Müritz-Runde - Annika Müller
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TexT: AnnikA <strong>Müller</strong><br />
FoTos: Bernd JonkMAnns<br />
Irgendetwas stimmt hier nicht, denkt sich der Wanderer. Doch<br />
es dauert einen Moment, bis ihm bewusst wird, was hier im<br />
<strong>Müritz</strong>nationalpark anders ist als gewohnt. Es ist die Abwesenheit<br />
von Lärm: Kein Auto, kein Flugzeug, keine Bahn ist zu hören.<br />
Im <strong>Müritz</strong>nationalpark kann man auf einem Rundweg neun Tage<br />
lang in fast vollkommener Stille wandern. Fast – denn es kann<br />
vorkommen, dass plötzlich aus dem Schilf ein lauter, tiefer Röhrlaut<br />
erklingt. »Ein Moorochse!« Ranger Manfred Heldt freut sich und liefert<br />
sofort eine Erklärung: Hinter dem von Einheimischen »Moorochse«<br />
genannten Tier verbirgt sich kein Rindvieh, sondern ein unscheinbarer<br />
Reihervogel, die Rohrdommel. »Auf die Rückkehr der<br />
Rohrdommel sind wir hier besonders stolz«, sagt Heldt begeistert.<br />
Den in Europa stark gefährdeten Vogel bekomme man allerdings so<br />
gut wie nie zu Gesicht. Dafür hört man ihn – laut wie eine Hupe.<br />
Seit zwanzig Jahren ist Heldt bei der Nationalparkverwaltung angestellt.<br />
Doch das Gebiet östlich der <strong>Müritz</strong> mit seinen tiefen Wäldern,<br />
Mooren und rund 107 größeren Seen – es streiten sich die vermessenden<br />
Geister, was noch<br />
Tümpel und was schon See ist – ist<br />
Mit tiefem<br />
Röhren verrät<br />
ein »Moorochse«<br />
seinen<br />
Standort.<br />
ihm schon viel länger vertraut. Zu<br />
DDR-Zeiten hat er hier wie die meisten<br />
seiner rund 40 Rangerkollegen<br />
als Forstwirt gearbeitet. Als einen<br />
Monat vor dem Ende der DDR im<br />
Hauruck-Verfahren das Nationalpark-Programm<br />
beschlossen und<br />
gleich drei Nationalparks im Nordosten<br />
geschaffen wurden, wechselte<br />
er die Fronten: Statt in die Natur<br />
einzugreifen, schützt er den Wald. »Für beide Berufe muss man die<br />
Natur lieben. Sonst ist man im falschen Job«, erklärt Manni Heldt.<br />
In den Wäldern des Nationalparks folgen Tiere und Pflanzen dem<br />
Kreislauf von Werden, Wachsen und Vergehen, sind die Wege nahezu<br />
alle naturbelassen. Uralte Bäume bilden bizarre Formen, fast schon<br />
Skulpturen; Totholz bleibt einfach liegen, wird von Schwämmen zersetzt,<br />
von Pilzen bewachsen und Insekten zerfressen.<br />
»Eigentlich kommen Wanderer eher selten her«, erklärt Peter<br />
Heyde, Koordinator der Nationalparkranger und Manni Heldts Vorgesetzter.<br />
Bislang ist der 322 Quadratmeter große <strong>Müritz</strong>-Nationalpark<br />
vor allem ein beliebtes Ziel für Radfahrer. Dabei kann man die<br />
zarte Schönheit der Gegend, ihre Gerüche und Geräusche eigentlich<br />
nur im Schritttempo wahrnehmen. Wer genau hinsieht, entdeckt seltene<br />
Pflanzen wie Moosbeere, Fieberklee und Sumpfcalla. Tief geduckt<br />
wartet der rundblättrige Sonnentau auf Insekten, die er mit<br />
seinen klebrigen Drüsentakeln festhält und verdaut. Umgepflügte<br />
Erde verrät die Anwesenheit von Wildschweinen. Eine Ringelnatter<br />
windet sich elegant durchs Gras. Und mehr als dreihundert verschiedene<br />
Schmetterlinge, mindestens ebenso viele Libellen- und 250 Vo-<br />
gelarten soll es geben, dazu 107<br />
Arten von Laufkäfern, darunter<br />
zahlreiche stark gefährdete.<br />
Am intensivsten erlebt man<br />
den Nationalpark auf dem mit<br />
einem blauen M gekennzeichneten<br />
<strong>Müritz</strong>-Rundweg. Auf 163 Kilometern<br />
verbindet er die beiden<br />
Teile des Nationalparks, die Region<br />
am Ostufer der <strong>Müritz</strong> und<br />
den kleineren Teil um Serrahn,<br />
dessen uralte Buchenwälder<br />
jüngst als Unesco-Weltnaturerbe<br />
nominiert wurden.<br />
Der <strong>Müritz</strong>weg startet und endet<br />
in Waren – mit 23 000 Einwohnern<br />
das touristische Zentrum<br />
