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Ethikberatung in der klinischen Medizin - Zentrale Ethikkommission

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B E K A N N T G A B E N D E R H E R A U S G E B E RBUNDESÄRZTEKAMMERBekanntmachungenStellungnahme<strong>der</strong> <strong>Zentrale</strong>n Kommission zur Wahrung ethischer Grundsätze <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> und ihrenGrenzgebieten (<strong>Zentrale</strong> <strong>Ethikkommission</strong>) bei <strong>der</strong> Bundesärztekammer zur<strong>Ethikberatung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen Mediz<strong>in</strong>(24. Januar 2006)VorwortSeit Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1990er-Jahre wächst die Zahl <strong>der</strong> Krankenhäuserstetig, die – <strong>in</strong> durchaus unterschiedlicher Form –e<strong>in</strong>e <strong>Ethikberatung</strong> <strong>in</strong>stitutionalisiert haben. Mittlerweilehalten <strong>in</strong> Deutschland mehr als 200 Krankenhäuser diesesAngebot bereit; <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n gehört es zu den verpflichtendenMerkmalen e<strong>in</strong>es jeden Krankenhauses. In dieserSituation hält es die <strong>Zentrale</strong> <strong>Ethikkommission</strong> bei <strong>der</strong>Bundesärztekammer für geboten,orientierende Informationenbereitzustellen, zumal Standards o<strong>der</strong> Empfehlungenfür die E<strong>in</strong>richtung und die Arbeit <strong>der</strong>artiger Institutionenbislang fehlen. Die <strong>Zentrale</strong> <strong>Ethikkommission</strong> begrüßt dieEntwicklung <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen Mediz<strong>in</strong>und ermuntert zur E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es solchen Angebotes, woes noch nicht besteht. Sie hofft durch die Stellungnahme zu<strong>in</strong>formieren, Probleme zu benennen und Fehlentwicklungenzu vermeiden.Prof. Dr. med. Dr. phil. Urban Wies<strong>in</strong>gVorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong><strong>Zentrale</strong>n <strong>Ethikkommission</strong>bei <strong>der</strong> Bundesärztekammer1. Kl<strong>in</strong>ische Ethikkomitees undkl<strong>in</strong>ische <strong>Ethikberatung</strong>1.1. E<strong>in</strong>leitung* Mit den <strong>in</strong> dieser Stellungnahme verwendeten Personen-und Tätigkeitsbezeichnungen s<strong>in</strong>d, auch wenn sieaus Gründen <strong>der</strong> besseren Lesbarkeit nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Formauftreten, beide Geschlechter geme<strong>in</strong>t.In den letzten Jahren hat e<strong>in</strong>e wachsendeAnzahl von Krankenhäusern <strong>in</strong> Deutschlandunterschiedliche <strong>in</strong>stitutionelle Strukturenzur Beratung ethischer Probleme <strong>in</strong><strong>der</strong> Patientenversorgung e<strong>in</strong>gerichtet. Esbestehen verschiedene Formen <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>,die<strong>in</strong> <strong>der</strong> ärztlichen Praxis wenigbekannt s<strong>in</strong>d. In Deutschland existierenbisher ke<strong>in</strong>e Empfehlungen o<strong>der</strong> Standardsfür die Implementierung und die Arbeitkl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong>. Die <strong>Zentrale</strong><strong>Ethikkommission</strong> sieht <strong>in</strong> diesem Bereiche<strong>in</strong>en hohen Informations- und Professionalisierungsbedarfund möchte mitdieser Stellungnahme über die Gründung,Struktur und Aufgaben von <strong>Ethikberatung</strong><strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> am Beispiel Kl<strong>in</strong>ischerEthikkomitees <strong>in</strong>formieren, auf ethischeund rechtliche Probleme h<strong>in</strong>weisen undFehlentwicklungen vorbeugen. Die vorliegendeStellungnahme beschränkt sich dabeiauf praxisorientierte Aspekte des Aufbausund <strong>der</strong> Arbeit von <strong>Ethikberatung</strong> <strong>in</strong><strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>, ohne auf die umfangreichetheoretische Diskussion über die philosophischenund soziologischen Grundlagenvon <strong>Ethikberatung</strong> e<strong>in</strong>gehen zu können.1.2. Begriff und Entwicklung <strong>der</strong>Kl<strong>in</strong>ischen EthikkomiteesIm Gegensatz zu <strong>Ethikkommission</strong>en,dieStellungnahmen zu mediz<strong>in</strong>ischen Forschungsvorhabenam Menschen abgeben,s<strong>in</strong>d Kl<strong>in</strong>ische Ethikkomitees, die ethischeProbleme aus dem Alltag <strong>der</strong> Behandlungund Pflege von Patienten * beraten,neue Formen <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen<strong>Ethikberatung</strong> <strong>in</strong> Deutschland.Außer <strong>der</strong>„klassischen Form“ <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>,dem Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitee, bildetensich <strong>in</strong> den Krankenhäusern u. a. Ethikarbeitsgruppen,Ethikausschüsse undEthikforen. Die Mo<strong>der</strong>ation von E<strong>in</strong>zelfallberatungenauf Station übernahmenUntergruppen des Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitees,mobile <strong>Ethikberatung</strong>en o<strong>der</strong> beauftragteE<strong>in</strong>zelpersonen (Ethikberater).Die überwiegende Anzahl Kl<strong>in</strong>ischerEthikkomitees arbeitet <strong>in</strong> Krankenhäusern,sie können aber auch <strong>in</strong> Pflegee<strong>in</strong>richtungen,Institutionen <strong>der</strong> Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>tenhilfeund im teilstationären wie ambulantenBereich gegründet werden. Im Gegensatzzu <strong>Ethikkommission</strong>en, die aufgesetzlicher und berufsrechtlicher Grundlagean den Mediz<strong>in</strong>ischen Fakultäten, beiden Landesärztekammern o<strong>der</strong> unmittelbarauf Landesebene