Wittig-imprimatur 1..536
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§ 14. Betrug 139<br />
liegt. Es kommt also nicht darauf an, ob G gegenüber seinem Vertragspartner<br />
Y eine betrugsspezifische Garantenpflicht obliegt.<br />
Die Garantenpflicht kann sich – in Anlehnung an die hergebrachte<br />
formelle Rechtspflichttheorie (Rengier, BTI,§ 13 Rn. 28; zur formellen<br />
Rechtspflichttheorie BGHSt 19, 167, 168; krit. z.B. Roxin, AT II,<br />
§ 32 Rn. 10 ff.) – aus Gesetz, Ingerenz und Vertrag und ausnahmsweise<br />
aus Treu und Glauben ergeben.<br />
– Gesetz: z.B. für Empfänger von Sozialleistungen aller Art aus<br />
§ 60 I 1 Nr. 2 SGB I; für den Versicherungsnehmer aus §§ 19 I, 23<br />
II, III VVG; für den anmeldepflichtigen Arbeitgeber aus § 28 a I<br />
SGB IV; für den Beauftragten aus § 666 BGB (Auskunftspflicht<br />
des Beauftragten) (LK/Tiedemann, § 263 Rn. 57ff.; MüKo/Hefendehl,<br />
§ 263 Rn. 149 ff.; SSW/Satzger, § 263 Rn. 5 f.).<br />
Beispiele: (1) A hatte als Inhaber einer Restaurantkette von der Bundesanstalt<br />
für Arbeit Eingliederungshilfe für einen Arbeitnehmer erhalten, der<br />
zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Betrieb des A beschäftigt war. Obwohl<br />
A dies der Bundesanstalt mitteilte, leistete die Behörde irrtümlich weiter,<br />
ohne dass A sie darauf hinwies. Nach OLG München NStZ 2009, 156<br />
(hierzu Hecker, JuS 2010, 266) kommt hier eine Strafbarkeit wegen Betrugs<br />
durch Unterlassen in Betracht. Die erforderliche Garantenpflicht ergibt<br />
sich aus § 60 I Nr. 2 SGB I, wonach Änderungen in den Verhältnissen, die<br />
für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen sind. Umfassend<br />
zu sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten und Sozial(leistungs)betrug<br />
Bringewat, NStZ 2011, 131.<br />
(2) Nach § 28 a SGB IV hat jeder Arbeitgeber eine Meldepflicht gegenüber<br />
der Einzugsstelle für Sozialversicherungsbeiträge. Er muss deshalb für jeden<br />
in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung oder nach dem<br />
Recht der Arbeitsförderung kraft Gesetzes Versicherten bei Beginn der<br />
versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 28 a I 1 Nr. 1 SGB IV), bei<br />
Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 28 a I 1 Nr. 2 SGB IV)<br />
oder bei Änderungen in der Beitragspflicht (§ 28 a I 1 Nr. 5 SGB IV) eine<br />
Meldung abgeben. Aus diesen sozialversicherungsrechtlichen Pflichten resultiert<br />
eine strafrechtliche Garantenstellung. Beschäftigt der Arbeitgeber<br />
also Personen, ohne diese Beschäftigungsverhältnisse dem Sozialversicherungsträger<br />
mitzuteilen, täuscht er durch Unterlassen und macht sich ggf.<br />
gem. §§ 263, 13 StGB strafbar. Zum Irrtum vgl. Rn. 49, zum Verhältnis zu<br />
§ 266 a StGB vgl. § 22 Rn. 67. Zum Beitragsbetrug vgl. auch Tiedemann,<br />
BT, Rn. 557.<br />
Hinweis: Umstritten ist, ob § 138 ZPO, der die Wahrheitspflicht der Parteien<br />
im Zivilprozess normiert, eine betrugsspezifische Garantenpflicht begründet<br />
(so OLG Zweibrücken NJW 1983, 694; dagegen LK/Tiedemann,<br />
