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NETZWERKE<br />
«AUSSER HAUS» oder<br />
die kreative Rebellion<br />
Der Rücktritt des Dekanats an der Fakultät Bildende Kunst war der<br />
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.<br />
Text : Pbl.<br />
Unbesetzte Professuren, ganze Klassen,<br />
die ihre Professoren verlieren, mehrere<br />
Dutzende Studies ohne Klassen, Schließung<br />
von Werkstätten, mangelnde<br />
interne Kommunikation, Unfähigkeit<br />
des Institutsrats Bildende Kunst, seine<br />
Arbeit zu verrichten, erschreckende<br />
Lethargie bei allen Hochschulgruppen,...<br />
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.................das war der Anfang vom Ende!<br />
«Der Untergang!!!», schrie es von den<br />
Wänden in Form eines Plakats, das mit<br />
schwarzem Hintergrund und weißer<br />
Schrift an eine pathetische Traueranzeige<br />
erinnerte. Das Leichentuch der «alten<br />
Zustände» war schon lange gewebt, es<br />
fehlten lediglich die Totengräber. Bei der<br />
ersten großen Vollversammlung stand<br />
eines hundertprozentig fest, so kann und<br />
darf es nicht weitergehen!<br />
Einige Stimmen erhoben sich, die im Geiste<br />
schon Barrikaden erbauten und zum<br />
massiven Streik aufriefen. Nur stellte sich<br />
die Frage, ob eine radikale Trotzreaktion<br />
tatsächlich dazu dienen würde, die erbärmlichen<br />
Zu- und Umstände effektiv zu<br />
bekämpfen. Soll man wirklich Energie verschwenden<br />
und einen dahinsiechenden,<br />
sterbenden Hund noch treten?<br />
Als erstes wurde ein Positionspapier erarbeitet,<br />
das auf die Missstände hinweisen<br />
sollte und die klaren Forderungen der<br />
Studierendenschaft darlegte. Diese Positionen<br />
haben nach wie vor absolute Gültigkeit<br />
und sollten von den studentischen<br />
Gruppen und Gremien in die nächsten<br />
Generationen weitergegeben werden.<br />
Da es auf den darauf folgenden Fakultätsratssitzungen,<br />
wie zu erwarten war, zu<br />
keinen konkreten Lösungsvorschlägen<br />
kam, entschieden wir uns, ein Zeichen<br />
zu setzen. Der «Rundgang» ist das Ereignis,<br />
das die größte Aufmerksamkeit der<br />
Öffentlichkeit mit sich bringt. Wir waren<br />
uns schnell einig, dass hier angesetzt<br />
werden musste. Ein Ausstellungsboykott<br />
«Weiße Wände» schien die beste Form,<br />
den Protest nach außen zu tragen. Aber<br />
vielen Kolleginnen und Kollegen reichte<br />
dies nicht aus. Die Idee war zum einen,<br />
die Uniaktivitäten empfindlich zu stören,<br />
aber auch unser kreatives Potential freizusetzen.<br />
Unserer Unmündigkeit entgegenzutreten,<br />
indem wir einen kreativen<br />
Protest organisieren, sollte in jeglicher<br />
Hinsicht passieren, aber es war auch<br />
selbstverständlich, dass die Studierenden<br />
aus den Klassen ihre in den vergangenen<br />
zwei Semestern entstandenen Werke<br />
präsentieren wollten. Eine Parallelausstellung<br />
musste her, und zwar eine große:<br />
«AUSSER HAUS» wurde das Kind getauft.<br />
Die Raumsuche war nicht einfach, vor<br />
allem wegen des reichlich begrenzten<br />
Budgets, das aus zwei Fachschaftsbörsen<br />
und anderen studentischen Töpfen<br />
sprichwörtlich zusammengekratzt wurde.<br />
Einige Lokalitäten waren finanziell nicht<br />
erschwinglich, andere zwar bezahlbar,<br />
aber heruntergekommen, wie die in<br />
Pankow, an der ich in einem «Beschauungsteam»<br />
teilnahm. Der erste Kommen-<br />
tar eines Kollegen war: «Scheiße, um hier<br />
aufzuräumen, brauchen wir eine ganze<br />
Brigade Leute und ein paar Monate Zeit!»<br />
Natürlich hatte keiner ein Arbeiter- und<br />
Arbeiterinnen-Batallion parat und Zeit<br />
hatten wir schon gar keine.<br />
Während parallel fleißig die «UdK 3000»-<br />
Panels organisiert wurden, wurde es<br />
zeitlich immer enger für die «Ausser-<br />
Hausierer», als sich plötzlich die Himmel<br />
auftaten und die Uferstraße 7 angeschwemmt<br />
wurde. Spitzen-Location, vier<br />
Stockwerke für volles Programm, fairer<br />
Preis, cooler Vermieter, noch coolerer<br />
Hausmeister und etwas weniger als zwei<br />
Wochen Zeit! Bis zu diesem Zeitpunkt<br />
habe ich mich eher noch zu den Skeptikern<br />
gezählt, aber ab Ufer 7 war alles in<br />
