie nach unten, um sie <strong>dort</strong> an<br />

die persönlichen Kräfte unserer Mitte anzuschließen. Maria Höller-Zangenfeind<br />

schreibt:<br />

Die Körpermitte kann man als Ort der inneren Verarbeitung und der persönlichen Wandlung<br />

begreifen. Die Wandlung verlangt eine tiefe Beteiligung der Person. ... Je nachdem, wie<br />

<strong>du</strong>rchlässig, aufnahme- und aussagebereit wir sind, entsteht hier das Selbstbewusstsein der<br />

Person. (Höller-Zangenfeind, 2004, S. 47).<br />

In diesem Sinn korrespondiert meines Erachtens die im Mittenraum entstandene<br />

<strong>Atem</strong>kraft mit der jeweiligen <strong>Ich</strong>-Kraft der Person.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 11


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Auch in der <strong>Atem</strong>lehre wird das <strong>Ich</strong> nur als ein Teil der psychischen Ganzheit<br />

gesehen. Die <strong>Atem</strong>arbeit versteht sich als ein Weg hin zum Wesen (nach Karlfried<br />

Graf Dürckheim) oder zum Selbst (nach C.G. Jung), das Bewusstes und<br />

Unbewusstes umfasst und als heiler Kern in der Tiefe des Menschen dessen<br />

gesamtes kreatives Potential in einer „ursprünglichen, unverstellten, unverletzten<br />

Form“ (Fischer & Kemmann-Huber, 1999, S. 22) enthält. Indem die nicht gelebten<br />

Anteile an den <strong>Atem</strong> und das Bewusstsein angeschlossen und integriert werden,<br />

kommt das Wesen zur Entfaltung.<br />

Die Entwicklungs- und Wachstumserfahrungen werden dem Schüler in folgenden<br />

Schritten angeboten:<br />

1. Erfahrung des eigenen Leibes in der Ruhe und im Prozess differenzierter<br />

Bewegungen – damit verbunden die Innenerfahrung des zugelassenen<br />

<strong>Atem</strong>s, der über Bewegungsimpulse unterschiedlicher Art angeregt wird (<strong>Atem</strong><br />

aus der Bewegung).<br />

In dieser Phase kommt der <strong>Ich</strong>-Stärkung und Strukturbil<strong>du</strong>ng ein hoher<br />

Stellenwert zu.<br />

2. Erfahrung der Innenbewegung des <strong>Atem</strong>s als Ausdruck der inneren<br />

Befindlichkeit und Potentiale des Menschen, der die äußere Bewegung<br />

gestaltet (Bewegung aus dem <strong>Atem</strong>).<br />

Hier nun tritt das willentliche <strong>Ich</strong> unter Aufrechterhaltung der Sammlungskraft<br />

immer mehr in den Hintergrund, die Hing<strong>ab</strong>e an den autonomen <strong>Atem</strong>fluss<br />

vertieft sich.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen: der Weg hin zum Wesen vollzieht sich auf der<br />

leiblichen Ebene letztlich in Richtung eines bewussten immer stärkeren Loslassens<br />

des Willentlichen hin zum bewusst wahrgenommenen Zulassen der autonomen, aus<br />

der Tiefe kommenden <strong>Atem</strong>bewegung, bzw. hin zur Hing<strong>ab</strong>e an diese Kraft.<br />

4.2. Voraussetzungen <strong>für</strong> den Beginn atempädagogischer /-therapeutischer Arbeit<br />

Es ist nun eine interessante Frage zu ergründen, welche <strong>Ich</strong>-Kompetenzen ein<br />

Schüler / Klient bereits mitbringen muss, der zu einer Einzelbehandlung auf der<br />

Liege in unsere <strong>Atem</strong>praxis kommt, bzw. sich zur Teilnahme an einer <strong>Atem</strong>gruppe<br />

anmeldet.<br />

4.2.1. Fähigkeit zu Achtsamkeit und Sammlung<br />

Generell muss es diesem Menschen möglich sein, ein bestimmtes Maß an<br />

Wahrnehmungsfähigkeit, Achtsamkeit, Sammlungsfähigkeit <strong>für</strong> einen gewissen<br />

Zeitraum aufrechterhalten zu können.<br />

Achtsamkeit meint hier eine nicht auswählende Wachheit, Sammlung eine Form der<br />

Hinwen<strong>du</strong>ng zu sich selbst, die den Wahrnehmungsfokus in einer bestimmten<br />

Körpergegend hat, ohne d<strong>ab</strong>ei den ganzheitlichen leib-seelischen Organismus und<br />

sein Umfeld aus den Augen zu verlieren. Fischer & Kemmann-Huber bezeichnen die<br />

Sammlungsfähigkeit ausdrücklich als eine <strong>Ich</strong>-Kraft, deren Entwicklung später <strong>für</strong> die<br />

Anreicherung von <strong>Atem</strong>kraft von entscheidender Bedeutung ist.<br />

Im klassischen Middendorf-Setting, bei dem während der Einzelarbeit auf der Liege<br />

und auch während der Übungen auf dem Hocker bzw. in den Nachspürphasen des<br />

übungszentrierten Arbeitens kaum gesprochen wird, muss hier vom Klienten viel<br />

offener Raum „gehalten“ und strukturiert werden können, ohne sich darin zu<br />

verlieren. Der Klient muss in der Lage sein, sich selbst zu begleiten, d.h. seine<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 12


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Erlebnisse bewusst wahrzunehmen und sie im Bewusstsein zu halten, damit er sie<br />

dem Körpergedächtnis zuführen, einordnen, verbalisieren, zu Erfahrungen<br />

verarbeiten kann. Die Gefahr des inneren Abdriftens ist umso größer, je geringer die<br />

Fähigkeit zur psychischen Präsenz ausgebildet ist und je weniger<br />

Empfin<strong>du</strong>ngsfähigkeit vorhanden ist, die als Anker <strong>für</strong> die innere Anwesenheit dienen<br />

kann.<br />

4.2.2. Fähigkeit zu Abgrenzung<br />

Sitzt ein Klient im Hockerkreis der <strong>Atem</strong>gruppe, so sollte er die ungestörte Sammlung<br />

auf sich selbst aufrechterhalten können inmitten der übrigen relativ nah sitzenden<br />

Teilnehmer, d.h. er sollte sich soweit nach außen <strong>ab</strong>grenzen können, dass diese<br />

gespürte Nähe und auch die Blicke der anderen seine inneren physiologischen<br />

Abläufe und seine Wahrnehmungsfähigkeit nicht übermäßig beeinträchtigen.<br />

Dieses Thema zeigt sich noch deutlicher in der Partnerarbeit oder in der Einzelarbeit<br />

auf der Liege, in der wir als Therapeuten zusätzliche Nähe herstellen, in dem wir<br />

gelernt h<strong>ab</strong>en, so zu berühren, dass wir den Liegenden „meinen“. Gelingt es dem<br />

Klienten, so bei sich zu bleiben, dass er seinen eigenen <strong>Atem</strong>fluss zulassen und mit<br />

seinen seelischen Kräften anwesend bleiben kann?<br />

Mit dieser Abgrenzung nach außen korrespondiert eine Abgrenzung nach innen.<br />

Kann der Klient realitätsbezogen mit dieser Situation der intentionalen, auf den<br />

<strong>Atem</strong>fluss bezogenen Berührung umgehen, oder tauchen plötzlich Gefühle auf, die<br />

ihre Wurzeln in einem völlig anderen Umfeld h<strong>ab</strong>en müssen?<br />

<strong>Ich</strong>-Grenzen werden von Kast u.a. beschrieben als Voraussetzung <strong>für</strong> eine <strong>Ich</strong>-Du<br />

Beziehung, bei der sich das <strong>Ich</strong> vom Du unterscheiden kann, sowie Schutz bietet<br />

gegen das Überschwemmtwerden von unbewussten Inhalten im intrapsychischen<br />

Raum (Kast, 1990, S. 69).<br />

4.2.3. Fähigkeit zu Hing<strong>ab</strong>e<br />

Die Fähigkeit zur Hing<strong>ab</strong>e ist neben der Achtsamkeit, so Fischer & Kemmann-Huber,<br />

die zweite seelische Voraussetzung <strong>für</strong> die Arbeit mit dem zugelassenen <strong>Atem</strong>.<br />

Hing<strong>ab</strong>e und Achtsamkeit beschreiben eine innere Haltung, die gekennzeichnet ist <strong>du</strong>rch ein<br />

<strong>ab</strong>sichtsloses, nicht wertendes, <strong>ab</strong>er dennoch waches und aufmerksames Geschehen-Lassen<br />

körperlicher und seelischer Veränderungen. (Fischer & Kemmann-Huber, 1999, S. 13).<br />

Hing<strong>ab</strong>e meint also: ‚ich lasse zu...’, ,ich öffne mich <strong>für</strong>...’, anstelle von ‚ich mache...’.<br />

Das willentliche <strong>Ich</strong> also soll zurücktreten, das Wahrnehmende erhalten bleiben.<br />

Wenn die Hing<strong>ab</strong>e in Form des Sich-Öffnens <strong>für</strong> den zugelassenen <strong>Atem</strong> schon bald<br />

im Fokus der Übungsanleitungen steht, kann die Anforderung des Zulassens <strong>für</strong><br />

manche Menschen zum Problem werden. Hing<strong>ab</strong>e verlangt, ein bestimmtes Maß an<br />

Kontrolle oder Selbst-Beherrschung aufzugeben, das <strong>für</strong> den Klienten<br />

möglicherweise notwendig ist, und nur unter der Voraussetzung gelingen kann, dass<br />

ein Mindestmaß an innerer Sicherheit und Vertrauen in die eigene Tiefe vorhanden<br />

ist. Laut Kast bedarf es eines relativ st<strong>ab</strong>ilen, <strong>ab</strong>gegrenzten <strong>Ich</strong>-Komplexes, um das<br />

<strong>Ich</strong> zurückzunehmen im Vertrauen darauf, dass wir uns wieder in unsere Grenzen<br />

zurückorganisieren können.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 13


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

5. Mögliche Störungsfelder zu Beginn der atempädagogischen /<br />

therapeutischen Arbeit anhand von Beispielen<br />

Frau A. ist 40 Jahre alt, verheiratet, berufstätig. Sie wirkt vital und offen, ist im<br />

Gespräch aufmerksam und zugewandt. Mit der übungszentrierten Hockerarbeit hat<br />

sie bereits Erfahrung und möchte nun bei mir die Arbeit auf der Liege kennenlernen.<br />

Die ersten Stunden ergeben folgendes Bild: Auf der Liege atmet Frau A. flach mit<br />

schnellem Rhythmus, fast ohne Pause. <strong>Ich</strong> kann <strong>Atem</strong>bewegung in der Mitte und im<br />

Brustraum sehen, kaum im Becken. Bei Berührung meiner Hand am Bauch weicht<br />

Frau A. mit ihrem <strong>Atem</strong> nach oben aus und tendiert dazu, ihn aktiv zu <strong>hole</strong>n.<br />

Sie wirkt sehr konzentriert und kontrolliert. Vor allem die Oberschenkel, der Nacken-<br />

Schulterbereich und der Rücken sind angespannt. Sie kann schlecht bis gar nicht<br />

loslassen. Auf den Rücken bezogen sagt sie: „<strong>Ich</strong> weiß gar nicht, wie ich mich auf<br />

Ihre Hand runterlassen soll. Meinen Rücken spüre ich wie ein großes, schwarzes<br />

Loch.“ Auch ihr Becken ist der Empfin<strong>du</strong>ng kaum zugänglich. Sie spürt sich meist<br />

„flach“, die Dreidimensionalität fehlt.<br />

Die Berührung meiner Hand empfindet Frau A. als angenehm, solange ich streichend<br />

und knetend arbeite. Versuche ich, ihre Struktur zu verändern, z.B. in Form einer<br />

Dehnung, stellt sich ein Gefühl von innerer Unruhe und „Aufregung“ ein und der<br />

<strong>Atem</strong> wird geholt. Bei dem Versuch, an den Trochanterknochen mit Druck zu<br />

arbeiten, taucht ein Schwindelgefühl auf. Von Schwindel und Angstgefühlen berichtet<br />

sie auch aus den Gruppenstunden, vor allem bei der Arbeit an den Füßen. Meine<br />

Hand unter ihrer Schulter löst Übelkeit in der Magengrube aus. Gelenkspiel der Arme<br />

ist <strong>für</strong> sie anstrengend, erzeugt erhöhte Wachsamkeit, das Gefühl aufpassen zu<br />

müssen.<br />

Auf der Empfin<strong>du</strong>ngsebene ist Frau A. ansprechbar und berichtet von<br />

wahrgenommenen Veränderungen. Ihre <strong>Atem</strong>bewegung scheint mir von meinen<br />

taktilen Interventionen relativ unbeeinflusst zu bleiben.<br />

Manchmal geschieht Folgendes: ein sehr kleiner, sanfter <strong>Atem</strong> breitet sich fließend in<br />

alle Richtungen aus. Frau A. wirkt auf mich entspannt, <strong>ab</strong>er völlig in sich<br />

zurückgezogen, autark. Als ich ihr diese Beobachtung mitteile und auch, dass ich<br />

mich im Moment ausgeschlossen fühle, erklärt sie: „<strong>Ich</strong> konzentriere mich, dass ich<br />

nicht denke, wie in der Meditation. Mein <strong>Atem</strong> geht dann überall hin. <strong>Ich</strong> bin ganz<br />

leicht. Noch ein bisschen mehr, dann fliege ich davon oder löse mich auf.“ In diesem<br />

Zustand empfindet Frau A. ihren Körper neblig-diffus, entgrenzt.<br />

Im Gespräch h<strong>ab</strong>e ich auf der Beziehungsebene mit Frau A. guten Kontakt. Auf der<br />

Körperebene, vor allem verbunden mit Berührung, ist es schwierig, einen<br />

störungsfreien Bereich zu finden. Hier scheint sich Frau A. in einer Art Rückzug nach<br />

innen am <strong>wo</strong>hlsten zu fühlen, <strong>wo</strong>bei sie ihren Körper „ausblendet“.<br />

Frau B. ist 49 Jahre alt, alleinstehend. Sie wird demnächst an einem neuen<br />

Arbeitsplatz ihrer Firma im Büro eingearbeitet werden und ist bereits nervös, ob sie<br />

das schaffen wird. Sie berichtet von psychosomatischen Beschwerden im Magen-/<br />

Darmbereich, starken muskulären Verspannungen im Bereich von Bauch,<br />

Schultergürtel, Kiefer und den Händen („wie nach innen gezogen“, „möchte mich<br />

einrollen“) und Ängsten. Auch halte sie oft die Luft an.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 14


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Frau B. redet viel und schnell, wirkt lebhaft, auch angenehm humorvoll. Sie<br />

bezeichnet sich selbst als extrovertiert, sehr gefühlsbetont und manchmal etwas<br />

dramatisch. Sie wirkt, als stehe sie ständig unter Druck.<br />

Frau B. sagt mir, dass sie nicht angefasst werden möchte, das sei ihr viel zu nah. Als<br />

wir ausprobieren, wie viel Distanz sie denn braucht, schafft sie 3 - 4 Meter Abstand<br />

zwischen uns, so viel, wie in meinem Raum möglich ist. „Wenn ich näher bei Ihnen<br />

sitze, werde ich unruhig, fühle mich wie beobachtet, da wird mir ganz eng!“ Mit<br />

diesem Abstand fühlt sich Frau B. soweit entspannt und wir können beginnen. Ohne<br />

mein Nachfragen hätte sie diesen Hocker-Abstand nicht eingefordert.<br />

Frau C., über 50, alleinstehend und nicht mehr berufstätig, hat einen zarten<br />

Körperbau und kommt mit der Diagnose der Fibromyalgie. Sie wirkt aufgeregt bei<br />

dem Versuch, sich mit ihren Beschwerden mir gegenüber verständlich zu machen.<br />

Sie sucht Kontakt, gleichzeitig zieht sie sich immer wieder im Gespräch zurück,<br />

schließt die Augen, so als koste es sie viel Mühe, die stimmigen Worte zu finden. Ein<br />

extrem sensibles Nervensystem lasse sie schnell in innere Erregung geraten, die<br />

sich körperlich in unangenehmem Kribbeln (selten bis zu Taubheitsgefühlen) äußere.<br />

Wenn etwas schnell <strong>ab</strong>laufe, reagiere sie meist wie mechanisch und könne sich<br />

dann besonders schlecht „wehren“. „<strong>Ich</strong> bin dann gar nicht richtig bei mir!“ Es koste<br />

sie Kraft, nach außen zu gehen, ob<strong>wo</strong>hl man ihr das nicht anmerke. Im Sitzen sinkt<br />

sie oft in einen Rundrücken.<br />

Ihr Anliegen bleibt vorerst relativ diffus. Neben dem Lösen von starken<br />

Verspannungen im Brust- und Schulterbereich nennt sie den Wunsch, Leichtigkeit zu<br />

erfahren, zur Ruhe zu kommen, sich <strong>wo</strong>hl fühlen zu können mit sich selbst. Auf dem<br />

Weg, „das herauszufinden, brauche ich Ihre Unterstützung, damit ich mich nicht<br />

selbst unter Druck setze.“<br />

In der ersten Stunde lösen fast alle meine Vorschläge bei ihr Widerstand oder<br />

Frustration aus. Es fällt ihr schwer, sich einen Platz im Raum zu suchen, <strong>wo</strong> sie sich<br />

gut fühlt und mit mir arbeiten will. Mit dem Gesicht zu mir zu sitzen ist ebenso<br />

schwierig („da fühle ich mich beobachtet“) wie mit dem Blick in eine andere Richtung<br />

(„ich will ja gesehen werden“). Als sie unter Druck kommt, sie wird auch unge<strong>du</strong>ldig<br />

mit sich, entlädt sich ihr Gefühl in einer Geste der Abwehr und des Ekels verbunden<br />

mit einem kehligen Laut, der, wie sie später feststellt, den Raum unter dem Brustbein<br />

stark verengt.<br />

Kleine Bewegungen und Empfin<strong>du</strong>ngsarbeit an den Füßen sind möglich. Lasse ich<br />

die Bewegung größer werden, um den <strong>Atem</strong> etwas in Fluss zu bringen, tritt unter<br />

dem Brustbein wieder das Engegefühl auf. Frau C. benennt ihr Problem nicht,<br />

ob<strong>wo</strong>hl sie es spürt, sondern kommt nun ins Agieren: sie bricht die Beziehung zu mir<br />

<strong>ab</strong> (ich weiß also gar nicht, was los ist) und macht hektische Ausgleichsbewegungen,<br />

die nicht helfen. Dieser Prozess lässt sie nun in eine Frustration fallen. Sie wird sehr<br />

verzweifelt, alles sei so anstrengend – der Arzt sage ihr, sie solle etwas <strong>für</strong> ihre<br />

Kondition tun und nicht einmal diese leichte Übung sei ihr möglich. Sie fühle sich so<br />

schnell überfordert.<br />

<strong>Ich</strong> beende diese Stunde mit Gegenübertragungsgefühlen (vgl. Punkt 6.1.3.) von<br />

Mitleid, Hilflosigkeit und vor allem Ärger.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Arbeitsbeginn bei allen drei<br />

Klientinnen sich schwierig gestaltete (bei Frau B. hatte ich bereits auf in der APT<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 15


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Erlerntes zurückgegriffen). Sammlungs-, Abgrenzungs- und Hing<strong>ab</strong>evermögen<br />

standen nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung.<br />

6. Der Ansatz der <strong>Atem</strong>psychotherapie zur Strukturierung und Stärkung des<br />

<strong>Ich</strong>s<br />

Die Ausbil<strong>du</strong>ng in <strong>Atem</strong>psychotherapie mit ihrer tiefenpsychologischen Ausrichtung<br />

half mir, diese Zusammenhänge besser verstehen zu können, sie an den<br />

Entwicklungsweg der Klientinnen anzubinden, und g<strong>ab</strong> mir Hilfestellungen an die<br />

Hand, mit ihnen umzugehen.<br />

6.1. Beziehung – das Wirkfeld zwischen Klient und Therapeut<br />

Zunächst einmal ist es die Beziehungsebene, die in der APT in den Mittelpunkt der<br />

Wahrnehmung rückt. Die Beziehung zwischen Klient und Therapeut wird in der APT<br />

als grundlegende Basis gesehen und als Voraussetzung <strong>für</strong> sämtliche auf den <strong>Atem</strong><br />

bezogene Arbeitsmöglichkeiten. Beziehung baut Vertrauen auf und schafft<br />

Erleichterung <strong>für</strong> den Klienten, der meist mit einer gewissen Not beladen ist, d.h.<br />

