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aaron eckstaedt Die virtuelle Simche - AfS e.V.

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Musikkulturen im VergleichAm einfachsten löst man das Problem der Begleitung allerdings, indem eineGruppe von Schülerinnen und Schülern singt. In Ermangelung von Instrumentalistenoder wegen des Verbots von Instrumentalspiel an religiösen Festtagen (Sabbat) war diesfrüher eine durchaus gängige Praxis. Dazu wurden entweder jiddische Volkslieder gesungenoder Frejlechs in chassidischem Gestus wie im C-Teil von »Esn est sich« mit Silbenversehen, wobei mitunter virtuos instrumentale Verzierungstechniken imitiert wurden.Einige geeignete schnelle jiddische Lieder (»Diregelt«, »Di grine kusine«, »Lomirsich iberbetn«, »Huljet huljet kinderlech«) finden sich mit Noten und Texten auf derweit verbreiteten lp »ch’ob gehert sogn« des Duos Zupfgeigenhansel (Pläne 1979, alscd-Reprint erhältlich). Auch in den Liederbüchern des Student für Europa/Student fürBerlin e.V., jetzt kunterbundedition (Bund-Verlag), finden sich vereinzelt jiddische Lieder.Geeignet ist z.B. »Un as der Rebe lacht«, mit deutschem Text, zu finden in Bd. 8, Liedersonne,Nr. 53. Alle Lieder können entsprechend ohne Text auf Silben »jababai«, »tirirom«,»lailai« o.Ä. gesungen werden.II. Methodische ÜberlegungenInhalte und Ziele interkulturellen Musikunterrichts werden unterschiedlich definiert.Der folgende Katalog führt nicht zwingend notwendige Voraussetzungen einer interkulturellenMusikerziehung auf, sondern formuliert acht Desiderate. Er zeigt auf, warumund wie jiddische Lieder und Tänze in Gestalt der <strong>virtuelle</strong>n <strong>Simche</strong> zu ihrer Erfüllunggeeignet sind.t 1) Handlungs- und Erfahrungsorientierung: Schülerinnen und Schüler handeln selbstmusikalisch und erfahren Musik. Ihre Tätigkeit geht über das bloße Nachspielen oder -singen von Musikstücken hinaus.t 2) Voraussetzungsloser Musikunterricht: Schülerinnen und Schüler können auch ohneVorbildung musikalisch handeln und Musik erfahren.t 3) Anknüpfen an eine europäische Volksmusiktradition: Schülerinnen und Schüler lernenauf einem mündlichen Überlieferungsweg entlang einer europäische Volksmusiktradition.t 4) Körper- und Rhythmus-Orientierung: Schülerinnen und Schüler erfahren und produziereneine rhythmus-orientierte Musik, die sie in körperliche Bewegung umsetzen.t 5) Anknüpfen an die wirkliche Musikkultur in Deutschland: Schülerinnen und Schülerhandeln in einer Musik, die einem Teilbereich momentaner Musikkultur in Deutschlandentspricht.t 6) Kulturerschließende Musikdidaktik: <strong>Die</strong> spezifische Volksmusiktradition bietet Gelegenheitzur Erschließung der zu Grunde liegenden Kultur.t 7) Konzeptionelle Ausbaufähigkeit und interdisziplinäre Schnittstellen: Das Projekt/Unterrichtsvorhabenkann für sich selbst stehen oder aber auch zu einer Unterrichtsreiheausgeweitet werden. Es bietet Anknüpfungspunkte für den Unterricht in anderen Fächern.Aaron Eckstaedt – <strong>Die</strong> <strong>virtuelle</strong> <strong>Simche</strong>t 8) Gesellschaftliche Relevanz: <strong>Die</strong> behandelte Musik ist im Blick auf die zunehmendeMultikulturalität der deutschen Gesellschaft, beispielsweise als Musik von Einwanderern,oder im Blick auf gesellschaftspolitische Ereignisse relevant.1) Handlungs- und Erfahrungsorientierung (Schülerinnen und Schüler handeln selbstmusikalisch und erfahren Musik. Ihre Tätigkeit geht über das bloße Nachspielen oder -singen von Musikstücken hinaus.)In der Musikdidaktik vollzieht sich ein Paradigmenwechsel hin zu einer HandlungsundErfahrungsorientierung. Auch der verbreitete »Schnittstellenansatz« (vgl. Merkt1993), auf den sich die meisten Konzepte für interkulturellen Musikunterricht stützen,geht vom gemeinsamen Musizieren aus. An dieser unmittelbaren Handlung als Schnittstellesetzt die <strong>virtuelle</strong> <strong>Simche</strong> an. Im Sinne des »erweiterten Schnittstellenansatzes«(vgl. Stroh u.a. 2003) will die <strong>virtuelle</strong> <strong>Simche</strong> aber die Dimension des »musikalischenHandelns« erweitern: Es wird nicht nur musiziert, sondern in einem besonderen kulturellenSetting Musik gelernt. Das hier neu zu lernende und womöglich »Fremde« wirdnoch vor einer »Diskussion« durch die »mitreißende« Inszenierung der <strong>Simche</strong> als»Happening«, den lebensweltlichen Bezug der Texte bzw. die Erweiterung von Liedernin szenisches Spiel und die körperliche (Tanz-)Aktion in Kontaktspielen und Improvisationenpersönlich angebunden und mit kulturellen Inhalten verknüpft. Außerdem findetmusikalisches Handeln im Idealfall auf drei verschiedenen Ebenen statt: Gesang, Instrumentalspielund Tanz.Zwei Gründe lassen jiddische Lieder und Tänze sowie Klezmermusik als besondersgeeignete Schnittstelle erscheinen: Jiddische Musik und Kultur sind selbst auf kulturellenSchnittstellen entstanden, und auf Grund dieser geschichtlichen Entwicklung sindsie deutschen Schülerinnen und Schülern bis zu einem gewissen Grad vertraut. Als Basisdient die hebräisch-jüdische Kultur des Altertums und deren synagogaler Gesang.Eine Ausformung als spezifische Kultur erfährt jiddische Kultur und Musik bis zum(frühen) Mittelalter in Deutschland durch die Übernahme des Deutschen und regionalermusikalischer Einflüsse in liturgischen Melodien, Lied und Instrumentalmusik. Erstin Osteuropa wird aus dem Jiddischen die Sprache, die wir heute meist als Jiddisch bezeichnen,und erst in Osteuropa entstehen auf einer Schnittstelle mit einer Vielzahl umgebenderKulturen und traditioneller Musikstile jiddisches Volkslied und Klezmermusik.<strong>Die</strong>s setzt sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit den verschiedenen Auswanderungswellennach Nord- und Südamerika sowie Israel fort, wobei sich wiederumSprache und Musik den neuen Gegebenheiten anpassen und später als kulturelle Eigenheitnahezu verschwinden. <strong>Die</strong> noch vorhandenen, vom Revival aufgegriffenen Reste erfahrenwiederum eine völlig andere kulturelle Prägung.Eben durch diese Verwurzelung in »deutscher« Kultur und Musik erscheinen Jiddischund jiddische Musik vertraut. Konkret äußert sich das in unserem Fall darin, dassSchülerinnen und Schüler die beiden behandelten Texte fast vollständig verstehen. Nebendieser gemeinsamen Geschichte gehören einige wenige jiddische Lieder und die israelischen»Shalom-Lieder« seit den 1960er Jahren zum Sing-Repertoire nicht nurchristlicher Gemeinden. Und ebenso wie die <strong>virtuelle</strong> <strong>Simche</strong> beziehen sich diese häufig286287

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