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2001 reifte die Erkenntnis, dass er 20 Kilo zu viel mit ... - Michael Nehls

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14<br />

race across am<strong>er</strong>ica<br />

Doktorarbeit<br />

Das Race Across Am<strong>er</strong>ika ist das längste und härteste Einzelzeitfahren d<strong>er</strong><br />

Welt: knapp 5.000 <strong>Kilo</strong>met<strong>er</strong> qu<strong>er</strong> üb<strong>er</strong> den Kontinent in maximal zwölf Tagen.<br />

D<strong>er</strong> Freiburg<strong>er</strong> Molekulargenetik<strong>er</strong> <strong>Michael</strong> <strong>Nehls</strong> <strong>er</strong>füllte sich einen Lebenstraum und<br />

stellte sich d<strong>er</strong> H<strong>er</strong>ausford<strong>er</strong>ung – <strong>mit</strong> ein<strong>er</strong> ausgeklügelten Strategie<br />

tour 9|<strong>20</strong>08<br />

Marlboro-Country:<br />

Am dritten Tag des Rennens<br />

durchqu<strong>er</strong>t <strong>Michael</strong> <strong>Nehls</strong> das<br />

Monument Valley in Arizona<br />

9|<strong>20</strong>08 tour<br />

15


ace across am<strong>er</strong>ica<br />

Rundumv<strong>er</strong>sorgung: Wenn <strong>Michael</strong> <strong>Nehls</strong> vom Rad steigt, kümm<strong>er</strong>n sich Teamarzt <strong>Michael</strong> Birling, Physioth<strong>er</strong>apeutin Annette Ell<strong>er</strong> und Ehefrau Sabine um ihn Zwischenmahlzeit: Zu mehr als 80 Prozent <strong>er</strong>nährt sich <strong>Nehls</strong> flüssig – sonst isst <strong>er</strong> hauptsächlich Obst<br />

Klett<strong>er</strong>arbeit: In den Rockies geht es üb<strong>er</strong> mehr<strong>er</strong>e 3.000 Met<strong>er</strong> hohe Pässe<br />

text & Fotos Uwe Geißl<strong>er</strong> Knieprobleme machten das Ziel <strong>zu</strong>nichte. Erst als <strong>er</strong> vor<br />

sieben Jahren den Radsport entdeckte, <strong>er</strong>wachte <strong>er</strong>neut<br />

Erschöpfung, Halluzinationen, wunde Hint<strong>er</strong>n,<br />

geschwollene Füße, taube Hände, streikende<br />

Nackenmuskeln; od<strong>er</strong> Unfälle wegen Sekundenschlaf.<br />

Diese Phänomene tauchen in allen<br />

Schild<strong>er</strong>ungen von Teilnehm<strong>er</strong>n des Race Across<br />

Am<strong>er</strong>ica (RAAM) seit sein<strong>er</strong> Premi<strong>er</strong>e vor 27 Jahren auf.<br />

W<strong>er</strong> sich als Einzelfahr<strong>er</strong> an den Start des 3.000 Meilen<br />

langen Rennens <strong>mit</strong> 30.000 Höhenmet<strong>er</strong>n von d<strong>er</strong> US-<br />

Westküste an <strong>die</strong> Ostküste wagt, muss sich unendlich<br />

quälen. So <strong>die</strong> allgemeine Üb<strong>er</strong>zeugung.<br />

D<strong>er</strong> Freiburg<strong>er</strong> <strong>Michael</strong> <strong>Nehls</strong> ist and<strong>er</strong><strong>er</strong> Meinung.<br />

Er glaubt, <strong>dass</strong> ein gut traini<strong>er</strong>t<strong>er</strong> Hobbyradl<strong>er</strong> <strong>mit</strong> dem<br />

richtigen Konzept und mental<strong>er</strong> Stärke das Rennen auch<br />

ohne gesundheitliche Probleme bestehen kann. Im Juni<br />

trat <strong>er</strong> den Beweis an.<br />

„Ich wollte schon als Kind und Jugendlich<strong>er</strong> imm<strong>er</strong><br />

so weit laufen, wie meine Füße tragen“, <strong>er</strong>läut<strong>er</strong>t d<strong>er</strong><br />

