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Bildungsbeteiligung und Sozialstruktur im beruflichen Schulsystem

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Klaus Harney, Emanuel Hartkopf<strong>Bildungsbeteiligung</strong> <strong>und</strong> <strong>Sozialstruktur</strong><strong>im</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong>.Ergebnisse eines Bildungsmonitoring auf der Gr<strong>und</strong>lagevon Schülerbestandsdaten <strong>und</strong> SchülerbefragungenFIAB-Arbeitspapier. 9


FIAB–Arbeitspapierhrsg. v. Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, Partizipation.Institut an der Ruhr-Universität BochumMünsterstr. 13-1545657 Recklinghausenwww.ruhr-uni-bochum.de/fiab/veroeff/fiab.html© 2008 FIAB-Verlag, RecklinghausenISSN 1610-1162ISBN 978-3-925724-51-0Alle Rechte vorbehalten


INHALTSVERZEICHNISDanksagung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41. Einleitung: Ausbildungsberuf <strong>und</strong> berufliches <strong>Schulsystem</strong>.............51.1 Die institutionelle Struktur des Ausbildungsberufs.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.2 Ausbildungsbeteiligung <strong>und</strong> doppelte Integration anhandempirischer Ergebnisse.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.3 Projekthintergründe <strong>und</strong> -zusammenhänge. .........................102. <strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven. .............132.1 Hintergr<strong>und</strong>information zur Ausbildungssituation, Qualifikation <strong>und</strong>Integration <strong>im</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong> anhand von Zugangsdatender Schulstatistik. .............................................132.2 Sozial-räumliche Herkunft von Schülern an Berufskollegs – ExemplarischeAuswertung von Schülerbestandsdaten des kaufmännischen Berufskollegsder Stadt Herne ...............................................212.3 Schülerbefragung an Berufskollegs – Soziale Herkunft, Schulische Wege,Motivation <strong>und</strong> Perspektiven von Schülern <strong>im</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong>.....283. Berufskollegs zwischen Exklusion <strong>und</strong> Inklusion:Zentrale Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Handlungsfolgen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434. Anhang .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47Literaturverzeichnis. ...........................................47Bildungsgänge an Berufskollegs in NRW –Aufnahmevoraussetzungen <strong>und</strong> Abschlüsse...........................49Fragebogen...................................................52


DanksagungWir danken den Schulleitern Hans-Georg Katzmarzik vom Eduard-Spranger-Berufskollegin Gelsenkirchen <strong>und</strong> Heribert Gathmann vom Berufskolleg der Stadt Hernefür die ausgespro-chen gute Kooperation <strong>im</strong> Rahmen der Schülerbefragungen. Darüberhinaus danken wir Herrn Disse-Laufer vom Berufskolleg der Stadt Herne für dieBereitstellung der Schülerbestandsdaten <strong>und</strong> seine praktische Unterstützung vor Ort.Außerdem gilt besonderer Dank Herrn Jürgen Venghaus vom Fachbereich „Stadtentwicklung,Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen“ der Stadt Herne, der uns kleinräumige <strong>Sozialstruktur</strong>datender Bevölkerung <strong>und</strong> statistisches Kartenmaterial zur Verfügung gestellthat.


51. Einleitung: Ausbildungsberuf <strong>und</strong> berufliches <strong>Schulsystem</strong>Die <strong>beruflichen</strong> Schulen sind heute der Schauplatz weit reichender Veränderungen,die sowohl auf das Bildungssystem selbst durchschlagen wie auch von diesem ausgelöstwerden. Man kann von einer Spaltung sprechen, die sich vor allem zwischen der gymnasialenLinie des Hochschulzugangs einerseits <strong>und</strong> der übergangssystemorientiertenLinie des Ausbildungs- <strong>und</strong> des Fachhochschulzugangs andererseits aufgetan hat. DieEntwicklung ist eine Folge der Chancenverlagerung des Ausbildungs- <strong>und</strong> Arbeitsmarktzugangsauf Absolventen mit Hoch- <strong>und</strong> Fachhochschulreife. Beide Linien sinduntereinander verkoppelt, folgen aber unterschiedlichen institutionellen Antriebskräften:Die gymnasiale Linie wird vom Hochschulzugang, die übergangssystemorientierteLinie wird vom berufsschulischen Ausbildungsanteil her best<strong>im</strong>mt. Der über die Fachoberschule<strong>und</strong> über die Höheren Berufsfachschulen vermittelte Fachhochschulzugangstellt genealogisch gesehen eine Ausdifferenzierung der historisch an die beruflicheAusbildung in Betrieben orientierten Berufsschule dar. Gleiches gilt für den Hochschulzugang,den das System ebenfalls ermöglicht. Umgekehrt ist auch der Eintrittin die berufliche Ausbildung über die Gymnasiallinie verbreitet, was einer der historischenReputation der Ausbildung geschuldeten Ausdifferenzierung des gymnasialenKarriereraums in die Linie des Übergangssystems hinein gleichkommt. Beide Liniensind also sowohl von der ausbildungsbezogenen wie auch von der gymnasialen Seiteher miteinander verschränkt, allerdings ohne dass die gr<strong>und</strong>sätzliche Verschiedenartigkeitder institutionellen Antriebskräfte dadurch außer Kraft gesetzt ist.Der Berufsschule wurde in den fünfziger Jahren die Berufsaufbau- <strong>und</strong> in den siebzigerJahren dann die Fachoberschule als Zugangsebene zur Fachhochschule angeschlossen.Während die Berufsaufbauschule als Teilzeitschule zusätzlich zur Ausbildung absolviertwerden konnte <strong>und</strong> mit der Fachschulreife den Zutritt zu den Höheren Fachschulen– den Vorgängereinrichtungen der Fachhochschulen – ermöglichte, war die Fachoberschuleein eigener, quasi gymnasialer Bildungsgang innerhalb der <strong>beruflichen</strong> Schulen,der dem Realschulabschluss aufgesetzt <strong>und</strong> mit der Fachhochschulreife beendet wurde.1 Im Gegenzug kam es einhergehend mit der Bündelung der <strong>beruflichen</strong> Schulen zuBerufskollegs in NRW <strong>und</strong> mit der Einführung des zweiten Berufsschultags zu einerAusdifferenzierung der mit dem Abschlusszeugnis der Berufsschule gr<strong>und</strong>sätzlich erreichbarenAbschlüsse. Unter best<strong>im</strong>mten Bedingungen, d.h. wenn das Curriculumdes Ausbildungsberufs <strong>und</strong> wenn die Unterrichtszeit ein entsprechendes Fächerprofilzulassen, ist die Absolvierung der Fachhochschulreife für Realschulabsolventen auch ander Teilzeitberufsschule möglich. Insofern kann man von einer inneren Gymnasiierungstendenz<strong>im</strong> Übergangssystem sprechen. Die Gymnasiierung ergibt sich aber auchdaraus, dass erfolgreiche Absolventen des Gymnasiums best<strong>im</strong>mte Ausbildungsberufevor allem <strong>im</strong> Bereich der kaufmännischen Berufe <strong>und</strong> der IT-Berufe alternativ zumStudium wählen, was man als äußere Gymnasiierungstendenz bezeichnen kann. BeideTendenzen weisen auf die Zentralität <strong>und</strong> einhergehende Anerkennungsreichweite1 Vgl. Pahl (2007).


6 Kapitel 1der <strong>beruflichen</strong> Ausbildung in Betrieben hin: Diese Reichweite verschiebt sich entlangder Schulabschlusshierarchie nach oben <strong>und</strong> verengt den Zugang zur Ausbildungwie überhaupt das wählbare Ausbildungsspektrum nach unten hin. Gleichzeitig bildetsich eine mehrfache Wettbewerbssituation aus: Der Wettbewerb um Ausbildungsplätzedynamisiert die Entstehung von Laufbahnhierarchien <strong>und</strong> den wettbewerbsbedingtenLaufbahnaufstieg bzw. -verbleib <strong>im</strong> System. Außerdem konkurrieren Gymnasialabsolventenmit Hochschulreife wie auch entsprechende Absolventen der Berufskollegs(z.B. aus dem wirtschaftsgymnasialen Bildungsgang) um Ausbildungsplätze.Die in dieser Konkurrenz erkennbare Segmentation des Bildungssystems in dasgymnasiale <strong>und</strong> das übergangsorientierte Segment entspricht einer neuen Profilbildungin der Sek<strong>und</strong>arstufe II. Während das gymnasiale Segment der klassischen Laufbahntraditionfolgt, entspricht das übergangsorientierte Segment in dem zentralen Merkmalder inklusiven Schülerrekrutierung der Struktur einer Gesamtschule. Man kann festhalten:Während in der Sek<strong>und</strong>arstufe I die Aufhebung der dreigliedrigen Typenhierarchievon Hauptschulen, Realschulen <strong>und</strong> Gymnasien durch Gesamtschulen gescheitertist <strong>und</strong> die Einführung integrierter Haupt- <strong>und</strong> Realschulen uneinheitlich verläuft, hatdas berufliche <strong>Schulsystem</strong> der Funktion nach den Charakter einer Gesamtschule derSek<strong>und</strong>arstufe II angenommen.Die Gesamtschulfunktion stellt sich zum einen <strong>im</strong> Streamingcharakter der systemeigenenvollzeitschulischen Bildungsgänge dar, die eine Hierarchie nach Abschlüssenaufweisen, Durchlässigkeit zulassen <strong>und</strong> am Fachhochschul- bzw. Hochschulzugangausgerichtet sind. Zum andern stellt sie sich dar in der besonderen Bedeutung, dieder <strong>beruflichen</strong> Ausbildung in Betrieben für das Übergangssystem zukommt. Mit derAusbildung in Betrieben integriert das Übergangsystem ein marktvermitteltes, an privatbetrieblicheRekrutierungsentscheidungen <strong>und</strong> Herstellungsprozesse geb<strong>und</strong>enesBildungsgut in ein System der Bereitstellung öffentlicher Bildungsgüter, das ansonstendurch Schulen <strong>und</strong> Schullaufbahnstrukturen gewährleistet wird. Wer ausgebildet wird<strong>und</strong> wer nicht, ist eine Sache der privatbetrieblichen Entscheidung, die sich die Allokationnach Abschlüssen nicht notwendigerweise zueigen machen muss. 2 Deshalb folgtdie Zusammensetzung der Schülerschaft in einem Teilbereich des <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong>s– nämlich dem der Teilzeitberufsschule – nicht der am Streamingcharakter derAbschlüsse orientierten Handlungslogik der Schule, sondern der am Investitions- <strong>und</strong>Kostenkalkül orientierten Nutzenrationalität von Betrieben.Die Angebotskrise der Ausbildung wirkt sich infolgedessen auf die Struktur des<strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong>s unmittelbar aus. Das System verarbeitet die privatbetrieblichenEntscheidungszusammenhänge, ohne in einem programmatischen <strong>und</strong> formalisiertenSinne tatsächlich darauf eingestellt zu sein: Die (vom konjunkturellen Prozessunabhängige) Knappheit an Ausbildungsplätzen führt <strong>im</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong> zurvermehrten Nachholung von Schulabschlüssen, zum längeren Verbleib in vollzeitschulischenBildungsgängen <strong>und</strong> zur Anhebung des durchschnittlichen Alters der Absolventen.Dies löst eine über die angesprochene Segmentierung hinausgehende weitereSystemveränderung aus: Neben der Differenzierung in die Gymnasial- <strong>und</strong> in die Berufsübergangslinieentsteht eine an der lebenslaufbezogenen Sukzession der Schulab-2 Vgl. Baethge (2003).


Einleitung: Ausbildungsberuf <strong>und</strong> berufliches <strong>Schulsystem</strong> 7schlüsse orientierte Übernahme von Funktionen des Zweiten Bildungswegs, die wir alsreversible <strong>Bildungsbeteiligung</strong> bezeichnen. 31.1 Die institutionelle Struktur des AusbildungsberufsDas berufliche <strong>Schulsystem</strong> ist historisch wie auch strukturell um das von Betrieben getrageneberufliche Ausbildungssystem als Kernstruktur herum aufgebaut. Gemeinsammit dem Ausbildungssystem institutionalisiert es Übergänge in die Sek<strong>und</strong>arstufe II,in den Tertiärbereich <strong>und</strong> in den berufsfachlichen Arbeitsmarkt. Kernstruktur ist dasberufliche Ausbildungssystem deshalb, weil sich die in den verschiedenen Bildungsgängengreifbare Klassifizierung von Übergängen normativ an ihm ausrichtet (s.u.).Anders als das <strong>Schulsystem</strong> ist der Expansions- <strong>und</strong> Differenzierungsmodus des in derInstitution des Ausbildungsberufs <strong>im</strong> engeren Sinne zentrierten Ausbildungssystemsnicht auf den Ausbau <strong>und</strong> auf die Profilierung von Organisationseinheiten wie Schulen<strong>und</strong> Schulformen bezogen. Differenzierung <strong>und</strong> Expansion <strong>im</strong> Ausbildungssystemsind gleichbedeutend mit der Auffächerung <strong>und</strong> Ausweitung der Verfahren <strong>und</strong> Standards,in deren Rahmen ausgebildet werden darf: Es ist pr<strong>im</strong>är die Steuerungsebeneder Ausbildungsordnungen <strong>und</strong> Ausbildungseignungsvorschriften, auf der Anpassungen<strong>und</strong> Veränderungen <strong>im</strong> Ausbildungssystem abgearbeitet werden können. Ein demSchulbau oder der Einstellung von Lehrern vergleichbares institutionelles Feld, überdessen Einrichtung <strong>und</strong> Ausdehnung staatlicherseits direkt verfügt, das also direkt inden Steuerungsprozess eingegliedert werden könnte, ist <strong>im</strong> Ausbildungssystem nichtgegeben, sondern der betrieblichen Disposition anhe<strong>im</strong> gestellt. 4Als Träger der Berufsausbildung treten heute sowohl Schulen, Betriebe wie auchMaßnahmeträger in Erscheinung. Schulen werden zu Trägern der Berufsausbildungin den sogenannten Landes- bzw. Schulberufen, in der sozialpädagogischen Ausbildung<strong>und</strong> in einem Teil der Ges<strong>und</strong>heitsberufe. Unter quantitativen <strong>und</strong> qualitativenGesichtspunkten hat sich in der Berufsausbildung eine Tradition der staatlich-korporatistischenRegulation <strong>und</strong> Infrastrukturierung der betrieblichen Lehre entwickelt. 5Die aus dieser Tradition stammende Form des Ausbildungsberufs wuchs sozusagenkonkurrenzlos in die wirtschaftliche Arbeitsteilung hinein. Sie dehnte sich über denalten in den neuen Mittelstand, in die Industriearbeiterschaft <strong>und</strong> schließlich auch indie Teilung der Dienstleistungsarbeit hinein aus. 6 Bis auf den heutigen Tag zählt die beständigeAnpassung der ausbildungs<strong>beruflichen</strong> Arbeitsteilung an die Arbeitsdynamikdes Wirtschaftssystems als Modernisierungspostulat der Bildungspolitik. Die in denletzten Jahren massierte Neuschaffung von Medien- <strong>und</strong> IT-Berufen belegt den Prozessder Unterfütterung wirtschaftlich begründeter Teilungs- <strong>und</strong> Veränderungsprozesseder Arbeit mit solchen der Teilung der Ausbildungsberufe.Insofern kommt die Curricularisierung der Berufsbildung einem Prozess der Programmierung<strong>und</strong> Explikation gleich, durch den die institutionelle Verbürgung <strong>und</strong>Sicherstellung der Ausbildung selbst wie auch ihrer Qualität nicht allein der in praktischenArbeitszusammenhängen entstehenden Beruflichkeit von Könnern anhe<strong>im</strong> ge-3 Vgl. Harney / Koch / Hochstaetter (2007) sowie Harney / Warning (2008).4 Vgl. Pätzold (2004)5 Vgl. Greinert (2006).6 Vgl. Harney / vom Hau (2008).