Beziehung zu ermöglichen ist die erste „Maßnahme“, die es dem <strong>Atem</strong> erlaubt, sich<br />

zunächst noch unbewusst Raum zu nehmen. Gerade wenn ein Klient zu sich selbst,<br />

seinem Leib und seinem <strong>Atem</strong> eine schwierige, bzw. noch wenig Beziehung hat, ist<br />

es erst einmal die Beziehung zum Therapeuten, die tragfähig werden muss.<br />

Für die atempsychotherapeutische Arbeit gilt: So wie sich <strong>Ich</strong>-Struktur im Laufe der<br />

kindlichen Entwicklung nur in einem Beziehungsfeld entwickeln kann und meist <strong>dort</strong><br />

auch seine Traumatisierungen erfährt, müssen korrigierende Erfahrungen innerhalb<br />

einer späteren Beziehung möglich werden, damit das <strong>Ich</strong> sich weiter strukturieren<br />

und an Stärke wachsen kann.<br />

6.1.1. Klientenzentrierte Basis<br />

Beziehung aufnehmen heißt zunächst einmal, auf den Menschen <strong>dort</strong> einzugehen,<br />

<strong>wo</strong> er gerade mit seiner seelischen Energie anwesend ist. Meist ist es sein Problem<br />

oder Symptom, das <strong>für</strong> ihn im Vordergrund steht. Auch wenn wir nicht<br />

symptombezogen arbeiten, darf also dieses Problem da sein, in die Wahrnehmung<br />

treten. Es wird in der APT verstanden als ein Selbsthilfeversuch aus einer Not<br />

heraus und wird als solcher gewürdigt . Der Therapeut begegnet dem Klienten mit<br />

Wertschätzung und Empathie, d.h. in einer Haltung des verstehenden Zuhörens, und<br />

achtet ihn in seinen Kompetenzen.<br />

Der <strong>Atem</strong>psychotherapeut spricht den Klienten in seinem <strong>Ich</strong> an, indem er seine<br />

Befindlichkeit erfragt und spiegelt, Interesse <strong>für</strong> das dahinter stehende Selbstbild<br />

zeigt, die Motivation <strong>für</strong> die <strong>Atem</strong>arbeit und damit verbundene Erwartungen und<br />

Zielvorstellungen des Klienten erkundet und von seiner Seite aus mit den realen<br />

Möglichkeiten und Anforderungen der atemtherapeutischen Arbeit (z.B.<br />

selbstverant<strong>wo</strong>rtliches Üben) <strong>ab</strong>gleicht.<br />

Auf dieser Grundlage schließen beide ein Arbeitsbündnis. In diesem Arbeitsbündnis<br />

sollte der Klienten seinen eigenen Willen und seine Mitverant<strong>wo</strong>rtung verdeutlichen,<br />

beispielsweise indem er als eigene Zielsetzung formuliert: „<strong>Ich</strong> möchte mit ihrer (des<br />

Therapeuten) Hilfe mehr Lebensqualität erreichen“ oder „<strong>Ich</strong> möchte zu innerer Ruhe<br />

finden“. Das Arbeitsbündnis wird in seinen Inhalten dem Entwicklungsstand der<br />

gemeinsamen Arbeit immer wieder angepasst.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 16


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

6.1.2. Die vorrangige Wahrnehmungsfunktion<br />

Wenn wir den Menschen in seiner Ganzheit betrachten, wird klar, dass er sich und<br />

die Welt auf unterschiedliche Weise und auf unterschiedlichen Ebenen wahrnehmen<br />

kann. In der APT werden, in Anlehnung an C.G. Jung, vier Wahrnehmungsfunktionen<br />

unterschieden: das Empfinden, das Fühlen, das Denken und das Intuieren. Mit dem<br />

Begriff der Wahrnehmungsfunktion ist die indivi<strong>du</strong>ell unterschiedliche vorrangige Art<br />

und Weise gemeint, wie ein Mensch äußere und innere Inhalte aufnimmt und<br />

verarbeitet. Die Wahrnehmungsfunktionen sind Teil der <strong>Ich</strong>-Funktionen.<br />

In der klassischen Middendorf-Arbeit steht die Empfin<strong>du</strong>ngsfunktion im Mittelpunkt,<br />

d.h. die wertfreie Wahrnehmung von körperlichen Reizen, die <strong>du</strong>rch das sensible<br />

Nervensystem übermittelt werden. Äußere und innere Körperwahrnehmung werden<br />

auf diese Weise geschult. Erika Kemmann-Huber hat des Weiteren den Begriff der<br />

Erfahrungsqualitäten geprägt, um in einer zweiten Stufe die Elemente des seelischen<br />

Erlebens zu benennen, die aus dem Erleben von bestimmten Empfin<strong>du</strong>ngsqualitäten<br />

erwachsen können.<br />

Das Empfinden und das Verbalisieren der Empfin<strong>du</strong>ng ist <strong>für</strong> viele Klienten nicht<br />

selbstverständlich, es muss erlernt werden. Sie erleben und benennen sich selbst<br />

und die Welt in anderen Kategorien, <strong>für</strong> die wir in unserer Grundausbil<strong>du</strong>ng<br />

möglicherweise nicht sensibilisiert wurden.<br />

Möchte ich mit einem Menschen in Beziehung treten und ihn <strong>dort</strong> <strong>ab</strong><strong>hole</strong>n, <strong>wo</strong> er<br />

steht, dann ist es sinnvoll zu beachten, ob er vorwiegend mit der Empfin<strong>du</strong>ngsebene<br />

vertraut ist (dem Reich der konkreten wertfreien Sinneswahrnehmungen), mit der<br />

Ebene des bewertenden Fühlens (dem Reich des Angenehmen oder<br />

Unangenehmen), mit der Ebene des Denkens (dem Analysieren, Folgern,<br />

Kombinieren) oder mit der Ebene der Intuition (dem Bereich der Bilder, Symbole,<br />

Impulse). <strong>Ich</strong> versuche also, mich auf seine vorrangige Art der Welterfahrung und<br />

Informationsverarbeitung einzustimmen und seine Sprache zu sprechen.<br />

Ähnlich wie bei Jung gehört es zum Entwicklungsweg der APT, die ge<strong>wo</strong>hnte<br />

Wahrnehmungsfunktion des Klienten in die anderen Wahrnehmungsfunktionen<br />

hinein zu erweitern, um zu einer größeren Vernetztheit und Ganzheitlichkeit des<br />

Erlebens zu gelangen.<br />

6.1.3. Das Wissen um Übertragung und Gegenübertragung<br />

Die Psychoanalyse zeigt uns, dass das Beziehungsfeld zwischen Klient und<br />

Therapeut nicht nur auf der bewussten Ebene existiert und wirkt, sondern auch auf<br />

der unbewussten in Form von Übertragung und Gegenübertragung. Dieses<br />

Resonanzphänomen zeigt seine Wirkung in jeder Beziehung, un<strong>ab</strong>hängig davon, ob<br />

es unsere Absicht ist, damit zu arbeiten oder nicht. Darauf weist z.B. der Psychologe<br />

und Lehranalytiker Siegfried Gröninger hin, dem die Verbreitung des übenden<br />

Verfahrens der Progressiven Muskelrelaxation ein besonderes Anliegen ist:<br />

Bei einer ernsten Störung der Beziehung zwischen dem <strong>Ich</strong> des Patienten, das Progressive<br />

Relaxation will, und dem Therapeuten ist ein Erfolg kaum möglich. Besonders problematisch ist eine<br />

den beiden unbewusste Störung. Dann will der Patient zwar in Anwesenheit des Behandlers, <strong>ab</strong>er zu<br />

Hause übt er einfach nicht. Tiefenpsychologisch gesprochen geht es um die negative Übertragung.<br />

(Gröninger, 1996, S. 220).<br />

In der Übertragung gleitet der Klient unbewusst in ein altes, konfliktbeladenes<br />

Rollenmuster, meist aus der frühen Kindheit, und verhält sich dementsprechend.<br />

Dem Therapeuten weist er den Gegenpart (z.B. eines Elternteils) zu, was in diesem<br />

spezifische Gegenübertragungsgefühle erweckt.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 17


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Tiefer als die konfliktzentrierte Übertragung liegt die jeweilige Grundübertragung, die<br />

Rückschlüsse zulässt auf die seelische Entwicklungsebene, auf der das jeweilige<br />

Beziehungsverhalten angesiedelt werden kann. Rosenberg unterscheidet hier drei<br />

Phasen der Übertragungsbeziehung (vgl. Rosenberg, 1996):<br />

In der sog. magischen Phase (sie entspricht der symbiotischen oder Bin<strong>du</strong>ngsphase<br />

des Kleinkindes) erwartet der Klient vom Therapeuten eine „magische“ Lösung<br />

seiner Probleme, <strong>für</strong> die weder Zeit, noch Anstrengung, noch Überprüfung der<br />

Realität erforderlich sind. Er hat blindes Vertrauen in die Kräfte des Therapeuten<br />

(oder des <strong>Atem</strong>s). Wird dieses Vertrauen notgedrungen nach einiger Zeit enttäuscht,<br />

können die Gefühle des Klienten in Frustration oder Wut umschlagen.<br />

In der sog. Anlehnungsphase (sie entspricht der Loslösungs- oder<br />

Indivi<strong>du</strong>ationsphase, in der das Kind auf die Spiegelung <strong>du</strong>rch die Mutter angewiesen<br />

ist) ist das Selbstgefühl des Klienten zerbrechlich. Er weiß zwar, dass er<br />

Verant<strong>wo</strong>rtung <strong>für</strong> sich übernehmen muss, braucht <strong>ab</strong>er noch die Unterstützung des<br />

Therapeuten, der über anerkennende und angemessene Spiegelung das<br />

Selbstgefühl des Klienten halten muss.<br />

Erst in der dritten, der sog. selbstsicheren Phase ist das Selbstgefühl des Klienten so<br />

st<strong>ab</strong>il, dass er zunehmend <strong>für</strong> sich selbst sorgen und sich in seinen positiven wie<br />

auch seinen problemhaften Seiten wahrnehmen kann. Er hat keine Angst mehr, in<br />

seiner Andersartigkeit <strong>ab</strong>gelehnt zu werden und tritt aus der Übertragungsbeziehung<br />

in eine reale Beziehung zum Therapeuten. Erst hier ist im Grunde die Ebene einer<br />

Lehrer-Schüler Beziehung erreicht, also die Ebene eines weitgehend störungsfreien<br />

pädagogischen Arbeitens.<br />

6.2. Sammeln diagnostischer Hinweise zur Klärung der <strong>Ich</strong>-Kraft<br />

Wie in der Psychotherapie steht auch in der APT zu Beginn der Arbeit eine<br />

Diagnosestellung (griech. diagnossi: <strong>du</strong>rchforschen, Erkenntnis gewinnen) als<br />

Orientierung <strong>für</strong> das konkrete Vorgehen im Sinne verant<strong>wo</strong>rtlichen therapeutischen<br />

Handelns. Sie ergibt sich aus der Wahrnehmung des Bestehenden im somatischen<br />

und psychischen Bereich (einzelne Erscheinungen / Symptome) und dessen<br />

Verbin<strong>du</strong>ng mit dem lebensgeschichtlichen Hintergrund (Anamnese).<br />

Bei <strong>Atem</strong>therapeuten existieren gegen den Begriff der Diagnose oft Widerstände.<br />

Diese sind meines Erachtens dann berechtigt, wenn Diagnose mit der realen Gefahr<br />

der Abwertung verbunden wird. Die diagnostische Vermutung dient jedoch der<br />

Orientierung und Differenzierung und muss immer wieder an den Wahrnehmungen<br />

überprüft werden. Außerdem ist zu beachten, dass das Auftreten bestimmter,<br />

beispielsweise narzisstischer Symptome noch lange nicht das Krankheitsbild einer<br />

narzisstischen Persönlichkeitsstörung ergibt. So verstanden sind die diagnostischen<br />

Beobachtungen eine wichtige Voraussetzung <strong>für</strong> ein dem Klienten angemessenes<br />

atemtherapeutisches Angebot.<br />

Folgende Fragestellungen können helfen, einen Wahrnehmungsraum <strong>für</strong> die <strong>Ich</strong>-<br />

Kraft bzw. das Strukturniveau des Klienten zu eröffnen:<br />

- Welchen konkreten Abstand zum Therapeuten möchte der Klient einnehmen?<br />

Sucht er unverhältnismäßig viel Nähe (symbiotische Tendenz) oder sehr viel<br />

Distanz, weil Nähe angstbesetzt ist?<br />

- Kann der Klient die Wahrnehmung aufrechterhalten oder hat er<br />

Wahrnehmungslöcher („<strong>Ich</strong> weiß nicht.“)?<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 18


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

- Kann sich der Klient <strong>ab</strong>grenzen, <strong>für</strong> sich Verant<strong>wo</strong>rtung übernehmen?<br />

- Kann der Klient eigene Ziele verfolgen?<br />

- Kann der Klient unbesetzten Raum strukturieren, z.B. bei einem Thema den<br />

„roten Faden“ halten, Fragen stellen, <strong>Ich</strong>-Botschaften senden?<br />

- Kann der Klient schmerzhafte Gefühle zulassen, sie halten und benennen?<br />

Oder wird er von Emotionen überflutet, die er <strong>ab</strong>spalten muss oder<br />

ausagieren?<br />

- Zeigt der Klient unerklärbare Gefühlsschwankungen gegenüber dem<br />

Therapeuten, löst er starke Gefühle in der Gegenübertragung aus?<br />

- Kann der Klient reflektieren und symbolisieren oder braucht er <strong>für</strong> seine innere<br />

Orientierung die Interpretation des Therapeuten?<br />

- Hat der Klient große Erlösungssehnsüchte? Übernimmt er Mitverant<strong>wo</strong>rtung<br />

<strong>für</strong> den Therapiefortschritt?<br />

Auf der Ebene von Körper und <strong>Atem</strong>:<br />

- Hat der Klient eine relativ ganzheitliche und zusammenhängende<br />

Körperwahrnehmung oder nimmt er sich getrennt in einzelne Teilbereiche<br />

wahr?<br />

- Kann der Klient seine Körpergrenzen spüren. Kann er zwischen sich selbst<br />

und dem Therapeuten unterscheiden?<br />

- Kann der Klient <strong>Atem</strong>fluss zulassen und zugleich bei sich und in der<br />

Beziehung zum Therapeuten anwesend sein?<br />

- Zeigt sich beim Klienten eine konstante, zugelassene (nicht willentlich<br />

gemachte) und auch in der Berührung <strong>du</strong>rch den Therapeuten st<strong>ab</strong>il bleibende<br />

<strong>Atem</strong>bewegung im mittleren Körperraum (vgl. Punkt 3.3. und 4.1.)?<br />

Ant<strong>wo</strong>rten zeigen sich innerhalb der ersten Stunden im Beziehungsfeld zwischen<br />

Klient und Therapeut, werden zum Teil auch erst erzählt, nachdem sich eine<br />

Vertrauensbasis gebildet hat. Wichtig ist ein Nachfragen, wie sich der Klient in<br />

seinem privaten und beruflichen Umfeld erlebt. Ebenso aufschlussreich ist es, etwas<br />

über die frühe Kindheit zu erfahren, das Beziehungsfeld, in dem der Klient<br />

aufgewachsen ist, bzw. über Traumata in seiner Lebensgeschichte.<br />

6.3. Das Vorgehen in der <strong>Atem</strong>psychotherapie anhand von Fallbeispielen<br />

Im Folgenden möchte ich gerne anhand von Frau A. und Frau B. die Arbeitsweise<br />

der APT konkreter erläutern und reflektieren.<br />

6.3.1. Fallbericht Frau A.<br />

Personalien:<br />

Frau A. ist 40 Jahre alt, verheiratet, berufstätig im kaufmännischen Bereich.<br />

Behandlungszeitraum:<br />

13 Einzelstunden in 3 bis 4-wöchigem Abstand, daran anschließend 20<br />

Einzelstunden in wöchentlichem Abstand unterbrochen von einer Urlaubspause.<br />

Anlass der Behandlung:<br />

Frau A. hat bereits Erfahrung mit der übungszentrierten Hockerarbeit, die sie parallel<br />

zu meinen Stunden weiterführt, und möchte nun bei mir die Arbeit auf der Liege<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 19


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

kennenlernen, auch ihre Fragen bezüglich der Hockerarbeit klären. Sie fühle sich im<br />

Alltag meist „angespannt und unter innerem Druck, zu strukturiert und<br />

leistungsorientiert“. Sie möchte „ganz präsent und trotzdem leicht und entspannt sein<br />

können“. Dahingehend wird ein Arbeitsbündnis formuliert.<br />

Lebensgeschichtlicher Hintergrund (der erst mit der Zeit deutlich wird):<br />

Frau A. ist als ältere von 2 Schwestern in einem sehr leistungsbezogenen und<br />

disziplinierten Familiensystem aufgewachsen mit Anforderungen, denen schwer zu<br />

genügen war. Auch das Bild, das nach außen <strong>ab</strong>gegeben wurde, war <strong>für</strong> die Eltern<br />

sehr wichtig. „Ihr beide h<strong>ab</strong>t gut funktioniert“, benennt das die Mutter. Auf Gefühle<br />

wurde nicht oder nur in kontrollierender Weise geachtet („Reiß <strong>dich</strong> zusammen!“).<br />

Die Über-<strong>Ich</strong> Botschaften über<strong>wo</strong>gen bei weitem diejenigen, die das Selbstgefühl<br />

spiegelten. Wert wurde an Leistung gemessen, allem Körperlichen auf eher sachlichrationaler<br />

Ebene begegnet. Ankuscheln an die Mutter kennt sie nicht, auch<br />

Kuscheltiere <strong>du</strong>rften nicht im Bett sein. „In schwierigen Situationen h<strong>ab</strong>e ich immer<br />

viel mit Willen und Härte gemacht, das Weiche ist mir da<strong>du</strong>rch etwas <strong>ab</strong>handen<br />

gekommen.“<br />

Erster äußerer Eindruck:<br />

Frau A. kommt auf mich zu mit einer vitalen, mir sympathischen Ausstrahlung,<br />

offenem Blick, kräftigem Händedruck und klarer Stimme, wirkt heiter. Sie ist relativ<br />

groß, kräftig gebaut, <strong>ab</strong>er nicht dick, mit gutem Tonus. Ihre Bewegungen sind lebhaft,<br />

allerdings etwas hektisch, manchmal leicht ruckartig. Bisweilen ist der Oberkörper<br />

dem Rest leicht voraus und wirkt gehalten.<br />

Somatischer und psychischer Befund:<br />

Flacher <strong>Atem</strong> mit schnellem Rhythmus, fast ohne Pause. <strong>Atem</strong>bewegung in der Mitte<br />

und im Brustraum, kaum im Becken. Insgesamt hohe Spannung. Rücken und<br />

Becken sind der Empfin<strong>du</strong>ng kaum zugänglich. Dementsprechend spürt sich Frau A.<br />

„flach“, die Dreidimensionalität ist spontan nicht erlebbar, auch eine Oben-Unten-<br />

Trennung besteht (Unbeweglichkeit im Becken- /LWS-Bereich). Die<br />

Zwerchfellansätze sind gehalten. Frau A. tendiert zum <strong>Atem</strong><strong>hole</strong>n. Wenn Berührung<br />

„bedrohlich“ wird, bzw. sich der <strong>Atem</strong> vertieft, gerät sie in „Aufregung“ und rettet sich<br />

in eine Art inneren Rückzug, in dem sie sich psychisch er<strong>hole</strong>n kann, allerdings auf<br />

Kosten ihrer körperlichen Wahrnehmung.<br />

Auf der psychischen Ebene wird im Laufe der Stunden immer deutlicher, dass Frau<br />

A. auch im alltäglichen Beziehungsgeschehen oft so aufgeregt wird, dass sie nach<br />

eigenen Ang<strong>ab</strong>en eigentlich den Raum verlassen müsste, um sich zu beruhigen,<br />

bzw. in eine Art körperliche Starre geht, um ihre Emotionen zu kontrollieren. Bei<br />

bestimmten Themen wird sie rasch von Gefühlen überwältigt und weint dann viel. Sie<br />

kennt auch Trennungsängste. Ihr Mann hat eine Halt gebende und stützende Rolle in<br />

ihrem Leben.<br />

Wahrnehmungsfunktionen: Frau A. weist nachdrücklich darauf hin, dass sie<br />

verstehen möchte, was geschieht. Das denkende Einordnen gibt ihr Sicherheit, ein<br />

gewisses Maß an Kontrolle. Die Hockerarbeit in der Gruppe beendet sie, weil sie zu<br />

wenig Möglichkeiten hat nachzufragen und zu reflektieren, um so ihre positiven<br />

Erlebnisse einzuordnen und mit ihren Frustrationen konstruktiv umzugehen.<br />

Positive seelische Erfahrungsqualitäten und Gefühle können benannt werden,<br />

schmerzhafte Gefühle sind angstbesetzt und werden <strong>ab</strong>gespalten. In der Arbeit mit<br />

mir werden zunehmend innere Bilder wichtig. Der Empfin<strong>du</strong>ngsbereich ist<br />

eindeutiges Lernfeld.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 20


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Beziehung: Im Gespräch und der Hockerarbeit sucht mich Frau A. als authentisches<br />

