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20 Jahre Justizkultur - Betrifft Justiz

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6<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> BJFoto: Andrea Kaminski<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong><strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong>Von den Anfängen in der Friedensbewegungüber den Abbau von Ordnungen hin zur wahren<strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> – Vortrag am 28.1.<strong>20</strong>05von Konstanze Görres-OhdeEine Festrede zum <strong>20</strong>-jährigen Bestehenvon „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ zu halten,meine Damen und Herren, liebe Kolleginnenund Kollegen, liebe Freundinnenund Freunde, eine Festrede mit dempompösen Titel: „<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong>“klingt vielleicht vermessen, ist es aberdann nicht, wenn man <strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> alsdas versteht, was sie sein sollte: EineKultur des Umgangs miteinander, dersich ausdrückt in Sprache, Gestik, Verhaltenmiteinander und Verhalten zudem, was <strong>Justiz</strong> ist oder sein sollte. Aufdie Frage, was Kunst sei, hatte der großeKünstler Joseph Beuys, der in den60er <strong>Jahre</strong>n zu schockieren oder zumindestzu irritieren verstand, geantwortet:„Kunst ist alles.“ So könnte man sagen:<strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> ist alles, was mit <strong>Justiz</strong> zutun hat.Wir feiern also heute das <strong>20</strong>-jährige Bestehenvon „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ und dasist in vielerlei Hinsicht ein Grund zumFeiern. „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ hat ein Forumgeschaffen für wichtige, menschlichbewegende Themen mit <strong>Justiz</strong>bezug,die in anderen juristischen Zeitschriftennicht vorkamen und auch heute nichtvorkommen.Aber repräsentiert diese Zeitschrift tatsächlichdie <strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> der letzten <strong>20</strong><strong>Jahre</strong>? Ich finde: ja, obwohl sich „<strong>Betrifft</strong>JUSTIZ“ von anderen juristischenZeitschriften unterscheidet, die bereitsvor 1985 bestanden. Das bezieht sichauf1. die Themenwahl,2. die Autorenwahl,3. die FormZu 1.)Politische und justizpolitische Themen,Reflexion der Rolle der <strong>Justiz</strong>, ihreFunktion, ihre Arbeitsergebnisse, Auseinandersetzungmit Hierarchen undHierarchien. Brokdorf, Mutlangen, sogenannteRadikale im öffentlichen Dienst,Asyldiskussion, Frauen in und vor der<strong>Justiz</strong>, Drogenpolitik, völkerrechtswidrigeKriege, Soldatenurteil usw.Zu 2.)Dabei kommen Autoren und – gleichberechtigt– Autorinnen zu Wort, die sicheher selten durch juristische Seiltanzaktehervorgetan haben. Es schreiben nebenden Kolleginnen und Kollegen auchPsychiater, Kriminologen und Professoren,die wegen ihrer justizkritischen<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 81 • März <strong>20</strong>05


<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> BJ7Äußerungen sonst eher keine Stimme injuristischen Zeitschriften finden.Zu 3.)Die Form unterscheidet sich insofernvon anderen juristischen Schriften, alshier auch Feuilletonistisches zugelassenist. Man darf auch „ich“ schreiben. LockereAlltagssprache wird erlaubt.Lockere Alltagssprachewird erlaubtAls ich zur Vorbereitung dieses kleinenVortrags in den ersten Heften 1985 blätterte,war ich sehr berührt. Sicherlichdeshalb, weil auch ich <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> ältergeworden bin. Aber auch, weil die Gerüchein den Gerichten, die Gerichtsgesichterandere waren und die Konfliktevor <strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n anders gelöst wordensind als die, die ich heute erlebe. Unddoch kommt mir Vieles sehr aktuell vor.Es war eine aufregende Zeit damals, dieerste Hälfte