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Domenik Heinen - Certamen Carolinum

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Ursprung des Phänomens befassen, welcher sich bei den Vorsokratikern überliefert findet.a) XenophanesXenophanes konstatiert in dem von mir betrachteten Textfragment, dass kein Mensch inder Lage sei, τὸ […] σαφὲς - das Genaue - zu betrachten. Er generalisiert diese Aussage,indem er behauptet, dass dies auch nie jemandem möglich war und auch niemals möglichsein wird. Selbst wenn jemand zu wahrer Erkenntnis gelange, so geschehe dies τύχοι- zufällig - , sodass kein Mensch fähig sei, bewusst Einsicht in die Qualität des wahrenSeins zu erhalten. Indem Xenophanes jegliche Erkenntnismöglichkeit kategorisch aus-schließt, ist er als Skeptiker zu bezeichnen. 1b) HeraklidFür Heraklid stellt das Denken das höchste aller Güter dar. Durch die menschliche Fähig-keit zu denken, bestehe die Option, das vom Menschen subjektiv Wahrgenommene zu re-flektieren und dadurch zu objektivieren, wodurch wahre Erkenntnis möglich sei. Zusätz-lich spricht der Vorsokratiker dem Sein keinen statischen, sondern einen dynamischenCharakter zu, sodass πάντα ῥεῖ - sich alles in einem stetigen Wandel befindet. Um sichdennoch wahres Wissen anzueignen, sei es notwendig, sowohl den Verstand als auch diesinnliche Wahrnehmung für den Erkenntnisprozess in Erwägung zu ziehen. Diesbezüglichhält er die gemeinsame Vernunft möglichst vieler Menschen für eine zuverlässige Art undWeise, die Beschaffenheit des Objekts zu erfassen. 2c) ParmenidesIn seinem Gedicht „Über die Natur“ erscheint dem lyrischen Ich eine Göttin, welche von drei unterschiedlichenWegen der Erkenntnis berichtet. Einer dieser Richtungen sei das nicht seiende als sei-1 Vgl. R. Arndt, (S.) 18f2 Vgl. R. Arndt, (S:) 4ff3


end anzusehen. Hierbei handelt es sich um den Weg der Lüge, da in diesem Fall der Mensch keinObjekt zu betrachten versucht; stattdessen stellt letzteres selbst nur einen Schein dar, der durch eineSinnestäuschung verursacht würde. Dieser Weg ist aussichtslos, indem jegliche Erkenntnismöglichkeitausgeschlossen ist, da das subjektiv Betrachtete bereits eine Unwahrheit darstellt.Ein weiterer Pfad seinen die βροτῶν δόξας – die Meinungen der Sterblichen. Dieser Wegentspricht im Wesentlichen Xenophanes' Konstatierung, dass die Menschen, wenn überhaupt,nur mittels eines Zufalls wahres Wissen erlangen können. Zwar geht es im Gegensatzzum Weg der Lüge in diesem Fall um das tatsächliche Objekt, welches zu betrachtengilt, jedoch ist es den subjektiven, von den Sinnen geprägten, menschlichen Meinungennicht aktiv möglich, das unverfälschte Sein zu erkennen. Folglich ist dieser Weg als riskantzu bezeichnen.Ein dritter Pfad ist der der Πειθοῦς – Überzeugung - , welcher als einziger gewiss zurἈληθείηι – Wahrheit - , führt. Hierbei wird das subjektiv Wahrgenommene mittels desVerstandes hinterfragt, sodass das echte Sein zu erkennen ist. Dieser Weg ist also der einzige,welcher mit Sicherheit zielführend ist. 3d) ProtagorasSchließlich möchte ich noch den berühmten Homo–mensura-Satz des Sophisten Protagorasanführen. Er besagt, dass der Mensch πάντων χρημάτων μέτρον – Maß aller Dinge – ist.Dieser Ansicht nach ist das objektive Sein gleichzusetzen mit den subjektiven Meinungen der Menschen,sodass überhaupt keine Diskrepanz zwischen Subjekt und Objekt bestünde. Folglich ist dieseHaltung des Protagoras als Sensualismus und Subjektivismus zu bezeichnen.III. Einbezug von Platons Ideenlehre in den Gesamtzusammenhang der FragestellungNun möchte ich die Ideenlehre Platons in den Gesamtzusammenhang der Problematikmiteinbeziehen. In seinem Höhlengleichnis veranschaulicht dieser, dass Voraussetzung für3 Vgl. R. Arndt, (S.) 19ff4