Gegenüber, das auf ihre zahlreichen Fragen Bezug nimmt und Orientierung bietet <strong>für</strong><br />

ihre Suche. Sie kann den roten Faden halten, schreibt sich Wichtiges auf und<br />

experimentiert zu Hause. Da scheinbar widersprüchliche Erfahrungen (die nicht mit<br />

ihren Vorstellungen und Werten übereinstimmen) und auch Gefühle sie immer<br />

wieder verwirren und erschrecken, braucht sie mich als ordnende und stützende<br />

Instanz, die ihr versichert, dass ihre Erfahrungen stimmig sind und integrierbar. In der<br />

Arbeit auf der Liege weicht Frau A. meist der Beziehung aus. In der<br />

Gegenübertragung dominieren dann Hilflosigkeit, Unsicherheit, gepaart mit Vorsicht<br />

und gleichzeitig Unge<strong>du</strong>ld.<br />

Therapieverlauf: Themen und Methodik:<br />

Während der ersten Phase der ersten 13 Stunden wechseln sich Arbeit auf der Liege<br />

und auf dem Hocker <strong>ab</strong>. Es dominieren folgende Themen:<br />

• Suche nach den Ressourcen: <strong>wo</strong> und wie kann Frau A. störungsfrei<br />

Beziehung zu ihrem Körper aufnehmen, bzw. ich sie anfassen: knöcherne<br />

Struktur, Kreuzbein, die äußere Körpergrenze der Haut (vor allem über<br />

Klopfen) und Füße. (Dies sind auch Orte, an denen sie sich st<strong>ab</strong>ilisieren kann<br />

nach Irritation oder Aufregung.)<br />

• Durchgehender verbaler Kontakt zur Sammlungslenkung und verarbeitenden<br />

Reflexion.<br />

• Eine <strong>du</strong>rch Rückfragen sich einpendelnde langsame Arbeitsgeschwindigkeit<br />

und ganz klar strukturierte Berührung (vorhersehbar), bei der Frau A. ihre<br />

Wahrnehmung aufrechterhalten kann (kein Schwindel).<br />

• Reine, deutliche Empfin<strong>du</strong>ngsarbeit mit der Intention, diese von der<br />

Vorstellung zu differenzieren (Realitätsfunktion) und Orientierung im Körper zu<br />

ermöglichen (Struktur).<br />

• Den tragenden Untergrund erfahren als Basis <strong>für</strong> Sicherheit und<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> Lösung.<br />

• Der <strong>Atem</strong> lässt sich nur sehr bedingt miteinbeziehen. Frau A. dehnt sich gerne<br />

spontan, was viele Gähner auslöst. Eine Anbin<strong>du</strong>ng der Bewegungen an den<br />

<strong>Atem</strong>rhythmus ist selten möglich.<br />

Insgesamt zeigen sich in dieser Zeit Fortschritte in der Körperwahrnehmung, Füße<br />

und Er<strong>du</strong>ngsarbeit werden zur Ressource. Die <strong>Atem</strong>bewegung kann erspürt werden.<br />

Über die Er<strong>du</strong>ngsarbeit ist der <strong>Atem</strong> nun manchmal tiefer im Körper zum Becken hin<br />

zu spüren. Da<strong>du</strong>rch wird Frau A. bewusst, dass sie gerade dann dazu tendiert, den<br />

<strong>Atem</strong> zu <strong>hole</strong>n, also sich innerlich vom Becken weg zu bewegen. Der Unterleib wird<br />

als schwieriger Bereich erlebt, bei dem mir noch Zurückhaltung angebracht scheint<br />

(Frau A. berichtet von Klinikaufenthalten mit OPs in der Vorschulzeit).<br />

Gleichzeitig zeigt sich im Feld Unge<strong>du</strong>ld und Unzufriedenheit mit dem Erreichten. <strong>Ich</strong><br />

erfahre, dass Frau A. mit einem hohen Leistungsanspruch erzogen wurde. Immer<br />

wieder fragt sie nach, ob das nun so richtig sei? Ob denn jetzt ihr <strong>Atem</strong> zugelassen<br />

sei?<br />

<strong>Ich</strong> fühle mich unter Druck. Frau A. hat hohe Anforderungen an sich selbst, auch im<br />

Alltag und im Beruf. Ihr hoher Anspruch löst bei mir in der Gegenübertragung<br />

Versagensängste aus.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 21


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Es zeigt sich immer mehr, dass sie oft mit festen Vorstellungen lebt, wie etwas zu<br />

sein hat, z.B. sollte die <strong>Atem</strong>pause immer gleich lang sein, sonst sei das ein<br />

unregelmäßiger und somit nicht erwünschter Rhythmus. Wir arbeiten daran, dass<br />

„richtig“ und „falsch“ in den Hintergrund treten kann zugunsten einer wertfreien<br />

Wahrnehmung des Prozesses und einer subjektiven Bewertung, ob sie sich damit<br />

<strong>wo</strong>hl fühle oder nicht.<br />

Ein immer wieder auftauchender körperlicher Widerstand ist „Schwindel“, der mit der<br />

Zeit als leicht vernebelte Wahrnehmung mit der Angst, das Gleichgewicht zu<br />

verlieren, beschrieben wird, also eine Art Angst vor Kontrollverlust.<br />

Wird der <strong>Atem</strong> etwas tiefer, fühlt sich Frau A. un<strong>wo</strong>hl. Vor allem im Zusammenhang<br />

mit Berührung taucht dann Trauer auf. Frau A. hat das Bild des Kindes, das von der<br />

Mutter gehalten wird: „Das Gefühl, mich an die Mutter zu kuscheln und alles ist in<br />

Ordnung, das fehlt mir.“ Die Trauer macht ihr Angst und sie „drückt“ sie „weg“.<br />

In der 12. Stunde fällt Frau A. bei der Arbeit auf der Liege auf ein sehr niedriges<br />

Strukturniveau. (Frau A. hatte am vorangegangenen Wochenende an einem Kurs mit<br />

holotropem Atmen teilgenommen, <strong>wo</strong>bei heftige Gefühle unkontrolliert frei ge<strong>wo</strong>rden<br />

waren und nicht eingeordnet werden konnten.) Auf der Liege fühlt sich Frau A.<br />

plötzlich von ihrem Gefühlsbereich bedroht bis hin zur Angst sich aufzulösen, <strong>wo</strong>bei<br />

sie zur Abwehr in einen Zustand der Starre geht. Die Selbstwahrnehmung ist d<strong>ab</strong>ei<br />

noch löchriger ge<strong>wo</strong>rden. Ganz klar strukturierte, kräftige und verbal begleitete<br />

Empfin<strong>du</strong>ngsarbeit ist hilfreich: „<strong>Ich</strong> spüre, dass ich wieder da bin, als materielle<br />

Substanz, nicht nur als Hülle, und nicht zerfließe. Das st<strong>ab</strong>ilisiert mich.“ Für mich ist<br />

diese Stunde schwierig, in der Gegenübertragung von Gefühlen der Unsicherheit und<br />

Angst begleitet.<br />

2. Phase von weiteren 20 Einzelstunden in wöchentlichem Abstand:<br />

Das Arbeitsbündnis wird nun dahingehend verändert, dass wir erst einmal nicht mehr<br />

auf der Liege arbeiten. Die Gefahr von Regression und Gefühlsüberflutung soll<br />

vermieden werden. Der Arbeitsschwerpunkt liegt nun auf Struktur- und<br />

Empfin<strong>du</strong>ngsarbeit auf dem Hocker, um Frau A.s schwankendem Gefühlsleben<br />

vermehrt Halt zu geben und nach Möglichkeiten zu suchen, wie sie sich in den<br />

Alltagsbeziehungen besser selbst regulieren kann, damit sie nicht mehr bei zu<br />

hohem Erregungslevel nach draußen oder in die Starre gehen muss.<br />

In Bezug auf die <strong>Ich</strong>-Kraft nehme ich Frau A. folgendermaßen wahr: Willenskraft,<br />

Disziplin und Motivation sind ausgeprägt, sie reflektiert ihre Situation. Beruflich ist sie<br />

erfolgreich, aktiv in ihren Interessen und zeigt nach außen eine st<strong>ab</strong>ile Persona im<br />

Jungschen Sinn. Auf der Ebene des Fühlens sind immer wieder Einbrüche da,<br />

schmerzhafte Gefühle werden <strong>ab</strong>gespalten, bzw. überrollen Frau A., wenn sie mit<br />

sich alleine ist.<br />

Weder das Fühlen noch das Körperempfinden können St<strong>ab</strong>ilität und Orientierung<br />

vermitteln. Frau A. ist hier auf das Denken und Halt von außen angewiesen. Auf der<br />

Denkebene bewegt sie sich immer wieder in Extremen, die nicht an eine<br />

realitätsbezogene Erfahrung angebunden sind („<strong>Ich</strong> möchte in meinem Alltag jetzt<br />

immer in einem Zustand der Präsenz sein, so gesehen h<strong>ab</strong>e ich 20 Jahre meines<br />

Lebens überhaupt nicht gelebt.“)<br />

<strong>Ich</strong> vermute, dass es aufgrund mangelnder empathischer Spiegelung in der frühen<br />

Kindheit Frau A. nicht möglich war, ein st<strong>ab</strong>iles, authentisches Selbst im Bereich des<br />

Fühlens und des Selbstwertes zu entwickeln. Auf der Übertragungsebene braucht sie<br />

noch die Mutter, die spiegelnd das Selbstgefühl <strong>für</strong> sie hält und mitunter auch ihr<br />

Denken strukturiert, <strong>wo</strong>bei sie selbstverant<strong>wo</strong>rtlich an ihrem Weiterkommen<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 22


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

mitarbeitet. <strong>Ich</strong> sehe Frau A. deshalb als einen Menschen auf einem mittleren<br />

Strukturniveau (nach Maaz, vgl. Punkt 7.1.).<br />

Arbeitsinhalte sind im Folgenden:<br />

• Strukturarbeit mit Dehn-Streckungen und Widerstand (zur Strukturarbeit vgl.<br />

Punkt 7.3.) mit der Intention, Körperkonturen erfahrbar zu machen („<strong>Ich</strong> setze<br />

mich in der Empfin<strong>du</strong>ng zusammen, um mich als Ganzes spüren zu können“),<br />

Struktur und St<strong>ab</strong>ilität zu spüren. St<strong>ab</strong>ilität kann unterschieden werden von<br />

Anspannung und Starre, „sie ist flexibel und weicher, der <strong>Atem</strong> kann d<strong>ab</strong>ei<br />

fließen“ (19.Std.).<br />

• Arbeit mit Einatemspannung am Innenraum (löst viele Gähner aus).<br />

Begleitung von Umschwung und Ausatem mit der Zeit möglich. Den Ausatem<br />

als Kraft erfahren und nutzen zu können wird angestrebt.<br />

• Stärkende Erfahrungsqualitäten benennen lassen und spiegeln.<br />

• Mitgebrachte bzw. in der Stunde auftauchende schwierige Gefühle werden<br />

aufgenommen, <strong>ab</strong>er nicht weiter hinterfragt, sondern eingebettet in einen<br />

Empfin<strong>du</strong>ngsrahmen, d.h. Fokuslenkung vom Gefühl zur Empfin<strong>du</strong>ng und<br />

Verstärkung der ganzheitlichen Körperempfin<strong>du</strong>ng zur St<strong>ab</strong>ilisierung. Prozess<br />

der Selbstbegleitung, Distanzierung und Affektregulation.<br />

• Pendeln zwischen emotional aufgeladener Situation und Halt gebendem<br />

Empfin<strong>du</strong>ngsrahmen (z.B. als Frau A. im Winter auf vereistem Boden gestürzt<br />

ist). Affektregulation.<br />

• Eine beruhigende Mutterinstanz et<strong>ab</strong>lieren.<br />

• Distanz regulieren in Beziehungen.<br />

• Ab der 24. Std. eröffnet die in der Strukturarbeit gemachte Erfahrung der<br />

Aufrichtung und eigenen Größe das Thema des Selbstwertes. Bild der<br />

Pharaonen.<br />

• Etwa gleichzeitig wird das Thema der Abgrenzung aktuell.<br />

Gegenwärtiger Stand:<br />

Auf der Körperebene kann sich Frau A. nun meist ganzheitlich und dreidimensional<br />

wahrnehmen. Ein äußerer Schutzraum ist entstanden: „<strong>Ich</strong> bin wie in einem Ei,<br />

geborgen und ruhig. Da drin kann ich atmen.“ Einatem kann immer wieder<br />

zugelassen werden, der Ausatem wird noch nicht konstant begleitet, eher nach<br />

einem Gähner als lösend und erdend wahrgenommen und als eine Art Pause von<br />

den Über-<strong>Ich</strong> Forderungen („mal nichts machen müssen“).<br />

Frau A. kann sich in Gruppenbeziehungen besser <strong>ab</strong>grenzen und ihr Bedürfnis<br />

äußern, was sie als entlastend erlebt. Die Fähigkeit, sich in emotional schwierigen<br />

Situationen zu begleiten, ist gewachsen (z.B. wenn ihr Mann verreist: „<strong>Ich</strong> merke,<br />

dass ich jetzt traurig, depressiv und motivationslos bin und nehme das so an ohne<br />

dagegen anzukämpfen. Irgendwann kommt ein Impuls <strong>für</strong> eine Tätigkeit, den ich<br />

dann aufnehmen kann, dann wird es besser.“), ebenso die Fähigkeit zur<br />

Selbstregulation. Die Begegnung mit Trauer ist in meinen Stunden immer noch sehr<br />

schwierig. <strong>Ich</strong> überlasse es Frau A., inwieweit sie schwierige Gefühle zulassen<br />

möchte und unterstütze sie darin, Annäherung an und Distanzierung von Gefühlen<br />

aktiv gestalten zu lernen.<br />

Im Mittelpunkt steht weiterhin die Strukturarbeit unter Einbeziehung des <strong>Atem</strong>s.<br />

Aufgrund der gewachsenen Fähigkeit zu Körperwahrnehmung und Selbstbegleitung<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 23


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

könnten nun Partnerübungen zum Thema der Abgrenzung bzw. Selbst- und<br />

Objektwahrnehmung bei mehr Nähe mit einbezogen werden.<br />

6.3.2. Fallbericht Frau B.<br />

Personalien:<br />

50 Jahre, ledig und allein lebend, berufstätig als Sachbearbeiterin<br />

Behandlungszeitraum:<br />

20 Einzelstunden in relativ regelmäßigem wöchentlichem Abstand seit Dez.09<br />

Anlass der Behandlung:<br />

Frau B. berichtet, sie leide schon lange unter psychosomatischen Beschwerden vor<br />

allem im Magen-Darm-Bereich und an extremen Verspannungen im Schulter-,<br />

Nacken- und Kieferbereich. Sie h<strong>ab</strong>e zeitweise Angstzustände, auch Angst vor<br />

Erkrankung. Im Moment sei ihre große Sorge, dass sie die Einarbeitung in den<br />

neuen Arbeitsplatz nicht schaffen könne. Sie kenne es gut, dass sich ein innerer<br />

Druck bei ihr aufbaue und sie sich dann wie in einem Panzer fühle und alles<br />

hinschmeiße. Da „zerklirre ich“, sagt sie.<br />

Frau B. möchte sich besser entspannen und beruhigen können. Sie suche Halt in<br />

sich selbst, Ausgeglichenheit, Bodenständigkeit, innere Ruhe, das Einfache als<br />

Gegenpol zu Aufregung und Drama.<br />

Lebensgeschichtlicher Hintergrund:<br />

Frau B.s Mutter war manisch-depressiv mit starken Stimmungsschwankungen und<br />

oft in klinisch-psychiatrischer Behandlung. Als Kleinkind wurde sie vor allem vom<br />

Vater betreut, der Alkoholiker war. Sehr früh musste sie zu Hause viele Aufg<strong>ab</strong>en<br />

übernehmen und vor allem immer wieder die Mutter betreuen, die ein starkes<br />

Kontrollbedürfnis gegenüber der Tochter hatte. Für die Tochter waren keine sicheren<br />

Grenzen vorhanden. In der Pubertät rebellierte Frau B. stark und zog mit 20 von zu<br />

Hause aus. Sie führte längere Zeit ein unstetes Leben, nahm Drogen und berichtet,<br />

dass sie Alkoholikerin gewesen sei. 1997 beendete sie eine 5-jährige Analyse, vor<br />

einem Jahr eine 2-jährige Jungsche Therapie.<br />

Äußerer Eindruck:<br />

Frau B. ist eine große, schlanke, sportlich wirkende, gepflegte Frau mit jugendlichem<br />

Aussehen. Sie redet viel und schnell, macht einen lebhaften, extrovertierten und<br />

gefühlsbetonten Eindruck.<br />

Somatischer und psychischer Befund:<br />

Hohes Spannungsniveau, Schmerzen im Kiefer und oberem Rücken (Kyphose der<br />

Brustwirbelsäule), „Panzergefühl“ im Brustraum, Becken und Beine sind wenig in der<br />

Wahrnehmung. Frau B. hat oft Bauchschmerzen und leidet seit ihrer Kindheit an<br />

Obstipation.<br />

Der <strong>Atem</strong> wird oft geholt, ist vorwiegend im Brustraum spürbar und sichtbar.<br />

Frau B. wirkt meist unruhig und berichtet von Überforderung („ich kann nicht mehr“)<br />

im beruflichen Bereich, bzw. Ängsten vor kommenden Anforderungen. Sie braucht<br />

viel Anerkennung von außen, Kritik führt zu einem Einbruch im Selbstwert. Ihre<br />

Arbeitssituation schildert sie ambivalent: einmal als sehr locker und nett, dann als<br />

fordernd und belastend. Sie erzählt lebhaft bis leicht dramatisch.<br />

Bevorzugte Wahrnehmungsfunktion ist das Fühlen, nicht unbedingt mit einer<br />

differenzierten Wiederg<strong>ab</strong>e von Gefühlen, sondern auf der Basis von spontanen<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 24


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

„angenehm – unangenehm“ Bewertungen. In ihrer Sprache bedient sie sich vieler<br />

bildhafter Wen<strong>du</strong>ngen, z.B. „ich zerklirre“ oder „den Panzer sprengen“.<br />

Auf der Beziehungsebene weist Frau B. zu Beginn unserer Arbeit darauf hin, dass<br />

sie nicht angefasst werden möchte, das sei ihr zu nah, sie arbeite ja schon den<br />

ganzen Tag mit so vielen Menschen im gleichen Büro. Für ihren Hocker sucht sie<br />

eine relativ weite Distanz von mir von ca. 3-4 Metern („Sie nehmen mir das<br />

hoffentlich nicht übel!“). Zum Schluss der Stunde sagt sie, sie fühle sich wie ein<br />

Riesenb<strong>ab</strong>y, das zu viel Raum einnehme.<br />

Mir scheint da eine ambivalente Übertragungssituation anzuklingen, da sie als B<strong>ab</strong>y<br />

sich <strong>wo</strong>hl eine Mutter wünscht, die ihr <strong>ab</strong>er offensichtlich nicht zu nahe kommen darf.<br />

In der Gegenübertragung frage ich mich, ob ich diesem Riesenb<strong>ab</strong>y <strong>wo</strong>hl genug<br />

Stärke und Sicherheit gegenüberstellen kann? <strong>Ich</strong> spüre Mitgefühl und gleichzeitig<br />

Abwehr.<br />

Unser erstes Arbeitsbündnis beinhaltet: st<strong>ab</strong>ilisierende Körperarbeit auf dem Hocker,<br />

damit Frau B. im Alltag besser bestehen kann, mit Lösung in den stark verspannten<br />

Bereichen. Beruhigung. Frau B. möchte Halt finden können in sich selbst.<br />

Therapieverlauf:<br />

1.-8. Stunde:<br />

Beziehung zum Körper aufbauen über Empfin<strong>du</strong>ng, Bewegung und Strukturarbeit<br />

- Basis und St<strong>ab</strong>ilität erleben im unteren Raum und zum Boden / Hocker<br />

- <strong>Atem</strong>fluss <strong>du</strong>rch Dehn-Streckungen ermöglicht Verbin<strong>du</strong>ng von<br />

St<strong>ab</strong>ilisierung und Lösung<br />

- eine beruhigende und liebevolle mütterliche Instanz et<strong>ab</strong>lieren zur<br />

Unterstützung bei Frustrationen (eine Patentante ist sehr positiv besetzt)<br />

- würdigen und spiegeln von Alltagsleistungen<br />

Frau B. kommt direkt nach der Arbeit und ist oft in einem aufgewühlten Zustand. Es<br />

gelingt ihr meist schnell, sich in der Stunde zu entspannen und zur Ruhe zu<br />

kommen. Sie kann sich nach unten lassen und zum Boden und Hocker hin St<strong>ab</strong>ilität<br />

finden, wird dann auch etwas müde, was sie gut findet („<strong>Ich</strong> lebe ja sonst das andere<br />

