23.11.2012 Aufrufe

Literarisches Lernen mit narrativen ... - Mediaculture online

Literarisches Lernen mit narrativen ... - Mediaculture online

Literarisches Lernen mit narrativen ... - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Autor: Boelmann, Jan.<br />

Titel: <strong>Literarisches</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>mit</strong> <strong>narrativen</strong> Computerspielen.<br />

Quelle: merz. Medien + Erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik. 54. Jahrgang, Nr. 2<br />

April 2010, S. 49-54.<br />

Verlag: Kopaed.<br />

Die Veröffentlichung erfolgt <strong>mit</strong> freundlicher Genehmigung des Verlags.<br />

Jan Boelmann<br />

<strong>Literarisches</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>mit</strong> <strong>narrativen</strong><br />

Computerspielen.<br />

Computerspiele dienen nicht nur der privaten Unterhaltung von Schülerinnen und<br />

Schülern zu Hause. Die meisten von ihnen erzählen auch Geschichten, die viel Potenzial<br />

bieten, im Unterricht besprochen und analysiert zu werden. So können im schulischen<br />

Rahmen anhand eines Mediums, das vielen Jugendlichen bereits vertraut ist,<br />

Untersuchungsstrategien ver<strong>mit</strong>telt werden, die sich dann auch auf literarisches <strong>Lernen</strong> in<br />

anderen Kontexten übertragen lassen.<br />

Einführung<br />

Computerspiele haben in Deutschland keinen guten Ruf. Obwohl sie im August 2008<br />

durch den Deutschen Kulturrat zum Kulturgut erklärt wurden, werden sie in der Schule<br />

immer noch stiefkindlich behandelt. Immerhin gelten sie als Auslöser von Gewalttaten und<br />

als Ursache sozialer Vereinsamung. Dies kann als Grund dafür gesehen werden, dass der<br />

Schulunterricht Computerspiele als Lernmedien ausblendet. Dennoch können<br />

Computerspiele einen wichtigen Beitrag für den Deutschunterricht leisten. Computerspiele<br />

haben - im Gegensatz zum Buch - einen festen Sitz in der Lebenswelt vieler Schülerinnen<br />

und Schüler. Vor allem männliche Schüler aus den sogenannten bildungsfernen<br />

Schichten fühlen sich von Literatur oftmals überfordert. Computerspiele können gerade für<br />

1


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

diese leseschwachen Schüler (aber auch Schülerinnen) eine Brücke hin zum<br />

kompetenten Umgang <strong>mit</strong> Literatur schlagen.<br />

In seinem 2006 erschienenen Grundsatzartikel zum literarischen <strong>Lernen</strong> betont I


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

literarischer unterscheidet. Ein weiterer für die folgende Untersuchung wichtiger<br />

Unterschied liegt darin, dass Lesekompetenz an Geschriebenes gebunden ist, während<br />

literarisches <strong>Lernen</strong> auch an auditiven und visuellen Rezeptionsformen vollzogen werden<br />

kann.<br />

1. Beim Lesen und Hören Vorstellungen entwickeln<br />

2. Subjektive Involviertheit und genaue Wahrnehmung <strong>mit</strong>einander ins Spiel<br />

bringen<br />

3. Sprachliche Gestaltung aufmerksam wahrnehmen<br />

4. Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen<br />

5. Narrative und dramaturgische Handlungslogik verstehen<br />

6. Mit Fiktionalität bewusst umgehen<br />

7. Metaphorische und symbolische Ausdrucksweise verstehen<br />

8. Sich auf die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses einlassen<br />

9. Mit dem literarischen Gespräch vertraut werden<br />

10.Prototypische Vorstellungen von Gattungen/Genres gewinnen<br />

11.Literaturhistorisches Bewusstsein entwickeln<br />

Aspekte literarischen <strong>Lernen</strong>s nach Kaspar Spinner<br />

Spinner benennt elf Aspekte literarischen <strong>Lernen</strong>s, die für die gelingende Rezeption von<br />

literarischen Texten notwendig sind und das gesamte Spektrum literarischen Verstehens<br />

umfassen. Eine Annäherung in dieser Form macht eines deutlich: Die unter dem Begriff<br />

des literarischen <strong>Lernen</strong>s gebündelten Aspekte sind zwar für Literatur spezifisch, doch<br />

kann sich literarisches <strong>Lernen</strong> auch an anderen <strong>narrativen</strong> Rezeptionsformen vollziehen.<br />