beraten, f<strong>in</strong>det sichdie Mehrheit <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitees<strong>in</strong> nichtuniversitären Krankenhäusernund Pflegeheimen (1), die Komiteesaus eigener Initiative gegründet haben.Die Komitees beraten auf Anfor<strong>der</strong>ung<strong>der</strong> Beteiligten, ohne die Verantwortungund Entscheidungsbefugnis <strong>der</strong> behandelndenÄrzte und an<strong>der</strong>er Berufsgruppene<strong>in</strong>zuschränken. Neben <strong>der</strong> fallbezogenenethischen Beratung erarbeiten sieEmpfehlungen zum Umgang mit wie<strong>der</strong>kehrendenethischen Fragestellungen undbieten Fort- und Weiterbildungsveranstaltungenfür alle Berufsgruppen im Krankenhausan.Kl<strong>in</strong>ische Ethikkomitees entstanden <strong>in</strong>den 1970er-Jahren <strong>in</strong> den USA,wo heute alleKrankenhäuser für ihre Akkreditierunge<strong>in</strong>e Struktur zur Handhabung ethischerKonflikte nachweisen müssen.In Deutschlands<strong>in</strong>d Komitees seit den 1990er-Jahren<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> Krankenhäusern konfessionellerTrägerschaft entstanden (2, 3).1997 haben die beiden christlichen Krankenhausverbändeihren KrankenhäusernDeutsches Ärzteblatt⏐Jg. 103⏐Heft 24⏐16. Juni 2006 A 1703


B E K A N N T G A B E N D E R H E R A U S G E B E Rdie Gründung von Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomiteesnach amerikanischem Vorbild empfohlen(4). Seitdem ist die Anzahl Kl<strong>in</strong>ischerEthikkomitees an deutschen Krankenhäuserngestiegen (2, 5). Nach e<strong>in</strong>er aktuellenbundesweiten Befragung <strong>der</strong> ca. 2 200Krankenhäuser bestehen gegenwärtig m<strong>in</strong>destens150 Komitees o<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Planung,und mehr als 200 Krankenhäuser haben irgende<strong>in</strong>eForm <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong> implementiert(1). Deren Struktur, Arbeitsweisenund Professionalisierungsgrad unterscheidensich zum Teil erheblich, was e<strong>in</strong>erseitsmit <strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Entwicklungsgeschichteund an<strong>der</strong>erseits durch weitgehendfehlende Standards zu erklären ist.1.3. Strukturen <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>In <strong>der</strong> ursprünglichen Form <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>,imKl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitee,f<strong>in</strong>detsich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong> breites Spektrum vonBerufsgruppen im Krankenhaus. Hierzugehören neben Ärzten und Pflegendenauch Krankenhausseelsorger, Psychologen,Sozialarbeiter, Krankengymnasten,Juristen,Mitarbeiter <strong>der</strong> Verwaltung sowiegegebenenfalls externe Mitglie<strong>der</strong>, wiez. B. Patientenfürsprecher. In <strong>der</strong> Praxishat es sich bewährt,dass <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelnenBerufsgruppen die unterschiedlichenHierarchieebenen (z. B. Chef-, OberundAssistenzarztebene) vertreten s<strong>in</strong>d.Die Mitglie<strong>der</strong> (ca. sieben bis 20) werden<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel für drei Jahre als unabhängiges,nicht weisungsgebundenes Gremiumdurch die Krankenhausleitung berufen.Das Ethikkomitee gibt sich e<strong>in</strong>e Geschäftsordnungo<strong>der</strong> Satzung. Die Krankenhausleitungwird über die Arbeit des Komitees<strong>in</strong>formiert und stellt die notwendigen Ressourcenzur Verfügung.Für die E<strong>in</strong>zelfallbesprechung habensich verschiedene Modelle gebildet: Mo<strong>der</strong>ationdurch Untergruppen e<strong>in</strong>es Kl<strong>in</strong>ischenEthikkomitees, Mo<strong>der</strong>ation durchmobile <strong>Ethikberatung</strong>sgruppen o<strong>der</strong> Teilnahmean <strong>der</strong> Visite durch speziell beauftragtePersonen mit mediz<strong>in</strong>ethischenKenntnissen (Ethikberater).Außerdem und teilweise parallel dazubildeten sich mehr o<strong>der</strong> weniger <strong>in</strong>formelleoffene Strukturen wie „Ethik-Cafés“, Ethikforen und Ethik-AGs, andenen <strong>in</strong>teressierte Mitarbeiter und Mitarbeiter<strong>in</strong>nenteilnehmen können. Zusätzlichwerden regelmäßige Fortbildungenzu mediz<strong>in</strong>ethischen Themen veranstaltet(Ethiktag, Ethik-R<strong>in</strong>gvorlesung).1 Der Begriff Leitl<strong>in</strong>ie wird im Kontext <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ischen<strong>Ethikberatung</strong> als Übersetzung des englischen Fachbegriffs„guidel<strong>in</strong>es“ gebraucht und ist nicht mit <strong>der</strong> imdeutschen ärztlichen Standesrecht üblichen Bedeutunggleichzusetzen.1.4. GründungsprozessHäufig werden Ethikkomitees auf Initiative<strong>der</strong> Geschäftsführung im Rahmen vonZertifizierungsprozessen gegründet, da <strong>in</strong>stitutionalisierteFormen kl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong><strong>in</strong> verschiedenen Zertifizierungsverfahrenpositiv bewertet werden. DieseInitiative „von oben“ (Top-down-Modell)bietet den Vorteil, dass von verantwortlicherStelle Strukturentscheidungen getroffenund umgesetzt werden. In an<strong>der</strong>en Fällengeht die Initiative primär von engagiertenMitarbeitern aus, die „von unten“ e<strong>in</strong>enBedarf an regelmäßigem Austauschüber ethische Probleme im Krankenhausalltagsehen (Bottom-up-Modell). DieserWeg hat den Vorteil, dass am Ort <strong>der</strong> ethischenEntscheidungsf<strong>in</strong>dung bereits Sensibilisierungund Aktivitäten versammelts<strong>in</strong>d,was für die Akzeptanz e<strong>in</strong>es Komiteesim Krankenhaus von zentraler Bedeutungist. E<strong>in</strong>e erfolgreiche Arbeit ist für e<strong>in</strong> Komiteenur mit <strong>der</strong> aktiven Unterstützung<strong>der</strong> Krankenhausleitung und <strong>der</strong> Mitarbeiter„vor Ort“ möglich.