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PDF - D A T E I

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Hölderlins Leben und SendungGedenkrede zum hundertsten Todestage Friedrich HölderlinsVon Erwin Neustädter"... Ein Volk, wo Geist und Größe keinen Geist keinen Geist und keine Größe mehr zeigt, hatnichts mehr gemein mit andern, die noch Menschen sind, hat keine Rechte mehr, und es istein leeres Possenspiel, ein Aberglauben, wenn man solche willenlose Leichname noch ehrenwill. Weg mit ihnen ! Er darf nicht stehen, wo er steht der dürre faule Baum, er stiehlt ja Lichtund Luft dem jungen Leben, das für eine neue Welt heranreift." ..."Es werde von Grund auf anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt !Eine neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf. ""In der Werkstatt, in den Häusern, in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd esanders !"Aus ",Hyperion"Was für eine Zeit war es, da Hölderlin diese Worte ausrief ? Da wetterleuchteten die erstenSiege Napoleons auf in Italien und Ägypten; da, kurz vor der Jahrhundertwende, begann es zuknistern im Gefüge des "Heiliger Römischen Reiches deutscher Nation", über die unzähligenGrenzschranken seiner Königs- und Fürstentümer hinweg gab es nichts Gemeinsames,Großes, was den Blick auf sich hätte ziehen können. Und so wie zwischen den deutschenStämmen sich künstliche Schranken erhoben, so zwischen den Ständen; der Gedanke dervölkischen Einheit, der Nation war noch nicht geboren Weit war es noch zu "Wilhelm Tell"und "Faust". Heinrich von Kleist aber hatte eben erst den Soldatenrock ausgezogen,angewidert von dem kleinlich öden Friedensdrill des Söldnerheeres, und keines seinerDramen war noch geboren.Das war die nationale und geistige Umwelt, die Hölderlin erschauen konnte, und der er, kaum28 Jahre alt, jene aufrüttelnden, Wandlung formenden Werte zurief.Damit sind wir aber auf Hauptthemen Hölderlinscher Kulturkritik und nationaler Verkündunggestoßen, und die Frage erhebt sich. wie er, der um 11 Jahre jünger war als sein von ihm hochverehrter Landsmann Schiller, zu einer zeit, da dieser noch völlig in klassizistischästhetischenIdeen und Arbeiten befangen war und da Goethe sich auf den Spuren Homers mitder "Achilleis" abmühte: wie er damals zu solch einer, tiefste nationale Nöte der damaligenGegenwart enthüllenden und weit in die Zukunft dringenden Schau gelangen konnte.Die Verhältnisse, denen Hölderlin entstammt, die Bedingungen, unter denen er aufwuchs,ähneln in mehr als einer Beziehung denen Scbillers: hier wie dort ärmliches Kleinbürgertum,schlicht-fromme Gottergebenheit pietistischen Einschlags und Erziehung durch die Mutter, daSchillers Vater als Feldscher meist unterwegs war, Hölderlin aber seinen Vater früh verlor.Während der Knabe Schiller aber Pfarrer werden will und seinen Geschwistern undAltersgenossen flammende Predigten hält, sucht und findet der Knabe Hölderlin seine Freudein den Naturschönheiten seiner lieblichen Heimat."Da ich ein Knabe war,rettet' ein Gott mich oftvom Geschrei und der Rute der Menschen,da spielt ich sicher und gutmit den Blumen des Hains,und die Lüftchen des Himmelsspielten mit mir...Mich erzog der Wohllaut