der 80er <strong>Jahre</strong>. Ich war zumersten Mal in meinem Leben 1983 aufeiner Demonstration in Bonn. Richterinnenund Richter, Staatsanwältinnenund Staatsanwälte für den Frieden fuhrenmit einem Bus von Hamburg nachBonn, um gegen die Stationierung amerikanischerMittelstreckenraketen zu demonstrieren.Schwarzes Kostümchen,rosa Bluse war mein Outfit. Begleitetwurden wir von einem NDR-Filmteam,das unsere Aktion höchst erstaunt, aberauch begeistert zur Kenntnis nahm. Einerder mitreisenden Richter bat, nichtgefilmt zu werden; er wolle sich seineKarriere nicht verbauen. Das fanden dieübrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmerbizarr, aber wir schenkten dieser Tatsachenicht viel Beachtung. Dass hinterdieser Bitte des Kollegen eine ernsteRichterphilosophie steht, darauf kommeich noch später. Eine Karriere – was immerder Richter sich darunter vorstellte– machte er übrigens nicht.Wir sangen in der Bonner BeethovenhalleLieder wie „Wir wollen Frieden zuallen Zeiten, nie wieder Krieg, fort mitallen Streitigkeiten.“ Es klang schräg,aber wir waren irgendwie begeistert, übrigensauch von uns selbst, dass wir somutig und unbekümmert waren, unsereStimme zu erheben.Konstanze Görres-OhdeGeboren am 5. Oktober 1942 in Königsberg. Verheiratet, zwei erwachseneKinderJurastudium in Heidelberg, Berlin und Hamburg1971 Richterin am Amtsgericht Hamburg1985 bis 1989 Richterin am Oberlandesgericht (mit Unterbrechung durch einenUSA-Aufenthalt)1989 bis 1996 Präsidentin des Landgerichts Itzehoe1996 bis <strong>20</strong>01 Präsidentin des Landgerichts Hamburgseit <strong>20</strong>02 Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts1991 bis 1994 Vorsitzende der „Stiftung Straffälligenhilfe“ in Schleswig-Holsteinseit 1990 Veranstaltungsreihen „Kultur und <strong>Justiz</strong>“ (Lesungen, Musikabende,Kunstausstellungen) an den Landgerichten Itzehoe und Hamburg sowie amOLG in SchleswigIn dem ersten Heft von „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“spiegelt sich noch diese Stimmung wider.Es war eine Zeit der zaghaften Widerstände.Die Richterinnen und Richteräußerten öffentlich ihre Meinungzum Thema Stationierung von amerikanischenMittelstreckenraketen in derBundesrepublik Deutschland. Die Diskussionging – jedenfalls vordergründig– nicht um die Frage, ob Richterinnenund Richter sich öffentlich gegen dieStationierung von Atomraketen äußerndürfen oder nicht, sondern ob ein Richterdieses unter Hinweis auf sein Richteramttun darf.Es gab schon damals eine Entscheidungder Europäischen Kommission für Menschenrechte,nach der jedermann seineöffentliche Meinung unter Angabe desNamens und seiner beruflichen Funktionäußern dürfe (133/87). Ich selbsthabe an den Meinungsäußerungen inZeitungsannoncen mitgewirkt. Mir war– unpolitisch, wie ich damals war undvielleicht auch noch heute bin, es seidenn, wir begreifen alles, was wir Richterinnenund Richter tun, als politisch– anfangs nicht bewusst, dass ich hiergegen die richterliche Pflicht des Meinungsmäßigungsgebotes– was immerdas ist – verstoßen haben könnte.<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong>, meine Damen undHerren.Wie wäre es, wenn wir uns heute in extremenpolitischen Situationen als Richterinnenund Richter äußerten? Ich denkedarüber nach als Präsidentin einesOberlandesgerichts. Wenn einer „meiner“Richter öffentlich für die Rechtmäßigkeitvon Folterandrohung plädiert,dann bin ich als Dienstvorgesetzte gefragt,wie ich mit diesem Richter umgehe.Soll ich z.B. eine Missbilligung– eine vordisziplinarische Maßnahme –,aussprechen?