Ärzte, Pflegende und Vertreter an<strong>der</strong>erGesundheitsberufe sehen aufgrundihrer alltäglichen Berufspraxis und ihresEthos die wichtigsten ethischen Fragenbei <strong>der</strong> Behandlung e<strong>in</strong>zelner Patienten.Dagegen fokussiert das Managementmehr auf die <strong>in</strong>stitutionellen Aspekte desKrankenhauses, wie z. B. Organisationsstrukturen,Personalentwicklung, ökonomischeund juristische Fragen. Entscheidungenauf <strong>der</strong> Organisationsebene habenhäufig <strong>in</strong>direkten E<strong>in</strong>fluss auf dieBehandlungsmöglichkeiten im E<strong>in</strong>zelfall.Die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es Kl<strong>in</strong>ischenEthikkomitees bedeutet <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis e<strong>in</strong>eWeiterentwicklung von Kommunikation,Identität und Kultur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Krankenhausund geht über e<strong>in</strong>e ethische E<strong>in</strong>zelfallberatungh<strong>in</strong>aus. Damit kann e<strong>in</strong>Ethikkomitee wichtige ethische Beiträgezur Leitbild-, Qualitäts-, OrganisationsundPersonalentwicklung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>richtungleisten. Der Arbeitsschwerpunkt <strong>der</strong>Ethikkomitees liegt dabei auf ethischenFragen im kl<strong>in</strong>ischen Alltag und grenztsich mit dieser Aufgabenstellung vonGremien wie Personalrat,Beschwerdemanagement,fachlicher Supervision etc. ab.1.5. E<strong>in</strong>zelne AufgabenZu den wesentlichen Aufgaben <strong>der</strong> unterschiedlichenFormen kl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong>gehören die E<strong>in</strong>zelfallberatung,die Leitl<strong>in</strong>ienentwicklung 1 sowie die FortundWeiterbildung <strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischer Ethik. Inden verschiedenen <strong>Ethikberatung</strong>ssystemenwerden diese drei Hauptaufgabenjeweils unterschiedlich gewichtet.1.5.1. E<strong>in</strong>zelfallberatungE<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelfallberatung kann von e<strong>in</strong>emEthikkomitee <strong>in</strong>sgesamt, e<strong>in</strong>er Arbeitsgruppedes Komitees o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zelnenkl<strong>in</strong>ischen Ethikberater durchgeführtwerden. Das letztgenannte Modellwird <strong>in</strong> Deutschland bisher nur <strong>in</strong> wenigenKl<strong>in</strong>iken, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Universitätskl<strong>in</strong>ikenmit hauptberuflichen Mediz<strong>in</strong>ethikern,durchgeführt (6, 7). Bei <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>durch das Gesamtkomitee stellen Mitarbeiter,die <strong>in</strong> die Behandlung <strong>in</strong>volviert s<strong>in</strong>d,das ethische Problem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em konkretenBehandlungsfall dem Komitee vor. Nach<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Beratung kann e<strong>in</strong> ethischesVotum als Orientierungshilfe für dasBehandlungsteam formuliert werden.Viele Ethikkomitees führen e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zelfallberatungdurch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärzusammengesetzte Untergruppedes Komitees auf Station o<strong>der</strong> sonst vorOrt durch (8, 9). Auch gibt es dezentrale<strong>Ethikberatung</strong>sgruppen, die – zum Teilunabhängig von e<strong>in</strong>em Komitee – Mo<strong>der</strong>ations-und Beratungsaufgaben übernehmen(10). Dieses Vorgehen hat denVorteil, dass e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e und konstanteAnzahl von Ethikberatern zeitlich undörtlich flexibel e<strong>in</strong> Behandlungsteam beratenkann. Jeweils zwei bis vier Ethikberaterleisten Hilfestellung durch Mo<strong>der</strong>ation,ethische Expertise und unabhängigeAußenperspektive. Hierbei übernimmte<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong> Arbeitsgruppe die Mo<strong>der</strong>ation<strong>der</strong> Fallbesprechung, die an<strong>der</strong>enMitglie<strong>der</strong> s<strong>in</strong>d Komo<strong>der</strong>atoren undfür die Protokollführung zuständig. DerBeratungsprozess wird schriftlich für dieKrankenunterlagen dokumentiert.1.5.2. Entwicklung von <strong>in</strong>ternenLeitl<strong>in</strong>ienÜber die ethische E<strong>in</strong>zelfallberatung h<strong>in</strong>auskönnen durch Leitl<strong>in</strong>ien zum Verhalten<strong>in</strong> ethisch sensiblen Bereichen vielePatienten, Ärzte und an<strong>der</strong>e Mitarbeiterim Krankenhaus erreicht werden. In diesenLeitl<strong>in</strong>ien können im Rahmen des geltendenRechts und auf <strong>der</strong> Grundlageethischer Richtl<strong>in</strong>ien z. B. <strong>der</strong> Ärztekammern,Pflegeverbände und wissenschaftlichenFachgesellschaften konkrete H<strong>in</strong>weisefür den angemessenen Umgang mit sichwie<strong>der</strong>holt stellenden Problemen,wie z. B.bei <strong>der</strong> kardiopulmonalen Reanimation,beim Therapieabbruch auf Intensivstationen,bei <strong>der</strong> Anwendung von PEG-Sondenbei hochbetagten, multimorbiden Patienteno<strong>der</strong> beim Umgang mit Patientenverfügungen,im jeweiligen Krankenhausgegeben werden. Die Leitl<strong>in</strong>ien beziehensich auf die Voraussetzungen und den Prozess<strong>der</strong> jeweiligen Entscheidungsf<strong>in</strong>dungA 1704 Deutsches Ärzteblatt⏐Jg. 103⏐Heft 24⏐16. Juni 2006


