Entscheidung - Evangelische Krankenhausseelsorge Bayern
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Fortbildung für Medizinstudenten im praktischen JahrKlinikum Neuperlach13.10.2010Pfarrer Michael HüfnerIndividualpsychologischer Berater und Supervisor (DGIP)Berater für Ethik im Gesundheitswesen
Zur Vereinfachung des Vortrages und desLeseflusses wird überwiegend diemännliche Bezeichnung gewählt.Dabei sind selbstverständlich immer dieweiblichen Vertreterinneneingeschlossen.Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 2
Inhalt•Was ist Ethik?•Ethische Problemfelder•Gesetzliche Grundlagen•Ethische <strong>Entscheidung</strong>sfindung•Ethik in der PraxisPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 3
Eine LebenssituationFrau P., 89 Jahre alt; Witwe• seit 3 Jahren im Pflegeheim lebend• Diagnose: fortschreitende Demenz• nach Heimeinzug: Entwicklung einerDepression• keine Angehörigen; gesetzlicheBetreuung• seit einigen Wochen:• Angstzustände, die durchPsychopharmaka wenigbeherrschbar waren• signifikante Gewichtsabnahme;BMI: 16• seit 2 Wochen:• überwiegende Verweigerung derNahrungs- undFlüssigkeitsaufnahme• zunehmende Schwäche• Aktuell: Entwicklung einer Pneumonie;Einweisung ins Krankenhaus• zunächst: Infusionstherapie• weiterhin Verweigerung der NahrungsundFlüssigkeitsaufnahme• Überlegung im Behandlungsteam: Legeneiner PEG• Es gibt keine Patientenverfügung.• Auskunft einer Bekannten: „Frau P. hatfrüher geäußert, dass sie niemals einenSchlauch haben möchte.“• Was soll geschehen?PEG – ja oder nein?Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 4
Was ist Ethik?Ethikbeschäftigt sich mit der Antwort auf die Frage:„Was soll ich tun?“vor dem Hintergrund eigener Wertvorstellungen.Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 5
Implizite WertvorstellungenEinstellungen Ideale Überzeugungen<strong>Entscheidung</strong>enundHandlungenHaltungenTraditionenTabusPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 6
Implizite WertvorstellungenPflichterfüllungNächstenliebeMedizinischerErfolgNicht SterbenlassenLeidenverhindern<strong>Entscheidung</strong>enundHandlungenÖkonomischerErfolg………Helfen wollenPersönlicherErfolgPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 7
Autonomie und FürsorgepflichtGrundlage für eine autonome <strong>Entscheidung</strong>FürsorgepflichtAutonomieHindernis für eine autonome <strong>Entscheidung</strong>Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 8
Gesetzliche Grundlagen• Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland• Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“• Artikel 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. DieFreiheit der Person ist unverletzlich.“• Bürgerliches Gesetzbuch• § 1901 ff: Patientenverfügung und Betreuungsrecht• Strafgesetzbuch• Straftaten gegen das Leben (§§ 211 – 223)• §216: Töten auf Verlangen• §218 ff Schwangerschaftsabbruch• Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit (§§ 223 – 231)• § 223 Körperverletzung• § 228 Einwilligung• Gemeingefährliche Straftaten (§§ 306 - 323c)• §323c: Unterlassene Hilfeleistung• Arzneimittelgesetz• Betäubungsmittelgesetz• MedizinproduktegesetzOhne Anspruch auf VollständigkeitPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 9
Ethische Problemfelder• Legen einer PEG• Maximaltherapie bei infauster Prognose• Therapiezieländerungen• Therapieabbruch• Umgang mit Sterbenden• Diagnostische Maßnahmen bei Sterbenden• Umgang mit Verstorbenen• Umgang mit Angehörigen• Umgang mit Patientenverfügung• <strong>Entscheidung</strong>sdilemata aufgrund von Ressourcenknappheit• Aufklärung• Vorsorgeuntersuchungen• Selbstbestimmungsrecht bei Dementen• Compliance• Freiheitsentziehende Maßnahmen• Forschungsfragen /Teilnahme an Studien• Pränataldiagnostik• …..• …..• …..Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 10
