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7 Knickbeanspruchung

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7 <strong>Knickbeanspruchung</strong><br />

Bei den bisherigen Festigkeitsberechnungen wurde ein Spannungsnachweis oder ein Tragfähigkeitsnachweis<br />

geführt. Damit war eine ausreichende Sicherheit nachgewiesen. Es gibt aber Bauteile, bei<br />

denen durch plötzlich sehr stark zunehmende Verformungen die Standsicherheit des Bauwerkes<br />

nicht mehr gegeben ist, obwohl noch eine relativ geringe vorhandene Druckbeanspruchung herrscht.<br />

Schlanke Bauteile, wie z.B. Stützen oder Wände, können seitlich ausknicken (Bild 7.1).<br />

Bild 7.1 Biegeknicken bei Stützen Bild 7.2 Die Knicklänge bei einfachen Stützen ist die<br />

Länge zwischen Fußplatte und Kopfplatte<br />

Eine gerade Stütze wird bei der kritischen Belastung durch eine mittig angreifende und in Achsrichtung<br />

wirkende Druckkraft N (Normalkraft) seitlich ausknicken, bevor die zulässige Druckspannung<br />

erreicht ist (Bild 7.2). Die Stütze wird um so leichter ausknicken, je elastischer und<br />

schlanker sie ist. Die Knickgefahr ist also abhängig vom Werkstoff und von der Schlankheit des<br />

Bauteils. Die Schlankheit wird bestimmt durch die Knicklänge und durch die Größe und Form<br />

des Querschnittes. Das Berechnungsverfahren für einteilige Querschnitte (nicht für zusammengesetzte<br />

Querschnitte) soll im folgenden gezeigt werden. Das folgende Berechnungsverfahren gilt<br />

nicht nur für Stützen, sondern allgemein für Bauteile, die durch Druckkräfte belastet werden.<br />

Bild 7.3<br />

Die Knicklänge bei Geschossstützen ist die Geschosshöhe, da sich das<br />

Ausknicken wellenförmig durch die Geschosse fortsetzen kann


206 7 <strong>Knickbeanspruchung</strong><br />

Wenn die Druckkraft bei diesen Bauteilen einschließlich Eigenlast G in Längsrichtung wirkt,<br />

bezeichnet man sie mit N (Längskraft, Normalkraft). Für die Längskräfte ohne Eigenlast kann die<br />

Bezeichnung S (Stabkraft, Schnittkraft) verwendet werden:<br />

N = G + S Gl. (7.1)<br />

Die Längskraft N muß immer kleiner sein als die kritische Knicklast NKi (Bild 7.2 und 7.3).<br />

7.1 Knicklänge<br />

Die Länge, über die ein Stab (z.B. eine Stütze) bei Druckbelastung frei ausknicken kann, wird als<br />

Knicklänge sK bezeichnet. Zur Bestimmung der Knicklänge ist die Lagerungsart des Stabes von<br />

entscheidender Bedeutung. Der betrachtete Stab kann an beiden Enden gelenkig gelagert oder<br />

eingespannt sein. Er kann auch an einem Ende gar nicht gehalten sein, dann muss das andere<br />

Ende jedoch in jedem Fall eingespannt sein (Kragstütze, siehe Eulerfall 1). Bei einer gelenkigen<br />

Lagerung können Kräfte übertragen werden aber keine Momente. Bei einer Einspannung können<br />

sowohl Kräfte als auch Momente übertragen werden.<br />

Für die Festlegung der Knicklänge gilt folgendes:<br />

1. Für eingeschossige Stützen gilt als Knicklänge die Länge zwischen Fußplatte und Kopfplatte,<br />

wenn beide Enden gegen seitliche Verschiebungen gesichert sind und weder Kopf- noch Fußende<br />

eingespannt sind (Bild 7.2).<br />

2. Wenn Stützen in mehreren Stockwerken übereinander stehen und wenn ihre Enden unverrückbar<br />

festgehalten sind, darf die Geschosshöhe als Knicklänge angenommen werden (Bild<br />

7.3).<br />

der Wandebene mindestens der Abstand der Riegel, die die Stützen aussteifen (Bild 7.4).<br />

4. Bei Stäben in Fachwerken treten verschiedene Knicklängen auf. Für das Knicken in der<br />

Fachwerkebene gilt als Knicklänge für Pfosten und Diagonalstreben sK = 0,9 · l (in Bild 7.5<br />

z.B. sK1 = 0,9 · l1). Senkrecht zur Fachwerkebene gilt für diese Stäbe sK = l.<br />