des säuselnden Hains,und lieben lernt ichunter den Blumen.Im Arme der Götter wuchs ich groß."Da griff aber in dieses idyllisch kindliche Leben fremde Willkür einerseits, verständnislosemütterliche Fürsorglichkeit andererseits ein: Schiller mußte, seinem und seiner Eltern Wunschentgegen, auf Befehl des Herzogs die Karlschule, um in deren soldatisch strenger Zucht zumherzoglichen Beamten oder Offizier gedrillt zu werden; Hölderlin hatte es insofern schwerer,als es die eigene verehrte Mutter war, die ihn in beschränkter Fürsorglichkeit undverständnisloser Liebe zum Pfarrer machen wollte, weil der Beruf ihr der Gottwohlgefälligste, angesehenste und gesicherteste schien, so daß sie ihn, den kaumVierzehnjährigen, dem naturfernen, freudlos düsteren Betrieb der Klosterschulen zuDenkendorf und Maulbronn auslieferte.Dieses bildsame, nach Licht und Liebe, Natur und Schönheit durstende Herz mußte sich ineine schwarze Kulte hüllen, mußte alles Natürliche, Schöne als eitel und verwerflich oder garals sündhaft bezeichnen hören.Schillers Umwelt und Zucht ist hart, derb, aber zweckmäßig und nüchtern auf klar erfaßbareZiele eingesteflt; Auflehnung gegen sie wird mit aller Härte bestraft, ist aber nicht Sünde. DasInnenleben, das Gewissen wird nicht angetastet und in Zwiespalt gestoßen. Man gerät nur mitder Willkür eines kleinen Fürsten, eines Menschen, mit den Mängeln einer zeitlichen undveränderlichen Staats- und Gesellschaftsform in Konflikt. Anders bei Hölderlin. Auflehnunggegen Form und Gehalt dessen, was hier im Kloster geboten wurde, bedeutete Auflehnunggegen eine Macht und Idee, die An-pruch auf Allgemeingiltigkeit und Ewigkeit erhob, einedie von sich aussagte, sie sei die Wahrheit und das Heil, Eine Macht also, die in erster Reihesich an die Seele und das Gewissen wendet, und der gegenüber es nicht um ein einfachesSichfügen und Unterordnen unter eine äußere Gewalt ging, sondern um letzte und tiefsteEntscheidungen. Dieses so frühe und schmerzliche Erleben legt die Keime für die künftigeWeltanschauung und Verkündung Hölderlins. Vorerst freilich ist nichts anderes ihm klar, alsdaß er Verkünder dieses anerzogenen Glaubens, der Natur und Schönheit als sündhaft. also imGegensatz zum Göttlichen, erachtet, nicht sein kann.Während Schiller gegen alles, was die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Menschenwürdebeeinträchtigt, in dessen einzelnen Erscheinungsformen ankämpft, zögert, fragt und forschtHölderlin jahrelang nach der Wurzel des Übels, woher all diese Zwietracht, Bedrückung,Unnatur, dieses ganze Unheil stamme, und als er glaubt, es endlich in der Entfremdung vonder Natur und ihrem göttlichen Wesen, in der Ehrfurchtlosigkeit und Glaubenslosigkeit desüberlieblich gewordenen Geistes entdeckt zu haben: da erst setzt er zum Gegenangriff an, undzwar nicht gegen Einzel- und Folgeerscheinungen, sondern gegen die tiefste Wurzel dieserEntartung und Entfremdung vom ursprünglichen eigenen Wesen, und fordert die Besinnungauf die eigene Art des Glaubens, die wie das Vorbild der Ahnen zeigt, immer im Einklang mitder Natur und ihren göttlichen Gesetzen, immer stolz und frei in Selbstbehauptung undBewährung vor ihrer ehernen Notwendigkeit und dem Schicksal war.Die Freunde und sich selbst emporzureißen und zu stärken, ruft er die großen Vorbilder undSinnbilder der Menschheit zu Hilfe, die Heroen und Göttergestalten, die Tugenden und Idealein seinen Hymnen an die Freiheit oder Kühnheit, an die Schönheit oder Natur, an den Geniusder Jugend oder Griechenlands. Leidenschaftliches Feuer bricht aus all diesen