„Amtsbonus“ für die vonmir für richtig gehaltenenpolitischen ZieleHeute komme ich ins Grübeln, ob esrichtig war, mit meinem – wie es soschön heißt – „Amtsbonus“ für die vonmir für richtig gehaltenen politischenZiele zu demonstrieren. Keine Sorge,eins ist klar: Es war falsch, die Richterinnenund Richter, die demonstrierten, mitdienstrechtlichen Maßnahmen zu überziehen,wie es in Schleswig-Holsteinund einigen anderen Bundesländerngeschehen ist, als sich Richterinnenund Richter den öffentlichen Meinungsäußerungengegen die Stationierungangeschlossen haben und mit einer„Verwarnung“ in ihrer Personalakte vonden Präsidenten „bestraft“ wurden. DieVerwarnung ist übrigens inzwischen inSchleswig-Holstein aus der Personalaktegelöscht.Es steht die Beantwortung der Frageaus, ob der Rechtsuchende, der einemRichter gegenüber steht, von dem erweiß, dass dieser in dem einen oder anderenpolitischen Konflikt ganz andersdenkt als er selbst, diesem Richter nochdie unabhängige Entscheidung seinesRechtsstreits, der sich mit eben demKonflikt beschäftigt, zutraut.„Der Mythos der Unabhängigkeit“, dasBuch von Rolf Lamprecht, das ich jedemRichter und jeder Richterin bei Amtsantrittin der Schleswig-Holsteinischen<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 81 • März <strong>20</strong>05


8<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> BJ<strong>Justiz</strong> empfehle, soll nicht Gegenstandmeiner Betrachtung sein, obgleich derangemessene Umgang mit der richterlichenUnabhängigkeit eines meiner Berufslebensthemenist.Wichtig ist allein, dass wiruns unserer Befangenheiten,ich nenne es auchVerstrickungen,bewusst sindWichtig ist allein, dass wir uns unsererBefangenheiten, ich nenne es auch Verstrickungen,bewusst sind.Aber zurück zur <strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> in den letzten<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n. In „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ warengerade in den ersten <strong>Jahre</strong>n nachErscheinen viele Urteile gegen richterlicheAtomraketengegner abgedruckt.Ist die Sitzblockade in Mutlangen gegendie Stationierung von AtomraketenAnwendung von „Gewalt“, „Nötigung“?Für jede junge Richterin und jeden jungenRichter ist es eine Lehrstunde, sichmit diesen sich widersprechenden Urteilenzu befassen. Sie können viel darauslernen. Gibt es das absolut Richtige?Warum halte ich mich solange mit den80er <strong>Jahre</strong>n in meiner Rede auf?Die 68er waren die 80erin der <strong>Justiz</strong>Die Diskussion unter den Richtern undRichterinnen über die politischen Verhältnissehat auch unsere Streitkulturaktiviert und gefördert. Juristen undJuristinnen sind dem, was politischeKultur angeht, immer 10 bis 15 <strong>Jahre</strong>hinterher. Die 68er waren die 80er in der<strong>Justiz</strong>. Das ist nicht als Kritik gemeint.<strong>Justiz</strong> muss in ihrer Grundtendenz bewahrendsein, nennen wir es in richtigverstandenem Sinne konservativ. Wirfinden etwas vor, Gesetz und Recht, andas wir uns in erster Linie zu halten haben.Das heißt, wir dürfen keine Künstlerinnenund Künstler sein, wir solltennicht versuchen, dem Neuen nachzujagen.Auch dürfen wir das, was sich inder Öffentlichkeit abspielt, nicht ignorieren.Nur die innere Stimme darf nichtverloren gehen, die Stimme, die unssagt, jetzt darfst Du nicht schweigen,weil Du dich sonst mitschuldig machst.Aus Literatur, Musik und Kunst könnenwir lernen, dass sich Vieles im Lebendem Rationalen entzieht. Vieles lässtsich nicht erklären, auch das Verhaltenvon Menschen in schwierigen Situationennicht.Schweife ich ab? Nein, ich bin noch inden Anfängen von „<strong>Betrifft</strong> uns <strong>Justiz</strong>“,in diesen bewegten 80er <strong>Jahre</strong>n hat esuns umgetrieben. Haben sich die Zeitenverändert, ist immer wieder meineFrage. Noch 1985 – so können wir in„<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ nachlesen – wurde einBetroffener, der in kurzer, schmutzigerHose zur Hauptverhandlung erschien,zu einem Ordnungsgeld von 100,00 DMverurteilt. Warum hatte der Richter zudem Betroffenen nicht sagen können:„Ich finde es ziemlich unangemessen,dass Sie heute hier so schmuddeligerscheinen. Was wollen Sie mir damitsagen? Eins sage ich Ihnen: Wenn Siedas nächste Mal vor Gericht erscheinen,kleiden Sie sich so, dass ich Sie ohneÄrger ansehen kann.