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« Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes »

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Die Laokoon-Gruppe in den Vatikanischen Museen<br />

<strong>«</strong> <strong>Qu<strong>id</strong>qu<strong>id</strong></strong> <strong>id</strong> <strong>est</strong>, <strong>timeo</strong> <strong>Danaos</strong> <strong>et</strong> <strong>dona</strong> <strong>ferentes</strong> <strong>»</strong><br />

„Was es auch ist, ich fürchte die Danaer (Griechen),<br />

auch dann, wenn sie Geschenke bringen.“<br />

Warnung des Pri<strong>est</strong>ers Laokoon vor dem Trojanischen Pferd (Vergil, Aeneis 2,49)<br />

Laokoon, ein trojanischer Pri<strong>est</strong>er des Apollon, war Sohn des Capys und Bruder des<br />

Anchises. Seine Söhne hießen Antiphas und Thymbraios.<br />

Laokoon warnte die Trojaner davor, das hölzerne Pferd in die Stadt zu ziehen, und<br />

schleuderte seine Lanze dagegen. Für Apollon war das Anlass zwei Schlangen auf die Söhne<br />

des Laokoon zu schicken. Da Laokoon den Söhnen zur Hilfe eilte, wurde er auch selbst von<br />

den be<strong>id</strong>en Schlangen umwunden und g<strong>et</strong>öt<strong>et</strong>.<br />

Die Trojaner sahen darin ein göttliches Zeichen, schenkten daher der Warnung von Laokoon<br />

keinen Glauben und zogen das Pferd zu ihrem eigenen Verderben in die Stadt.


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Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und<br />

Bildhauer-Kunst, 1755<br />

Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt,<br />

und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meeres allezeit<br />

ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeig<strong>et</strong> der Ausdruck in den Figuren der<br />

Griechen bei allen Le<strong>id</strong>enschaften eine große und ges<strong>et</strong>zte Seele.<br />

Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laokoon, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem<br />

heftigsten Le<strong>id</strong>en. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdeck<strong>et</strong> und<br />

den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Teile zu b<strong>et</strong>rachten, an dem schmerzlich<br />

eingezogenen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaub<strong>et</strong>, dieser Schmerz, sage ich, äußert sich<br />

dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erheb<strong>et</strong> kein schreckliches<br />

Geschrei, wie Vergil 1 von seinem Laokoon sing<strong>et</strong>. Die Öffnung des Mundes g<strong>est</strong>att<strong>et</strong> es nicht; es ist<br />

vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadol<strong>et</strong> beschreib<strong>et</strong>. Der Schmerz des<br />

Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausg<strong>et</strong>eil<strong>et</strong><br />

und gleichsam abgewogen. Laokoon le<strong>id</strong><strong>et</strong>, aber er le<strong>id</strong><strong>et</strong> wie des Sophokles Philokt<strong>et</strong>es 2 ; sein Elend<br />

geh<strong>et</strong> uns bis an die Seele, aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.<br />

Der Ausdruck einer so großen Seele geh<strong>et</strong> weit über die Bildung der schönen Natur: der Künstler<br />

mußte die Stärke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem Marmor einpräg<strong>et</strong>e. Griechenland<br />

hatte Künstler und Weltweisen in einer Person, und mehr als einen M<strong>et</strong>rodor 3 . Die Weisheit reichte<br />

der Kunst die Hand und blies den Figuren derselben mehr als gemeine Seelen ein.<br />

Unter einem Gewande, welches der Künstler dem Laokoon als einem Pri<strong>est</strong>er hätte geben sollen,<br />

würde uns sein Schmerz nur halb so sinnlich gewesen sein. Bernini 4 hat sogar den Anfang der<br />

Wirkung des Gifts der Schlange in dem einen Schenkel des Laokoon an der Erstarrung desselben<br />

entdecken wollen.<br />

Alle Handlungen und Stellungen der griechischen Figuren, die mit diesem Charakter der Weisheit<br />

nicht bezeichn<strong>et</strong>, sondern gar zu feurig und zu wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten<br />

Künstler <strong>»</strong>Parenthyrsis<strong>«</strong> nannten.<br />

Je ruhiger der Stand des Körpers ist, d<strong>est</strong>o geschickter ist er, den wahren Charakter der Seele zu<br />

schildern. In allen Stellungen, die von dem Stande der Ruhe zu sehr abweichen, befind<strong>et</strong> sich die Seele<br />

nicht in dem Zustande, der ihr der eigentlichste ist, sondern in einem gewaltsamen und erzwungenen<br />

Zustande. Kenntlicher und bezeichnender wird die Seele in heftigen Le<strong>id</strong>enschaften; groß aber und<br />

edel ist sie in dem Stande der Einheit, in dem Stande der Ruhe. Im Laokoon würde der Schmerz, allein<br />

gebild<strong>et</strong>, Parenthyrsis gewesen sein; der Künstler gab ihm daher, um das Bezeichnende und das Edle<br />

der Seele in eins zu vereinigen, eine Aktion, die dem Stande der Ruhe in solchem Schmerze der<br />

nächste war. Aber in dieser Ruhe muß die Seele durch Züge, die ihr und keiner andern Seele eigen<br />

sind, bezeichn<strong>et</strong> werden, um sie ruhig, aber zugleich wirksam, stille, aber nicht gleichgültig oder<br />

schläfrig zu bilden.<br />

1 Vergil ... römischer Dichter aus dem 1. Jh. V. Chr.<br />

2 Philokr<strong>et</strong> … griechischer Bogenschütze, der der Sage nach Paris töt<strong>et</strong>e<br />

3 M<strong>et</strong>rodor ... griechischer Künstler<br />

4 Bernini ... italienischer Bildhauer des Barock

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