Die vier ethischen Prinzipien• Nutzen (benefice)• Autonomie (autonomy)• Gerechtigkeit (justice)• Schadenvermeidung (non-maleficence)nach Beauchamp & Childress; 2001Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 11
<strong>Entscheidung</strong>sfaktorenMedizinischeIndikationPersönlicheBetroffenheitRechtlicheVorgabenFürsorgepflichtBeachtung desPatientenwillensPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 12
Ethische Fragen im DialogPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 13
Ethische Fragen im DialogEinflüsse auf die VerständigungSachebeneBeziehungs- und Gefühlsebenenach Paul Watzlawick, 1975Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 14
Das Konzept des „informed consent“Schwellenelemente(Vorbedingungen)• Klärung der Kompetenz zuverstehen und zu entscheiden• Sicherstellung der Freiwilligkeitder <strong>Entscheidung</strong>Informationselemente• Aufklärung über dengegenwärtigen Zustand, Diagnose,Prognose und überBehandlungsoptionen• Empfehlungen über das weitereVorgehen• Sicherstellung des VerstehensPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 15
Das Konzept des „informed consent“Beziehungselemente• Person des Vertrauens• Respekt vor der Lebenswelt, derSituationsdeutung und den<strong>Entscheidung</strong>enBeratungselemente• Dialogisches Vorgehen• Zeit und Geduld• Kontextualisierung derInformationPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 16
Das Konzept des „informed consent“Zustimmungselemente• <strong>Entscheidung</strong> für einbestimmtes Vorgehen• Autorisierung desBehandelndennach Beauchamp und Childress, 2001; Reiter-Theil, 1997Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 17
„shared decission making process“InformationBeziehung………VorbedingungenBeratungZustimmungPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 18
Die informierte Zustimmung• Die informierte Zustimmung stellt eine besondereForm der Kommunikation zwischen Arzt und Patientdar.• Sie ist ein Instrument, das die Asymmetrie der Arzt-Patienten-Beziehung abschwächt.• Für informierte <strong>Entscheidung</strong>en ist mehr als nur diemedizinische Information (durch den Arzt) und dieZustimmung (durch den Patienten) nötig.Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 19
eaking bad news - SPIKES• Set up• Perception• Invitation• Knowledge• Emotions• Strategy• Vorbereitung (Raum; Zeitpunkt;Zeitdauer; Störungen ausschließen;Vertraulichkeit sichern)• Wahrnehmung der subjektivenBefindlichkeit des Patienten• Feststellen, wie viel Information derPatient haben möchte• Aufklärung;Informationsvermittlung• Zuwendung zu den emotionalenReaktionen des Patienten• Skizzieren eines klaren, tragfähigenPlanesPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 20
Die Patientenverfügung• Die schriftliche Vorausverfügung volljähriger Personen, wie sie im Fallder <strong>Entscheidung</strong>sunfähigkeit behandelt werden wollen, istverbindlich.• und kann vom Wunsch auf Therapieverzicht bis zur Forderung nachMaximaltherapie alles beinhalten.• Es gibt keine Verpflichtung, eine Patientenverfügung zu verfassen.• Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.• Es gibt keine Reichweitenbegrenzung; d.h. die Patientenverfügunggilt unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung.• Es ist zu prüfen, ob die Festlegungen der Patientenverfügung dieaktuelle Lebens- und Behandlungssituation treffen.§ 1901 a Bürgerliches GesetzbuchPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 21
Die PatientenverfügungStand: Januar 2010Download: www.bmj.dePfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 22
