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Die versteckten Moscheen in Hamburg… - Reinig, Joachim

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Plan -R- Architektenbüro Klaus <strong>Joachim</strong> Re<strong>in</strong>ig Helenenstr. 14 22765 Hamburg 040 241237 Fax 241238Seite 1Datum:22.11.2007Text Räume riskieren -<strong>Die</strong> <strong>versteckten</strong> <strong>Moscheen</strong> <strong>in</strong> HamburgÜberarbeitung für Publikation Kirche und StadtTitelVerfasserWo entsteht Geme<strong>in</strong>de?<strong>Die</strong> <strong>versteckten</strong> <strong>Moscheen</strong> <strong>in</strong> Hamburg<strong>Joachim</strong> Re<strong>in</strong>ig, Architekt<strong>Joachim</strong> Re<strong>in</strong>ig ist Freier Architekt <strong>in</strong> Hamburg (Plan -R- Architekten) plantGeme<strong>in</strong>schaftliche Wohnprojekte und arbeitet für Kirchen und <strong>Moscheen</strong>(z.Zt. Pastorat Friedenskirche, Sanierung Kirchenschiff Michel, Kirchenkatenfür Obdachlose, Umbau Geme<strong>in</strong>dezentrum Osdorfer Born). Er engagiert sichbei dem Aufbau von Genossenschaften und <strong>in</strong>termediärer Organisationen.Muslime <strong>in</strong> HamburgIn etwa 10 Jahren werden Hamburger Bürger im Alter bis 40 Jahre zur Hälfteaus dem Ausland stammen oder aus Familien mit e<strong>in</strong>emMigrationsh<strong>in</strong>tergrund. Ohne diese Zuwanderung hätte Deutschland am Endedieses Jahrhunderts anstatt 82 Millionen E<strong>in</strong>wohner nur noch 25 bis 30Millionen E<strong>in</strong>wohner(1).1999 gab es <strong>in</strong> Hamburg 270 000 Ausländer, davon ca. 130 000 aus Ländernmit islamischer Religion. Damit gibt es <strong>in</strong> Hamburg etwa soviel Muslime wiedeutsche Katholiken.Ich möchte Ihnen heute die Orte zeigen, an denen sich die Muslime treffenund unter welchen Bed<strong>in</strong>gungen sie ihre Religion ausüben. Ich habe dieseOrte als beratender Architekt kennengelernt. In St. Georg, wo ich wohne undarbeite, haben wir e<strong>in</strong>en Gesprächskreis <strong>in</strong>itiiert, der deutsche undausländische St. Georgianer zusammenführt und e<strong>in</strong>en direkten Dialogermöglicht, den „St.Georg-Dialog“.Auf diesem H<strong>in</strong>tergrund möchte ich auf die Frage zu sprechen kommen:„Integration oder Segregation?“ und was dies für die Orte bedeutet, diemuslimische Geme<strong>in</strong>schaften <strong>in</strong> unserer Stadt haben oder benötigen.Wo s<strong>in</strong>d Muslime <strong>in</strong> Hamburg sichtbar?E<strong>in</strong>er der ersten Gebetsräume für Muslime <strong>in</strong> Hamburg entstand Anfang der50er Jahre durch pakistanische Studenten an der Hamburger Universität. Imtheologischen Sem<strong>in</strong>ar stellten christliche Professoren ihren muslimischenStudenten e<strong>in</strong>en Raum zum Freitagsgebet zur Verfügung. <strong>Die</strong> Studentenkonnten bis dah<strong>in</strong> nur <strong>in</strong> der ältesten Moschee, der Ahmediya-Moschee <strong>in</strong> derWieckstraße <strong>in</strong> Stell<strong>in</strong>gen beten. (gebaut vom Architekten Knaak, e<strong>in</strong>deutscher Muslim, der später noch e<strong>in</strong>e Moschee <strong>in</strong> Frankfurt plante).Als der Bedarf größer wurde, zogen die muslimischen Studenten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>Gebäude <strong>in</strong> der Bornstraße 16a. Imam war der Deutsche Muslim MohammadAbdul Karim Grimm. E<strong>in</strong> Imam ist e<strong>in</strong> gewählter Vorbeter und Prediger, erwird nicht zentral e<strong>in</strong>gesetzt, sondern von der Geme<strong>in</strong>de bestimm .Er erzählt e<strong>in</strong>e bezeichnende Geschichte: Seit 1963 waren <strong>in</strong> Hamburg 3600Gastarbeiter aus der Türkei beim Deichbau beschäftigt. Zu dem Ith-Fest amEnde des Fastenmonats Ramadan 1964 suchten sie e<strong>in</strong>en Platz zum Betenund kamen zu dem kle<strong>in</strong>en Gebetsraum <strong>in</strong> der Bornstraße, der gerade 46Personen fasste. Es waren ungefähr 2500 Muslime, die schließlich ihre


2Jacken und Mäntel auf die Straße legten und ihr Gebet verrichteten. DerVerkehr war völlig blockiert und die Fahrbereitschaft der Polizei amPferdestall fragte nach den Verantwortlichen. Aber der E<strong>in</strong>satzleiter hattevolles Verständnis und bat lediglich darum, dass das nächste Mal rechtzeitigBescheid gegeben wird, so dass die Straße abgesperrt werden könne.Auf Initiative von iranischen Kaufleuten wurde 1961 der Grundste<strong>in</strong> gelegt fürdas Islamische Zentrum an der Schönen Aussicht. Es ist die e<strong>in</strong>zigerepräsentative Moschee <strong>in</strong> Hamburg und wurde geplant von den ArchitektenSchramm und Eligius <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit dem iranischen ArchitektenZargarpoor.Um die Moschee mit Leben zu füllen, wurden die muslimischen Studentenzum Freitagsgebet e<strong>in</strong>geladen und die Kaufleute stellten ihnen jeden Freitage<strong>in</strong>en Bus zur Verfügung.E<strong>in</strong>er dieser ehemaligen Studenten, der Urdu-Professor Mehdi Razvi hält <strong>in</strong>dieser Moschee seit 1975 e<strong>in</strong>en aufgeklärten Koranunterricht <strong>in</strong> deutscherSprache.Alle Imame an dieser Moschee hatten die Pflicht, erst e<strong>in</strong>mal die deutscheSprache zu erlernen. So war hier Imam (1978 bis 1980) der heutige iranischeStaatspräsident Chatami, der dem Reformflügel zugerechnet wird.Ganz anders verlief die Geschichte der türkischen Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Hamburg:1961 baute die DDR die Mauer zur Bundesrepublik und damit verschärftesich der Arbeitskräftemangel im Wirtschaftswunderland. Zehn Wochen