8 Kapitel 1stellt, sondern durch die verrechtlichte <strong>und</strong> bürokratisierte Beruflichkeit von Programmen<strong>und</strong> von Programme programmierenden Organisationen eingerahmt wird. 7Zur Arbeitsweise des Systems gehört es, die lokale <strong>und</strong> partikulare Vermittlungspraxisvon Betrieben so zu steuern, dass es möglich ist, diese als Berufsausbildung gesellschaftlichanzuerkennen <strong>und</strong> dadurch zu universalisieren. Die institutionelle Regelbesteht darin, Betrieben die Standards der Beruflichkeit aufzuerlegen, sie also rechenschaftspflichtigzu machen. Unter dem Aspekt des Ausbildungsvolumens <strong>und</strong> der einhergehendenInklusion von Schulabsolventen geht es darum, Betriebe zur freiwilligenMitgliedschaft <strong>im</strong> System zu bewegen bzw. sie vom Systemaustritt abzuhalten. 8Mit dem in der Form der Berufsschule gegebenen Anschluss des <strong>Schulsystem</strong>s andie Ausbildung wird die für die Ausbildungsbereitschaft von Betrieben wichtige Balancezwischen der von außen erwarteten Integration in die Programmatik des Ausbildungsberufs<strong>und</strong> dem von innen her bestehenden Interesse an der Mitgliedschaft <strong>im</strong>Ausbildungssystem an weitere Erwartungen <strong>und</strong> Regeln geknüpft. Schulzeit, Schulpflicht,Ausbildung durch systemfremde Experten (Lehrer), Ansprüche der Schuladministration<strong>und</strong> Leistungsbedingungen des Schulbetriebs treten als Umwelt eigener Artzum Beruf als Umwelt des Betriebs hinzu. 91.2 Ausbildungsbeteiligung <strong>und</strong> doppelte Integration anhand empirischerErgebnisseR<strong>und</strong> die Hälfte der jungen Frauen <strong>und</strong> r<strong>und</strong> zwei Drittel der jungen Männer einesAltersjahrgangs durchlaufen heute eine Ausbildung <strong>im</strong> dualen System. 10 Man mussjedoch sehen, dass die Ausbildungsbeteiligung sich inzwischen nicht mehr nur aufeine einfache, sondern auf eine doppelte Integrationsproblematik bezieht. Bis in diesiebziger Jahre hinein hat das System als Ausbildungssystem <strong>und</strong> als System <strong>im</strong> sozusagenständigen Selbstausbau gleichermaßen fungiert. Der Ausbauprozess dehnte denBeruf als Ausbildungsform auf <strong>im</strong>mer weitere Bereiche der Arbeitsteilung <strong>im</strong> Wirtschaftssystemaus <strong>und</strong> konnte so Schulabsolventen inkludieren, die ohne diesen Ausdehnungsprozessals ungelernte Arbeitskräfte in den ersten Arbeitsmarkt eingetretenwären. Aus der Konsequenz dieser Dynamik der einfachen Integration in das Systemresultiert schleichend die Ausprägung der doppelten Integrationsproblematik: denndie doppelte Integration n<strong>im</strong>mt neben der Zuweisung von Ausbildungschancen in derSek<strong>und</strong>arstufe II sukzessive die gesellschaftliche Normalisierung der Ausbildung in sichauf. Im Zuge der Normalisierung geht es nicht nur um die berufliche Ausbildung selbst(einfache Integration), sondern auch um die Vermeidung des sozialen Stigmas, das mitdem Ausfall einer vorzeigbaren <strong>beruflichen</strong> Ausbildung verb<strong>und</strong>en ist.Dieser Zustand ist längst erreicht. Er strukturiert die angegebenen Beteiligungsquotenunter dem Gesichtspunkt des Bildungserfolgs <strong>und</strong> der erfolgsabhängigen Verteilungvon Ausbildungschancen. Man kann von einer ausbildungs<strong>beruflichen</strong> Normalisierungder Erwerbsarbeit sprechen. Die Quote der ungelernten Erwerbsbevölkerungzwischen 25 <strong>und</strong> 49 Jahren nahm bis zur Mitte der neunziger Jahre stetig ab. DieQuote erreichte einen Wert von ca. 20%. 11 Ein beträchtlicher Anteil der Jugendlichen7 Vgl. Benner (1982), S. 269-293.8 Vgl. Sadowski (2000) <strong>und</strong> Greinert (1993).9 Vgl. Pätzold (1992); umfassend aus didaktischer Perspektive Pahl (2007).10 Vgl. Reinberg / Hummel (2004), S. 3-10.11 Ebd. S. 7.


Einleitung: Ausbildungsberuf <strong>und</strong> berufliches <strong>Schulsystem</strong> 9ging 1970 noch als ungelernte Arbeitskraft direkt von der Schule in die Beschäftigungüber. Ausbildungskapazitäten lagen genau deshalb brach. 12Heute orientieren sich die Betriebe an der Signalfunktion des <strong>Schulsystem</strong>s, stellenalso segmentweise Knappheitsbedingungen für die Rekrutierung geeigneter Jugendlicherbei gleichzeitig steigenden Nettokosten der Ausbildung her. 13 Betriebe konkurrierenmittlerweile sowohl untereinander wie auch mit dem Hochschulsystem umJugendliche, die leistungsbezogene Signale vor allem aus dem <strong>Schulsystem</strong> aufweisenkönnen. 14 Diejenigen Betriebe, die sich mit schwächeren Schulerfolgsnachweisen zufriedengeben (z.B. Maler <strong>und</strong> Lackierer), sehen sich ausbildungs<strong>beruflichen</strong> Standardsgegenüber, die zu hohen Scheiterquoten bei den Prüfungen am Ende der Ausbildungführen. 15 Auch hier handelt es sich um eine aus der Bewährung an schulischen Standardshervorgehende Signalbildung, die auf die Ausbildungsbereitschaft rückwirkt.M.a.W.: Der Korridor, in dem es möglich ist, die Bewährung <strong>im</strong> betrieblichen Arbeitsprozessauf die formalen, durch Prüfungen <strong>und</strong> Zeugnisse best<strong>im</strong>mten Anerkennungsmechanismen<strong>im</strong> Ausbildungssystem zu übertragen, hat sich verengt. Bei Klein- <strong>und</strong>Mittelbetrieben, die das bedeutendste Kontingent an Ausbildungsplätzen stellen, zähltdie unterstellte mangelnde Lernfähigkeit zu den drei zentralen Ausbildungshemmnissen– neben den Kosten <strong>und</strong> der Abwesenheit vom Betrieb. 16 Legt man Pisa-Standardszugr<strong>und</strong>e kommen 56% der Hauptschul- <strong>und</strong> 30,8% der Absolventen einer integriertenGesamtschule für eine Ausbildung nicht direkt in Frage. 17 Gleichzeitig hat sich dasin Ausbildungsberufen <strong>und</strong> in der Berufsschule abverlangte Wissen seit den siebzigerJahren theoretisiert <strong>und</strong> verdichtet. Das Angebot an Jugendlichen wird systemisch verknappt,ohne dass es von der Zahl der Schulabgänger her notwendigerweise bereitsknapp sein müsste: Ca. ein Viertel der Betriebe, die Ausbildungsstellen unbesetzt lassen,tun dies, weil sie kein Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der jugendlichen Ausbildungsplatzbewerberhaben. 18In den sozial- <strong>und</strong> bildungsräumlichen Austauschprozessen zwischen Schulen,Schulab schlüssen <strong>und</strong> betrieblichen Auswahlpraktiken kommt es deshalb zu spezifischenSegmentat ionslinien. In einer Untersuchung über die Schulabschluss- <strong>und</strong>Notenabhängigkeit des Aus bildungstesterfolgs von bankkaufmännischen Ausbildungsbewerbernin einer Ruhrgebiets stadt konnten die dort deutlich schlechteren Erfolgschancenvon Gesamtschul- <strong>im</strong> Vergleich zu Gymnasial- <strong>und</strong> Berufskollegabiturientendie Irrelevanz einer speziellen kauf männischen Vorbildung für den Testerfolgsowie die erfolgschancenmindernde Auswirkung der (über wiegend an Berufskollegserworbenen) Fachhochschulreife gegenüber dem Abitur nachgewiesen werden. 19 Hintersolchen Segmentationslinien steht nicht etwa die Qualität best<strong>im</strong>mter Schulformenoder auch die materielle Eignung von Schulabsolventen für die Arbeit in Betrieben.Sie sind vielmehr das Resultat komplexer, durch die regionale <strong>und</strong> lokale Anordnungvon Schulen <strong>und</strong> Sozialräumen herbeigeführter Verteilungs- <strong>und</strong> Über gangsprozesse.Hierbei interagieren die <strong>beruflichen</strong> Schulen mit einer auf Vorbildung, Migrationshin-12 Stooss (1999), S. 171-188.13 Vgl. B<strong>und</strong>esinstitut für Berufsbildung (2001), S. 180; siehe auch Sadowski (2000).14 Vgl. Drexel (1997).15 Vgl. B<strong>und</strong>esinstitut für Berufsbildung (2001).16 Vgl. Beutner (2001); Harney / Hartz / Weischet (2001).17 PISA (2001), S. 181.18 Vgl. Pfeiffer (1996), S. 600.19 Vgl. Harney / Voss / Weischet (2004), S.121-132.


10 Kapitel 1tergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> den Übergang in die gymnasiale Sek<strong>und</strong>arstufe II bezogenen latenten Arbeitsteilungzwischen den wie auch innerhalb der Realschulen <strong>und</strong> Hauptschulen derSek<strong>und</strong>arstufe I. 20 In diesen Prozessen kommt es zum Austausch von institutionellenSignalen, die sich verselbständigen <strong>und</strong> den Spielraum verengen, in dem betrieblicheErfahrungen mit Auszubildenden zu Erfolg <strong>und</strong> Misserfolg in der <strong>beruflichen</strong> Bildungbeitragen können. Die Signale beziehen sich generell auf die Transaktion von Personenzwischen Schulen, zwischen Schulen <strong>und</strong> beruflicher Ausbildung in Betrieben, zwischenSchulen <strong>und</strong> Hochschulen sowie zwischen Betrieben nach einer abgeschlossenen<strong>beruflichen</strong> Ausbildung. Dabei übern<strong>im</strong>mt vor allem die berufliche Ausbildung selbsteine zentrale Signalfunktion: Sie signalisiert <strong>im</strong> Sinne der doppelten Integration, diedie Berufsbildung leistet, nicht nur den Aus bildungsstatus selbst mit seiner der purenAnlernung gegenüber herausgehobenen Stellung, sondern sie vermittelt auch das Signalder Normalität <strong>im</strong> Sinne der Einlösung einer generalisierten gesellschaftlichen Zugehörigkeits-bzw. Unauffällig keits erwartung. Diese Erwartung, die diejenigen erfüllen,die nicht scheitern, verschafft dem <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong> eine besondere Brisanz: Eshierarchisiert nämlich die Wertigkeit der <strong>im</strong> System bestehenden Bildungsgänge <strong>im</strong>Verhältnis zueinander. Die berufliche Ausbildung als Kern struktur innerhalb des übergangsbezogenenBildungsangebots einerseits <strong>und</strong> das Studium an der Fachhochschulebzw. Hochschule als externe Referenz andererseits sind die Bezugs punkte der anerkanntenBildungslaufbahn, von denen aus ausgehend sich eine Hierarchie der Bildungsgängeergibt. 21 Am Ende der Kette steht der junge Erwachsene ohne Aus bildungs vertrag,der auf die Projekte der Maßnahmeträger bzw. auf die berufs vorbereitenden Bildungsgängeder <strong>beruflichen</strong> Schulen verwiesen ist. Gleichzeitig st<strong>im</strong>uliert das selektive Ausbildungsangebotdie beschriebene Wettbewerbslage <strong>im</strong> Inneren des Übergangssystems.Es löst Rückstoß- <strong>und</strong> Kompensationswirkungen aus, die die Tendenz zur reversiblen<strong>Bildungsbeteiligung</strong> <strong>und</strong> einhergehenden Steigerung des Schulabschlussniveaus anfachen.1.3 Projekthintergründe <strong>und</strong> -zusammenhängeDie <strong>im</strong> folgenden Hauptkapitel präsentierten Untersuchungen beziehen sich auf Berufskollegs<strong>im</strong> nördlichen Ruhrgebiet, in dem sich die Ausbildungslage aufgr<strong>und</strong> derbekannten Nachwirkungen des Strukturwandels, des hohen Bevölkerungsanteils mitMigrationshintergr<strong>und</strong>, der demographischen Entwicklung <strong>und</strong> der Verschiebung derregionalen Arbeitsmarktzentralität besonders zuspitzt. 22Im Ruhrgebiet ist aufgr<strong>und</strong> der alternden Bewohner, des Familiennachzugs vonMigranten <strong>und</strong> der gesunkenen Geburten- wie auch Zuzugsrate der deutschen Erwerbsbevölkerungeine möglichst weitgehende Integration der Schulabsolventen in dasAusbildungs- <strong>und</strong> Hochschulsystem von besonderer Bedeutung. 23 Im Zuge der Verschiebungder Arbeitsmarkzentralität hat das Ruhrgebiet aufgehört als Arbeitsmarkt zu20 Vgl. Sikorski (2007)21 Vgl. Baethge / Solga / Wieck (2007).22 Bereits zwischen 1990 <strong>und</strong> 2000 hat die Bevölkerung des Ruhrgebiets sich, wenn auch nur leicht, um 0,7%verringert, während in Nordrhein-Westfalen noch ein wanderungsbedingter Bevölkerungszuwachs um 3,8%zu beobachten war. Zwischen 1990 <strong>und</strong> 1999 hat sich das Erwerbspersonenpotenzial <strong>im</strong> Ruhrgebiet von 3,75Mio. um 4,3% auf 3,59 Mio. verringert. In NRW ist das Erwerbspersonenpotenzial <strong>im</strong> gleichen Zeitraumum 0,1% angestiegen <strong>und</strong> NRW ohne das Ruhrgebiet hatte sogar ein Wachstum des Erwerbspersonenpotenzialsvon 2,1% zu verzeichnen. Vgl. Müller (1996), S. 225-245; Heinze / Neitzel / Brandt (2002) <strong>und</strong>Strohmeier / Neubauer / Prey (2002).23 Vgl. Seibert / Solga (2005), S. 364-382.


Einleitung: Ausbildungsberuf <strong>und</strong> berufliches <strong>Schulsystem</strong> 11existieren. Als Arbeitsmarkt ist es heute ein Teil der funktionalen Rhein-Ruhr-Region. 24Demzufolge gibt es unter Arbeitsmarktgesichtspunkten auch keine ruhrgebietsspezifischeräumliche Strukturierung von Ausbildungsberufen mehr. Die räumliche Nähe vonAusbildungsstellen für Auszubildende ist heute Ausdruck einer lokalen, in der Regelmittelständisch geprägten Absatz- <strong>und</strong> K<strong>und</strong>enkonstellation, eine ruhrgebietsspezifischeAllokationsdynamik kommt darin jedoch nicht mehr zum Ausdruck. Für das Ausbildungssegment<strong>im</strong> Übergangsystem ist deshalb die mit dem Ausbildungsberuf verb<strong>und</strong>eneIntegration in die Lokalität <strong>und</strong> Regionalität der Umgebung an sozialräumlichenVerteilungsmechanismen erkennbar: Schüler der Berufskollegs, die auf den kompensatorischenBereich der Bildungsgänge verwiesen sind, finden sich eher <strong>im</strong> örtlichenNahbereich, sind stärker auf best<strong>im</strong>mte Wohnquartiere konzentriert <strong>und</strong> prägen so diebestehenden sozialräumlichen Strukturen den Profilen der jeweiligen kollegtypischenSchülerschaft auf (s.u.).Die dargestellten Untersuchungen beziehen sich auf die Umsetzung der Ausbildungs-<strong>und</strong> Arbeitsmarktlage in die internen Profile <strong>und</strong> Verteilungsmechanismen desauf die <strong>beruflichen</strong> Schulen entfallenden Anteils am Übergangsystem. Sie beziehensozialräumliche Strukturen ein <strong>und</strong> spiegeln die Verteilungsmechanismen in den Einstellungen<strong>und</strong> Perspektiven der Schüler wider. Im Einzelnen handelt es sich dabei umzwei verschiedene, aber <strong>im</strong> Zusammenhang stehende Projekte, die <strong>im</strong> Herbst 2007für das DGB-Bildungswerk NRW e.V. durchgeführt worden sind. Zum einen wurdeeine Auswertung von Daten des Landesamtes für Datenverarbeitung <strong>und</strong> -statistikNRW (Nordrhein-Westfalen / Ruhrgebiet / Kreis Recklinghausen) sowie von Schülerbestandsdatendes Berufskollegs Herne <strong>und</strong> zum anderen eine sozialstruktur- <strong>und</strong>einschätzungsorientierte Schülerbefragung an Berufskollegs <strong>im</strong> nördlichen Ruhrgebietdurchgeführt. Beide Projekte haben exemplarischen Charakter, denn sie erschließenDaten, deren Anwendbarkeit <strong>im</strong> Rahmen eines indikatorengestützten Monitoring demonstriertwerden soll.24 Vgl. Schrumpf / Budde / Urfei (2001).