5. Für die Gurte von Fachwerkstäben gilt für die Knicklänge in der Fachwerkebene sK = l (in<br />

Bild 7.5 z.B. sK2 = l2). Für das Knicken aus der Fachwerkebene gilt als maßgebende Länge<br />

der Abstand von seitlichen Aussteifungen durch Pfetten, Querträger oder Querverbände.<br />

6. Allgemein kann als Knicklänge sK der Abstand zweier benachbarter Wendepunkte (WP) der<br />

Knickverformungsfigur definiert werden (Bild 7.7). Mit dieser Definition können auch Knicklängen<br />

von Stäben, bei denen das System keinem der vier Eulerfälle entspricht, abgeschätzt<br />

werden.<br />

Die ideale Knicklast ist die Last, bei der ein ursprünglich ideal gerader Stab seine Grenztragkraft<br />

erreicht, er knickt aus. Die ideale Knicklast ist definiert als<br />

N<br />

π2<br />

⋅ EI<br />

Ki =<br />

2<br />

( β ⋅ l)<br />

Gl. (7.2)<br />

In besonderen Fällen sind statt gelenkiger Lagerungen auch feste Einspannungen der Stabenden<br />

möglich. Feste Einspannungen haben einen großen Einfluß auf die freie Knicklänge. Wenn man<br />

mit einer festen Einspannung eines Druckstabes rechnen will, muß diese Einspannung mit Sicherheit<br />

vorhanden sein. Die feste Einspannung bei einer Stütze entspricht dem eingespannten<br />

Lager bei einem Träger (Bild 7.6).


Bild 7.4 Die Knicklänge bei ausgesteiften<br />

Stützen ist in der Richtung der Aussteifung<br />

gleich dem Abstand zwischen<br />

den Aussteifungen oder zwischen<br />

Aussteifung und Fuß- bzw.<br />

Kopfplatte<br />

7.1 Knicklänge 207<br />

Bild 7.5 Die Knicklänge bei Diagonalstreben und<br />

Pfosten in Fachwerken für das Ausknicken<br />

in der Fachwerksebene ist 90 %<br />

des Systemmaßes (s K1 = 0,9 · l 1) . Die<br />

Knicklänge bei Fachwerkstäben für das<br />

Ausknicken rechtwinklig zur Fachwerksebene<br />

ist die Länge zwischen den Aussteifungen<br />

(s K2 = l 2)<br />

Bild 7.6 Die Einspannung einer Stütze entspricht<br />

einer Einspannung bei einem Träger<br />

Die ersten Untersuchungen über die Lagerung und Belastbarkeit von Stützen hat Euler schon<br />

1744 angestellt. Nach ihm werden alle vier möglichen Lagerungsfalle von Druckstäben als Eulerfälle<br />

benannt (Bild 7.7 und Tafel 7.1).<br />

β = 2 β = 1 β = 0,7 β = 0,5<br />

Bild 7.7 Die vier Knickfälle nach Euler (Eulerfälle) mit den zugehörigen Knicklängenbeiwerten β<br />

Der beidseitig eingespannte Stab (Eulerfall 4) kann bei gleicher Biegesteifigkeit und Knicklast<br />

demzufolge doppelt so lang sein wie der beidseitig gelenkig gelagerte Stab (Eulerfall 1). Über die<br />

vier Eulerfälle hinaus stehen in Tabellenwerken weitere Knicklängenbeiwerte β zur Verfügung.


208 7 <strong>Knickbeanspruchung</strong><br />

Die Knicklänge wird berechnet aus der Stablänge oder Stützenhöhe h und dem Knicklängenbeiwert<br />

βK, der von der Lagerung abhängig ist.<br />

Knicklänge sk = β K · h Gl. (7.3)<br />

Tafel 7.1 Beiwerte β K für Knicklängen von Stützen (Knicklängenbeiwert)<br />

Fall Stützenruß Stützenkopf β K<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

eingespannt<br />

gelenkig<br />

eingespannt<br />

eingespannt<br />

frei beweglich<br />

gelenkig<br />

gelenkig<br />

eingespannt<br />

Der ungünstigste Fall ist der erste, der günstigste der vierte Eulerfall. Am häufigsten tritt der<br />

Eulerfall 2 auf. Bei Annahme des Falles 1, 3 oder 4 muß die Einspannung mit Sicherheit vorhanden<br />

sein (Bild 7.7), ähnlich wie bei einem Freiträger oder bei eingespannten Trägern (Teil 1,<br />

Abschn. 7.4).<br />

Die Wirkung einer Einspannung ist unberücksichtigt zu lassen, wenn kein genauerer Nachweis<br />

erbracht wird, von Ausnahmefällen abgesehen. Bei einfachen Stützen ist die Knicklänge die tatsächliche<br />

