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Neujahr, 1.1.2014, "Glück muss auch atmen können" - Psalm 73, 28

Neujahr, 1.1.2014, "Glück muss auch atmen können" - Psalm 73, 28

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„Das <strong>Glück</strong> <strong>muss</strong> <strong>auch</strong> <strong>atmen</strong> können“<strong>Neujahr</strong>, 1. Januar 2014, 10 Uhr, Andreaskirche Eningen unter AchalmPredigt von Pfarrer Johannes Eißler zur Jahreslosung 2014Gott nahe zu sein ist mein <strong>Glück</strong> (<strong>Psalm</strong> <strong>73</strong>, <strong>28</strong> – Einheitsübersetzung)Die Jahreslosung 2014 steht im <strong>Psalm</strong> <strong>73</strong>. Der letzte Vers dort lautet in der Einheitsübersetzung:„Gott nahe zu sein ist mein <strong>Glück</strong>“. Liebe Gemeinde, bei jedem Geburtstag singen wir „viel <strong>Glück</strong> undviel Segen auf all deinen Wegen …“. Wenn einer eine neue Aufgabe übertragen bekommt, dannwünschen wir ihm oder ihr „ein glückliches Händchen“. Beim Jahreswechsel sollen Schornsteinfegerund vierblättrige Kleeblätter <strong>Glück</strong> bringen.Möge das <strong>Glück</strong> Ihnen hold sein, ja, das wünsche <strong>auch</strong> ich Ihnen für 2014. Die Jahreslosung sollmitgehen auf unseren Wegen im neuen Jahr. <strong>Glück</strong> ist ein Menschheitsthema. Schon Seneca schriebeine ganze Abhandlung unter dem Titel „Vom glückseligen Leben“ (De vita beata). Im Novemberbefasste sich die ARD und alle angeschlossenen Rundfunkanstalten eine ganze Woche lang mit demThema „<strong>Glück</strong>“. In Deutschland soll es inzwischen hundert Schulen geben, in denen das Fach „<strong>Glück</strong>“unterrichtet wird. Zwei Stunden in der Woche „<strong>Glück</strong>“. Das wär´s doch, montagmorgens um 7.40 Uhrmit dem Fach „<strong>Glück</strong>“ in die Woche zu starten.Aber können wir überhaupt mit <strong>Glück</strong> umgehen? Dostojewski (Aufzeichnungen aus dem Kellerloch)schrieb: „Überschütten Sie ihn [einen Menschen] mit allen Erdengütern, versenken Sie ihn in <strong>Glück</strong>bis über die Ohren, bis über den Kopf, […] geben Sie ihm ein pekuniäres Auskommen, dass ihm nichtsanderes zu tun übrigbleibt, als zu schlafen, Lebkuchen zu vertilgen und für den Fortbestand derMenschheit zu sorgen — so wird er doch, dieser selbe Mensch, Ihnen auf der Stelle aus purerUndankbarkeit, einzig aus Schmähsucht einen Streich spielen. Er wird sogar die Lebkuchen aufs Spielsetzen und sich vielleicht den verderblichsten Unsinn wünschen, den allerunökonomischstenBlödsinn, einzig um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes unheilbringendesphantastisches Element beizumischen. Gerade seine phantastischen Einfälle, seine banale Dummheitwird er behalten wollen …“So sind wir. Ob wir´s wahrhaben wollen oder nicht. Ganz ungeschminkt führt uns <strong>auch</strong> die Bibel diesemenschliche Art vor Augen. Adam und Eva setzten stehenden Fußes ihr <strong>Glück</strong> aufs Spiel und verlierendas Paradies. Kain erschlägt den Abel. Jakob bringt Esau um sein Erbe. Dem Josef steigen seineTräume dermaßen in den Kopf, dass er den Prahlhans spielt, seine Brüder bis zur Weißglut reizt unddaraufhin Jugend und Heimat verliert. „Taugt die Bibel als Ratgeber fürs <strong>Glück</strong>?“, fragen wirvielleicht. Ist sie nicht vielmehr eine Anleitung zum Unglücklichsein? Oder zumindest eineAneinanderreihung von Geschichten unglücklicher Menschen?Als hätten wir´s geahnt, steht unsere Jahreslosung vom <strong>Glück</strong> tatsächlich im <strong>Psalm</strong> einesUnglücklichen. Der <strong>73</strong>. <strong>Psalm</strong> bildet den Auftakt des dritten Teils des Psalters. „Ein <strong>Psalm</strong> Asafs“ stehtin der Überschrift. Zehn weitere Asaf-<strong>Psalm</strong>en folgen (74 – 83). Asaf gilt als „Seher“ und seine<strong>Psalm</strong>en werden mit den <strong>Psalm</strong>en Davids in einem Munde genannt (2. Chronik 29, 30).Dieser Asaf, das Haupt einer Kirchenmusikerfamilie, wenn Sie so wollen, lässt nicht Pauken undTrompeten zum Lob Gottes auffahren. Kein „J<strong>auch</strong>zet, frohlocket“. Kein „Tochter Zion, freue dich“.War er ein schwermütiger, schwerlebiger Mann? „He´s complaining about …“ würde meineSeite | 1