B E K A N N T G A B E N D E R H E R A U S G E B E Rsowie auf Kommunikation, Dokumentationund Umsetzung. Ergänzend zum Leitl<strong>in</strong>ientextkönnen Checklisten und Dokumentationsbögenfür das aktuelle Krankenblattentwickelt werden, um die Umsetzung<strong>der</strong> Leitl<strong>in</strong>ie im Stationsalltagwirksam zu unterstützen.Die Erarbeitung von Leitl<strong>in</strong>ien erfolgt<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel durch Arbeitsgruppen, <strong>in</strong> denenje nach Notwendigkeit neben Komiteemitglie<strong>der</strong>nauch weitere fachkundigeMitarbeiter aus dem Krankenhaus mitarbeitensollten. Für die Qualität und diespätere Akzeptanz <strong>der</strong> Leitl<strong>in</strong>ie s<strong>in</strong>d transparenteArbeit und gute Kommunikationbereits während des Erstellungsprozesseserfor<strong>der</strong>lich. Sofern Leitl<strong>in</strong>ien vom Ethikkomiteebeschlossen werden, obliegt es<strong>der</strong> Geschäftsführung des Krankenhauseszu entscheiden,<strong>in</strong> welchem Ausmaß sie fürdie Berufsgruppen im Krankenhaus verb<strong>in</strong>dlichs<strong>in</strong>d. Darüber h<strong>in</strong>aus können sieauch <strong>der</strong> Information von Patienten undAngehörigen dienen (9, 10).1.5.3. Weiter- und FortbildungE<strong>in</strong>e weitere wichtige Aufgabe ist die Organisationvon Weiter- und Fortbildungsangebotenzu ethischen Themen für alleMitarbeiter des Krankenhauses sowie Informationsveranstaltungenfür Patienten,Angehörige und Bürger. Neben <strong>der</strong> Integrationvon ethischen Themen <strong>in</strong> bestehendeWeiter- und Fortbildungsstrukturen füre<strong>in</strong>zelne Berufsgruppen wurden spezifischeniedrigschwellige Fortbildungsformen<strong>in</strong> Krankenhäusern, wie z. B. retrospektiveethische Fallbesprechungen aufStation, „Ethik-Café“, „Ethiktag“ und„Ethikmappe“, entwickelt. Überregionalwerden praxisorientierte und <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äreFortbildungsveranstaltungen angeboten,die auch die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschesund <strong>der</strong> Vernetzunglokaler Ethikkomitees bieten (9). DieDurchführung von Weiter- und Fortbildungsangebotene<strong>in</strong>es Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomiteessetzt voraus, dass die Komiteemitglie<strong>der</strong>selbst e<strong>in</strong>e fortlaufende Qualifizierung<strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischer Ethik erhalten.1.5.4. OrganisationsethikZur erfolgreichen Implementierung undArbeit von <strong>Ethikberatung</strong> <strong>in</strong> Krankenhäusernund an<strong>der</strong>en Institutionen müssen dieorganisatorischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<strong>der</strong> jeweiligen E<strong>in</strong>richtungen reflektiertwerden.E<strong>in</strong> gut funktionierendes Ethikkomiteekann zu e<strong>in</strong>er transparenten und vertrauensvollenKommunikation im Krankenhausbeitragen, Mitarbeiter ethischsensibilisieren,die berufsgruppenübergreifendeZusammenarbeit verbessern und dieFehlerkultur för<strong>der</strong>n. Damit leisten Kl<strong>in</strong>ischeEthikkomitees e<strong>in</strong>en wichtigen Beitragzur Kultur, Personal-, OrganisationsundQualitätsentwicklung ihrer Institution.Dagegen ist umstritten, ob auch dieethische Beratung von organisationsethischenFragen (z. B. Krankenhausstruktur,F<strong>in</strong>anzierung,Allokationsentscheidungen)zum Aufgabenkreis Kl<strong>in</strong>ischer Ethikkomiteesgehört, da die meisten Mitglie<strong>der</strong> <strong>in</strong>diesem Bereich oft nur begrenzte Expertise,Erfahrung und berufliche Zuständigkeitbesitzen.Diese organisationsethische Beratung<strong>der</strong> Krankenhausleitung kann durchseparate Organisationsethikkomitees o<strong>der</strong>Organisationsethikberater erfolgen.2. Probleme undLösungsansätzeBei <strong>der</strong> Implementierung und Arbeit vonKl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitees und kl<strong>in</strong>ischen<strong>Ethikberatung</strong>en treten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxishäufig wie<strong>der</strong>kehrende Probleme auf. ImFolgenden werden typische ProblemundKonfliktfel<strong>der</strong> benannt und Lösungsansätzeaufgezeigt, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxisbewährt haben.2.1. Integrität und GlaubwürdigkeitDie persönliche Glaubwürdigkeit, Ernsthaftigkeitund Unabhängigkeit <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>des Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitees und<strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen <strong>Ethikberatung</strong> s<strong>in</strong>d unverzichtbareVoraussetzungen für die Akzeptanz<strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>. In <strong>der</strong> Vergangenheitwurde wie<strong>der</strong>holt beobachtet, dassGeschäftsführungen kurzfristig Kl<strong>in</strong>ischeEthikkomitees gründeten, weil dies <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emanstehenden Zertifizierungsverfahrenihres Krankenhauses positiv bewertetwurde, ohne dass e<strong>in</strong>e wirkliche Arbeit desEthikkomitees stattfand. In diesen Fällenblieb es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Praxis häufig bei e<strong>in</strong>er formalenGründung, ohne dass das Ethikkomiteee<strong>in</strong>en positiven Beitrag im Krankenhausalltagleisten konnte. Dieser „Etikettenschw<strong>in</strong>del“wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel von denMitarbeitern des Krankenhauses schnellerkannt und schadet allen ernsthaftenBemühungen um Verbesserungen imKrankenhaus.Weiterh<strong>in</strong> ist die Instrumentalisierunge<strong>in</strong>es Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomiteeszur Durchsetzung o<strong>der</strong> Legitimierung vonsachfremden Interessen Dritter abzulehnen.Das Gel<strong>in</strong>gen <strong>der</strong> Gründung und Arbeite<strong>in</strong>er kl<strong>in</strong>ischen <strong>Ethikberatung</strong> setztvoraus, dass Geschäftsleitung und Mitarbeiteraufrichtig mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> kommunizierenund geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong> neues Forum fürethische Fragen gründen.2.2. Formen und Professionalisierung<strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>Die kl<strong>in</strong>ische E<strong>in</strong>zelfallberatung durch dasgesamte Kl<strong>in</strong>ische Ethikkomitee hat denVorteil, dass e<strong>in</strong>e Vielzahl von unterschiedlichenmoralischen Perspektiven durch verschiedeneBerufsgruppen <strong>in</strong> den Beratungsprozesse<strong>in</strong>fließen kann. In <strong>der</strong> Praxishat es sich jedoch als großer Nachteil erwiesen,dass diese Form von <strong>Ethikberatung</strong>häufig nicht zeitnah durchgeführt werdenkann und fernab vom Behandlungsort (Station)stattf<strong>in</strong>den muss. Häufig haben dieMitglie<strong>der</strong> des Behandlungsteams das Gefühl,sich vor e<strong>in</strong>em „Tribunal“ rechtfertigenzu müssen, und es kann das Missverständnisentstehen, dass e<strong>in</strong> Ethikkomiteebesser <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage sei, e<strong>in</strong>e schwierige ethischeEntscheidung zu treffen als die Behandelnden.Auch ist <strong>der</strong> Fokus auf e<strong>in</strong> Votum<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong> nicht notwendig. In<strong>der</strong> Praxis stellt vielmehr häufig die Mo<strong>der</strong>atione<strong>in</strong>es Entscheidungsf<strong>in</strong>dungsprozesses<strong>in</strong>nerhalb des Behandlungsteams denwesentlichen Wirkfaktor dar.Dagegen kann e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner professionellerEthikberater örtlich und zeitlich flexibelethische E<strong>in</strong>zelberatungen im Krankenhausdurchführen. E<strong>in</strong> Nachteil diesesModells besteht dar<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> professionellerEthikberater oft „E<strong>in</strong>zelkämpfer<strong>in</strong> Sachen Ethik“ im Krankenhausalltagbleibt. Die konsequente E<strong>in</strong>beziehungund Fortbildung <strong>der</strong> Mitarbeiter ist jedochunabd<strong>in</strong>gbare Voraussetzung für die Weiterentwicklungvon ethischer Kompetenz<strong>in</strong> möglichst vielen Bereichen.In <strong>der</strong> Praxis haben sich dezentraleModelle kl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong> (Untergruppedes Ethikkomitees, mobile<strong>Ethikberatung</strong>, dezentrale Initiativen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>zelnen Bereichen des Krankenhauses)bewährt. Diese Beratergruppen werdenzentral (Komitee o<strong>der</strong> professionellerEthiker) koord<strong>in</strong>iert und fortgebildet, zudemarbeiten sie sehr praxisnah <strong>in</strong> denAbteilungen des Krankenhauses. Dadurchwird die Schwelle für e<strong>in</strong>e <strong>Ethikberatung</strong>gesenkt und die Kommunikationzwischen den Beteiligten geför<strong>der</strong>t. Weiterh<strong>in</strong>kann e<strong>in</strong> Krankenhaus durch e<strong>in</strong>gutes Ethik-Fortbildungsprogramm verdeutlichen,dass ethische Probleme nichtan e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zelnen Ethikberater o<strong>der</strong> ane<strong>in</strong> Komitee delegiert werden sollen, son<strong>der</strong>ndie ethische Sensibilität, Argumentationund Entscheidungskompetenz beiden Mitarbeitern liegen muss und dortweiterentwickelt werden soll.2.3. Freiwillige BeratungDie E<strong>in</strong>führung Kl<strong>in</strong>ischer Ethikkomiteesund kl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong> stößt <strong>in</strong> <strong>der</strong>Deutsches Ärzteblatt⏐Jg. 103⏐Heft 24⏐16. Juni 2006 A 1705


B E K A N N T G A B E N D E R H E R A U S G E B E RPraxis nicht zuletzt bei Ärzten auf Vorbehalteund Wi<strong>der</strong>stände (11). Oftmals werdenfehlende Zeit, die mögliche Störunge<strong>in</strong>er vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung und e<strong>in</strong>e generelle Skepsis gegenüberweiteren Gremien und Verwaltungsstrukturenangeführt. E<strong>in</strong>ige Ärztefühlen sich <strong>in</strong> ihrer ärztlichen Identitätund therapeutischen Entscheidungsfreiheitdurch die kl<strong>in</strong>ische <strong>Ethikberatung</strong>bee<strong>in</strong>trächtigt. Diese Ablehnung beruhtjedoch häufig auf unzureichen<strong>der</strong> Informationund Missverständnissen.Jede Form ethischer Fallberatung sollgrundsätzlich nur auf Anfrage aus dem Behandlungsteamo<strong>der</strong> vonseiten des Patienteno<strong>der</strong> se<strong>in</strong>er Angehörigen stattf<strong>in</strong>den.Eshandelt sich um e<strong>in</strong> freiwilliges Beratungsangebot,das die Betroffenen bei ethischschwierigen mediz<strong>in</strong>ischen Entscheidungenunterstützen soll. Die Entscheidungsfreiheitdes Patienten darf dadurch ebensowenig e<strong>in</strong>geschränkt werden wie die Verantwortungund die Therapiefreiheit desArztes. Das Gleiche gilt für die Entscheidungsbefugnisund Verantwortung an<strong>der</strong>erbeteiligter Gesundheitsberufe. Der jeweilsVerantwortliche ist durch die ethische Fallberatungwe<strong>der</strong> von se<strong>in</strong>er Verantwortungentbunden,noch darf er zu Entscheidungengedrängt werden,die er aus se<strong>in</strong>er persönlichenbzw. beruflichen Verantwortung herausnicht tragen kann. Bei e<strong>in</strong>er guten<strong>Ethikberatung</strong> steht nicht e<strong>in</strong> Mehrheitsbeschluss<strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Votums, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>eVerbesserung des Erkennens und <strong>der</strong> Analyseethischer Probleme sowie des ethischenEntscheidungsf<strong>in</strong>dungsprozesses imMittelpunkt. Hierzu können Ethikberaterdurch gute Mo<strong>der</strong>ation, ethische Expertiseund Außensicht e<strong>in</strong>en wichtigen Beitragleisten.2.4. ZeitbedarfZeit ist auch im kl<strong>in</strong>ischen Alltag