§ 263 Rn. 58; SSW/Satzger, § 263 Rn. 52 jew. m.w.N.).<br />
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140 4. Kapitel. Der Besondere Teil des Wirtschaftsstrafrechts (StGB)<br />
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– Ingerenz (= gefährdendes pflichtwidriges Vorverhalten; OLG<br />
Stuttgart NJW 1969, 1975; Mitsch, BT II/1, § 7 Rn. 31; NK/Kindhäuser,<br />
§ 263 Rn. 155). Das ist der Fall, wenn der Täter (unerlaubt)<br />
eine Irrtumsgefahr geschaffen hat. Relevante Fallgruppen sind erstens<br />
der Verzicht auf eine Richtigstellung einer zunächst gutgläubig,<br />
aber fahrlässig abgegebenen unwahren Behauptung, deren Unwahrheit<br />
der Täter später erkennt, zweitens das nachträgliche<br />
betrügerische Ausnutzen einer bewusst unwahren Behauptung,<br />
die aber ohne Schädigungsvorsatz oder Bereicherungsabsicht aufgestellt<br />
wurde (SSW/Satzger, § 263 Rn. 54).<br />
Beispiel: A bewarb ein Branchenverzeichnis mit rechnungsähnlichen Angebotsschreiben.<br />
Er hatte zum Zeitpunkt der Versendung der Schreiben<br />
noch die Absicht, das Branchenverzeichnis herauszugeben, so dass kein<br />
Betrug (Insertionsoffertenbetrug; siehe Rn. 25) vorlag, weil das Vorliegen<br />
eines Vermögensschadens bzw. eines entsprechenden Vorsatzes zweifelhaft<br />
war. Der Betrug liegt nach OLG Stuttgart NJW 1969, 1975 vielmehr darin,<br />
dass A den Plan aufgab, das Branchenverzeichnis herauszugeben, ohne die<br />
Einsender des Geldes davon zu verständigen. Dazu war er verpflichtet,<br />
weil er durch die vorhergegangene pflichtwidrige Täuschung (rechnungsähnliche<br />
Angebotsschreiben) die Gefahr geschaffen hatte, dass die Besteller<br />
bei einem Sinneswandel des A ihre Ansprüche nicht würden geltend machen,<br />
weil sie irrtümlich glaubten, ihre Leistungen als Vergütung für bereits<br />
erschienene Inserate erbracht zu haben. Im Ergebnis liegt also eine Täuschung<br />
durch Unterlassen vor, denn A war aufgrund Ingerenz garantenpflichtig.<br />
Weitere instruktive Beispiele bei Eisele, BT II, Rn. 509; Mitsch,<br />
BT II/1, § 7 Rn. 31.<br />
– Vertrag: Allgemeine vertragliche Pflichten reichen nicht aus. Der<br />
Abschluss eines Austauschvertrages begründet keine Offenbarungspflicht<br />
hinsichtlich solcher Umstände die in die Risikosphäre<br />
des Vertragspartners fallen. Es muss ein durch das Vertragsverhältnis<br />
vermitteltes besonderes Vertrauensverhältnis mit besonderen<br />
Umständen im zwischenmenschlichen Bereich hinzutreten. Das<br />
besondere Vertrauensverhältnis kann auch nicht einfach aus der<br />
besonderen Schutzbedürftigkeit des Opfers oder der Höhe des<br />
Schadens begründet werden. Vorausgesetzt ist vielmehr eine Situation,<br />
in der die eine Vertragspartei darauf angewiesen ist, dass ihr<br />
die andere Vertragspartei die für ihre Entschließung maßgebenden<br />
Umstände offenbart (BGH NJW 2000, 3013, 3014). Dies kann bei<br />
besonderem Fachwissen oder bei enger persönlicher Verbundenheit<br />
z.B. bei langjährigen Geschäftsbeziehungen, der Fall sein<br />
(Übersicht bei SSW/Satzger, § 263 Rn. 61).
