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16 welt der frau 6\2011


VERLETZTE GEFÜHLE»Ich will sie nichtmehr sehen«Zwei Töchter haben ihre Eltern »fristlos entlassen«. Was passiert in Familien, wennerwachsene Kinder ihre Eltern nicht mehr sehen wollen? Wie könnte es möglichsein, sich trotz aller Reibereien und offener Rechnungen in Augenhöhe neu zu begegnen?Dazu Gedanken des Therapeuten <strong>Arnold</strong> <strong>Mettnitzer</strong>.GText: Michaela Herzog, Illustrationen: Carla Müllerefühle unter Eis« titelte das in der Februarausgabevon »Welt der Frau« erschieneneGedankenprotokoll einer Mutter,deren erwachsene Tochter ohne jede Vorwarnungden Kontakt zur gesamten Familie abgebrochenhatte.Viele Leserinnen haben reagiert. BetroffeneMütter, die ihre Ratlosigkeit, ihre Verzweiflungund ihre vorwurfsvolle Wut niedergeschriebenhaben. Eines aber war allen Briefen gemeinsam:die ungelöste Frage nach dem Warum. Und dannmeldeten sich zwei Töchter zu Wort.ETIKETT LIEBE? Für Sophie* steht ganz klar fest:Wenn ein Kind den großen Schritt wagt, sich vondem Menschen abzuwenden, der ihm das Lebengeschenkt hat, dann gibt es dafür einen gravierendenGrund. Jahrelang hatte es schon zwischenMutter und heranwachsender Tochter »geköcheltund gebrodelt«. Von klein auf war die heute 27-Jährige darauf bedacht, brav zu sein und derMutter alles recht zu machen. Stimmungen undLaunen zu erspüren, den richtigen Ton oder diepassenden Worte zu finden, »um die Mama janicht zu verletzen oder traurig zu stimmen«. Überdiesem Bemühen hat Sophie auf sich und dieeigene Meinung »fast vergessen«.Doch so sehr sie sich auch bemühte, in den Augenihrer Mutter konnte Sophie einfach nichts rechtmachen. »Immer« war ihr Verhalten verkehrt, ihrDank viel zu wenig. Wann ist sie das letzte Mal inden Armen der Mutter gelegen? Sophie erinnertsich nicht mehr.Eigentlich sollte die Tochter die Träume derMutter leben. In fremde Länder reisen und vielGeld verdienen. Wofür hat sie denn die Tochterstudieren lassen? Ob der denn nicht klar sei, wieviel Geld das alles gekostet hat.»Was lässt du dir eigentlich noch alles gefallen?«,bemerkten Sophies FreundInnen. Als dieMutter entdeckte, dass Sophies Freund verbotenerweiseüber Nacht geblieben war, warf sie dieerwachsene Tochter aus dem Elternhaus.»Ich bringe mich um, ich geh zugrunde, ichsterbe, wenn du nicht zurückkommst.« WennSophie an die SMS der Mutter denkt, bekommt sieheute noch Gänsehaut. Zwei Jahre danach. Dochsie hat sich dem mütterlichen <strong>Dr</strong>uck nicht gebeugt.Die SMS blieben bis heute unbeantwortet.Gut geht es ihr nicht. »Ich würde so gerne von ihrhören, dass sie stolz auf mich ist, dass ich genaurichtig bin, so wie ich bin.«Die Hoffnung auf eine Entschuldigung hatSophie schon aufgegeben.>>welt der frau 6\2011 17


