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Historischer Abriss - Hilfskomitee der Galiziendeutschen eV

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5Eine Anekdote aus <strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>ungszeit wurde mündlich tradiert und erstmals 1914 vonFerdinand Baumhol<strong>der</strong> veröffentlicht: Wie allen an<strong>der</strong>en Galizienwan<strong>der</strong>ern, wurde auch denspäteren Bewohnern <strong>der</strong> 1783 neu angelegten evangelischen Pfälzersiedlung Hohenbachwährend ihres Wien-Aufenthaltes vor dem Weiterzug nach Galizien die Ehre zuteil, von JosephII. und seiner Frau zu einer kurzen Audienz im Schloß Schönbrunn empfangen zu werden. DasProce<strong>der</strong>e studierten kaiserliche Beamte mit den Sprechern <strong>der</strong> Auswan<strong>der</strong>er ein, die von <strong>der</strong>Pracht des Empfangssaales erschlagen wurden. Bei Eintreffen des Herrscherpaares sollte <strong>der</strong>künftige Ortsvorsteher <strong>der</strong> Gruppe „Hoch lebe <strong>der</strong> Kaiser!“ ausrufen, an<strong>der</strong>e sollten einstimmen.„Awwer wie <strong>der</strong> Schulz sei Maul uffmacht un de Anfang mache wollt mit seinem Sprichelche,ritscht er aus und flicht uff de Bodem so lang er war. De Kaiser vor sich un alles um sich hot ervergeß und kreischt hat naus: ‚A wann de nore die Kränk krächst!’.Der Kurator wie er hört, daß<strong>der</strong> Schulz eppes g’saat hot, ment, jetzt sei an ihm die Rei’ un ruft treiherzig: ‚Und die Kaiserinauch!’ und <strong>der</strong> Stallmann (Johann) belwert no: ‚und das Land auch!’“.Die Ansiedlung verhalf unmittelbar zur Einführung neuer, den Kolonisten aus <strong>der</strong> Heimatvertrauter, in Galizien aber bisher frem<strong>der</strong> Anbaufrüchte und landwirtschaftlicher Methoden.Verordnungen wurden etwa ein Drittel auch in polnischer Sprache gedruckt und durch mündlich<strong>eV</strong>orträge <strong>der</strong> Beamten o<strong>der</strong> sogar Kanzelreden <strong>der</strong> Geistlichen unterstützt. Neue Kulturenwaren Kartoffeln (nicht völlig neu in Galizien, aber erstmals weit verbreitet), Klee, Rhabarber,Saflor (Färberdistel), Runkelrübe, Raps o<strong>der</strong> Hopfen; auch die hausnahe Anlage vonObstbäumen ist hier zu nennen. Aus Ertragsgründen wandte man sich verstärkt demtraditionellen Tabakbau zu. In <strong>der</strong> Viehzucht waren den Slawen z.B. das Waschen o<strong>der</strong> dieHaltung und Fütterung im Stall und unbekannt, die Pferde waren nicht beschlagen und <strong>der</strong> Mistnicht zur Düngung genutzt worden.Das im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t beliebte literarische Sujet <strong>der</strong> Reisebeschreibungen gibt uns die erstenAuskünfte zu den galiziendeutschen Siedlungen abseits <strong>der</strong> amtlichen Unterlagen, auch überdie erwähnten Son<strong>der</strong>kulturen. Neben meist positiven Urteilen verschiedener Autoren berichtetBaltasar Hacquet 1789 aus dem galizischen Landestreu, wo ein paar Häuser „schon leer[standen], indem die Besitzer davon so lie<strong>der</strong>lich waren, daß man sie davon jagen mußte“. ImWirtshaus <strong>der</strong> nahegelegenen Stadt Kalusz – wo eine Kolonistenfrau „Grundbirn“ auf demMarkt verkauft – trifft er zufällig mit dem Schulmeister von Landestreu zusammen, <strong>der</strong> ihmeingesteht, daß „ein guter Landmann selten sein Vaterland“ verließe und auf die Frage nachseiner Herkunft antwortet „ich bin ein Pälzer [Pfälzer], so wie viele <strong>der</strong> Uebrigen des Dorfs auchaus dem Ringau [Rheingau] und an<strong>der</strong>en Weingegenden zu Haus sind“. Hacquet schließt fürsich, „daß das ganze Gesindel nicht viel nitz sey, indem Weinbauern selten für Kornlän<strong>der</strong>etwas werth, und meistens durstige Brü<strong>der</strong> sind“. Die Eindrücke seiner Begegnungen mitgaliziendeutschen Kolonisten in den ersten Jahren sind eher negativ: „Da ich auf an<strong>der</strong>n Reisenin dem Königreich Gallizien schon mehrere teutsche Kolonien gesehen hatte, so fand ich diemeisten von gleichem Schlag, so wie in <strong>der</strong> Bukowina, je<strong>der</strong>zeit übelgestaltetes, krüplichstesVolk, so wie es meistens an dem angränzenden untern Rheinstrom zu seyn pflegt, mehr demlie<strong>der</strong>lichen, als dem arbeitsamen Leben ergeben; Leute, die nur glaubten, sie gingen in dasReich von Oldorado [El Dorado], wo sie nichts zu thun hätten, als sich fortzupflanzen.“ Erst1794 urteilt er wohlwollen<strong>der</strong> über die 1786 gegründete galiziendeutsche Siedlung MokrotynKolonie, hier „ist von pfälzischen emigrierten Bauern eine Rhabarberplantage angelegt worden,die schon gegen acht Jahr währt. Als ich 1792 da war, hatte man schon 36.000 Stücke, wovonschon einige Tausende in diesem Jahr aus <strong>der</strong> Erde zum Trocknen kommen werden. Man hatvom Hof aus vor einigen Jahren anbefohlen, daß die Mediziner in Lemberg Versuche damitmachen sollten; ...“.In <strong>der</strong> Zeit von Kaiser Franz II. unternahm sein Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Hofkriegsratspräsident ErzherzogKarl, noch einmal von staatlicher Seite eine Ansiedlungsmaßnahme in Galizien. Auslösen<strong>der</strong>Faktor waren in Wien Ende 1801 eingegangene Bittgesuche von vormals österreichischenUntertanen in den linksrheinischen Gebieten, die seit 1797 unter französischer Besatzung littenund mit dem Frieden von Lunéville an Frankreich fielen. Diese sollten pauschal als Begünstigte<strong>der</strong> vom Hofrat von Stahl in Wien geleiteten Ansiedlungsmaßnahme in Frage kommen. Nach<strong>Hilfskomitee</strong> <strong>der</strong> <strong>Galiziendeutschen</strong> e.V. 10/2012

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