Höhe vom Stützenfuß bis zum Stützenkopf. Bei Geschossstützen darf die Geschosshöhe<br />

als Knicklänge zugrunde gelegt werden, wenn die Stützen in den Decken unverrückbar festgehalten<br />

werden (Bild 7.3).<br />

7.2 Trägheitsradius<br />

Für das Biegeknicken eines Stabes sind außer der Belastung und der Knicklänge auch die Größe und<br />

die Form des Querschnittes von Bedeutung. Je größer ein Stabquerschnitt ist und je weiter die einzelnen<br />

Querschnittsteile von der Stabachse entfernt sind, um so größer ist die Steifigkeit gegen Biegeknicken.<br />

Die Steifigkeit eines Stabquerschnittes wird durch das Flächenmoment erfaßt.<br />

Bei der Ableitung der Biegegleichung (Abschn. 4.1) entstand der Ausdruck Σ ΔA · z 2 . Dieser<br />

Ausdruck wurde als Flächenmoment I bezeichnet. Darin ist z der zugehörige Abstand einer jeden<br />

Teilfläche ΔA, bezogen auf die Schwerachse. Man kann statt der Summe aller Teilflächen (Σ ΔA)<br />

die gesamte Querschnittfläche A einsetzen und erhält I = A · z 2 . Mit z 2 = I/A hat man ein bestimmtes<br />

Maß für das Verhältnis von Flächenmoment I zu Querschnittsfläche A gefunden.<br />

In diesem Zusammenhang wird dieses Maß nicht mehr z, sondern i genannt. Dieses Maß erhält<br />

den Namen Trägheitsradius:<br />

2 I<br />

i =<br />

A<br />

2,0<br />

1,0<br />

0,7<br />

0,5<br />

I<br />

i = in cm mit I in cm<br />

A<br />

4 A in cm2 Gl. (7.4)<br />

Für eine Querschnittsfläche A mit dem Flächenmoment Iy, bezogen auf die y-Achse des Querschnittes,<br />

ergibt sich der Trägheitsradius iy:<br />

iy<br />

Iy<br />

A<br />

= Gl. (7.5)<br />

Entsprechend wird mit dem Flächenmoment Iz , bezogen auf die z-Achse, der Trägheitsradius iz<br />

bezeichnet:<br />

iz<br />

Iz<br />

A<br />

= Gl. (7.6)


7.2 Trägheitsradius 209<br />

– Merksatz:<br />

Der Trägheitsradius ist ein Maß für die Steifigkeit eines Querschnittes gegen Biegeknicken.<br />

Für Querschnitte mit gleicher Steifigkeit rechtwinklig zur y-Achse und rechtwinklig zur z-Achse<br />

erhält man gleiche Trägheitsradien iy = iz. Man kann damit den sogenannten Trägheitskreis in den<br />

Querschnitt zeichnen (Bild 7.8). Für Querschnitte mit ungleicher Steifigkeit rechtwinklig zur<br />

y-Achse und rechtwinklig zur z-Achse erhält man ungleiche Trägheitsradien iy ≠ iz. Man kann mit<br />

den beiden Trägheitsradien die sogenannte Trägheitsellipse zeichnen (Bild 7.9). Bei rechteckigen<br />

Querschnitten sind die Trägheitsradien iy und iz direkt abhängig von den Querschnittsabmessungen<br />

b und d:<br />

Iy b⋅d3 d2<br />

iy= = = = d ⋅<br />

A ⋅b⋅d iy = 0,289 · d<br />

12 12<br />

1<br />

12<br />

Bild 7.8 Trägheitskreis bei Querschnitten mit gleichen Trägheitsradien i y und i z bei gleichen<br />

Steifigkeiten bezogen auf die y-Achse und die z- Achse<br />

a) Quadratquerschnitt mit i y = 0,289 d und i z = 0,289 d, also i y = i z<br />

b) Kreisquerschnitt mit i = 0,25 d<br />

Bild 7.9 Trägheitsellipsen bei Querschnitten mit ungleichen Trägheitsradien i y und i z bei<br />

ungleichen Steifigkeiten, bezogen auf die y-Achse und die z-Achse<br />

a) Rechteckquerschnitt mit i y = 0,289 d und i z = 0,289 b<br />

b) I-förmiger Profilquerschnitt mit<br />

Iy I<br />

i = = z<br />

y und iz<br />

A A<br />

Gl. (7.7)