Jugendgedichten (in den Reim-Strophen Schillerscher Prägung; jünglingshafter Tatendurst,heldisches Sichbewährenwollen:,,Ich solle ruhn ? Ich soll die Liebe zwingen,die feurigfroh nach hoher Schöne strebt ? ...... Drum laßt die Lust, das Große zu verderben,und geht und sprecht von eurem Glücke nicht !Pflanzt keinen Zedernbaum in eure Scherben !Nehmt keinen Geist in eure Söldnerpflicht ! ......Umsonst ! Mich hält die dürre Zeit vergebens,und mein Jahrhundert ist mir Züchtigung ..."So wehrt der Jüngling die ,,klugen Ratgeber" ab, und welch herrliches Selbstgefühl, welchstrahlender Glaube an sich selbst und seine Berufung bricht aus den Worten an ,,Herakles":"In der Kindheit Schlaf begrabenlag ich, wie das Erz im Schacht;Dank, mein Herkules, den Knabenhast zum Manne du gemacht.Reif bin ich zum Königssitzeund mir brechen stark und großTaten, wie Kronions Blitze,aus der Jugend Wolke los...... Sterblich bin ich zwar geboren,dennoch hat Unsterblichkeitmeine Seele sich geschworenund sie hält, was sie gebeut."In diesem Geiste erfolgt sein Aufbruch ins Leben. Mit aller Schonung, aber unbeirrbar teilt erseiner Mutter mit, daß er ihr die Erfüllung des unter vielen Entbehrungen endlich möglichgewordenen Herzenswunsches, ihn im geistlichen Amt zu sehen, versagen muß, und es istmehr als eine bloße Ausflucht, wenn er erklärt ,, .. ich fühle mich tüchtiger zum Erzieher alszum Predigtamt ! ..." "Das Lehramt ist auch überhaupt, so viel ich sehe, bei den jetzigenZeiten wirksamer, als das Predigtamt..." Er kann und will nicht eine Lehre verkünden, dienicht nur ihm selbst, sondern weiten Kreisen des Volkes fremd und wesenlos geworden ist; erwill im Gegenteil junge Menschen um sich scharen und heranziehen, heranbilden zu einemneuen freien, stolzen, naturnäheren Glauben und Menschentum, für welches er dieleuchtendsten Vorbilder in der Vergangenheit sieht, die vor dem Eindringen des Christentumsliegt. Zu einem ähnlichen freien, schönen, edlen Menschentum will er die Wege weisen undbahnen. So schreibt er dem Bruder:,,Meine Liebe ist das Menschengeschlecht, freilich nicht das verdorbene,knechtische, träge, wie wir es nur zu oft finden. ... Ich liebe das Geschlecht derkommenden Jahrhunderte... Dies ists, woran nun mein Herz hängt. Dies ist dasheilige Ziel meiner Wünsche und meiner Tätigkeit, - dies, daß ich in unseremZeitalter die Keime wecke. die in einem Künftigen reifen werden, ... Ich möchte insAllgemeine wirken, das Allgemeine läßt uns das Einzelne nicht gerade hintansetzen,aber doch leben wir nicht so mit ganzer Seele für das Einzelne, wenn das Allgemeineeinmal Gegenstand unserer Wünsche und Bestrebungen geworden ist."


Da eine öffentliche weltliche Lehrstelle für den jungen Kandidaten der Theologie, der' diegeistlichen ausschlägt, nicht gleich bietet, will er in kleinem Kreise. als Hauslehrer beginnenund erhält durch Schillers Vermittlung, der damals neben Fichte und anderen Geistesgrößenan der Universität Jena wirkte, eine bei dessen Jugendfreundin, Frau Charlotte von Kalb.Sobald er aber erkennt, daß deren Söhne sich als Zöglinge für die neuen Ideale nicht eignen,ihm selbst aber noch manches wissenschaftliche und weltanschauliche Rüstzeug fehle. drängtes ihn in die Nähe Schillers, und er übersiedelt nach Jena, an der Universität das Versäumtenachzuholen.Damit schien sein Lebensweg nun endlich in die rechte Bahn eingemündet zu sein, aber ermußte bald erkennen, daß diese Erfüllung seiner Sehnsucht, daß die Nähe dieses großenVorbildes und seine gutgemeinten Ratschläge für ihn, den in der Entwicklung und GärungStehenden, nach Eigenem Ringenden, die größte Gefahr bedeutete: die, sieh selbst zuverlieren, und ein Trabant, ein Nachahmer des Großen, Gereiften zu werden. Und so faßt erden schweren Entschluß, Jena, das