Extrem“).<br />

Ein etwas gelösterer Bauchraum bringt das Gefühl der Behaglichkeit und<br />

Geborgenheit mit sich. Die Angst geht zurück.<br />

Die deutlichere Selbstempfin<strong>du</strong>ng (körperliche Identität) lässt einen strukturierten<br />

Raum um sie herum entstehen, den sie wie einen persönlichen „Schutzraum“ erlebt.<br />

Sie braucht etwas weniger Abstand, fühlt sich weniger ausgeliefert.<br />

Bei mir in der Stunde geht es Frau B. gut. Sie nimmt alle Anregungen begierig und<br />

freudig auf, kommt zur Ruhe und fühlt sich geborgen. Es gelingt ihr allerdings nicht,<br />

die gegebenen Anregungen zur Selbstregulation im Alltag zu üben. In ihrer Freizeit<br />

und ihrem Berufsalltag ist wenig Eigeninitiative sichtbar. Die Therapiestunden<br />

scheinen wie eine eigene Welt zu sein. <strong>Ich</strong> als Therapeutin werde idealisiert („Sie<br />

machen das so toll!“).<br />

Als ich mit Frau B. bespreche, wie sie an ihrem Arbeitsplatz in der<br />

Einarbeitungsphase konkret etwas <strong>für</strong> sich verändern könnte (z.B. eine kurze Pause<br />

einfordern, wenn sie nichts mehr aufnehmen kann; etwas essen...), sagt sie die<br />

nächste Stunde <strong>ab</strong> (Zusammenhang?). Am Telefon erklärt sie, es sei dann auch gar<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 25


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

nicht nötig gewesen, am Arbeitsplatz etwas zu sagen, das h<strong>ab</strong>e sich von selbst<br />

gegeben.<br />

9.-11. Stunde:<br />

Die Strukturarbeit wird weitergeführt, wir arbeiten immer noch in der von Frau B.<br />

vorgegebenen Distanz, <strong>ab</strong>er es scheint mir, dass Frau B. an Interesse verliert.<br />

Langeweile ist im Feld, ob<strong>wo</strong>hl Frau B. an sich wichtige Erfahrungen macht z.B. über<br />

das Aufgerichtet sein, das ihr mehr Freiheit unterm Brustbein bringt.<br />

Die anfängliche Begeisterung ist verschwunden. <strong>Ich</strong> h<strong>ab</strong>e den Eindruck, dass ich<br />

Frau B. nicht mehr erreiche. Auch ihre Probleme scheinen plötzlich nicht mehr so<br />

dringlich zu sein. <strong>Ich</strong> fühle mich auf Distanz gehalten.<br />

Meine Wahrnehmungen lassen mich vermuten, dass sich Frau B.s<br />

Grundübertragung auf einer eher frühen Ebene befindet: Sie braucht vor allen<br />

Dingen einen geschützten und nährenden „mütterlichen“ Raum. Durch ehrliche<br />

Würdigung und Lob kann sich Frau B. in ihrem Selbstwert immer wieder st<strong>ab</strong>ilisieren.<br />

Im Alltag kann sich Frau B. schwer <strong>ab</strong>grenzen, vor allem gegen Druck am<br />

Arbeitsplatz, den sie z.T. in aggressiv-<strong>ab</strong>weisender Form beant<strong>wo</strong>rtet („<strong>Ich</strong> lasse<br />

meist alles einfach laufen und finde mich dann in sehr beengenden Situationen<br />

wieder - die Reaktion darauf ist oft unverhältnismäßig.“).<br />

Auch Anforderungen von meiner Seite scheinen Frau B. in Konflikt zu bringen, was<br />

die Beziehung zwischen uns belastet.<br />

<strong>Ich</strong> beschließe, nun gezielt das Thema von Nähe und Distanz, bzw. die Angst vor<br />

Nähe aufzugreifen und damit Frau B. mehr inhaltliche Führung anzubieten<br />

einschließlich konfrontierender und interpretierender Elemente, damit die Spannung<br />

im Feld wieder steigen kann.<br />

12.-18. Stunde:<br />

Inhalte:<br />

- schrittweises Verringern und Variieren der Distanz in Partnerübungen und<br />

prüfen, wie sich die Selbstwahrnehmung d<strong>ab</strong>ei verändert / STOP bei<br />

Unbehagen / sich begleiten in der Prozesswahrnehmung / (Übungen mit<br />

Bällen, Seil und Stock)<br />

- Abgrenzung da<strong>du</strong>rch, dass ich mich spiegle und sie sich<br />

- Pendeln zwischen Rollenspiel mit zu viel Nähe und damit verbunden<br />

unangenehmen Gefühlen und einer Phase des sich wieder St<strong>ab</strong>ilisierens<br />

<strong>du</strong>rch Strukturarbeit<br />

- Rollenwechsel: bei der st<strong>ab</strong>ilisierenden Körperarbeit leitet Frau B. mich an<br />

- Abgrenzung über Widerstandsarbeit mit Stock<br />

Dieses Thema wird von Frau B. interessiert aufgenommen und als wichtig erkannt,<br />

die Beziehung ist wieder stimmig. Die Arbeit bringt folgende Erkenntnisse:<br />

- Bei zu großer Nähe fühlt sich Frau A. zu sehr gesehen, wie beobachtet –<br />

außerdem zu mächtig, groß, vital (ihre Mutter konnte sie als Kind in ihrer<br />

Lebendigkeit schlecht aushalten)<br />

- Bei zu großer Nähe stockt ihr <strong>Atem</strong>, ihre Mitte zieht sich nach innen zurück,<br />

der Bodenkontakt wird schwächer, die Schultern verspannen: „<strong>Ich</strong> weiß gar<br />

nicht, soll ich hinschauen oder wegschauen oder was sagen?“ „Fühle mich<br />

wie ein hypnotisiertes Kaninchen.“ „Mein erster Impuls ist: <strong>ab</strong>driften, mich<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 26


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

innerlich verkrümeln.“ „<strong>Ich</strong> h<strong>ab</strong>e das Gefühl, da kommt ein ganzer Berg an<br />

Anforderungen auf mich zu!“<br />

- In einem zweiten Schritt merkt Frau B., dass etwas mehr Distanz ihren Kloß<br />

im Hals verschwinden lässt.<br />

- Im dritten Schritt nimmt Frau B. Kontakt auf mit den Worten „Was will man von<br />

mir?“ Dies führt zu einer Differenzierung des „Berges“ von Anforderungen,<br />

was Frau B. deutlich entlastet. (Im Alltag fragt sie nicht.)<br />

- Bei einer Widerstandsübung zum Thema Abgrenzung merkt Frau B., dass es<br />

ihr schwer fällt, ihre Anliegen eindeutig zu äußern. „<strong>Ich</strong> manövriere herum.“<br />

„<strong>Ich</strong> h<strong>ab</strong>e Angst, es mir mit meinem Gegenüber zu verscherzen.“ „Wenn ich<br />

klar bin, dann fallen die ganzen Spielchen weg.“<br />

Im Folgenden kann der innere Konflikt zwischen der Sehnsucht nach Nähe,<br />

Angenommensein und Geborgenheit und der Angst vor Vereinnahmung oder<br />

Liebesverlust deutlicher benannt und auf dem Hintergrund der schwierigen<br />

Mutterbeziehung gesehen werden. Der vage innere Druck bekommt Struktur, die<br />

unterschiedlichen Gefühle können begleitet und in ihren körperlichen Auswirkungen<br />

gespürt werden.<br />

Dies soll in den nächsten Stunden weiter geübt werden, damit dann die<br />

gegenwärtige Situation von der frühkindlichen differenziert werden kann.<br />

Traditionelle pädagogische Middendorf-Arbeit in der Gruppe und mit Berührung wird<br />

nun möglich, da Nähe zugelassen und reguliert werden kann und die Gefahr einer<br />

unbewussten Übertragung mit entsprechenden Störfaktoren geringer ge<strong>wo</strong>rden ist.<br />

6.4. Strukturierung von Beziehungsrahmen und Setting<br />

Beide oben beschriebenen Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, zu Beginn der Arbeit<br />

das Setting und den Beziehungsrahmen so zu strukturieren, dass eine relativ<br />

störungsfreie Körperarbeit überhaupt erst möglich werden kann.<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> die Körper- und <strong>Atem</strong>arbeit ist, dass der Klient seine<br />

Wahrnehmungsfähigkeit aufrechterhalten kann, sich nicht verlassen, noch sich nach<br />

innen zurückziehen muss.<br />

Eine Wahrnehmungsübung zur Nähe-Distanz-Regulation hilft d<strong>ab</strong>ei: zu wenig wie<br />

auch zu viel Abstand zwischen Klient und Therapeut deuten darauf hin, dass auf der<br />

Beziehungsebene eine meist frühkindliche Problematik besteht. In diesem Fall sollte<br />

mit Berührung äußerst vorsichtig umgegangen werden.<br />

Für Klienten, die aus ihrer Kindheit keinen emotional eindeutigen, positiv besetzten<br />

Beziehungsrahmen kennen („Immer war da rascher Stimmungswechsel, versteckte<br />

Forderungen, versteckte Aggressionen“, schildert Frau B..), ist Sicherheit wichtig, die<br />

auf klaren verbalen Abmachungen beruht. Dazu gehört auch die Zusicherung, dass<br />

unangenehme oder schwierige Erscheinungen (auf körperlicher und seelischer<br />

Ebene) vom Klienten jederzeit benannt und von Seiten des Therapeuten nicht<br />

übergangen werden dürfen.<br />

Mit Frau C., die sich in den ersten Stunden oft überfordert fühlte und dann aufgrund<br />

körperlicher Missempfin<strong>du</strong>ngen zu agieren begann in Form von schnellen<br />

Bewegungen (<strong>wo</strong>bei die seelische Anspannung weiter stieg) bzw. sich erschöpft und<br />

verkrampft einfach auf den Boden legte, traf ich in Absprache mit ihr folgende<br />

Abmachungen: wenn sie merkt, dass ein Störfaktor auftritt, sagt sie sofort STOP –<br />

sie benennt die Art der Störung und teilt sie mit – wir greifen auf ihre<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 27


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Ressourcemöglichkeiten zurück, bis es ihr wieder besser geht – erst dann kommt ein<br />

neues Übungsangebot. Der Ablauf wurde da<strong>du</strong>rch deutlich langsamer, Präsenz,<br />

Wahrnehmung und Verbalisierungsfähigkeit als <strong>Ich</strong>-Funktionen gestärkt, die<br />

Beziehung zwischen mir und der Klientin st<strong>ab</strong>ilisierte sich (weniger Ärger und<br />

Frustration bei mir) und die Körperarbeit wurde zunehmend störungsfreier und<br />

ergiebiger. Die Klientin fühlte sich wahrgenommen und entlastet.<br />

Generell gilt, dass ein Mensch mit einem eher strukturschwachen <strong>Ich</strong> nach einem<br />

klaren und authentischen Gegenüber sucht, das Halt und Orientierung bietet.<br />

6.5. Die Ressourcen finden<br />

In der <strong>Atem</strong>therapie setzen wir am heilen Anteil des Menschen an. Dieser Grundsatz<br />

gilt auch hier. <strong>Ich</strong> versuche also als Therapeutin zunächst die Ressourcen zu finden,<br />

auf die ich aufbauen kann, bzw. zurückgreifen, wenn Frustrationen oder Verwirrung<br />

auftreten.<br />

Diese Ressourcen können bereits zu Beginn auf der Empfin<strong>du</strong>ngsebene zu finden<br />

sein. Frau A. z.B. tat es von Anfang an gut, sich <strong>du</strong>rch Abklopfen deutlicher zu<br />

spüren. Auch ihre Füße und Beine in erdender Beziehung zum Boden ermöglichten<br />

bald st<strong>ab</strong>ilisierende Erfahrungen (über Stampfen, Abfedern oder das Walken der<br />

Füße). So kann möglicherweise bald ein „guter Ort“ im Körper gefunden werden.<br />

Schreitet die st<strong>ab</strong>ilisierende Strukturarbeit voran, erweitern sich die diesbezüglichen<br />

Möglichkeiten.<br />

Manchmal bringt der Klient Möglichkeiten mit, die ihm bereits vertraut sind. So<br />

konnte sich Frau C. gut entspannen und zu einem inneren Durchatmen zurückfinden,<br />

indem sie sich auf den Boden legte (was sie zu Hause öfter machte). Wir wandelten<br />

diese Möglichkeit zu einem zeitweiligen Anlehnen auf einem Stuhl mit Rückenlehne,<br />

damit der Tonus nicht zu weit <strong>ab</strong>sank.<br />

Ist St<strong>ab</strong>ilisierung und Beruhigung direkt über den Körper noch nicht möglich, so<br />

bietet die APT auch imaginative Möglichkeiten an, z.B. die Frage nach einem<br />

erinnerten Ort oder einer stützenden Bezugsperson, die das Gefühl der Sicherheit<br />

und Geborgenheit ermöglichen und in der Imagination mit allen Sinnen<br />

wahrgenommen werden. Bei Frau B. war dies die Erinnerung an eine Patentante<br />

(„wie ein Fels in der Bran<strong>du</strong>ng“) oder die Erinnerung an ihre innige Beziehung zu<br />

Tieren, die es ihr ermöglichten, zu körperlichem und seelischem Wohlbefinden<br />

zurückzufinden.<br />

6.6. Erweiterung der Wahrnehmungsfähigkeit und St<strong>ab</strong>ilisierung <strong>du</strong>rch Strukturarbeit<br />

Die Körper- und <strong>Atem</strong>arbeit steht im Mittelpunkt der Stunde. Sie verfolgt zweierlei<br />

Ziele:<br />

Zum einen werden Wahrnehmungsfähigkeit, Sammlungskraft und Achtsamkeit als<br />

<strong>Ich</strong>-Funktionen gestärkt und erweitert, was die <strong>Ich</strong>-Kraft unterstützt. Die Ausweitung<br />

des Bewusstseins wird in der APT als der wichtigste Wirkfaktor gesehen.<br />

Zum anderen wird die Körperarbeit so aufgebaut, dass sie dem Klienten<br />

grundlegende Erfahrungen von St<strong>ab</strong>ilität, Sicherheit, Begrenzung und Halt vermittelt,<br />

ihm das Erleben einer ganzheitlichen körperlichen Identität ermöglicht, Außenraum<br />

und Innenraum strukturiert. Hier werden Erfahrungen nachgeholt, die dem Klienten<br />

als Kind nur unzureichend möglich waren. Indem diese Erfahrungen benannt und in<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 28


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

der therapeutischen Beziehung gespiegelt werden, erfahren <strong>Ich</strong>-Kraft und<br />

Identitätserleben des Klienten weitere Unterstützung.<br />

Auf dieses Thema der konkreten Körper- und <strong>Atem</strong>arbeit möchte ich im Kapitel 7<br />

genauer eingehen.<br />

6.7. Das Umgehen mit Emotionen und Widerstand<br />

Das Fühlen als <strong>Ich</strong>-Funktion, eine der vier grundlegenden Jungschen<br />

Wahrnehmungsfunktionen, wird in der APT als wichtiger Teil menschlichen Erlebens<br />

in die Arbeit integriert. Für eine gezielte Arbeit in diesem Bereich sollte differenziert<br />

werden zwischen Gefühl, Emotion und Affekt.<br />

Das Gefühl wird definiert als emotionale Bewertung einer Empfin<strong>du</strong>ng aus einem<br />

bestimmten Kontext heraus. Es zeichnet sich aus <strong>du</strong>rch Raum und Tiefe, weist auf<br />

ein Bedürfnis hin oder setzt einen klaren Handlungsimpuls frei.<br />

Eine Emotion ist ein meist plötzlich auftauchendes Konglomerat von bewussten und<br />

unbewussten Empfin<strong>du</strong>ngen, Gefühlen und Bewertungen, das den Menschen<br />

innerlich „rotieren“ lässt ohne in eine klare Richtung zu weisen. Wird d<strong>ab</strong>ei der innere<br />

Druck so groß, dass er sich mehr oder weniger unkontrolliert eine Bahn nach außen<br />

sucht, spricht man von einem Affekt, bzw. von Ausagieren.<br />

In Situationen der <strong>Ich</strong>-Schwäche wird das <strong>Ich</strong> leicht von Emotionen überrollt.<br />

Abgespaltene Gefühle tauchen in einer bunten Mischung auf und versetzen den<br />

Menschen in innere Erregung, ohne dass er sie gezielt kontrollieren könnte. Die<br />

Klientin beginnt dann z.B. zu weinen, was noch nichts über ihre Gefühle aussagt<br />

(das kann Trauer sein, Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Sehnsucht...), sondern in<br />

erster Linie etwas über ihren inneren Druck.<br />

Im Beisein anderer Menschen, also z.B. am Arbeitsplatz, versucht die Klientin<br />

wahrscheinlich, mit der Situation angemessen fertig zu werden, indem sie ihre<br />

Emotionen wieder zurück nach innen drückt: „ Das kam wie eine Tonne in mir<br />

hochgerollt und ich musste es wieder runterdrücken.“ Das geschieht muskulär, vor<br />

allem auch im Zwerchfellbereich. „<strong>Ich</strong> spüre mich dann in der Mitte wie<br />

<strong>ab</strong>geschnitten, in mir wird es heiß und mein Kopf ist wie benebelt. <strong>Ich</strong> spüre eine<br />

richtig schmerzhafte Anspannung im Bauch und in den Schultern“, beschreibt Frau<br />

B. ihr Erleben.<br />

Es ist nun nicht im Sinne der APT, dass solche Emotionen die Klientin<br />

überschwemmen, denn das macht sie noch hilfloser, schwächt ihr <strong>Ich</strong> noch mehr.<br />

Deshalb wird bei Menschen, die stärkeren emotionalen Schwankungen ausgesetzt<br />

sind, zunächst ausschließlich im Empfin<strong>du</strong>ngsbereich gearbeitet, um über ein<br />

wahrnehmbares und st<strong>ab</strong>iles Körper-<strong>Ich</strong> eine zunächst gefühlsneutrale bzw. mit<br />

positiven Erfahrungsqualitäten besetzte Identitätsbasis zu schaffen, die im<br />

Folgenden eine haltende Funktion <strong>für</strong> Emotionen und Gefühle übernehmen kann.<br />

Allerdings konnte ich bei meinen Klientinnen die Erfahrung machen, dass sie<br />

manchmal bereits aufgewühlt in die Stunde kamen oder in der Stunde unbe<strong>ab</strong>sichtigt<br />

Emotionen auftauchten. Da diese emotionale Seite <strong>für</strong> sie ein wichtiger Teil ihres<br />

Selbsterlebens war, <strong>für</strong> den sie Beachtung einforderten, bestand der erste Schritt<br />

darin, die Emotionen zwar nicht weiter zu hinterfragen, jedoch sie zu benennen und<br />

in der Eigenwahrnehmung an die dazugehörigen Empfin<strong>du</strong>ngen anzubinden.<br />

Für Frau A. und Frau B. war es weiterhin wichtig, in solchen Situationen über<br />

Empfin<strong>du</strong>ngs- und Strukturarbeit ihren Körper um den von der Emotion besetzten<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 29


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Bereich herum noch besser spüren zu können. Die Emotion <strong>du</strong>rfte also anwesend<br />

bleiben, musste nicht weggedrückt werden, <strong>ab</strong>er bekam nun gleichsam einen<br />

Empfin<strong>du</strong>ngsrahmen, in den sie eingebettet wurde.<br />

Als Frau A. auf vereistem Boden ausgerutscht war, gestaltete sich dieser Prozess<br />

folgendermaßen: Frau A. kam mit einem schmerzenden Knie in die Praxis. Sie fühlte<br />

sich „neblig-distanziert“, in einem Schock. Dann merkte sie, dass ein Gefühl<br />

aufkeimen <strong>wo</strong>llte, was ihr eine Empfin<strong>du</strong>ng von Druck im Brustbereich verursachte.<br />

Ihr Impuls war nun, sich zurückzuziehen und in die Starre zu gehen. <strong>Ich</strong> schlug ihr<br />

vor, stattdessen ihre allgemeine Körperempfin<strong>du</strong>ng zu verstärken (da<strong>du</strong>rch ihre<br />

Realitätsfunktionen auszuweiten) <strong>du</strong>rch Klopfen der Beckenknochen, Kreisen um die<br />

Sitzhöcker, Verdeutlichen der Sitzfläche zum Hocker und der Füße zum Boden hin.<br />

Nun zeigte sich eine leichte Trauer, die Frau A. im Gesicht spürte, vor allem in den<br />

