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Wann ist der Mensch ein Mensch ? - Integra

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den letzten zwei Jahrzehnten mit zunehmendem Engagement befürwortet wird, bezeichnetaber nicht nur allgem<strong>ein</strong>e Überlegungen über "Kostendämpfung" o<strong>der</strong> "Abschaffung vonVerschwendung", zum Beispiel durch den Zwang für Ärztinnen und Ärzte, bei identischenArzneimitteln das billigere zu verschreiben o<strong>der</strong> medizinisch als unwirksam erkannteLe<strong>ist</strong>ungen nicht zu verordnen. Im Zentrum <strong>der</strong> Rationierungsüberlegungen stehen dieBegrenzung von sinnvollen, teilweise lebensnotwendigen Medikamenten und Therapien ausKostengründen und die dafür erfor<strong>der</strong>liche Legitimation. Baruch A. Brody, Ethik-Professoran <strong>der</strong> Universität in Houston/Texas, beschreibt <strong>ein</strong>e <strong>der</strong> möglichen Strategien: "Zunächstwerden Gesundheitsle<strong>ist</strong>ungen definiert, die zwar <strong>ein</strong>en gewissen Nutzen bringen, aber sehrteuer sind. Dann wird entschieden, diese Le<strong>ist</strong>ungen nicht zu erbringen, selbst wenn sie fürden Patienten <strong>ein</strong>en Heilerfolg bringen." Daß älteren nierenkranken Patienten inGroßbritannien die lebensrettende Dialyse vorenthalten wird, <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Beispiel. Ein weiteres,aus den USA, hat Hagen Kühn vom Wissenschaftszentrum Berlin analysiert: Die Verwaltungdes Sozialhilfeprogramms Medicaid im US-Bundesstaat Oregon hat 1987 beantragt, anKin<strong>der</strong>n von Sozialhilfeberechtigten künftig k<strong>ein</strong>e Organtransplantationen mehr vorzunehmen.Das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei günstiger, so die Gesundheitsverwalter, wenn dieGel<strong>der</strong> des knappen Budgets für Vorsorgeuntersuchungen bei kl<strong>ein</strong>en Kin<strong>der</strong>n undschwangeren Frauen verwandt würden. Das Parlament, dominiert von liberalen Demokraten,stimmte <strong>der</strong> Empfehlung zur Rationierung zu. Der "tragische Charakter" <strong>der</strong> Entscheidungwurde zwar ausdrücklich betont, in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion wurde aber vor allemherausgehoben, daß die Vernachlässigung <strong>der</strong> "unsichtbaren" (weil nur in <strong>der</strong> Stat<strong>ist</strong>ik inErsch<strong>ein</strong>ung tretenden) Schwangeren gegenüber <strong>der</strong> Verweigerung <strong>der</strong> Kostenübernahme beiden "gut sichtbaren" Kin<strong>der</strong>n das größere Übel wäre. Das strategische Ziel <strong>der</strong>Rationierungsmaßnahme, so <strong>der</strong>en Betreiber, sei, <strong>ein</strong> System <strong>der</strong> Basisversorgung nachrationalen Kriterien durchzusetzen. Daß sich dabei das Le<strong>ist</strong>ungsniveau verringern müsse, seiunvermeidlich.Diese Idee, die medizinische Versorgung in <strong>ein</strong>e für alle bereitzustellende Grundsicherungund in <strong>ein</strong>e mit erhöhten Beiträgen selbst zu finanzierende Absicherung auch sehr teuerero<strong>der</strong> seltener Therapien aufzuspalten, findet in den USA viele Anhänger. Sie ver<strong>ein</strong>e, soargumentiert zum Beispiel <strong>der</strong> Ethiker Baruch Brody, die Vorzüge <strong>der</strong> Rationierung, diewirkungsvolle Kostenreduzierung, mit den Erfor<strong>der</strong>nissen <strong>ein</strong>es ethisch vertretbarenKonzeptes: daß die Patienten auch in die Nichtbehandlung <strong>ein</strong>willigen: "(Die Bedürftigen)könnten sich für <strong>ein</strong>e Krankenkasse entscheiden, die ihr Hauptgewicht auf präventiveMedizin und bessere, angenehmere Primärversorgung legt und dafür gewisse teureHochtechnologie in auswegloser