Butter.<br />
Trennwände einziehen, die vierte Etage<br />
verdunkeln, weißeln, spachteln, Kabel<br />
legen, fegen ohne Ende, Material ankarren,<br />
Theke bauen, Werke ankarren,<br />
installieren, Bilder hängen, diskutieren,<br />
Werkzeug suchen, fluchen, Papierchaos,<br />
Listen suchen, anmelden, abmelden, hin<br />
und her, hoch und runter und so weiter<br />
und so fort, um den Tagesablauf am Ort<br />
des Geschehens zu beschreiben.<br />
Eine Wahnsinnsleistung, wenn man<br />
bedenkt, dass es keine zentrale Organisationsstelle<br />
gab. Die Bauabteilung war<br />
super organisiert und ausgerüstet, die<br />
Kolleginnen von «Kunst im Kontext» so<br />
zielstrebig, dass sie binnen drei Tagen<br />
eine relative Ordnung ins Werkechaos<br />
11<br />
U-Bahn fahren. - - - die Wohnung umräumen. - - - Katzen streicheln. - - - die ovalen Copic-Marker benutzen.<br />
- - - wieder mehr basteln. - - - <strong>eigenart</strong> gestalten. - - - Teppichmesserklingen abbrechen wenn sie stumpf<br />
sind. - - - 4 h kochen und dann alles in 20 min aufessen. - - - Orkan Kyrill verschlafen. - - - Schreibschrift<br />
gebracht haben, was bei 140 eigensinnigen<br />
Kunststudierenden, die alle auf die<br />
beste Platzierung ihrer Arbeit aus sind,<br />
ein nervenkillendes Unterfangen war.<br />
kreativ-harmonisches Chaos<br />
harmonisch-chaotische Kreativität<br />
chaotisch-kreative Harmonie<br />
Fast unauffällig wurde nebenbei die<br />
gewaltige PR-Trommel gerührt, die<br />
Regionalpresse stand auf der Matte,<br />
deutschlandweit haben die Medien die<br />
Ohren gespitzt: was denn da passiert in<br />
der obersten Landeskulturkaderschmiede<br />
der Republik. Auch internationale Sender<br />
wussten von «AUSSER HAUS» zu berichten.<br />
Dieser Rummel hat natürlich auch<br />
die Professoren, die Verwaltung und die<br />
Unileitung auf den Plan gerufen! Plötzlich<br />
gab es da eine nicht zu unterschätzende<br />
Gruppe von engagierten Leuten, die um<br />
ihre Rechte und die der nachfolgenden<br />
Generationen kämpften, und das Ganze<br />
in Farbe: in der U-Bahn, im «Berliner Fenster».<br />
Die Vernissage war das Highlight der<br />
ganzen Aktion, die Leute haben sich<br />
ebenso sattgeguckt wie sattgesoffen: So<br />
schnell, so viele Fässer, hab ich in meinem<br />
ganzen Leben nicht angezapft. Die Kunst,<br />
die Gäste, die KollegInnen, das Bier, die<br />
Stimmung, alles war irgendwie umwerfend!<br />
Es gibt zwar keine offiziellen Zahlen, aber<br />
wenn man das Verhältnis der Ausstellenden<br />
zum Publikum vergleicht, muss man<br />
zugeben, dass in der Uferstraße mehr<br />
abging als in der Hardenbergstraße.<br />
Das Fazit der ganzen Geschichte ist: Der<br />
Mythos von der kollektiven, nicht hierarchisierten<br />
Arbeit kann Realität werden,<br />
wenn wir motiviert und engagiert an die<br />
Dinge herangehen. Wir haben uns Gehör<br />
in der Öffentlichkeit verschafft, wir haben<br />
uns Respekt bei den Kolleginnen und Kollegen<br />
aller Gruppen an unserer Bildungsstätte<br />
erarbeitet und jeder hat seine<br />
Schlüsse daraus gezogen. Dass der Genesungsprozess<br />
an der Fakultät 1 ein langer<br />
sein würde, stand schon vorher fest, und<br />
dass es Seilschaften in den Gremien gibt,<br />
die strukturellen Veränderungen zugunsten<br />
der Studierendenden gegenüber<br />
konträr positioniert sind, ist auch keine<br />
Neuigkeit.<br />
Wir sollten uns jedenfalls bewusst sein,<br />
dass wir Dinge in konstruktiven Protesten<br />
und Prozessen direkt beeinflussen und<br />
auch steuern können. Dieses Grundrecht<br />
der Studierendenschaft muss von uns<br />
als ein selbstverständliches Werkzeug<br />
genutzt, aber auch gepflegt werden. Es<br />
ist wichtig, ein oder mehrere interne<br />
Kommunikationsnetzwerke zu unterhalten.<br />
Ein altes Sprichwort sagt: «Wer<br />
kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft,<br />
hat schon verloren!»<br />
An letzter Stelle möchte ich noch mal<br />
verdeutlichen, dass diese basisdemokratische,<br />
studentische Macht jederzeit<br />
abrufbar und bereit ist, Partizipation<br />
wahrzunehmen und eigene Ideen einzubringen.<br />
In Solidarität<br />
«Geballte Kraft zum Rundgangboykott»