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Die Mutprobe

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hier ist Myla.“ Presse ich hervor, und versuche wieder Luft zu holen.„Myla?“ Cady klingt überrascht. Sie scheint nicht sehr sauer zu sein,denn sonst hätte sie aufgelegt. „Was gibt’s?“ fragt sie schließlich einwenig gefasster. Dann kann ich nicht mehr und alles bricht aus mirheraus. Ich erzähle ich dir ganze Geschichte. Das mein kleinerBruder immer öfter Schmerzen hatte. Er im Krankenhaus lag,wochenlang, und niemand wusste was mit ihm los ist. Bis meineMutter mir erklärt hat, dass es Leukämie ist. Dann erzähle ich Cadyvon der Knochenmarkspende. Ich weiß nicht wie ich es schaffe, allesso detailgetreu zu erzählen und trotzdem die Fassung nicht zuverlieren. Aber Cady hört zu und unterbricht mich nicht. Als ichfertig bin und ihr erklärt habe, dass ich ihm Knochenmark spendenmuss und er sonst stirbt, ringt sie mit den Worten. „Oh mein GottMyla. Wo bist du?“ Ich muss mich kurz selbst erinnern aber dannnenne ich ihr die Adresse. „Okay. Pass auf. Du wartest da, genau dawo du jetzt bist, und ich komme sofort. Rühr dich nicht vom Fleck ineiner Viertelstunde bin ich da.“ Sagt Cady mit ernster Stimme undlegt auf. Ich sehe mich um und entdecke eine Bank. Mit letzter Kraftschleppe ich mich dort hin. Dann lasse ich mich fallen. Mein Kopfscheint zu explodieren, so pocht er. Ich warte. Schon wieder. Derheutige Tag hat bis jetzt größtenteils aus Warten bestanden. Wielange ich da sitze und Warte weiß ich nicht. Mir kommt es vor wieeine Ewigkeit. Doch irgendwann höre ich ein Klingeln. Es ist Cadyauf ihrem Fahrrad. Es scheint, als wolle sie mich aus meinem„Trance“ – Zustand wecken. „Oh man, Myla.“ Sagt sie, springt vonFahrrad und umarmt mich. Dann setzt sie sich neben mich auf dieBank und sieht mich zweifelnd an. „Und? Wirst du es machen?“ fragtSeite 4


sie mich leise. Ich seufze. „Ich weiß es nicht. Eigentlich schon, ichkann Mason nicht sterben lassen. Aber andererseits habe ich soAngst.“ Tränen laufen mir über die Wange. „Hey, Myla. Ganz ruhig.Wie auch immer du dich entscheidest, ich bin bei dir, okay?“ sagt siemit fester Stimme. „Es tut mir leid.“ Bringe ich hervor. „Was? Dasmit unserem Streit etwa? Ach das ist doch schon längst vergessen.Du wirst immer meine beste Freundin sein, ganz egal wie sehr wiruns streiten.“ Erklärt sie mir. „Okay, danke, dass du hier bist.“ Ichblicke sie an. „Okay. Und jetzt fahren wir zu mir und gucken imInternet was es mit einer Knochenmarkspende denn so alles auf siehat.“ Euphorisch greift sie meine Hand und wir fahren zu Cady nachHause. In dem Moment kommt mir alles ein bisschen vor wie früher.Aber auch nur ein bisschen.2„Okay. Myla, bist du so weit?“ fragt Dr. Gray mich, bevor ich in denOP- Saal gebracht werde. Ich nicke leicht denn ich schaffe es nichtetwas zu sagen. „Gut. Und noch etwas: Ich finde es sehr, sehrmutig von dir, dass du deinem Bruder hilfst und das du dichentschlossen hast, diese Knochenmarkspende zu machen. Du rettestihm damit das Leben. Ich hoffe dir ist bewusst, dass das keineSelbstverständlichkeit ist. Ich denke nicht, dass viele andere Leutein deinem Alter diese Kraft hätten um das durchzustehen. Also,meinen Respekt.“ Sagt er und für einen kurzen Moment habe ichdas Gefühl, dass auch ihm Tränen in den Augen stehen. „Danke.“Antworte ich mit erstickter Stimme. Dann werde ich in den SaalSeite 5