die Erlangung von wahrem Wissen sein muss, sich seines Verstandes zu bedienen, seinemEros entgegenzuwirken und seine eigene Wahrnehmung als Schein zu begreifen. Wer sichauf diese Weise mental befreit hat, ist in der Lage, die sogenannten Ideen des Guten zu erfassen.Diese sind nicht gleichzusetzen mit dem wahren Objekt, jedoch bieten sie zumindesteine Vorstellung von seiner realen Qualität. 4 Vollends überwunden werden kann dieSubjekt-Objekt-Spaltung laut Platon im irdischen Zustand aber nicht.IV. Die Subjekt-Objekt-Spaltung in der Renaissance/Aufklärung: ein kurzerÜberblickCharakteristisch für die Epochen der Aufklärung und der Renaissance ist das Aufgreifenantiken Gedankenguts. Vor allem die vorgestellten Aussagen der Vorsokratiker und Platonssind von fundamentaler Bedeutung für die Entwicklung des Rationalismus und desEmpirismus, welche das mentale Fundament unserer heutigen Kultur darstellen.Für die Empiristen, zu denen zum Beispiel John Locke zählt, stellt die sinnliche Wahrnehmungdie einzige verlässliche Erkenntnismöglichkeit dar, sodass der Mensch als „leere Tafel“zur Welt kommt, welche graduell mittels der Sinne und der damit verbundenen Erfahrungenmit Inhalt gefüllt wird. 5 Dieser Ansicht steht der Rationalismus konträr gegenüber,laut dem die Benutzung des menschlichen Verstandes für den Erkenntnisprozess von fundamentalerBedeutung ist. Hieran zeigt sich die Relevanz René Descartes' Aussage „Cogitoergo sum“ (Ich denke, also bin ich), die als „fundamentum inconcoussum“, als unbestreitbare Wahrheit,angesehen werden kann, auf deren Basis man sich wahres Wissen aneignen kann. 6V. Ein eigener Ansatz zur Überwindung der ProblematikIm folgenden Abschnitt stelle ich einen eigenen Versuch zur Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung vor, den ich unter Berücksichtigung der bisher angeeigneten Kenntnisse4 Vgl. L. Aßmann u.a. (Hg.), (S.) 16ff5 Vgl. L. Aßmann u.a. (Hg.), (S.) 47ff6 Vgl. L. Aßmann u.a. (Hg.), (S.) 35ff5


anführe. Ausgangspunkt meiner Überlegungen stellt René Descartes' unbestreitbare Fest-stellung „Cogito ergo sum“ dar. Indem wir mit Gewissheit sagen können, dass wir in derLage sind zu denken, ist zumindest die Existenz einer Scheinwelt vorauszusetzen. Selbstwenn alles Wahrgenommene in Wirklichkeit gar nicht existiert, so ist unwiderlegbar, dassetwas nicht Existentes für die Sinnestäuschungen ursächlich sein muss. Nun sage ich, dassjeder Schein etwas real Seiendes als Ursache haben muss, genauso wie analog dazu jederSchatten ein Objekt als Erzeuger voraussetzt. Da aus dem Nichts auch nichts entstehenkann, muss dieses dem Schein ursächliche Sein ewig existiert haben. Jetzt beziehe ich michwieder auf René Descartes, der folgende Überlegung anstellt: Etwas ewig Existierendessetzt Vollkommenheit voraus, sodass es der Natur eines vollkommenen, unvergänglichenSeins entsprechen muss, seiner Schöpfung, den Menschen, reine Trugbilder zu erkennenzu geben. 7Wissen zu erlangen.Folglich ist anzunehmen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, wahresMein Gedanke ist, dass dem Versuch, wahre Erkenntnis über das Objekt zu erlangen, dieNotwendigkeit vorausgeht, sich selbst zu erkennen. Indem wir eine Schöpfung des ewigSeienden darstellen, muss jeder Mensch einen Teil dieses unvergänglichen Seins in sichtragen, der unabhängig ist von den von der Umwelt anerzogenen Charaktereigenschaften.Jenen Menschen, denen es gelingt, diesen Teil des Objektes, welcher sich jeglicher Eitelkeitentzieht, zu erkennen, bezeichne ich mit dem von Friedrich Nietzsche geprägten Terminusdes „Übermenschen“. Ich novelliere diesen Begriff, indem ich mit ihm den Übergangzwischen den subjektiv geprägten Menschen und dem objektiven, unvergänglichen Seindefiniere. Wenn es gelingt, zu wahrer Selbsterkenntnis zu gelangen und sich selbst als Teildes realen Objekts zu begreifen, so ist es möglich, dieses als dem objektivierten Subjektgleichgestellt zu erfassen. Folglich ist die Subjekt-Objekt-Spaltung überwunden.VI. FazitDie Problematik der Subjekt-Objekt-Spaltung ist von vielen Denkern in Erwägung gezo-7 http://www.1theolexamen.de/vorpr/philo/Erkennt.pdf6