45-jährige Familienvat<strong>er</strong> seine Motivation. „Mein <strong>er</strong>st<strong>er</strong><br />

Wettkampf war gleich ein Marathon.“ Seine Bestzeit steht<br />

bei 2:39 Stunden, doch das liegt 24 Jahre <strong>zu</strong>rück. <strong>Nehls</strong>’<br />

Jugend traum war <strong>die</strong> Teilnahme an Olympischen Spielen,<br />

d<strong>er</strong> alte Wunsch, Grenzen aus<strong>zu</strong>loten. „Das Race Across<br />

Am<strong>er</strong>ica sollte <strong>zu</strong> meinen Olympischen Spielen w<strong>er</strong>den.“<br />

Ehrgeiz zeichnet <strong>Nehls</strong> grundsätzlich aus: Abitur<br />

und Medizinstudium beendete <strong>er</strong> <strong>mit</strong> „Sehr gut“, <strong>er</strong><br />

habiliti<strong>er</strong>te in Molekulargenetik und machte Karri<strong>er</strong>e in<br />

am<strong>er</strong>ikanischen und deutschen Unt<strong>er</strong>nehmen. Bei einem<br />

Geschäftsessen <strong>mit</strong> einem üb<strong>er</strong>gewichtigen Am<strong>er</strong>ikan<strong>er</strong><br />

<strong><strong>20</strong>01</strong> <strong>reifte</strong> <strong>die</strong> <strong>Erkenntnis</strong>, <strong>dass</strong> <strong>er</strong><br />

<strong>20</strong> <strong>Kilo</strong> <strong>zu</strong> <strong>viel</strong> <strong>mit</strong> sich h<strong>er</strong>umschleppt<br />

und dringend Sport treiben muss<br />

<strong>reifte</strong> <strong><strong>20</strong>01</strong> <strong>die</strong> <strong>Erkenntnis</strong>, <strong>dass</strong> auch <strong>er</strong> <strong>mit</strong>tl<strong>er</strong>weile<br />

<strong>20</strong> <strong>Kilo</strong> <strong>zu</strong> <strong>viel</strong> wog. Er kaufte sich ein Rennrad und<br />

begann <strong>zu</strong> traini<strong>er</strong>en. Nach einigen Radmarathons und<br />

unzähligen Trainingseinheiten auf dem Hometrain<strong>er</strong> vor<br />

und nach d<strong>er</strong> Arbeit peilte <strong>Nehls</strong> schließlich <strong>die</strong> Qualifikation<br />

<strong>zu</strong>m RAAM an, <strong>die</strong> <strong>er</strong> im Juni <strong>20</strong>05 schaffte.<br />

Drei Jahre b<strong>er</strong>eitet <strong>er</strong> sich intensiv auf <strong>die</strong> Teilnahme<br />

vor: Er stellt einen Trainingsplan auf und traini<strong>er</strong>t im<br />

Durchschnitt <strong>20</strong> Stunden pro Woche – in den letzten acht<br />

Monaten manchmal sogar bis <strong>zu</strong> 40 Stunden. <strong>Nehls</strong> liest<br />

alles, was <strong>er</strong> üb<strong>er</strong> das Rennen finden kann und analysi<strong>er</strong>t,<br />

wie in ein<strong>er</strong> Forschungsarbeit, alle Gründe, warum Teilnehm<strong>er</strong><br />

bish<strong>er</strong> am RAAM gescheit<strong>er</strong>t sind.<br />

Dann steht <strong>er</strong> schließlich <strong>mit</strong> 26 and<strong>er</strong>en Solo-Start<strong>er</strong>n<br />

unt<strong>er</strong> dem Startbogen in Oceanside, Kalifornien. Acht<br />

Team<strong>mit</strong>glied<strong>er</strong> begleiten ihn, darunt<strong>er</strong> seine Frau Sabine,<br />

zwei Teamchefs, ein Arzt und eine Physioth<strong>er</strong>apeutin. Vor<br />

ihnen liegen 4.822 <strong>Kilo</strong>met<strong>er</strong> in maximal zwölf Tagen.<br />