“ Oder so ähnlich.Warum muss alles mit Ordnungsgeldoder -strafe belegt werden? Was solltedie verkappte Strafe? Autorität hat manauch dann, wenn man nicht mit derKeule (dieses Wort ist seit Martin WalsersPaulskirchenrede missverständlich)zur Disziplinierung von vor Gerichtstehenden Personen losschlägt. Hier,meine Damen und Herren, hat sich die<strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> in weiten Bereichen verändert.Die Richter und Richterinnen,die an der Sitzblockadeteilnahmen, waren mutigIn den 80er <strong>Jahre</strong>n hat uns außerdemMutlangen umgetrieben. Die Richterund Richterinnen, die dort im Januar1987 an der Sitzblockade teilnahmen,waren mutig. Sie wussten, was sie taten.Sie blockierten, obgleich die Stationierungder Mittelstreckenraketenin der Bundesrepublik Deutschlandvon der Regierung gebilligt und vomBundesverfassungsgericht nicht beanstandetwurde. Die Aktionen derRichter und Richterinnen wurden imRichterratschlag lange diskutiert undschließlich beschlossen. Der Richterratschlag,1980 entstanden aus Richternund Richterinnen, die sich nicht inden bereits bestehenden Organisationenaufgehoben fühlten. Die Idee desRichterratschlags war, ein ausgewogenesVerhältnis von fachlicher Informationund Kommunikation entstehenzu lassen. Das ist – trotz permanenterSelbstzweifel – im Großen und Ganzengelungen. Aus dem Kreis der Richterratschlägerentstand 1985 „<strong>Betrifft</strong>JUSTIZ“, auch das Forum Richter undStaatsanwälte für den Frieden 1985.Übrigens dies alles ohne irgendeineRechtsform. Kein gemeinnütziger Verein,kein klar definierter juristischer Zusammenschluss.Am 7. März 1987 wurde die neue Richtervereinigung(NRV) gegründet, die sichaus den eben genannten Verbindungenzusammensetzte. Ziel: Kritikbereite Richterzum gemeinsamen Handeln gegenüberder <strong>Justiz</strong>verwaltung. Kritische Reflektionender Praxis.Später gab es dann noch ganz andereZusammenschlüsse von kritikbereitenund kritikfähigen Richter/innen undStaatsanwälten/innen wie u.a. der „AlternativeJuristentag“, das „Forum <strong>Justiz</strong>geschichte“,das sich mit unserer verhängnisvollen<strong>Justiz</strong>geschichte vor undim Dritten Reich und den Auswirkungennach 1945 auseinandersetzt.1987 war die Zeit, als wir die Solidaritätsbekundungenfür die MutlangerRichterinnen und Richter unter demMotto „Beendet den Wahnsinn der atomarenRüstung“ in einer großen Anzeigein der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ veröffentlichten.Mein Dienstherr, der Präsident des HanseatischenOberlandesgerichts, dessenReferentin für Referendarangelegenheitenich damals war, fragte mich: „Warumtun Sie das, Frau Görres-Ohde?“Die Frage war fair, und so konnte ichengagiert darauf antworten. Der OLG-Präsident war zufrieden. Er ahnte, dassdie Beschreibung von Gefühlen keinenWiderspruch zulässt. Es ist nicht allenKollegen und Kolleginnen so gegangenwie mir, wie ich bereits sagte.Die 80er <strong>Jahre</strong> hatten auch sonst nochbewegende, in „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ festgehalteneMomente.<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 81 • März <strong>20</strong>05


<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> BJ9Zum Beispiel, als den Mutlanger Richternin Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille im Dezember 1987 verliehenwurde. Erich Fried, der ein Jahr späterstarb und schon damals vom Todegezeichnet war, hielt eine bewegendeRede, und das Hamburger Richtertheaterspielte noch einmal das Theaterstücküber den zivilen Ungehorsam „Die Neunvon Catonsville“. Ich spielte die Rolle einerKünstlerin, die vor Gericht steht.Ich wollte nichtals Schauspielerin meinAmt beginnenSpäter, 1989, als ich Landgerichtspräsidentinin Itzehoe werden sollte, hattedas Richtertheater gerade beschlossen,just