Gedenken an Dr. Ludwig Schmitt von Dr. med. K.O. ... - A temheilkunst
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<strong>Gedenken</strong> <strong>an</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. K.O. Kuppe<br />
Was ist das Besondere <strong>an</strong> einem unvergessenen Menschen? Ich habe m<strong>an</strong>chmal darüber<br />
nachgedacht, nachdem <strong>Dr</strong>. <strong>Schmitt</strong> nicht mehr auf dieser Erde weilte, als die Eigenart<br />
seines Charakters nur noch in Erinnerungsbildern lebendig blieb. Im allgemeinen macht<br />
m<strong>an</strong> heute den Erfolg, den ein Mensch in seinem Leben gehabt hat, zum Maßstab aller<br />
Dinge ― den Erfolg <strong>an</strong> materiellen Gütern, <strong>an</strong> Anerkennung, <strong>an</strong> Publikumswirkung.<br />
Aber gerade dieser Maßstab erweist sich wie bei vielen bedeutenden Menschen als<br />
unzutreffend. Sicherlich, <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> hat ein Buch hinterlassen, die A<strong>temheilkunst</strong>.<br />
Es ist auch heute noch das fundierteste und größte Werk, das wir auf diesem Gebiet<br />
besitzen. Auch die Jukunda-Werke, die er ins Leben rief, bestehen noch. Sein<br />
eigentliches Lebenswerk aber, seine Klinik, existiert nicht mehr.<br />
Seine Energie, seine unwahrscheinliche Arbeitskraft, seine Dynamik, das waren<br />
Eigenschaften, die Freunde und auch Gegner gleichermaßen <strong>an</strong>erkennen und bewundern<br />
mussten. Aber auch dieses sind Eigenschaften, die <strong>an</strong>dere Leute auch besitzen,<br />
Wissenschaftler, Soldaten, aber auch Verbrecher können solche Fähigkeiten aufweisen.<br />
Für die Beurteilung <strong>von</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> waren alle diese Tugenden bedeutsam. Aber<br />
Menschen, die ihn näher k<strong>an</strong>nten oder näher mit ihm zusammenkamen, hatten irgendwie<br />
das Gefühl, als sehe er den Dingen auf den Grund. Er hatte eine Fähigkeit, die heute so<br />
selten geworden ist, den Blick für das Wesentliche. Er legte seine Hände nicht nur auf die<br />
Akupunkturpunkte des Menschen, sondern auch auf die Meridi<strong>an</strong>e der Dinge.<br />
Erstaunlich erschien mir, als ich ihm das erste Mal begegnete, dass er die Menschen<br />
<strong>an</strong>ders betrachtete, als wir es gewohnt sind. Er registrierte nicht nach normalen<br />
Maßstäben Äußerlichkeiten und ordnete mosaikartig Auftreten, Kleidung, Haltung,<br />
Gesicht, Stimme, so wie wir es gewöhnt sind, uns ein Bild <strong>von</strong> einem Menschen zu<br />
machen. M<strong>an</strong>chmal schien er uns über den Kopf hinweg <strong>an</strong>zuschauen. Ich glaube, dass er<br />
die Aura eines Menschen sah oder empfinden konnte. Die Leser mögen mir verzeihen,<br />
wenn ich diesen Ausdruck gebrauche. Er ist in der fernöstlichen Literatur eine<br />
Selbstverständlichkeit und begegnet uns als Symbol auf altdeutschen Heiligenbildern und<br />
auf Ikonen. Nachdem die Russen heute bereits seit 10 Jahren mit der Methode der<br />
Kirli<strong>an</strong>fotografie den sog. Strahlenkörper des Menschen festhalten können, sollte es<br />
eigentlich erlaubt sein, <strong>von</strong> solchen Dingen zu sprechen.<br />
<strong>Schmitt</strong> hatte intuitiv ein Gespür für Menschen, sagte in knappen, kurzen Worten g<strong>an</strong>z<br />
Wesentliches aus. Ich hatte die. große Freude, während des 1. Internationalen<br />
Atemkongresses in Freudenstadt drei Tage l<strong>an</strong>g neben ihm zu sitzen. Seine Charakteristik<br />
über m<strong>an</strong>che Referenten, die ich k<strong>an</strong>nte, <strong>Schmitt</strong> aber nicht, waren zutreffender,<br />
plastischer und einleuchtender als der persönliche Eindruck, den ich nach l<strong>an</strong>gem<br />
