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thethe6 January | Januar 2014 January | Januar 2014 7Abschied vonArmin LüthiGrosser Saal der <strong>Ecole</strong> <strong>d'Humanité</strong>, 21. September 2013Keine zehn Monate ist es her, am Samstag vor dem ersten Advent,da haben wir uns hier im Grossen Saal von Natalie verabschiedet.An ihr Leben und auch an ihr langes Sterben gedacht. Jetzt stehenwir wieder hier und müssen Abschied nehmen. Ob wir wollen odernicht, danach hat uns keiner gefragt.Armin und Natalie, Natalie und Armin, das waren zwei ganzbesondere Menschen je für sich und sie waren ein starkes Duo,Sie waren auf die Art und Weise miteinander verbunden, wieMenschen es sind, die an demselben Lebenswerk arbeiten. Es passtfür sie, dass sie nicht so lange ohne einander im Leben sein mussten;dass Armin nicht so lange ohne Natalie weiter gelebt.Ihr Vier, Doey, Molly, Chris und Piet habt Armin einen grossenLiebesdienst erwiesen, vielleicht den grössten, den man einemMenschen erweisen kann. Ihr habt es, zusammen mit der Spitex,möglich gemacht, dass er zuhause gestorben ist. So sehr hat er sichhierher gewünscht.Am Abend vor Armins Tod habe ich ein Gedicht von Rilkegefunden, das ich heute lesen will:O Herrgib jedem seinen eigenen Tod.Das Sterben, das aus jenem Leben geht,darin er Liebe hatte, Sinn und Not.An Armins Leben, darin er Liebe hatte, Sinn und Not denkenwir in dieser Feier!Wenn wir einen Menschen verlieren, dann verlieren wir nichtnur den einen Menschen, sondern er geht uns mit seiner Stimme,seiner Mimik, seiner Musik, seiner Art zuzuhören, seinem Denkenund mit den unendlichen Facetten seiner Persönlichkeit verloren.Am Dienstagabend haben wir, Armins Kinder und Menschenaus der Schulgemeinschaft, zusammen gesessen, hier in einemKreis, der immer grösser wurde, um diese Kerze herum und habenunsere Erlebnisse und Erinnerungen an Armin geteilt. Und immerwieder kam ein neues Detail hinzu, etwas Überraschendes, etwasBekanntes oder Neues, etwas anderes.Ein Mensch, so viele Facetten. Armin war Vieles. Er war soVieles und zugleich Eines: In Armin hat die Welt einen begnadetenPädagogen gekannt und jetzt verloren. Montagmorgen, Ashleyund ich haben an meinem Schreibtisch zusammengesessen, traurig,nachdenklich, funktionierend und haben die Traueranzeige formuliert.«Begnadeter Pädagoge!» Auf einmal war diese Formulierungda. Beide haben wir innegehalten, tief Luft geholt, abgewogen undgemeinsam entschieden, das ist nicht zu gross, sondern genaupassend.Armin ein begnadeter Pädagoge!Aber was heisst das?Seit 1948 waren Armin und Natalie in unterschiedlichen Funktionenmit der Schule verbunden. Das sind 65 Jahre.Zu Beginn haben sie die Leitungsaufgabe nicht leichten Herzensübernommen. Armin selbst schreibt dazu: «Wer kann schonNachfolger eines Mannes <strong>werden</strong>, der mit Rehen stundenlangeWanderungen im Wald unternimmt, dem sich die Bussarde auf dieSchultern setzen, dem der bissige Hund die schwer verletzte Pfoteauf das Knie legt, der einem im Konzentrationslager verstummtenKind die Sprache zurückgibt.»Tja, wer übernimmt schon gerne die Nachfolge eines quasiHeiligen?Der einzige Satz, den Geheeb den beiden mitgegeben hat:Man kann nur seinem ärgsten Feind wünschen, eine solche Schulezu leiten.Immerhin haben Natalie und Armin 34 Jahre diese Schulegeleitet. Jahre später in einem Interview mit Michelle Rothen sagtder weise Armin ganz unaufgeregt und nebenher, er sei eben hierhängengeblieben, habe den Absprung nicht geschafft. Wer's glaubt:Noch in den letzten Wochen war bei jedem Besuch Armins allerersteFrage an mich, manchmal sogar vor dem Guten Tag: «Wie geht esder Schule?»65 Jahre Lebenszeit, 34 Jahre Leitungszeit, eine solche Konstanzverweist sicher auf ein Lebenswerk, doch macht eine lange Zeit janoch nicht den begnadeten Pädagogen aus.Für mich war, ist und bleibt Armin ein begnadeter Pädagoge,weil er die Kunst der Balance beherrscht hat. Die Balance zwischendem, was ist und dem, was sein kann!Ein Graphologe könnte das sicher auch aus seiner Schriftherauslesen: klar, nicht zu klein, nicht zu gross, gestochen und fein,ohne Ziselierungen und ohne Aufschneiderei, Dinge beim Wortnennend und doch offen, horchend, ausbalanciert eben.Die Balance zwischen dem, was ist und dem, was sein kann.Wir hören noch einmal Armin selbst. In einem Vortrag hat erformuliert: «Mir erscheint es immer unabdingbarer, dass ein reifer,wirklich erwachsener Mensch eine Balance erreiche, zwischendem Streben nach mehr an Lebensglück einerseits und der willigenAkzeptanz der Realitäten, die einem das Leben auferlegt andererseits.Mensch sein heisst, Widersprüche ertragen, sich mit ihnenkonfrontieren und sie annehmen.»In der Pädagogik brauchen wir solche erwachsene und reifeMenschen, die um diese Balance wissen und sie immer wiederleben. Alle angestrengte Erziehungsaktivität ist unwichtig, es gehtum die Persönlichkeit.Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat das soausgedrückt: Es ist nicht der Unterricht, der erzieht, sondern derUnterrichtende. Ein guter Lehrer erzieht mit seiner Rede und mitseinem Schweigen. Im beiläufigen Gespräch, durch sein blosses Daseinund durch sein Sosein. Er muss ein wirklich existenter Menschsein, gegenwärtig und im Kontakt. Oder in TZI-Kurzformel: Ich selbstbin mein wichtigstes Instrument.All das war Armin. Sich immer wieder der Balance bewusst,zwischen dem, was ist und dem, was sein kann. So hat er Generationenvon SchülerInnen und MitarbeiterInnen begleitet und geprägt.Er war Ehemann, Vater und Grossvater, Freund, Kollege und Lehrer,Musiker und Redner, Suchender und einer, der schon längst gefundenhatte. Er war stark und schwach, kritisch und liebevoll, nüchternund leidenschaftlich zugleich.Ganz nüchtern konnte Armin den Zustand seiner Schulebeurteilen, hatte Mühe mit zu grossen Schwärmereien, mit demNetten und mit aller Lobhudelei. Von Gästen erwartete er ehrlichesFeedback, wirkliches Suchen und den Diskurs. Leidenschaftlichkonnte er <strong>werden</strong>, wenn er gegen den Unaussprechlichen kämpfte.Gegen den grossen Universitätspädagogen aus Zürich, der ineinem Zeitungsinterview doch wirklich und wahrhaftig geforderthatte: Kinder und Jugendliche müssen in der Schule vor allemeines, nämlich auf den Arbeitsmarkt vorbereitet <strong>werden</strong>. Was fürein Verrat an jeglicher Bildung, da sparte Armin nicht an mitunterauch böser Kritik.Er hatte den liebevoll beobachtenden Blick des Homöopathenund zugleich den des kritischen Analytikers. Wie oft hatArmin mit seinen Kügelchen geholfen! Hat gesehen, wenn esjemanden drückte und sie - manchmal sogar ungefragt - überden Tisch geschoben. Oder er hat aufmerksam zugehört undnach Mitteln zur Linderung gesucht, seine Geheimbücher befragt.Er konnte gleichzeitig zwischen den Zeilen lesen, die verstecktenBotschaften in der Konferenz hören und darauf reagieren.Kritisch, wach und immer loyal. Wie sehr werde ich die Gesprächemit ihm vermissen.Armin hat im Alter die Balance der versöhnten Stärke erreicht.Neben dem klugen, grossen, musikalischen und eleganten Arminmusste sich niemand klein fühlen. Egal ob Alt oder Jung auf ihn traf.In Armin begegnete man einem interessierten Zuhörer, einem, derwissen und verstehen wollte, der nicht schnell urteilte, sondernversuchte, die Schuhe des Gegenübers für eine Zeit lang zu bewohnen.Armin hat auch nie vorgegeben, mehr zu sein als er war.In den letzten Monaten, wenn wir über das Sterben gesprochenhaben, hat er oft gesagt: Ich glaube, ich bin hier noch nicht fertig!Armin lebte ganz im Hier und Jetzt und zugleich in der Vergangenheit.Das Archiv half ihm, diese Schule zu verstehen. Allesist relativ und nicht wirklich schlimm, so war seine Reaktion, egalwelche Katastrophe aus unserem Schulalltag zu ihm in sein kleinesArbeitszimmer gelangte. Alles war schon einmal da. Alles hatdie Schule schon einmal überlebt. Solch ein Archivar kann dochetwas unheimlich Tröstendes für ein Kollegium haben. Mit ihmverlieren wir die historischen Botschaften, Randnotizen und auchdie Ermahnungen, die er in die Konferenz gebracht hat.Armin hatte einen Lieblingspsalm, über den wir uns in derletzten Zeit immer mal wieder gestritten haben. Es war der Psalm90, der vieles sagt, aber eben auch dieses: «Unser Leben währet70 Jahre und wenn’s hoch kommt, so sind es 80 Jahre. Und wennes köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.»Das ist mehr als nüchtern, fast schon lebensfeindlich, fandich. Aber auch hier die Balance, zwischen dem, was ist und demwas sein kann. Viele der letzten Begegnungen mit Armin warenvon einer heiteren Gelassenheit geprägt. Er wusste, dass er sterbenwürde und ist seinen Weg gegangen. Mühe und Arbeit des Lebensstehen nebeneinander mit der heiteren Gelassenheit des Lassens.Armin, Du bist nicht mit Rehen spazieren gegangen, hattestkeine Bussarde auf den Schultern und keine verletzten Hundepfotenauf den Knien. Aber in unzähligen Begegnungen undGesprächen hast Du uns vorgelebt und erfahren lassen, was esheisst eine reife Persönlichkeit zu sein. Ein Lehrer der Balancezwischen dem, was ist und dem, was sein kann. Mögest Du jetztan einem guten Ort sein. Und wenn es nach dem Leben gut weitergeht, dann bist Du dort nicht alleine sondern an Natalies Seite.BARBARA HANUSAArmin bei der Einweihung des Edith und Paul Geheeb Hauses

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