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Kunst braucht Raum. - Müller Steeneck

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Vom sozialistischen Realist<br />

zum realistischen Surrealist<br />

Jörg Immendorff in Karlsruhe<br />

Seit 29. Juli zeigt die Städtische Galerie Karlsruhe<br />

rund 50 Werke von Jörg Immendorff. Die Exponate<br />

decken fast seine gesamte Schaffensperiode<br />

ab. Die 60er und 70er Jahre sind<br />

geprägt von einer sozialistischen Perspektive auf<br />

die Weltpolitik, den Kalten Krieg und die Teilung<br />

Deutschlands. Der damalige Maoist Immendorff<br />

setzte sich für den Weltfrieden ein und machte<br />

sich über die Regierung Schmidt lustig, welche<br />

er in ironischen Einzelportraits verewigte. Für die<br />

deutsch – deutschen Beziehungen schuf er die<br />

Metapher der Eisscholle, die Symbole der Zweistaatlichkeit,<br />

Bundesadler, Stacheldraht, das<br />

Bandenburger Tor verwendet der Beuys-Schüler<br />

LANDGANG<br />

in seinem Café Deutschland betitelten Bilderzyklus.<br />

In späteren Jahren dreht sich sein Werk<br />

um seine Existenz als Künstler: In den Café<br />

Flore-Bildern zeigt er sich im Kreis von lebenden<br />

Berühmtheiten und Toten. Unter letzteren wird<br />

Immendorff sich bald befinden. Als 1998 eine<br />

schwere Nervenkrankheit diagnostiziert wurde,<br />

gaben ihm seine Ärzte noch zwei Jahre. Der<br />

heute vom Hals abwärts gelähmte Hohepriester<br />

der gegenständlichen Malerei wollte seine<br />

Lebensgier noch einmal auskosten, lies sich mit<br />

Koks erwischen und hatte 2004, schon halbtot,<br />

einen entwürdigenden Prozess vor dem Düsseldorfer<br />

Landgericht zu ertragen. Immendorff ist<br />

Jörg Immendorff: Café de Flore, 1990<br />

Jörg Immendorff: Abfallhaufen der Geschichte, 8-teilige Serie 1975<br />

wohl der einzige Künstler der Welt der sich von<br />

einem Richter hat fragen lassen müssen ob er<br />

noch einen hoch kriegt. Im Zusammenhang mit<br />

seiner ALS – Krankheit sind da beim Robenträger<br />

Jochen Schuster Zweifel aufgekommen –<br />

Trotz der 9 Sexarbeiterinnen und 11 Gramm<br />

Kokain mit denen Immendorff das Hotelzimmer<br />

geteilt hat, als die Polizei kam. Die Karlsruher<br />

Museumsdirektorin Erika Rödiger-Diruf sagte, ihr<br />

gehe es auch darum, Immendorff „aus der<br />

Boulevardpresse-Ecke herauszuholen“. Das ist<br />

gewiss ein feines Ansinnen, doch wäre eine<br />

Thematisierung des geradezu inquisitorisch<br />

geführten Prozess’ wünschenswert gewesen.<br />

Selten wurde in einem Gerichtssaal von Seiten<br />

des Richters und des Staatsanwalts solch ein<br />

Bollwerk an selbstgerechter Spießigkeit aufgefahren,<br />

selten hat eine muffige Nine-to-five-<br />

Moral so grundlegend das Verfahren bestimmt,<br />

selten wurde ein Angeklagter zu mehrheitlich<br />

verfahrensfremden Sachverhalten so gnadenlos<br />

ausgequetscht und in seinem Leiden den<br />

Medien zum Fraß vorgeworfen. Die Karlsruher<br />

Ausstellung wäre eine Chance gewesen noch zu<br />

Lebzeiten des Künstlers gegen solch menschenverachtende<br />

Gerichtspraktiken Stellung zu<br />

beziehen – mit einem Theaterstück etwa. hjf<br />

29. Juli – 29. Oktober 2006<br />

Jörg Immendorff – Facetten eines Werks<br />

Städtische Galerie Karlsruhe<br />

LANDGANG<br />

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