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Rezension zu Udo Schaefer, Was ist der Mensch?

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REZENSIONU. <strong>Schaefer</strong>, <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>? <strong>Mensch</strong> und <strong>Mensch</strong>heit im Schrifttum Bahā’u’llāhsHofheim 2003Rezensiert von Dr. Gilan ToberDie 2003 im Bahā’ī-Verlag erschienene, 90-seitige Abhandlung widmet sichzwei aufeinan<strong>der</strong> aufbauenden Fragen: In ihrem ersten Teil setzt sie sichmit dem <strong>Mensch</strong>enbild Bahā’u’llāhs auseinan<strong>der</strong>, in ihrem zweiten mit <strong>der</strong>Verwirklichung ge<strong>ist</strong>iger und politischer Einheit des <strong>Mensch</strong>engeschlechts.Beiden Teilen lagen Vortragsmanuskripte <strong>zu</strong>grunde, die für diesen Zweckaktualisiert, ausführlich indexiert und unter einem gemeinsamen Titel <strong>zu</strong>sammengefasstwurden. Diese Zusammenführung war konsequent, denndie Idee <strong>der</strong> einen <strong>Mensch</strong>heit impliziert bereits ein bestimmtes <strong>Mensch</strong>enbild.Die Frage, was <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> sei, <strong>ist</strong> eine <strong>der</strong> Urfragen <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>heit. Nebendem Gottesbegriff, <strong>der</strong> Offenbarungslehre und dem Gottesbund gehört dieLehre vom <strong>Mensch</strong>en <strong>zu</strong>m Kernbereich <strong>der</strong> Bahā’ī-Theologie. Sie <strong>ist</strong>, worauf<strong>der</strong> Autor <strong>zu</strong> Recht hinwe<strong>ist</strong>, keineswegs ausschließlich theoretisch, son<strong>der</strong>nimpliziert eminent praktische Konsequenzen für Recht und Ethik.Würde <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong> ausschließlich als physisch-empirische Wirklichkeit begriffen,dann seien Eingriffe wie Schwangerschaftsabbruch, Klonen, Pränatal-und Präimplantationsdiagnostik sowie aktive Sterbehilfe ganz an<strong>der</strong>s<strong>zu</strong> beurteilen als aus <strong>der</strong> Perspektive eines religiösen <strong>Mensch</strong>enbildes.Mag auch das den <strong>Mensch</strong>en charakterisierende Schrifttum Bahā’u’llāhsdem Leser vertraut sein, so le<strong>ist</strong>et <strong>Schaefer</strong> doch Pionierarbeit: Wenn dieHeilige Schrift klärend <strong>zu</strong> einer Frage Stellung nimmt (wie <strong>der</strong> nach demWesen des <strong>Mensch</strong>en), geschieht dies nur selten in einem einzigen, die Frageerschöpfend und diskursiv behandelnden Traktat. Der Bāb und Bahā’u’llāhhaben in emphatischer, apodiktischer Sprache Aussagen von einem hohenAbstraktionsgrad hinterlassen, die in <strong>der</strong> Schrift verstreut und gelegentlichrepetitiv sind. Die Texte ergänzen, verstärken, konkretisieren o<strong>der</strong> relativierensich. Eine einzelne Textpassage vermittelt daher häufig nur einenpartikularen Einblick in die Schrift. Um die Position <strong>der</strong> Schrift <strong>zu</strong> einer1