12 Autor


132. <strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> BildungsperspektivenBevor die beiden Projekte <strong>und</strong> deren Ergebnisse vorgestellt werden, sollen <strong>im</strong> folgendenKapitel zunächst Profildaten die allgemeine Struktur <strong>und</strong> Situation sowie die gegenwärtigenProblemlagen <strong>im</strong> regionalen <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong> verdeutlichen. Fürdiesen Überblick wurden Zusatzauswertungen der Schülerzugangsdaten an Berufskollegsaus der offiziellen Landesschulstatistik vorgenommen. Betrachtet werden dieGebietsebenen des Kreises Recklinghausen mit den Vergleichsebenen Ruhrgebiet <strong>und</strong>Land NRW.2.1 Ausbildungssituation, Qualifikation <strong>und</strong> Integration <strong>im</strong> <strong>beruflichen</strong><strong>Schulsystem</strong> anhand von Zugangsdaten der SchulstatistikDie Berufskollegs in NRW bieten eine Vielzahl möglicher Bildungsgänge <strong>und</strong> Abschlüssean. Das dominante, moderne Organisationsprinzip des Berufskollegs ist dasdes Bildungsgangs. Oberhalb der Bildungsgangebene hält sich aber noch die Schulformunterteilungals latentes Organisationsprinzip für Bildungsgangangebote. Deshalbbenutzen wir nach wie vor den Schulformbegriff <strong>und</strong> die ihm zugeordnete Benennungder <strong>beruflichen</strong> Schulen.Der Anteil der Neuzugänge in eine duale Fachklasse (die Berufsanfänger), gemessenan allen Neuzugängen an den Berufskollegs, ist generell rückläufig <strong>und</strong> liegt mittlerweileflächendeckend unter 50 % (Abb. 1).Abb. 1: Entwicklung des Anteils der Neuzugänge in die Berufsschule (duale Fachklassen) an allen Neuzugängenin Berufskollegs auf unterschiedlichen Gebietsebenen (mit Bochum als Vergleich).


14 Kapitel 2Der Anteil der neu hinzugekommenen Berufsschüler liegt für den Kreis Recklinghausenunter den Vergleichswerten des Ruhrgebiets <strong>und</strong> des Landes NRW. Der Anteilvon Jugendlichen unter den Neuzugängen der Berufsschulen in NRW, der eine dualeAusbildung absolviert, betrug <strong>im</strong> Schuljahr 2000/2001 49,9%. Im Ruhrgebiet lagdieser Anteil bei 48,2% während er <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen nur bei 46,3% lag. Biszum Schuljahr 2004/2005 hat sich dieser Anteil <strong>im</strong> Land NRW, <strong>im</strong> Ruhrgebiet <strong>und</strong><strong>im</strong> Kreis Recklinghausen deutlich verringert. So lag der Anteil der Jugendlichen in dendualen Fachklassen an allen Neuzugängen auf Landesebene zuletzt bei 41,3% <strong>und</strong> <strong>im</strong>Ruhrgebiet bei 40,8%. Im Kreis Recklinghausen sank der Anteil bis auf 37,4% ab. DerAnteil der Berufschule hat sich also auf allen Gebietsebenen verringert (Fahrstuhleffekt),er liegt <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen unter den Vergleichswerten. 1Dieser Bedeutungsverlust der klassischen Berufsschule wird zum einen durch breitereAngebote der vollzeitschulischen Berufsfachschulen <strong>und</strong> zum anderen durchBildungsangebote <strong>und</strong> Maßnahmen für minderqualifizierte Jugendliche kompensiert.Wenn man die Entwicklung des relativen Anteils der Berufsschulneuzugänge nachAusländern <strong>und</strong> Deutschen getrennt betrachtet, zeigt sich eine besonders auffälligeEntwicklung (Abb. 2).Abb. 2: Entwicklung des Anteils der Neuzugänge in die Berufsschule (duale Fachklassen) an allen Neuzugängenin Berufskollegs <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen nach Nationalität.Im Schuljahr 2000/2001 machte bei den ausländischen Neuzugängen der Anteil derdualen Fachklassen 39,5% aus, während der Anteil bei den deutschen Neuzugängenbei 47,1% lag. Der Anteil der Berufsschule lag für die Gruppe der ausländischen Neu-1 Vgl. auch Lageman / Bauer u.a. (2005). Sie zeigen anhand weiterer Indikatoren auf, dass sich die ökonomischeLeistungsfähigkeit des Ruhrgebiets insgesamt <strong>und</strong> in best<strong>im</strong>mten Teilregionen, so auch dem KreisRecklinghausen verschlechtert hat.


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 15zugänge um r<strong>und</strong> 7 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt. Verfolgt man die Entwicklungdieser Anteilswerte, so ist festzustellen, dass diese Verteilung bis 2001/2002bei Ausländern <strong>und</strong> Deutschen leicht abnahm, der Abstand aber ungefähr gleich blieb.Nach 2001/2002 fiel der Anteil der Ausländer unter den Neuzugängen in duale Fachklassenvon 38,8% auf 31,3% in 2002/2003, 24,0% in 2003/2004 <strong>und</strong> nur noch22,9% <strong>im</strong> Schuljahr 2004/2005. Das entspricht einem Rückgang von 17,4 Prozentpunkten(!) innerhalb des Beobachtungszeitraumes. Dies ist deshalb so bemerkenswert,da die Entwicklung des Anteils deutscher Berufsschüler in dualen Fachklassen an denNeuzugängen von 2000/2001 bis 2003/2004 nur von 47,1% auf 38,7% gesunken ist<strong>und</strong> der Anteil 2004/2005 wieder leicht auf 39,1% zugenommen hat. Das heißt <strong>im</strong>gleichen Zeitraum ist dieser Anteil bei Deutschen nur um 8 Prozentpunkte gesunken<strong>und</strong> liegt damit nur 0,4 Prozentpunkte unter dem Ausgangswert bei den Ausländernam Beginn der Zeitreihe.Es lässt sich deutlich konstatieren, dass ausländische Jugendliche <strong>im</strong> Vergleich zuden deutschen Jugendlichen zu einem deutlich geringeren Anteil in eine Ausbildungeinmünden. Die ausländischen Jugendlichen müssen daher verstärkt auf dieanderen schulischen Bildungs- bzw. Kompensationsmaßnahmen ausweichen.Dieser geringe Anteil von ausländischen Berufsanfängern mündet zudem in ein verengtesBerufsfeld <strong>im</strong> unteren Qualifikationssegment ein (40 bis 50% der ausländischenBerufsfänger befinden sich in weniger als zehn verschiedenen Berufen, z.B. Friseure,Verkäufer, Maler <strong>und</strong> Lackierer, Arzthelfer).Die nachfolgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Eingangsqualifikation allerNeuzugänge an den Berufskollegs <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen zwischen den Schuljahren2000/2001 <strong>und</strong> 2004/2005.Abb. 3: Entwicklung des Bildungsprofils der Neuzugänge insgesamt an den Berufskollegs <strong>im</strong> KreisRecklinghausen.


16 Kapitel 2Der Anteil der Neuzugänge ohne Abschluss hat <strong>im</strong> Beobachtungszeitraum sichtbarzugenommen. Im Schuljahr 2000/2001 hatten 9,9% der Neuzugänge keinen Schulabschluss,während sich dieser Anteil <strong>im</strong> Schuljahr 2004/2005 auf 12,6% belief. ImRuhrgebiet ließ sich ein ähnlicher Trend beobachten, gleichwohl bestehen marginaleNiveauunterschiede. Die Schüler ohne Abschluss befinden sich fast ausschließlich <strong>im</strong>Maßnahmenbereich oder <strong>im</strong> Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr.Bei einer gruppenspezifischen Betrachtung der Bildungsprofile zeigen sich erheblicheDifferenzen. Dargestellt werden die Bildungsprofile von deutschen <strong>und</strong> ausländischenNeuzugängen, sowie die Struktur der gesamten Neuzugänge <strong>im</strong> Schuljahr2004/2005 an den Berufskollegs <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen (Abb. 4).Abb. 4: Bildungsprofile der deutschen <strong>und</strong> ausländischen Neuzugänge an den Berufskollegs <strong>im</strong> KreisRecklinghausen <strong>im</strong> Schuljahr 2004/2005.9,8% der deutschen Neuzugänge <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen hatten <strong>im</strong> Schuljahr2004/2005 die Hochschul- oder Fachhochschulreife. Unter den ausländischen Neuzugängenbefanden sich hingegen nur 3,3% junge Erwachsene mit Hochschul- oderFachhochschulreife. Im Ruhrgebiet war diese Differenz <strong>im</strong> Schuljahr 2004/2005ähnlich ausgeprägt, wenngleich sich erneut Niveauunterschiede feststellen lassen. ImRuhrgebiet hatten <strong>im</strong> Schuljahr 2004/2005 13,7% der deutschen Neuzugänge dieHochschul- oder Fachhochschulreife, während lediglich 4,6% der ausländischen Neuzugängediesen Abschluss hatten. Im Ruhrgebiet hatte <strong>im</strong> Schuljahr 2004/2005 alsoein deutlich größerer Anteil der deutschen Neuzugänge die Hochschul- oder Fachhochschulreifeals <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen. Die Problemgruppe der Neuzugänge ohneAbschluss ist anteilsmäßig unter den ausländischen Neuzugängen <strong>im</strong> Kreis Recklinghausenweit stärker vertreten. 22,3% der ausländischen Neuzugänge <strong>im</strong> Schuljahr2004/2005 hatten keinen Abschluss. Bei den deutschen Neuzugängen ist dieser Anteilungefähr halb so groß; 11,5% von ihnen hatten keinen Abschluss. N<strong>im</strong>mt man jetzt


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 17noch den Hauptschulabschluss hinzu, dann bringen ca. 60% der ausländischen Schülernur eine niedrige Eingangsqualifikation mit in das berufliche <strong>Schulsystem</strong>. 2Zwischen dem Bildungsprofil der deutschen <strong>und</strong> ausländischen Neuzugänge bestehenalso besonders signifikante Unterschiede. Das Bildungsprofil der ausländischenNeuzugänge lässt insgesamt sich als deutlich „ungünstiger“ als das derdeutschen Neuzugänge charakterisieren.Das Problem der Ausbildungsstellenlosigkeit von Jugendlichen wird auch an den Berufskollegs<strong>im</strong>mer deutlicher sichtbar <strong>und</strong> n<strong>im</strong>mt innerhalb der Schulstruktur mittlerweileeine gewichtige Rolle ein. Es kann quantitativ anhand der Berufskollegdatenbeleuchtet werden. Der Grad der Ausbildungsstellenlosigkeit von Jugendlichen kanndurch eine Gegenüberstellung der beiden Bereiche Maßnahmenklassen <strong>und</strong> Fachklassen<strong>im</strong> dualen System (Berufsschule) indiziert werden. Dazu werden aus der Gesamtheitder Neuzugänge an Berufskollegs die Neuzugänge in Maßnahmenklassen herausgenommen<strong>und</strong> 100 Neuzugängen in die Berufsschule (also den Berufsschülern <strong>im</strong> 1.Ausbildungsjahr) gegenübergestellt. Durch die Hinzunahme von BGJ <strong>und</strong> Vorklasse(<strong>und</strong> ggfs. weiterer Bereiche) 3 zur Gruppe der Maßnahmenklassen wird der Betrachtungswinkelerweitert, da es sich hier ebenfalls maßgeblich um eine Beschulung ausbildungsstellenloserJugendlicher handelt. Diese zahlenmäßige Gegenüberstellung derbeiden unterschiedlichen Gruppen führt zur Bildung eines (mehrstufigen) Quotienten,der als „Verhältnisgrad Jugendliche ohne/mit Ausbildungsvertrag an Berufskollegs“ bezeichnetwerden kann. Er beantwortet die Frage, wie viele Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag,die sich in Maßnahmen (oder dem BGJ) befinden, auf 100 Jugendlichemit Ausbildungsvertrag, also auf die Berufsanfänger kommen. Die Ausbildungsstellenlosigkeitwird somit über die Beschulung ausbildungsstellenloser Jugendlicher in ihrerRelation zur Situation <strong>im</strong> dualen Ausbildungssystem betrachtet.Der folgenden Abbildung ist die Entwicklung der beiden Verhältnisgrade für denKreis Recklinghausen <strong>im</strong> Vergleich zum Ruhrgebiet <strong>und</strong> dem Land NRW zu entnehmen.Bis zum Schuljahr 2003/2004 lässt sich generell ein ansteigender Trend beobachten,danach ist ein leichter Rückgang der Quotienten zu verzeichnen. Im Anfangsschuljahr2000/2001 kamen <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen auf 100 Berufsschüler <strong>im</strong> 1. Ausbildungsjahr17 Jugendliche in Maßnahmen. Dieser Wert ist dann bis auf 28 gestiegen <strong>und</strong><strong>im</strong> letzten Jahr wieder auf 21 gesunken. Damit liegt der Kreis Recklinghausen unterdem Ruhrgebietsdurchschnitt <strong>und</strong> auch unter dem Landesniveau – die Werte des 1.Quotienten fallen für den Kreis also vergleichsweise günstig aus. Be<strong>im</strong> 2. Quotienten2 Die festgestellten Disparitäten bei der Eingangsqualifikation an den Berufskollegs zwischen deutschen <strong>und</strong> ausländischenJugendlichen ist eine direkte Folge des Schulabschlussportfolios der allgemeinbildenden Schulen.Beispielsweise zeigen Hilbert <strong>und</strong> Langer (2003) mit Daten des LDS NRW, dass eine starke Differenz zwischendem Schulabschlussportfolio der ausländischen Entlassschüler <strong>und</strong> dem der deutschen Entlassschüler <strong>im</strong>Ruhrgebiet besteht. Ausländische Schüler beenden ihre allgemeinbildende Schullaufbahn weit seltener als deutscheSchüler mit einem höheren Schulabschluss, wie beispielsweise dem Abitur. Umgekehrt verlassen deutlichmehr ausländische Schüler die allgemeinbildende Schule ohne einen Abschluss als deutsche Schüler.3 Weiterhin dürfte gerade auch <strong>im</strong> Bereich der Berufsfachschule der Anteil ausbildungsstellenloser Jugendlichereine relevante Größe darstellen. Der Besuch der Berufsfachschule dient nicht <strong>im</strong>mer nur der bewusstenVerbesserung der eigenen Qualifikation, sondern wird für viele Jugendliche schlicht zu einer Zwangsalternative.Diese indirekte bzw. verdeckte Ausbildungsstellenlosigkeit an den Berufsfachschulen kann auf Gr<strong>und</strong>der unterschiedlichen <strong>und</strong> teilweise diffusen Motivationen nicht über die amtliche Aggregatdatenstatistikquantifiziert werden. Aufschluss darüber geben die Ergebnisse der Schülerbefragungen (siehe Kap. 2.3).