Situation nicht übernimmt. Sie könnten auch Mitglied <strong>ein</strong>erKasse werden, die mehr für den schweren Notfall ausgelegt <strong>ist</strong>, <strong>ein</strong>e, die Primärversorgungund Vorsorgemedizin mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> ausklammert. Warum müssen wir anstelle <strong>der</strong> direktBetroffenen diese Wahl treffen?"Auch in <strong>der</strong> bundesdeutschen Diskussion werden, und längst nicht mehr nur ver<strong>ein</strong>zelt, vergleichbareModelle vorgeschlagen. "Sanierung des Sozialbudgets durch mehrSelbstverantwortung und mehr freie Wahl von Gesundheitsle<strong>ist</strong>ungen, d. h. auch mehrSelbsthaftung und Selbstkosten <strong>der</strong> Bürger für ihre Lebensführung", regt zum BeispielProfessor Horst Baier von <strong>der</strong> Universität Konstanz an. Gesundheitspolitik als Managementausschließlich des "Grundrisikos" schwebt auch Professor Hans Martin Sass vor. Zwarsch<strong>ein</strong>t ihm problematisch, daß nicht alle Leute in Geld in die Gesundheitsvorsorge steckenwollen, die Beispiele, die er wählt, zeigen aber, daß er von den realen medizinischen undethischen Problemen, die die Abschaffung des Solidarprinzips in <strong>der</strong> Krankenversicherunghaben werden, sich k<strong>ein</strong>e rechte Vorstellung machen will: "Gewiß werden <strong>ein</strong>ige lieber teure4


chinesische Jade o<strong>der</strong> Rennautos kaufen ... als Versicherungsprämien für die medizinischeBasisversorgung zu zahlen."Weniger deutlich auf die Bedürfnisse <strong>der</strong> Edelst<strong>ein</strong>besitzer abgestimmt klingen dieVorstellungen des Bayreuther Ökonomen Professor Peter Oberen<strong>der</strong>, <strong>der</strong> "<strong>ein</strong> dualesVersicherungssystem" propagiert: "<strong>ein</strong>e obligatorische Grundversorgung nach demSolidarprinzip für alle und <strong>ein</strong>e freiwillige Zusatzversicherung nach dem Äquivalenzprinzip".Daß die Wahlfreiheit bestenfalls theoretischer Natur <strong>ist</strong>, zeigt das Beispiel <strong>der</strong> OregonerRationierungsentscheidung: Die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Medicaid-Versicherten können sich tatsächlichnicht anstelle <strong>der</strong> „medizinischen Basisversorgung“ für <strong>ein</strong>e umfassen<strong>der</strong>e therapeutischeBehandlung entscheiden. Sie selbst sind nicht mündig - und ihre Eltern haben nicht das nötigeGeld. Ähnlich dürfte es um die me<strong>ist</strong>en Gruppen bestellt s<strong>ein</strong>, <strong>der</strong>enBehandlungsmöglichkeiten sich im Zuge <strong>der</strong>artiger Rationierungsprogramme unversehens aufdie Grundversorgung reduzieren würde.Das Beispiel von Oregon zeigt, daß selbst die Gruppe <strong>der</strong> auf Medicaid angewiesenen<strong>Mensch</strong>en nicht vollständig von <strong>der</strong> Rationierung betroffen <strong>ist</strong>: Weil deutlich <strong>ist</strong>, daß es sichbei den Beschlüssen k<strong>ein</strong>eswegs um <strong>ein</strong>e sinnvolle Reduzierung o<strong>der</strong> Umverteilung <strong>der</strong>Krankenversorgungsausgaben handelt, son<strong>der</strong>n um <strong>ein</strong>e rigide Beschneidunglebenserhalten<strong>der</strong> Therapien aus r<strong>ein</strong> ökonomischen Gründen, wurden alle Gruppen, die über<strong>ein</strong>e relativ starke Lobby verfügen, aus dem Sparprogramm herausgenommen: We<strong>der</strong> dieAngehörigen von Behin<strong>der</strong>ten, Alten, Blinden noch Psychiatriepatienten sind von denSparbeschlüssen betroffen. Damit blieben vor allem all<strong>ein</strong>stehende, sozialhilfeberechtigteMütter und ihre Kin<strong>der</strong> übrig, die die Folgen dieses Versuchs, Kostenreduzierungdurchzusetzen, tragen müssen.Hagen Kühn we<strong>ist</strong> auf <strong>ein</strong>en zusätzlichen makabren Aspekt dieses Experiments in Oregonhin: „Das Knappheitsaxinom, mit dem die Gesundheitsökonomie operiert, <strong>ist</strong> bei denverweigerten Transplantationsorgane tatsächlich physisch knapp sind, haben die Ober- undMittelschichtsangehörigen, die <strong>der</strong> Rationierung für die Sozialhilfebedürftigen zugestimmthaben, die stat<strong>ist</strong>ische Wahrsch<strong>ein</strong>lichkeit, daß ihre eigenen Kin<strong>der</strong> im Bedarfsfall <strong>ein</strong> Organerhalten können, verbessert.