e<strong>in</strong> knappesGut, und e<strong>in</strong>e ethische Fallberatungerfor<strong>der</strong>t Zeit. Dabei muss jedoch bedachtwerden, dass <strong>Ethikberatung</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regelnur <strong>in</strong> schwierigen Entscheidungssituationendurchgeführt werden. Diese br<strong>in</strong>genhäufig Kommunikationsblockaden,emotionale Anspannung, nicht adäquatdiskutierte Me<strong>in</strong>ungsunterschiede bis h<strong>in</strong>zu zwischenmenschlichen Konflikten undBee<strong>in</strong>trächtigungen <strong>der</strong> Arbeitsfähigkeitdes Behandlungsteams mit sich. E<strong>in</strong>e gelungeneE<strong>in</strong>zelfallberatung kann durchihren Beitrag zur Konfliktlösung auch Zeitund Arbeitskraft e<strong>in</strong>sparen helfen. DasGleiche gilt für praxisrelevante ethischeLeitl<strong>in</strong>ien und Fortbildungen,die im Krankenhausalltagpräventiv Konflikte vermeidenund professionelles und zeiteffizientesArbeiten för<strong>der</strong>n können.2.5. WirksamkeitInternationale wissenschaftliche Studienund Erfahrungen aus deutschen Krankenhäusernbelegen, dass kl<strong>in</strong>ische<strong>Ethikberatung</strong> positive Auswirkungenauf die ethische Sensibilisierung, Kommunikation,Analyse,ArgumentationundEntscheidungskompetenz von Mitarbeitern<strong>in</strong> Krankenhäusern haben (12, 13, 14,15). Empirische Untersuchungen überden Effekt von kl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong>im E<strong>in</strong>zelfall konnten nicht nur e<strong>in</strong>e hoheZufriedenheit <strong>der</strong> Betroffenen belegen,son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong>e verbesserte kl<strong>in</strong>ischethischeEntscheidungsf<strong>in</strong>dung (13, 15).E<strong>in</strong> gleichberechtigter, transparenter und<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Diskurs unter den Betroffenenerweist sich als Voraussetzungfür e<strong>in</strong>en angemessenen Umgang mitethischen Problemen. Kl<strong>in</strong>ische <strong>Ethikberatung</strong>ssystemes<strong>in</strong>d im deutschenGesundheitswesen relativ neue E<strong>in</strong>richtungen.Zur Prüfung ihrer Effizienz undVerbesserung ihrer Arbeit bedarf eskont<strong>in</strong>uierlicher Evaluierung und wissenschaftlicherBegleitforschung.Um dies zu erreichen, muss nicht jedeInstitution Kriterien, Regeln und Modellekl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong> neu erf<strong>in</strong>den.In den letzten Jahrzehnten ist umfangreichzu mediz<strong>in</strong>- und kl<strong>in</strong>isch-ethischenFragestellungen geforscht und publiziertworden (3, 8–11, 16–20). Sich mit dieserLiteratur bei <strong>der</strong> Gründung und Etablierungkl<strong>in</strong>isch-ethischer Beratungsstrukturenzu beschäftigen,heißt nicht,die dar<strong>in</strong>enthaltenen Vorschläge unkritisch zuübernehmen. Jede Institution hat ihre Eigenarten,die durch die Literatur nichtvoll abgedeckt s<strong>in</strong>d. Aber die konstruktiv-kritischeAuse<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit diesenVorgaben bietet den Beteiligten dieChance, das eigene Tun <strong>in</strong> Kenntnis <strong>der</strong>theoretischen und praktischen Erfahrungenan<strong>der</strong>er wie <strong>der</strong> vorgeschlagenenKriterien, Regeln und Modelle zu reflektieren.Auf diese Weise können eigeneIdeen kritisch h<strong>in</strong>terfragt, korrigiert o<strong>der</strong>bestätigt werden.2.6. Rechtliche Aspekte2.6.1. GrundlagenE<strong>in</strong>e ethische Beratung und Leitl<strong>in</strong>ienentwicklungkann nur <strong>in</strong>nerhalb desrechtlichen Rahmens erfolgen. Innerhalbdes rechtlich Erlaubten kann sie allerd<strong>in</strong>gse<strong>in</strong>e wertvolle Hilfestellung dortgeben, wo das Recht Handlungsspielräumeeröffnet.E<strong>in</strong>e ethische Fallberatung entb<strong>in</strong>detauch nicht von <strong>der</strong> E<strong>in</strong>haltung rechtlicherVorgaben. Es muss allen Beteiligten bewusstse<strong>in</strong> (und sollte von den Verantwortlichen<strong>der</strong> jeweiligen Institution <strong>in</strong>geeigneter Form klargestellt werden),dass die Entscheidungsbefugnis und dieVerantwortung des jeweils Handelndendurch die ethische Fallberatung nicht aufgehobenwerden. Durch die Beratungstätigkeitdes Kl<strong>in</strong>ischen Ethikkomiteesdarf auch ke<strong>in</strong> Druck auf den jeweils zuständigenBerufsangehörigen ausgeübtwerden; dieser, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch <strong>der</strong> behandelndeArzt, muss eigenverantwortlichentscheiden. Ihn trifft damit unabhängigvon e<strong>in</strong>er vorherigen ethischenBeratung ggf. die haftungs- und strafrechtlicheVerantwortung.Sofern das Kl<strong>in</strong>ische Ethikkomiteeauch den Patienten berät, ist dafür zu sorgen,dass e<strong>in</strong>e klare Trennung zwischenethischer Beratung und ärztlicher Aufklärungstattf<strong>in</strong>det.2.6.2. Schweigepflicht und E<strong>in</strong>willigungdes PatientenE<strong>in</strong>e kl<strong>in</strong>ische <strong>Ethikberatung</strong> soll demBehandelnden e<strong>in</strong>e Hilfestellung <strong>in</strong>schwierigen Situationen liefern und damitzur besseren Versorgung <strong>der</strong> Patientenbeitragen. Häufig berührt sie dabeihöchstpersönliche Belange des e<strong>in</strong>zelnenPatienten und damit dessen Persönlichkeitsrechte.Beim H<strong>in</strong>zuziehen e<strong>in</strong>es Ethikkomiteesmuss deshalb die Anonymität des Patientenso weit wie möglich gewahrt bleiben.Durch e<strong>in</strong>e ethische Fallberatungdarf zudem die persönliche Arzt-Patient-Beziehung nicht gestört werden.Für Fälle, <strong>in</strong> denen die Anonymitätnicht vollständig sichergestellt werdenkann, sollten alle Beteiligten e<strong>in</strong>er ethischenFallberatung, soweit sie nicht