gen worden. Bereits in der Antike sind die Grundströmungen der Erkenntnisprozesseüberliefert. Auf der einen Seite sind Skeptiker zu nennen, die die Möglichkeit der wahrenErkenntnis ausschließen. Auf der anderen Seite stehen Philosophen wie Platon, Heraklidund Parmenides, die die Benutzung des Verstandes als Voraussetzung für die Erlangungeines gesicherten Wissens annehmen. Die Überlegung des Protagoras, den Menschen alsMaß aller Dinge zu bezeichnen, fällt aus den üblichen Stellungnahmen zur Problematikheraus, und ist wegen der mangelnden Begründung nicht weiter in Erwägung zu ziehen.In der Antike und der Renaissance werden die grundsätzlichen Überlegungen der Antikewieder aufgegriffen. Der Rationalismus stellt hierbei eine Erweiterung des Empirismusdar, indem seine Lehre darlegt, dass das Denken unabhängig von den Sinnen geschiehtund daher als Grundlage zur wahren Erkenntnis angenommen werden kann. DieDiskrepanz zwischen Subjekt und Objekt kann überwunden werden, indem ersteres sichdurch wahre Erkenntnis als letzterem gleichgestellt zu begreifen fähig ist, wodurch unterdieser Voraussetzung bei zukünftigen Versuchen, wahres Wissen zu erlangen, keineVerfälschung des subjektiv Wahrgenommenen entsteht.VII. Die Problematik der Subjekt-Objekt-Spaltung in der heutigen Zeit:ein modernes Gedankenkonzept angelehnt an Platons Höhlengleichnis in dermedialen (Schein-) Gesellschaft des 21- JahrhundertsZum Abschluss meines Kurzvortrages möchte ich zwei Thesen aufstellen und diese an-hand einiger Fragen veranschaulichen.1. Die mediale (Schein-) Welt des 21. Jahrhunderts vergrößert die Spaltung von Sub-jekt und Objekt, indem das vom Menschen Betrachtete im Zuge von Pressezensur, Mas-senmanipulation oder weit verbreiteten sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitterselbst immer mehr einen Schein darstellt.2. Die Vielzahl an „schlechten“ Nachrichten dient den Menschen als Projektionsflächeihrer eigenen Ängste, um so dem unangenehmeren Weg der (Selbst-) Erkenntnis zu entge-7