So lässt sich ein Film ohne die Fähigkeit, die Handlungslogik der Erzählung zu begreifen<br />

oder die Motivation des Protagonisten nachzuvollziehen, nicht verstehen; Computerspiele<br />

3


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

wären ohne explizites Genrewissen nur sehr eingeschränkt spielbar, da sich die<br />

Steuerung und die benötigten Problemlösestrategien bei ihnen genrespezifisch<br />

unterscheiden.<br />

Narrative Computerspiele als Lernmedien für literarisches <strong>Lernen</strong><br />

Um literarisches <strong>Lernen</strong> <strong>mit</strong> Computerspielen zu vollziehen, ist es wichtig, <strong>mit</strong> solchen<br />

Spielen zu arbeiten, die Strukturähnlichkeiten zu literarischen Texten aufweisen. Diese<br />

sollen unter dem Begriff des <strong>narrativen</strong> Computerspiels zusammengefasst werden.<br />

Hans-Joachim Backe hat in seiner Erzähltheorie des Computerspiels (Backe 2008)<br />

nachgewiesen, dass sich alle Spiele als narrativ beschreiben lassen, sich der Grad der<br />

Narrativität aber stark unterscheidet. Die Vielzahl unterschiedlicher Spieleformen und der<br />

hier<strong>mit</strong> verbundenen Differenzen machen eine Eingrenzung auf eine spezielle Gruppe von<br />

Spielen notwendig. Wie Backe nehme ich für das weitere Vorgehen (<strong>mit</strong> dem Fokus auf<br />

die Strukturähnlichkeiten zur Literatur) an dieser Stelle folgende Eingrenzung vor:<br />

Computerspiele sollen als narrativ verstanden werden, wenn in ihnen durch das<br />

Spielgeschehen und über die Rahmenhandlung hinaus eine vorher festgelegte<br />

Geschichte erzählt wird. Neben den Adventure-, Rollen- und Strategiespielen zählen auch<br />

einige Ego-Shooter und Action-Adventure-Spiele zu dieser Gruppe. Ausgeklammert<br />

werden so<strong>mit</strong> Online-Rollenspiele wie World of Warcraft, Simulationen wie Fußball<br />

Manager 2009 oder Jump and Run-Games wie Super Mario, die zwar im<br />

erzähltheoretischen Sinne ebenfalls Geschichten erzählen, bei denen die Erzählung aber<br />

nicht im Vordergrund der Spielhandlung steht.<br />

Ein Lernpotenzial von <strong>narrativen</strong> Computerspielen liegt darin, Verfahren der<br />

Erzähltextanalyse zu erproben und so<strong>mit</strong> literarisches <strong>Lernen</strong> zu ermöglichen. In seiner<br />

Dissertationsschrift Computerspielanalyse konkret zeigt Danny Kringiel (2009) sechs<br />

Orientierungen innerhalb der Garne Studies zur Computerspielanalyse auf und erprobt<br />

diese wechselseitig an einem konkreten Beispiel. Dieses Verfahren ist sehr umfangreich<br />

und <strong>mit</strong> Blick auf das Ziel dieses Vorhabens nicht zielleitend. Um das literarische <strong>Lernen</strong><br />

<strong>mit</strong> Computerspielen zu vereinfachen, empfiehlt es sich, an dieser Stelle eine weitere<br />

Eingrenzung vorzunehmen. Hierzu ist es notwendig, den Fokus der Betrachtung auf die<br />

4


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

im Spiel erzählte Geschichte zu legen und Aspekte der Spielführung und -steuerung<br />

auszuklammern. Durch diese vereinfachte Betrachtung des Spiels als digitale Erzählung<br />