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§ 14. Betrug 141<br />
BGHSt 39, 392, 399 – Fehlüberweisung; BGHSt 46, 196, 203 – Fehlbuchung;<br />
OLG Celle NStZ-RR 2010, 207 – Lohnüberzahlung; BGH NStZ<br />
2010, 502 – Preisgestaltung; LK/Tiedemann, § 263 Rn. 61ff.; MüKo/<br />
Hefendehl, § 263 Rn. 163.<br />
Beispiele für Konstellationen mit einer betrugsspezifischen Garantenstellung<br />
sind Verträge mit besonderem Informations- und Beratungscharakter,<br />
z.B. Verträge mit Anlage- und Vermögensberatern, Steuerberatern und<br />
Rechtsanwälten (Rengier, BTI,§ 13 Rn. 31 m.w.N.). Auch Gebrauchtwagenhändler<br />
werden wegen ihrer besonderen Sachkunde – sofern man nicht<br />
bereits eine konkludente Täuschung bejaht – als aufklärungspflichtig hinsichtlich<br />
eines Unfallschadens angesehen (BayObLG NJW 1994, 1078;<br />
Wessels/Hillenkamp, Rn. 506).<br />
– Im Einzelfall kann auch bei außervertraglichen Vertrauensverhältnissen<br />
eine Garantenstellung bestehen, z.B. bei ständigen Geschäftsbeziehungen.<br />
Vgl. nur BGHSt 33, 244, 246 – Kreditkarten; BGH NJW 2000, 3013, 3014;<br />
LK/Tiedemann, § 263 Rn. 63; MüKo/Hefendehl, § 263 Rn. 143.<br />
Hinweis: Diese durch das Vorliegen eines besonderen Vertrauensverhältnisses<br />
begründete betrugsspezifische Garantenstellung weist demnach<br />
starke Übereinstimmungen mit der Begründung einer Beschützergarantenstellung<br />
aus vertraglicher Übernahme auf (MüKo/Hefendehl, § 263<br />
Rn. 136 ff.; Rengier, BTI,§ 13 Rn. 29).<br />
– In eng umrissenen Ausnahmefällen soll sich eine Garantenpflicht<br />
auch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben (BGHSt 6,<br />
198, 199; einschränkend BGHSt 39, 392, 400 (nur bei besonderem<br />
Vertrauensverhältnis); OLG Celle NStZ-RR 2010, 207, 208<br />
m.w.N.; Fischer; § 263 Rn. 51 m.w.N.).<br />
In der Fallbearbeitung ist unbedingt darauf zu achten, dass eine betrugsspezifische<br />
Garantenstellung und damit eine Täuschung durch Unterlassen<br />
nicht vorschnell allein aufgrund des Bestehens (vor)vertraglicher Beziehungen<br />
bejaht wird (Rengier, BTI,§ 13 Rn. 29). Dies gilt vor allem für einfache Austauschverträge<br />
wie Kaufverträge mit gegenläufigen Interessen (LK/Tiedemann,<br />
§ 263 Rn. 64). Stets ist eine Abwägung der Interessenlage und des Verantwortungsbereiches<br />
der Beteiligten erforderlich (BGH NJW 2000, 3013,<br />
3014; OLG Stuttgart NStZ 2003, 554, 55).<br />
Beispiele: (1) Der BGH verneinte eine Aufklärungspflicht des Bankkunden,<br />
der einen versehentlich zuviel überwiesenen Betrag von seinem Konto<br />
abhebt (BGHSt 39, 392, 397ff. mit Anm. Joerden, JZ 1994, 422; ebenso<br />
BGHSt 46, 196, 202f. mit Anm. Geppert, JK, § 263 StGB Nr. 58; Hefendehl,<br />
NStZ 2001, 281; Heger, JA 2001, 536 für die Abhebung falsch gebuchter Gel-<br />
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142 4. Kapitel. Der Besondere Teil des Wirtschaftsstrafrechts (StGB)<br />
der). Die Unterhaltung eines Girokontos begründe noch keine über das bloße<br />
Vertragsverhältnis hinausgehende Vertrauensbeziehung gegenüber der Bank,<br />