einst so heiß ersehnte, und damit alles, was er dort anFörderung erfahren hatte und noch hätte erfahren können, zu verlassen, auf die Gefahr hin,töricht und undankbar zu erscheinen und für die Zukunft alles zu verscherzen, aber - seinGenius, mit anderen Worten, sein Schicksal trieb ihn.Um der Reinheit und Klarheit seiner Art und Anschauung willen, hatte er also das Opfergebracht, Jena und das Studium gelassen und eine, durch einen Jugendfreund vermittelte,Hauslehrerstelle in Frankfurt a/M. beim Bankier Contard angenommen.Und nun ist es wirklich, als ob das Schicksal sichtbar eingegriffen habe, um ihm, dem umKlarheit, Selbstbestätigung und das Siegel der Berufung Ringenden, den Menschen in denWeg zu führen. der ihm all das, und darüber hinaus höchste Erfüllung menschlichen Glückesbringen sollte, - und damit zugleich freilich auch den Keimling unendlichen Leides. SeligstesFinden, leuchtendster Aufschwung. göttliche Heiterkeit und Harmonie, und tiefster Absturz,dunkelste Verzweiflung, bitterste Demütigung und Entsagung sind unlösbar ineinanderverschlungen in diese Begegnung mit Susette Contard, der Gattin seines Brotherrn, derMutter seiner Zöglinge, die nur zwei Jahre älter war als er, der jugendstolze Feuergeist, der inihr nüchternes Haus kam.Natur und Freundschaft hatte er bisher als die formenden und belebenden Mächte des Lebenserfahren, denen aber andere Mächte entfremdend und vereinzelnd entgegenwirkten, vor allemder kalte zersetzende Geist. Erfahrung, Wirklichkeit der Gegenwart, und Ahnen und Erseheneiner besseren Zukunft hatten sich ihm aber zu keiner Gesamtschau zusammenschließenkönnen; die verschmelzende und sinngebende Macht war ihm noch unbekannt. Nun trat sieihm, gleichsam verkörpert in einem Menschen, entgegen: die Liebe, Erscheinung geworden inder Schönheit. Diese Begegnung bedeutete also nicht nur für den Menschen und MannHölderlin höchste menschliche Erfüllung, sondern darüber hinaus für den Dichter und Denkerhöchste Bestätigung und Gestaltwerdung des längst Geahnten: Natur und Geist waren keinenotwendigen Gegensätze, wo es um ein Entweder - Oder ging, ein Herrschenmüssen deseinen über den andern. Wenn sie sich im Laufe der Entwicklung der Menschheit und auchdes Einzelnen, entzweit hatten, so war eine Wiedervereinigung doch möglich. Da trat sie ihmdoch in herrlichstem Zusammenklang entgegen.Diese Begegnung und Liebe bewirkt gleichsam die Kristallisation der bis dahin vereinzeltenund einer Zusammenschließung widerstrebenden E1emente seiner Welt- undKunstanschauung. Und das Werk, an dem er schon in Tübingen zu arbeiten begonnen und dasdurch eine ganze Reihe von Fassungen das unsichere Suchen und Tasten nach dem letzten


Sinn und der endgültigen Form verrät, der ,.Hyperion", erhält nun diese Sinngebung undnotwendige Form.Nun findet er das Hauptmotiv seines Lebens und Schaffens und vermag es auchauszusprechen, am eindeutigsten in dem ,,Entwurf einer Vorrede" zum Hyperion."Wir sind zerfallen mit der Natur", heißt es da, ,,und was einst, wie man glauben kann, Einswar, widerstreitet sich jetzt, und Herrschaft und Knechtschaft wechselt auf beiden Seiten. Oftist uns, als wäre die Welt alles und wir Nichts, oft aber auch, als wären wir Alles und die WeltNichts... Jenen ewigen Widerstreit zwischen unserm Selbst und der Welt zu endigen, denFrieden alles Friedens, der höher ist denn alle Vernunft, den wiederzubringen, uns mit derNatur zu vereinigen1 zu einem unendlichen Ganzen, das ist das Ziel all unseres Strebens, wirmögen uns darüber verstehen oder nicht."