(vgl. Neitzel 2000) werden zwar Bereiche der Ludologie oder der filmischen Analyse<br />

ausgespart, durch sie ist es aber möglich, dass Schülerinnen und Schüler Grundbegriffe<br />

der Narrationsanalyse in einem affinen Medium kennenlernen und einüben. 1<br />

Bei der Implementierung von <strong>narrativen</strong> Computerspielen in den schulischen Unterricht ist<br />

es sinnvoll, einen pragmatischen Weg zu wählen. Vor allem <strong>mit</strong> Blick auf die Methodik<br />

kann auf bekannte und bewährte Verfahren zurückgegriffen werden. Es geht so<strong>mit</strong> in der<br />

Folge nicht darum, einen völlig neuen Gegenstand in den Unterricht zu integrieren, der<br />

eine eigene Analysemethodik und Fachsprache <strong>mit</strong>bringt. Diese müssten parallel zur<br />

Arbeit an den Spielen ver<strong>mit</strong>telt werden und würden den Umfang der Unterrichtseinheit<br />

exponential vergrößern, wobei der Nutzen vergleichsweise gering bliebe. Ziel soll es sein,<br />

ein neues und aktuelles Thema an bereits bestehende Wissensbereiche anzuknüpfen<br />

und so<strong>mit</strong> Spiele behutsam in den Unterricht einzubinden und <strong>mit</strong> ihnen Kompetenzen für<br />

klassische Inhalte zu erwerben. Auch wenn durch die bereits vorgenommene<br />

Fokussierung auf die Geschichte der <strong>narrativen</strong> Computerspiele eine hinreichende<br />

Eingrenzung vorgenommen wurde, soll an dieser Stelle kurz auf ein weit verbreitetes<br />

Missverständnis eingegangen werden: Es ist unstrittig, dass narrative Computerspiele<br />

zahlreiche Parallelen zu anderen <strong>narrativen</strong> Medien aufweisen, allerdings unterscheiden<br />

sie sich durch die vermeintliche Interaktivität von diesen. Dies legt die Vermutung nahe,<br />

dass Computerspiele durch ihre Interaktivität nicht oder nur schwer analysierbar sind.<br />

Diese Einschätzung ist insofern problematisch, als die Spielerinnen und Spieler trotz ihrer<br />

aktiven Rolle für das Spielgeschehen nur geringen Einfluss auf den Verlauf der im Spiel<br />

erzählten Geschichte haben. Die Interaktivität in Computerspielen ist dadurch begrenzt,<br />

dass die Spielenden zwar die Möglichkeit haben, vereinzelt das Geschehen, im Sinne von<br />

Martinez und Scheffel (2003) verstanden als Teileinheit der Geschichte, in einem engen<br />

Regelrahmen individuell auszugestalten. Der Fortgang der Geschichte, verstanden als die<br />

Gesamtheit der Erzählung, wird dadurch nicht beeinflusst. Konkret bedeutet dies:<br />

Unabhängig davon, wie sich die Spielenden in den von ihnen gespielten Passagen<br />

1 Natürlich ist es möglich, auch weitreichender <strong>mit</strong> Computerspielen im Unterricht zu arbeiten, um<br />

beispielsweise verschiedene Erzähltheorien zu vergleichen, Medienkompetenz zu schulen oder um<br />

Literatur im Medienverbund zu untersuchen, an dieser Stelle soll aber Fokus auf dem Computerspiel als<br />

erzählendem Medium verbleiben.<br />

5


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

verhalten, wird eine vorher festgelegte Geschichte erzählt. Durch Erfolg oder Misserfolg<br />

entscheidet sich nur, ob die Geschichte weitererzählt wird oder die Spielenden die Mission<br />

erneut spielen müssen.<br />

Von den Untoten zum literarischen <strong>Lernen</strong>: Warcraft III<br />

Am Beispiel des Strategiespiels zeigt sich dies darin, dass im Spiel Präsentations- und<br />