Augen. Frau A. entschied, dass diese Trauer anwesend sein dürfe und arbeitete<br />

weiter auf der Empfin<strong>du</strong>ngsebene. Sie machte sich über Klopfen und Streichen die<br />

Bereiche ihres Körpers deutlich, die ihr zu einer ganzheitlichen Körperwahrnehmung<br />

noch fehlten. Ihr <strong>Atem</strong> konnte sich über einige Gähner befreien. Dann spürt sie<br />

Wärme unter dem Brustbein, in Verbin<strong>du</strong>ng damit Mitgefühl mit sich selbst. Frau A.<br />

konnte diesen Prozess mit Hilfe verbalen Spiegelns von meiner Seite verbalisieren<br />

und reflektieren, was passiert war. Sie beschloss die Stunde mit dem Satz. „Jetzt<br />

fühle ich mich dem Leben wieder näher.“<br />

In diesem Vorgang des Pendelns zwischen Wahrnehmen der Emotion mit<br />

zugehöriger Empfin<strong>du</strong>ng einerseits und dem ganzheitlicheren körperlichen<br />

Empfin<strong>du</strong>ngsrahmen andererseits konnte das Erregungsniveau <strong>ab</strong>sinken. Die<br />

Klientin konnte lernen, sich mit ihrer <strong>Ich</strong>-Wahrnehmung zu begleiten. Sie erfuhr, dass<br />

sie die innere Spannung aushalten und in eine <strong>für</strong> sie positive Richtung beeinflussen<br />

konnte im Sinne von Selbstregulation. Frau A. beschrieb diese Prozesse später in<br />

einem aussagekräftigen Bild: „Die Gefühle sind wie eine Herde wilder Pferde, die auf<br />

mich zurennen und mich überrennen können. Jetzt h<strong>ab</strong>e ich einen Zaun um sie<br />

herum gebaut, sie auf einer Koppel eingezäunt.“<br />

Die nächste Stufe der Arbeit im Bereich der Fühl-Funktion besteht darin, das<br />

Konglomerat der Emotionen (Gefühle, Empfin<strong>du</strong>ngen, Bewertungen) schrittweise in<br />

seine einzelnen Anteile zu differenzieren. Voraussetzung da<strong>für</strong> ist, dass sich die<br />

Klientin ihren Emotionen annähern möchte (also ihr Einverständnis gibt) und sich<br />

auch wieder distanzieren kann, z.B. über oben beschriebenen Prozess oder ähnlich<br />

über das Pendeln zwischen der schwierigen emotionalen Situation und der<br />

körperlichen oder imaginierten Ressource. Wann im konkreten Ablauf der Zeitpunkt<br />

des Distanzierens beginnt, der emotionale Bereich zu bedrohlich wird, bestimmt die<br />

Klientin selbst. Frau A. führt ihr Bild weiter: „Eigentlich würden mir die Pferde Angst<br />

machen. Aber wenn sie so auf der umzäunten Koppel stehen, kann ich hingehen, mit<br />

einem Pferd vertraut werden und wieder weggehen.“<br />

In einem dritten Schritt kann es möglich werden, wie bei Frau B., die auftauchenden<br />

Gefühle einer Übertragungssituation zuzuordnen, die ihre Wurzeln in früheren bis<br />

ganz frühen Erlebnissen hat. Da Frau B. auf viel Therapieerfahrung zurückgreifen<br />

konnte, waren ihr diese Zusammenhänge leichter zugänglich.<br />

Für mich war es sehr eindrücklich zu erleben, wie sich zu viel Nähe bei ihr auswirkt.<br />

Große Unsicherheit und Unruhe zeigte sich: „<strong>Ich</strong> weiß gar nicht, ob ich hinschauen<br />

soll oder wegschauen oder etwas sagen?“ „Was will man von mir?“ Diese<br />

Zusammenhänge konnte ich verstehen, als ich mehr über Frau B.s Beziehung zu<br />

ihrer Mutter erfuhr. Ihre manisch-depressive Mutter erlebte Frau B. als stark<br />

vereinnahmend und kontrollierend („<strong>Ich</strong> musste tun, was sie <strong>wo</strong>llte.“), gleichzeitig als<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 30


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

willkürlich zurückweisend („Sie weigerte sich manchmal über lange Zeit, mit mir zu<br />

reden.“). Nähe löste also Angst vor symbiotischer Vereinnahmung aus, eine<br />

Sehnsucht nach Angenommensein verband sich mit Angst vor Zurückweisung, war<br />

gepaart mit seelischem Schmerz. Indem diese Gefühle ausgehalten, benannt,<br />

verstanden und integriert werden können, kann die Beziehung im Außen, z.B.<br />

zwischen Klientin und Therapeut oder den Partnern bei einer möglichen<br />

Partnerarbeit ein Stück weit davon frei werden. Diese Gefühle müssen nicht mehr<br />

unbewusst übertragen werden.<br />

Widerstände, die während der Arbeit auftauchen, z.B. Frau A.s „Schwindel“ oder das<br />

Un<strong>wo</strong>hlsein bei der Arbeit mit dem weichen vorderen Beckenbereich und dem<br />

Beckenboden, werden in der APT als sinnvoller und notwendiger Schutz verstanden<br />

vor einem Körperraum, Thema etc., dessen bewusste Wahrnehmung noch zu<br />

bedrohlich ist. Die Klientin wird darin unterstützt, ihr Nein in diesem Bereich<br />

körperlich und seelisch zu spüren, sich darin liebevoll anzunehmen und dies nach<br />

außen zu vertreten. Sie wird einbezogen in die Entschei<strong>du</strong>ng, wie mit diesem<br />

Widerstand umgegangen werden soll, übernimmt Verant<strong>wo</strong>rtung <strong>für</strong> sich: z.B. „<strong>Ich</strong><br />

möchte aus der Bewegung wieder in die Ruhe gehen und mich <strong>ab</strong>klopfen, bis es mir<br />

<strong>wo</strong>hler ist“. Da<strong>du</strong>rch wird das <strong>Ich</strong> weiter gestärkt, aus „Anpassung, Selbstaufg<strong>ab</strong>e<br />

oder Resignation“ herausgeführt (Bischof, 2009b, S.5).<br />

Stärkung des Körper-<strong>Ich</strong>s steht also weiterhin im Mittelpunkt. Diesem stärkeren <strong>Ich</strong><br />

wird es später möglich sein, das Umfeld und die noch unbewusssten Hintergründe<br />

des Widerstandes genauer wahrzunehmen; es kann dann „hinschauen“ und der<br />

Widerstand sich mit der Zeit auflösen.<br />

7. Überlegungen zur Therapietheorie<br />

<strong>Ich</strong> h<strong>ab</strong>e bisher versucht, die <strong>Ich</strong>-Kraft der Klientinnen, bzw. ihr Strukturniveau<br />

phänomenologisch zu beschreiben.<br />

In diesem Kapitel möchte ich einen kurzen theoretischen Überblick über die<br />

einzelnen Strukturniveaus geben. In Verbin<strong>du</strong>ng damit beschäftige ich mich mit der<br />

Unterschei<strong>du</strong>ng von progressiver und regressiver Arbeit mit Körper und <strong>Atem</strong> und<br />

der Frage, wie auf der Körper- und <strong>Atem</strong>ebene, ausgehend von einem niedrigen<br />

Strukturniveau, progressiv gearbeitet werden kann.<br />

7.1. Diagnostik des Strukturniveaus<br />

Die APT unterscheidet ein niedriges, ein mittleres und ein höheres Strukturniveau,<br />

gemessen an der Fähigkeit zur Selbst- und Objektdifferenzierung, an der St<strong>ab</strong>ilität<br />

des Identitätserlebens, der Fähigkeit zum Realitätsbezug und der Reife der<br />

Abwehrformen. Frühe Abwehrformen sind z.B. Spaltung in Gut und Böse, projektive<br />

Identifizierung, Idealisierung und Entwertung (vgl. hierzu auch Maaz, 2007).<br />

Das niedrige Strukturniveau entspricht der Borderline-Störung (vgl. Bischof, 1997).<br />

Die zentrale Angst des Menschen ist Vernichtungsangst aufgrund traumatisierender,<br />

existentiell bedrohlicher Mutterbotschaften („Mutterbedrohung“ nach Maaz, 2003, S.<br />

742). Der Borderline-Verletzte lebt in unterschiedlichen <strong>Ich</strong>-Zuständen, die<br />

<strong>ab</strong>wechselnd die Szene beherrschen. So nimmt er einmal sein Gegenüber als ideal<br />

gut wahr, dann in <strong>ab</strong>ruptem Wechsel als bedrohlich böse und verhält sich<br />

entsprechend. Die Bewusstseinsinhalte des anderen <strong>Ich</strong>-Zustandes werden d<strong>ab</strong>ei<br />

<strong>ab</strong>gespalten, d.h. sie sind dem Erleben nicht mehr zugänglich, können <strong>ab</strong>er jeder<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 31


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Zeit wieder hervorbrechen. (Das gute und das böse Objekt konnten nicht in einem<br />

einheitlichen Bild vereint werden.)<br />

Borderline-Verletzte leben mit einer hohen inneren Spannung und starken<br />

Gefühlsschwankungen. Sie erleben sich entweder in zuviel Nähe, die einhergeht mit<br />

der Angst verschlungen zu werden, oder in zuviel Distanz mit der Angst verlassen zu<br />

werden. Ihr zentrales Konfliktthema ist das der Existenzberechtigung.<br />

Das mittlere Strukturniveau entspricht der narzisstischen Störung (vgl. Bischof,<br />

2003). Die zentrale Angst dieser Menschen ist die Angst vor Objektverlust, d.h. vor<br />

Verlust der primären Bezugsperson. Die Mutter/Bezugsperson signalisierte dem<br />

Kind: „Du darfst leben, <strong>ab</strong>er bist mir nichts wert!“ (Maaz, 2003, S. 742) Maaz spricht<br />

von „Muttermangel“. Der narzisstisch verletzte Mensch kreist um das Thema der<br />

Wertschätzung und des Selbstwertes und schwankt in seinem Gefühlsleben<br />

zwischen Grandiosität und Minderwertigkeit. Er konnte aufgrund mangelnder<br />

Spiegelung, besonders in Phasen hoher Frustration, kein st<strong>ab</strong>iles und authentisches<br />

Selbstgefühl oder Identitätserleben entwickeln.<br />

Beide Strukturniveaus sind geprägt <strong>du</strong>rch eine strukturelle <strong>Ich</strong>-Schwäche, die in<br />

Defiziten innerhalb der ersten drei Lebensjahre wurzelt.<br />

Das höhere Strukturniveau entspricht der neurotischen Störung. Hier ist das Kind<br />

groß ge<strong>wo</strong>rden mit der Botschaft: „Du darfst leben und bist mir auch etwas wert,<br />

wenn <strong>du</strong> so bist, wie ich <strong>dich</strong> brauche.“ (Maaz, 2003, S. 742). In diesem<br />

Zusammenhang spricht Maaz von „Muttervergiftung“. Das Leben kreist um die Angst<br />

vor Liebesverlust.<br />

Die <strong>Ich</strong>-Struktur ist hier deutlich st<strong>ab</strong>iler. Man spricht nicht mehr von struktureller <strong>Ich</strong>-<br />

Schwäche, sondern von funktionaler <strong>Ich</strong>-Störung. Während ein Mensch mit<br />

niedrigem Strukturniveau ständig in Gefahr ist, von seinen Emotionen<br />

überschwemmt zu werden, kann ein Mensch mit neurotischem Strukturniveau<br />

verdrängen, d.h. sein <strong>Ich</strong> ist in der Lage, bedrohliche Gefühlsanteile dauerhaft in das<br />

Unbewusste zu verbannen. Einerseits kann er sich da<strong>du</strong>rch emotional st<strong>ab</strong>ilisieren,<br />

andererseits führt diese dauerhafte Abwehrleistung möglicherweise zu Fehlverhalten<br />

und Realitätsverzerrungen im Alltag.<br />

Je niedriger das Strukturniveau, desto größer also die Gefahr, dass unkontrollierbare<br />

Emotionen auftauchen, die unbewusst aus frühkindlichen Konfliktsituationen auf die<br />

gegenwärtige Beziehungssituation übertragen werden und zu Problemen führen.<br />

Mit körpertherapeutischen Interventionen begeben wir uns körperemphatisch und <strong>du</strong>rch die<br />

Art und Weise des Körperkontaktes und der Berührung in frühe Interaktionserfahrungen des<br />

Patienten. Das heißt, wir können erlebte Bedrohung, Ablehnung und Verlassenheit, erlittene<br />

Gewalterfahrungen reaktivieren und ungestillte Verschmelzungswünsche und<br />

Zuwen<strong>du</strong>ngsbedürfnisse wieder beleben. (Maaz, 2007, S. 742f.).<br />

Maaz folgert daher:<br />

Wenn man als Therapeut aktiv wird und Körperkontakt anbietet oder zulässt, muss so gut als<br />

möglich gesichert sein, dass der Patient Selbst und Objekt differenzieren kann, dass er den<br />

Therapeuten nicht mehr als „Erlöser“ oder „Täter“ verkennt und dass er reaktivierte Affekte<br />

nicht mehr in der Übertragung auf den Therapeuten richtet, sondern so energetisch <strong>ab</strong>führen<br />

lernt, dass der Therapeut nun als „Dritter“ angenommen werden kann. Der Therapeut wird<br />

dann zum partnerschaftlichen Begleiter mit technischem Expertenwissen, er wird zu einem<br />

Gegenüber, der einen tieferen (oder höheren) Sinn <strong>für</strong> die therapeutische Arbeit verkörpert<br />

(z.B. Gesundheit, Lebendigkeit, soziale und globale Bezogenheit, Sinnerfahrung)... (Maaz,<br />

2007, S. 743).<br />

<strong>Ich</strong> denke, in der so beschriebenen Rolle des partnerschaftlichen Begleiters möchten<br />

wir uns als <strong>Atem</strong>pädagogen und <strong>Atem</strong>therapeuten gerne wiederfinden.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 32


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

7.2. Progressives und regressives Arbeiten<br />

Die übende atempädagogische und atemtherapeutische Arbeit versteht sich primär<br />

als „strukturbildend und wachstumsfördernd. Sie bringt das Erleben der<br />

Differenzierung, der Entfaltung und der Kraft.“, schreiben Karin Fischer und Erika<br />

Kemmann-Huber (1999, S. 18). Sie fahren fort: „Die notwendige Integration des<br />

Verdrängten, des Schmerzlichen, der Gegensätze wird d<strong>ab</strong>ei bewusst oder<br />

unbewusst berührt.“ (1999, S.18). Wie schon weiter oben ausgeführt fühlt sich die<br />

<strong>Atem</strong>therapie dem progressiven, d.h. dem entwicklungsmäßig weiterführenden<br />

Arbeiten verpflichtet. Gleichzeitig klingt ein regressiver Prozess an beim Hinweis auf<br />

die notwendige Integration des Verdrängten.<br />

D<strong>ab</strong>ei enthält die übungszentrierte Hockerarbeit sicher weniger Elemente, die<br />

Regression fördern, als die taktile Arbeit auf der Liege mit ihren eventuell langen<br />

averbalen Phasen. Fischer & Kemmann-Huber weisen darauf hin, dass Regression<br />

hier nicht primär intendiert ist, die liegende Person solle sich ja auf ihr<br />

<strong>Atem</strong>geschehen einlassen, den <strong>Atem</strong> zulassen und auftauchende Empfin<strong>du</strong>ngen und<br />

Gefühle wahrnehmen. Weiter heißt es jedoch:<br />

Oft heißt das <strong>ab</strong>er auch, sich ein Stück in die Regression hineinzubegeben. Gleichzeitig soll<br />

die Person achtsam auf ihren <strong>Atem</strong> gesammelt bleiben, was eine Leistung des erwachsenen,<br />

reifen ICHs darstellt. Es ist die Balance zwischen Hing<strong>ab</strong>e und Achtsamkeit, die die liegende<br />

Person finden muss. Die Anforderung gibt es natürlich auch im übungszentrierten Setting,<br />

<strong>ab</strong>er in der Einzelarbeit scheint diese Balance schwieriger zu sein, weil die Position des<br />

Liegens eher eine regressionsfördernde ist, die Anforderung der Sammlung <strong>ab</strong>er das nichtregredierte<br />

ICH anspricht. (Fischer & Kemmann-Huber, 1999, S. 104).<br />

Sammlung als Leistung eines erwachsenen, reifen <strong>Ich</strong>s bildet das Gegengewicht zur<br />

Hing<strong>ab</strong>e, die meines Erachtens immer mit einem gra<strong>du</strong>ellen Zurücktreten des <strong>Ich</strong>s,<br />

einem Loslassen der <strong>Ich</strong>-Kontrolle gegenüber den vegetativen Körperprozessen<br />

verbunden ist.<br />

Regression kann also auch nicht-intendiert einfach „geschehen“, wenn das <strong>Ich</strong> nicht<br />

erwachsen genug, also soweit strukturell gefestigt ist, dass es in jedem Fall die<br />

Sammlung auf der Körperempfin<strong>du</strong>ng und dem <strong>Atem</strong> halten kann und Hing<strong>ab</strong>e in<br />

Verbin<strong>du</strong>ng mit tonischen Lösungsprozessen im Fokus des atemtherapeutischen<br />

Arbeitsprozesses steht.<br />

Wenn Fischer & Kemmann-Huber ansprechen, dass diese Regression bei einem <strong>Ich</strong>st<strong>ab</strong>ilen<br />

Menschen <strong>du</strong>rchaus sinnvoll und notwendig sein kann, scheint mir damit<br />

eine „Regression im Dienste der Progression“ oder „Regression im Dienste des <strong>Ich</strong>“<br />

gemeint zu sein, wie dies der Körperpsychotherapeut Peter Geißler formuliert<br />

(Geißler, 2007, S. 603f.). Gemeint ist damit, dass der Klient auf eine niedrigere<br />

Strukturebene zurückgehen darf, solange gesichert ist, dass er sich in dem Erlebten<br />

begleiten kann und wieder zum Ausgangsniveau zurückfindet.<br />

Sich Begleiten können heißt, die oft schmerzhaften Bilder, Erinnerungen, Emotionen,<br />

Empfin<strong>du</strong>ngen etc. in der Wahrnehmung halten, benennen und verarbeiten zu<br />

können, ohne sich davon verschlingen zu lassen. Nur so können sie an das<br />

bewusste <strong>Ich</strong> angeschlossen und integriert werden und tragen somit zur <strong>Ich</strong>-<br />

Stärkung und zur Progression bei.<br />

Anderenfalls kann es zu einer sog. malignen Regression kommen, in der der Klient<br />

strukturell weiter <strong>ab</strong>sinken kann bis zur Psychose. Diese Gefahr ist insbesondere bei<br />

Klienten gegeben, die ein niedriges Strukturniveau aufweisen, d.h. dem Bereich der<br />

Borderline-Verletzungen angehören. Im Bereich des mittleren Strukturniveaus ist das<br />

<strong>Ich</strong> soweit gefestigt, dass regressives Arbeiten begonnen werden kann.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 33


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Für die atempädagogische/-therapeutische Arbeit heißt dies zusammenfassend: im<br />

Mittelpunkt steht die progressive Entwicklung des Klienten. Regression kann jedoch<br />

unbe<strong>ab</strong>sichtigt geschehen, z.B. bei liegender oder tonussenkender Arbeit. Eventuell<br />

ist Regression auch erwünscht, <strong>ab</strong>er grundsätzlich nur dann, wenn das strukturelle<br />

<strong>Ich</strong>-Niveau sicherstellt, dass die in der Regression gemachten Erfahrungen wieder in<br />

die Progression einfließen und diese unterstützen können, wenn sie also im Dienste<br />

des <strong>Ich</strong> steht.<br />

7.3. Strukturarbeit als grundlegende <strong>Ich</strong>-stärkende Basisarbeit<br />

Wie könnte oder sollte nun grundlegende Körper- und <strong>Atem</strong>therapie beschaffen sein,<br />

damit sie bei Menschen mit struktureller <strong>Ich</strong>-Schwäche das <strong>Ich</strong> stärkt und weder<br />

Regression noch zu heftige Übertragungsphänome in<strong>du</strong>ziert.<br />

Aus obigen Gründen nicht in Frage kommt die taktile Arbeit auf der Liege, bei der<br />

bereits das Setting und die sanften Berührungen an eine regressive Mutter-Kind-<br />

Situation denken lassen, ebenso generell Arbeit mit Berührung. Auch weiche<br />

Dehnungen, die lösend die Körperstrukturen aufweichen und der Hing<strong>ab</strong>e an den<br />

unwillkürlichen <strong>Atem</strong>fluss den Weg bereiten, sind zunächst nicht sinnvoll.<br />

Die APT arbeitet zunächst mit sog. Strukturarbeit. Strukturarbeit zielt darauf <strong>ab</strong>, den<br />

leib-seelischen Innenraum und den Außenraum, wie auch die Zeit zu strukturieren.<br />