<strong>Nehls</strong> hat das Rennen, vorbei an 54 Zeitmess-Stationen,<br />

b<strong>er</strong>eits vor Monaten in ein<strong>er</strong> Excel-Tabelle genau geplant.<br />

D<strong>er</strong> Start ist um 12 Uhr Mittag, <strong>die</strong> <strong>er</strong>ste Nacht möchte <strong>er</strong><br />

durchfahren. Bis <strong>zu</strong>m <strong>er</strong>sten Schlaf-Stopp soll es vom<br />

Pazifik üb<strong>er</strong> das Küstengebirge und durch <strong>die</strong> 40 Grad<br />

heiße Wüste nach Flagstaff in Arizona gehen – rund 780<br />

<strong>Kilo</strong>met<strong>er</strong> <strong>mit</strong> knapp 3.500 Höhen met<strong>er</strong>n. Die Zimm<strong>er</strong><br />

sind vorgebucht, gegen 22 Uhr möchte <strong>er</strong> einchecken.<br />

Flagstaff <strong>er</strong>reicht <strong>Nehls</strong> <strong>mit</strong> and<strong>er</strong>thalb Stunden<br />

V<strong>er</strong>spätung – auch wegen ein<strong>er</strong> leichten Magen-Darm-<br />

Infektion, <strong>die</strong> <strong>er</strong> sich durch einen schlechten Burrito<br />

in einem Schnellrestaurant am Abend vor dem Start<br />

16 tour 9|<strong>20</strong>08<br />

9|<strong>20</strong>08 tour 17


ace across am<strong>er</strong>ica<br />

Natur<strong>er</strong>lebnis: Die Sonnenaufgänge ˆ wie hi<strong>er</strong> in New Mexico - sind das Highlight des Tages. Auf den schnurg<strong>er</strong>aden Straßen ist mentale Stärke gefragt<br />

eingefangen hat. Sein Puls ist <strong>er</strong>höht, und <strong>er</strong> leidet unt<strong>er</strong><br />

Durchfall. Ab<strong>er</strong> das Rennen läuft nicht schlecht: Von nun<br />

an will <strong>er</strong> jeden Tag 450 <strong>Kilo</strong>met<strong>er</strong> schaffen.<br />

Die Routine d<strong>er</strong> nächsten acht Tage beginnt: <strong>Nehls</strong><br />

und sein Team schlafen im Motel, d<strong>er</strong> Weck<strong>er</strong> klingelt<br />

zwischen vi<strong>er</strong> und sechs Uhr morgens. Teamarzt Dr.<br />

<strong>Michael</strong> Birling <strong>er</strong>hält von seinem Schützling eine Urinprobe<br />

und nimmt Blut für <strong>die</strong> freiwillige Dopingkontrolle<br />

ab. Die Proben w<strong>er</strong>den eingefroren und sollen spät<strong>er</strong><br />

in Deutschland beweisen, <strong>dass</strong> <strong>er</strong> seine Leistung ohne<br />

v<strong>er</strong>botene Substanzen <strong>er</strong>zielt hat.<br />

<strong>Nehls</strong> sitzt jeden Tag 15 bis 16 Stunden im Sattel.<br />

Nach<strong>mit</strong>tags stoppt <strong>er</strong> am Wohnmobil und pausi<strong>er</strong>t eine<br />

inFo RAAM<br />

Das Race Across Am<strong>er</strong>ica wird seit 1982<br />

jedes Jahr von d<strong>er</strong> Westküste an <strong>die</strong><br />

Ostküste ausgetragen. Um in d<strong>er</strong> Solo-<br />

Kategorie antreten <strong>zu</strong> können, muss man<br />

sich bei speziellen Langstreckenrennen<br />

(RAAM-Qualifi<strong>er</strong>) in den USA od<strong>er</strong> in<br />

Europa qualifizi<strong>er</strong>en<br />

(www.ultracycling.com). Auß<strong>er</strong> als Solist<br />

kann man auch in einem Zwei<strong>er</strong>-, Vi<strong>er</strong><strong>er</strong>-<br />