nachdem 13.August wurde das deutsch-türkische Anwerbeabkommenunterzeichnet. Zwischen 1961 und 1973 forderten deutsche Unternehmenrund 740 000 Arbeitskräfte aus der Türkei an. (2) <strong>Die</strong> Menschen, die als„Gastarbeiter“ kamen, brachten (hauptsächlich nach dem Anwerbestopp1973) ihre Familien mit oder gründeten <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>e Familie. Heuteleben rund 2,5 Millionen türkische Migranten bei uns.Dass sie als „Arbeitskräfte auf Zeit“ kamen und viele sich selbst auch soverstanden, spiegelt sich <strong>in</strong> der Tatsache wieder, dass es <strong>in</strong> Hamburg bis1972 ke<strong>in</strong>en eigenen Gebetsraum für türkische Muslime gab. In e<strong>in</strong>emH<strong>in</strong>terhof <strong>in</strong> der Böckmannstraße wurde 1970 der erste Gebetsraume<strong>in</strong>gerichtet und zwei Jahre später e<strong>in</strong>e alte Badeanstalt schräg gegenübergekauft – die heutige Moschee Merkez Camii. 1990 wurde auf e<strong>in</strong>em Anbauauch zwei M<strong>in</strong>arette errichtet – gebaut von türkischen Arbeitern der Sitas-Werft.Alle anderen <strong>Moscheen</strong> und Gebetsräume <strong>in</strong> Hamburg liegen <strong>in</strong> H<strong>in</strong>terhöfen,Kellern, Garagen, Wohnhäusern, ehemalige Läden, <strong>in</strong> den Stadtteilen, <strong>in</strong>denen viele Migranten Wohnungen bekommen haben. Man muß genauh<strong>in</strong>sehen, um diese „<strong>Moscheen</strong>“ zu entdecken:Oftmals geben nur handgemalte Schilder H<strong>in</strong>weise zu diesen H<strong>in</strong>terräumen,Schilder, auf denen die Realität mit Bildern von <strong>Moscheen</strong> geschönt wird. <strong>Die</strong>- manchmal getrennten E<strong>in</strong>gänge nur für Frauen oder Männer - fallenhauptsächlich auf, wenn Freitags nachmittags zum Cuma (Freitagsgebet)viele Migranten auf den Bürgersteigen stehen.Deutsche gehen hier nicht here<strong>in</strong>, obwohl auch nicht-muslimische Gäste dieGebetsräume besuchen können (wenn sie die Schuhe ausziehen und sich wie<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sakralen Raum verhalten).


3<strong>Die</strong> African Muslim Association (AMA) bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ehemaligenTiefgarage unter e<strong>in</strong>em Häuserkomplex an der Adenauerallee, der abgerissenwerden soll. In der Adenauerallee 55 lesen wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>gang: Pak AalemeMasjid und Madrisa, (Masjid: Moschee, Madrisa:Schule)African Muslim Association <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Keller an der Adenauerallee, HamburgE<strong>in</strong>e Albanische Moschee, Mascid al nur-Moschee „Licht-Moschee“ liegt <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em ehemaligen Bürogebäude am Kle<strong>in</strong>en Pulverteich <strong>in</strong> der Tiefgarage,im gleichen Gebäude bef<strong>in</strong>det sich noch e<strong>in</strong>e Pakistanische Moschee.Am Kreuzweg neben „Arian Import-Export“ steht auf e<strong>in</strong>em handgemaltenSchild über e<strong>in</strong>er Durchfahrt Masjid al Guds („Heilige Moschee“), benanntnach der Heiligen Moschee, dem Felsendom <strong>in</strong> Jerusalem.<strong>Die</strong> Afganische Moschee <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denstraße erkennt man an e<strong>in</strong>er Moschee-Silhouette aus grüner Aufklebefolie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schaufensterladen.


4Am Ste<strong>in</strong>damm 47 ist die Vahdet Camii („Moschee der E<strong>in</strong>heit“).Derangeschlossene Supermarkt wirbt für Helal Et Pazari, (türkisch: der Bazar fürerlaubtes Fleisch) und bietet Müjde an (türkisch für „Überraschung-Sonderangebot“).Merkez Camii (Zentrale Moschee) <strong>in</strong> der Böckmannstraße, St. Georg, HamburgAm Nobistor 40 entstand im Jahr 2000 die Yeni Beyazit Camii <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emehemaligen Möbelgeschäft (Yeni Beyazit ist e<strong>in</strong> islamischer Mystiker, gest.874)H<strong>in</strong>ter dem Less<strong>in</strong>gtunnel ist an e<strong>in</strong>em Wohnhaus e<strong>in</strong> Schild mit derAufschrift Altona Hicret Camii („Hicret“: Auswanderung des Propheten vonMekka nach Med<strong>in</strong>a im Jahre 622 – Beg<strong>in</strong>n der islamischen Zeitrechnung).<strong>Die</strong> Ayasofya liegt im Vogelhüttendeich Wilhelmsburg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em rückwärtigenAnbau. (benannt nach der „Heilige Sophie-Moschee“ <strong>in</strong> Istanbul, e<strong>in</strong>eehemalige byzant<strong>in</strong>ische Kirche)


5Ohne jeden H<strong>in</strong>weis auf e<strong>in</strong>e Moschee s<strong>in</strong>d die Räume des TürkischenKulturvere<strong>in</strong>s Neugraben –Neuwiedenthal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ehemaligen Bäckerladen<strong>in</strong> der Neuwiedenthaler Straße. Hier haben sich moslemische Arbeiter vonBeiersdorf e<strong>in</strong>en Gebetsraum e<strong>in</strong>gerichtet. In F<strong>in</strong>kenwerder haben sich dietürkischen Arbeiter, die bei der DASA arbeiten, e<strong>in</strong>e ähnliche Moscheehergerichtet. Das Quartier <strong>in</strong> dem die Moschee liegt, wird im Volksmund„Kle<strong>in</strong> Istanbul“ genannt.In der Eiffestraße steht über e<strong>in</strong>em Lebensmittelladen auf e<strong>in</strong>em Schild „Ditip– türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion e.V.