18 Kapitel 2Abb. 5: Entwicklung des Verhältnisgrades Jugendliche ohne/mit Ausbildungsvertrag an Berufskollegs aufunterschiedlichen Gebietsebenen.ändert sich das Bild. Jetzt sind es am Beginn schon 40, <strong>im</strong> Schuljahr 2003/2004 sogar63 <strong>und</strong> zuletzt 55 ausbildungsstellenlose Jugendliche pro 100 Berufsanfänger. In diesererweiterten Betrachtungsweise n<strong>im</strong>mt der Kreis eine ungünstigere Position ein, da dieZahlen über denen der Vergleichsebenen liegen. Das verweist für den Kreis Recklinghausen,unter Berücksichtigung der Zahlen des 1. Quotienten, auf eine vergleichsweisestärkere Bedeutung des BGJ-Bereiches.Nachfolgend soll der Grad der Ausbildungsstellenlosigkeit unter den deutschen<strong>und</strong> unter den ausländischen Jugendlichen betrachtet werden. Dazu wurden die in dieQuotienten eingegangen Zugangszahlen getrennt für beide Gruppen berechnet. DieAbbildung 6 weist die Entwicklung der Quotienten vergleichend für die deutschen<strong>und</strong> ausländischen Neuzugänge auf Kreisebene aus. Besonders auffällig sind dabei dieextremen Disparitäten zwischen den beiden Gruppen. Es zeigt sich, dass der Gradder Ausbildungsstellenlosigkeit bei den Ausländern einen völlig anderen Stellenwerteinn<strong>im</strong>mt als bei den Deutschen. In den drei Schuljahren zwischen 2001/2002 <strong>und</strong>2003/2004 ist zudem ein besonders stark ansteigender Trend bei den Quotienten fürdie ausländischen Jugendlichen zu beobachten – beide Stufen des Quotienten habensich ungefähr verdoppelt. Ausländische Jugendliche sind hier offenbar einer besondersnegativen Dynamik ausgesetzt. Im Schuljahr 2003/2004 kamen bei den Ausländernauf 100 Berufsschüler <strong>im</strong> 1. Ausbildungsjahr sogar 192 Schüler in Maßnahmen oderdem BGJ, bei den deutschen Jugendlichen waren es „nur“ 53. Anders ausgedrücktsind bei den Ausländern auf einen Berufsanfänger ungefähr zwei ausbildungsstellenloseJugendliche gekommen.Die Werte des 1. Quotienten liegen für beide Gruppen sowohl unter dem Ruhrgebiets-als auch leicht unter dem Landesdurchschnitt. Be<strong>im</strong> 2. Quotienten befindensich beide Gruppen aber über den Vergleichsebenen. Insbesondere der Quotient derausländischen Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren stärker vom Land NRW <strong>und</strong>


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 19Abb. 6: Entwicklung des Verhältnisgrades Jugendliche ohne/mit Ausbildungsvertrag an den Berufskollegs <strong>im</strong>Kreis Recklinghausen nach Deutschen <strong>und</strong> Ausländern.dem Ruhrgebiet abgesetzt – der Kreis Recklinghausen belegt also in Bezug auf denGrad der Ausbildungsstellenlosigkeit unter den ausländischen Jugendlichen mittlerweileeine deutlich schlechtere Position.Wie bereits weiter oben in Abb. 2 aufgezeigt, ist <strong>im</strong> Vergleich zu den deutschen Neuzugängenan den Berufskollegs <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen bei den Ausländern der Anteilder Neuzugänge in die Berufsschule an allen Neuzugängen – von einem ohnehin schonsehr niedrigem Niveau – sehr viel stärker zurückgegangen (von 39,5% auf 22,9%).Die sehr extensive Beschulung führt letztlich gerade bei den ausländischen Jugendlichenzu einem weiteren Anstieg <strong>und</strong> Druck innerhalb der „Warteschlange“ für eine Lehrstelle.Weiterhin lässt sich auch ein eklatanter Abstand zwischen den beiden Stufen desVerhältnisgrades bei den ausländischen Jugendlichen feststellen. Insgesamt sind ausländischeJugendliche von der problematischen Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<strong>im</strong> Kreis Recklinghausen deutlich stärker betroffen als deutsche Jugendliche.Für die ausländischen Jugendlichen ist die Berufsschule nicht mehr die dominanteSchulform. Das berufliche Ausbildungssystem ist somit gegenüber vollzeitschulischenAngeboten, die neben der Berufsfachschule eben auch von den Maßnahmen<strong>und</strong> dem BGJ abgedeckt werden, in den Hintergr<strong>und</strong> getreten. In Bezug aufden Grad der Ausbildungsstellenlosigkeit bestehen zwischen ausländischen <strong>und</strong>deutschen Jugendlichen extreme Disparitäten. Ausländische Jugendliche sind hiereiner besonders negativen Dynamik ausgesetzt <strong>und</strong> befinden sich in Bezug auf dieallgemeine Ausbildungslage in einer deutlich schlechteren Lage.Abschließend soll der Grad der Ausbildungsstellenlosigkeit auch an den einzelnen Berufskollegsbetrachtet werden, da dieser hier sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Diefolgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Anzahl der Jugendlichen in Maßnah-


20 Kapitel 2men <strong>und</strong> <strong>im</strong> BGJ (Quotient 2) pro 100 Neuzugängen in die Berufsschule für die kreisangehörigenBerufskollegs.Abb. 7: Jugendliche ohne Ausbildung in Maßnahmen <strong>und</strong> Schüler <strong>im</strong> BGJ (einschl. Vorklasse) pro 100Berufsschüler nach Berufskollegs <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen (jeweilige Neuzugänge <strong>im</strong> Schuljahr).Der Berufskollegvergleich zeigt, dass der Grad der Ausbildungsstellenlosigkeit nichtnur sehr unterschiedlich ausgeprägt ist, sondern auch in der zeitlichen Entwicklungvariiert. Bemerkenswert ist, dass bei zwei Berufskollegs, Mitte/RAG in Recklinghausen<strong>und</strong> Hans Böckler in Marl fast genau so viele <strong>und</strong> in einigen Schuljahren sogar mehrNeuzugänge in Maßnahmen <strong>und</strong> in das BGJ zu verzeichnen sind als Neuzugänge indie Berufsschule (Quotienten von z.T. über 100).An diesen Berufskollegs spielt die Ausbildung <strong>im</strong> dualen System quantitativ nur nocheine untergeordnete Rolle bzw. hat sich hier der ehemals dominante Bereich der Berufsschulezurückentwickelt. Genau in dieser Entwicklung kommt die Entmischungzwischen den Funktionen der Ausbildung <strong>und</strong> denen der sozialen Integration zumTragen: In dem Maße wie die duale Ausbildung in den Berufskollegs an Normalitätverliert, bleibt die Funktion der sozialen Integration der Jugendlichen auf der Streckebzw. muss von anderen Bildungsgängen kompensatorisch übernommen werden.


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 212.2 Sozial-räumliche Herkunft von Schülern an Berufskollegs – ExemplarischeAuswertung von Schülerbestandsdaten des kaufmännischen Berufskollegsder Stadt HerneDie räumliche Herkunft der Schüler an <strong>beruflichen</strong> Schulen wird zwar schulinternzusammen mit einer Reihe weiterer Merkmale (zuletzt besuchte Schule, Geschlecht,Nationalität etc.) erfasst, aber nicht systematisch ausgewertet <strong>und</strong> mit amtlichen Sozialraumdatenverknüpft. Gerade für die Steuerung von Bildungsgängen ist aber einesozialstruktur- <strong>und</strong> sozialraumorientierte Datenbasis wichtig, die abbildet, inwiefernBildungsgänge sozialräumlich strukturiert sind. Für das untersuchte Berufskolleg trifftzu, dass die Bildungsgänge einer sozialräumlichen Hierarchie folgen; als Ressourcensozialer <strong>und</strong> kultureller Teilhabe werden Räume auf diese Weise zum Element der soziallagebest<strong>im</strong>mtenMarkierung von Bildungsgängen. 4Im Rahmen dieses Projektes wurde eine exemplarische Auswertung der Schülerbestandsdatendes kaufmännischen Berufskollegs der Stadt Herne vorgenommen. ZumZeitpunkt der Abfrage <strong>im</strong> Juni 2007 (Schuljahr 2006/2007) befanden sich N = 1605aktive Schüler <strong>im</strong> Bestand.Die kleinräumige Untersuchung der Bestandsdaten dient der Informierung überräumliche Schülerverteilungen <strong>und</strong> -zusammenhänge sowie der Prüfung der Brauchbarkeitvon derartigen Schulindikatoren für die Verknüpfung mit Sozialraumdaten fürdie Routinestatistik <strong>und</strong> die Bildungsplanung.Der folgenden Abbildung ist zunächst die Herkunftsverteilung der Schülerschaftnach Kommunen zu entnehmen.Abb. 8: Herkunft der Schüler am kaufmännischen Berufskolleg der Stadt Herne.Mehr als zwei Drittel der Schüler (72,7%) des BK Herne sind auch in der Stadt Hernewohnhaft. Die restlichen Schüler kommen zum deutlich überwiegenden Teil aus denbenachbarten Ruhrgebietsstädten. Von allen auswärtigen Schülern machen allein dieBochumer ca. 55% aus (insgesamt 15,1%). Fast 85% der auswärtigen Schüler sind4 Vgl. Ditton (2004)


22 Kapitel 2Berufsschüler, die unabhängig vom Wohnort über ihren Ausbildungsstandort dem BKHerne angehören. Die Rekrutierung der Schülerschaft <strong>im</strong> Bereich der vollzeitschulischenBildungsgänge (z.B. Wirtschaftsgymnasium, Handelsschule) bleibt somit fastausschließlich auf das eigene Stadtgebiet beschränkt.Für die Zwecke der Kommunalstatistik ist die Stadt Herne in 32 Statistische Bezirkeeingeteilt, die mit den gewachsenen Ortsbezeichnungen korrespondieren. Die kleinräumigeZuordnung der Schüleradressen zu den Statistischen Bezirken liefert in einemersten Schritt eine innerstädtische Verteilungsübersicht der absoluten Schülerzahlen,die sich in Kartenform darstellen lässt (Abb. 9).Abb. 9: Innerstädtische Schülerherkunft am kaufmännischen Berufskolleg der Stadt der Herne (absolut).Aus den statistischen Bezirken Holsterhausen, Bickern <strong>und</strong> Strünkede kommen jeweilsmehr als 70 Schüler. Auch in Holthausen <strong>und</strong> Wanne-Süd lebt eine vergleichsweisehohe Anzahl von Schülern, die das BK Herne besuchen. Diese fünf Ortsteile stellenzusammen fast 30% der innerstädtischen Schülerschaft am BK Herne dar. Hierbeihandelt es sich allerdings auch um die bevölkerungsreichsten Gebiete in Herne, diedamit auch ein entsprechend hohes Schülerpotenzial aufweisen. Um jedoch Teilgebietemit über- <strong>und</strong> unterdurchschnittlicher Schülerrekrutierung identifizieren zu können,muss die Bevölkerungszahl berücksichtigt werden (Bevölkerungsrelationierung derSchülerzahlen).Zunächst soll aber noch das kleinräumige Verteilungsmuster der Schülerschaft mitdem Verteilungsmuster der Bevölkerung betrachtet werden (Abb. 10).


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 23Abb. 10: Innerstädtisches Verteilungsmuster der Bevölkerung sowie der Schülerherkunft am kaufmännischenBerufskolleg der Stadt Herne (prozentual).Der Bevölkerungsanteil der Statistischen Bezirke fällt deutlich mit der relativen Verteilungder Schülerschaft über die Statistischen Bezirke zusammen. 5 Die Schüleranteile,die die städtischen Teilgebiete am BK Herne haben, entsprechen ungefähr dem prozentualenAnteil der dort jeweils lebenden Bevölkerung. Der Bevölkerungsanteil derStatistischen Bezirke spiegelt sich also am BK Herne <strong>im</strong> Herkunftsprofil der Schülerschaftwider. Der Einzugsbereich des BK Herne umfasst damit einerseits das gesamteStadtgebiet <strong>und</strong> andererseits hat das BK Herne dabei für alle Ortsteile gemäß desBevölkerungsanteils die gleiche Bedeutung – <strong>im</strong> Gegensatz zu anderen Bildungs- oderauch Kultureinrichtungen, die aus den unterschiedlichsten Gründen (z.B. formale Einzugsbereiche,Entfernung, Klientel etc.) häufig nur in best<strong>im</strong>mten Teilgebieten rekrutierenbzw. unter- oder überproportional ihre Teilnehmer erreichen.Die Karte in Abbildung 11 weist die kleinräumige Schülerdichte für das BK Herneaus. Hier wurde die oben bereits angesprochene Bevölkerungsrelationierung vorgenommen,indem sich die Zahl der Schüler, die aus den einzelnen Stadtgebieten kommen,jeweils einheitlich auf 1000 Einwohner beziehen. 65 Die Korrelation nach Pearson beträgt 0,91 <strong>und</strong> ist hoch signifikant (Sign=0,00).6 Es sei darauf hingewiesen, dass die Relationierung korrekterweise nicht die Gesamtbevölkerung, sondern dieberufsbildungsrelevante Bevölkerung (16 bis 25 Jahre) berücksichtigen sollte. Diese Altersteilgruppe lag zumAuswertungszeitraum jedoch nicht kleinräumig vor. Das gilt auch für die nachfolgenden Bevölkerungsbetrachtungen<strong>im</strong> Rahmen der Ausländerthematik.


24 Kapitel 2Abb. 11: Kleinräumige Schülerdichte – Schüler am kaufmännischen Berufskolleg der Stadt Herne pro 1000Einwohner (zum 31.12.2006).Deutlich erkennbar ist eine Nord-Süd-Achse von Ortsteilen mit hoher Schülerdichte.Eine ebenfalls hohe Schülerdichte von mehr als 8,5 Schülern pro Einwohner weisenBörnig, Bickern <strong>und</strong> Pluto an der Peripherie auf. Diese dunkel eingefärbten Stadtgebieteliegen klar über dem gesamtstädtischen Durchschnittswert von 7 Schülern pro 1000Einwohner. Die meisten Ortsteile liegen recht nah am Durchschnitt. Als einziger Ortsteilweicht Gysenberg besonders nach unten ab, allerdings wohnen in Gysenberg auchnur 2 Schüler, die das BK Herne besuchen. Zusammenfassend betrachtet ist die Streuungder Schülerdichte vergleichsweise gering, was auf die deutliche Übereinst<strong>im</strong>mungder beiden Verteilungsmuster, Bevölkerung <strong>und</strong> Schülerschaft, also die gesamtstädtischsehr gleichförmige Rekrutierungsstruktur zurückzuführen ist (s.o. Abb. 10).Die Schülerbestandsdaten lassen auch eine kleinräumige Auswertung der Schülerherkunftnach Eingangsqualifikation, also dem allgemein bildenden Abschluss, den dieSchüler mit an das Berufskolleg gebracht haben, zu (Abb. 12).