D<strong>ab</strong>ei geht es primär um folgende Kompetenzen:<br />

- <strong>Ich</strong>-Stärkung <strong>du</strong>rch Halten und Erweitern der Wahrnehmungs- und<br />

Sammlungsfähigkeit.<br />

Bei geringer Fähigkeit zur Selbstbegleitung ist es <strong>für</strong> den Therapeuten<br />

notwendig, den Übungs<strong>ab</strong>lauf konstant verbal zu begleiten mit klaren, sich<br />

wieder<strong>hole</strong>nden Worten, um ein Abdriften bzw. einen Abspaltungsprozess zu<br />

verhindern (Beispiel: „Wir pendeln vom rechten Sitzhöcker zum linken, rechts,<br />

links, rechts, links... .“ ). Solange der Klient leeren Raum nicht selbständig<br />

strukturieren kann, ist auch von stillen Nachspürphasen <strong>ab</strong>zusehen. Der Klient<br />

lernt an diesen Vorg<strong>ab</strong>en, mentale Selbstbegleitung einzuüben und in der<br />

konkreten, gegenwärtigen Realität anwesend zu bleiben.<br />

- Realitätsbezug aufrechterhalten bzw. wiedererlangen über Empfin<strong>du</strong>ngsarbeit.<br />

Bei Struktur- und <strong>Ich</strong>-Schwäche ermöglicht die Empfin<strong>du</strong>ng als wertneutrale<br />

Realitätsfunktion ein Sich-Finden im Hier und Jetzt und eine Distanzierung<br />

und De-identifikation von verwirrenden und chaotischen bewertenden<br />

Emotionen und Gedanken.<br />

- Sich im Körperselbst st<strong>ab</strong>ilisieren und ganzheitlich spüren.<br />

Sich wahrzunehmen innerhalb eigener Körpergrenzen, mit Halt gebenden<br />

inneren knöchernen und muskulären Strukturen in einer geordneten,<br />

vernetzten und dreidimensionalen Ganzheit gibt dem <strong>Ich</strong> Orientierung, Halt<br />

und Sicherheit, fördert die <strong>Ich</strong>-Kohärenz und das Identitätserleben.<br />

- Aktivieren der Willens- und Entschei<strong>du</strong>ngsfunktion mit dem Ziel der<br />

Selbststeuerung.<br />

Grundlegend <strong>für</strong> das <strong>Ich</strong> ist, dass es das Gefühl der Beherrschbarkeit seines<br />

Lebens hat. Deshalb ist es sinnvoll, den Klienten in seinen willentlichen<br />

Steuerungsfunktionen <strong>ab</strong>zu<strong>hole</strong>n. Auf der körperlichen Ebene können wir das<br />

z.B. mit willentlichen Bewegungen, die bewusst begleitet werden oder im<br />

aktiven Anspannen der Muskulatur, auch gegen Widerstand, das dem Lösen<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 34


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

vorausgeht. Auch der <strong>Atem</strong> darf, wenn er überhaupt schon miteinbezogen<br />

wird, zunächst über den Willen erreicht werden.<br />

7.3.1. Körperstrukturen<br />

<strong>Ich</strong> möchte nun einen kurzen Einblick geben in die konkrete Arbeitsweise.<br />

Die Erfahrung des eigenen Körpers setzt sich zusammen aus dem Wahrnehmen von<br />

Konturen / Begrenzungen und Innenraum, der wiederum z.B. <strong>du</strong>rch knöcherne oder<br />

muskuläre Verbin<strong>du</strong>ngen strukturiert wird.<br />

Konturen werden in der atempädagogischen Arbeit erfahrbar z.B. <strong>du</strong>rch Klopfen,<br />

Streichen oder Eigenberührung anderer Art. In der APT hat sich gezeigt, dass auch<br />

sanfte Eigenberührung wie Streichen regressive Gefühle auslösen kann.<br />

Manche Menschen können sich gar nicht „neutral“ selbst berühren. Für sie ist es<br />

möglich, zur Differenzierung der Spürfähigkeit Objekte heranzuziehen. So wird z.B.<br />

das Objekt Boden mit den Füßen erspürt oder das Objekt Ball mit den Händen und<br />

zunächst die Qualität dieser Objekte benannt. In einem zweiten Schritt kann dann die<br />

Sammlung zum eigenen Körper gelenkt werden und die <strong>dort</strong> entstandenen<br />

Empfin<strong>du</strong>ngen können benannt werden (Wie spüre ich meine Hand, nachdem ich<br />

den Ball geknetet h<strong>ab</strong>e?). Das sich selbst Berühren mit Objekten, z.B. Beine <strong>ab</strong>rollen<br />

mit einem Ball, wird möglich, noch später die Berührung mit den eigenen Händen.<br />

Das Intensivieren und Wahrnehmen der Körperkonturen beschreibt Frau A. mit den<br />

Worten. „<strong>Ich</strong> füge mich zusammen.“ Es war auch eindrücklich zu erleben, wie sich<br />

verzerrte Körperempfin<strong>du</strong>ng korrigieren ließ. Frau A. spürte anfangs ihre Schultern<br />

„riesig“ und „schwer“ und folgerte: „Das hängt vielleicht damit zusammen, dass<br />

darunter nichts ist.“ Nachdem sie ihre Mitte rundherum spürbar gemacht hatte als<br />

tragendes Bindeglied zum Becken hin (was schon in der Empfin<strong>du</strong>ng war), konnten<br />

die Schultern den ihnen angemessenen Raum einnehmen und wurden leichter.<br />

Im Körperinnenraum ist es das tragende Knochengerüst, das z.B. über klopfendes<br />

Ansprechen oder Druck <strong>du</strong>rch die Muskulatur hin zum Knochen erreicht werden<br />

kann. In Verbin<strong>du</strong>ng mit dem Muskel-Sehnen-Apparat kann es über Bewegungen<br />

und vor allem auch <strong>du</strong>rch Kraftübertragung gegen Widerstand erfahrbar werden.<br />

Beispiele sind:<br />

- mit dem Fuß Druck gegen den Boden geben und wieder lösen (Tonus<br />

erhöhen, Kraft und Begrenzung spüren, Tonus senken)<br />

- mit dem Körpergewicht ganz auf einen Sitzhöcker gehen, ihn quasi wie einen<br />

Berg besteigen (Druck gegen den Hocker schafft deutliche Empfin<strong>du</strong>ng,<br />

Abgrenzung), d<strong>ab</strong>ei richtet sich der Körper auf bis zum Schädeldach<br />

(Tonuserhöhung, <strong>Ich</strong>-stärkende Aufrichtung, haltgebende Struktur der<br />

Wirbelsäule wahrnehmen), dann sich wieder lösen, Abstieg ins Tal zwischen<br />

den Sitzhöckern (Tonussenkung mit klarer Struktur und ohne Haltverlust) und<br />

der erneute Aufstieg auf der anderen Seite<br />

Im Mittelpunkt steht das Erfahren von Halt, Sicherheit und Beherrschbarkeit der<br />

körperlichen Abläufe. Die Arbeit mit Widerstand gegen den Boden, den Hocker, die<br />

Wand etc. (in der fortgeschrittenen Phase gegen den Partner) lässt verstärkt die<br />

eigenen Körpergrenzen deutlich werden. Die Tonuserhöhung ermöglicht das Spüren<br />

der eigenen Kraft und erhöht Präsenz und Selbstvertrauen. Nachfolgend ist es<br />

leichter möglich, die Muskulatur ein Stück weit zu lösen. Die Lösung sollte sehr<br />

kontrolliert mit einbezogen werden, da diese Phase das Haltgebende eher<br />

zurücktreten lässt zugunsten des Weichen. Wichtig ist auch zu wissen, dass ein<br />

gewisser Körpertonus zum Halten von emotionaler Energie gebraucht wird.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 35


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Primär werden hier Erfahrungen ermöglicht, die das Kind zum Aufbau und zur<br />

Differenzierung seines Körper-<strong>Ich</strong>s benötigt hat als Grundlage <strong>für</strong> die Entwicklung<br />

seiner <strong>Ich</strong>-Identität: Erfahrungen mit Spannungs- und Lösungsphänomenen,<br />

Oberflächen- und Tiefensensibilität, Druck, Gewicht, Schwerkraft. Diese werden<br />

nach<strong>hole</strong>nd wertneutral zur Kenntnis genommen, um daran die Wahrnehmungs- und<br />

Sammlungsfähigkeit zu schulen und willentliche Selbst-Beherrschung zu üben.<br />

Neben den haltenden und Kraft übertragenden Strukturen können raumbildende<br />

Strukturen erarbeitet werden (Beckenschale, Brustkorb, Kopf), unterschiedliche<br />

Körperebenen (Boden/Füße, Beckenboden, Zwerchfell, Schädelbasis und<br />

Schädeldach) und Verbin<strong>du</strong>ngen / Vernetzungen innerhalb des Körpers. So<br />

entstehen Erfahrungen innerer Dreidimensionalität: der eigenen Breite, Größe, Tiefe.<br />

Außerdem konnte ich beobachten, dass über Bewegungen in den Raum hinein, also<br />

in die Dimensionen oben / unten, rechts / links, vorne / hinten ein persönlicher<br />

Außenraum strukturiert werden konnte, der wie ein Schutzraum empfunden wurde.<br />

Arbeitsbeispiel:<br />

<strong>Ich</strong> mache einen großen Schritt zur Seite und stütze mich d<strong>ab</strong>ei mit der Hand<br />

an einer gedachten Stange <strong>ab</strong> (Einatem), im Ausatem komme ich wieder<br />

zurück – ich mache einen Schritt nach hinten und stütze mich d<strong>ab</strong>ei mit dem<br />

Kreuzbein (oder der Brustwirbelsäule) an einer gedachten Stange <strong>ab</strong>, komme<br />

im Ausatem wieder zurück, und so weiter in alle 4 Richtungen.<br />

Mit dieser Übung konnte Frau A. zu mehr Sicherheit in ihren Bewegungen finden,<br />

ohne dass d<strong>ab</strong>ei Schwindel auftrat. Die Strukturierung des Außenraumes in<br />

Verbin<strong>du</strong>ng mit einer verstärkten Eigenempfin<strong>du</strong>ng ließen Frau A. sagen: „Das ist als<br />

wäre ich in einem Ei. Darin h<strong>ab</strong>e ich Raum zum Atmen.“ Auch <strong>für</strong> Frau B. entsteht so<br />

„ein Raum <strong>für</strong> mich!“. Sie fühlt sich nicht mehr so ausgeliefert und braucht daraufhin<br />

etwas weniger Abstand zu mir.<br />

7.3.2. <strong>Atem</strong>strukturen<br />

In der APT wird der <strong>Atem</strong> bei Menschen mit frühen Störungen zunächst gar nicht<br />

einbezogen oder auf einer Ebene, <strong>wo</strong> er auch willentlich gesteuert werden darf.<br />

Da<strong>für</strong> bieten sich Übungen mit dem willentlich geführten, auch impulsiven Ausatem<br />

an, wie wir sie aus der traditionellen <strong>Atem</strong>arbeit kennen. Der Einatem fällt über den<br />

so aktivierten Einatemimpuls von selbst ein, falls dies schon möglich ist, oder darf<br />

zunächst auch geholt werden, ohne dass dies weiter thematisiert wird.<br />

Es wird noch nicht mit dem indivi<strong>du</strong>ellen <strong>Atem</strong> gearbeitet, sondern mit einem<br />

geführten, gleichförmigen <strong>Atem</strong>, angebunden an willentlich eingesetzte<br />

Bewegungs<strong>ab</strong>läufe, die in der Gruppenarbeit von allen Teilnehmern gleichzeitig<br />

übernommen werden. Dies bietet <strong>du</strong>rch das Eingebundensein im Kollektiven wieder<br />

Halt und Sicherheit. Der Teilnehmer muss sich noch nicht in seiner Indivi<strong>du</strong>alität vor<br />

den anderen zeigen. Passend zu diesem Thema wären z.B. rhythmische<br />

Bewegungs<strong>ab</strong>läufe,<br />

die vor allem dem Bewusstmachen und Kräftigen der Ausatembewegung dienen. ... Wir<br />

arbeiten in diesem Moment also nicht zu dem ganz indivi<strong>du</strong>ellen <strong>Atem</strong>rhythmus des einzelnen<br />

Menschen hin, sondern geben hier einen bestimmten <strong>Atem</strong>rhythmus vor. ... Gleichzeitig<br />

werden über die Arbeit am <strong>Atem</strong> Struktur, Kraft und Substanz aufgebaut, die den Menschen<br />

stärken... . (Fischer & Kemmann-Huber, 1999, S. 20f.).<br />

Als Übergang vom willentlich geholten zum zugelassenen Einatem bietet sich die<br />

Arbeit mit der Einatemspannung an. Einatemspannung nennt man die<br />

Tonuserhöhung, die während der Einatemphase im Körper aufgrund eines<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 36


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

muskulären, inneren Zugspannungssystems (vgl. Fischer & Kemmann-Huber, 1999,<br />

S. 126) entsteht. Die Einatemspannung bewirkt eine Öffnung der inneren<br />

<strong>Atem</strong>bewegungsräume auf der vertikalen, horizontalen und sagittalen Ebene. Der in<br />

der Übung wahrgenommene Bewegungs<strong>ab</strong>lauf wird erfahren als ein inneres Sich-<br />

Aufspannen, <strong>wo</strong>bei der Einatem den d<strong>ab</strong>ei entstandenen Raum füllt. Unterstützt wird<br />

diese Arbeit, in dem wir der Richtung dieses Sich-Aufspannens ein Gegenüber<br />

anbieten in Form eines kleinen Widerstandes:<br />

- Meine rechte Hand gibt einen kleinen Widerstand gegen meinen rechten<br />

unteren Rippenbogen. Gegen diesen Widerstand spanne ich mich auf und<br />

lasse d<strong>ab</strong>ei meinen Einatem kommen.<br />

- <strong>Ich</strong> drücke meinen rechten Sitzhöcker gegen den Hocker. Gegen diesen<br />

Widerstand lasse ich meinen Einatem kommen.<br />

Gearbeitet wird hier mit einer <strong>du</strong>rch den Widerstand fokussierten Sammlung, <strong>wo</strong>bei<br />

die Einatembewegung auf diese Weise etwas „Geführtes“ erhält. Die Begrenzung<br />

<strong>du</strong>rch den Widerstand bewirkt eine verstärkte räumliche Ausdehnung der<br />

Einatemdruckwelle, die wiederum die Körperwände von innen deutlicher werden<br />

lässt. <strong>Atem</strong>kraft wird spürbar, es findet eine Tonisierung der Muskulatur statt,<br />

Präsenz und Wachheit stellen sich ein, eine Empfin<strong>du</strong>ng von „Gefüllt-Sein“ kann<br />

entstehen (vgl. Fischer & Kemmann-Huber, 1999, S. 126f.). Der <strong>Atem</strong> wird so<br />

ver<strong>dich</strong>tet und gespannt, die zurückfließende Ausatemkraft reichert die Mitte an und<br />

wirkt zentrierend.<br />

Eine ähnliche Wirkung h<strong>ab</strong>en die in der APT verwendeten sog. Dehn-Streckungen.<br />

D<strong>ab</strong>ei geht der Bewegungs<strong>ab</strong>lauf <strong>für</strong> die Einatemphase von der uns vertrauten<br />

Dehnbewegung in ein Strecken über, um schließlich spürbar <strong>du</strong>rch den Muskel-<br />

Sehnen-Band-Apparat und die Beweglichkeit der Gelenke begrenzt zu werden.<br />

Diese Bewegung bietet dem Einatem weniger Innenraum an als die Dehnung, gibt<br />

dem Übenden <strong>ab</strong>er mehr Orientierung in der Bewegungsführung. Außerdem kann<br />

aufgrund der Tonuserhöhung und des Bewegungswiderstandes die Begrenzung<br />

innerhalb des Körpers <strong>du</strong>rch die Körperwände besser wahrgenommen werden.<br />

Beispiel <strong>für</strong> eine Übungssequenz:<br />

- <strong>Ich</strong> dehne mich mit verschränkten Händen nach oben, die Handinnenflächen<br />

zeigen nach oben, bis die Bewegung ihre natürliche Grenze findet, und lasse<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 37


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

d<strong>ab</strong>ei meinen Einatem kommen, mit dem Ausatem führe ich meine Hände zu<br />

meiner Mitte.<br />

- Aufrecht sitzend dehne ich meine verschränkten Hände mit den<br />

Handinnenflächen voran nach unten (zwischen den Beinen), bis die<br />

Bewegung ihr natürliches Ende findet, und lasse d<strong>ab</strong>ei meinen Einatem<br />

kommen. Mit dem Ausatem führe ich meine Hände zu meiner Mitte.<br />

- <strong>Ich</strong> dehne beide Hände mit den Handwurzeln seitlich nach außen, bis die<br />

Bewegung ihr natürliches Ende findet, und lasse d<strong>ab</strong>ei meinen Einatem<br />

kommen. Mit dem Ausatem führe ich meine Hände zur Mitte und suche <strong>dort</strong><br />

mit einem leichten Druck meiner Hände spürenden Kontakt zu meiner<br />

<strong>Atem</strong>kraft.<br />

Diese Arbeitsweisen verstärken die Körperwahrnehmung, intensivieren die<br />

Empfin<strong>du</strong>ng von Grenze und Kraft und ermöglichen Gefühle von Selbstvertrauen und<br />

Selbstwert. Grenzen verdeutlichende Arbeit ist immer <strong>Ich</strong>-stärkend (vgl. auch Fischer<br />

& Kemmann-Huber, 1999, S. 134); sie gibt Halt und Orientierung und fragt auf die<br />

oben beschriebene Weise <strong>Atem</strong>kraft an und stärkt sie.<br />

Gelingt das Aufnehmen und die Vertiefung des <strong>Atem</strong>geschehens, ist die <strong>Ich</strong>-Kraft<br />

gestärkt, so kann mit der Zeit dem indivi<strong>du</strong>ellen <strong>Atem</strong>rhythmus mehr Raum gegeben<br />

werden, so dass die Übungs<strong>ab</strong>läufe nun zeitlich voneinander <strong>ab</strong>weichen. Wenn<br />

genügend <strong>Ich</strong>-Kraft vorhanden ist, darf das Indivi<strong>du</strong>elle stärker hervortreten.<br />

Ein weiterer Schritt zur weichen, den <strong>Atem</strong> zulassenden Dehnung hin könnte sich<br />

folgendermaßen gestalten:<br />

- Über Dehn-Streckungen mit den Händen wird eine Art Kugel erarbeitet, in<br />

deren Mittelpunkt ich als Übender stehe.<br />

- Nun verstärke ich die Empfin<strong>du</strong>ng einer Körperwand, z.B. über Streichen.<br />

Dann dehne ich mich weich in die Innenseite dieser Kugel hinein, im Ausatem<br />

suche ich mit meinen Füßen verstärkten Bodenkontakt und gehe in den<br />

Widerstand zum Boden.<br />

Das Bild der Kugel bietet während der zulassenden Einatemphase und des weichen<br />

Dehnens Halt (zusätzlich zum Boden) und ermöglicht so Hing<strong>ab</strong>e. Der haltende<br />

Bodenkontakt wird während der Ausatemphase intensiviert und der Tonus wieder<br />

erhöht, d.h. Muskel- und Ausatemkraft werden erfahrbar, die eventuell in einen Ton<br />

umgesetzt werden können (vgl. auch Höller-Zangenfeind, 2004).<br />

Diese Beispiele zeigen eine Möglichkeit auf, wie <strong>für</strong> einen Menschen mit zunächst<br />

niedriger <strong>Ich</strong>-Struktur das <strong>Ich</strong> gestärkt und der Weg hin zur traditionellen<br />

atemtherapeutischen Arbeit schrittweise gehbar wird.<br />

7.4. Einsatz verbaler Interventionen<br />

Beenden möchte ich meine Überlegungen mit einem Blick auf verbale<br />

Interventionen, die ich in der APT zu unterscheiden gelernt h<strong>ab</strong>e, und die mir in der<br />

Arbeit mit meinen Klientinnen weitergeholfen h<strong>ab</strong>en (vgl. Bischof, 2009a). D<strong>ab</strong>ei<br />

möchte ich diese Interventionen nicht verstanden wissen als geschickt eingesetzte<br />

technische Hilfsmittel, sondern als Möglichkeiten, den Menschen auf empathische<br />

Weise innerhalb einer ernst gemeinten therapeutischen Beziehung in seiner<br />

Entwicklung unterstützen zu können. Für mich wurde d<strong>ab</strong>ei auch deutlich, dass ich<br />

da<strong>du</strong>rch die jeweils notwendige Art der Beziehung aktiv gestalten kann.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 38


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Je niedriger das Strukturniveau des Klienten ist, desto wichtiger ist es, dass der<br />