“ und im Hof bef<strong>in</strong>detsich die Mescid-i Aksa Camii.In e<strong>in</strong>em ehemals landwirtschaftlich geprägten Marschgebiet hat e<strong>in</strong>eirakische Geme<strong>in</strong>e das Wohnhaus Billbrookdeich 264 gekauft und nutzt es alsMoschee. Zunächst wurde e<strong>in</strong>e provisorische Treppe rückseitig angebaut füre<strong>in</strong>en Frauene<strong>in</strong>gang.In e<strong>in</strong>em Industriegebiet liegt die Bilal-Moschee e<strong>in</strong>er Afghanische Geme<strong>in</strong>de(Eft<strong>in</strong>gestraße 19 <strong>in</strong> Wandsbek).Auf den ersten Blick sehen diese <strong>Moscheen</strong> für uns sehr ähnlich aus, wennwir sie überhaupt erkennen. Beim genaueren H<strong>in</strong>sehen oder <strong>in</strong> denGesprächen mit den Nutzern stellt man aber fest, dass es sehrunterschiedliche Geme<strong>in</strong>den aus den verschiedensten Nationen s<strong>in</strong>d, die hierihre Treffen abhalten. Ähnlich wie <strong>in</strong> den christlichen Kirchen gibt es vieleOrganisationen und teilweise stark vone<strong>in</strong>ander abweichende Auffassungen.Der Koran kennt nur e<strong>in</strong>e Sprache, arabisch, die viele Gastarbeiter aber nichtverstehen, auch wenn die Gebete stets arabisch s<strong>in</strong>d. Häufig ist Deutsch diee<strong>in</strong>zige geme<strong>in</strong>same Sprache, um mit den Glaubensbrüdern andererNationen reden zu können.In Hamburg gibt es me<strong>in</strong>es Wissens heute folgende <strong>Moscheen</strong>:27 türkische / 3 Arabische / 2 Kurdische / 2 Afganische / 2 Pakistanische / 2Afrikanische / 1 Iranische / 1 Irakische / 1 Albanische / 1 Bosnische / 1Ahmedia - <strong>in</strong>sgesamt 43 <strong>Moscheen</strong>. H<strong>in</strong>zu kommen ca. 20 islamisch ges<strong>in</strong>nteVere<strong>in</strong>e. Im Hamburg gibt es zudem zahlreiche Aleviten, die grundsätzlichke<strong>in</strong>e <strong>Moscheen</strong> betreiben, sondern sich <strong>in</strong> Privatwohnungen (Cem-Häusern)treffen. Sie beziehen sich auf Ali, den Schwiegersohn und NeffenMohammeds und setzen sich für e<strong>in</strong>e zeitgemäße Interpretation des Koransund der Scharia e<strong>in</strong>. Sie betreten ke<strong>in</strong>e <strong>Moscheen</strong>, weil Ali <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Moscheeermordet wurde.„Kulturvere<strong>in</strong>“ steht für die unterschiedlichsten Aktivitäten, auch für nichtreligiöseTeestuben und sogar für Spiel- oder Zockerclubs, was oft e<strong>in</strong>allgeme<strong>in</strong>es Mißtrauen hervorruft. Woher der Begriff „Kulturvere<strong>in</strong>“ kommt istunklar. Ahmed Yazici von der Merkez Camii <strong>in</strong> Hamburg erklärt den Ursprungso: türkische Arbeiter <strong>in</strong> Lübeck, die sich als Vere<strong>in</strong> Anfang der 80er Jahreorganisieren wollten, um Räume anmieten zu können, fragten deutscheSozialdemokraten bei der Arbeiterwohlfahrt um Hilfe. <strong>Die</strong>se schrieben ihnene<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>ssatzung und nannten der Vere<strong>in</strong> „Kulturvere<strong>in</strong>“. Nacherfolgreicher Registrierung beim Amtsgericht wurden dann diese Satzungimmer wieder weitergereicht – und damit bürgerte sich auch dieser Begriffe<strong>in</strong>.<strong>Die</strong> türkischen <strong>Moscheen</strong> gehören unterschiedlichen Organisationen an:


6• 9 Ditip-<strong>Moscheen</strong> (Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion),<strong>Die</strong> Imame werden vom Türkischen Staat für jeweils 6 Jahre geschicktund auch vom türkischen Staat besoldet.• 9 BIG-<strong>Moscheen</strong> „Bündnis islamischer Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Norddeutschlande.V.• 8 <strong>Moscheen</strong> des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ)• 1 Moschee der Grauen Wölfe mit Nationalsozialistische Orientierung derTürk Föderation Ahmed-Yesewi-Moschee (alttürkischer Moslem)Holstenstraße/Max-Brauer-Allee• Kaplan („der Kalifenstaat“) hat <strong>in</strong> Hamburg ke<strong>in</strong>e organisierten Anhänger<strong>Die</strong> <strong>Moscheen</strong> und Gebetsräume bef<strong>in</strong>den sich vorwiegend <strong>in</strong> den Stadtteilen,<strong>in</strong> denen die Migranten wohnen, also im Zentrum von Altona, <strong>in</strong> Billstedt undHorn, Wilhelmsburg und Veddel, St. Pauli, Rahlstedt, <strong>in</strong> Jenfeld, im Zentrumvon Harburg, <strong>in</strong> Barmbek und St. Georg. In sechs größeren Stadtteilen habenMigranten e<strong>in</strong>en Anteil von über 30% der Bevölkerung.Der Gebetsraum – e<strong>in</strong> heiliger Raum?Der Prophet Mohammed kannte ke<strong>in</strong>e <strong>Moscheen</strong>. Gebetet wurde <strong>in</strong> denHäusern und Höfen, im Freien, unter schattigen Bäumen.Haben die Kirchen die symbolische Ostorientierung beim Kirchenbau, weil dierömischen Christen nach Osten <strong>in</strong> Richtung Jerusalem beteten, so haltenMuslime auf der ganzen Welt die Richtung zur Quibla e<strong>in</strong>, d.h. sie betenweltweit <strong>in</strong> unterschiedliche Himmelsrichtungen, aber immer <strong>in</strong> RichtungMekka.