od<strong>er</strong> Acht<strong>er</strong>-Team am RAAM teilnehmen.<br />

<strong>20</strong>08 gingen insgesamt 250 Männ<strong>er</strong> und<br />

Frauen aus 17 Länd<strong>er</strong>n an den Start –<br />

27 als Solisten, 17 <strong>er</strong>reichten das Ziel im<br />

Zeitli<strong>mit</strong>. Sieg<strong>er</strong> wurde, <strong>zu</strong>m vi<strong>er</strong>ten Mal in<br />

Folge, d<strong>er</strong> 43-jährige Slowene Jure Robic.<br />

Er benötigte für <strong>die</strong> 4.822 <strong>Kilo</strong>met<strong>er</strong><br />

8 Tage, 23 Stunden und 33 Minuten.<br />

Inklusive all<strong>er</strong> Pausen entspricht das<br />

ein<strong>er</strong> Durchschnittsgeschwindigkeit<br />

von knapp 21 km/h. Weit<strong>er</strong>e Infos:<br />

www.raceacrossam<strong>er</strong>ica.org<br />

bis and<strong>er</strong>thalb Stunden. Er duscht, wird leicht massi<strong>er</strong>t,<br />

schläft rund <strong>20</strong> Minuten. Nach dem Essen fährt <strong>er</strong> frisch<br />

gekleidet und eingecremt weit<strong>er</strong>.<br />

<strong>Nehls</strong> orienti<strong>er</strong>t sich strikt an seinem SRM-Comput<strong>er</strong>,<br />

d<strong>er</strong> ihm seine Tretleistung anzeigt. Seine individuelle ana<strong>er</strong>obe<br />

Schwelle liegt zwischen 310 und 3<strong>20</strong> Watt, <strong>er</strong> peilt<br />

durchschnittliche 140 Watt an. Das bedeutet 1<strong>20</strong> bis 150<br />

Watt in d<strong>er</strong> Ebene und 2<strong>20</strong> bis 280 Watt in den Anstiegen.<br />

Da<strong>mit</strong> kommt <strong>er</strong> auf ein Durchschnittstempo von knapp<br />

28 km/h. Die meisten sein<strong>er</strong> direkten Konkurrenten<br />

haben ein and<strong>er</strong>es Konzept: Sie fahren langsam<strong>er</strong>, ab<strong>er</strong><br />

deutlich läng<strong>er</strong> als <strong>Nehls</strong>. In den <strong>er</strong>sten Tagen üb<strong>er</strong>holt <strong>er</strong><br />

imm<strong>er</strong> wied<strong>er</strong> <strong>die</strong> gleichen Fahr<strong>er</strong>. Da sie nachts kürz<strong>er</strong><br />

pausi<strong>er</strong>en, sind sie am nächsten Morgen wied<strong>er</strong> vor ihm,<br />

und das Spiel beginnt von vorne. Auf <strong>Nehls</strong> wirken <strong>die</strong><br />

Üb<strong>er</strong>holmanöv<strong>er</strong> positiv: „Es motivi<strong>er</strong>t, wenn man sieht,<br />

<strong>dass</strong> man schnell<strong>er</strong> ist“, sagt <strong>er</strong>. Die mangelnde Regen<strong>er</strong>ation<br />

kann <strong>er</strong> seinen Mitstreit<strong>er</strong>n ansehen.<br />

D<strong>er</strong> Engländ<strong>er</strong> Daniel Rudge <strong>zu</strong>m Beispiel bekommt<br />

b<strong>er</strong>eits am vi<strong>er</strong>ten Renntag Probleme <strong>mit</strong> sein<strong>er</strong> Nackenmuskulatur.<br />