Der mutmaßliche Wille• Gibt es keine Patientenverfügung oder treffen die Festlegungen nichtdie aktuelle Situation, muss der Betreuer / Bevollmächtigte unterBeachtung des mutmaßlichen Patientenwillens entscheiden, ob erin die Untersuchung, die Heilbehandlung oder den ärztlichen Eingriffeinwilligt.• „Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunktezu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere früheremündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöseÜberzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen desBetreuten.“§ 1901 a Abs.2 b Bürgerliches GesetzbuchPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 23
<strong>Entscheidung</strong>en im Dialog• Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblickauf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Erund der Bevollmächtigte / Betreuer erörtern diese Maßnahme unterBerücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die zutreffende <strong>Entscheidung</strong>.• Bei der Feststellung des Patientenwillens oder derBehandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens soll nahenAngehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des PatientenGelegenheit zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohneerhebliche Verzögerung möglich ist.§ 1901 b Bürgerliches GesetzbuchPfr. Michael Hüfner; 13.10.201024
<strong>Entscheidung</strong>en im Dissens-Fall• Besteht zwischen dem Arzt und dem Bevollmächtigten / BetreuerEinigkeit bezüglich des mutmaßlichen Patientenwillens, bedarf eskeiner Einbindung des Betreuungsgerichts.• Bestehen Meinungsverschiedenheiten, müssen folgenschwere<strong>Entscheidung</strong>en vom Betreuungsgericht genehmigt werden.• Folgenschwer bedeutet, dass der Patient• aufgrund der Maßnahme sterben oder• einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadenerleiden könnte.• Eine Maßnahme darf ohne Genehmigung durchgeführt werden,wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.§ 1904 Absatz 4 Bürgerliches GesetzbuchPfr. Michael Hüfner; 13.10.201025
Hilfe beim Sterben• „Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung desSelbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zuerhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbendenbis zum Tod beizustehen. Die ärztliche Verpflichtungzur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allenUmständen.“aus der Präambel der Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung, Mai 2009Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 26
Aktive Sterbehilfe„Tötung auf Verlangen“Passive Sterbehilfe„Sterben lassen“Indirekte Sterbehilfe„Therapie am Lebensende“Hilfe beim Sterben…ist die gezielte Herbeiführung desTodes durch Handeln auf Grund einestatsächlichen oder mutmaßlichenWunsches einer Person.…ist der Verzicht auf eine nochmögliche lebensverlängerndeBehandlung oder deren Beendigungund damit das „Nicht-Aufhalten“ desSterbens.…ist die Leidminderung (z.B. diegezielte Schmerzbekämpfung imRahmen der Palliativversorgung)unter Inkaufnahme einerLebensverkürzung.verbotennach § 216 desStrafgesetzbucheserlaubterlaubtBeihilfe zur Selbsttötung„Assistierter Suizid“…ist das Bereitstellen von Mitteln zurSelbsttötung durch eine Person.umstrittennicht strafbar,wenn z.B. Arzneimittelnicht zu diesem Zweckverschrieben werden (vgl.Arzneimittelgesetz)Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 27
„Sterben in Würde“Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung; Empfehlungen zum Umgang mitVorsorgevollmacht und Patientenverfügung:www.baek.de; Rubrik: Medizin und EthikPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 28
Chartazur Betreuung sterbender und schwerstkranker Menschen in Deutschland08.09.2010, BerlinInitiatoren und Herausgeber:Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V.Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V.BundesärztekammerLeitsätze zu1. Gesellschaftspolitische Herausforderungen – Ethik, Rechtund öffentliche Kommunikation2. Bedürfnisse der Betroffenen – Anforderungen an dieVersorgungsstrukturen3. Anforderungen an die Aus-, Fort- und Weiterbildung4. Entwicklungsperspektiven und Forschung5. Die europäische und internationale Dimensionwww.charta-zur-betreuung-sterbender.dePfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 29