<strong>Schaefer</strong> damit aufzeigt: Gegen Verlet<strong>zu</strong>ngen durch die Staatsmacht schützeden Einzelnen das staatliche Gesetz, gegen sich selbst das Gesetz Gottes.Der Autor kennzeichnet den von Bahā’u’llāh gefor<strong>der</strong>ten Lebensvoll<strong>zu</strong>g alseinen „Mittelweg zwischen asketischer Weltverneinung und dem Hedonismus“.Weltentsagung sei nicht Weltverneinung, son<strong>der</strong>n Loslösung undSelbstbeherrschung im Kampf gegen die „Knechtschaft“ <strong>der</strong> Affekte, Triebeund Begierden. Die Affekte seien <strong>zu</strong> zähmen, <strong>zu</strong> sublimieren, dienstbar <strong>zu</strong>machen und „in menschliche Vollkommenheiten <strong>zu</strong> verwandeln“ (BeantworteteFragen 29:7).Im Mittelpunkt des zweiten Teiles steht die Integrationskraft <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong>einen <strong>Mensch</strong>heit. Der Verfasser verwe<strong>ist</strong> auf die wachsende Heterogenität<strong>der</strong> westlichen Gesellschaften, kulturelle Ghettoisierungen, die Ausbildungvon Parallelgesellschaften und Erfahrungen konfliktträchtiger Pluralitätund kognitiver Dissonanz. Das hieraus resultierende Konfliktpotential seidurch ein anachron<strong>ist</strong>isch gewordenes Nationalstaats-Konzept nicht länger<strong>zu</strong> bewältigen, woraus <strong>Schaefer</strong> den Appell für die Einrichtung global wirksamerpolitischer Instanzen herleitet.<strong>Schaefer</strong> we<strong>ist</strong> auf die Gefahren hin, die gesellschaftliche Vielfalt wegen <strong>der</strong>mit ihr verbundenen „Zentrifugalwirkung“ in sich birgt. Vielfalt bedürfe <strong>der</strong>Integration. Ohne Balance zwischen Einheit und Vielfalt werde ein Gemeinweseninstabil und letztlich unregierbar. Die multikulturelle Gesellschaftbedürfte einer Leitidee und übergreifen<strong>der</strong> verbindlicher Werte, einesinterkulturellen Normkonsenses. Das Bild von <strong>der</strong> einen <strong>Mensch</strong>heitsfamilie,die Vision universeller Bru<strong>der</strong>schaft, die Idee eines Weltbürgertums,das auf <strong>der</strong> anthropologischen, politischen und rechtlichen Gleichheitaller <strong>Mensch</strong>en und <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> <strong>Mensch</strong>enrechte beruht, sei eineLeitidee, die geeignet wäre, Vielfalt <strong>zu</strong> integrieren. Der Gedanke sei, wie <strong>der</strong>Autor selbst einräumt, an sich nicht neu: alle Religionen seien „Wegweiser<strong>zu</strong>r Weltgesellschaft“ gewesen. Alle Religionen seien in ihrem Anspruch,ihrer Botschaft und ihren Zielset<strong>zu</strong>ngen universal<strong>ist</strong>isch. Im Bahā’ītum sei<strong>der</strong> Gedanke jedoch zentraler Glaubensinhalt und Gestaltungsauftrag. DieBahā’ī lebten in <strong>der</strong> Glaubensgewissheit, dass die neue Ausgießung göttlicherGnade, die sie in <strong>der</strong> Offenbarung Bahā’u’llāhs sehen, diesen Wandelbewirken werde. <strong>Schaefer</strong> schließt sich schon früher erhobenen For<strong>der</strong>ungenfür ein „neues Denken“ an. Da<strong>zu</strong> gehörten vor allem ein Wandel in unsererEinstellung <strong>zu</strong> <strong>Mensch</strong>en an<strong>der</strong>er kultureller Prägung, an<strong>der</strong>er Rasse4


und an<strong>der</strong>er Religion und die Bereitschaft, mit ihnen friedlich <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>leben.Die Arbeit, die mit einem Appell für die Aufnahme eines Fachs „Weltbürgerkunde“in die Curricula <strong>der</strong> Schulen endet, <strong>ist</strong> in je<strong>der</strong> Hinsicht me<strong>ist</strong>erhaftgelungen. Sie zeichnet sich durch große Klarheit in Glie<strong>der</strong>ung undSprache und die dem Autoren eigentümliche theologisch-philosophischeGelehrtheit aus. Der Text lässt sich trotz <strong>der</strong> Schwierigkeit des Themas angenehmleicht und zügig lesen und <strong>ist</strong> auch als Einführungsliteratur <strong>zu</strong>mBahā’ītum beson<strong>der</strong>s für Akademiker geeignet. Die Lektüre <strong>der</strong> Abhandlung,die für 6,-- Euro <strong>zu</strong> erwerben <strong>ist</strong>, <strong>ist</strong> mit Nachdruck <strong>zu</strong> empfehlen.5

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