Mit einem Rohrgestell auf dem Rücken, das<br />

<strong>mit</strong> dem Helm v<strong>er</strong>bunden ist, quält <strong>er</strong> sich noch einige<br />

Tage, bis <strong>er</strong> aufgeben muss. And<strong>er</strong>e Fahr<strong>er</strong> bezahlen<br />

Schlafent<strong>zu</strong>g <strong>mit</strong> Stürzen. So scheidet d<strong>er</strong> Öst<strong>er</strong>reich<strong>er</strong><br />

G<strong>er</strong>hard Gulewicz in aussichtsreich<strong>er</strong> Position auf den<br />

Gesamtsieg aus. Sein Landsmann Franz Preihs bricht sich<br />

das Schlüsselbein, kann das Rennen ab<strong>er</strong> beenden.<br />

Für <strong>Nehls</strong> ist <strong>die</strong> Platzi<strong>er</strong>ung nebensächlich. Er möchte<br />

gesund und im Zeitli<strong>mit</strong> <strong>die</strong> Ostküste <strong>er</strong>reichen. Eis<strong>er</strong>n<br />

hält <strong>er</strong> sich an seine selbst gesetzten Vorgaben: Alle paar<br />

Minuten greift <strong>er</strong> <strong>zu</strong> ein<strong>er</strong> d<strong>er</strong> beiden Trinkflaschen. Eine<br />

enthält Basis<strong>er</strong>nährung <strong>mit</strong> komplexen Kohlenhydraten<br />

und Proteinen, <strong>die</strong> and<strong>er</strong>e ein Elektrolytgetränk od<strong>er</strong><br />

And<strong>er</strong>e Fahr<strong>er</strong> bezahlen<br />

üb<strong>er</strong>mäßigen Schlafent<strong>zu</strong>g<br />

<strong>mit</strong> einem Sturz<br />

einfach Min<strong>er</strong>alwass<strong>er</strong> <strong>mit</strong> ein<strong>er</strong> Salzmischung. Elf bis<br />

17 Lit<strong>er</strong> Flüssigkeit saugt <strong>er</strong> im Laufe eines Tages in sich<br />

hinein. Um genügend Vitamine und Anti oxidantien<br />

auf<strong>zu</strong>nehmen, trinkt <strong>er</strong> <strong>zu</strong>dem frisch gepresste Obst- und<br />

Gemüsesäfte und isst stark wass<strong>er</strong>haltige Früchte wie<br />

Melonen und Orangen – weit<strong>er</strong>e zwei bis drei Lit<strong>er</strong><br />

Flüssigkeit. Seinen täglichen Bedarf an En<strong>er</strong>gie beziff<strong>er</strong>t<br />

<strong>Nehls</strong> auf etwa 11.500 Kalorien. Mehr als 80 Prozent davon<br />

nimmt <strong>er</strong> flüssig <strong>zu</strong> sich. Sein Arzt gibt ihm während<br />

des Rennens nur ein einziges Medikament – ein Antihistaminikum<br />

gegen eine Gräs<strong>er</strong>pollen-All<strong>er</strong>gie.<br />

Das team ist geford<strong>er</strong>t<br />

So kämpft sich <strong>Nehls</strong> <strong>mit</strong> 705.296 Kurbelumdrehungen<br />

(laut SRM-Comput<strong>er</strong>) durch 15 am<strong>er</strong>ikanische Bundesstaaten.<br />

Er radelt durch grandiose Landschaften: Nach<br />

d<strong>er</strong> Wüste in Kalifornien geht es durch das Monument<br />

Valley und das Hügelland d<strong>er</strong> Navajo-Indian<strong>er</strong>. Es folgen<br />

<strong>die</strong> Rocky Mountains <strong>mit</strong> 3.000 Met<strong>er</strong> hohen Pässen,<br />

bevor es in <strong>die</strong> Steppen- und Graslandschaft von New<br />

Mexico, Okla homa und Kansas geht. Er üb<strong>er</strong>qu<strong>er</strong>t den<br />