Aktionssequenzen voneinander getrennt werden. In der nach filmischem Vorbild<br />

gestalteten Präsentationssequenz werden der Spielerin bzw. dem Spieler Informationen<br />

über den Fortgang der Geschichte und ihr bzw. sein Auftrag für die nächste<br />

Aktionssequenz dargeboten. Während dieser Präsentationssequenz haben die<br />

Spielenden keine Einwirkungsmöglichkeit in das (Spiel-)Geschehen. Das ändert sich in<br />

der Aktionssequenz, in der die Spielerinnen und Spieler versuchen, die ihnen erteilten<br />

Aufträge zu erfüllen. Die Handlungen der Spielenden innerhalb einer Aktionssequenz<br />

haben auf den Fortgang der Geschichte keinen Einfluss, beim Erreichen der vorher<br />

festgelegten Ziele wird das Spiel fortgesetzt oder im Falle eines Scheiterns die<br />

Aktionssequenz wiederholt. 2 Der Spieler bzw. die Spielerin erfährt eine Aktionssequenz<br />

2 Dementsprechend kann beispielsweise die erzählte Geschichte einer mehrere Stunden andauernden<br />

Aktionssequenz <strong>mit</strong> dem Satz „Die königliche Armee eroberte die Burg, vertreibe alle Verteidiger und<br />

6


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

individuell, die erreichten Ziele und für die Handlung wichtige Ereignisse sind aber bei<br />

allen Spielerinnen und Spielern identisch. Man kann so<strong>mit</strong> in Aktionssequenzen von einer<br />

individuellen Ausgestaltung des Geschehens ohne eine Einflussmöglichkeit auf die<br />

Geschichte sprechen. Für die unterrichtliche Arbeit bedeutet so<strong>mit</strong> der Einsatz von<br />

Computerspielen nur einen Wechsel des Rezeptionsmediums: Die Schülerinnen und<br />

Schüler werden in der Phase der Medienrezeption von der Leseleistung befreit und<br />

wenden anschließend Untersuchungsstrategien auf klassische Weise an. Die Arbeit <strong>mit</strong><br />

Computerspielen kann zur Erprobung von Untersuchungsstrategien für alle Aspekte<br />

literarischen <strong>Lernen</strong>s genutzt werden, beispielhaft soll dies im Folgenden an dem Aspekt<br />

„Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen“ in Verbindung <strong>mit</strong> dem Strategiespiel<br />

Warcraft III gezeigt werden.<br />

Warcraft III<br />

Das im Jahr 2002 erschienene Echtzeit-Strategiespiel Warcraft III ist Teil der von Blizzard-<br />

Entertainment seit 1994 herausgegebenen Warcraft-Computerspiel-Serie. Das Spiel ist<br />

von der FSK ab zwölf Jahren freigegeben und erzählt die <strong>mit</strong>telalterlich anmutende<br />

Fantasy-Geschichte des Landes Azeroth, dessen Bewohnerinnen und Bewohner sich der<br />

Bedrohung durch die „Untoten der Brennenden Legionen“ erwehren müssen. Auch wenn<br />

der Umfang des Spiels in vier Kapitel, sogenannte Kampagnen, unterteilt ist, reicht für den<br />

Unterricht eine Beschränkung auf die erste Kampagne aus.<br />

Die Geschichte dieser ersten Kampagne ist für das Fantasy-Genre klassisch: Bei dem<br />

Versuch, sein Land vor den Orks zu verteidigen, stößt Prinz Arthas auf verschiedene<br />

Gegner und begibt sich auf die Suche nach dem Anführer der feindlichen Armeen. Der<br />

Prinz unternimmt zahlreiche Kreuzzüge und wandelt sich immer mehr vom tugendhaften<br />

Regenten zum besessener Kriegsherrn, der sich am Ende der ersten Kampagne gegen<br />

das Land stellt, das er ursprünglich zu beschützen versuchte.<br />

zerstörte drei verseuchte Kornkammern.“ zusammengefasst werden. Nur in sehr wenigen Ausnahmen ist<br />

es den Spielerinnen und Spielern gestattet, sich für verschiedene Wege durch eine Aktionssequenz zu<br />

entscheiden, die sich anschließend auf das Spielgeschehen und die Geschichte des Spiels auswirken.<br />

