Unerklärliche Phänomene«
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22 23_kal Künstler 07.05.2004 16:20 Uhr Seite 22<br />
MARKT WETTBEWERB<br />
Ernst Brücher: Der<br />
Kölner Verleger bleibt<br />
der Kunst treu – auch<br />
der zeitgenössischen<br />
22 | 4-2004 börsenblatt SPEZIAL<br />
»<strong>Unerklärliche</strong><br />
<strong>Phänomene«</strong><br />
Kunstkalender Chagall, Matisse, Picasso – gegen die Platzhirsche<br />
der klassischen Moderne haben alte Meister kaum Chancen. Und<br />
junge Künstler erst recht nicht, weiß Ernst Brücher von DuMont.<br />
Nicht jede Edition verkauft<br />
sich wie geschnitten Brot: Das<br />
schreiben Sie in Ihrem Vorwort<br />
zum DuMont-Kalenderprogramm<br />
2005. Gilt das auch und<br />
vor allem für moderne Kunst?<br />
Brücher: Aktuelle Kunst in<br />
Kalenderform zu verkaufen, ist in<br />
der Tat sehr schwer. Je moderner<br />
die Kunst, desto schwieriger wird<br />
es. Selbst Titel wie unser Kalender<br />
DuMont Art, der zeitgenössische<br />
Werke von arrivierten Künstlern<br />
wie Sigmar Polke oder David<br />
Hockney präsentiert, verkaufen<br />
sich nicht leicht. Deshalb sind<br />
diese Kalender eine Ausnahmeerscheinung:<br />
Kein Verlag will sich<br />
sozusagen die Finger verbrennen.<br />
Warum versucht sich DuMont<br />
dann trotzdem immer wieder<br />
daran?<br />
Brücher: Wir verlegen solche<br />
Kalender trotzdem, weil mein<br />
Herz an den Themen moderner<br />
Kunst hängt und ich schon mit<br />
meinem damaligen Buchverlag in<br />
den 50er und 60er Jahren sehr<br />
viele Publikationen über aktuelle<br />
Künstler gemacht habe. Auch den<br />
Art Kalender gibt es seit den 60er<br />
Jahren. Damals war das Publikum<br />
noch neugierig auf junge Kunst.<br />
Inzwischen mussten wir den Preis<br />
für das limitierte Produkt auf<br />
39,90 Euro anheben, weil die<br />
Auflage mit 2 000 Exemplaren<br />
einfach zu klein ist.<br />
beide © Stefan Worring<br />
Ausstellungen zur modernen<br />
Kunst sind aber auch heute noch<br />
gut besucht. Am mangelnden<br />
Interesse kann es eigentlich<br />
nicht liegen ...<br />
Brücher: Ja, aber das Angebot<br />
an Ausstellungen und medialer<br />
Information ist riesig. Hinzu<br />
kommt, dass sich Konzeptkunst<br />
oder Video-Art in Kalenderform<br />
schwer darstellen lassen. Wer<br />
möchte sich schon einen ganzen<br />
Monat lang ein verbogenes Rohr<br />
angucken? Der Widerspruch<br />
zwischen Kunstinteresse und<br />
Kalenderkauf gilt aber ebenso für<br />
die alte Kunst: In Berlin läuft<br />
gerade eine herrliche Ausstellung<br />
über französische Maler des<br />
18. Jahrhunderts. Die Menschen<br />
strömen ins Museum, aber den<br />
Kalender dazu würde niemand<br />
kaufen.<br />
Und woran liegt das?<br />
Brücher: Am Ende nehmen die<br />
Leute wohl doch lieber einen<br />
Katalog mit, weil sie sich nicht<br />
nur die Bilder ansehen, sondern<br />
mehr über das Thema wissen<br />
wollen. Wie widersprüchlich das<br />
Kalendergeschäft manchmal sein<br />
kann, zeigt noch ein ganz anderes<br />
Beispiel: Wir haben vor Jahren<br />
Kalender mit den schönsten<br />
Madonnen der abendländischen<br />
Kunst publiziert. Sie haben zu<br />
meiner großen Enttäuschung<br />
kaum Interesse gefunden. Angesichts<br />
der wunderbaren Qualitäten<br />
für mich unerklärlich. Der<br />
Buddha-Kalender dagegen, den
22 23_kal Künstler 07.05.2004 16:20 Uhr Seite 23<br />
wir vor zwei Jahren zum ersten<br />
Mal aufgelegt haben, läuft<br />
erfreulich gut. So richtig erklären<br />
können wir uns solche Phänomene<br />
allerdings auch nicht immer.<br />
In den Vorschauen der Verlage<br />
erleben alte Meister gerade eine<br />
kleine Renaissance – etwa mit<br />
Titeln zu Tizian oder Goya …<br />
Brücher: Das wäre mein Traum,<br />
denn die alten Meister sind so<br />
wunderbar und treffen unser<br />
»Wer möchte sich<br />
schon einen Monat<br />
lang ein verbogenes<br />
Rohr auf dem<br />
Kalenderblatt<br />
angucken?«<br />
»modernes« Zeitgefühl. Ich kann<br />
mir durchaus vorstellen, dass die<br />
Leute in unserer hektischen Zeit<br />
ein größeres Bedürfnis nach konzentrierter<br />
Ruhe haben werden.<br />
Dem kommen die Werke der alten<br />
Meister sicher entgegen. Ob sie im<br />
Kalendergeschäft tatsächlich eine<br />
Renaissance erleben, die sich auch<br />
im Absatz niederschlägt – das<br />
weiß ich allerdings nicht.<br />