[Kommentar:Das Streben des unreifen, romantisch veranlagten Hölderlin nach der Ganzheit mit der Natur -pantheistische Vereinigung -, typisch für das Empfinden aller spätklassisch-romantischenDichter, als politisches Streben nach Totalität zu missdeuten, also mit einer Grundkonstantenationalsozialistischer Intentionen gleichzusetzen, ist der zwingende Schritt in Neustädterspolitisierend-ideologisierenden Darstellung von Hölderlin]Das war aber, mit andern Worten: eine Kennzeichnung des gesamten Geisteslebens um 1800,das überall die Anzeichen dieser Gegensätzlichkeit und Vereinzelung aufweist. Das einigende,bindende Element fehlt. Der Weg in eine bessere Zukunft, zur Genesung gleichsam, geht nurüber die Aussöhnung des Widerstreites zwischen dem Ganzen und dem Einzelnen, zwischenSchöpfung und Geschöpf, Natur und Geist, Volk und Individuum, Leib und Seele, und wiedie Gegensätze alle heißen mögen. Das einzige Element aber, die einzige Macht, die solcheine Aussöhnung und Wiedervereinigung bewirken kann, ist die Liebe. Diese allein istimstande, die Schranken zwischen dem Ich und dem Du, zwischen Geist und Körper,zwischen jedweder Ichsucht und Vereinzelung zur Hingabe an ein Anderes zu überwinden,sie allein vermag zwischen den einander widerstrebenden Kräften Gleichgewicht undHarmonie herzustellen. Wo aber Gleichgewicht und Harmonie der Kräfte herrscht, dorterblüht Schönheit. Wahre Schönheit ist gleichsam nur die sichtbar gewordene Blüte aus demUrgrund der Liebe, und das untrügliche Zeichen für gesunde, natürliche Verhältnisse.Infolgedessen kann man also umgekehrt folgern: Wo Schönheit einem entgegentritt, daherrscht Harmonie, da spielen die Kräfte im Gleichgewicht und alles ist, wie es sein soll:gesund und gut. Das aber ist Kemizeichen des Göttlichen. Mit andern Worten: die Schönheitist die Erscheinungsform des Göttlichen, und darum verehrungswürdig. Das Schöne ist fürHölderlin also ebensowenig wie für die alten Griechen und unsere eigenen Vorfahren ein bloßästhetischer Wert, sondern ein sittlicher, der Ausdruck eines innern Wertes, der Erfüllungeiner natur- und damit gottgewollten Gesetzmäßigkeit. Erst wenn wir diesen für Hölderlinunlösbaren - und im tiefsten indogermanischen - Zusammenhang zwischen Schönheit, Liebe,Natur und Gottheit richtig begriffen haben, erschließt sich uns nicht nur Hölderlins Werk undWollen an sich, sonder auch die ganze Tragweite seiner Verkündung, für deren naturgläubige,biologiseh-völkische Werte wir erst heute das richtige Verständnis aufzubringen beginnen.[Kommentar: Wie der vom NS-Irrglauben beherrschte Neustädter das aller Menschlichste,das sich mit der Sicht- und Empfindungsweise der romantischen Geisteswelt, erweitert hin zueinem idealisierten Bild der klassischen, griechisch-römischen Antike, verbindet undverschmilzt, zu eingebildeter "indogermanischer Sittlichkeit" und zu "biologistischvölkischenWerten" verengt, verzerrt und damit entwertet und beschmutzt]


Dann erst können wir aber auch einigermaßen begreifen, was für ihn die Begegnung miteinem Wesen wie dieser Frau (die er übrigens bald "Diotima", nach der Priesterin der hohenLiebe in Platons Gastmahl, benannte, und in seinem Hyperion unter diesem Namenverewigte) bedeuten mußte, in deren Schönheit und Liebe sich ihm der Sinn der Weltordnung,also der göttliche Wille selbst zu offenbaren schien.Durch diese Liebe kommt es zu keinem Zwiespalt zwischen Neigung und Sendung, zwischenIch und All und Gemeinschaft, sondern sie erst bewirkt das