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 25Abb. 12: Innerstädtische Schülerherkunft am kaufmännischen Berufskolleg der Stadt der Herne nachEingangsqualifikation.Der Anteil der Schüler, die keinen oder nur einen Hauptschulabschluss mit an das BKHerne gebracht haben, liegt zwischen 0% be<strong>im</strong> Statistischen Bezirk Constantin <strong>und</strong>34% für Herne-Zentrum (Gysenberg ist aufgr<strong>und</strong> der geringen Fallzahl nicht aussagekräftig).Erwartbar wäre hier ein Zusammenhang mit sozialräumlichen Indikatoren,die den sozialen Status bzw. soziale Benachteiligungen <strong>und</strong> Problemlagen (z.B. überdie Arbeitslosenquote) messen, in der Form, dass der Anteil der Schüler mit niedrigerEingangsqualifikation in sozial schwachen Ortsteilen tendenziell hoch <strong>und</strong> in ehergut situierten Ortsteilen niedrig ist, entsprechend umgekehrt be<strong>im</strong> Anteil der Schülermit hoher Eingangsqualifikation. Derartige Zusammenhänge zeigen sich über alle 32Teilgebiete betrachtet allerdings nicht, gleichwohl fällt bei einzelnen Ortsteilen (z.B.Herne-Zentrum <strong>und</strong> Bickern (-), Hannover(+)) das Profil der Eingangsqualifikationmit der Arbeitslosenquote <strong>und</strong> dem Ausländeranteil in entsprechender Ausprägungzusammen.Deutliche Zusammenhänge mit der kleinräumigen <strong>Sozialstruktur</strong> ergeben sich allerdingsbei der Ausländerthematik. Die nachfolgende Abbildung zeigt zunächst denZusammenhang zwischen dem Ausländeranteil der Statistischen Bezirke <strong>und</strong> dem Ausländeranteilunter den Berufskollegschülern.


26 Kapitel 2Abb. 13: Zusammenhang zwischen dem Ausländeranteil der Statistischen Bezirke <strong>und</strong> dem Ausländeranteilunter den Schülern am kaufmännischen Berufskolleg der Stadt Herne, die aus den jeweiligenStatistischen Bezirken kommen.In Ortsteilen mit hohem Ausländeranteil ist tendenziell auch der Ausländeranteil unterden Schülern, die aus diesen Ortsteilen kommen <strong>und</strong> das BK Herne besuchen, höherals in Ortsteilen mit eher niedrigen Ausländeranteilen. 7 So beträgt der Ausländeranteilunter den Schülern, die aus Herne-Börnig kommen 5,6% bei einem Ausländeranteilder Bevölkerung in Börnig von 3%, während in Shamrock der Ausländeranteil unterden Berufskollegschülern bei 27% <strong>und</strong> der Ausländeranteil des Ortsteils bei ca. 20%liegt.Da der kleinräumige Ausländeranteil äußerst stark mit der Arbeitslosenquotezusammenhängt, 8 ergibt sich auch ein Zusammenhang zwischen dem Ausländeranteilunter den Schülern am BK Herne <strong>und</strong> der Arbeitslosenquote (Abb. 14). Der Umstand,dass Ausländer verstärkt in eher armen Stadtteilen leben, die in besonderem Maße vonsozialer Benachteiligung gekennzeichnet sind <strong>und</strong> damit insgesamt einen niedrigenSozialstatus aufweisen, ist geradezu typisch für das Ruhrgebiet. Soziale <strong>und</strong> ethnischeSegregation fallen hier auf kleinstem Raum zusammen. Der Ausländeranteil wird somit(stellvertretend) zum Sozialindikator. 97 Die Korrelation nach Pearson beträgt 0,79 <strong>und</strong> ist hoch signifikant (Sign=0,00).8 Die Korrelation nach Pearson beträgt 0,86 <strong>und</strong> ist hoch signifikant (Sign=0,00).9 Vgl. hierzu auch Strohmeier / Neubauer / Prey (2002).


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 27Abb. 14: Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote der Statistischen Bezirke <strong>und</strong> dem Ausländeranteilunter den Schülern am kaufmännischen Berufskolleg der Stadt Herne, die aus den jeweiligenStatistischen Bezirken kommen.In Stadtbezirken mit hoher Arbeitslosenquote ist tendenziell auch der Ausländeranteilunter den Schülern, die aus diesen Bezirken kommen <strong>und</strong> das BK Herne besuchen,höher als in anderen Gebieten mit eher niedrigen Arbeitslosenquoten. 10 Auffällig istdabei, dass sich Herne-Zentrum deutlich nach oben absetzt. Bei beiden Variablen weistHerne-Zentrum Max<strong>im</strong>alwerte auf. Hier fokussieren sich einerseits soziale Problemlagenbei ausgeprägter ethnischer Segmentation der Bevölkerung <strong>und</strong> andererseits spiegeltsich genau diese Situation <strong>im</strong> Ausländeranteil der Berufskollegschüler sowie in derweiter oben schon angesprochen Eingangsqualifikation, die diese Schüler mitbringen,wider.Man sieht am Auswertungsbeispiel der Schülerbestandsdaten des BK Herne, dass sichfür best<strong>im</strong>mte Gruppen (in diesem Fall für die Gruppe der ausländischen Schüler) räumlicheBeteiligungskonzentrationen <strong>und</strong> Zusammenhänge mit sozio-demographischen Indikatorenergeben können. Auch ermöglicht eine Informierung über die Reichweite <strong>und</strong>Intensität von realen Schuleinzugsbereichen die Überprüfung <strong>und</strong> Anpassung der formalenSchul- <strong>und</strong> Angebotsstrukturen, ferner ließen sich die kleinräumige Erreichbarkeitvon best<strong>im</strong>mten jugendlichen (Problem-)Gruppen bzw. das vorhandene <strong>und</strong> zukünftigeSchüler- <strong>und</strong> Ausbildungspotenzial (kleinräumige Bevölkerungsprognose <strong>und</strong> Arbeitsstättenentwicklung)untersuchen sowie Mobilitätsanforderungen zwischen Wohnort,Schule <strong>und</strong> Betrieb (bei Berufsschülern) aufstellen. Eine räumliche Betrachtungsweiseliefert somit wertvolle Hinweise über die Herkunft bzw. Rekrutierung der Schülerschaft10 Die Korrelation nach Pearson beträgt 0,71 <strong>und</strong> ist hoch signifikant (Sign=0,00).


28 Kapitel 2<strong>und</strong> kleinräumige Zusammenhänge, die für die Standort- <strong>und</strong> Angebotsplanung sowieArbeitsteilung von Berufskollegs bislang nicht vorliegen.Für die Steuerung von Bildungsgängen ist eine sozialstruktur- <strong>und</strong> sozialraumorientierteDatenbasis wichtig, um Bildungsgänge gezielter an unterschiedlicheSchülermilieus adressatenspezifisch ausrichten zu können. Anzustreben ist einestädteübergreifende Betrachtung aller Berufskollegs in einer größeren Region.Dann erst könnten auch stärkere Differenzierungen nach Schul- <strong>und</strong> Bildungsgangsformen,Eingangsqualifikation, Geschlecht <strong>und</strong> Ethnizität erfolgen. So ließensich Einzugsbereiche, Überschneidungen ebenso wie Unterversorgungen <strong>und</strong>soziale Ausschlussmechanismen <strong>im</strong> Raum transparent <strong>und</strong> für die Bildungsplanungnutzbar machen.2.3 Schülerbefragung an Berufskollegs – Soziale Herkunft, Schulische Wege,Motivation <strong>und</strong> Perspektiven von Schülern <strong>im</strong> <strong>beruflichen</strong> <strong>Schulsystem</strong>Im Rahmen des Projektes wurden die soziale Herkunft, die schulischen <strong>und</strong> ausbildungsbezogenenVerläufe, Motivationen sowie die Perspektiven von Schülern <strong>im</strong> <strong>beruflichen</strong><strong>Schulsystem</strong> untersucht.Differenziert nach Schul- bzw. Bildungsgangsformen <strong>und</strong> sozio-demographischerGruppenzugehörigkeit, liefert das Projekt Aufschlüsse über die schulisch-<strong>beruflichen</strong>Einschätzungen <strong>und</strong> Erwartungen aus Sicht der Schüler.Die zentralen Fragestellungen bzw. Themenfelder lassen sich wie folgt zusammenfassen:• Wo kommen die Schüler her (soziales Umfeld <strong>und</strong> schulische Herkunft)?• Warum sind die Schüler in einem best<strong>im</strong>mten Bildungsgang (Besuchsgründe <strong>und</strong>Motivationen)?• Wo wollen die Schüler hin <strong>und</strong> was erwarten sie (Erwartungen <strong>und</strong> Zielsetzungen)?• Sind die Vorstellungen der Schüler realistisch bzw. konsistent?• Gibt es dabei signifikante Unterschiede zwischen (a) Bildungsgangsformen <strong>und</strong>(b) sozio-demographischer Gruppenzugehörigkeit?Es wurde ein Fragebogen entwickelt, der die übergreifenden Themenkomplexe in einerfür die Schülerschaft verständlichen Weise abfragt. 11 Die Befragung wurde <strong>im</strong> Oktober2007 an zwei kaufmännischen Berufskollegs, dem BK der Stadt Herne <strong>und</strong> amEduard-Spranger-BK in Gelsenkirchen, durchgeführt. Der nachfolgenden Abbildung15 sind alle relevanten Informationen zur methodischen Vorgehensweise unserer Erhebung<strong>und</strong> eine nach Bildungsgangsformen differenzierte Zusammenstellung der Schülerfallzahlenzu entnehmen.Bevor die themenspezifischen Fragen behandelt <strong>und</strong> die entsprechenden Ergebnissevorgestellt werden, ist zunächst die Betrachtung der sozio-demographischen Strukturder befragten Schülerschaft anhand zentraler Kennzahlen angezeigt. Die sozio-demo-11 Der Fragebogen ist <strong>im</strong> Anhang dokumentiert. Die ursprüngliche Fragebogenversion wurde nach einemPretest (an zwei Berufskollegs in vier verschiedenen Klassen) vor allem sprachlich <strong>und</strong> weniger inhaltlichmodifiziert.


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 29Abb. 15: Erhebungsverfahren <strong>und</strong> Fallzahlen der Schülerbefragungen.graphische Situation der Schüler hat nicht unerheblichen Einfluss auf die Beantwortungvon Fragen zu Besuchsgründen, Zukunftsperspektiven usw., ferner gibt die Zusammensetzungder Schüler in der Aggregation auf Bildungsgangs- <strong>und</strong> SchulebeneAuskunft über etwaige Problempotenziale (z.B. Integrationsdefizite, Qualifikationsniveauetc.) sowie Anpassungsanforderungen bzw. -hinweise für best<strong>im</strong>mte berufsschulischeBildungsgänge (z.B. stärker migrationssensitive Bildungsvermittlung <strong>und</strong> Berufsvorbereitung).Die Abbildung 16 liefert eine Übersicht zur sozio-demographischenRahmung der befragten Schüler auf Berufskollegebene (Erhebungsgesamtheiten BKHerne <strong>und</strong> BK Gelsenkirchen). In dieser Globalbetrachtung unterscheiden sich diejeweiligen Werte zwischen den beiden Berufskollegs nur marginal, weil die inhaltlicheAusrichtung <strong>und</strong> das soziale Umfeld sehr ähnlich sind.


30 Kapitel 2Abb. 16: Sozio-demographische Struktur der befragten Schülerschaft.Besonders evident ist der Unterschied zwischen dem Ausländeranteil <strong>und</strong> dem Anteilder Schüler mit Migrationshintergr<strong>und</strong>. Zwar haben „nur“ 16,7% bzw. 18,3% derSchüler keine deutsche Staatsangehörigkeit, aber ungefähr 45% bzw. 46% der Schülerhaben einen Migrationshintergr<strong>und</strong>. An dieser Stelle wird deutlich, wie sehr dieformale Nationalitätszugehörigkeit <strong>und</strong> damit letztlich der Ausländeranteil, der inder amtlichen Statistik Verwendung findet, den tatsächlichen Migrationshintergr<strong>und</strong>unterschätzt. Da fast die Hälfte der befragten Schüler an beiden Berufskollegs einenMigrationshintergr<strong>und</strong> hat <strong>und</strong> zudem jeweils ca. ein Fünftel der Schüler in einemHaushalt ohne deutsche Sprache lebt, ergibt sich parallel zur Bildungsvermittlung –wenn nicht gar an erster Stelle – eine sprachkompetenzbezogene Vermittlungssaufgabefür die Berufskollegs. 12Differenziert man die sozio-demographischen Kennzahlen nach Bildungsgangsformenergeben sich z.T. extreme Unterschiede zwischen den Bildungsgängen. 13 ImBereich der Ein- <strong>und</strong> Zweijährigen Berufsfachschule sowie <strong>im</strong> Berufsgr<strong>und</strong>schuljahrliegt der Ausländeranteil mit bis zu 37% deutlich über dem Durchschnitt. Der Anteilder Schüler mit Migrationshintergr<strong>und</strong> erreicht bis auf einige Ausnahmen sogarWerte von 60% <strong>und</strong> mehr. Im Wirtschaftsgymnasium hingegen sind Ausländer- <strong>und</strong>Migrationsanteil stark unterdurchschnittlich. Der Anteil der nicht mehr <strong>im</strong> Elternhauslebenden Schüler ist <strong>im</strong> Berufsschulbereich fast doppelt so hoch wie <strong>im</strong> Mittel (verweistauf die höhere Eigenständigkeit der Auszubildenden), auch liegt der Altersdurchschnitthier höher. Der Anteil der Schüler mit hoher Qualifikation des Vaters liegt <strong>im</strong>12 Weil sich die sozio-ethnische Zusammensetzung der Schülerschaft in Zukunft dergestalt verändern wird, dassmehr ausländische junge Menschen in das Berufsbildungssystem einmünden werden (Langer (2003), S.5-8),ergibt sich, nicht nur unter normativen, sondern auch unter funktionalen Gesichtspunkten, um einem antizipiertenFachkräftemangel, der die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen gefährden kann, die Forderung nacheiner deutlich verbesserten Integration von ausländischen Jugendlichen (Reinberg / Hummel (2004)).13 Über die Bildungsgangsformen betrachtet unterscheiden sich alle sozio-demographischen Kennzahlen signifikantvoneinander. Auf die genaue Angabe der einzelnen Werte <strong>und</strong> Signifikanzen wird aus Platzgründenverzichtet. Im Nachfolgendem wurde auch für alle Themenfelder <strong>im</strong>mer eine Überprüfung der sozio-demographischenTeilgruppenunterschiede vorgenommen.


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 31Wirtschaftgymnasium bei 48,1% (BK Herne) bzw. 23,3% (BK Gelsenkirchen) <strong>und</strong>in der Assistentenausbildung in Herne bei 40,7%. Demgegenüber macht dieser Anteil<strong>im</strong> Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr <strong>und</strong> <strong>im</strong> Maßnahmenbereich (JOA) weniger als 5% aus.Die Zweijährige Berufsfachschule <strong>und</strong> das Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr weisen einen Anteilvon Schülern, die ohne Abschluss oder nur mit einem Hauptschulabschluss an dasbetreffende Berufskolleg gekommen sind, von über 90% auf, <strong>im</strong> Maßnahmenbereichbringen mit 65,2% ebenfalls mehr als die Hälfte der Schüler nur eine niedrige Eingangsqualifikationmit. Das untere Qualifikationssegment des Angebotsbereichs derBerufskollegs wird also maßgeblich durch das von den Schülern mitgebrachte sehrniedrige Bildungsniveau (vor-)best<strong>im</strong>mt.Das Themenfeld Herkunft <strong>und</strong> Wege zum Berufskolleg beschäftigt sich mit derÜbergangsstruktur der Schüler in das System der Berufskollegs. Dahinter steht dieFrage nach der schulischen Herkunft vor dem Besuch des Berufskollegs.Im Bereich der Ein- <strong>und</strong> Zweijährigen Berufsfachschule, der Höheren Handelsschulesowie <strong>im</strong> Wirtschaftsgymnasium kamen mehr als drei Viertel der Schüler direkt voneiner allgemeinbildenden Schule. Der vorherige Besuch von anderen Bildungsgängenan Berufskollegs, Praktika <strong>und</strong> sonstige Herkunftsformen spielt in diesen Bereichenkaum eine Rolle. Be<strong>im</strong> Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr unterscheidet sich das Herkunftsprofilzwischen den beiden betrachteten Berufskollegs. Am BK Herne gaben 83,3% der Berufsgr<strong>und</strong>schüleran, zuvor die allgemeinbildende Schule besucht zu haben, am Eduard-Spranger-BKin Gelsenkirchen waren es nur 65,2%. Ein größerer Teil der Schüler<strong>im</strong> Gelsenkirchener Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr hat zuvor bereits einen berufsvorbereitendenBildungsgang absolviert oder die Kategorie „Sonstiges“ angegeben. Ein ähnlichesHerkunftsprofil weist die Schülerschaft der Kaufmännischen Assistentenausbildungam BK Herne auf. Besondere Bedeutung kommt der Übergangsstruktur in die dualeAusbildung zu, also der Herkunft der Berufsschüler, weil sie Auskunft über etwaigeProbleme <strong>und</strong> Umwege zwischen dem Verlassen der allgemeinbildenden Schule <strong>und</strong>dem Beginn einer Berufsausbildung gibt (Abb. 17).Abb. 17: Übergangsstruktur in die Ausbildung – Letzte Station vor Beginn der Berufsschule.