Ausgesprochen beliebt sind<br />
dagegen die Künstler der<br />
klassischen Moderne. Wer führt<br />
bei Ihnen die Hitliste an?<br />
Brücher: Chagall, Picasso,<br />
Matisse, Magritte und Co – an der<br />
Spitze stehen immer wieder<br />
dieselben Namen. Schon bei<br />
Braque oder Juan Gris, die Picasso<br />
ja sehr nahe standen und<br />
wunderbare kubistische Werke<br />
gemacht haben, wird es deutlich<br />
stiller – das habe ich alles schon<br />
ausprobiert. Allerdings scheinen<br />
sich die Menschen an den Ikonen<br />
des Impressionismus und der<br />
klassischen Moderne inzwischen<br />
auch ein wenig müde gesehen zu<br />
haben. Alle Verlage bringen die<br />
Impressionisten, jedes Jahr, immer<br />
wieder – da bleibt eine gewisse<br />
Übersättigung nicht aus.<br />
Auch DuMont macht Jahr für<br />
Jahr seinen »Goldenen Kunstkalender«<br />
mit Werken der Impressionisten<br />
und der klassischen<br />
Moderne. Heißt das, dass<br />
sich auch solche Dauerbrenner<br />
nicht mehr so gut verkaufen?<br />
Brücher: Natürlich bleibt die<br />
Kunst eine unserer Hauptstützen<br />
im Kalendergeschäft. Und vom<br />
»Goldenen Kunstkalender«, den<br />
wir seit 45 Jahren machen, setzen<br />
wir nach wie vor 40000 Exemplare<br />
ab – das ist bei diesem<br />
Thema allerdings die ganz große<br />
Ausnahme. Das Produkt kommt<br />
aus alter Zeit und hat sich über die<br />
Jahrzehnte hinweg einen festen<br />
Kundenstamm erarbeitet. Übrigens<br />
gilt für Kalender dasselbe wie<br />
für Bücher: Sie werden überwiegend<br />
von Frauen gekauft.<br />
Der »Goldene Kunstkalender«<br />
war zugleich der erste<br />
Kalender, den Sie überhaupt<br />
verlegt haben. Ist es schwer,<br />
über so viele Jahre hinweg noch<br />
unverbrauchte Motive von so<br />
häufig publizierten Künstlern zu<br />
finden?<br />
Brücher: Das ist natürlich mein<br />
Ehrgeiz. Bisher bin ich immer<br />
noch fündig geworden, aber die<br />
Auswahl wird kleiner. Immer nur<br />
gleiche oder ähnliche Bilder zu<br />
publizieren, kratzt sozusagen an<br />
meiner Ehre.<br />
Ist die Bildbeschaffung bei<br />
den Museen im Lauf der Jahre<br />
schwieriger geworden?<br />
Brücher: Vor allem kostspieliger.<br />
Die Museen brauchen Geld,<br />
engagieren hauseigene Fotografen<br />
und lassen sich ihre Bilder auf<br />
diese Weise teuer bezahlen. Auch<br />
bei modernen, urheberrechtlich<br />
geschützten Werken können die<br />
Honorare, die dem Künstler völlig<br />
zu Recht zustehen, eine Kalenderkalkulation<br />
ins Wanken bringen.<br />
Wenn die Rechnung aufgehen<br />
soll, muss die Auflage entsprechend<br />
hoch sein. Und genau das<br />
ist bei der zeitgenössischen Kunst<br />
nicht der Fall. Wenn man Kalender<br />
aus Leidenschaft macht, muss<br />
man allerdings ohnehin auf eine<br />
Mischkalkulation setzen.<br />
Sie haben auch schon Kalender<br />
über einzelne zeitgenössische<br />
Künstler gemacht –<br />
etwa über Gerhard Richter.<br />
Stimmen die Künstler immer<br />
ohne weiteres zu?<br />
Brücher: Das ist eine Mentalitätsfrage.<br />
Es gibt durchaus<br />
Künstler, denen ein Kalenderprojekt<br />
zu »banal« ist. Gerhard Richter<br />
hat damit zum Glück kein<br />
Problem. Ich entwickle die Kalender<br />
meistens mit befreundeten<br />
Künstlern, die ich schon lange<br />
kenne – was die Sache doch<br />
deutlich vereinfacht.<br />
Haben Sie bei der Kunst in der<br />
letzten Zeit einen Überraschungserfolg<br />
landen können?<br />
Brücher: Allen Vertreter-Prognosen<br />
zum Trotz läuft der Titel<br />
»Gewölbe des Himmels« mit<br />
Aufnahmen von Kirchengewölben<br />
sehr gut. Der Kalender hat mittlerweile<br />
eine Auflage von 4 000 bis<br />
5 000 Exemplaren – für dieses sehr<br />
spezielle Thema ein großer Erfolg.<br />
Inzwischen wird das Produkt sogar<br />
schon von der Konkurrenz<br />
nachgemacht. Solche Kopien gehören<br />
heute offenbar zum Geschäft.<br />
Das ist bei Kalendern nicht<br />
anders als bei Büchern. b<br />
Interview: Sabine Cronau<br />
ZUR PERSON<br />
Ernst Brücher hat<br />
1956 den DuMont<br />
Buchverlag<br />
gegründet und in den<br />
Anfangsjahren vor<br />
allem zeitgenössische<br />
Kunst publiziert.<br />
Heute ist er<br />
Aufsichtsratsvorsitzender<br />
der DuMont<br />
Buchverlage und<br />
leitet verlegerisch die<br />
Kalenderproduktion<br />
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