Mississippi und fährt <strong>zu</strong>letzt durch <strong>die</strong> Appalachen <strong>mit</strong><br />

ihren giftigen Anstiegen. Das Wett<strong>er</strong> ist auf sein<strong>er</strong> Seite:<br />

Es üb<strong>er</strong>wiegen westliche (Rücken-)Winde, und es regnet<br />

keinen Tropfen.<br />

Natürlich durchfährt <strong>Nehls</strong> auch Tiefpunkte: eine<br />

Un t<strong>er</strong> kühlung nach den schw<strong>er</strong>en Rocky-Mountains-<br />

Pässen, Highways <strong>mit</strong> Monst<strong>er</strong>trucks, stark<strong>er</strong> Gegenwind<br />

in Kansas – und <strong>die</strong> Gefahr von Sekundenschlaf in d<strong>er</strong><br />

letzten Nacht, als <strong>er</strong> sich entscheidet, <strong>zu</strong>gunsten d<strong>er</strong><br />

Platzi<strong>er</strong>ung eine Üb<strong>er</strong>nachtung ausfallen <strong>zu</strong> lassen. „Ans<br />

Ad<strong>er</strong>lass: <strong>Nehls</strong> möchte beweisen, <strong>dass</strong> <strong>er</strong> seine Leistung saub<strong>er</strong> <strong>er</strong>zielt<br />

18 tour 9|<strong>20</strong>08<br />

9|<strong>20</strong>08 tour 19


<strong>20</strong><br />

race across am<strong>er</strong>ica<br />

Triumph: Nach 10 Tagen, 22 Stunden und 56 Minuten hat <strong>Nehls</strong> den am<strong>er</strong>ikanischen Kontinent durchqu<strong>er</strong>t und <strong>er</strong>füllt sich da<strong>mit</strong> einen Lebenstraum<br />

Zur P<strong>er</strong>son Aufgeben habe ich nie gedacht“, sagt <strong>er</strong>.<br />

Und fügt hin<strong>zu</strong>: „Ab<strong>er</strong> ich habe meinem<br />

Dr. <strong>Michael</strong> <strong>Nehls</strong> ist 45 Jahre, Team sehr <strong>viel</strong> <strong>zu</strong> v<strong>er</strong>danken.“<br />

v<strong>er</strong>heiratet und hat drei Kind<strong>er</strong>. In d<strong>er</strong> Tat haben sich alle Begleit<strong>er</strong><br />

Nach dem Medizinstudium bekam dem Ziel, rechtzeitig in Annapolis an<strong>zu</strong>-<br />

<strong>er</strong> ein Stipendium in den USA. Er kommen, bedingungslos unt<strong>er</strong>geordnet.<br />

habiliti<strong>er</strong>te in Molekulargenetik Die Crew im Begleitauto muss <strong>Nehls</strong> nicht<br />

und arbeitete für Unt<strong>er</strong>nehmen nur üb<strong>er</strong> <strong>die</strong> ganze Strecke im Abstand<br />

in den USA und Deutschland. Bis wenig<strong>er</strong> Met<strong>er</strong> folgen – sie v<strong>er</strong>sorgt ihn<br />

Juli <strong>20</strong>07 war <strong>er</strong> Vorstandsvor- laufend <strong>mit</strong> Getränken, reicht Obst, hält<br />

sitzend<strong>er</strong> ein<strong>er</strong> Biotech-Firma in Kleidung b<strong>er</strong>eit. Da <strong>die</strong> Rennstrecke nicht<br />

Martinsried bei München. Heute beschild<strong>er</strong>t ist, blicken <strong>die</strong> Beifahr<strong>er</strong> stän-<br />

arbeitet <strong>er</strong> selbständig als Unt<strong>er</strong>dig auf das GPS-G<strong>er</strong>ät und haken weit<br />

nehm<strong>er</strong>, B<strong>er</strong>at<strong>er</strong> und Autor. mehr als tausend Wegpunkte im Roadbook<br />

ab – imm<strong>er</strong> in d<strong>er</strong> Angst, durch einen<br />

Fehl<strong>er</strong> dem Rennfahr<strong>er</strong> unnötige <strong>Kilo</strong>met<strong>er</strong><br />