Therapeut über Worte und weitere geeignete Maßnahmen (z.B. Nähe-Distanz-<br />

Abklärung) einen klaren und zuverlässigen Rahmen schaffen kann. Dies darf nicht<br />

als „Übergriff“ oder „Einmischung“ gesehen werden, es entlastet den Klienten und<br />

gibt Sicherheit.<br />

Hierzu gehört eine sehr direktive Lenkung der Stunde, bei der der Therapeut die<br />

Rolle eines „steuernden Objektes“ inne hat, ein Hilfs-<strong>Ich</strong> <strong>für</strong> den Klienten darstellt,<br />

weil dieser noch zu wenig Instanzen <strong>für</strong> eine innere Orientierung zur Verfügung hat.<br />

Bei meinen Klientinnen war dies am meisten bei Frau C. notwendig, die die<br />

Beziehung zu mir innerhalb der Stunde immer wieder <strong>ab</strong>brach und sich kurzzeitig in<br />

ihre Gedanken- und Gefühlswelt zurückzog, die sie einzusaugen drohte. Es dauerte<br />

eine Weile, bis ich begriff, dass sie sich hier in einem Zustand der „Spaltung“ befand,<br />

in der sie „wenig Fähigkeit zur distanzierten Reflexion“ (Bischof, 2009a, S. 5) hatte.<br />

Ihr „trauriges inneres Kind“, wie sie selbst es nannte, beherrschte in diesem Moment<br />

vollkommen die Szene. Als ich sie damit „konfrontierte“ und ihr meine Sichtweise<br />

„interpretierte“ („Im Moment lassen Sie sich vollkommen von ihrem traurigen inneren<br />

Kind vereinnahmen, ihr erwachsener Anteil steht Ihnen gar nicht mehr zur<br />

Verfügung. Mit diesem erwachsenen Anteil möchte ich <strong>ab</strong>er in Beziehung bleiben.“),<br />

konnten wir eine klarere Basis <strong>für</strong> die weitere Zusammenarbeit finden.<br />

Konfrontieren und Interpretieren sind <strong>Ich</strong>-stützende Interventionen, die helfen, einen<br />

an den Erfordernissen der Realität und der Beziehung ausgerichteten Bezugsrahmen<br />

wiederherzustellen.<br />

Konfrontieren meint, dem Klienten ein Grenzen setzendes Gegenüber zu sein mit der<br />

Intention, den Realitätsbezug wiederherzustellen, bzw. zu korrigieren. Der Therapeut<br />

teilt dem Klienten d<strong>ab</strong>ei interpretierend sein eigenes Verständnis dieser Situation mit<br />

im Sinne eines Hilfs-<strong>Ich</strong>s.<br />

In diesem Sinn war es bei Frau A. immer wieder nötig, ihre stark polarisierenden<br />

Gedankengänge und damit verbundenen Bewertungen zu korrigieren (z.B. „Wenn<br />

ich nicht zu einem vollkommen ausgeglichenen Gefühlsleben finden kann, ist die<br />

ganze Therapie sinnlos.“ Oder „<strong>Ich</strong> h<strong>ab</strong>e mich immer als kompakt und fest erlebt,<br />

nun merke ich, dass es da etwas Weiches ist, was stimmt denn nun?“) Damit sie<br />

diese spaltenden Sicht- und Erlebnisweisen miteinander verbinden konnte, brauchte<br />

sie meine interpretierende und erklärende Unterstützung.<br />

Auf der Ebene des mittleren Strukturniveaus, wenn das <strong>Ich</strong> st<strong>ab</strong>iler ist, sich der<br />

Mensch besser wahrnehmend begleiten und auch seine Gefühle aushalten kann,<br />

nimmt das Spiegeln als Intervention immer mehr Raum ein. Im Mittelpunkt steht nun<br />

die Selbstwahrnehmung auf den vier Wahrnehmungsebenen des Empfindens,<br />

Fühlens, Denkens und Intuierens.<br />

Im Spiegeln nimmt der Therapeut bewusste und unbewusste Äußerungen des<br />

Klienten auf und gibt sie nonverbal (Gestik, Mimik) oder verbal an den Klienten<br />

zurück, damit dieser seine Eigenwahrnehmung erweitern kann. Dies braucht<br />

Empathie, Sensibilität und Achtung vor dem Gegenüber. Wie eine gute Mutter macht<br />

er dem Klienten deutlich, dass dieser „in seinem Da-Sein und seinem Tun ge<strong>wo</strong>llt<br />

ist.“ (Bischof, 2009a, S.3) Darüber hinaus hilft er ihm, sich in seinen<br />

unterschiedlichen Facetten ausge<strong>wo</strong>gen wahrzunehmen; vor allem das Spiegeln der<br />

Gefühle unterstützt ein Nachreifen von Selbstbild und Selbstwert.<br />

Eine weitere Stufe ist die Deutung, die im therapeutischen Kontext meint, dem<br />

Klienten z.B. eine Übertragung oder Projektion bewusst zu machen. So war es <strong>für</strong><br />

Frau B. möglich, ihren Widerstand gegen meine Nähe als Schutzreaktion zu<br />

erkennen, die sie im Grunde bereits als Kind gegenüber ihrer Mutter benötigte. Über<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 39


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

das Bewusstwerden der inneren Konflikte und der damit verbundenen Gefühle<br />

gelingt das Wachsen hin zum höheren Strukturniveau.<br />

Dieser Einblick in die Interventionsmöglichkeiten der APT erhebt nicht den Anspruch<br />

auf Vollständigkeit, lässt <strong>ab</strong>er, so hoffe ich, erkennen, wie wichtig die dem<br />

Strukturniveau angemessene verbale Beziehungsarbeit <strong>für</strong> ein <strong>Ich</strong>-stärkendes<br />

Arbeiten ist.<br />

8. Diskussion<br />

Zur Abrun<strong>du</strong>ng meines Themas möchte ich hier einige zusammenfassende und<br />

weiterführende Gedanken anschließen.<br />

Die Beschäftigung mit dem Thema des ich-stärkenden Arbeitens in Verbin<strong>du</strong>ng mit<br />

strukturellen Störungen hat meinen Blick <strong>für</strong> einen Entwicklungsbereich geöffnet, der<br />

mir bis dahin nicht wirklich deutlich war.<br />

Wenn wir uns in der traditionellen atempädagogischen/ -therapeutischen Arbeit auf<br />

dem Weg vom <strong>Ich</strong> zum Selbst (nach C.G. Jung) sehen, also an der Arbeit auf der<br />

<strong>Ich</strong>-Selbst Achse (nach Neumann), dann gehen wir davon aus, dass ein st<strong>ab</strong>iles <strong>Ich</strong><br />

bereits vorhanden ist. Über die Arbeit am <strong>Atem</strong> wird dieses <strong>Ich</strong> in seinen<br />

Möglichkeiten erweitert und nähert sich der eigenen Tiefe an. Die Übergänge<br />

zwischen personaler und transpersonaler Arbeit sind hier fließend.<br />

Was <strong>ab</strong>er, wenn es dieses st<strong>ab</strong>ile <strong>Ich</strong> noch gar nicht gibt? Wenn das <strong>Ich</strong> brüchig ist,<br />

von einem Zustand in den nächsten fällt, überflutet wird? Wenn die Beziehung zum<br />

eigenen <strong>Atem</strong> noch nicht möglich ist? Dann müssen erst die Grundlagen gelegt<br />

werden, auf denen die atempädagogische Arbeit aufbauen kann. Die<br />

<strong>Atem</strong>psychotherapie stellt da<strong>für</strong> diagnostische Kriterien und ein gezieltes<br />

atempsychotherapeutisches Konzept <strong>für</strong> unterschiedliche strukturelle Niveaus bereit.<br />

Angesichts der steigenden Anzahl von Menschen mit frühen Verletzungen bzw.<br />

Strukturschwäche müsste dieses Thema auch innerhalb der pädagogischen<br />

<strong>Atem</strong>therapie mehr Aufmerksamkeit bekommen, damit eine adäquate Unterstützung<br />

angeboten werden kann.<br />

Ein Mensch mit Strukturschwäche kommt nicht als Schüler in die Praxis, der primär<br />

die eigene Persönlichkeit mit Unterstützung des Lehrers weiter entfalten möchte. Er<br />

kommt mit einer Problematik und einem Leidensdruck, auch wenn er dies<br />

möglicherweise nicht benennt.<br />

Hier eröffnet sich nun ein breites Spektrum, angefangen bei Menschen, die ein<br />

tiefgreifendes Krankheitsbild im klinischen Sinn aufweisen und als Patienten eine<br />

entsprechende fachlich-psychotherapeutische Unterstützung benötigen, um ihr<br />

Leben bewältigen zu können, bis zu Menschen, deren Strukturschwäche umgrenzt<br />

ist und die als Klienten aus einem konsequent strukturstärkenden körper- und<br />

atemtherapeutischen Angebot großen Nutzen ziehen könnten.<br />

Damit der/die <strong>Atem</strong>therapeutIn hier unterscheiden und auch die eigene Kompetenz<br />

richtig einschätzen kann, braucht er/sie entsprechendes Fachwissen.<br />

Diese Gedanken lassen sich weiterführen im Hinblick auf die Grundausbil<strong>du</strong>ng an<br />

den <strong>Atem</strong>schulen. Inhaltlich sollten hier meines Erachtens progressive und<br />

regressive Elemente der atempädagogischen/ -therapeutischen Arbeit klarer<br />

unterschieden und zum jeweiligen Strukturniveau in Beziehung gesetzt werden, in<br />

diesem Zusammenhang Indikation und Gegenindikation <strong>für</strong> die einzelnen Elemente<br />

der pädagogischen Arbeit differenzierter erfasst werden. Würde das Konzept der<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 40


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

strukturellen <strong>Ich</strong>-Entwicklung <strong>für</strong> die Grundausbil<strong>du</strong>ng an Bedeutung gewinnen,<br />

sollten darauf bezogen ein gewisses diagnostisches Grundwissen, Grundlagen der<br />

Beziehungsarbeit, der kommunikativen Regeln bzw. verbalen Interventionen und der<br />

Umgang mit Gefühlen Teil der Ausbil<strong>du</strong>ng sein. Auch das Wissen um Übertragung<br />

und Gegenübertragung wäre hilfreich, um emotionale Verwicklungen besser<br />

handh<strong>ab</strong>en zu können.<br />

Generell finde ich es wünschenswert, dass die Unterschiede und Übergänge<br />

zwischen <strong>Ich</strong>struktur-bildender atempsychotherapeutischer Arbeit, pädagogischentwicklungsorientierter<br />

Arbeit und transpersonaler Arbeit auch im Bereich der<br />

Grundausbil<strong>du</strong>ng stärker thematisiert würden.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 41


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

9. Literaturverzeichnis<br />

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Juni 2010 unter<br />

http://www.atempsychotherapie.de/documents/mo<strong>du</strong>le_ea/aptinterventionen.<br />

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am 2. Juni 2010 unter<br />

http://www.atempsychotherapie.de/documents/mo<strong>du</strong>le_ea/uebertragungwid<br />

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Bischof, S. (1997). „Wenn die Grenzen verschwimmen“, Borderline Phänomene.<br />

Gefunden am 15. Juni 2010 unter<br />

http://www.atempsychotherapie.de/documents/publikationen/borderline.pdf<br />

Bischof, S. (2003). Du sollst deinen Nächsten lieben wie <strong>dich</strong> selbst, oder die Suche<br />

nach dem wahren Selbst. Über die Arbeit mit narzisstischen Störungen in<br />

der atem- und körpertherapeutischen Praxis. Gefunden am 15. Juni 2010<br />

unter http://<br />

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Elgeti, H. (2004). Einführung in die tiefenpsychologische Anamneseerhebung und<br />

die Erstellung eines Berichtes zum Psychotherapie-Erstantrag. Gefunden<br />

am 20.5.2010 unter http://www.mhhannover.de/fileadmin/kliniken/psychiatrie_psychotherapie/Bilder_neue_Seit<br />

en/IPAW/Curriculum/PT-<br />

Ausbil<strong>du</strong>ng_Manuskripte_Anamnese_und_Antrag.pdf<br />

Fischer, K. & Kemmann-Huber, E. (1999). Der bewusst zugelassene <strong>Atem</strong>. Theorie<br />

und Praxis der <strong>Atem</strong>lehre. München: Urban & Fischer Verlag.<br />

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H. (Hrsg.), Handbuch der Körperpsychotherapie (S. 598-607). Stuttgart, New<br />

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Gröninger, S. & Stade-Gröninger, J. (1996). Progressive Relaxation. München: J.<br />

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Höller-Zangenfeind, M. (2004). Stimme von Kopf bis Fuß. Ein Lehr- und<br />

Übungsbuch <strong>für</strong> Atmung und Stimme nach der Methode <strong>Atem</strong>-Tonus-Ton.<br />

Innsbruck: Studienverlag.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 42


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

<strong>Ich</strong>-Psychologie. (2010). In Wikipedia. Gefunden am 1.5.2010 unter<br />

http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Ich</strong>-Psychologie<br />

Jacobi, J. (1980). Die Psychologie von C.G.Jung. Eine Einführung in das<br />

Gesamtwerk. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.<br />

Kast, V. (1990). Die Dynamik der Symbole. Grundlagen der Jungschen<br />

Psychotherapie. 2. Auflage. Olten und Freiburg im Breisgau: Walter-Verlag<br />

König, W.H. (2006). Die vier Psychologien der Psychoanalyse. München.<br />

Maaz, H.-J. (2007). Körperpsychotherapie bei Frühstörungen. In Marlock, G. &<br />

Weiss, H. (Hrsg.), Handbuch der Körperpsychotherapie (S. 741-748).<br />

Stuttgart, New York: Schattauer GmbH<br />

Mahler, M. Pine, F. & Bergmann, A. (1997). Die psychische Geburt des Menschen.<br />

Symbiose und Indivi<strong>du</strong>ation. Die Entwicklung des Kindes aus neuer Sicht.<br />

Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.<br />

Müller, L. & Müller, A. (2003). Wörterbuch der Analytischen Psychologie. Düsseldorf<br />

und Zürich: Patmos Verlag und Walter Verlag.<br />

Petzold, H.G. (1993). Integrative Therapie. Modelle, Theorien und Methoden <strong>für</strong> eine<br />

schulenübergreifende Psychotherapie. Band II / 2: Klinische Theorie.<br />

Paderborn: Junfermann Verlag.<br />

Rosenberg, J.L.. Rand, M. & Asay, D. (1996). Körper, Selbst & Seele. Ein Weg zur<br />

Integration. Paderborn: Junfermann Verlag.<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 43


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Anhang 1: 2 Stundenbilder <strong>für</strong> APT-Gruppenstunden<br />

1. Stundenbild:<br />

Gruppentherapeutische Strukturstunde mit Objekten - ohne Selbst- und<br />

Fremdberührung<br />

Zielgruppe: niedriges Strukturniveau<br />

Inhalte:<br />

- Struktur geben:<br />

klar strukturierte Anweisungen und Bewegungen<br />

geführter <strong>Atem</strong><br />

verbale Begleitung, damit Sammlung besser gehalten werden kann<br />

- Körperempfin<strong>du</strong>ng schaffen:<br />

über Fokus auf Objekte im Außen – „Wie spürst <strong>du</strong> den Boden, den Hocker,<br />

den Stein, den Igelball?“<br />

da<strong>du</strong>rch auch <strong>für</strong> den eigenen Körper – „Wie spürst <strong>du</strong> deinen Fuß?“<br />

(bei schwerer Borderline-Symtomatik zuerst nur Objekte erspüren lassen,<br />

noch nicht den eigenen Körper)<br />

- Grounding: Boden, Stampfen<br />

- innere Spannung <strong>ab</strong>führen: Bewegungsimpulse zum Boden, Schwingen,<br />

Ausatem<br />

- Arbeit mit Polaritäten (auf dem Hintergrund der Borderline-Spaltung)<br />

Stein - Igelball / glatt – stachlig / schwer - leicht<br />

Pendelbewegungen<br />

Lemniskate<br />

Ziele:<br />

Nachreifen des <strong>Ich</strong>s <strong>du</strong>rch Struktur und Empfin<strong>du</strong>ng (Realitätsprinzip)<br />

Körperidentität über Empfin<strong>du</strong>ng (keine Gefühle oder Bilder)<br />

Strukturierung von Raum und Zeit<br />

Bewusstmachung und Integration von Polaritäten<br />

Stunden<strong>ab</strong>lauf:<br />

- richtige Hockerdistanz einstellen<br />

- Stein vor den rechten Fuß legen<br />

mit dem Fuß leichten Druck auf den Stein geben (Ferse, Mittelfuß,<br />

Zehenballen) und den Fuß wieder zurückstellen<br />

„Wie spürst <strong>du</strong> den Stein?“ hart / fest...1 Wort<br />

dazu jeweils sprechen: fest, fest... (Ausatem)<br />

danach mit dem linken Fuß arbeiten<br />

- auf den Boden stampfen - der Boden ist auch „fest“..... rhythmisch verbal<br />

begleiten<br />

„Wie spürst <strong>du</strong> deine Füße?“ 1 Wort<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 44


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

- im Stehen Dehn-Streckung der ineinander verschränkten Hände nach oben,<br />

die Handflächen zeigen d<strong>ab</strong>ei zur Decke (Einatem = EA) -<br />

im Ausatem (AA) die Hände zurück zur Mitte nehmen,<br />

nun Dehn-Streckung der ineinander verschränkten Hände nach unten, die<br />

Handflächen zeigen d<strong>ab</strong>ei zum Boden (EA) und zurück zur Mitte nehmen (AA)<br />

- Hinsetzen - „wie spürst <strong>du</strong> den Hocker?“ „fest“<br />

Aufstehen und d<strong>ab</strong>ei mit den Füßen Druck gegen den Boden geben<br />

Nun im Bewegungsfluss einer Pendelbewegung: beim Hinsetzen sich leicht<br />

auf den Hocker plumpsen lassen „tok“ - leichte Dehnung mit Rücken nach<br />

hinten, d<strong>ab</strong>ei lösen sich die Füße vom Boden (EA) - Umschwung nach vorne,<br />

die Füße geben wieder Druck gegen den Boden „tok“ und Aufrichtung zum<br />

Stand - mit gerundetem Rücken den Hocker suchen und sich plumpsen lassen<br />

„tok“ usw. „tok“ rauf – „tok“ runter....<br />

- den Stein in Hand nehmen<br />

„wie spürst <strong>du</strong> den Stein?“ „fest glatt kalt schwer... „1 Wort<br />

Stein mit seitlich ausgestrecktem Arm hochheben (EA) und wieder sinken<br />

lassen „schwer“ (AA) / <strong>ab</strong>wechselnd mit dem rechten Arm und dem linken Arm<br />

- pendeln auf den Sitzhöckern „rechts – links – rechts – links ... / der Stein<br />

wechselt d<strong>ab</strong>ei nun von einer Hand in die andere „festhalten – übergeben –<br />

festhalten – übergeben...“<br />

die Bewegung verändert sich zu einer Lemniskate mit unterschiedlicher<br />

Geschwindigkeit und Größe, weiter mit verbaler Begleitung<br />

ausklingen lassen und Stein <strong>ab</strong>legen<br />

- im Sitzen: Fuß rollt auf dem Igelball „Wie ist der Ball?“<br />

dann in einen Katzenbuckel gehen und gleichzeitig Druck nach unten auf Ball<br />

geben (EA), Fuß vom Ball nehmen und aufrichten (AA), Druck (EA) usw.<br />

„drücken – loslassen – drücken...“<br />

„Wie spürst <strong>du</strong> deinen Fuß?“<br />

- in rechte Hand den Stein nehmen, in die linke den Ball<br />

den Stein drücken „glatt“ - lösen / den Ball drücken „stachlig“ - lösen<br />

Stein heben (EA) - senken „schwer“ / Ball heben (EA) - senken „leicht“<br />

- Stehen: rechte Hand mit dem Stein geht nach oben schwingt im Halbkreis<br />

nach hinten „schwer“ und schwingt zurück nach vorne „schwer“ und wieder<br />

nach hinten „schwer“ usw.<br />

das Gleiche mit der linken Hand und dem Ball „leicht.....leicht.....“<br />

dann <strong>ab</strong>wechselnd<br />

- Stein und Ball vor der Mitte zusammenkommen lassen<br />

mit Füßen pendeln „rechts – links – rechts – links“, ins Stampfen kommen<br />

(Hände bleiben zusammen und bewegen sich mit) „rechts – links – rechts –<br />

links“ - langsam wieder zur Ruhen kommen<br />

- Hände lösen sich voneinander, werden im großen, seitlichen Kreis nach oben<br />

geführt – über dem Kopf treffen sich Stein und Ball, drücken nun<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 45