32 Kapitel 2Nur ein Drittel der Berufsschüler hat einen direkten Übergang von einer allgemeinbildendenSchule in einen Beruf geschafft – gleichwohl stellen diese Schüler wie auchin den anderen Bildungsgangsformen die größte Gruppe. Wenn man den Wehr- <strong>und</strong>Zivildienst als Zwangspause berücksichtigt, dann bleiben <strong>im</strong>mer noch ungefähr 50%der Berufsschüler übrig, die vor Beginn ihrer dualen Berufsausbildung nicht eine allgemeinbildendeSchule besucht, sondern etwas anderes gemacht haben. Bemerkenswertist ferner die Tatsache, dass sich 10,7% bzw. 11,4% der Berufsschüler zuvor bereits ineiner Berufsaubildung befanden. Hierbei handelt es sich keineswegs ausschließlich umAbbrecher, sondern auch um Schüler, die ihre vorherige Ausbildung erfolgreich abgeschlossenhaben. Der direkte Übergang von einer allgemeinbildenden Schule in eineBerufsausbildung ist für die Mehrzahl der Auszubildenden nicht die Normalität gewesen.Vielmehr kennzeichnen Phasen der Qualifikationsverbesserung (Bildungsgängean Berufskollegs, Praktika) <strong>und</strong> der Umorientierung (z.B. Studienabbrecher) – häufigauch als Zwangspause – den Übergang in ein Ausbildungsverhältnis.Das Themenfeld Ausbildungsplatzsuche <strong>und</strong> Besuchsgründe fasst diejenigenFragen zusammen, die über den Umfang der Ausbildungsplatzsuche vor Aufnahmeeines Vollzeitbildungsgangs <strong>und</strong> die Gründe für die Wahl einer Bildungsgangsforminformieren. Dabei können verschiedene Wahlformen <strong>und</strong> Motivationstypen unterschiedenwerden.Die folgende Abbildung 18 zeigt den Anteil der Schüler, die in der Befragung angaben,vor Beginn ihres Vollzeitbildungsgangs einen Ausbildungsplatz gesucht zu haben.Der Umfang der Ausbildungsplatzsuche fällt zwischen den Bildungsgängen erwartungsgemäßsehr unterschiedlich aus. Im obersten Qualifikationssegment der beidenBerufskollegs, dem Wirtschaftsgymnasium, haben jeweils weniger als 20% der Schülerzuvor einen Ausbildungsplatz gesucht. Der Besuch des Wirtschaftsgymnasiums hängtsomit nur in geringem Maße mit verfehlten Ausbildungsplatzwünschen zusammen.Das entspricht auch dem Selbstverständnis dieser Bildungsgangsform als Qualifizie-Abb. 18: Ausbildungsplatzsuche vor Beginn eines Vollzeitbildungsgangs nach Bildungsgangsformen.


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 33rungsinstanz für den Zugang zu höheren Ausbildungsberufen <strong>und</strong> die Berechtigungzum Hochschulstudium. In der Höheren Handelsschule kann mit Werten um die 30%einem etwas größerem Teil der Schüler unterstellt werden, den Bildungsgang als Alternativezu einer erfolglosen Ausbildungsplatzsuche aufgenommen zu haben. Von denSchülern aus der Ein- <strong>und</strong> Zweijährigen Berufsfachschule <strong>und</strong> dem Berufsgr<strong>und</strong>schuljahrgaben mehr als 45% an, dass sie zuvor einen Ausbildungsplatz gesucht haben.Im Maßnahmenbereich waren es sogar 64,1%, wobei die Angebote der Maßnahmenklassenaber auch explizit auf die Qualifizierung von Jugendlichen ohne Ausbildungsstelleabzielen. Ein nicht erhaltener Ausbildungsplatz hängt also sehr häufig mit derAufnahme eines Bildungsgangs <strong>im</strong> unteren Qualifikationssegment der Berufskollegszusammen.Schüler, die vor demBesuch eines vollzeitschulischen Bildungsgangs sich aktiv umeinen Ausbildungsplatz bemüht haben, zeichnen sich durch folgende Merkmale aus: 14• in Deutschland geboren• niedriger bis mittlerer sozialer Status der Eltern• Sprache <strong>im</strong> Elternhaus gänzlich oder teilweise deutsch• Besuch der Hauptschule.Der Umfang der Ausbildungsplatzsuche vor Beginn eines Vollzeitbildungsgangs steht<strong>im</strong> Zusammenhang mit den Gründen <strong>und</strong> Motivationen der Jugendlichen einen Vollzeitbildungsgangaufzunehmen. Mit der direkten Frage nach den Besuchsgründenlässt sich dieser Zusammenhang zwischen Ausbildungsplatzsuche <strong>und</strong> Aufnahme einesVollzeitbildungsgangs zudem direkt überprüfen.Abb. 19: Besuchsgründe für Vollzeitbildungsgänge.Obige Abbildung 19 zeigt das Antwortverhalten der Schüler auf die Frage nach denBesuchsgründen der Vollzeitbildungsgänge. Auffällig ist zunächst, dass der gleichzeitigeErwerb eines höheren Schulabschlusses <strong>und</strong> beruflicher Kenntnisse den dominantenBesuchsgr<strong>und</strong> für die Aufnahme eines schulischen Bildungsangebotes an einem Berufskollegdarstellt. Zu dieser inhaltlich begründeten Wahl kommt bei den Bildungs-14 Siehe Fußnote 12


34 Kapitel 2gangsformen <strong>im</strong> unteren Qualifikationssegment der nicht erhaltene Ausbildungsplatzals pragmatischer Besuchsgr<strong>und</strong> hinzu. Es zeichnet sich eine Trennung zwischen denhöherwertigen Vollzeitbildungsgängen <strong>und</strong> dem Angebot <strong>im</strong> unteren Qualifikationssegmentder Berufskollegs ab, die auch ziemlich genau dem Antwortverhalten der zuvorbehandelten Frage zur Ausbildungsplatzsuche entspricht. Die Schüler des Wirtschaftsgymnasiums,der Höheren Handelsschule <strong>und</strong> der Kfm. Assistentenausbildunghaben sich eher bewusst <strong>und</strong> aus inhaltlichen Gründen für ihren Vollzeitbildungsgangentschieden. Die Schüler der Ein- <strong>und</strong> Zweijährigen Berufsfachschule sowie die Berufsgr<strong>und</strong>-<strong>und</strong> Maßnahmenschüler haben hingegen eher eine passive, pragmatischeBildungsgangswahl getroffen bzw. treffen müssen (Schule als Kompensation der Ausbildungskrise).Interessanterweise hat die Lage oder Erreichbarkeit der Schule fast überhaupt keinenEinfluss auf den Besuch eines vollzeitschulischen Bildungsgangs an einem Berufskolleg.Die anderen Gründe (Rat aus der Schule, Einfluss von Eltern oder Verwandten usw.)spielen ebenfalls nur vereinzelt eine Rolle.Die Auswertung der offenen Antwortkategorie Andere Gründe bestätigte die Unterscheidungder Bildungsgangswahl in bewusste bzw. inhaltliche Gründe auf der einen<strong>und</strong> pragmatische Gründe (Kompensation / Nicht-Wahl) auf der anderen Seite. Nachfolgendsind einige Nennungen als Beispiele für diese Unterscheidung aufgeführt:Bewusste bzw. inhaltliche Entscheidung für einen Bildungsgang• „Interesse an Fremdsprachen“• „Bessere Chancen auf dem Ausbildungsstellen- / Arbeitsmarkt“• „Mich interessiert Wirtschaft“• „Wunsch zu studieren“Pragmatische Entscheidung für einen Bildungsgang (Zwangsalternative / Nicht-Wahl)• „Damit ich etwas zu tun habe“• „Bin zu jung für meinen Ausbildungsberuf“• „Wollte noch nicht arbeiten“• „Misserfolg in einem anderen Bildungsgang“• „Wusste nicht, was ich sonst machen sollte“Die Beispiele machen deutlich, dass einige Schüler eine ganz bewusste, inhaltlich ausformulierteEntscheidung für den Besuch eines best<strong>im</strong>mten Bildungsgangs an einemBerufskolleg treffen, ihre Chancen abwägen oder z.T. auch konkrete Wünschen formulieren.Demgegenüber stehen Schüler, die nur aus pragmatischen Erwägungen einenBildungsgang besuchen oder letztlich sogar überhaupt keine aktive Bildungsgangswahlgetroffen haben. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sowohl die positiv als auch dienegativ konnotierten Nennungen alle von Schülern aus dem Wirtschaftsgymnasiumoder der Höheren Handelsschule, also dem höheren Qualifikationsbereich stammen.Offenbar spiegeln sich hier – wenn auch in vergleichsweise geringem Maße – die allgemeinenÜbergangs- bzw. Orientierungsprobleme der Berufskollegabsolventen wider.Bei den Besuchsgründen für Vollzeitbildungsgänge gibt es keine bedeutsamen sozio-demographischenGruppenunterschiede. Lediglich die ehemaligen Haupt- <strong>und</strong>Gesamtschüler gaben verstärkt an, zuvor keinen Ausbildungsplatz erhalten zu haben,


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 35Realschüler wollen hingegen eher einen höheren Schulabschluss <strong>und</strong> gleichzeitig beruflicheKenntnisse erwerben.Das Themenfeld Späteres Ziel / Erwartung beschäftigt sich mit dem angestrebtenWerdegang der Schüler in Vollzeitbildungsgängen. Die Frage „Welches spätere Zielverbinden Sie mit dem Besuch ihres jetzigen Vollzeitbildungsgangs“ gibt Aufschlussüber die persönliche Zielformulierung <strong>und</strong> Erwartungshaltung der Schüler. Die verschiedenenAntwortprofile zu dieser Frage sind der nachfolgenden Abbildung zu entnehmen.Abb. 20: Späteres Ziel bzw. Erwartungen an Vollzeitbildungsgänge.Der Besuch des Wirtschaftsgymnasiums wird – dem Selbstverständnis des Bildungsgangsentsprechend – überwiegend mit der späteren Studienmöglichkeit verb<strong>und</strong>en.Etwas mehr als 50% der Schüler gaben zudem an, dass sie mit dem Besuch des Wirtschaftsgymnasiums(auch) bessere Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatzverbinden. 15 Beide Optionen, Studium <strong>und</strong> Ausbildung, sind für Wirtschaftsgymnasiastenquasi als Ergebnis ihrer Qualifizierung erwartbar <strong>und</strong> stellen interdependente(Ziel-)Alternativen dar. In abgeschwächter Form zeigt sich dies auch in der HöherenHandelsschule, hier allerdings deutlich zu Gunsten der besseren Ausbildungsplatzchancen.Von den Schülern in der Kfm. Assistentenausbildung erhoffen sich 78,6%eine Festanstellung in dem erlernten Berufsfeld. Obwohl diese schulische Berufsausbildung(nach Landesrecht) letztlich zu einer solchen Festanstellung führen soll, sehen<strong>im</strong>merhin 28,6% der Schüler ihre Assistenzausbildung als Chancenverbesserung aufdem Lehrstellenmarkt. Aus diesem Bef<strong>und</strong> ergibt sich die Forderung nach Klärung, inwie weit schulische Berufsausbildungen eine direkte betriebliche Festanstellung rechtfertigenbzw. dafür die Befähigung vermitteln, ob für dieses Klientel überhaupt genügendfreie Stellen angeboten werden <strong>und</strong> ob eine schulische Berufsausbildung von15 Die Antwortkategorien dieser Frage wurden nachträglich zu Mehrfachantworten umcodiert, weil insbesonderedie besseren Ausbildungsplatzchancen mit der Studienmöglichkeit kombiniert wurden.


36 Kapitel 2den betreffenden Jugendlichen bewusst von vornherein als – <strong>im</strong> Vergleich zu anderenVollzeitbildungsgängen – adäquatere Vorqualifikation für eine betriebliche Ausbildunggewählt wird. In den Bildungsgängen des unteren Qualifikationssegments dominierenklar die besseren Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz als späteresZiel. Lediglich in der Einjährigen Berufsfachschule des Herner Berufskollegs spieltfür 22% der Schüler der Qualifikationserwerb für einen weiteren vollzeitschulischenBildungsgang an einem Berufskolleg eine nennenswerte Rolle. Da die Chancen aufeinen betrieblichen Ausbildungsplatz je nach Qualifikation, <strong>und</strong> damit zwischen denBildungsgangsformen, unterschiedlich verteilt sind, kann der Erhalt einer Lehrstelle<strong>im</strong> Anschluss an einen Vollzeitbildungsgang zwar von den Jugendlichen prinzipiell erwartet,in der Praxis aber nicht von jedem Jugendlichen realisiert werden.Es zeigen sich folgende Zusammenhänge mit sozio-demographischen Variablen:Schüler aus statushohem Elternhaus sowie Schüler mit guter Vorbildung verbindenden Besuch ihrer Vollzeitausbildung verstärkt mit dem Ziel der späteren Studienmöglichkeit.Schüler, deren Elternhaus einen niedrigen bis mittleren sozialen Status aufweist,aber auch Schüler, die in Deutschland geborenen sind, erhoffen sich eher bessereChancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz.Die Zufriedenheit am Berufskolleg verweist auf das persönliche Wohlbefinden derSchüler <strong>und</strong> unterliegt in besonderer Weise der subjektiven Einschätzung der Befragten,denn sie kann nicht unmittelbar mit objektiven Fakten in Zusammenhang gebrachtwerden. Abbildung 21 zeigt das Mittelwertprofil der einzelnen Bildungsgangsformenfür die Frage „Alles in allem – Wie zufrieden sind Sie momentan an Ihrem Berufskolleg“(Gesamtzufriedenheit).Abb. 21: Gesamtzufriedenheit am Berufskolleg - Mittelwertprofil.Die Gesamtzufriedenheit am Berufskolleg ist zwischen den Bildungsgängen unterschiedlichausgeprägt. An beiden Berufskollegs befinden sich <strong>im</strong> Vergleich zu denanderen Bildungsgangsformen <strong>im</strong> Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr die zufriedensten <strong>und</strong> in derZweijährigen Berufsfachschule die unzufriedensten Schüler. Ungefähr 75% der Berufsgr<strong>und</strong>schüleräußerten sich zufrieden (2) oder sogar sehr zufrieden (1). Hingegen gaben