Umg<strong>an</strong>g mit den Betreffenden gehabt hatte. Ich hatte das Glück, eine Zeit l<strong>an</strong>g mit einem<br />
Kollegen zusammen in seiner Klinik als Gast, Schüler und Patient gleichzeitig zu weilen.<br />
Dort hatte er ein <strong>an</strong>deres Gesicht als auf dem Rednerpult und bei Diskussionen. Die
g<strong>an</strong>ze Klinik war durchdrungen <strong>von</strong> seiner Dynamik, fast möchte ich sagen <strong>von</strong> seiner<br />
Besessenheit zu heilen. Es herrschte eine Atmosphäre <strong>von</strong> Vertrauen ― oft war auch das<br />
prof<strong>an</strong>e Wort „Glaube“ besser und zutreffender ― aber auch <strong>von</strong> Furcht vor der<br />
Massivität seiner Beh<strong>an</strong>dlung. Die Intensität seiner Atemmassage war m<strong>an</strong>chmal<br />
überwältigend!<br />
<strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> war ständig überfordert. Frühmorgens schon in seiner Sprechstunde, am<br />
Vormittag in der Klinik, mittags <strong>von</strong> 14 bis 15 Uhr war endlich eine kurze Mittagspause<br />
fällig. D<strong>an</strong>n sah er erschöpft, gebeugt und müde aus, mit großen dunklen Schatten unter<br />
den Augen. Auch seine Stimme trug nicht mehr, sie war ein wenig höher gelagert und<br />
heiser. Aber er gönnte sich keine Pause, auch nicht <strong>an</strong> Feiertagen. Er war getragen <strong>von</strong><br />
einem Sendungsbewusstsein arbeiten zu müssen, kämpfen zu müssen, heilen zu müssen.<br />
M<strong>an</strong>chmal besuchte er uns spät abends auf unserem Zimmer. D<strong>an</strong>n konnte es sein, als<br />
wenn die Last des Tages wie ein grauer M<strong>an</strong>tel <strong>von</strong> ihm abfiel. Er konnte lustig und<br />
ausgeglichen erzählen aus seiner Verg<strong>an</strong>genheit, aus seiner Kindheit, aus seinem<br />
Studium, selbst <strong>von</strong> seinen Erlebnissen aus dem KZ, <strong>von</strong> seinen politischen<br />
Ausein<strong>an</strong>dersetzungen. Das Besondere bei diesen Gesprächen waren meist irgendwelche<br />
hingeworfene Sätze, scheinbar nebensächlich, die einem l<strong>an</strong>ge beschäftigen konnten. So<br />
fragte ich ihn einmal, warum er seine Atemmassage da und dort <strong>an</strong>setze und warum<br />
gerade diese Stellen so schmerzhaft seien und doch eine tiefgreifende Wirkung hätten.<br />
„Was wollen´s denn, das sind ja alles Akupunkturpunkte!“ Diese scheinbar so<br />
nebensächliche Feststellung hat mich bisher beschäftigt und nie mehr losgelassen.<br />
So hat wohl jeder, der <strong>Schmitt</strong> näher k<strong>an</strong>nte, etwas <strong>von</strong> ihm in seinen Alltag<br />
richtungweisend mit hineingenommen. Seine Therapie ― und das war wohl das<br />
Entscheidende ― das alle seine Kr<strong>an</strong>ken spürten, obwohl er nie darüber redete ― war so<br />
ver<strong>an</strong>lagt, dass er niemals nur eine Kr<strong>an</strong>kheit beh<strong>an</strong>delte. Irgendwie versuchte er die<br />
Menschen zu etwas hin zu entwickeln, sie <strong>an</strong>ders werden zu lassen als sie vor der<br />
Erkr<strong>an</strong>kung gewesen waren.<br />
Auf dem I. Internationalen Atemkongress in Freudenstadt haben gut 500 Teilnehmer<br />
erlebt, dass seine Zwischenbemerkungen zu den Vorträgen m<strong>an</strong>chmal wesentlicher und<br />
bedeutungsvoller waren als das, was der Redner vermitteln konnte. Übrigens war das der<br />
erste und einzige internationale große Kongress, der nicht mit einer Resolution abschloss,<br />
sondern mit einem Gebet.<br />
Alles trifft auf <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> zu. Er war ein Außenseiter, ein Einsamer, ein<br />
Gerechtigkeitsf<strong>an</strong>atiker, ein Dynamiker, ein Kämpfer, kompromisslos arbeitend, aber<br />