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

gegeneinander werden mit dem Ausatem nach unten zur Körpermitte geführt<br />

(zentrierend) – und weiter nach unten, bis sie sich wieder trennen und erneut<br />

im großen Kreis nach oben gehen usw. – Abschluss vor der Körpermitte<br />

- Schluss:<br />

im Sitzen Körperempfin<strong>du</strong>ngen erfragen?<br />

„Welche Körperbereiche kannst <strong>du</strong> an dir jetzt spüren?“<br />

2. Stundenbild:<br />

Gruppentherapeutische Strukturstunde mit Einatem-Spannung<br />

Stundenthema: Körpergrenzen von außen und innen erfahren<br />

Zielgruppe: fortgeschrittenes niedriges oder beginnendes mittleres Strukturniveau<br />

Inhalte:<br />

- Erfahrung der Körpergrenzen<br />

über Widerstand von außen: Boden, Hocker, eigene Hände<br />

über Widerstand von innen: Dehn-Streckungen<br />

- Förderung des indivi<strong>du</strong>ellen <strong>Atem</strong>s<br />

Intensivierung des <strong>Atem</strong>flusses und beginnende Innenraum-Empfin<strong>du</strong>ng<br />

<strong>du</strong>rch Arbeit mit Einatem-Spannung<br />

- Schritt aus dem Schutz des Kollektiven hin zur eigenen Indivi<strong>du</strong>alität<br />

<strong>du</strong>rch Raumgeben <strong>für</strong> unterschiedlich lange Dehnungs<strong>ab</strong>läufe<br />

Ziele:<br />

Stärkung der <strong>Ich</strong>-Kraft <strong>du</strong>rch das Wahrnehmen von Körpergrenzen<br />

Stärkung der <strong>Ich</strong>-Kraft <strong>du</strong>rch Förderung des Mitten-<strong>Atem</strong>s<br />

Empfin<strong>du</strong>ng von Grenze und Kraft<br />

Erfahrungsqualität von Selbstvertrauen und Selbstwert<br />

Stunden<strong>ab</strong>lauf:<br />

Unterer Raum – sitzend:<br />

- Bein von oben nach unten kräftig <strong>ab</strong>streichen (Haut / Grenze) mit dem AA,<br />

mit dem EA wieder hochkommen, d<strong>ab</strong>ei leichten Druck mit der Fußsohle<br />

gegen den Boden geben (wieder<strong>hole</strong>n auf allen Seiten)<br />

Bein von oben nach unten kneten und zurück mit Fokus auf Spüren der<br />

Muskulatur<br />

Bein noch einmal kneten, nun mit Fokus auf Spüren des knöchernen Skeletts<br />

Beine jeweils spürend vergleichen - zweites Bein anschließen<br />

- Fuß mit Zehenballen gegen den Boden <strong>ab</strong>drücken (= Dehn-Streckung an der<br />

Vorderseite des Fußgelenks, Ferse hebt sich d<strong>ab</strong>ei), bringt EA – mit dem AA<br />

Fuß zurück auf den Boden lassen<br />

dann Ferse vom Körper weg über den Boden schieben (= Dehn-Streckung<br />

an der Rückseite des Beins, die Zehen sind d<strong>ab</strong>ei aufgestellt und leicht zum<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 46


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Körper hingezogen), bringt EA / die Hände liegen auf den Knien, so dass auch<br />

der Rücken bei dieser Bewegung in eine rundende Dehnung geht –<br />

mit dem AA wird der Fuß wieder zurückgezogen und aufgestellt, der Körper<br />

geht wieder in die Aufrichtung<br />

- Druck mit Händen nach unten auf Oberschenkel in Knienähe (Finger zur<br />

Innenseite der Oberschenkel, Handballen zur Außenseite gerichtet), d<strong>ab</strong>ei<br />

Dehn-Spannung des Rückens zum Katzenbuckel, bringt EA – im AA wieder in<br />

die Aufrichtung kommen, bei jedem Druck (EA) wandern die Hände von den<br />

Knien aus ein Stück näher zu den Leisten<br />

- von einem Sitzhöcker zum anderen pendeln<br />

nun in einem langsamen Bewegungsfluss mit dem rechten Fuß Druck gegen<br />

den Boden aufbauen, da<strong>du</strong>rch verlagert sich das Körpergewicht auf<br />

den Sitzhöcker der linken Seite - EA (der rechte Sitzhöcker hebt leicht vom<br />

Hocker <strong>ab</strong>) – mit dem AA Spannung lösen und mit dem Körpergewicht mittig<br />

auf beide Sitzhöcker zurückkommen<br />

nun Druck mit dem linken Fuß gegen den Boden aufbauen usw.<br />

- gleichzeitig beide Hüftknochen klopfen<br />

Fäuste gegen den Beckenrand über den Hüften stemmen<br />

Fuß gibt Druck gegen Boden wie oben, der Spannungsaufbau geht wie oben<br />

zum Sitzhöcker der entgegengesetzten Seite und weiter zum Beckenknochen,<br />

<strong>wo</strong> die eigene Faust nun einen leichten Widerstand gibt - EA<br />

im AA wie oben zurücklassen, der AA geht zum Damm (zentrierend)<br />

- Beckenrückseite klopfen<br />

Dehnung mit dem Kreuzbein nach hinten, <strong>wo</strong> die übereinander liegenden<br />

Handrücken leichten Widerstand geben – EA<br />

im AA zurück auf die Sitzhöcker in die Aufrichtung<br />

Hände streichen seitlich über die Oberschenkel zu den Knien und halten sich<br />

<strong>dort</strong> fest<br />

Dehnung des Kreuzbeins nach hinten mit gleichzeitigem Gegenhalt der<br />

Hände an den Knien – EA, im AA zurück in die Aufrichtung<br />

Hände auf <strong>Atem</strong>pulspunkt, über die Sitzhöcker nach vorne rollen<br />

(aufgerichtet) und d<strong>ab</strong>ei das Becken nach vorne neigen/dehnen gegen die<br />

Hände, die leichten Widerstand geben - EA, im AA zurück auf die Sitzhöcker<br />

* mit ineinander verschränkten Händen Dehn-Streckung nach oben, die<br />

Handflächen schauen d<strong>ab</strong>ei zur Decke (EA) – mit dem AA die Hände zum<br />

<strong>Atem</strong>pulspunkt zurückführen -<br />

dann Dehn-Streckung der verschränkten Hände hinunter zum Boden, die<br />

Handflächen schauen d<strong>ab</strong>ei zum Boden (EA) – mit dem AA die Hände zum<br />

<strong>Atem</strong>pulspunkt zurückführen -<br />

nachspüren mit deutlicher Anwesenheit der Hände am <strong>Atem</strong>pulspunkt<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 47


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Mittlerer Raum:<br />

- Rücken vom Kreuzbein bzw. der Wirbelsäule aus nach den Seiten hin<br />

ausstreichen - von unten nach oben, soweit es geht<br />

Handrücken übereinander auf Kreuzbein (dann jeweils ein Stück höher auf die<br />

Wirbelsäule) legen und gegen kleinen Widerstand der Hände nach hinten<br />

dehnen (EA), im AA auf Sitzhöcker zurückkommen<br />

zum Nachspüren Hände auf Nierenbereich legen<br />

evtl. nun in den Nierenbereich dehnen mit Händen an den Knien als Gegenspannung<br />

- Vorderseite: das Knochige klopfen (Schambein, Hüftschaufeln, Rippenbögen)<br />

Hände flächig auf die weiche Bauchdecke legen und sich gegen einen kleinen<br />

Widerstand der Hände in die vordere Bauchwand dehnen (EA) – mit dem AA<br />

in die Ausgangsposition zurückkommen<br />

* Stärkung der Mitte:<br />

Dehn-Streckung der verschränkten Hände nach vorne (die Handflächen<br />

zeigen nach außen), gleichzeitig dehnt der Rücken nach hinten = EA,<br />

(Begrenzung der Bewegung <strong>du</strong>rch Polarität hinten – vorne) – im AA lösen,<br />

zurück in die Ausgangsposition und Hände mit den Handflächen zur<br />

Körpermitte<br />

Nachspüren: Hände auf Mitte legen und EA mit leichtem Gegendruck in<br />

Empfang nehmen, AA zurückbegleiten<br />

Flanken:<br />

- mit Handspangen die Körperseiten kräftig <strong>ab</strong>streichen seitlich von den<br />

Achselhöhle bis zu den Hüften<br />

die Hände oder Rückseiten der Finger seitlich an die Rippenbögen legen<br />

Fuß gibt Druck gegen den Boden (wie Übung oben), der Spannungsaufbau<br />

geht über den entgegengesetzten Sitzhöcker nach oben zum Rippenbogen,<br />

der sich im EA gegen den Widerstand der eigenen Hand auffaltet (EA) - im AA<br />

Spannung lösen und sich mittig zurück auf beide Sitzhöcker lassen<br />

(zentrierend)<br />

- seitliche Verwringung auf dem Hocker im EA, bis die Bewegung ihre<br />

anatomische Begrenzung erfährt - im AA zurück in die Ausgangsposition<br />

* Stärkung der Mitte:<br />

Dehnstreckung der Handwurzeln gleichzeitig nach beiden Seiten, <strong>wo</strong>bei die<br />

Hände aufgerichtet sind, bis die Bewegung ihre anatomische Begrenzung<br />

erfährt (EA) – im AA lösen und Hände zur Mitte (zentrierend)<br />

Oberer Raum:<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 48


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

- Arme und Schultergürtel klopfen<br />

Finger an der Schultermuskulatur einhaken (die Finger der rechten Hand<br />

liegen auf der rechten Seite des Schultergürtels, der Ellbogen ist nach unten<br />

gerichtet / linke Seite ebenso), nun von den Sitzhöckern aus gegen den<br />

Widerstand der Hände nach oben wachsen (die Sitzhöcker geben d<strong>ab</strong>ei Druck<br />

gegen den Hocker) – EA<br />

sich mit dem AA wieder zurücklassen = Spannung lösen<br />

- Arbeit an der Wirbelsäule weiterführen:<br />

Hände liegen auf dem Prominenten (gehen dann schrittweise die<br />

Halswirbelsäule nach oben), im EA jeweils sanfte Dehnung von den<br />

Sitzhöckern aus gegen kleinen Widerstand der Hände, im AA sich in die<br />

Ausgangsposition zurücklassen<br />

dann Hände auf die Schädeldecke legen - Lot von der Schädeldecke zu den<br />

Sitzhöcker spüren -<br />

von den Sitzhöckern aus nach oben gegen die Hände auf der Schädeldecke<br />

wachsen (Dehn-Streckung bringt EA), sich im AA wieder zurücklassen<br />

* Stärkung der Mitte wie oben:<br />

Dehnstreckungen mit verschränkten Händen nach oben – unten – in den<br />

Rücken, <strong>wo</strong>bei Hände gleichzeitig nach vorne dehnen – Dehn-Streckung der<br />

Hände nach beiden Seiten: Stärkung des Mitten-<strong>Atem</strong>s<br />

(= alle Übungen mit *)<br />

nachspüren mit deutlicher Anwesenheit der Hände auf der Körpermitte (damit<br />

die sich aufbauende <strong>Atem</strong>kraft wahrgenommen, gespiegelt und im AA<br />

zentrierend zurückbegleitet werden kann).<br />

Dieses Stundenkonzept bietet ein reiches Übungsangebot an Dehn-Streckungen und<br />

Übungen gegen den Widerstand von Boden, Hocker und eigenen Händen zur<br />

Auswahl.<br />

Anhang 2: 5 Themen-Folien<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 49


<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. 15. Juli 2010<br />

Autorenerklärung:<br />

Hiermit versichere ich, dass ich diese Diplomarbeit selbständig verfasst und keine<br />

anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet und die den<br />

benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich<br />

gemacht h<strong>ab</strong>e.<br />

Carola Kaupp betreute mich als Mentorin.<br />

<strong>Ich</strong> bin damit einverstanden, dass meine Diplomarbeit öffentlich einsehbar ist und der<br />

wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung steht.<br />

Überarbeitete Fassung:<br />

München, 5.11. 2010 Brigitte Maas<br />

Abschlussarbeit: Brigitte Maas 50


Strukturelle Entwicklung des <strong>Ich</strong>s in sozialer Bezogenheit<br />

(Objektbeziehung)<br />

1.-3. Monat<br />

Symbiose<br />

Urvertrauen - basale Zuversicht<br />

gegründet im Körper-<strong>Ich</strong><br />

1. Lebensjahr<br />

Erfahrung der<br />

sicheren Bin<strong>du</strong>ng<br />

Das Bild des anderen ist<br />

verlässlich internalisiert,<br />

Nähe kann hergestellt<br />

und gehalten werden.<br />

2. und 3. Lebensjahr<br />

Aufbau des<br />

Autonomiesystems<br />

Entwicklung des eigenen Willens<br />

in Auseinandersetzung mit der Umwelt<br />

am Ende des 3. Lebensjahre steht<br />

nach M. Mahler ein<br />

<strong>ab</strong>gegrenztes <strong>Ich</strong><br />

anfangs noch keine Unterschei<strong>du</strong>ng von <strong>Ich</strong> und Nicht-<strong>Ich</strong><br />

Selbst und Umwelt werden atmosphärisch erfahren<br />

Entwicklungsaufg<strong>ab</strong>en:<br />

allmähliches Erleben von <strong>Ich</strong>haftigkeit über aktive, wahrnehmende<br />

und handelnde Bezogenheit<br />

sich entfaltende intentionale Ausrichtung<br />

allmähliches Entstehen von <strong>Ich</strong>-Inseln<br />

Beziehungserfahrungen <strong>du</strong>rch averbale,<br />

später verbale Kommunikationsfähigkeit<br />

wie stelle ich Beziehungen her<br />

wie reguliere ich sie<br />

sind sie verlässlich sind oder nicht<br />

wie werden Affekte, Spannung in der Beziehung reguliert<br />

( Lust / Unlust, Beruhigung / Aufregung)<br />

Selbst-Objekt-Differenzierung<br />

körperlich, später auch psychisch<br />

Errichtung von Objektrepräsentanzen<br />

„gute“ und „böse“ Anteile müssen vereint werden<br />

Errichtung von Selbstrepräsentanzen<br />

Fähigkeiten, Grenzen, Identitätserleben,<br />

Selbstwert oder Wertlosigkeit<br />

über die Spiegelung <strong>du</strong>rch das Objekt<br />

<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. Abschlussarbeit: Brigitte Maas 15. Juli 2010


Erleben von Konstanz<br />

und Kohärenz<br />

des eigenen Selbst<br />

Abgrenzung<br />

nach aussen<br />

physisch und psychisch<br />

Unterschei<strong>du</strong>ng Selbst/Objekt<br />

Kompetenzen eines starken <strong>Ich</strong>s<br />

Abgrenzung nach innen<br />

Impulskontrolle<br />

Affektregulation<br />

Funktionierendes<br />

Zusammenspiel<br />

der <strong>Ich</strong>-Funktionen<br />

in<br />

Körper<br />

und <strong>Atem</strong><br />

verankert<br />

st<strong>ab</strong>ile<br />

Realitätswahrnehmung<br />

Bewältigungskompetenzen<br />

Frustrationstoleranz<br />

Selbstwert<br />

Kompetenzgefühl halten<br />

in Übereinstimmung<br />

mit eigenen Fähigkeiten<br />

<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. Abschlussarbeit: Brigitte Maas 15. Juli 2010


Bausteine zur Strukturierung und Stärkung des <strong>Ich</strong>s in der APT<br />

Strukturniveau<br />

erkennen<br />

Nähe-Distanz<br />

Wahrnehmungslücken<br />

Gefühlsschwankungen<br />

Körpergrenzen<br />

Körperkohärenz<br />

Gegenübertragungsgefühle<br />

etc.<br />

Übertragungsrolle<br />

erkennen<br />

Gegenübertragung<br />

wahrnehmen<br />

tragfähige Beziehung<br />

ermöglichen<br />

Vertrauen und Sicherheit,<br />

Empathie,<br />

Eigenverant<strong>wo</strong>rtung und<br />

Kompetenzen stützen,<br />

Arbeitsbündnis<br />

Beziehungsarbeit<br />

Therapeut - Klient / Patient<br />

Halt Orientierung Vertrauen<br />

Ressourcen finden<br />

realer „guter Ort“ im Körper,<br />

imaginierte „gute“ Situation,<br />

stützende Bezugsperson etc.<br />

Beziehungsrahmen /<br />

Setting strukturieren<br />

Wahrnehmung ermöglichen,<br />

Halt u. Sicherheit bieten,<br />

Orientierung schaffen,<br />

Abmachungen treffen<br />

Strukturarbeit<br />

Körper- / <strong>Atem</strong>ebene<br />

Präsenz St<strong>ab</strong>ilität Identität<br />

Emotionen kontrollieren<br />

und differenzieren<br />

anbinden an/ einbetten in<br />

Empfin<strong>du</strong>ng,<br />

sich annähern/distanzieren,<br />

mögliche Übertragung<br />

erkennen<br />

Kommunizieren<br />

vorrangige<br />

Wahrnehmungsfunktion<br />

nutzen,<br />

spiegeln, würdigen,<br />

konfrontieren<br />

Widerstand als<br />

Schutz verstehen<br />

in Besitz nehmen,<br />

in Eigenverant<strong>wo</strong>rtung<br />

damit umgehen,<br />

schmelzen lassen im<br />

Wachsen der <strong>Ich</strong>-Kraft<br />

<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. Abschlussarbeit: Brigitte Maas 15. Juli 2010


Ausgangsbasis<br />

bei frühen Störungen<br />

geringe Fähigkeit der<br />

Selbstbegleitung<br />

Spaltungserscheinungen<br />

Abdriften in verwirrende,<br />

chaotische Emotionen, Gedanken<br />

bruchstückhafte<br />

Körperempfin<strong>du</strong>ng<br />

geringe<br />

Selbstregulation<br />

stark schwankendes<br />

Wohlbefinden<br />

Strukturarbeit in der <strong>Atem</strong>psychotherapie<br />

zu erlernende Kompetenzen<br />

Halten und Erweitern<br />

der Wahrnehmungsfähigkeit<br />

Anwesenheit in der konkreten<br />

gegenwärtigen Realität<br />

sich St<strong>ab</strong>ilisieren im<br />

ganzheitlichen Körperselbst<br />

Kohärenz und Identität<br />

willentliche Steuerungsfähigkeit<br />

Tonusregulation<br />

Wohlbefinden im eigenen Körper<br />

regulieren<br />

atempsychotherapeutische<br />

Interventionen<br />

<strong>du</strong>rchgehende verbale Begleitung<br />

deutliche Empfin<strong>du</strong>ngsarbeit<br />

Erfahren von Begrenzung, Halt und<br />

Verbin<strong>du</strong>ng in der Körperstruktur<br />

Orientierung im Außen- und<br />

Innenraum<br />

willentliche Koordination von<br />

Bewegungs<strong>ab</strong>läufen und <strong>Atem</strong><br />

Tonisierung der Muskulatur<br />

(Lösung nur kontrolliert)<br />

stärkende Qualitäten benennen<br />

z.B. St<strong>ab</strong>ilität, Stärke, Kraft<br />

<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong> Abschlussarbeit: Brigitte Maas 15. Juli 2010


ACHTSAMKEIT<br />

progressionsfördernd<br />

stärkt das <strong>Ich</strong><br />

Sammlung / Wahrnehmung <strong>du</strong>rch<br />

Empfin<strong>du</strong>ng<br />

strukturierte, selbstgesteuerte Bewegung<br />

Tonisierung der Muskulatur<br />

eingesetzter <strong>Atem</strong><br />

förderndes Setting:<br />

Arbeit in der Aufrechten<br />

übungszentrierte Arbeit<br />

verbale Begleitung<br />

Traditionelle pädagogische <strong>Atem</strong>therapie<br />

strukturbildend und wachstumsfördernd<br />

Differenzierung - Entfaltung - Kraft (vgl. E. Kemmann-Huber)<br />

der „mittlere <strong>Atem</strong>bewegungsraum“ als leiblicher Ort der <strong>Ich</strong>-Kraft<br />

Das <strong>Ich</strong><br />

zwischen<br />

Regression im Dienst der Progression<br />

HINGABE<br />

regressionsfördernd<br />

lässt das <strong>Ich</strong> tendenziell zurücktreten<br />

Loslassen (tonische Lösungsprozesse)<br />

Zulassen des <strong>Atem</strong>s<br />

Vertrauen in die Tiefe<br />

Integration von Schmerz, Verdrängtem...<br />

das <strong>Ich</strong> auf dem Weg zum Selbst (nach Jung)<br />

förderndes Setting:<br />

Arbeit im Liegen<br />

berührende Nähe<br />

averbales Arbeiten und Spüren<br />

<strong>Ich</strong> <strong>hole</strong> <strong>dich</strong> <strong>dort</strong> <strong>ab</strong>, <strong>wo</strong> <strong>du</strong> <strong>stehst</strong>. Abschlussarbeit: Brigitte Maas 15. Juli 2010

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