210 7 <strong>Knickbeanspruchung</strong><br />

I 3 2<br />

z d ⋅ b b<br />

iz= = = = b⋅<br />

A ⋅d ⋅b<br />

12<br />

= 0,289 · b<br />

12<br />

1<br />

12<br />

(7.8)<br />

Für genormte Querschnitte (Holz oder Stahl) ist der Trägheitsradius für die Hauptachsen angegeben<br />

in Profiltabellen (s. Tafel 4.1 bis 4.7).<br />

Beispiele zur Erläuterung<br />

1. Für eine Holzstütze b/h = 100/220 mm werden die Flächenmomente Iy und Iz, sowie die Trägheitsradien<br />

iy und iz berechnet und können mit den Tabellenwerten verglichen werden.<br />

A = b · h = 10 cm · 22 cm = 220 cm2 I<br />

y<br />

3 3<br />

b⋅h 10 cm ⋅(22cm)<br />

= = = 8873 cm<br />

12 12<br />

I<br />

4<br />

y 8873 cm<br />

iy<br />

= = = 6,35 cm<br />

A 220 cm2<br />

4<br />

I<br />

z<br />

3 3<br />

h⋅b 22 cm ⋅(10cm)<br />

= = = 1833 cm<br />

12 12<br />

I<br />

4<br />

z 1835 cm<br />

iz<br />

= = = 2,89 cm<br />

A 220 cm2<br />

2. Für eine Stahlstütze IPE 240 werden die Trägheitsradien iy und iz berechnet.<br />

A = 39,1 cm2 Iy = 3890 cm4 Iz = 284 cm4 I<br />

4<br />

y 3890 cm<br />

iy<br />

= = = 9,97 cm<br />

A 39,1 cm2<br />

7.3 Schlankheitsgrad<br />

I<br />

4<br />

z 284 cm<br />

iz<br />

= = = 2,69 cm<br />

A 39,1 cm2<br />

Das Verhältnis der Knicklänge sK zum Trägheitsradius i ist der Schlankheitsgrad λ (Lambda).<br />

Schlankheitsgrad = Knicklänge<br />

Trägheitsradius<br />

– Merksatz:<br />

sK<br />

λ =<br />

i<br />

Gl. (7.9)<br />

Der Schlankheitsgrad gibt die Knickempfindlichkeit eines Druckstabes an in Abhängigkeit<br />

von Stablänge, Lagerungsart, Querschnittsgröße und Querschnittsform.<br />

Ein Druckstab wird stets rechtwinklig zur Achse des kleinsten Flächenmomentes ausknicken<br />

(Bild 7.10). Unterschiedliche Knicklängen erhält man, wenn ein Druckstab in den Hauptachsen<br />

verschieden gehalten ist (Bild 7.11). Dann sind die Schlankheitsgrade für beide Hauptachsen zu<br />

berechnen:<br />

λ<br />

sKy<br />

y =<br />

iy<br />

sKz<br />

z =<br />

iz<br />

λ Gl. (7.10)<br />

Der größere Schlankheitsgrad ist der maßgebende, er ist für die weitere Berechnung zugrunde zu<br />

legen.<br />

4


7.4 Druckbeanspruchte Bauteile aus Holz<br />

7.4 Druckbeanspruchte Bauteile aus Holz 211<br />

Für den Holzbau gilt DIN 1052. Die Querschnittstragfähigkeit wird nach dem Ersatzstabverfahren<br />

nachgewiesen. Der Bemessungswert der Druckspannung wird mit dem kc-fachen Bemessungswert<br />

der Druckfestigkeit verglichen.<br />

Bild 7.10 Druckstäbe knicken rechtwinklig zur<br />

Achse mit dem geringsten Flächenmoment<br />

7.4.1 Knickbeiwert und Schlankheit<br />

Bild 7.11 Unterschiedliche Knicklängen durch<br />

Aussteifen mit einem Zwischenriegel<br />

Bei zunehmender Schlankheit nimmt die Tragfähigkeit eines Druckstabes immer mehr ab. Dieses<br />

Verhalten wird durch den Knickbeiwert kc berücksichtigt. Der Knickbeiwert kann nach DIN<br />

1052, Abschnitt 10.3 berechnet werden<br />

1<br />

kc<br />

= ≤1<br />

k + k2−λ2 rel,c<br />

mit k = 0,5 ⋅ [1 + β ⋅( λ − 0,3) + λ2]<br />

c rel,c rel,c<br />

β c = 0,2 für Vollholz oder Balkenschichtholz<br />

= 0,1 für Brettschichtholz und Holzwerkstoffe<br />

λ fc,0,k<br />

λ rel,c = ⋅ bezogener Schlankheitsgrad<br />

π E0,05<br />

λ = lef /i Schlankheitsgrad<br />

lef = β · s Ersatzstablänge<br />

s Stablänge<br />

Gl. (7.11)

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