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 37von den Schülern der Zweijährigen Berufsfachschule 50% eine mittlere Zufriedenheit(3) an <strong>und</strong> mehr als 20% sind unzufrieden (4 oder 5). Be<strong>im</strong> Wirtschaftgymnasium unterscheidensich die Berufskollegs voneinander, gleichwohl äußerte sich die deutlicheMehrheit der Wirtschaftsgymnasiasten an beiden Schulen zufrieden (2). Auffällig ist,dass die Schüler <strong>im</strong> Bereich der Berufsschule sowie in der Assistentenausbildung – denbeiden praxisnahsten Bildungsgangsformen – tendenziell etwas weniger zufrieden sindals in den meisten anderen Bildungsgängen. Die Angabe einer mittleren Zufriedenheit(3) ist hier besonders stark ausgeprägt. Es kann vermutet werden, dass der für dieseSchüler erfahrbare Unterschied zwischen schulischer <strong>und</strong> praktischer Arbeit Einflussauf die persönliche Zufriedenheit hat <strong>und</strong> sich zumindest in der Tendenz eher leicht zuungunsten der Schule niederschlägt.Neben der allgemeinen Gesamtzufriedenheit am Berufskolleg wurden auch siebenverschiedene Einzelkriterien abgefragt. Diese sind die Fachliche Qualifikation der Lehrer/-innen, die Vermittlung der Inhalte, das Kl<strong>im</strong>a zwischen Lehrer/-innen <strong>und</strong> Schüler/-innen,das Kl<strong>im</strong>a der Schüler/-innen untereinander, die Ausstattung mit neuen Technologien, dieSonstige Ausstattung mit Lern- <strong>und</strong> Lehrmaterial sowie die Praxisrelevanz. Für die Bewertungder Kriterien stand ebenfalls eine 5er-Skala zur Verfügung (von sehr gut bis sehrschlecht). Erstaunlicherweise entsprechen die Bewertungen der Einzelkriterien, trotzeiniger Verschiebungen <strong>und</strong> breiterer Niveauunterschiede 16 , insgesamt recht deutlichden zuvor erläuterten Bef<strong>und</strong>en zur Gesamtzufriedenheit. So bewerteten auch hier dieSchüler aus dem Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr die verschiedenen Kriterien tendenziell besser<strong>und</strong> die Schüler der Zweijährigen Berufsfachschule eher etwas schlechter als die Schüleranderer Bildungsgänge. Ebenfalls findet sich die Auffälligkeit einer eher zurückhaltenden,mittleren Beurteilung durch die Berufsschüler <strong>und</strong> Assistenten wieder. Bezüglichder Niveauunterschiede zeigt sich, dass die beiden Kriterien zum Kl<strong>im</strong>a marginal besserbewertet werden als die Kriterien zur Qualifikation <strong>und</strong> Lehrvermittlung. Gegenüberder Ausstattung <strong>und</strong> Praxisrelevanz werden die vorgenannten Kriterien (außer in derZweijährigen Berufsfachschule) aber erkennbar positiver beurteilt.Auf eine weitere Vertiefung der Ergebnisse zur Kriterienbewertung wird an dieserStelle verzichtet, gleichwohl bestehen vielfältige Differenzierungsmöglichkeiten. Unterschiedezwischen verschiedenen sozio-demographischen Teilgruppen liegen sowohlbei der Frage nach der Gesamtzufriedenheit am Berufskolleg als auch der Bewertungder Einzelkriterien nicht in nennenswerter Ausprägung vor. 17Dem letzten Themenfeld Persönliche Einschätzung der <strong>beruflichen</strong> Zukunft <strong>und</strong>allgemeine Zukunftsperspektiven kommt <strong>im</strong> Rahmen des Projekts besondere Bedeutungzu. Derartige Fragestellungen erfordern von den Schülern eine Auseinandersetzungmit den eigenen Zukunftsperspektiven <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen persönlichenZukunftsplanung. Zum Teil geben Einschätzungsfragen auch Hinweise auf die Erwartung,mitunter auch Anspruchserwartung, die die Schüler jetzt von den <strong>beruflichen</strong><strong>und</strong> persönlichen Verhältnissen in ihrer Zukunft haben. Sie stehen <strong>im</strong> Zusammenhangmit den weiter oben beschriebenen späteren Zielen, die mit dem Besuch best<strong>im</strong>mterBildungsgänge verb<strong>und</strong>en werden. Ferner können die subjektiven Zukunftseinschätzungender Schüler vor dem Hintergr<strong>und</strong> der objektiven Fakten, die einerseits durch16 Zwischen den Berufskollegs, den Bildungsgangsformen <strong>und</strong> hinsichtlich der Unterschiede zwischen den Kriterien.17 Für einige sozio-demographische Variablen werden signifikante Zusammenhänge bzw. Teilgruppenunterschiedeausgewiesen (z.B. be<strong>im</strong> Geschlecht), die aber <strong>im</strong> Rahmen dieses Papiers nicht interpretiert werden.


38 Kapitel 2die persönlichen Voraussetzungen <strong>und</strong> andererseits durch die Anforderungen des Arbeitsmarktes<strong>und</strong> seiner Kapazitäten gekennzeichnet sind, betrachtet werden. Darauslässt sich der Grad der realistischen Einschätzung der eigenen Möglichkeiten <strong>und</strong> Arbeitsmarktperspektivenableiten. Aus einer normativ-hypothetischen Perspektive betrachtet,sind aufgr<strong>und</strong> der sozio-demographischen Bandbreite der Schülerschaft <strong>und</strong>der starken qualifikatorischen Segmentation der Bildungsgänge auch deutliche Differenzierungenbei den Einschätzungen erwartbar. Informationen über die Einschätzungslagehinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Schüler führen letztlich zu denErfordernissen der schulischen Qualifikationsvermittlung <strong>und</strong> Berufsvorbereitung anden Berufskollegs.Im Folgenden findet sich die Antwortübersicht für drei spezifische Fragen zur persönlichenEinschätzung der weiteren <strong>beruflichen</strong> Zukunft (Abb. 22). Die Mehrzahl derSchüler aus dem Wirtschaftsgymnasium schätzt den Wert des angestrebten Abschlussesauf dem Arbeitsmarkt, die persönliche Qualifikation für den Arbeitsmarkt <strong>und</strong> die zukünftigenVerdienstmöglichkeiten als gut ein. In allen anderen Bildungsgangsformengibt es eine deutliche Tendenz zur Mitte, d.h., die Schüler aus diesen Bereichen gabenzum großen Teil eine mittlere Einschätzung ab. Sie beurteilen ihre <strong>beruflichen</strong> Chancenalso insgesamt weniger gut als die Schüler <strong>im</strong> Bereich des Wirtschaftsgymnasiums.Da das Wirtschaftsgymnasium die Qualifikation zum Hochschulstudium, aber auchfür höherwertige Ausbildungsberufe vermittelt, eröffnen sich in letzter Konsequenzauch gute bzw. bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt <strong>und</strong> bei den Verdienstmöglichkeiten.Insofern ist die Kongruenz mit der überwiegend positiven Einschätzungder Kriterien zur <strong>beruflichen</strong> Zukunft für diese Gruppe inhaltlich erklärbar. Weiterhinwurde schon bei der Frage nach dem späteren Ziel bzw. der Erwartung, die die Schüleran ihren Vollzeitbildungsgang haben, durch die deutliche Aussprache für die Studienmöglichkeitder höhere Bildungs- <strong>und</strong> Karriereanspruch der Wirtschaftsgymnasiastenbekräftigt. 18 Bei den Berufsschülern hingegen ist auffällig, dass <strong>im</strong>merhin 18,4% (BKHerne) bzw. 23,6% (BK Gelsenkirchen) die persönlichen Verdienstmöglichkeiten alsschlecht einschätzen. Die Berufsschüler haben durch die praktische Arbeit <strong>im</strong> Ausbildungsbetriebaber auch am ehesten den Einblick in die allgemeine Lohnentwicklung<strong>und</strong> die persönlich zu erwartenden Verdienstmöglichkeiten <strong>im</strong> jeweiligen Unternehmen<strong>und</strong> in ihrem Arbeitsbereich insgesamt. Im Maßnahmenbereich konnten (oderwollten) je nach Kriterium zwischen 7,1% <strong>und</strong> 12,5 % der Schüler keine Einschätzungabgeben <strong>und</strong> kreuzten die Kategorie „weiß nicht“ an. Abgesehen vom Wirtschaftsgymnasiumstellt die Ähnlichkeit der Antwortprofile (Dominanz der Mittelkategorie) inder oben beschriebenen normativ-hypothetischen Perspektive das eigentlich interessanteErgebnis dar. Dieses Antwortverhalten ist selbstverständlich legit<strong>im</strong> <strong>und</strong> vor demHintergr<strong>und</strong> gruppenspezifischer Einschätzungsmodi <strong>und</strong> Bewertungsmaßstäbe nachvollziehbar,weil die Schüler offenbar keine Referenzbewertung gegenüber anderen Bildungsgängen<strong>und</strong> Abschlüssen vornehmen. Gleichwohl konkurrieren sie später abermit höchst unterschiedlichen qualifikatorischen <strong>und</strong> persönlichen Voraussetzungenauf einem gemeinsamen Lehrstellenmarkt. Genau hier entsteht die Problematik, wennman bedenkt, dass den subjektiven Einschätzungen eine andere objektive Situation18 In einer zusätzlichen Frage wurde zudem direkt danach gefragt, ob die Schüler sich gr<strong>und</strong>sätzlich vorstellenkönnen später noch zu studieren. Die Auswertung dieser Frage ergab für die Wirtschaftsgymnasiasten eineeindeutige Übereinst<strong>im</strong>mung mit der Beantwortung der Frage nach dem späteren Ziel.


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 39Abb. 22: Persönliche Einschätzung verschiedener Kriterien für die weitere berufliche Zukunft in denBildungsgangsformen.


40 Kapitel 2gegenübersteht. 19 Die subjektiven Einschätzungen entsprechen nicht der empirisch beschreibbarenArbeitsmarktlage.Im Rahmen dieses Themenfeldes wurde auch die Umzugsbereitschaft für eine Arbeitsstellemittels einer einfachen Zust<strong>im</strong>mungsfrage erhoben. In allen Bildungsgängensind mehr als die Hälfte der Schüler bereit für eine Arbeitsstelle auch weiter weg zuziehen. Mit Werten von über 75% zeigen sich die Schüler aus den beiden Wirtschaftsgymnasien<strong>und</strong> die Schüler aus der Kfm. Assistentenausbildung am BK Herne besondersumzugsbereit. Von den Schülern der Zweijährigen Berufsfachschule am BK Gelsenkirchen<strong>und</strong> den Schülern <strong>im</strong> Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr an beiden Berufskollegs sindca. 40%, bei den Herner Schülern in Maßnahmen sogar 46,5% nicht bereit, für eineArbeitsstelle einen Umzug in Kauf zu nehmen. Die Gruppe der Schüler mit Migrationshintergr<strong>und</strong>ist, unabhängig vom besuchten Bildungsgang, tendenziell eher bereitfür eine Arbeitsstelle auch weiter weg zu ziehen. Die Bereitschaft zur Arbeitsmobilitätkann insgesamt als recht gut bezeichnet werden.Abschließend sollten die Schüler noch eine allgemeine Einschätzung ihrer Zukunftsaussichtennach Abschluss des Bildungsgangs geben. Die Ergebnisse werden nachfolgendwieder in zusammenfassender Form als Mittelwertprofil gezeigt.Abb. 23: Allgemeine Zukunftsaussichten nach Abschluss des Bildungsgangs - Mittelwertprofil.Auch wenn die allgemeinen Zukunftsaussichten <strong>im</strong> Bereich des Wirtschaftsgymnasiumsmarginal besser als in anderen Bildungsgangsformen bewertet werden <strong>und</strong> obwohlzwischen den Berufskollegs sichtbare Disparitäten bestehen, ist besonders auffällig,dass das Einschätzungsprofil zu den persönlichen Zukunftsaussichten in allenBildungsgangsformen jedoch insgesamt wieder recht ähnlich ausfällt. Wie zuvor beiden Kriterien zur <strong>beruflichen</strong> Zukunft besteht auch hier eine sehr deutliche Häufung19 Die verschiedenen Abschlüsse der Bildungsgänge haben faktisch einen völlig unterschiedlichen Wert auf demArbeitsmarkt <strong>und</strong> eröffnen damit auch unterschiedliche Karrierechancen <strong>und</strong> Verdienstmöglichkeiten. Vgl.hierzu auch das Kapitel „Bildungsprofile <strong>im</strong> dualen Ausbildungssystem“ in Harney / Hartkopf (2006). Hierwurde die Eingangsqualifikation der Schüler <strong>im</strong> dualen Ausbildungssystem untersucht. Diese gibt Aufschlussüber die Rekrutierungs- bzw. Auswahlpraxis der Unternehmen. Es besteht eine starke qualifikatorische Segmentationder Ausbildungsberufe. Für best<strong>im</strong>mte höhere Berufe kann gar von einer festen Zugangs- oderMindestqualifikation gesprochen werden.


<strong>Sozialstruktur</strong>, Schullaufbahn <strong>und</strong> Bildungsperspektiven 41von Werten, allerdings nicht mit einer ganz so eindeutigen Tendenz zur Mitte. DieSchüler haben zum Großteil eine Einschätzung <strong>im</strong> Bereich 2 bis 3 abgegeben, sodassauch die Mittelwerte in diesem Bereich pendeln. Extreme Einschätzungen sind nurvereinzelt aufgetreten. Die kaum vorhandene Differenzierung bzw. Gleichförmigkeitder Einschätzungen zwischen den Bildungsgangsformen verdeutlicht noch einmal dieausgeprägte Binnensicht in den einzelnen Bildungsgängen. In einer objektivierten,gleichsam normativen Außenperspektive kann man von Fehleinschätzungen, insbesondere<strong>im</strong> Bereich der Maßnahmen <strong>und</strong> des BGJ, sprechen. Allerdings muss konstatiertwerden, dass die Beantwortung von derartigen Einschätzungsfragen, die häufig durchNicht-Abweichung von Mainstream- oder Durchschnittsvorstellungen, unzureichendeKenntnis oder mangelnde Auseinandersetzung mit dem realen Umfeld <strong>und</strong> den eigenenMöglichkeiten sowie latenten Hoffnungen geprägt sind, letztlich sehr häufig zu„schwammigen“ Ergebnissen führen – auch wenn in der Realität für best<strong>im</strong>mte Gruppen,aber auch Einzelfälle, unterschiedlich positive bzw. negative Folgen, in diesem FallBerufschancen <strong>und</strong> Zukunftsperspektiven, vermutet werden können oder diese gar <strong>im</strong>statistischen Sinne erwartbar sind.Kaum Unterschiede bei der persönlichen Einschätzung der <strong>beruflichen</strong> Zukunft<strong>und</strong> der allgemeinen Zukunftsperspektiven finden sich auch bei einer nach sozio-demographischenTeilgruppen differenzierten Betrachtungsweise. Dieser Bef<strong>und</strong> verweistebenfalls deutlich auf das Spannungsfeld zwischen subjektiver Einschätzung <strong>und</strong> objektiverSachlage, wenn man beispielsweise bedenkt, dass Ausländer bzw. Migrantengegenüber Deutschen in vielfältiger Weise be<strong>im</strong> Übergang von der Schule in den Berufbenachteiligt sind, 20 aber beide Gruppen eine identische Einschätzung ihrer Chancen<strong>und</strong> Perspektiven vornehmen. Lediglich die Männer schätzen ihre persönlichen Zukunftsaussichtensowie Verdienstmöglichkeiten tendenziell etwas besser ein als Frauen.Mit steigendem sozialen Status des Elternhauses verbessert sich zudem auch recht deutlichdie Einschätzung der Verdienstmöglichkeiten. Andere signifikante Unterschiedeexistieren nicht.Die Auswertungsergebnisse haben gezeigt, dass sich die allgemeinen Arbeitsmarkt<strong>und</strong>Ausbildungsprobleme <strong>und</strong> die spezifischen Übergangsprobleme zwischen Schule<strong>und</strong> Beruf in den Antworten der Schüler widerspiegeln.Es gibt sowohl klare sozial als auch schulisch determinierte Trennungslinienzwischen einer eher aktiven <strong>und</strong> inhaltlich bewussten Bildungsgangswahl zurVerbesserung der eigenen Qualifikation oder einer eher pragmatischen, gar alsZwangsalternative anzusehenden Nutzung von Vollzeitzeitbildungsgängen. ImZusammenhang zwischen den Besuchsgründen, Bildungsgangszielen, Erwartungen<strong>und</strong> Einschätzungen der Perspektiven lässt sich eine Konsistenz bzw. Nachhaltigkeitdes bisherigen <strong>und</strong> angestrebten schulisch-<strong>beruflichen</strong> Lebensentwurfs nurbei wenigen Schülern erkennen. Perspektivlosigkeit, Nicht-Auseinandersetzungmit den eigenen Möglichkeiten, Unkenntnis <strong>und</strong> daraus resultierende Fehleinschätzungensind in allen Bereichen der Berufskollegs verbreitet.20 Vgl. hierzu auch die Auswertungen der Schulstatistik in 2.1. Empirische Evidenz für Benachteiligung vonAusländern liefert auch eine quantitative Studie von Seibert <strong>und</strong> Solga (2005) zu den Ausbildungs- <strong>und</strong>Arbeitsmarktchancen von ausländischen jungen Menschen.