Helene bis heute. Erst vor zwei Jahren hat sie seinGrab besucht.Elternliebe hat Helene nicht kennengelernt.Dass ihr Kiefer mindestens einmal gebrochenworden ist, hat sie erst als Erwachsene vom Zahnarzterfahren. Die blauen Flecken bemerkte imTurnunterricht auch niemand. »Sie ist halt dickund patschert«, hat ihre Mutter überall herum erzählt.Vater und Mutter. Warum ist sie damals nichtweggelaufen? »Weil ich als Kind so gehofft habe,dass es anders wird. Und ich irgendwann etwasmache und sie mich dann so lieb haben, dass siemir nie mehr wehtun können.« Die Worte ihrerMutter: »Du warst einfach nicht zum Umbringen«,hat sie nicht vergessen. Die Mutter hatte schonwährend der Schwangerschaft alles versucht, umsie loszuwerden.Helene hat sich den klaren Schlussstrich harterkämpft. Und die Eltern vor Jahren fristlos entlassen.<strong>Dr</strong>eimal wollte sie mit ihnen reden. InRuhe. Im Zorn. Unter Tränen. Und jedes Mal ist sieaus dem Elternhaus gerannt, um sich zu über -geben. Denn jedes Mal ist ihr die Mutter gegenübergesessen,hat Helene angeschaut und gesagt:»Was erzählst du da? Ich dich geschlagen? Keineinziges Mal habe ich die Hand gegen dich erhoben.Du warst schon immer ein Kind mit blühenderFantasie.«Helene erwartet sich keine Entschuldigung.Alles, was sie von ihrer Mutter will, ist, »dass sieeinmal sagt: Ja, du hast recht, es war so.« Nur einmal,dann hätte sie ihre vierte Tochter wieder. »Dumusst verzeihen«, sagen die Schwestern. »UmMutters Seelenfrieden willen, fahr doch hin.«Dafür fühlt sich Helene nicht zuständig. Mit derAussage eines Pfarrers, Vater und Mutter zu ehren,das müsse auch verdient sein, kann sie gut leben.Jeder Mensch hat ihrer Meinung nach eine Wahl.»Ganz viele Dinge entscheidet man doch selberoder lässt sie zu. Für mich eine Frage der Eigenverantwortung.«Die hat Helene für ihr Lebenübernommen. In ihrer Ehe. Für ihr Kind. Trotz derVergangenheit. Und ohne ihre Eltern.ES IST, WIE ES IST. »Wenn ich mich dem, was ist,nicht stelle, ganz egal in welchem Lebensalter,dann gibt es kein Fortkommen, sondern nur einIm-Kreis-Gehen oder Davonlaufen«, sagt Therapeut<strong>Mettnitzer</strong>. Ihm sagte einmal ein Sterbender:»Pfeif auf die Verwandtschaft, wenn das Verwandtseinder einzige Grund ist, der uns verbindet.«Beziehungen innerhalb einer Familie müssenkein für immer verbundenes Seil oder verlässlichesNetzwerk sein. Wie viele Gefühlewerden als Liebe bezeichnet? Und sind in WirklichkeitEigennutz, Selbstsucht oder das Unvermögen,auf das Wohl des anderen zu schauen.KEIN FAULER FRIEDE. Wenn innerhalbeiner Familie die Wege zueinanderzuwachsen, bedarf es größterAnstrengungen, diese wieder begehbarzu machen. Sich um Verstehen zu bemühen,heißt, »mich in die verkorkstenund krummen Lebenswege einesanderen Menschen hineinzudenken.Nicht, dass ich das gutheiße, aberdass ich nach und nach anfangenkann, es zu verstehen.« Die Fähigkeit zu vergeben,zu verzeihen und zu versöhnen sieht <strong>Mettnitzer</strong>»als Lebensmittel für unser Inneres«.»Leben wir nicht alle davon, dass einer oder einesagt: ,Komm, lass es gut sein. Reden wir nichtmehr darüber‘?« Doch nur unter der Voraussetzung,dass damit kein »fauler« Friede geschlossenwird. Diesen bezeichnet <strong>Mettnitzer</strong> als das Produktder Feigheit und als das genaue Gegenteilvon Vergebung und Verzeihen. »Wenn einMensch zu viel verdrängt und in den Mist kübeldes Herzens und in den Keller seiner Seele gesperrthat, dann sitzt er auf einem brodelndenVulkan, der irgendwann explodiert.«Wie aber geht man damit um, wenn die angeboteneLiebe und die ausgestreckte Hand nichtangenommen werden? »Ich würde es immer wiederversuchen, denn steter Tropfen höhlt denStein.« Seiner Erfahrung nach haben nicht nurdiese Angebote, sondern alle guten Gedankeneine reinigende und ermutigende Kraft. »Einpositiver Gedanke macht nicht nur bei mir etwasanderes als Tagesgrundgefühl, sondern wirkt auchdort, wo der Gedanke zugedacht ist.«<strong>Arnold</strong> <strong>Mettnitzer</strong> verweist auf die dreiSchritte in der internationalen Friedensforschung.»Beginne mit einem kooperativen Zug, und schau,wie der andere reagiert. Der zweite Schritt: VergelteGleiches mit Gleichem. Wenn er ablehnendreagiert, dann mache du es auch und bleibe auchdabei. Nach einiger Zeit kannst du wieder einenersten Schritt setzen, und wenn er ablehnt, lehnstauch du ab. Sollte er aber wider Erwarten nichtablehnen, dann lautet der dritte Schritt: Sei nichtnachtragend.«TROTZDEM VERZEIHEN. Viele Tränen, Wut, Schuldgefühleund Sehnsucht haben Helene* undSophie* all die Jahre geplagt. Beide hoffen immernoch, dass ihre Eltern irgendwann die Verantwortungfür ihr Handeln übernehmen. Doch wasist, wenn sie den für sie so bedeutsamen Satz »Estut mir leid, was ich dir angetan habe« nie zuhören bekommen? Werden sie trotzdem verzeihenkönnen? Eine persönliche Höchstleistungoder lebenslange Überforderung? \\\* Namen der Redaktion bekannt.BUCHTIPPAngelika Kindt,»Wenn Kinderden Kontaktabbrechen.«Hilfe stellungenund Strategieneiner verlassenenMutter, SüdwestVerlag, € 17,50welt der frau 6\2011 19

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