Multiprofessionelle FallbesprechungAngehörige /BezugspersonenPhysio-, Ergo-,LogotherapieArztPflegePsychologe?SozialdienstKonsiliararztSeelsorgeBetreuerPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 30
Das Klinische EthikkomiteeIn jedem Haus ist einKlinischesEthikkomiteeetabliert.Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 31
Das Klinische EthikkomiteeSensibilisierung für ethischeFragestellungenKlinische Ethikberatung imEinzelfall / EthikkonsilAufgaben einesklinischenEthikkomiteesFort- und Weiterbildung derMitarbeiter in klinischer EthikZusammenarbeit mit anderenKEKsPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 32
Das klinische EthikkomiteeVergleich Ethikkommission und Klinisches EthikkomiteeEthikkommissionEthik in der ForschungGründung 1970er Jahre 1990er JahreKlinisches EthikkomiteeAngewandte EthikAufgaben Medizinische Forschung Klinische VersorgungInstitutionMitgliederRechtlicheGrundlageMedizinische FakultätLandesärztekammerForschende Ärzte,Juristen, BiometrikerArzneimittelgesetz;Medizinproduktegesetz,BerufsordnungKrankenhausPflegeheimÄrzte, Pflegepersonal, Seelsorge,VerwaltungKeine RechtsgrundlageZertifizierungsverfahrenVotum Verbindlicher Charakter Empfehlende BeratungPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 33
Das klinische Ethikkomitee• Struktur klinischer Ethikkomitees:• 7-20 Mitglieder aus unterschiedlichen Berufsgruppen• Berufung durch die Krankenhausleitung• 2-3 Jahre Amtszeit• Wahl eines Vorsitzenden und ggf. Stellvertreters• Geschäftsordnung / Satzung• Feste monatliche Termine• SachmittelPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 34
Das Ethikkonsil• Problemstellung• Bewertung der Fakten• Anlass des Gespräches?• Wie lautet die Fragestellung?• Ergebnis undEmpfehlungen• Sammlung von Fakten• Medizinische Aspekte• Pflegerische Aspekte• Psychosoziale Aspekte• Spirituelle Aspekte• Organisatorische Aspekte• Ökonomische Aspekte• Ergebnis undEmpfehlungenPfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 35
Das Ethikkonsil• Ergebnis undEmpfehlungenDas Votum eines Ethikkonsils hat ausschließlich empfehlenden Charakter und dient derOrientierung bei der <strong>Entscheidung</strong>sfindung.Die <strong>Entscheidung</strong> und die Handlungsverantwortung verbleiben immerbeim Behandlungsteam.Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 36
Eine LebenssituationFrau P., 89 Jahre alt…..was soll geschehen?• Wäre der Verzicht auf das Legen einerPEG bei Frau P. unterlasseneHilfeleistung?• Wäre der Verzicht auf das Legen einerPEG bei Frau P. Sterbehilfe und wenn jawelcheForm?• Ist die Ernährung über eine PEG-Sondenach den Grundsätzen der Bundesärztekammerzur ärztlichen Sterbebegleitungals Basisbetreuung oder als medizinischeBehandlung anzusehen?• Welche Gründe sprechen dafür, bei FrauP. eine PEG zu legen?• Welche Gründe sprechen dagegen?• Auf welchen Wegen könnte mehrSicherheit über den Willen und dieSituationsdeutung von Frau P. erlangtwerden?• Wie könnte im Fall von Frau P. dieLegitimation einer PEG-Anlage gesichertwerden?Pfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 37
Quellen• Paul Watzlawick et al.: Menschliche Kommunikation; 1975; Hans Huber Verlag; Bern• Beauchamp and Childress: Principles of Biomedical Ethics; 2009; 6.Auflage; OxfordUniversity Press; Oxford• Michael Hüfner: Das Gemeinschaftsgefühl und die Paradoxität der Macht; 2004;LIT Verlag; Marburg• Schulungsunterlagen „Berater / Beraterin für Ethik im Gesundheitswesen“; cekibNürnberg; 2008 und 2010• www.baek.de• www.dejure.org• www.bundesrecht.juris.de• www.bundestag.de• www.medizinethik.de• www.unibas.ch• www.zentrale-ethikkommision.de• www.ethikrat.org• www.bmj.dePfr. Michael Hüfner; 13.10.2010 38