(In den ersten Jahren nach Mohammed haben sie auch <strong>in</strong> RichtungJerusalem gebetet und es gibt im Iran noch e<strong>in</strong>e Moschee mit diesen beidenGebetsrichtungen). E<strong>in</strong> wissentlicher Verstoß würde das Gebet ungültigwerden lassen. In Hamburg ist Quibla ziemlich genau im Südosten. In dieserRichtung liegt <strong>in</strong> allen <strong>Moscheen</strong> der Mihrab (Gebetsnische) und der Mimbar(Predigtkanzel) und die Teppichmuster oder L<strong>in</strong>ien geben den Gläubigen diegenaue Ausrichtung ihrer Niederwerfung beim Gebet an.Das islamische Gebet ist nur gültig, wenn es im Zustand der Re<strong>in</strong>heitausgeführt wird. Hierzu ist e<strong>in</strong>e rituelle Waschung erforderlich (türkisch:Abdes, arabisch: Wodu). Füße, Hände und Unterarme, Kopf und Nackenwerden mit Wasser bestrichen. Ist ke<strong>in</strong> frisches Wasser vorhanden oder kannes aus krankheitsgründen nicht benutzt werden, kann die rituelle Waschungauch trocken stattf<strong>in</strong>den – sie ist aber immer Voraussetzung zum Gebet.Auch die Haare sollten geschnitten se<strong>in</strong>, daher f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> vielen <strong>Moscheen</strong>Frisörstuben.Beim Gebet wirft sich der Gläubige mehrmals nieder und der Kopf berührtden Boden, daher ist der Gebetsraum immer e<strong>in</strong> sauberer Raum, der nurbarfuß oder mit Strümpfen betreten werden darf.Wird das Gebet anderswo verrichtet, wird e<strong>in</strong> Gebetsteppich oder e<strong>in</strong>Kleidungsstück untergelegt. <strong>Die</strong> Schiiten benutzen außerdem e<strong>in</strong>enGebetsste<strong>in</strong>, auf den der Kopf gelegt wird, als zusätzliche Sicherheit fürSauberkeit des Gebetsplatzes.<strong>Moscheen</strong> und Gebetsräume s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e „heiligen Räume“. Heilige Räume imIslam s<strong>in</strong>d nur die <strong>Moscheen</strong>, die Gedenkstätten und Gräber von berühmtenImamen und ihrer Familienangehörigen enthalten. Je nach Raumangebotkann <strong>in</strong> <strong>Moscheen</strong> auch geschlafen oder gegessen werden, allerd<strong>in</strong>gs darfnicht geraucht werden. Handlungen, Gespräche und Gedanken sollten jedoch


7dem Ort angepasst werden und auf Betende wird Rücksicht genommen (aberBesucher können viele <strong>Moscheen</strong> auch zu Gebetszeiten besichtigen).Wie <strong>in</strong> den jüdischen Tempeln f<strong>in</strong>den Frauen <strong>in</strong> den <strong>Moscheen</strong> ihren Platz aufEmporen oder h<strong>in</strong>ter Wandschirmen, oft zusammen mit den kle<strong>in</strong>erenK<strong>in</strong>dern. <strong>Die</strong> Sharia selbst erlaubt das Gebet <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em geme<strong>in</strong>samen Raum,nur sollen die Frauen h<strong>in</strong>ter den Männern beten (damit die Männer denFrauen bei der Niederwerfung nicht unter den Rock schauen und überhauptwürden die Frauen im ständigen Blickfeld die Männer zu sehr ablenken ). <strong>Die</strong>Imam Ali Moschee hat e<strong>in</strong>e Frauenempore, die Merkez Camii e<strong>in</strong>eFrauenetage, <strong>in</strong> die das Gebet über Lautsprecher übertragen wird. In denH<strong>in</strong>terhofmoscheen ist die Situation meist schlechter. Es s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e eigenenRäume für sie zum Gebet vorhanden oder sie s<strong>in</strong>d unbelichtet, schlechtbelüftet und die Zugänge s<strong>in</strong>d improvisiert.So kommt es, dass die Männer zum Freitagsgebet gehen und die Frauen sichzu Hause um die K<strong>in</strong>der kümmern. Allerd<strong>in</strong>gs treffen sich <strong>in</strong> vielen <strong>Moscheen</strong>die Frauen zu sozialen Aktivitäten, zum Reden, Handarbeiten und zumDeutschlernen. In der Moschee <strong>in</strong> der L<strong>in</strong>denstraße haben die Frauen e<strong>in</strong>enRaum mit selbst hergestellten Textilien, die sie verkaufen oder tauschen.<strong>Die</strong> Situation der Frauen im Islam ist e<strong>in</strong> eigenes Thema. Wir blicken mit denErfahrungen der europäischen Frauenemanzipation des 20.Jahrhunderts aufGesellschaftsformen, <strong>in</strong> denen das Patriarchat noch herrscht wie vielleicht beiuns im 19. Jahrhundert. <strong>Die</strong>s nur dem Islam zuzuschreiben ist historisch sehrkurz gefasst. Der Koran selbst def<strong>in</strong>iert konkrete Rechte der Frauen, über diedie Bibel sich noch ausschweigt. Hier ist noch viel gesellschaftlicheAufklärung und theologische Anpassungsarbeit erforderlich.Der Umgang mit den Plätzen für die Frauen ist e<strong>in</strong>e der spannendsten Fragenbeim Bau neuer <strong>Moscheen</strong> <strong>in</strong> Europa.Das Leben <strong>in</strong> den <strong>Moscheen</strong>In der Organisation der islamischen Geme<strong>in</strong>den ist e<strong>in</strong>e Moschee nicht nure<strong>in</strong> Ort zur Ausübung der Religion, sondern gleichzeitig Geme<strong>in</strong>dezentrummit vielfältigen Aktivitäten. Hier wird zusammen gegessen und die religiösenund privaten Feste gefeiert, es werden Menschen <strong>in</strong> Lebenskrisen undUmbruchsituationen beraten, Jugendliche und Erwachsene erhaltenUnterricht im Koran und <strong>in</strong> der arabischen Sprache, Schulk<strong>in</strong>der bekommenNachhilfeunterricht <strong>in</strong> deutscher Sprache, <strong>in</strong> ihrer Heimatsprache und <strong>in</strong>anderen Fächern. <strong>Die</strong> Migranten der ersten Generation, von denen viele nichtmehr als 300-400 deutsche Worte sprechen, erhalten Deutschunterricht. Den<strong>Moscheen</strong> angegliedert s<strong>in</strong>d oft Geschäfte zur Nahrungsversorgung,Buchläden, Reisebüros. <strong>Die</strong>se Geschäfte s<strong>in</strong>d neben Spenden (und demZakkat, der Spende für die Armen am Ende des Ramadan) die f<strong>in</strong>anzielleGrundlage für die Moscheeunterhaltung. Sie s<strong>in</strong>d für Nicht-Mulsimezugänglich, ebenso wie die Moscheeräume selbst.Koranschulen, <strong>in</strong> denen islamische Theologen ausgebildet werden, gibt es <strong>in</strong>Hamburg nicht.<strong>Die</strong> Teestuben und Restaurants s<strong>in</strong>d die Treffpunkte <strong>in</strong>sbesondere für dieälteren Männer, die pensioniert oder arbeitslos s<strong>in</strong>d.Es s<strong>in</strong>d die kulturellen Informationsbörsen, hier wird auch geme<strong>in</strong>sam überSatellit das heimatliche Fernsehen gesehen und kommentiert.