7


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Außergewöhnlich ist die starke Charakterzeichnung des Helden Arthas, der keine<br />

Stereotyper verkörpert, sondern eine sich wandelnde, ausgestaltete Persönlichkeit<br />

darstellt.<br />

Nicht zuletzt der martialisch klingende Name und die gewalttätige Handlung scheinen die<br />

Eignung von Warcraft III als Unterrichtsmedium in Frage zu stellen. Dennoch<br />

unterscheidet sich vor allem der Gewaltaspekt nur geringfügig von literarischen Pendants<br />

wie Eragon oder Der Herr der Ringe. Darüber hinaus kann durch den Lern- und den<br />

Reflexionsaspekt eine Distanzierung zu, gewalttätigen Inhalten erreicht werden.<br />

Perspektiven literarischer Figuren nachvollziehen<br />

Auch wenn sich Computerspiele in der Rezeptionsform von Literatur unterscheiden,<br />

können sie <strong>mit</strong> ähnlichen Verfahren analysiert werden. Bezogen auf die Figuren in<br />

Computerspielen muss allerdings beachtet werden, dass die Perspektive der Figuren und<br />

ihre Charaktereigenschaften aus den Taten und den Worten der Protagonister im Spiel<br />

entnommen werden müssen. Narrative Computerspiele ähneln hier Literatur insofern,<br />

dass die Spielerinnen und Spieler, wie die Leserinnen und Leser auch, die Geschichte<br />

nicht verändern können und nur die vorgegebene Geschichte rezipieren.<br />

Im Spiel Warcraft III wird dies in besonderem Maße deutlich, da der anfangs vertraute,<br />

tugendhafte Protagonist Arthas im Laufe des Spiels eine Wandlung zum herrschsüchtigen<br />

Despoten vollzieht, ohne dass die Spielenden die Möglichkeit hätten, diesen Prozess zu<br />

unterbinden.<br />

Um nun <strong>mit</strong> dem Computerspiel literarisches <strong>Lernen</strong> zu vollziehen, müssen die<br />

Schülerinnen und Schüler Verfahren und Untersuchungsstrategien am Computerspiel<br />

erproben, die sie zu einem späteren Zeitpunkt an literarischen Texten ebenfalls<br />

verwenden können. Hier entspricht die Methodik dem Vorgehen <strong>mit</strong> literarischen Texten.<br />

So kann beispielsweise nach der ersten Mission, in der Arthas eingeführt wird, eine<br />

Figurenexposition angefertigt werden. Durch diese frühe Auseinandersetzung <strong>mit</strong> dem<br />

Protagonisten wird der Blick in den folgenden Beobachtungen gelenkt: Verhält er sich, wie<br />

ich es erwartet habe? Wie verändert er sich? Warum geschehen die Wandlungen an<br />

8


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Arthas’ Charakter? Gleichzeitig schafft diese formale Auseinandersetzung <strong>mit</strong> der<br />

vermeintlichen Vorgeschichte des Helden die nötige Distanz für die Reflexion des<br />

Charakters.<br />

Das Spiel stellt die inneren Vorgänge, die in der Folge Arthas’ Veränderung verursachen,<br />

verständlich dar und zeigt zudem in seinen Handlungen die Konsequenzen dieser Einstellungsveränderung.<br />

Nach der sechsten Mission kann die Figurenexposition hinterfragt werden: Der vormals<br />

freundliche und gerechte Prinz hat sich verändert und die Schülerinnen und Schüler<br />

erkennen die dunkle Seite seines Charakters. Die Frage nach Ursachen der Veränderung,<br />

Handlungsoptionen und der möglichen Weiterentwicklung des Charakters können in<br />

schriftlichen oder mündlichen Gruppenarbeiten bearbeitet werden. In der weiteren Folge<br />

wird der Protagonist als Teil eines Beziehungsgeflechts verschiedener Gruppen gezeigt:<br />