<strong>zu</strong><strong>zu</strong>muten und Zeit <strong>zu</strong> stehlen. Richtungshinweise,<br />

motivi<strong>er</strong>ende Worte od<strong>er</strong> Warnungen (<strong>zu</strong>m Beispiel vor<br />

Hunden am Straßenrand) gibt <strong>die</strong> Crew via Mikrofon<br />

und Außenlautsprech<strong>er</strong> weit<strong>er</strong>.<br />

Für <strong>die</strong> Mannschaft im Wohnmobil ist das RAAM<br />

keine Urlaubsreise: Sie muss einkaufen, Essen machen,<br />

Radklamotten waschen, Abwass<strong>er</strong>tanks entle<strong>er</strong>en,<br />

Motelzimm<strong>er</strong> buchen und rechtzeitig an den v<strong>er</strong>einbarten<br />

Treffpunkten sein. Die Autofahr<strong>er</strong> stehen unt<strong>er</strong><br />

Dau<strong>er</strong>stress: Fehl<strong>er</strong> im Straßenv<strong>er</strong>kehr od<strong>er</strong> Reglement-<br />

V<strong>er</strong>stöße w<strong>er</strong>den <strong>mit</strong> Zeitstrafen für den Athleten geahndet,<br />

<strong>die</strong> <strong>er</strong> kurz vor dem Ziel absitzen muss. Bei sechs<br />

Strafen (zwei fing sich das Team b<strong>er</strong>eits in den <strong>er</strong>sten<br />

zwölf Stunden ein) wird d<strong>er</strong> Fahr<strong>er</strong> disqualifizi<strong>er</strong>t.<br />

Wenn <strong>Nehls</strong> Pause macht – geht es für <strong>die</strong> Crew<br />

weit<strong>er</strong>: Die Physioth<strong>er</strong>apeutin behandelt, das Rad muss<br />

tour 9|<strong>20</strong>08<br />

durchgecheckt und gewartet, SRM-Daten gespeich<strong>er</strong>t<br />

und das Begleitfahrzeug neu ausgestattet w<strong>er</strong>den. Müdigkeit<br />

und Erschöpfung sind allen Begleit<strong>er</strong>n im Ziel ins<br />

Gesicht geschrieben. Nachts haben <strong>die</strong> Crew<strong>mit</strong>glied<strong>er</strong><br />

selten läng<strong>er</strong> als vi<strong>er</strong> Stunden geschlafen. Jed<strong>er</strong> einzelne<br />

hat mehr Gewicht v<strong>er</strong>loren als d<strong>er</strong> Rennfahr<strong>er</strong> selbst.<br />

Teamchef Horst Haub<strong>er</strong>: „So etwas macht man nur<br />

einmal im Leben.“<br />

Nach 10 Tagen, 22 Stunden und 56 Minuten belegt<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Nehls</strong> schließlich den siebten Gesamtplatz. Seine<br />

Planung und das <strong>20</strong>.000 Euro teu<strong>er</strong>e Unt<strong>er</strong>nehmen sind<br />

aufgegangen. „Mit 45 Stunden hat <strong>er</strong> einen neuen RAAM-<br />

Rekord für den meisten Schlaf aufgestellt“, schreibt<br />

RAAM-Vet<strong>er</strong>an und -Report<strong>er</strong> Danny Chew auf d<strong>er</strong><br />

Homepage des Rennens. „Für mich war Doktor <strong>Nehls</strong><br />

auf d<strong>er</strong> Strecke d<strong>er</strong> munt<strong>er</strong>ste und glücklichste Solo-<br />

Fahr<strong>er</strong> von allen.“ n<br />

Hilfskräfte: Das Team arbeitet bis <strong>zu</strong>r totalen Erschöpfung

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