dieses könne hier auch nicht aus einer ständigen Geschäftsbeziehung hergeleitet<br />
werden. Daneben ergebe sich eine Aufklärungspflicht nicht aus dem allgemeinen<br />
Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).<br />
(2) A verkaufte an die Geschäftsführerin und Gesellschafterin einer Bauträgergesellschaft<br />
ein Grundstück für DM 1,3 Mio., wobei er verschwieg, dass<br />
auf dem als Bauplatz verkauften Grundstück eine Grünzone geplant war.<br />
Nach BGH NJW 2000, 3013, 3014 besteht keine vertraglich begründete Garantenstellung<br />
des Verkäufers und Eigentümers A, über die Unbebaubarkeit<br />
des Grundstücks aufzuklären, auch mit Hinweis darauf, dass von der Geschädigten<br />
besondere Sachkunde im Immobilienbereich zu erwarten gewesen<br />
wäre.<br />
(3) Händler A kaufte Gebrauchtwagen auf. Den Verkäufern gab er keine Informationen<br />
zur Preisbildung. Das OLG Stuttgart (NStZ 2003, 554 mit Anm.<br />
Otto, JK, § 263 StGB Nr. 71) verneinte zunächst eine konkludente Täuschung,<br />
da das Verlangen eines bestimmten Preises keine Erklärung dahingehend beinhalte,<br />
dass dieser Preis angemessen oder üblich sei. Auch träfe A keine<br />
Aufklärungspflicht über die Preisbildung. Es fehle an besonderen, eine Garantenstellung<br />
begründenden Umständen, etwa an einem besonderen Vertrauensverhältnis<br />
oder besonders engen Geschäftsbeziehungen. Auch führe<br />
die Schadenshöhe allein nicht zum Vorliegen einer Aufklärungspflicht.<br />
(4) Schuhgroßhändler S war zahlungsunfähig. Dennoch bestellte er bei seinem<br />
langjährigen Lieferanten W, dessen Rechnungen er bisher immer beglichen<br />
hatte, und bei H, mit dem er bislang keine Geschäftsbeziehung<br />
unterhielt, Waren für € 50.000 bzw. € 25.000. Beide Forderungen sollten branchenüblich<br />
erst nach zwei Monaten fällig werden. S ging dabei davon aus, dass<br />
er die Waren aus den Weiterverkaufserlösen – wie bisher auch – werde bezahlen<br />
können. Der erhoffte Verkaufserfolg stellte sich aber nicht ein, so dass S<br />
die Verbindlichkeiten gegenüber W und H nicht erfüllen konnte. Eine konkludente<br />
Täuschung über die Überzeugung der späteren Zahlungsfähigkeit<br />
liegt nicht vor, denn S war der Überzeugung, er werde die Waren aus dem<br />
Verkaufserlös bezahlen können. Auch über die aktuelle Fähigkeit zur Zahlung<br />
wurde nicht getäuscht, da die Lieferanten – sie vereinbarten ja gerade die branchenübliche<br />
Zahlungsfrist – wohl selbst davon ausgingen, S werde erst nach<br />
Weiterverkauf der Waren zur Zahlung fähig sein. In Betracht kommt deshalb<br />
allenfalls eine Täuschung durch Unterlassen, weil S seine wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
nicht offenbarte. BGH StV 1984, 511, 512 verneinte zwar eine allgemeine<br />
Pflicht zur Offenbarung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei Abschluss<br />
eines Vertrages, kam aber zum Ergebnis, dass eine Aufklärungspflicht hinsichtlich<br />
solcher Tatsachen, die Zweifel an der künftigen Zahlungsfähigkeit<br />
des Schuldners begründen, gegeben sein kann, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis<br />