der Region. Jahrzehntelang<br />
ein Frachtschiffhafen, eine vergessene<br />
Stadt, deren gotische<br />
Giebelhäuser dem Verfall preisgegeben<br />
waren, wurde Waren an<br />
der <strong>Müritz</strong> nach der Wende aufwendig<br />
restauriert. Heute flanieren<br />
Touristen zwischen den Fachwerk-<br />
und Backsteinhäuschen;<br />
Speicherhallen dienen als Hotels.<br />
Der Name <strong>Müritz</strong> ist abgeleitet<br />
vom slawischen »Morcze«,<br />
was in etwa »Kleines Meer« bedeutet.<br />
Slawische Siedler haben<br />
im Mittelalter das zweitgrößte<br />
deutsche Binnengewässer so getauft.<br />
Tatsächlich hat man das Gefühl,<br />
am Meer zu wandern, wenn<br />
man dem <strong>Müritz</strong>weg entlang der<br />
Warener Hafen- und Strandpromenade<br />
folgt. Der Blick geht weit<br />
übers Wasser. Der Wind peitscht<br />
die Wellen hoch und setzt ihnen<br />
Gischtkronen auf, schaukelt die<br />
zahllosen Segel- und Hausboote.<br />
Rund 28 Kilometer lang und 13<br />
Kilometer breit ist die <strong>Müritz</strong> und<br />
wird nur vom Bodensee übertroffen<br />
– der, wie die Einheimischen<br />
spitzfindig feststellen, »ja aber<br />
nicht ganz in Deutschland liegt«.<br />
Kurz hinter Waren, die <strong>Müritz</strong><br />
im Rücken, taucht man ein in den<br />
dichten Wald des <strong>Müritz</strong>-Nationalparks.<br />
Schon vor dessen Errichtung<br />
war die Natur hier vielerorts<br />
sich selbst überlassen,<br />
blieben große Waldgebiete für die<br />
Allgemeinheit unzugänglich. Dazu<br />
gehört auch der ehemalige<br />
❯<br />
Truppenübungsplatz der Roten<br />
<strong>Müritz</strong>-<strong>Runde</strong><br />
In neun Tagen erkunden Wanderer<br />
dIe WeITen Wasserflächen<br />
Im mürITz-naTIonalpark.<br />
1. Tag: Waren–SchWarzenhof<br />
18 km, 4,5 h<br />
Vom Hafen in Waren über Hafen-<br />
und Strandpromenade entlang der<br />
<strong>Müritz</strong> bis zum Beobachtungspunkt<br />
Schnakenburg. Dann taucht man<br />
ein in den dichten Wald des <strong>Müritz</strong>-<br />
Nationalparks. Über den Warnker<br />
See zum Rederangsee. Hier rasten<br />
im Herbst und Frühjahr Kraniche.<br />
Dann weiter nach Schwarzenhof.<br />
2. Tag: Boeker Mühle<br />
17 km, 4,5 h<br />
Nach Südosten wandern, vorbei an<br />
Specker See und Hofsee ins Dorf<br />
Speck mit seiner neugotischen Kirche,<br />
dem Gutspark und der alten<br />
Schmiede. Weiter nach Süden zum<br />
Priesterbäker See. Nach noch etwa<br />
1,2 Kilometern lockt ein Abstecher<br />
zum Käflingsberg auf den 35 Meter<br />
hohen Aussichtsturm. Weiter in südwestlicher<br />
Richtung nach Boek und<br />
zum Ziel Feriendorf Boeker Mühle.<br />
3. Tag: nach WeSenBerg<br />
25 km, 6,5 h<br />
Zuerst zum Beobachtungspunkt bei<br />
Zartwitz: Hier jagen Seeadler. Weiter<br />
nach Babke, über Havelstein und<br />
Jäthensee nach Blankenförde. Über<br />
die Havel und in den Wald. Das<br />
West ufer des Krummen Sees führt<br />
nach Zwenzow. Südlich weiter zum<br />
Großen und Kleinen Labussee. Zum<br />
Etappenziel Wesenberg (Burg, gotische<br />
Feldsteinkirche, Musikinstrumenten-<br />
und Blechspielzeugmuseum)<br />
von der Route abzweigen.<br />
4. Tag: nach fürSTenSee<br />
22 km, 5,5 h<br />
Nach Klein und Groß Quassow wandern;<br />
Storchen-Info im Ortskern.<br />
Durch den Kalkbuchenwald des Naturschutzgebietes<br />
»Falkenhorst«<br />
nach Süden; evtl. Abstecher zur<br />
Wasservogelwarte am Tiefen Trebbower<br />
See. Entlang den Stendlitzwiesen<br />
nach Klein Trebbow, Fürstensee.<br />
5. Tag: fürSTenSee–carpin<br />
24 km, 6 h<br />
An Großem Fürstenseer See und<br />
Plasterinsee entlang zur Südspitze<br />
des Lutowsees; nach Herzwolde.<br />
Vorbei am Goldenbaumer Mühlenteich<br />
nach Norden, nordöstlich zur<br />
Steinmühle. Weiter nach Grünow mit<br />
seiner Feldsteinkirche (14. Jh.). Einkehr:<br />
Gutsdorf mit his torischer<br />
Schmiede. Etappenziel: Carpin.<br />
outdoor-magazin 31