42 Kapitel 2Somit schließen die Bef<strong>und</strong>e aus den Befragungen z.T. auch an die Erkenntnisse deroffiziellen Statistik an, zeigen aber zusätzlich, dass eine Individualbetrachtung wertvolleInformationen aus Sicht der Schülerklientel für die Evaluation <strong>und</strong> Anpassung vonBildungsgängen sowie von Beratungs- <strong>und</strong> Unterstützungsleistungen liefert.


433. Berufskollegs zwischen Exklusion <strong>und</strong> Inklusion:Zentrale Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> HandlungsfolgenBerufskollegs <strong>im</strong> Ruhrgebiet integrieren bedingt durch ihre innere Differenzierung wieauch durch die bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr reichende Teilzeitberufsschulpflichtein breites Spektrum von Schülermilieus. Im Unterschied zu den Gymnasienstellen Berufskollegs deshalb das inklusive Segment in der Sek<strong>und</strong>arstufe II dar.Weder die Bildungsherkunft noch der Bildungserfolg entscheiden über den Zugang,was den Kollegs eine den Gesamtschulen vergleichbare Funktion <strong>im</strong> Bildungssystemgibt. Der Gesamtschulcharakter manifestiert sich empirisch in der Unterschiedlichkeitder Vorbildung, der Bildungsperspektiven <strong>und</strong> der sozio-demographischen Merkmale,die die Absolventen aufweisen. Das herausragende Ergebnis ist zunächst einmal dieVerbindung, die man zwischen dem inklusiven Zugang zu den Berufskollegs (Gesamtschulcharakter)<strong>und</strong> dem hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergr<strong>und</strong> erkennenkann. Beide Berufskollegs (BK Herne <strong>und</strong> Eduard-Spranger-BK Gelsenkirchen)nehmen eine Schlüsselstellung für die <strong>Bildungsbeteiligung</strong> von Migranten in den jeweiligenEinzugsbereichen ein. Hierzu noch einmal die wichtigsten Daten: Fast jeder zweiteSchüler entstammt einer Familie mit Migrationshintergr<strong>und</strong>. 1 Jeder fünfte Schülergibt an, dass <strong>im</strong> Elternhaus Deutsch als Umgangssprache keine Verwendung findet.Gleichzeitig fiel – wie die Daten des LDS für die Berufskollegs in NRW, <strong>im</strong> Ruhrgebiet<strong>und</strong> <strong>im</strong> Kreis Recklinghausen zeigen – der Anteil an Neuzugängen in die dualen Fachklassennach 2000 unter den in die Berufskollegs eintretenden ausländischen Jugendlichensehr viel deutlicher ab als bei den deutschen Jugendlichen. Gerade die Tatsache,dass sich ein Teil der „eigentlich“ ausländischen Jugendlichen in der Gruppe der nachneuem Recht eingebürgerten Deutschen findet, weist auf die Exklusionsproblematikhin: denn auch bei den deutschen Neuzugängen ist der Anteil derer, die in die dualenFachklassen eintreten, rückläufig gewesen. Man kann darüber hinaus annehmen, dasssich innerhalb der Absolventen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> die Gruppe der Eingebürgertenvon der der Nicht-Eingebürgerten zwar <strong>im</strong> Hinblick auf die besondere Kennzeichnungals nicht eingebürgerte Ausländer unterscheidet, dass sie aber ansonsten dengleichen Mechanismen der Bildungsauslese <strong>und</strong> Chancenzuteilung ausgesetzt sind: amVergleich der beiden Gruppen sieht man nämlich, dass die jeweilige Verteilung aufdie Bildungsgänge kovariiert. D.h.: Ist der Anteil von Passausländern <strong>im</strong> jeweiligenBildungsgang hoch oder niedrig, dann gilt das auch für Absolventen mit Migrationshintergr<strong>und</strong>insgesamt. Infolgedessen unterschätzt der Ausländer- den Migrantenanteilzwar beträchtlich, da er in den beiden Berufskollegs um ca. 30%-Punkte niedrigerliegt. Unter Verteilungsgesichtspunkten ist er dennoch ein brauchbarer Indikator. ImKreis Recklinghausen – so zeigen es die LDS Daten – hat die Hälfte der ausländischenAbsolventen entweder keinen Schulabschluss oder den Hauptschulabschluss. Dass deraus diesem Verteilungsmechanismus resultierende überproportionale Anteil von Absolventenaus Migrantenfamilien in den berufsvorbereitenden Bildungsgängen auch einesozialräumliche D<strong>im</strong>ension haben kann, zeigen die Herner Daten: Unter dem Aspekt1 Zum Vergleich: Eine Studie des BIBB aus dem Jahr 2003/04 (vgl. BMBF (2006), S. 234/235) gibt bei Lehrstellenbewerbungenfolgende Verteilung an: 23% Migrationshintergr<strong>und</strong>, 7% ausländische Staatsbürgerschaft,10% Aussiedler. Die für die Berufskollegs angegeben Quoten von 45% bzw. 46% fassen diese Kategorien zusammen.2003 betrug b<strong>und</strong>esweit der Anteil von Passausländern an Berufsschülern in den Fachklassen 4,1%,dagegen in dem kompensatorischen Bereich der Berufsvorbereitung/Berufsgr<strong>und</strong>bildung 14,9%.


44 Kapitel 3des Ausländeranteils kann man spezifische Verflechtungen der Absolventen des untersuchtenBerufskollegs mit den sozialräumlichen Strukturen des Herner Stadtgebietserkennen. Die Konzentration des Ausländeranteils auf best<strong>im</strong>mte Stadtteile greift <strong>im</strong>Sinne eines Kollektivmerkmals auf das Profil der Absolventen über. Die räumliche trittder sozialen Kollektivierung hinzu.Die Segmentierungen orientieren sich am Anerkennungspr<strong>im</strong>at des Ausbildungsberufs(s. Einleitung), der aufgr<strong>und</strong> der betrieblich gesteuerten Auswahl der Auszubildendenschon institutionell für eine Entkollektivierung der räumlichen Zuordnungder Absolventen in den Fachklassen der Teilzeitberufschule sorgt. Die zentrale Stellungdes Ausbildungsberufs erweist sich <strong>im</strong> Unterschied zu den schulischen Bildungsgängender Berufsorientierung <strong>und</strong> Berufsvorbereitung für Migranten generell als Inklusionsschwelleinnerhalb der Übergänge, die das berufliche Schul- <strong>und</strong> Ausbildungssystembereitstellt. 2 Die Erlangung eines höherwertigen Schulabschlusses zahlt sich allgemeinfür Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong> weniger aus als für deutsche Jugendliche.Auch für ältere Lehrstellenbewerber sind die Chancen deutlich schlechter: Einer 2001durchgeführten BIBB Untersuchung zufolge mündeten 9% der über 20 Jahre altenlehrstellensuchenden männlichen <strong>und</strong> weiblichen Ausländer <strong>und</strong> Aussiedler in einebetriebliche Ausbildung ein – <strong>im</strong> Unterschied zu 41% bei den Deutschen. 3 Vor diesemHintergr<strong>und</strong> ist die reversible <strong>Bildungsbeteiligung</strong> der Absolventen der beiden Berufskollegseinzuschätzen: Es ist nicht mehr ohne weiteres üblich, direkt nach der Beendigungder Sek<strong>und</strong>arstufe I in ein Ausbildungsverhältnis einzutreten. Ein nennenswerterAnteil der Schulabgänger besucht zunächst die vollzeitschulischen Bildungsgänge, die– in dieser Hinsicht der reversiblen <strong>Bildungsbeteiligung</strong> <strong>im</strong> Zweiten Bildungsweg vergleichbar– die Möglichkeit der Aufbesserung des Schulabschlussniveaus anbieten <strong>und</strong>damit die Inklusion vorbildungsheterogener Adressaten einer erneuten Hierarchisierung<strong>und</strong> Chancenzuweisung unterziehen. Der Grenznutzen dieser Wiederherstellungder Schullaufbahn ist dann aber für Absolventen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> deutlichniedriger als für Absolventen ohne Migrationshintergr<strong>und</strong>.Die auf reversible <strong>Bildungsbeteiligung</strong> gerichtete inklusive Gesamtschulfunktionder Berufskollegs wird durch Hierarchisierung nach innen hin ausgeglichen. Eskommt zu einer Art Streaming der Absolventengruppen, wobei die Bildungsgänge dieAufgabe der Niveaudifferenzierung übernehmen. Dadurch wird die Funktion der <strong>beruflichen</strong>Gr<strong>und</strong>bildung <strong>und</strong> der <strong>beruflichen</strong> Ausbildung mit der Laufbahnfunktiondes allgemeinbildenden <strong>Schulsystem</strong>s vermischt. Auch die Daten des Dortm<strong>und</strong>er Bildungsberichtsbelegen eindrücklich den Zusammenhang von Streaming <strong>und</strong> Funktionsvermischung.4 Die inzwischen eingerichteten formalen Regelungen der Zugängezu <strong>und</strong> der Abschlüsse an Bildungsgängen tragen dieser Vermischung Rechnung. 5 DieBerufsfachschule ist die Schule der Realschulabsolventen (bzw. der Inhaber der Fachoberschulreife),das Berufsgr<strong>und</strong>schuljahr die Schule der Hauptschulabsolventen, derMaßnahmebereich die Schule für die Absolventen ohne Abschluss. Man sieht an denErgebnissen der Befragung, dass dem Streaming durch die Bildungsgänge nicht nursozio-demographische, sondern auch sozialisatorische Bedeutung zukommt: die zu-2 Vgl. Konietzka (2007); Diefenbach (2007)3 Vgl. Troltsch / Ulrich (2003), S. 1828f.4 Vgl. Stadt Dortm<strong>und</strong> (2008)5 Im Anhang befindet sich eine Übersicht der Bildungsgänge an Berufskollegs in NRW (Aufnahmevoraussetzungen<strong>und</strong> Abschlussmöglichkeiten).


Berufskollegs zwischen Exklusion <strong>und</strong> Inklusion 45kunftsbezogenen Selbstbilder der Absolventen weisen eine bildungsgangtypische Verteilungauf. Gebrochen wird das Profil der Bildungsgänge durch das Profil der Berufskollegsselbst, die eine nicht offizialisierte latente Arbeitsteilung unterhalten zwischenProfilen eher für Jugendliche mit elementarem Förderungsbedarf bis hin zu solchen fürJugendliche, die am gehobenen Ausbildungssegment bzw. an der durch die HöherenBerufsfachschulen gebildeten gymnasialen Oberstufe orientiert sind.Generell müssen die Berufskollegs heute historisch geerbte Ordnungsmuster <strong>und</strong>Traditionen der Klassifizierung wie z.B. die alte Unterscheidung von Berufschule,Berufsfachschule, Fachschule in den Zuwachs neuer Funktionen einsetzen. Darausresultiert ein chronischer Spannungszustand zwischen den offizialisierten Funktionszuweisungen<strong>und</strong> Benennungen einerseits <strong>und</strong> jenem dynamischen, zunächst nur inden lokalen Problemlagen <strong>und</strong> Strukturen greifbaren Zuwachs, der sich als latenteFunktionswahrnehmung in die organisatorischen Praktiken <strong>und</strong> organisationseigenenUmweltbeziehungen der Berufskollegs vor Ort notwendigerweise einnistet. M.a.W.:Das System der Berufskollegs muss seine Polyfunktionalität stets auch durch latenteFunktionswahrnehmungen abarbeiten, für die es keine offizialisierte Legit<strong>im</strong>ations<strong>und</strong>Steuerungssprache gibt. Dazu gehört der angesprochene praktische Umgang mitSprachproblemen, mit sozialräumlichen Verteilungsmustern der Schüler, mit der Warteschleifenthematik,mit der Aufrechterhaltung der abiturführenden Bildungsgänge,mit Schulzeiten <strong>und</strong> Prüfungen <strong>im</strong> dualen System, mit den empirischen Lerninteressen<strong>und</strong> Möglichkeiten der Schülerklientel usf..Obgleich es sich hierbei um ein allgemeines Phänomen komplexer Organisationenhandelt, wird man aufgr<strong>und</strong> der vorgelegten Daten <strong>und</strong> mit Blick auf die Traditionder <strong>beruflichen</strong> Schulen annehmen können, dass das Spannungsfeld zwischen offizialisierter<strong>und</strong> latenter Funktionalität in den Berufskollegs besonders starken Organisationsaufwandauslöst. Deshalb werfen die angesprochenen Fragen die generelle Fragenach der Reichweite der schultypischen Organisationsform selbst auf. Am Beispiel desZweiten Bildungswegs konnte in einer vergleichende Fallstudie gezeigt werden, dassdie auch für die Berufskollegs typische (latente) Funktion der reversiblen <strong>Bildungsbeteiligung</strong>auf der Gr<strong>und</strong>lage komplementärer organisatorischer Formen bearbeitbar ist:der Form der nach Lehrplänen, Klassen <strong>und</strong> dem bekannten Bürokratieaufbau gegliedertenSchule einerseits bzw. der Form des nach Programmen, Kursen <strong>und</strong> einer divisionaleninneren Organisationsstruktur gegliederten Bildungsträgers andererseits. 6 BeideOrganisationsformen eignen sich nicht für schlichte Empfehlungen in die eine oderandere Richtung. Man kann jedoch überlegen, inwieweit die Anpassung der Berufskollegsan Organisationsformen <strong>und</strong> organisationale Praktiken der Bildungsträger dieAnpassung des organisatorischen Prozesses an die Wahrnehmung latenter Funktionenerleichtert. Im Sinne der Implementation von Programmen ist es dann möglich, sichauf Sprachförderung, Berufsgr<strong>und</strong>bildung, Ausbildung, Kooperation mit Betriebenetc. adressatenspezifisch zu konzentrieren. Schon jetzt kann man ja erkennen, dass Berufskollegsdivisionale wie projektbezogene Organisationsformen <strong>im</strong>plementieren <strong>und</strong>die Einrichtung von Bildungsgängen die Handlungslogik der Programmplanung (<strong>und</strong>nicht mehr nur die der Befolgung eines staatlichen Bildungsauftrags) angenommenhat. Sinnvoll ist der Anschluss solcher Formen an ein über die Schulleitungen, über die6 Vgl. Harney / Herbrechter / Koch (2006).


46 Kapitel 3Schulämter, die Kammern <strong>und</strong> die Arbeitsagenturen gesteuertes Bildungsmonitoring,für das die vorgelegten Daten Beispiele liefern sollen.In professioneller Hinsicht muss man die Lehrerbildung, die Lehrerfortbildung <strong>und</strong>die projektgeb<strong>und</strong>ene Personalrekrutierung ins Auge fassen. Der Aufgabenbereich derBerufspädagogik hat sich auf Fragen der Alphabetisierung, der interkulturellen Arbeitmit jungen Erwachsenen, der Lernberatung, der Lerndiagnostik <strong>und</strong> des Übergangsmanagementsunterhalb der Ausbildungsschwelle ausgeweitet. Vor allem <strong>im</strong> Ruhrgebietsind es eher diese Fragen, die sich nunmehr in den Vordergr<strong>und</strong> schieben <strong>und</strong> denThemen der neunziger Jahre (Lernfeld, Handlungsorientierung) von heute aus gesehenden Charakter einer (allerdings nicht obsoleten) Tradition geben.


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Bildungsgänge an Berufskollegs in NRW –Aufnahmevoraussetzungen <strong>und</strong> AbschlüsseAnhang 49


50 Kapitel 4


Anhang 51


52 Kapitel 4


Anhang 53


54 Kapitel 4

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