“Daß <strong>ein</strong>e Rationierung medizinischer Le<strong>ist</strong>ungen mit so <strong>ein</strong>schneidenden Folgen notwendigsei, wird von Gesundheitspolitikern und Gesundheitsökonomen seit <strong>ein</strong>igen Jahren mit demgleichen stereotypen Verweis auf die „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ begründet.Daß diese „Explosion“ tatsächlich stattgefunden hat, läßt sich aber nur sch<strong>ein</strong>bar gut belegen.Setzt man die Ausgaben für die Gesundheit in Beziehung zum Bruttosozialprodukt stellt manfest, daß <strong>der</strong> Anteil von 1970 bis 1975 zwar von 5,9 auf 8,2 Prozent gestiegen, seitdem aberannähernd gleich geblieben <strong>ist</strong> (1985: 8,6 Prozent, 1989: 8,2 Prozent). Nimmt man nur dieAusgaben <strong>der</strong> gesetzlichen Krankenversicherung, <strong>ist</strong> <strong>der</strong> Trend noch deutlicher: 1989 wurdemit 5,6 Prozent Anteil <strong>der</strong> GVK-Ausgaben am Bruttosozialprodukt erstmals sogar <strong>der</strong> Standvon 1975 unterschritten. In den USA, <strong>der</strong>en stärker privatwirtschaftlich organisiertes und aufEigenverantwortung basierendes Modell in <strong>der</strong> bundesdeutschen Debatte <strong>ein</strong>e wichtige Rollespielt - was die Privatisierung im Krankenhaussektor betrifft, hat es sogar Vorbildcharakter -,sind die Kosten dagegen von 7,4 Prozent 1970 über 10,6 Prozent 1985 auf 11,8 Prozent 1989geklettert. Der in <strong>der</strong> Bundesrepublik spürbar steigende Anteil <strong>der</strong> Krankenkassenbeiträge amLohn <strong>ist</strong> also nicht auf die „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ zurückzuführen, son<strong>der</strong>nauf <strong>ein</strong>e Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums, die sich im niedrigeren Anteil <strong>der</strong>Bruttolohnsumme am Bruttosozialprodukt nie<strong>der</strong>schlägt. Deren Anteil sank von 47,2 Prozent1975 auf 41,9 Prozent 1989.5


über die Kosten und die Notwendigkeit zu ihrer Reduzierung geredet, die qualitativenAspekte werden weitgehend ausgeblendet.Das 1989 in Kraft getretene Gesundheitsreformgesetz und das 1992 beschlossene weiterreichende Gesundheitsstrukturgesetz haben deutliche Vorgaben für die Entwicklung <strong>der</strong>nächsten Jahre gegeben. Eine offene Rationierung <strong>ist</strong> darin zwar noch nicht enthalten - dieRahmenbedingungen werden aber geschaffen. Und <strong>der</strong> Sachverständigenrat <strong>der</strong> KonzertiertenAktion im Gesundheitswesen hat in s<strong>ein</strong>em Jahresgutachten 1991 die weitere Richtungvorgegeben. Unter <strong>der</strong> Überschrift „Ethische Aspekte <strong>der</strong> Le<strong>ist</strong>ungsgewährung“ wird dortfestgeschrieben, daß dem Arzt mit k<strong>ein</strong>er Entscheidung auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Politik undSelbstverwaltung das Dilemma <strong>der</strong> Rationierung von Le<strong>ist</strong>ungen zu ersparen sei. „EineAllokation von Ressourcen für Patienten auf Kosten <strong>ein</strong>es an<strong>der</strong>en, wird mit dem weiterenFortschritt und dem Auftreten von Kapazitätsengpässen immer häufiger erfolgen müssen.