8E<strong>in</strong> zunehmendes Problem stellen islamische Bestattungen dar. Sie s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>Hamburg bisher nur auf gesonderten Grabfeldern auf dem Friedhof Öjendorfund Ohlsdorf möglich. Bisher fanden ca. 2000 Bestattungen statt, die übrigenVerstorbenen wurden <strong>in</strong> die Heimat zurückgebracht.Türken werden hier <strong>in</strong> Deutschland Muslime und Deutsche<strong>Die</strong> Entwicklung der <strong>Moscheen</strong> <strong>in</strong> Deutschland ist nicht zu trennen von derpolitischen Entwicklung <strong>in</strong> den Heimatländern, oftmals frühere Kolonieneuropäischer Länder.<strong>Die</strong> K<strong>in</strong>der der Eliten besuchten häufig die Schulen <strong>in</strong> Europa und wurdenhier weltanschaulich geprägt. In der postkolonialen Zeit bildeten sie diepolitische Führungsschicht, die jedoch mit den aus Europa übernommenensozialistischen oder demokratischen Systemen scheiterten. In den totalitärenRegimen, wie z.B. Ägypten, Syrien oder dem Irak und anderen arabischenLändern wurden politisch-religiöse Menschen verfolgt. <strong>Die</strong>se „Islamisten“forderten seit den 60er und 70er Jahren die Rückbes<strong>in</strong>nung auf die eigenenWerte. Nicht wenige mussten <strong>in</strong>s Exil flüchten – paradoxerweise oft nachEuropa, das ihnen Religionsfreiheit gewährt. Sie bildeten die Keimzellen undorganisatorischen Kerne für den Aufbau neuer Geme<strong>in</strong>den hier bei uns.Sie trafen hier auf die Menschen, die als Gastarbeiter nach Deutschlandgekommen waren. Um den Kulturschock zu verarbeiten, hielten diesee<strong>in</strong>erseits engen Kontakt zu der Heimat und ihren Familien dort, andererseitswurden die <strong>Moscheen</strong> die heimatlichen Inseln <strong>in</strong> der Fremde, auf die siefliehen konnten. „Transportable Heimat“ nennt dies Wolfgang Grünberg,Professor für praktische Theologie an der Uni Hamburg und Leiter derArbeitsstelle Kirche und Stadt.Aber das Leben <strong>in</strong> Deutschland verändert auch sie. Viele junge Gastarbeiterverfügten über e<strong>in</strong> relativ hohes E<strong>in</strong>kommen. Zuhause wurde das Geld alsFamiliene<strong>in</strong>kommen behandelt und die Väter <strong>in</strong> der Heimat wollten darüberverfügen. <strong>Die</strong> jungen Männer rebellierten zunehmend gegen diesealthergebrachten Strukturen und lösten sich mehr und mehr von der Familieim Heimatland. Auch die Frauen schätzten <strong>in</strong> Deutschland den Raum, den siehier e<strong>in</strong>nehmen können, z.B. dürfen sie hier alle<strong>in</strong>e <strong>in</strong> die Stadt gehen. Dasveränderte Viele langsam aber grundlegend und entfremdete sie von ihrerHerkunftskultur. In den Heimaturlauben wurden die Männer verantwortlichgemacht für das freizügige und selbstbewußte Verhalten der Frauen mit demErgebnis, dass oft die Kluft zur Heimat noch größer wurde.Hier s<strong>in</strong>d sie die „Türken“, <strong>in</strong> der Heimat ihrer Eltern, die die Jüngeren nurnoch vom jährlichen obligatorischen Urlaub her kennen, werden sie „dieDeutschen“ genannt. Sie fallen zwischen die Kulturen.Nicht wenige versuchten e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>tegration durch Rückkehr. Etlichescheiterten nach zwei oder drei Jahren. Möglicherweise konnten sie sich e<strong>in</strong>kle<strong>in</strong>es Geschäft aufbauen oder e<strong>in</strong>e Wohnung kaufen, doch Arbeit warknapp und für die K<strong>in</strong>der gab es ke<strong>in</strong>e gute Perspektive, weder Ausbildungnoch gesicherte Arbeit. Sie mußten zudem feststellen, dass der Aufenthalt imAusland sie verändert hat. Viele zogen dann endgültig nach Deutschland.<strong>Die</strong>se Desillusionierung ist e<strong>in</strong> Grund, dass seit Mitte der 80er Jahre, - mit derZweiten Generation - die endgültige Integration <strong>in</strong> Deutschland sich alse<strong>in</strong>zige Perspektive sich abzeichnete.Mit der Zweiten Generation kam sowohl die deutsche Sprache und dieÖffnung zur neuen Heimat, als auch der Wunsch, für die eigene Religion


9e<strong>in</strong>en Platz zu f<strong>in</strong>den. <strong>Die</strong> oftmals erst entdeckte oder wiedergefundeneReligion übernimmt dabei die Aufgabe der Kulturwahrung und der Er<strong>in</strong>nerungan die eigenen Wurzeln.Als Muslime f<strong>in</strong>den sie e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>deutigkeit, e<strong>in</strong>e religiöse Heimat. Hier kannder Kulturschock überwunden werden und man f<strong>in</strong>det Geborgenheit, ebendass, was auch Christen <strong>in</strong> den Kirchen und Juden <strong>in</strong> den Tempeln f<strong>in</strong>den.Mustafa Yoldaz, e<strong>in</strong>er der Teilnehmer am St. Georg Dialog beschreibt das so:„<strong>Die</strong> mangelnde Akzeptanz von Außen, die ständigen Ängste um denArbeitsplatz wegen der unqualifizierten Ausbildung und die Angst vorEntfremdung