hen.Da die Beweisführung dieser Thesen sich dem Rahmen dieses Vortrages entzöge, möchteich einige veranschaulichenden Fragen anführen, über die sich jeder einzelne selbst Ge-danken machen kann:Stellen die Nachrichten, welche zu einem großen Anteil aus „negativen“ Schlagzeilen bestehen,eine Projektionsfläche für die eigenen Ängste der Menschen dar?Hindern die Medien somit eine Auseinandersetzung mit sich selbst?Wollen die Menschen mit „schlechten“ Nachrichten konfrontiert werden, um so dem unangeneh-meren Weg der (Selbst-) Erkenntnis zu entgehen?Leben wir, wie Platon vor über 2000 Jahren feststellte, heute noch in „Höhlen“, die uns von unse-rer eigenen Freiheit fernhalten?Wurden die „Schatten“ an den „Höhlenwänden“ zu „Spiegeln“ unserer eigenen Ängste?Schützen sich die Menschen unbewusst davor, den steilen Ausgang aus den „Höhlen“ zu erklim-men und sich selbst und dadurch das wahre Sein zu erkennen?Warum lassen wir das Sein verblassen und den Schein allein unser aller Augen blenden?Um einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma anzudeuten, möchte ich diesen Vor-trag mit den beiden Worten beenden, mit denen ich ihn begonnen habe:Γνῶθι σαυτόν!8


V. Literaturangaben:Primärquellen1 Xenophanes VS 21 B 34καὶ τὸ μὲν οὖν σαφὲς οὔ τις ἀνὴρ ἴδεν οὐδέ τις ἔσταιεἰδὼς ἀμφὶ θεῶν τε καὶ ἅσσα λέγω περὶ πάντων·εἰ γὰρ καὶ τὰ μάλιστα τύχοι τετελεσμένον εἰπών,αὐτὸς ὅμως οὐκ οἶδε· δόκος δ' ἐπὶ πᾶσι τέτυκται.2 Parmenides VS 28 B1χρεὼ δέ σε πάντα πυθέσθαιἠμὲν ᾿Αληθείης εὐκυκλέος ἀτρεμὲς ἦτορἠδὲ βροτῶν δόξας, ταῖς οὐκ ἔνι πίστις ἀληθής.ἀλλ' ἔμπης καὶ ταῦτα μαθήσεαι, ὡς τὰ δοκοῦνταχρῆν δοκίμως εἶναι διὰ παντὸς πάντα περῶντα.3 Parmenides VS 28 B2/VS 28 B3εἰ δ' ἄγ' ἐγὼν ἐρέω, κόμισαι δὲ σὺ μῦθον ἀκούσας,αἵπερ ὁδοὶ μοῦναι διζήσιός εἰσι νοῆσαι·ἡ μὲν ὅπως ἔστιν τε καὶ ὡς οὐκ ἔστι μὴ εἶναι,Πειθοῦς ἐστι κέλευθος [Ἀληθείηι γὰρ ὀπηδεῖ],ἡ δ' ὡς οὐκ ἔστιν τε καὶ ὡς χρεών ἐστι μὴ εἶναι,τὴν δή τοι φράζω παναπευθέα ἔμμεν ἀταρπόν·οὔτε γὰρ ἂν γνοίης τό γε μὴ ἐὸν [οὐ γὰρ ἀνυστόν]οὔτε φράσαις· τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι. (VS28B3)4 Platon Tht. 152aφησὶ γάρ που “πάντων χρημάτων μέτρον” ἄνθρωπονεἶναι, “τῶν μὲν ὄντων ὡς ἔστι, τῶν δὲ μὴ ὄντων ὡς οὐκ ἔστιν.”9


SekundärliteraturARNDT, E. Das Verhältnis der Verstandeserkenntnis zur sinnlichen in der vorsokratischenPhilosophie. New York 1975.BECKERMANN, A. Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung in die Philosophie desGeistes. Paderborn 2008.BELLIGER, A. (Hg.) u.a. , Anthology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006.BORBE, T. (Hg.) Der Mensch-Subjekt und Objekt. Festschrift für Adam Schaff. Wien 1973.BOSTOCK, D. Plato's Theaetetus. Oxford 1988.ENGFER, H. Empirismus versus Rationalismus? Kritik eines philosophie-historischenSchemas. Paderborn 1996.HAGER, F. Gott und das Böse im antiken Platonismus. Amsterdam 1987.KANT, I. Kritik der reinen Vernunft. Darmstadt 1963.SCHULZE, M. (Hg.) u.a. , Zugänge zur Philosophie 1. Berlin 2004.SCHULZE, M. (Hg.) u.a. , Zugänge zur Philosophie 2. Berlin 2002.Internetquellenhttp://www.1theolexamen.de/vorpr/philo/Erkennt.pdf10

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