eine Woche vor meiner Amtseinführungdieses Stück in Itzehoe für dieAtomkraftgegner aufzuführen. Meine Absagehaben viele meiner Theaterfreundebis heute nicht verwunden. Dabei hatteich meine Mitwirkung in diesem Theaterstückbei meiner Amtseinführung nichtgeheim gehalten. Ich wollte nur nicht alsSchauspielerin mein Amt beginnen. Ichhalte das noch heute für richtig.Wir wissen: Das Bundesverfassungsgerichthat dann doch schließlich undendlich 1995 entschieden: die Auslegungdes Gewaltbegriffs des § 240StGB durch die Gerichte, die die Sitzblockiererverurteilt hatten, ist mit demBestimmtheitsgebot des Artikel 103Abs. 2 GG unvereinbar. Ja, das wusstendie Sitzblockierer schon bereits zu demZeitpunkt, als sie blockierten.Ein Zentralthema in „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ istimmer wieder die Auseinandersetzungmit den Hierarchien, mit den Hierarchinnenund Hierarchen, mit den Beförderungssystemen,mit den dienstlichenBeurteilungen in der <strong>Justiz</strong>. Der Wahrheitsgehaltder dienstlichen Beurteilungist, wie wir alle wissen, ein Mythos.Die Abordnung an dasOberlandesgericht bleibthöchst problematischIch machte in meinen Präsidentenämterndie erschütternde Erfahrung, dassQuelle: Unbekanntdie „Drohung mit der Versagung derBeförderung“ das Verhalten vieler Richterinnenund Richter bestimmt. Ich sageden jungen Richterinnen und Richternzu Beginn ihres Berufslebens, der Richterberufsei kein Karriereberuf. Das akzeptierenRichterinnen, die auch Müttersind, eher als ihre männlichen Kollegen.Ihr Sozialprestige hängt in der Regelnicht von der mit dem ökonomischenVorteil verbundenen Beförderung ab.Ihre Kinder fordern von ihnen die Emotionalität,die sie brauchen, um ein erfülltesLeben führen zu können (darübergibt es eine wissenschaftliche Studie,die von dem Bundesjustizministerium inAuftrag gegeben und 1989 fertiggestelltwar). Das gilt übrigens für Richter, dieVäter sind, nicht gleichermaßen.Die Abordnung an das Oberlandesgericht,das sogenannte dritte Staatsexamen,bleibt höchst problematisch,obgleich die Richter und Richterinnendes Oberlandesgerichts immer wiederbeteuern, es ginge bei der Abordnungweitaus menschlicher zu als noch vor<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong>n. In Schleswig-Holstein arbeitenwir mit dem Ministerium an Anforderungsprofilenfür die einzelnen Beförderungsämter.Meines Erachtens sollten an das OLGnur Richter und Richterinnen abgeordnetwerden, die an der Arbeit amOberlandesgericht interessiert sind,bzw. diejenigen, die sich aus Interessein der <strong>Justiz</strong> einmal umschauen wollen.Das würde bedeuten, dass es die Erprobungalter Art nicht mehr geben würde.Aber die Richterinnen und Richter selbstdrängen ans Oberlandesgericht, ebensowie die Präsidentinnen und Präsidentendie Richter drängen. Die Listeder Bewerber und Bewerberinnen fürdie Abordnung ist lang. Aber Achtung:Auch wenn die sogenannte Erprobungmenschlicher geworden ist, unterliegendie Richter und Richterinnen jetzt einemDruck ganz anderer Art. „Wie, wenn ichscheitere, obgleich alle so freundlichund hilfsbereit sind?“Da ich diese Gefühle kenne, führe ichmit den an das OLG für 6 Monate abgeordnetenRichtern und RichterinnenGespräche. Ich erfahre wenig über ihreProbleme. Die meisten reden begeistertüber ihre Zeit der Abordnung. Die Gesichterdieser Richter/innen sprechenbisweilen eine andere Sprache. Vielleichttäusche ich mich. Vielleicht frageich nicht richtig. Aber nach Monatenund insbesondere, wenn die Richter/innenmeine Beurteilung erhalten haben,lassen sie sich vereinzelt über den Anpassungsdruckaus, der ihnen widerfahrenist.Gerade der überzeugte Amtsrichterjubelt, wenn er nach der Abordnungwieder selbst bestimmt, unabhängig<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 81 • März <strong>20</strong>05