veranlassten viele dazu, sich mehr an ihre eigene Kultur /Religion zu klammern. So ist es gar nicht verwunderlich, dass viele derGeneration unserer Eltern hier erst e<strong>in</strong> religiöses Bewusstse<strong>in</strong> erlangten. Ichkann mich noch gut daran er<strong>in</strong>nern, dass me<strong>in</strong> Vater sich nicht zu wenig Rakih<strong>in</strong>ter die B<strong>in</strong>de goss, dann bei türkischer Musik mit se<strong>in</strong>en Freunden tanzteund mich dabei auf die Schulter nahm. Dabei verlor er die Kontrolle über sichund ich stürzte mit dem Kopf auf den Boden. Mittlerweile ist er aus islamischerSicht seit über 20 Jahren „trocken“, betet fünfmal am Tag, hat schon diePilgerfahrt h<strong>in</strong>ter sich und bemüht sich auch sonst, e<strong>in</strong> guter selbstbewussterMuslim zu se<strong>in</strong>. In der Türkei hätte vielleicht so e<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong>swandel garnicht stattgefunden.“(3).


10Islamisierung des Stadtteils?So aktive Nachbarschaften wie Johanna Wolfs Hofgeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> Ottensens<strong>in</strong>d sicher noch eher e<strong>in</strong>e Ausnahme <strong>in</strong>terkulturelle Lebens <strong>in</strong> Hamburg.Aber <strong>in</strong> der Regel verstehen sich Nachbarn und Kollegen unterschiedlicherHerkunft eben so, wie sich Nachbarn oder Kollegen verstehen: mal besser,mal schlechter, oft freundlich, manchmal distanziert.Was ist aber, wenn Migranten sich an Orten konzentrieren, Kle<strong>in</strong> Istanbulentsteht?”Islamisierung des Stadtteils!” diese von Deutschen ausgesprocheneBefürchtung schreckte Mitte 1998 e<strong>in</strong>ige Menschen <strong>in</strong> Hamburg-St.Georg auf.Geme<strong>in</strong>t war <strong>in</strong>sbesondere das Gebiet östlich des Ste<strong>in</strong>damms, das”Sanierungsgebiet Böckmannstraße”.Der Schrecken war e<strong>in</strong> doppelter: <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>en formulierten ihr Unbehagen ane<strong>in</strong>em Sichtbarwerden <strong>in</strong>sbesondere türkischer und islamischer Gesellschaft:die Gemüsehändler, die Banken, die <strong>Moscheen</strong>, aber auch die Menschen aufder Straße: <strong>Die</strong> Männer <strong>in</strong> ihren weiten Hosen, die Frauen mit Kopftüchern <strong>in</strong>Abstand h<strong>in</strong>ter den Männern herlaufend, die Pulks von Gläubigen nach demFreitagsgebet vor den <strong>Moscheen</strong>, die parkenden Autos, die dann Fahrbahnund Bürgersteige blockieren. Deutsche als M<strong>in</strong>derheit im eigenen Land?<strong>Die</strong> Anderen waren erschreckt von e<strong>in</strong>er drohenden Polarisierung zwischenDeutschen und Ausländern. St.Georg mit se<strong>in</strong>en vielfältigen Initiativen undVere<strong>in</strong>en steht für hohe Liberalität und Integrationskraft, für e<strong>in</strong> friedlichesMite<strong>in</strong>ander unterschiedlicher Normen und Kulturen. Konnten dieDrogenprobleme noch auf der Ebene der Forderung nach ausreichenderBetreuung <strong>in</strong> ganz Hamburg und nach e<strong>in</strong>er fürsorgenden Drogenpolitikangegangen werden, so drohte mit der ”Islamisierung” e<strong>in</strong>e Trennung desStadtteils - e<strong>in</strong>e Kommunikationstrennung und e<strong>in</strong>e Ghettobildung, bei der esnur noch e<strong>in</strong> Dr<strong>in</strong>nen oder e<strong>in</strong> Draußen gibt, verbunden mit ständigdrohenden Grenzkonflikten.Zygmunt Bauman beschreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch “Postmoderne Ethik”:“Modernes Leben bedeutet Leben mit Fremden, und mit Fremden zu leben istimmer e<strong>in</strong> prekäres, zermürbendes und auf die Probe stellendes Leben.”Der befürchtete Konflikt ist bisher verh<strong>in</strong>dert worden: Am Pulverteichtolerieren sich Muslime und Schwule, nicht zuletzt deshalb, weil sowohl derImam der albanischen Moschee Fejizuhali, wie auch der Vorstand von He<strong>in</strong>und Fiete, Fank Münz<strong>in</strong>ger, sich der Problematik bewußt s<strong>in</strong>d und über denSanierungsbeirat oder den St.Georg-Dialog den Kontakt halten können.<strong>Moscheen</strong> – Orte der Integration oder Segregation?S<strong>in</strong>d <strong>Moscheen</strong> heute Orte der Integration oder der Segregation (4)?Unstrittig ist es Aufgabe der Religionen, Frieden zu stiften: Abraham ist e<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>samer Ahnherr von Juden, Christen und Mulsimen und dieR<strong>in</strong>gparabel könnte e<strong>in</strong>e Anleitung se<strong>in</strong> für e<strong>in</strong> friedliches Wetteifern. (Dassoll nicht darüber h<strong>in</strong>wegtäuschen, dass alle drei Religionen auch e<strong>in</strong>ekriegerische Geschichte haben und die heiligen Bücher kriegerischeAussagen be<strong>in</strong>halten – was für e<strong>in</strong>en konstruktiven Dialog aufgearbeitet undbewertet werden sollte).