besteht. Ein solches Vertrauensverhältnis kann zwar nicht<br />
bei einem erstmaligen Abschluss eines Vertrages angenommen werden, besteht<br />
aber in der Regel dann, wenn mit einem Lieferanten eine besonders enge Geschäftsverbindung<br />
besteht, in deren Rahmen wiederholt Kaufverträge ge-
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§ 14. Betrug 143<br />
schlossen wurden und aufgrund der bisher reibungslosen Abwicklung der<br />
Verträge bei Lieferanten der Eindruck entsteht, eine Überprüfung der Kreditwürdigkeit<br />
des Bestellers sei nicht nötig. Somit kommt nur gegenüber W eine<br />
Täuschung durch Unterlassen in Betracht. Zum Lieferantenbetrug vgl. auch<br />
BGH wistra 1992, 298; Volk/Böttger, § 18 Rn. 245ff.; W/J/Köhler, Kap. 7<br />
Rn. 194ff.<br />
(5) Keine betrugsspezifische Garantenpflicht ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer<br />
irrtümlich nach einer Krankmeldung zuviel Lohn erhalten hat und<br />
den Arbeitgeber darüber nicht aufklärt (OLG Celle NStZ-RR 2010, 207).<br />
2. Irrtum<br />
a) Definition. Durch die Täuschung muss in dem Getäuschten ein<br />
Irrtum erregt oder unterhalten worden sein. Der Irrtum ist als spiegelbildliches<br />
Gegenstück der Täuschung ein selbstständiges Betrugsmerkmal<br />
(Fischer, § 263 Rn. 53; diff. Kargl, FS Lüderssen, 2002,<br />
S. 613, 621f.).<br />
Irrtum ist jede unrichtige, der Wirklichkeit nicht entsprechende<br />
Vorstellung über Tatsachen (Wessels/Hillenkamp, Rn. 508), also eine<br />
psychologische Tatsache (Fischer, § 263 Rn. 54).<br />
Im Fall 1 a liegt ein Irrtum vor, denn Y stellt sich vor, dass die B-GmbH<br />
einen Auftrag erhalten hat und dass G davon überzeugt ist, das Darlehen bei<br />
Fälligkeit zurückzahlen zu können. Diese Vorstellung über die Tatsachen, die<br />
Täuschungsgegenstand sind (Rn. 18, 32), widerspricht der Wirklichkeit.<br />
Das bloße Fehlen einer Vorstellung (Unkenntnis, sog. ignorantia<br />
facti) ist nach h.M. kein Irrtum, anders aber ein sog. sachgedankliches<br />
Mitbewusstsein (Rn. 56 f.).<br />
Übersicht bei Küper, BT, S. 227ff.; SSW/Satzger, § 263 Rn. 72ff. mit Fallbeispielen;<br />
diff. NK/Kindhäuser, § 263 Rn. 170, 174.<br />
Beispiel: Meldet ein Unternehmen seine Arbeitnehmer überhaupt nicht zur<br />
gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bei der<br />
AOK an und ist der gesamte Geschäftsbetrieb und nicht nur einzelne Beschäftigungsverhältnisse<br />
der örtlichen AOK gar nicht bekannt, liegt kein Irrtum<br />
vor (BGH wistra 1992, 141; LK/Tiedemann, § 263 Rn. 78).<br />
b) Irrtumssubjekt. So wie bei der Täuschung die Einwirkung auf<br />
das Vorstellungsbild einer natürlichen Person erforderlich ist<br />
(Rn. 22f.), so kann sich spiegelbildlich nur ein Mensch irren. Keine<br />
tauglichen Irrtumssubjekte i.S.d. § 263 StGB sind somit Maschinen<br />
oder Rechenprogramme (wohl aber ggf. Kontrollpersonen, Otto,<br />
BT, § 51 Rn. 24 m.w.N.; siehe aber § 263 a StGB), auch nicht juristi-<br />
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sche Personen, Personenvereinigungen oder Behörden (Fischer, § 263<br />