auch tyr<strong>an</strong>nisch dominierend, dabei in seiner Seele plastisch, weit und toler<strong>an</strong>t. Irgendwo<br />
war er aber auch ein Magier, ein Weiser, ein Schauender. Für ihn war die Welt nicht<br />
zweigeteilt in ein Diesseits und ein unerforschtes, undefinierbares Jenseits. Für ihn lebte<br />
in der Materie auch der Geist. Er k<strong>an</strong>nte die Berührungspunkte <strong>von</strong> oben und unten, <strong>von</strong><br />
außen und <strong>von</strong> innen. Für ihn war das Leben eine flutende Welle, eine Schwingung <strong>von</strong>
Yin und Y<strong>an</strong>g, ein Mikrokosmos im Makrokosmos. In ihm war eine Fülle, die sich<br />
verströmen musste, aber auch ein Wissen um die Geheimnisse des Lebens, ohne darüber<br />
zu reden. Das fühlten instinktiv alle, die ihm begegneten, ob sie ihn verehrten oder<br />
bewunderten, fürchteten oder verfolgten. Sie spürten das Außergewöhnliche, das<br />
Besondere. Gerade wohl, weil das Wesen <strong>von</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> so weit und so flutend<br />
war, hatte er den <strong>Dr</strong><strong>an</strong>g nach einem festen Boden, nach einer wissenschaftlichen<br />
Betrachtung des Atems. In keinem Atembuch finden Sie so viel Anatomie, so viel<br />
Physiologie, so viel exakte Wissenschaft verarbeitet wie in seiner A<strong>temheilkunst</strong>. Aber<br />
diese Wissenschaft war für ihn nur die Basis, um darüber hinaus in <strong>an</strong>dere Dimensionen<br />
vorzustoßen. „Die Atemlehre hat drei Seiten. Sie können diese Atemwelt <strong>von</strong> jeder dieser<br />
Seiten <strong>an</strong>schauen. Das ist die religiöse, das ist die magische, und das ist die<br />
wissenschaftliche Seite. Von welchem St<strong>an</strong>dpunkt aus Sie sie auch <strong>an</strong>schauen, ist jedem<br />
<strong>von</strong> Ihnen überlassen. Auch der Satz: „Begeisterung ist Schwäche. Jede Begeisterung ist<br />
verschleuderte Kraft. Dagegen gibt es etwas g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deres, was in der Atemwelt eine<br />
Rolle spielt, mit Begeisterung nichts zu tun hat und, was ich hier nur <strong>an</strong>deuten k<strong>an</strong>n, die<br />
sogen<strong>an</strong>nte Ekstase. Sie führt hinein in die Meditation. Bis hierher können wir uns<br />
unterhalten, <strong>von</strong> da <strong>an</strong> geht der Weg des einzelnen allein.“<br />
Für <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> war das Entscheidende, dass mit dem Atem Wertungsänderungen<br />
gesetzt werden in der Struktur des einzelnen bis hinein in das Fundament menschlicher<br />
Gemeinschaften. Aber <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> hat niemals eine Doktrin aufgestellt, niemals<br />
einen bestimmten Weg für richtig gehalten. Das hätte seiner inneren Toler<strong>an</strong>z<br />
widerstrebt. „Deswegen auch die Vielfalt der Schulen. Und es wäre ein Unsinn zu sagen,<br />
diese Schule hat mehr Recht oder jene Schule hat mehr Recht. Jeder hat etwas Recht und<br />
keiner <strong>von</strong> uns ist vollkommen. Darum hat keiner vollkommen recht. Und die Atemwelt<br />
umfasst dreierlei, das ist die Praxis, das ist die Wissenschaft und das ist die religiöse<br />
Seite.“<br />
Ich möchte <strong>an</strong> <strong>Ludwig</strong> <strong>Schmitt</strong> zurückdenken mit einigen Zeilen aus dem Gebet <strong>von</strong><br />
Reinhold Joh<strong>an</strong>n Sorge, das er zum Abschluss des Atemkongresses las:<br />
Die sich dem Atem schenken,<br />
denen schenkt sich der Geist.<br />
Er tut sie alle inein<strong>an</strong>der.<br />
Hörst Du den Wind da draußen?<br />
Du weißt nicht, <strong>von</strong> w<strong>an</strong>nen er kommt und wohin er geht.<br />
So ist es mit dem Geist, dem Pneuma.