11<strong>Moscheen</strong> werden heute vielerorts mißtrauisch beäugt – hier treten Migrantensichtbar organisiert auf und nicht nur als e<strong>in</strong>zelne Nachbarn und Kollegen.Beschworen wird die Angst vor dem „Staat im Staat“, die Angst vor derUmklammerung Europas durch den Halbmond. (Der HamburgerVerfassungsschutzbericht zeigt so e<strong>in</strong> Symbol von Milli Görüs). <strong>Die</strong> Türken,1683 vor Wien erfolgreich zurückgeschlagen, jetzt s<strong>in</strong>d sie unter uns!Bei der Frage der Integrationsmöglichkeiten von Muslimen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>enchristlichen Kulturkreis entstehen – oft auf beiden Seiten –fundamentalistische Antworten der Unverträglichkeit von Sharia undGrundgesetz oder Menschenrechten.Allerd<strong>in</strong>gs sollten wir aufpassen, nicht <strong>in</strong> die „Islamistenfalle“ zu geraten.Mathias Rohde, Professor für Bürgerliches Recht und Rechtsvergleichung ander Universität Erlangen-Nürnberg beschreibt damit die Gefahr, das vonFundamentalisten <strong>in</strong> Anspruch genommene Interpretationsmonopol für denIslam ungeprüft anzuerkennen. Fundamentalismus ist e<strong>in</strong>e sehr moderneErsche<strong>in</strong>ung (nicht nur im Islam – das Wort stammt ursprünglich aus demBibelgürtel der Christen <strong>in</strong> den USA).Mathias Rohe kommt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikel <strong>in</strong> der FAZ zu dem Schluss: „Wem Gottse<strong>in</strong> Buch gibt, dem gibt er auch Verstand. Das islamische Recht verlangt dieAuslegung und läßt sich auch demokratisch Interpretieren. ... Es könnte siche<strong>in</strong> deutsches oder europäisches Islamisches Recht herausbilden, das auf dermodernen Weiterentwicklung beruht und damit den Grundlagen der hiergeltenden Rechtsordnungen entspricht.“Jede Integration braucht Zeit und jede Integration verändert beide Seiten.Und jede Integration braucht Zeichen und SymboleGrünberg stellt die Frage nach der „öffentlichen Symbolisierung“unterschiedlicher Identitäten im Stadtgefüge und verweist auf latente oderoffene Gewaltpotential bei fehlenden Identifizierungsmöglichkeiten mit derStadt.Ich folge se<strong>in</strong>en Ausführungen: „Es ist also zu fragen, wie die Identifikation mitder eigenen Stadt nachhaltig gefördert werden und möglichst auf Dauergestellt werden kann. Hier kommt bestimmten Symbolen, mit denen sich dieMehrheit der Stadtbevölkerung emotional identifizieren kann, e<strong>in</strong>e große Rollezu...Großstädte s<strong>in</strong>d heute tendenziell als „Filialen“ derzusammenwachsenden Weltgesellschaft anzusehen und bedürfen als solcherzentraler, aber pluraler Symbolisierungen unterschiedlicher städtischerGruppierungen“Am Beispiel der skand<strong>in</strong>avischen Seemannskirchen <strong>in</strong> Hamburg oder derrenovierten Synagogen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zeigt Grünberg auf, „wie öffentlicheRepräsentation und Symbolisierung von Identität ethnischer M<strong>in</strong>oritäten dasGefühl vermittelte, <strong>in</strong> der Fremde doch auch zu Hause se<strong>in</strong> zu können. ...Fundamentalisierungstendenzen zeigen sich freilich gerade dort verstärkt, wosignifikanten M<strong>in</strong>derheiten ke<strong>in</strong>e öffentliche Anerkennung undAufmerksamkeit zu Teil wird, wo also Ausgrenzungsängste <strong>in</strong> der städtischenGesellschaft bestehen und dadurch Selbstisolierung oderAbkapselungstendenzen verstärkt werden."In vielen Europäischen Städten s<strong>in</strong>d <strong>Moscheen</strong> entstanden – es ist ke<strong>in</strong>elokale Frage mehr. In Rom oder Wien s<strong>in</strong>d repräsentative <strong>Moscheen</strong> amStadtrand entstanden, <strong>in</strong> Mannheim im Ausländerviertel, <strong>in</strong> München neben


12der Kläranlage, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> am Tempelhofer Feld - aber immerh<strong>in</strong>, Geme<strong>in</strong>denf<strong>in</strong>den dort ihre Zentren.Neue Standorte für <strong>Moscheen</strong> und Gebetsräume:Hamburg tut sich noch schwer mit den neuen Bewohnern.<strong>Die</strong> evangelische und katholische Kirche war 1998 unangenehm berührt, alssie im neuen Stadtentwicklungskonzept Hamburgs ke<strong>in</strong>e Erwähnung fanden,aber sie besitzen immerh<strong>in</strong> bedeutende Standorte. Sie stellen im Bewußtse<strong>in</strong>vieler Menschen genau jene Symbolik dar, von der vorh<strong>in</strong> die Rede war. <strong>Die</strong>sist besonders <strong>in</strong> Hamburg mit se<strong>in</strong>er immer noch von Kirchtürmenbestimmten Silhouette der Fall, unabhängig von der Anzahl der aktivendeutschen Christen<strong>Die</strong> Muslime können im Stadtbild die typischen Symbole Kuppel und M<strong>in</strong>aretth<strong>in</strong>gegen kaum wiederf<strong>in</strong>den. Grünberg schreibt – ohne dies auf Muslimeexplizit zu beziehen – aber doch sehr treffend: „Es gibt e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>s baulicheübertragene Segregationstendenz gegenüber bestimmten Ausländern, die dieGeschichte religiöser und kultureller Intoleranz fort schreibt“.