ohneh<strong>in</strong><strong>der</strong> gesetzlichen o<strong>der</strong> berufsrechtlichenSchweigepflicht unterliegen, vonseiten<strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ikleitung zur Verschwiegenheitverpflichtet werden. Dies gilt sowohlfür die an <strong>der</strong> Behandlung beteiligten Gesundheitsberufeals auch für die kl<strong>in</strong>ik<strong>in</strong>ternenEthikberater.Nach Möglichkeit soll <strong>der</strong> Patient bzw.se<strong>in</strong> Vertreter über die Durchführung e<strong>in</strong>erethischen Fallberatung <strong>in</strong>formiertwerden und dieser zustimmen, soweit dieBeratung nicht anonym erfolgen kann.E<strong>in</strong>e generelle Information über die Praxis<strong>in</strong> <strong>der</strong> jeweiligen Institution kannschon bei <strong>der</strong> Aufnahme <strong>in</strong> das Krankenhauserfolgen.Ist das E<strong>in</strong>holen e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>willigung imkonkreten Fall nicht möglich o<strong>der</strong> von<strong>der</strong> Sache her nicht tunlich, kann von <strong>der</strong>mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung des Patientenausgegangen werden, sofern dieA 1706 Deutsches Ärzteblatt⏐Jg. 103⏐Heft 24⏐16. Juni 2006


B E K A N N T G A B E N D E R H E R A U S G E B E R<strong>Ethikberatung</strong> im wohlverstandenen Interessedes konkreten Patienten durchgeführtwird und ke<strong>in</strong>e Anzeichen dafür bestehen,dass <strong>der</strong> Patient die Fallberatungnicht wünscht. Der Patient bzw. se<strong>in</strong> Vertretersollte dann, sofern möglich, nachträglichüber die Fallberatung <strong>in</strong>formiertwerden.Die schriftliche Dokumentation <strong>der</strong>ethischen Fallberatung ist ausschließlichfür die Krankenunterlagen des Patientenbestimmt.3. Empfehlungen <strong>der</strong> ZEKO1. Die <strong>Zentrale</strong> <strong>Ethikkommission</strong> begrüßtdie zunehmende Gründung vonKl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitees und an<strong>der</strong>erkl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong>sstrukturen imdeutschen Gesundheitswesen als praxisrelevantenBeitrag zur besseren Versorgungvon Patienten und for<strong>der</strong>t E<strong>in</strong>richtungen,<strong>in</strong> denen <strong>der</strong>artige Strukturenbisher nicht bestehen, zu ihrer Implementierungauf.2. E<strong>in</strong>e wichtige Aufgabe Kl<strong>in</strong>ischerEthikkomitees und an<strong>der</strong>er <strong>Ethikberatung</strong>ssystemeist die kl<strong>in</strong>ische <strong>Ethikberatung</strong>im konkreten E<strong>in</strong>zelfall (ethischeFallberatung). Darüber h<strong>in</strong>aus sollenEthikkomitees die Möglichkeit nutzen,sich durch Leitl<strong>in</strong>ienentwicklung sowieethische Weiter- und Fortbildung an <strong>der</strong>Verbesserung <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Krankenversorgung<strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>richtung zu beteiligen.Durch diese Arbeit könnenwichtige Beiträge zur Organisations- undPersonalentwicklung, zum Qualitätsmanagement,zur Leitbildentwicklung undzur Kultur e<strong>in</strong>es Krankenhauses, e<strong>in</strong>erPraxis o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Pflegee<strong>in</strong>richtung geleistetwerden.3. Zu e<strong>in</strong>er guten kl<strong>in</strong>ischen <strong>Ethikberatung</strong>s<strong>in</strong>d Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit<strong>der</strong> Beteiligten, Unabhängigkeit<strong>der</strong> Berater, Freiwilligkeit <strong>der</strong> Beratung,<strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ärer Austausch undE<strong>in</strong>haltung <strong>der</strong> Schweigepflicht erfor<strong>der</strong>lich.4. Die Mitarbeiter <strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen<strong>Ethikberatung</strong> sollen e<strong>in</strong>e angemesseneFortbildung <strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischer Ethik und Mo<strong>der</strong>ationvon ethischen Fallbesprechungensowie <strong>in</strong> mediz<strong>in</strong>rechtlichen Fragenerhalten und für ihre Arbeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Ethikberatung</strong>im Krankenhaus angemesseneUnterstützung und Entlastung durch dieGeschäftsleitung erfahren.5. Die <strong>Zentrale</strong> <strong>Ethikkommission</strong> begrüßtdie Mitarbeit von Ärzten <strong>in</strong> denmultiprofessionell zusammengesetztenKl<strong>in</strong>ischen Ethikkomitees und <strong>in</strong> <strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen<strong>Ethikberatung</strong>. Hierdurch könnendie ethische Sensibilisierung, Argumentations-und Entscheidungskompetenzbei allen Beteiligten verbessert undärztliche Entscheidungen transparentergemacht werden.6. E<strong>in</strong>e ethische Fallberatung darf dieEntscheidungsbefugnis und die Verantwortungdes jeweils Handelnden nichtaufheben. Vielmehr muss <strong>der</strong> jeweils beruflichZuständige, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e auch<strong>der</strong> behandelnde Arzt, weiterh<strong>in</strong> verantwortlichentscheiden und handeln.7. E<strong>in</strong>e ethische Fallberatung soll diepersönliche Arzt-Patient-Beziehung nichtstören.Die Schweigepflicht muss gewahrtwerden. Nach Möglichkeit ist die E<strong>in</strong>willigungdes Patienten o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>es Vertreterszur ethischen Fallberatung e<strong>in</strong>zuholen.8. Kl<strong>in</strong>ische <strong>Ethikberatung</strong>ssystemes<strong>in</strong>d im deutschen Gesundheitswesen relativneue E<strong>in</strong>richtungen. Zur Prüfungihrer Effizienz und Verbesserung ihrerArbeit wird e<strong>in</strong>e kont<strong>in</strong>uierliche Evaluierungund wissenschaftliche Begleitforschungempfohlen.4. Literatur1. Dörries A, Hespe-Jungesblut K: Bundesweite Umfragezur Implementierung Kl<strong>in</strong>ischer <strong>Ethikberatung</strong> <strong>in</strong>Krankenhäusern. Bisher unveröffentlichtes Manuskript(2005).2. Simon A, Gillen E: Kl<strong>in</strong>ische Ethik-Komitees <strong>in</strong>Deutschland. Feigenblatt o<strong>der</strong> praktische Hilfestellung<strong>in</strong> Konfliktsituationen? In: Engelhardt v D,Loewenich v V, Simon A (Hg.). Die Heilberufe auf <strong>der</strong>Suche nach ihrer Identität. Lit Verlag, Münster 2001,S 151–7.3. Vollmann J: Healthcare ethics committees <strong>in</strong> Germany:Thepath ahead. HEC Forum 2001; 13: 255–64.4. Deutscher Evangelischer Krankenhausverband undKatholischer Krankenhausverband Deutschlands e.V.