Rn. 67).<br />
In der Fallbearbeitung kommt es im Ausgangspunkt auf das Vorstellungsbild<br />
der natürlichen Person oder Personen an, welche im konkreten Fall die<br />
Vermögensverfügung vorgenommen hat oder haben; dies ergibt sich aus dem<br />
Erfordernis der Kausalität des Irrtums für die Vermögensverfügung. Vgl.<br />
BGH NStZ 2003, 313, 314 mit Anm. Beckemper/Wegner; BGH NStZ 2004,<br />
568, 569; LK/Tiedemann, § 263 Rn. 82.<br />
Hinweis: Wird der Irrtum über mehrere Personen vermittelt, kommt auch<br />
eine mittelbare Täterschaft (§ 25 I Alt. 2 StGB) in Betracht, z.B., wenn der Täter<br />
einen unbeteiligten gutgläubigen Dritten täuscht, er jedoch weiß, dass sich<br />
der letztlich zu Täuschende bei dem Dritten Kenntnis von jenen Tatsachen<br />
durch Einholung einer Information verschafft (BGH NStZ 1994, 35; Fischer,<br />
§ 263 Rn. 67; Sch/Sch/Cramer/Perron, § 263 Rn. 180; zur mittelbaren Täterschaft<br />
beim Abrechnungsbetrug im Kassenarztsystem siehe auch BGHSt 49,<br />
17, 23; BGH NStZ 2004, 568).<br />
Die genannten Grundsätze gelten auch für arbeitsteilig organisierte<br />
Unternehmen; auch hier ist festzustellen – ggf. anhand der regelmäßigen<br />
internen Abläufe –, wer die schädigende Verfügung getroffen<br />
hat und welche Vorstellungen er dabei hatte (BGH NStZ<br />
2004, 568, 569; 2006, 623, 624; siehe auch Böttger/Nuzinger, Kap. 1<br />
Rn. 94 f.).<br />
Beispiel: Ärzte hatten über gutgläubige Apotheker (§ 25 I Alt. 2 StGB)<br />
überhöhte Kosten für medizinische Hilfsmittel gegenüber den Leistungsträgern<br />
der Krankenkassen abgerechnet. Der BGH (NStZ 2004, 568) hatte die<br />
pauschale Feststellung der Vorinstanz „der/die Mitarbeiter(in) des jeweiligen<br />
Kostenträgers, dem/der die tatsächlichen Umstände verborgen blieben, veranlasste<br />
irrtumsbedingt die Auszahlung der geltend gemachten Sachkosten an<br />
den Augenarzt“ für nicht ausreichend für die Feststellung eines Irrtums gehalten.<br />
Erforderlich seien Ausführungen zum regelmäßigen internen Ablauf bei<br />
den jeweiligen Kostenträgern, aus denen sich eine täuschungsbedingte Vermögensverfügung<br />
zu Gunsten der Ärzte ergeben könnte.<br />
Hier stellt sich auch das schwierige Problem der Wissenszurechnung.<br />
Vgl. Baum, Die Wissenszurechnung, 1999; Eisele, JZ 2008, 524; ders., BT II,<br />
Rn. 522ff.; Fischer, § 263 Rn. 68; LK/Tiedemann, § 263 Rn. 82; ˆ Rengier, ˆFS<br />
Roxin, 2001, S. 811, 823f.; ders., BTI,§ 13 Rn. 21 a ff.; Kudlich/Oglakcioglu,<br />
Rn. 217ff.<br />
Dieses kann zunächst auftreten, wenn sich der Verfügende selbst<br />
zwar irrt, aber andere Personen (Hilfspersonen, Vertreter, Vorge-
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§ 14. Betrug 145<br />
setzte) innerhalb der Organisation über weitergehendes Wissen verfügen.<br />
Beispiel: Der nicht als Kassenarzt zugelassene A rechnete zahnärztliche<br />
Leistungen über einen „Strohmann“ gegenüber der Kassenzahnärztlichen<br />
Vereinigung (KZV) ab. Nach dem BGH (NStZ 2003, 313, 314 mit Anm. Beckemper/Wegner)<br />