amerikanische Schwiegertochter sagen. Er jammert, er bruddelt, er ist saumäßig unzufrieden.Warum? Weil es den Atheisten, den Gottesverächtern, den aus der Kirche Ausgetretenen sounverschämt gut geht. „So sind sie alle,“, sagt er, „die Gott verachten; sie häufen Macht undReichtum und haben immer <strong>Glück</strong>“ (V. 12). Womöglich haben wir das insgeheim manchmal <strong>auch</strong>schon gedacht, wenn wir oben an der Achalm spazieren gegangen sind: Robert-Koch-Straße oder Inder Sommerhalde oder an anderen schönen Stellen in Eningen? In der Kirche sehe ich sie nicht. Aberihnen scheint´s gut zu gehen. Unverschämt gut.Jedenfalls geht die Rechnung nicht einfach auf: Hier die Gläubigen, denen das <strong>Glück</strong> nur so zufliegtund hier die Ungläubigen, die über kurz oder lang im Unglück enden. Darum fragt Asaf: „Soll es dennumsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt und meine Hände in Unschuld wasche?“Auch wenn wir das nicht wirklich zugeben: Eigentlich wünschen wir uns schon gerechten Lohn. FürRechtschaffenheit, für die Beachtung der Zehn Gebote, für regelmäßigen Gottesdienstbesuchwünschen wir uns, wenn wir ganz ehrlich sind, schon die entsprechende Anerkennung. Do ut des. Ichgebe, damit du gibst. Und wir sind frustriert, wenn das nicht aufgeht.Gute Freunde von uns: Sie haben sich immer um den rechten Weg gemüht. Sie bauten einechristliche Lebensgemeinschaft mit auf, sie sind im Hauskreis, sie engagieren sich hier und daehrenamtlich. Und trotzdem bekommt sie Brustkrebs. „Womit habe ich das verdient“, schreien wirund bekommen keine Antwort. Es bleiben Fragen offen – bis zum Schluss. Es gibt nicht auf alles einenfrommen Deckel. Manchmal reiben wir uns wund und die Wunde will nicht heilen. „Ich war wie einNarr und wusste nichts, ich war wie ein Tier vor dir“, stellt Asaf fest.Das Schicksal kann so brutal zuschlagen, dass man drauf und dran ist, seine menschliche Würde zuverlieren. „Ich war wie ein Narr und wusste nichts, ich war wie ein Tier vor dir.“ Wir können inSituationen geraten, in denen alle wohlformulierten und wohl gelernten Gebete nicht mehrfunktionieren. Da müssen andere für uns einstehen. Da <strong>muss</strong> der Heilige Geist für uns eintreten unduns davor bewahren, vor die Hunde zu gehen.Und dann kommt dieses große „Dennoch“ in diesem <strong>Psalm</strong>. „Dennoch bleibe ich stets an dir.“Dennoch, trotz allem! Und im Rückblick merken wir: Nicht wir haben uns an ihn gehalten. Er hat unsgehalten. Sein Engel haben uns beschützt. Die Gebete treuer Beterinnen und Beter haben uns überden Abgrund getragen. „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechtenHand, und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“Ich springe zum letzten Vers in diesem <strong>Psalm</strong> – jetzt in der Einheitsübersetzung: „Ich aber – Gottnahe zu sein ist mein <strong>Glück</strong>.“In diesem <strong>Psalm</strong> tritt eine Wendung ein. Am Anfang hängt der Blick am Reichtum und Erfolg desNachbarn, der ein größeres Haus hat, ein dickeres Auto, eine noch hübschere Frau. Ein Spaziergangan die Achalm kann uns unglücklich machen. Ein Spaziergang an die Achalm kann uns aber <strong>auch</strong>glücklich machen. Wenn wir die Schönheit der Natur sehen und den Schöpfer dahinter. Die Wendungim <strong>Psalm</strong> ist die Wendung weg vom Nachbarn hin zu Gott. Das scheint mir das Geheimnis des <strong>Glück</strong>eszu sein. Ich höre auf mit dem unseligen Vergleichen. Ich lasse es nicht zu, dass der Neid michSeite | 2