“Der Bundesgesundheitsmin<strong>ist</strong>er hat die Botschaft verstanden und die Sachverständigenbeauftragt, in die Tat umzusetzen, was sie für unvermeidlich halten. Innerhalb <strong>der</strong> nächstenJahre soll <strong>ein</strong> Katalog erstellt werden, <strong>der</strong> Vorschläge dafür enthält, welche Le<strong>ist</strong>ungenlangfr<strong>ist</strong>ig nicht mehr von dem Krankenkassen finanziert werden sollen. Damit wirdfortgesetzt, was in größerem Umfang im Gesundheitsreformgesetz beschlossen wurde - undprompt den Trend zur Voll- o<strong>der</strong> Zusatzversicherung in den privaten Kassen forciert hat. DieGefahr wird größer, daß sich <strong>ein</strong> duales Versicherungssystem etabliert, auch ohne daß das alteund grundsätzlich bewährte Konzept <strong>der</strong> Vollversicherung in <strong>der</strong> gesetzlichenKrankenversicherung (GVK) offen abgeschafft wird: Je mehr Mitglie<strong>der</strong> die GVK verliert,desto leichter werden auch weitere Beschneidungen <strong>der</strong> noch gewährten Le<strong>ist</strong>ungen, weil eslängst k<strong>ein</strong> artikulationsfähiges, <strong>ein</strong>flußreiches Protestpotential mehr in den Kassen gibt. Sieentwickeln sich zum Sammelbecken sogenannter schlechter Risiken - und das sind in <strong>der</strong>Regel eben auch Angehörige sozial benachteiligter Gruppen.Das Gesundheitsstrukturgesetz hat die Entwicklungen, die mit dem Gesundheitsreformgesetzvor allem im ambulanten Bereich angeschoben worden sind, nun auch im stationären Sektor<strong>ein</strong>geleitet. Zwar hat die dort festgeschriebene Budgetierung <strong>der</strong> Gesundheitskosten auf demNiveau von 1992 (angepaßt an die Preissteigerungsraten) nicht unmittelbar spürbar negativeAuswirkungen auf die Qualität <strong>der</strong> Therapie im Krankenhaussektor. Die Abkehr vomKostendec??kungsprinzip erleichtert aber für die Zukunft auch die Festsetzung sehr vielniedrigerer Budgets, was unweigerlich fatale Konsequenzen für die teuren Abteilungen undTherapien haben wird. Zudem birgt die Entscheidung, die Krankenhäuser künftig übersogenannte Fallpauschalen, Son<strong>der</strong>entgelte und Abteilungspflegesätze abrechnen zu lassen,<strong>ein</strong> bedrohliches Potential in sich. Während die Fallpauschalen nur für eng umgrenzteBehandlungen mit absehbarem Verlauf, also zum Beispiel Blinddarmoperationen, erhobenwerden können, sind die Son<strong>der</strong>entgelte für die Abrechnung aufwendiger ärztlicher undpflegerischer Tätigkeiten gedacht, dazu könnte zum Beispiel die Surfactant-Behandlung 27intensivmedizinisch behandelter Neugeborener zählen. Fallpauschalen und Son<strong>der</strong>entgeltewerden dazu führen, daß viele Kliniken sich auf die lukrativ ersch<strong>ein</strong>enden Behandlungenkonzentrieren, die durch kurze Verweildauer <strong>der</strong> Patienten und knappe Kalkulation <strong>der</strong>eigenen Kosten <strong>ein</strong>e Gewinnorientierung ermöglichen. Die Behandlung von chronischKranken, <strong>Mensch</strong>en mit unklaren Prognosen, komplizierten Krankheitsbil<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> schwerenBehin<strong>der</strong>ungen werden voraussichtlich zume<strong>ist</strong> in öffentliche Krankenhäuser kommen - dieso, im Konkurrenzkampf mit den „schlechten Risiken“ belastet, tiefgreifende Sparmaßnahmenwerden durchführen müssen, um nicht tief in die Verlustzonen und damit in diePleite zu rutschen. Universitätskliniken wurden zunehmend zu „Endabnehmern schwererFälle“ bilanzierte bereits im Juni 1993 <strong>der</strong> AOK-Bundesverband das Ergebnis desGesundheitsstrukturgesetzes.7