<strong>Die</strong> expedierenden islamischen Geme<strong>in</strong>den haben e<strong>in</strong>en großenRaumbedarf, f<strong>in</strong>den jedoch ke<strong>in</strong>e Standorte. <strong>Die</strong> Bebauungspläne sehenke<strong>in</strong>e neuen Standorte für religiöse Zwecke vor. Selbst wenn neue Stadteileentwickelt werden, wie die Hafencity, werden <strong>Moscheen</strong>utzungen nicht e<strong>in</strong>malangedacht.Alte Baupolizeiverordnungen oder altes Baurecht erlauben <strong>in</strong>Industriegebieten, Gewerbegebieten oder auch Wohngebieten ke<strong>in</strong>ekulturellen, sozialen oder religiösen Nutzungen. Befreiungen s<strong>in</strong>d praktischnicht zu bekommen, da die Nachbarn zustimmen müssen.Religionsgeme<strong>in</strong>schaften treffen auf offene oder versteckte Ablehnung <strong>in</strong>politischen Gremien.Mit der Merkez Camii <strong>in</strong> St.Georg wurde immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> städtebaulicher Vertragzur Entwicklung des Standortes abgeschlossen. Allerd<strong>in</strong>gs mit großenAuflagen zum Wohnungsbau, der nicht dem Bedarf nach größerenMoscheeräumen gerecht wird. Wir haben für e<strong>in</strong>e neue, repräsentativeMoschee an diesem Standort e<strong>in</strong>e Planung erarbeitet, die <strong>in</strong> der Bevölkerungauf große Akzeptanz gestoßen ist. Bürgervere<strong>in</strong>, E<strong>in</strong>wohnervere<strong>in</strong>, Kirchen,Interessensgeme<strong>in</strong>schaft Ste<strong>in</strong>damm haben sich für die Moschee e<strong>in</strong>gesetzt.<strong>Die</strong> Bauvoranfrage wurde vom Bezirk Hamburg-Mitte im März 2002abgelehnt und den Moscheevertretern und dem E<strong>in</strong>wohnervere<strong>in</strong> wurde imSanierungsbeirat das Stimmrecht entzogen.H<strong>in</strong>tergrund ist die E<strong>in</strong>stufung von Milli Görüs als verfassungsfe<strong>in</strong>dlich, dieVerstärkung der Ängste nach dem 11.September 2001, sowie die politischeEntwicklung <strong>in</strong> Hamburg und der beg<strong>in</strong>nende Wahlkampf der Parteien für dieBundestagswahlenZum Schluss noch e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis: <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>en haben, was die anderen brauchenIn Hamburg mehren sich die Geme<strong>in</strong>den, die ihre Kirchen aufgrund s<strong>in</strong>kenderGeme<strong>in</strong>demitglieder nicht mehr füllen und unterhalten können. Selbst Abrissevon Kirchengebäuden werden <strong>in</strong>s Gespräch gebracht (z.b. Kapernaum).Leere Kirchen werden noch nicht an nicht-christliche


13Religionsgeme<strong>in</strong>schaften vermietet oder verkauft. Hier ist e<strong>in</strong>eGrundsatzdiskussion wünschenswert, die sowohl ansetzen sollte an dengeme<strong>in</strong>samen religiösen Grundlagen wie auch an den tiefsitzenden Ängstenunterschiedlicher Geschichte und Kulturen.<strong>Die</strong> Hamburger Islamischen Geme<strong>in</strong>den haben sich 1999 zu der Shurazusammengeschlossen. Vorsitzender ist Mustafa Yoldaz. Mit der Shura ist fürden <strong>in</strong>terreligiösen Dialog e<strong>in</strong> geeigneter Gesprächspartner vorhanden.ZusammenfassungAbschließend möchte ich zusammenfassen <strong>in</strong> vier Punkten:1. Integration braucht Zeit (vielleicht Generationen), mit der Sprache kommtdie Entwicklung. Integration verändert beide Seiten: die <strong>in</strong>tegriert werdensollen und die Kultur, <strong>in</strong> die <strong>in</strong>tegriert wird.2. “Fehler wachsen aus der Unkenntnis von Regeln, und die Fremdheit vonFremden ist im Grunde diese unsere Unkenntnis.” Zygmund Bauman3. Islam ist wandlungsfähig. Christentum ist wandlungsfähig.Fundamentalistisch-mittelalterliche Auslegungen der heiligen Bücher s<strong>in</strong>dhistorische Ergebnisse und veränderbar.4. Integration ist möglich, wenn die Migranten-Kulturen und –Religionenihren Platz bekommen und <strong>in</strong> der Stadt symbolisch sichtbar werden.Anmerkungen(1) Herwig Birg, Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik derUniversität Bielefeld und Uno-Migrationsexperte, <strong>in</strong>: „Wann werden dieDeutschen aussterben ? WaS, 12.11.00(2) (Zeitpunkte 2/99).(3) Dokumentation St. Georg Dialog, S. 26(4) Def<strong>in</strong>ition Segregation „Absonderung e<strong>in</strong>er Menschengruppe ausgesellschaftlichen, eigentumsrechtlichen oder räumlichen Gründen“(Fremdwörterduden, ursprünglich: Begriff aus der amerikanischen Soziologie)Literatur1. Bauman, Zygmunt: Postmoderne Ethik, Hamburg 19952. Birg, Herwig: „Wann werden die Deutschen aussterben ? <strong>in</strong>: WaS,12.11.00)3. Grünberg, Wolfgang: „Transportable Heimat“ <strong>in</strong>: Kirche + Kunst 2/2000,S. 72 ff)4. Rohde, Mathias: Was lernt ihr eigentlich <strong>in</strong> der Koranschule? In: FAZ vom27.10.2000, S. 545. St.Georg-Dialog: Inländische und ausländische St.Georger im Gesprächmite<strong>in</strong>ander, Dokumentation, Hamburg 19996. Türken <strong>in</strong> Deutschland, Zeitpunkte, 2/1999 (Zeitmagaz<strong>in</strong>)

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