gebracht. Als ich drin bin und Dr. Gray mit einer langen, mitFlüssigkeit gefüllten Spritze zu mir kommt, werde ich kurz panisch.„Alles gut, Myla. Danach merkst du nichts mehr.“ Erklärt er mirsachlich. Ich atme noch einmal tief ein und aus. „Puh. Okay.“Erwidere ich schließlich. Er setzt sich neben mich. Ich schaue weg,denn ich muss nicht sehen, wie die Spritze in meinen Arm sticht. Einkurzer Schmerz. Dann ein stärkerer Schmerz. Dann wieder wenigerschmerzlich. „Okay Myla. Alles ist gut. Jetzt erzähl mir, was du diram allermeisten wünschst.“ Höre ich Dr. Gray. „Das mein Bruderwieder gesund wird. Und das ich mich nie wieder mit meiner bestenFreundin streite.“ Nuschele ich. „Worüber habt ihr euch gestritten?“fragt er nach. „Es war nichts Bedeutendes. Aber es war ein großerStreit. Es ging um Joe einen Jungen aus unserer Klasse. Cadymochte ihn und ich auch. Wir haben beschlossen ihm beide in Ruhezu lassen, der anderen wegen, aber schließlich habe ich michheimlich mit ihm getroffen.“ Erzähle ich wieder. Vor meinen Augendreht sich alles. Ich weiß nicht wie ich es schaffe weiter zu reden:„Und sie hat das herausgefunden. Ab da war Schluss zwischen uns.Sie hat mir die Freundschaft gekündigt, und gesagt, dass sie niewieder mit mir redet.“ Ich schlucke. Bis es vor meinen Augenplötzlich schwarz wird. Ein letztes Mal überlege ich, was passiertwenn ich nicht mehr aufwache. Aber dann bin ich schon weg, tief indem Dunkel, und träume von wirren Dingen.Abschied ist immer als würde ein Stück von dir sterben, hat meinVater mal gesagt. In den weniger verwirrenden Momenten wird mirbewusst, was er damit eigentlich gemeint hat. <strong>Die</strong> Seele bestehtnicht nur aus uns selbst, sondern auch aus Millionen Teilen vonSeite 6


anderen. Selbst wenn nur ein entfernter Verwandter stirbt. Jemand,den man kaum gekannt hat, eigentlich gar nicht, und wo du denkst:Es macht dir nichts aus. Aber genauso ist das gemeint. <strong>Die</strong>serEntfernte Verwandte ist ein kleiner Teil von dir, selbst wenn er nurMillimeter groß ist. Jetzt verstehe ich erst, was mein Vater mir damitsagen wollte. Es ist schon seltsam, dass mir das jetzt auffällt indiesem Dunkel. Aber irgendwie ist es auch logisch. Denn jetzt binich in der Situation, in der mein Bruder sterben könnte. Und dannwürde nicht eines der kleinen Millionen Teile sterben. Es würde einsehr, sehr großer Teil sterben. Mason ist erst 11. Er hätte kaumetwas von seinem Leben gehabt und deshalb bin ich froh, dass ichdas gemacht habe. Erst während diesen Gedanken, fällt mir auf,dass ich wieder wach bin. Ich starre an die grau- weiße Decke desRaumes. Dann nach links und rechts. Neben mir sitzen mein Vaterund meine Mutter. Und auf der anderen Seite des Raumes liegtMason, Schläuche umgeben ihn, genauso wie mich. „Es geht ihmgut. Seine Operation ist erfolgreich verlaufen, ebenso wie deine.Ohne dich wäre er jetzt tot.“ Flüstert meine Mutter. Ich lächeleleicht, denn ich bin noch zu schwach um etwas zu antworten. Aberich weiß, dass ich das richtige getan habe. Der Mut den ich bewiesenhabe, war anders als die Meisten denken. Ich musste keine<strong>Mutprobe</strong> bestehen, die andere für mich ausgewählt haben, sonderneine an deren Bedingungen man nichts ändern konnte, mit denenman nicht verhandeln konnte. Eine <strong>Mutprobe</strong>, die keine <strong>Mutprobe</strong>ist, so wie man sie kennt. Eine <strong>Mutprobe</strong> nur für mich.Nina Hunold, 8c, ESGSeite 7

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