Die Bestimmung <strong>der</strong> Abteilungspflegesätze wird dazu führen, daß vor allem beiBehandlungen im intern<strong>ist</strong>ischen und intensivmedizinischen Bereich die ökonomischenEinwände zunehmen werden: Wenn die kostengünstige Therapie <strong>der</strong> Blinddarmentzündungnicht mehr die - und medikamentenintensive Therapie <strong>ein</strong>es Frühgeborenen mit Spina bifidadurch den <strong>ein</strong>heitlichen Pflegesatz „subventioniert“, werden, wie das Beispiel Oregon zeigt,die offensichtlich hohen Kosten leichter herauslösbar, das heißt zur Rationierung freigeben.Der allmählichen Auflösung <strong>der</strong> Solidargem<strong>ein</strong>schaft auf <strong>der</strong> politischen Ebene entspricht dieAuflösung des Kostendeckungsprinzip an den Behandlungsstätten. Sowohl Ärztinnen alsauch Patienten, als auch <strong>der</strong> Gesellschaft insgesamt werden die Kosten, die <strong>ein</strong>zelneverursachen, ständig bewußtgemacht. Die Dominanz <strong>der</strong> ökonomischen Betrachtung, die auf<strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Entscheidungsinstanzen ohnedies zu verzeichnen <strong>ist</strong>, wird damit weiter nachunten verlagert - mit absehbaren Konsequenzen: Qualität und Le<strong>ist</strong>ung geraten aus dem Blick,die als Verursacher beson<strong>der</strong>s hoher Kosten indentifizierten <strong>Mensch</strong>en geraten zunehmendunter Druck. Statt um Solidarität geht es um den Preis, die entscheidende Frage wird die, obsich <strong>ein</strong>e Behandlung „lohnt“. Die ökonomische Sphäre hat die ethische damit durchdrungen:Die Diskussion um Werte <strong>ist</strong> zu <strong>ein</strong>er um den Wert geworden. Die Opfer <strong>der</strong> Rationierungsind dieselben, <strong>der</strong>en Tod auch in <strong>der</strong> „Euthanasie“-Debatte als erwünscht angesehen wird.Arme Alte, finanzschwache Schwerbehin<strong>der</strong>te, chronisch Kranke mit Geldsorgen. EinBeispiel für die Selektion liefern britische Autoren in <strong>ein</strong>er Studie über „Cost and Choice inHealth Care“, die die Geschichte <strong>ein</strong>es 60 Jahre alten Mannes mit Nierenversagen vorstellenund kommentieren: „Mr. W. war während s<strong>ein</strong>er Behandlung deutlich mißgestimmt, unkommunikativund <strong>ein</strong>deutig nicht in <strong>der</strong> Lage, sich mit an<strong>der</strong>en zu beschäftigen - allessicherlich erklärlich durch s<strong>ein</strong> Nierenversagen und s<strong>ein</strong>e psychiatrischen Probleme ... S<strong>ein</strong>eAngehörigen besuchten ihn gelegentlich, offensichtlich eher aus Pflichtgefühl, als weil sie ihnwirklich mochten ... Die Dialysestation des Krankenhauses war zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Aufnahmevon Mr. W. völlig überlastet, außerdem gab es nicht genug Schwestern, weil gerade Stellenaus finanziellen Gründen gestrichen worden waren ... Der ge<strong>ist</strong>ige Zustand und die sozialenVerhältnisse ließen <strong>ein</strong>e Dialyse bei Mr. W. zu Hause aber unmöglich ersch<strong>ein</strong>en. Also bliebals <strong>ein</strong>ziger Ausweg <strong>ein</strong>e Transplantation, für die aber k<strong>ein</strong> Spen<strong>der</strong> ex<strong>ist</strong>ierte. Es blieb alsonur die Möglichkeit, Mr. W. die Therapie vorzuenthalten o<strong>der</strong> die Dialyse-Einheit imKrankenhaus überzubelegen. Mr. W.s Fall wurde mit Ärzten, Schwestern, dem Psychiater unddem Hausarzt sowie den Sozialarbeitern und s<strong>ein</strong>em ältesten Sohn besprochen. Schließlichwurde entschieden, ihm k<strong>ein</strong>e anzubieten. Wenig später starb er. Wäre er sechs Monate frühero<strong>der</strong> später gekommen, als es mehr Transplantate gab, hätte er überleben können. Wäre stattMr. W. <strong>ein</strong>e 30 Jahre alte verheiratete Frau zur Behandlung gekommen, wäreselbstverständlich <strong>ein</strong>e Möglichkeit zur Behandlung gefunden worden.“8

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