auffrisst. Weg damit! Ich verbinde mich mit Gott. Ich suche seine Nähe. Ein neuer Stand. Ein neuerBlick. In glücklichen Momenten <strong>auch</strong> eine neue Verbindung zur gesamten Schöpfung. Dankbarkeit,dass ich ein Teil davon sein darf.Kann man <strong>Glück</strong> machen? Wir Deutschen tendieren vermutlich dazu, diese Frage zu bejahen. „Jederist seines <strong>Glück</strong>es Schmied“, sagen wir. Das klingt nach Schweiß und Tränen, nach Hitze und Feuer,nach Hammer und Amboss. Mit harter Arbeit wird das Eisen in Form gebracht. Viele von uns habenhart gearbeitet für ihr <strong>Glück</strong>, für ihr Häuschen, für ihren Wohlstand, für gute Beziehungen zuFreunden und Nachbarn.Und doch werden wir zugeben, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist. Manches an <strong>Glück</strong> in unseremLeben ist uns zugefallen. <strong>Glück</strong>liche Umstände, glückliche Begegnungen, fast unverdienter Segenmanchmal.Kann man <strong>Glück</strong> machen? Der <strong>Psalm</strong> <strong>73</strong> gibt darauf keine endgültige Antwort. Er setzt uns aber aufeine Spur. Und die heißt: Suche die Nähe Gottes. Wende dich ihm zu. Öffne dich für ihn. Verbindedich mit ihm. Vertraue ihm. Und zuletzt: Erzähle weiter, was du erlebt hast mit ihm.Zwei Mal in der hebräischen Bibel – in der Einheitsübersetzung sogar drei Mal – steht am Ende ganzbewusst das „Ich“. „Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein <strong>Glück</strong>. Ich setzte auf Gott, den Herrn, meinVertrauen. Ich will all deine Taten verkündigen.“ Was meine Jahrgangskollegen machen, was meineNachbarin denkt, wie mein Bruder sein Leben lebt – das alles soll mich nicht kirre machen. Ich gehemeinen Weg. Ich mach´ mein Ding. Und mir ist es wichtig, Gott nahe zu sein. Darum sind wir heuteMorgen beieinander, um zu Beginn dieses Jahres 2014 ganz bewusst die Nähe Gottes zu suchen. Dastut mir gut. Das ist gut für mich. (Im Hebräischen steht das schlichte Wort „gut“ an der Stelle, die wirmit „<strong>Glück</strong>“ übersetzen.)<strong>Glück</strong> hat für uns also ganz entscheidend etwas mit unserer Gottesbeziehung zu tun. Wir öffnen unspassiv für die Gegenwart Gottes. Wir suchen aktiv seine Nähe. Wir hören auf sein Wort und wir sagenihm, was uns freut und was uns schmerzt. Jede Beziehung möchte gepflegt werden. Ich wünsche uns,dass unser Glaube lebendig, vital bleibt, dass wir die Beziehung zu Gott jedenfalls nicht schleifenlassen. Wie bei jeder guten Beziehung, wie <strong>auch</strong> in jeder Liebesbeziehung wird es intensive Phasengeben und weniger intensive. „Das <strong>Glück</strong> <strong>muss</strong> <strong>auch</strong> <strong>atmen</strong> können“, sagt der LebenskunstphilosophWilhelm Schmid. Ein Satz, der mir Mut macht und mir ein Stück Gelassenheit gibt. Und das ist gut zuBeginn eines Jahres. Ich bin gespannt auf 365 Tage in der Nähe Gottes. Ich bin gespannt auf das<strong>Glück</strong>, ein <strong>Glück</strong>, das <strong>auch</strong> <strong>atmen</strong> darf. Amen.Seite | 3

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