sinnvolle und freudigeHineinreifen und Sichhineinfügen ins Ganze. Tiefstem germanischem Wesen entsprechendwird die Liebe nicht als zerstörende, erniedrigende Leidenschaft, sondern als veredelnde,aufbauende Macht, und die Frau nicht als verführendes Weibchen, sondern als zu Höchstemanspornende Gefährtin erlebt und gestaltet. Es ist sehr bedeutsam, daßHyperion, der unter der Schmach und Unterdrückung und Glaubenslosigkeit seines Volkesleidet und vergeblich nach einem Ausweg und Abhilfe sucht, durch Diotimas Glauben an ihn,au seine Berufung und an die Wiedererweckung dieses Volkes auf den rechten Weg gebrachtwird.[Kommentar: Dass die Liebe bzw. die Idealisierung der Liebe typisch für die romantischeEmpfindsamkeit ist, das verunstaltet N. zu einem angeblich typischen Wesenszug des"Germanischen"]Und so tritt nun in der Geschichte dieses jungen Griechen, der durch seine Liebe dazu geführtwird, für diese Liebe und für sein Volk zu kämpfen als neue Macht neben die bisher von ihmverkündeten, Natur, Freundschaft, Schönheit, Liebe nun als letzte, krönende hinzu: dasVaterland. So wie es ihm, dem Einzelwesen, erst die Macht der Liebe das Beste und Höchstegeweckt, ihn zu Größtem angespornt und befähigt hat, so soll sie auch im Ganzen wirken, sollalle Kräfte der Gemeinschaft befreien, durch sie muß das "Einer für alle, alle für einen" zurSelbstverständlichkeit werden, das ist der Sinn des zuerst dunkel anmutenden, gewaltigenWortes, das er hoffend und fordernd in die deutsche Zukunft rief: "Sprache der Liebenden seidie Sprache des Landes, ihre Seele der Laut des Volkes !"[Kommentar: Die einseitige Überbetonung des "deutschen Volkes", auf dessen ZukunftHölderlin zwar symbolisch hinweist. Doch in erster Linie ist die von ihm entworfeneSymbolik an sich in ihrer Bildhaftigkeit und Ausdruckskraft zu würdigen, d.h. zum einen diegriechische/klassische Dimension, zum anderen ist hier der Hin- bzw. Nachweis zu erbringen,dass es sich insgesamt um eine Idealisierung, auch und vor allem der Liebe und ihrerreinigenden, erlösenden Kraft, das ganz in romantischer Vorgehensweise, handelt. DochNeustädter zieht die NS-Politisierung und Ideologisierung vor, wodurch eine erneuteVerunstaltung und Verfälschung der Hölderlinschen Sichtweise erfolgt. Auch übersieht N. diezutiefst subjektive Sichtweise und Gefühlswelt des in die Bankiersfrau verliebten Hölderlin]Solcherart war die schicksalhafte Liebe der beiden, solcherart die Früchte, die sie trug. KeinVerhältnis, das mit Alltagsmaßen zu messen ist. Aber "je glücklicher du bist, um so wenigerkostet es, dich zugrunde zu richten", hat der Dichter ahnungsvoll Hyperion sagen lassen, undfurchtbar sollten diese Worte an ihm später wahr werden.Diese Begegnung und Liebe war wie nicht von dieser Welt, unterstand anderen Gesetzen alsden hier herrschenden, und mußte infolgedessen früher oder später an den harten Schrankender Wirklichkeit und des Alltags scheitern. Was half das innere Recht desFüreinanderbestimmtseins den beiden vor den Menschen ! Vor diesen waren sie rechtlos, undnun drohte Hölderlins Stellung auch noch würdelos zu werden, denn mit steigender