Während seine Freundinnen und Freunde und anfänglichen Wegbegleiterinnen und<br />

-begleiter seine Veränderung wahrnehmen und sich nacheinander von ihm abwenden,<br />

werden die einstigen Feinde zu Verbündeten, die allerdings ihre eigenen Ziele verfolgen.<br />

Nach der neunten Mission und dem Abschluss der ersten Kampagne können die<br />

Schülerinnen und Schüler eine Figurenkonstellation anfertigen, auf der sie alle<br />

Hauptfiguren verorten. Auch ist es an dieser Stelle sinnvoll, für einzelne Protagonisten<br />

Charakterisierungen anzufertigen, um die Arbeit an der Figurenkonstellation zu<br />

erleichtern.<br />

Die Schüler analysieren so nicht nur die Protagonisten eines Computerspiels, sondern<br />

lernen ebenso Verfahren der Textanalyse kennen, die sie im Anschluss auf andere<br />

Medien übertragen können.<br />

Fazit und Ausblick<br />

Trotz ihres zweifelhaften Rufs haben Computerspiele das Potenzial, einen Beitrag für den<br />

Literaturunterricht zu leisten. Schülerinnen und Schüler werden durch die ihnen vertraute<br />

Spielumgebung von der Decodierungsleistung, die zum Lesen literarischer Texte nötig ist,<br />

befreit und können Verfahren und Untersuchungsstrategien erproben, die ihnen zu einem<br />

späteren Zeitpunkt die Literaturanalyse erleichtern. Vor allem für die sogenannten<br />

9


http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Risikogruppen bietet die Arbeit <strong>mit</strong> für sie affinen Medien die Chance, auch ohne<br />

ausgeprägte Decodierungsfähigkeiten Verfahren der Erzähltextanalyse und -interpretation<br />

zu erproben. Neben dem literarischen <strong>Lernen</strong> schafft der Umgang <strong>mit</strong> dem<br />

Freizeitmedium Computerspiel im Deutschunterricht in einem zweiten Schritt eine kritische<br />

Distanz zu diesem Medium und unterstützt auf vielfältige Weise den Aufbau von<br />

Medienkompetenz.<br />

Neben dem beispielhaft explizierten Aspekt können auch die weiteren zehn Aspekte durch<br />

den gezielten Einsatz von Computerspielen geschult werden. Hierbei können weitere<br />

Computerspielgenres gewinnbringend zum Einsatz gebracht werden, um speziell für sie<br />

typische Eigenheiten zu nutzen.<br />

Literatur<br />

Artelt, Cordula/Schlagmüller, Matthias (2004). Der Umgang <strong>mit</strong> literarischen Texten als<br />

Teilkompetenz im Lesen? Dimensionsanalysen und Ländervergleiche. In: Schiefele, Ulrich<br />

et al. (Hrsg.), Struktur, Entwicklung und Förderung von Lesekompetenz - Vertiefende<br />

Analysen im Rahmen von PISA 2000. Wiesbaden: VS Verlag, S. 169-196.<br />

Backe, Hans-Joachim (2008). Strukturen und Funktionen des Erzählens im<br />

Computerspiel. Eine typologische Einführung. Würzburg: Königshausen & Neumann.<br />

Kringiel, Danny (2009). Computerspielanalyse konkret. Methoden und Instrumente -<br />

erprobt an Max Payne 2. München: Kopead-Verlag.<br />

Martinez, Matias/Scheffel, Michael (2003). Einführung in die Erzähltheorie. München:<br />

Beck.<br />

Neitzel, Britta (2000). Gespielte Geschichten. Struktur- und prozessanalytische<br />

Untersuchungen der Narrativität von Videospielen. Weimar: Univ. Diss.<br />

Spinner, Kaspar (2006). <strong>Literarisches</strong> <strong>Lernen</strong>. Praxis Deutsch, 200, S. 6-17.<br />

10

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!