23.11.2012 Aufrufe

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Perspektiven eines sozialistischen Feminismus 643<br />

im Sozialistischen Frauenbund ein Zentrum <strong>für</strong> die Kampagne. In wenigen<br />

Wochen hatten sich Hunderttausende mit ihrer Unterschrift den im Stern veröffentlichten<br />

Selbstanzeigen angeschlossen und so die juristische Verfolgung<br />

unmöglich gemacht. Als 48 Gruppen sich um den Paragraphen 218 gegründet<br />

hatten, beschlossen wir, einen ersten Frauenkongreß in Frankfurt am Main<br />

durchzuführen. Dieser Kongreß war zugleich euphorischer Beginn, Wendepunkt<br />

und Spaltung der neuen Bewegung. Von daher scheint es mir wichtig,<br />

dieses Ereignis genauer zu studieren. Kulturell war er ein einschneidendes Erlebnis.<br />

Die mehr als 400 Delegierten gaben uns <strong>das</strong> Gefühl enormer Stärke.<br />

Wir probten eine bis dahin nicht dagewesene Militanz gegenüber der männlichen<br />

Öffentlichkeit (in den ersten zwei Jahren gab es sogar ein männliches Mitglied<br />

im Westberliner Aktionsrat - Otto -, ohne daß dies jemanden besonders<br />

gestört hätte). Presse, Funk, Fernsehen, die alle in männlicher Besetzung<br />

gekommen waren, mußten vor der Tür auf unsere Erklärungen warten, die wir<br />

ihnen wie Regierungsverlautbarungen verkündeten. Innen dagegen tobten heftige<br />

Schlachten. Unser Hauptthema war: warum organisieren wir uns als Frauen<br />

separat? Und immer wieder stellten wir uns die Frage, welche Rolle eigentlich<br />

die Männer als Feinde spielen.<br />

Was wir der Presse präsentierten, würden wir heute eine Gewerkschaftslinie<br />

nennen. Jede Formulierung setzte sich mit der Notwendigkeit gewerkschaftlicher<br />

Orientierung auseinander. Grußadressen an den DGB wurden verabschiedet<br />

- überhaupt waren wir Frauen selbstverständlich sozialistisch. Wir beschlossen<br />

z.B. auch folgende <strong>für</strong> eine feministische Gruppe <strong>für</strong> lange Zeit undenkbare<br />

Erklärung:<br />

»Wir fordern den Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder auf, ... <strong>das</strong> Berufsverbot<br />

<strong>für</strong> Radikaldemokraten, Sozialisten und Kommunisten aufzuheben - wir fordern den<br />

[nnenminister Genseher auf, <strong>das</strong> Einreiseverbot <strong>für</strong> den Marxisten Ernest Mandel aufzuheben<br />

... «<br />

Zum Abschluß hatten wir ein Frauenfest geplant, was damals ein unglaubliches<br />

und von uns selbst nur schwer akzeptiertes Ereignis war. Allzusehr beherrschte<br />

uns der Gedanke, daß zu einem Fest Geschlechterspannung gehöre<br />

(vgl. dazu etwa <strong>das</strong> Gespräch zwischen P. Furth und H. Marcuse, Das Argument<br />

22, 1962). Das Fest war ein großer Erfolg und eine eindrucksvolle Erfahrung<br />

und damit Wahrnehmung von Frauensolidarität. Das zum Abschluß gemeinsam<br />

gesungene Frauenlied ist zugleich <strong>das</strong> erste und letzte, welches die<br />

Radikalität der Sozialistinnen und der Feministinnen verbindet, mit großem<br />

Schwung Profit und Sex zusammenbringt.<br />

»[n der Werbung Puppen, Arbeit in Leichtlohngruppen / wir sind stets nur Objekt / schlank sei<br />

die Hüfte, groß da<strong>für</strong> die Brüste / auch wenn die Psyche verreckt / Frauen, Frauen zerreißt eure<br />

Kellen / Schluß mit Objekt sein in Betten / Frauen gemeinsam sind stark / Frauen schuften, putzen<br />

/ Bosse ziehn den Nutzen / als seis Naturgesetz / schlechte Bezahlung, teure Kriegsbemalung /<br />

und Isolierung zuletzt / Frauen, Frauen nicht länger konkurrieren / sondern gemeinsam marschieren<br />

/ Frauen gemeinsam sind stark / Wir sollen dienen als Gebärmaschinen / aber wir wolln<br />

<strong>das</strong> nicht mehr / ob Lohn ob Beischlaf, wir solln umen liegen / passiv in alles uns fügen / Umsturz,<br />

Umsturz ist mehr als Enteignung / Umgang von Freien mit Freien / Frauen gemeinsam<br />

sind stark / Frauen stehn am fließband, \Iänner sind im Vorstand / Männer sind meist Herrn­<br />

Frauen Knecht / Frauen kriegen Kinder - Männer sind Erfinder / und dem System ist es recht /<br />

DAS ARGUMENT 159/1986 'S

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!