(Hg.). Ethik-Komitee im Krankenhaus. Selbstverlag,Stuttgart 1997.5. Vollmann J, Burchardi N, Weidtmann A: Kl<strong>in</strong>ischeEthikkomitees an deutschen Universitätskl<strong>in</strong>iken. E<strong>in</strong>eBefragung aller Ärztlichen Direktoren und Pflegedirektoren.Deutsche Mediz<strong>in</strong>ische Wochenschrift2004; 129: 1227–42.6. Gerdes B, Richter G: Ethik-Konsultationsdienst nachdem Konzept von J. C. Fletcher an <strong>der</strong> University ofVirg<strong>in</strong>ia, Charlottesville, USA. E<strong>in</strong> Praxisbericht ausdem Kl<strong>in</strong>ikum <strong>der</strong> Philipps-Universität Marburg.Ethik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> 1999; 11: 249–61.7. Reiter-Theil S: Ethik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik – Theorie für diePraxis: Ziele, Aufgaben und Möglichkeiten des Ethik-Konsils. Ethik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> 1999; 11: 222–32.8. Vollmann J, Weidtmann A: Das kl<strong>in</strong>ische Ethikkomiteedes Erlanger Universitätskl<strong>in</strong>ikums. Institutionalisierung,Arbeitsweise, Perspektiven. Ethik <strong>in</strong> <strong>der</strong>Mediz<strong>in</strong> 2003; 15: 229–38.9. Wernstedt T, Vollmann J: Das Erlanger Kl<strong>in</strong>ische Ethikkomitee.Organisationsethik an e<strong>in</strong>em deutschen Universitätskl<strong>in</strong>ikum.Ethik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong> 2005; 17:44–51.10. Ste<strong>in</strong>kamp N, Gordijn B: Ethik <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kl<strong>in</strong>ik undPflegee<strong>in</strong>richtung. E<strong>in</strong> Arbeitsbuch. Luchterhand,Neuwied, Köln, München 2005.11. Dörries A: Mixed feel<strong>in</strong>gs: Physicians’ concerns aboutcl<strong>in</strong>ical ethics committees <strong>in</strong> Germany. HEC Forum2003; 15: 245–57.12. Fox E, Arnold RA: Evaluat<strong>in</strong>g Outcomes <strong>in</strong> EthicsConsultation Research. Journal of Cl<strong>in</strong>ical Ethics1996; 7: 127–38.13. Orr RD, Morton KR, deLeon DM, Fals JC: Evaluation ofan Ethics Consultation Service: Patient and FamilyPerspective. The American Journal of Medic<strong>in</strong>e 1996;101: 135–41.14. Deutscher Evangelischer Krankenhausverband undKatholischer Krankenhausverband Deutschlands e.V.(Hg.). Ethik-Komitee im Krankenhaus. Erfahrungsberichtezur E<strong>in</strong>richtung von Kl<strong>in</strong>ischen Ethik-Komitees.Selbstverlag, Stuttgart 1999.15. Schnei<strong>der</strong>man LJ, Gilmer T, Teetzel HD, Dugan DO,Bluste<strong>in</strong> J, Cranford R, Briggs KB, Komatsu GI, Goodmann-CrewsP, Cohn F, Young EWD: Effect of EthicsConsultation of non-beneficial life-susta<strong>in</strong><strong>in</strong>g treatment<strong>in</strong> the <strong>in</strong>tensive care sett<strong>in</strong>g. Randomised controlledstudy trial. Journal of the American MedicalAssociation 2003; 290: 1166–72.16. American Society for Bioethics and Humanities: CoreCompetencies for Health Care Ethics Consultation.Selbstverlag, Glenview 1998.17. Slowther A, Bunch C, Woolnough B, Hope T: Cl<strong>in</strong>icalEthics Support <strong>in</strong> the UK:A review of current positionand likely development. The Nuffield Trust, London2001.18. Neitzke G: Ethik im Krankenhaus: Funktion und Aufgabene<strong>in</strong>es Kl<strong>in</strong>ischen Ethik-Komitees. ÄrzteblattBaden-Württemberg 2003; 4: 175–8.19. MacRae S, Chidwick P, Berry S, Secker B, Hebert P,Zlotnik Shaul R, Faith K, S<strong>in</strong>ger PA: Cl<strong>in</strong>ical bioethics<strong>in</strong>tegration, susta<strong>in</strong>ability, and accountability: theHub and Spokes Strategy. Journal of Medical Ethics2005; 31: 256–61.20. Kettner M: Ethik-Komitees. Ihre Organisationsformenund ihr moralischer Anspruch. Erwägen WissenEthik 2005; 16 (1): 3–16.5. Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Zentrale</strong>n<strong>Ethikkommission</strong>Prof. Dr. phil. D. Birnbacher, DüsseldorfProf. Dr. theol. P. Dabrock, MarburgFrau Dr. med. A. Dörries, HannoverProf. Dr. med. B. Gänsbacher, MünchenProf. Dr. med. Dr. rer. nat. G. Geißl<strong>in</strong>ger, Frankfurt/M.Frau Dr. rer. nat. S. Graumann, Berl<strong>in</strong>Prof. Dr. jur. F. Hufen, Ma<strong>in</strong>zProf. Dr. med. D. Niethammer, Tüb<strong>in</strong>gen/Berl<strong>in</strong>Frau Prof. Dr. rer. soz. I. Nippert, MünsterProf. Dr. med. Dr. phil. H. H. Raspe, LübeckProf. Dr. theol. habil. J. Reiter, Ma<strong>in</strong>zDr. med. J. Schuster, WürzburgProf. Dr. jur. J. Taupitz, MannheimProf. Dr. med. Dr. phil. J. Vollmann, Bochum(fe<strong>der</strong>führend)Frau Prof. Dr. med. I. Walter-Sack, HeidelbergProf. Dr. med. Dr. phil. U. Wies<strong>in</strong>g, Tüb<strong>in</strong>genKorrespondenzadresse:<strong>Zentrale</strong> <strong>Ethikkommission</strong> bei <strong>der</strong> BundesärztekammerHerbert-Lew<strong>in</strong>-Platz 110623 Berl<strong>in</strong>Tel.: 0 30/40 04 56-4 60Fax: 0 30/40 04 56-4 86E-Mail: zeko@baek.deDeutsches Ärzteblatt⏐Jg. 103⏐Heft 24⏐16. Juni 2006 A 1707

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