10<strong>20</strong> <strong>Jahre</strong> BJund mit Leidenschaft seinen Beruf amAmtsgericht ausüben kann.Das System können wir nur ändern,wenn wir für gewisse Beförderungsämterdie Erprobung ganz abschaffen. EinAmtsgerichtsdirektor kann, muss abernicht ein brillanter Jurist sein. „Eigentlich“sind sich alle einig, Präsidentenund das Ministerium. Aber eben nur eigentlich,von der Generalstaatsanwaltschaftganz zu schweigen.Für gewisseBeförderungsämter dieErprobung ganz abschaffenMeine Damen und Herren, in keinerZeitschrift werden die Probleme oderbesser Nöte, der Richter/innen so gutbeschrieben wie in „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“.Wie können Richter/innen ihre gefühlsmäßigeBelastung aushalten, ist immerwieder Gegenstand von klugen Aufsätzen.In einer Diskussion mit einem VorsitzendenRichter am Oberlandesgericht, inder ich versuchte klarzumachen, dassein Richter nur dann, wenn er sich seinerEmotionen, seiner Verstrickungenin einem Rechtsfall bewusst wird, zueiner „gerechten“ und der Sache angemessenLösung finden kann, meinte er:„Aber Gefühle dürfen doch keine Rollespielen.“Leider ist unsere Ausbildung als Richter/innenganz einseitig kognitiv orientiert.Diese Orientierung verspricht zwarleistungsabhängige Anerkennung undTeilhabe an Macht, sie vernachlässigtaber die andere, emotionale Seite, dieein wichtiger Bestandteil unseres Lebensist. Ich habe in meinem Berufslebenimmer wieder festgestellt, dassdie chronische Überforderung der kognitivenFähigkeiten stattfindet. Es fehltvielen Juristen das Zusammenspielvon kognitiven und emotionalen Fähigkeiten.Dabei sind Denken und Fühlenzwei aufeinander bezogene Seiten, diebei juristischen Entscheidungen zusammenkommenmüssen.Das kann man auch an unserem Beurteilungskriterienkatalogablesen. Werfragt in Beurteilungen schon nach:– Offenheit und Einfühlungsvermögen– DialogfähigkeitFoto: Andrea Kaminski– Zivilcourage– aktiver und passiver Kritikfähigkeit– Fähigkeit zum Ausgleich– Fähigkeit zur kreativen Entwicklungvon Konfliktlösungsmöglichkeiten.Meine Damen und Herren, ich kommezum Schluss:In „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“ war Thema auch immerder gewandelte Umgang der DrittenGewalt mit den Medien, es gab und gibtdie Bereitschaft, die Rolle der <strong>Justiz</strong>,ihre Funktionen und ihre Arbeitsergebnissezu diskutieren – bisweilen bis andie Schmerzgrenze.Es war auch immer ein wenig Selbstüberschätzungim Spiel. Die <strong>Justiz</strong>weltverändern, Einfluss nehmen, sich Gehörverschaffen.Wir Leserinnen und Leser und die Macherinnenund Macher von „<strong>Betrifft</strong>JUSTIZ“ blieben in den ersten <strong>Jahre</strong>nder Herausgabe sehr unter uns. Vielleichtwar das nicht anders möglich.Aber <strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong>, das sind eben nichtnur die Richterratschläger/innen, dieLeserinnen und Leser von „<strong>Betrifft</strong> JUS-TIZ“, die Mitglieder der Neuen Richtervereinigung,nein, das sind alle Kolleginnenund Kollegen. Wir sollten gemeinsamdaran arbeiten, dass Gesetz undRecht nicht immer gleich die absolutenAntworten auf schwierige tatsächlicheund juristische Fragen bereithalten.<strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong>, das ist in erster Linie diemündliche Verhandlung, die Kultur imGerichtssaal, das Bemühen um dasVerstehen der Motive menschlichenHandelns, das im Rechtsgespräch, imGespräch mit Zeugen und Sachverständigenzu Antworten finden kann, die derWahrheit am nächsten kommen.<strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> ist in ersterLinie die mündlicheVerhandlungDas stelle ich mir unter <strong><strong>Justiz</strong>kultur</strong> vor.Und ich hoffe, dass „<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ“weiterhin hilft, diesen Gedanken weiterzutragen.Die AutorinKonstanze Görres-Ohdeist Präsidentin des OberlandesgerichtsSchleswig<strong>Betrifft</strong> JUSTIZ Nr. 81 • März <strong>20</strong>05

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