ist davon auszugehen, dass auch der verfügende Sachbearbeiter<br />
über die angegebenen Tatsachen irrte, da im konkreten Fall keine Anhaltspunkte<br />
für die Kenntnis anderer Personen innerhalb der geschädigten<br />
KZV über die Unwahrheit der Angaben vorlagen. Damit stellte sich die Frage<br />
einer Wissenszurechnung nicht. Hätte jedoch eine andere Person in der KZV,<br />
z.B. die Hilfsperson H, Kenntnis über die Unwahrheit der Angaben gehabt,<br />
wäre fraglich, ob A wegen vollendeten und nicht nur versuchten Betrugs strafbar<br />
ist. Hier ist zwischen unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen zu<br />
unterscheiden (Fischer, § 263 Rn. 68; Eisele, BT II, Rn. 524): Bei kollusivem<br />
Zusammenwirken des H mit A kommt eine Beteiligung des H am Betrug des<br />
A (Mittäterschaft oder Beihilfe) und damit vollendeter Betrug des A in Betracht<br />
(siehe BayObLG NStZ 2002, 91). Weiß A nichts von der Kenntnis des<br />
H, handelt dieser aber vorsätzlich hinsichtlich der Schädigung der KZV, kann<br />
eine Beihilfe durch Unterlassen oder eine Nebentäterschaft des H vorliegen<br />
und damit ebenfalls ein vollendeter Betrug des A. Auch bei fahrlässigem Handeln<br />
des H wird eine Wissenszurechnung zu der geschädigten KZV im Regelfall<br />
– ggf. unter Hinzuziehung der Regeln über die objektive Zurechnung –<br />
abzulehnen sein.<br />
Wenn dagegen umgekehrt in hierarchischen Strukturen der eigentliche<br />
Entscheidungsbefugte (anders als der verfügende nachgeordnete<br />
Sachbearbeiter) die Täuschung (er)kennt (z.B. bei Vorlage unrichtiger<br />
Abrechnungen), so soll nach Ansicht des BGH ein täuschungsbedingter<br />
Irrtum ausscheiden, jedenfalls wenn der verfügende Sachbearbeiter<br />
seine Befugnis ausschließlich von seinem Vorgesetzten ableitet.<br />
Vgl. BGH NStZ 2006, 623 mit Anm. Brand/Vogt, wistra 2007, 408; siehe<br />
auch BGH NJW 2003, 1198; StV 2008, 356; diff. Fischer, § 263 Rn. 69.<br />
In der Fallbearbeitung sind genaue Feststellungen erforderlich, wer bei arbeitsteilig<br />
tätigen Unternehmen im konkreten Fall auf welcher Grundlage und<br />
mit welchen Vorstellungen die Entscheidung über die Erbringung der vom<br />
Täter erstrebten Leistung getroffen und damit die ˆVerfügung<br />
ˆ vorgenommen<br />
hat (so auch BGH NStZ-RR 2010, 146; Kudlich/Oglakcioglu,<br />
Rn. 218).<br />
c) Das sachgedankliche Mitbewusstsein. Der Getäuschte braucht<br />
nicht alle Einzelheiten zu kennen, ausreichend ist ein unreflektiertes<br />
sachgedankliches Mitbewusstsein, das bestimmte Umstände als<br />
selbstverständlich voraussetzt (Rengier, BTI,§ 13 Rn. 34).<br />
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146 4. Kapitel. Der Besondere Teil des Wirtschaftsstrafrechts (StGB)<br />
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Beispiel: Augenarzt A rechnet gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse<br />
überhöhte Kosten für Operationen ab (Abrechnungsbetrug). Nach BGH<br />
NStZ 2007, 213, 215 ist bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten,<br />
auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren nicht erforderlich,<br />
dass der jeweilige Kassenmitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend<br />
gemachten Position die positive Vorstellung habe, sie sei der Höhe nach<br />
berechtigt; vielmehr genüge die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende<br />
Abrechnung sei insgesamt „in Ordnung“. Daher setze ein Irrtum nicht<br />
voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen im Einzelfall<br />
durchgeführt werde.<br />
Allerdings muss der Rechtsverkehr dem Getäuschten überhaupt<br />
Anlass geben, sich über bestimmte Tatsachen Gedanken zu machen<br />
(Rengier, BTI,§ 13 Rn. 44). Dies hängt auch davon ab, ob und in<br />
welchem Umfang die getäuschte Kontrollperson Prüfungspflichten<br />
hat (Eisele, BT II, Rn. 516 ff.; BGH NStZ 2008, 340, 341).<br />
Beispiele: (1) A oblag als zuständigem Bauleiter für Sanierungsarbeiten bei<br />
der Wohnungsbaugesellschaft W-GmbH auch die Prüfung von Rechnungen<br />
auf deren sachliche wie rechnerische Richtigkeit. Eine Überwachung durch<br />
Vorgesetzte fand nicht statt. A kam nun mit S, dem Inhaber eines Verputzerunternehmens,<br />
überein, überhöhte Rechnungen als sachlich und rechnerisch<br />
richtig abzuzeichnen. Der A verfuhr bei insgesamt acht Bauvorhaben in der<br />
beschriebenen Weise. Nach Anbringen des Prüfvermerks durch A wurde die<br />
Bezahlung der Rechnungen durch Mitarbeiter der Buchhaltung der W-<br />
GmbH veranlasst. Den erzielten Mehrerlös von ca. € 56.000 teilten sich A<br />
und S. Der BGH hob die Verurteilung des A wegen Betrugs auf, da die auszahlenden<br />
Beschäftigten der Buchhaltung weder die Möglichkeit noch die<br />
Verpflichtung hatten, über die rein „mechanische“ Anweisung der von A geprüften<br />
Rechnungen hinaus Überlegungen hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit<br />
der Rechnungen anzustellen (BGH NStZ 2006, 687).<br />
(2) A hatte in zahlreichen Einzelfällen unter Vorlage von Kreditkarten der<br />
Firma A-Express bei Vertragsunternehmen dieser Firma bargeldlos Einkäufe<br />
getätigt und Dienstleistungen in Anspruch genommen, wobei er sich darüber<br />
im Klaren war, dass er zur Ausgleichung der aufgelaufenen Schuldsalden nicht<br />
in der Lage sein würde. Hier verneinte der BGH (BGHSt 33, 244, 249 f. – Kreditkarten)<br />
einen Irrtum der Mitarbeiter des Vertragsunternehmens hinsichtlich<br />
der Bonität des A bzw. hinsichtlich seines Willens und seiner Fähigkeit, die<br />
Verpflichtungen gegenüber dem Kreditkartenunternehmen zu erfüllen, da bei<br />
garantierter Zahlung diese Umstände für das Vertragsunternehmen bedeutungslos<br />
seien. Die entstehende Strafbarkeitslücke soll § 266 b StGB schließen.<br />
(3) Bei Verwendung einer EC-Karte als Zahlungskarte durch einen Nichtberechtigten<br />
im sog. POS-Verfahren (Legitimation durch PIN), fehlt es an einem<br />
Irrtum, da sich der Händler wegen der Einlösungsgarantie des Kartenausstellers<br />
über die Berechtigung des Karteninhabers keine Gedanken macht.<br />
Dies ist anders im sog. elektronischen Lastschriftverfahren ohne Einlösungs-