Deutlichkeit gab der Haus- und Bankherr seiner Auffassung, daß der bezahlte Hauslehrerauch nur eine Art Bedienter sei, Ausdruck.Die Lage wird immer unhaltbarer, bis eines Tages die unausweichliche Auseinandersetzungund damit der Bruch erfolgt. Um Susette zu schonen, verläßt Hölderlin das Haus Contardsund Frankfurt. "Immer hab ich getan, als könnt ich mich in alles schicken, als wär ich so rechtzum Spielball der Menschen und Umstände gemacht und hätte kein festes Herz in mir, dastreu und frei iii seinem Rechte für sein Bestes schlüge, teuerstes Leben ! Habe oft meineliebste Liebe, selbst die Gedanken an Dich mir manchmal versagt und verleugnet, nur um sosanft wie möglich um Deinetwillen dies Schicksal durchzuleben. .... Es ist himmelschreiend,wenn wir denken müssen, daß wir beide mit unsern besten Kräften vielleicht vergebenmüssen, weil wir uns fehlen ..." Und Diotima ?Noch im bittersten eigenen Schmerz denkt sie daran, den seinen zu lindern, ihn durch ihrenGlauben au ihn zu stärken und seiner Berufung zu erhalten, Und erschütternd ist seineAntwort: "Wenn ich an große Männer denke, in großen Zeiten, wie sie, ein heilig Feuer, umsich griffen und alles Tote, Hölzerne, das Stroh der Welt in Flamme verwandelten, die mitihnen aufflog zum Himmel, - und dann an mich, wie ich oft, ein glimmend Lämpchen,umhergehe und betteln möchte um einen Tropfen Öl, um eine Weile noch die Nacht hindurchzu scheinen - siehe, da geht ein wunderbarer Schauer mir durch alle Glieder, und leise rufe ichmir das Schreckenswort zu: lebendig Toter !"Es mag vermessen scheinen, wenn wir heute, da wir das vollendete Schicksal kennen,angesichts dieses Schmerzes zu erkennen meinen, daß diese Trennung ebenso notwendig warwie jene von Schiller, um das Letzte und Höchste aus ihm heraus zu ackern. Für denMenschen Hölderlin und sein menschliches Glück war dieser Riß unheilbar und hat ihnzerstört; den Dichter hat er zur Unsterblichkeit befreit, indem er wie ein Erdbeben dieschützenden Krusten über den glühenden Urgewalten aufriß.Schicksal und Leid hat er nun in ihrer Unerbittlichkeit und Gewalt an sich erfahren und alsUrmächte des Lebens, aber auch der Bewährung und Vollendung, erkannt. "Des HerzensWoge schäumte nicht so schön empor und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, dasSchicksal ihr entgegenstünde", beginnt er den Sinn des Geschehenen einzusehen und sichdaran aufzurichten: "Wer auf sein Elend tritt, steht höher". Gibt es ein gefaßteres,männlicheres Überwinden und Fruchtbarmachen des Leides, das er nun, ähnlich wie den Tod,als Vorbedingung des Lebens erkennt: "Es nährt das Leben vom Leide sich". Damit läutertund erhebt sich auch sein Schmerz aus dem Persönlichen ins Überpersönliche, alles Eigene istunwesentlich geworden vor der immer gewaltiger sich weitenden Schau ins Allgemeine undKünftige.[Kommentar: Kein Wort Neustädters über Hölderlins Pessimismus und Selbstbezogenheit(Subjektivismus)]So findet Nenon am Schluß seiner Klage aus der Verzweiflung zur Erkenntnis:"... Großes zu finden, ist viel, ist viel noch übrig, und wer soliebte, gehet, er muß, gehet zu Göttern die Bahn..."Was dieses Große aber ist, das erschließt sich ihm in seiner "Rückkehr in die Heimat"."... Wie lang ists, o wie lange ! des Kindes Ruhist hin, und hin ist Jugend, und Lieb und Lust,


doch du, mein Vaterland; du heiligduldendes,siehe, du bist geblieben.Und wenn im heißen Busen dem Jünglingedie eigenmächtigen Wünsche besänftigetund stille vor dem Schicksal sind, danngibt der Geläuterte dir sich lieber ..."[Kommentar: Neustädter erkennt in seiner NS-Verblendung nicht, dass bei Hölderlin zumeinen die Heimat synonym mit "Vaterland" gebraucht wird, also kaum etwas mit demnationalen Vaterland der Nazis zu tun haben kann. Auch enthält er sich der Feststellung, dassHölderlin in der Heimat/dem Vaterland das Ersatzobjekt für verlorene bzw. unerfüllte Liebezu glauben findet]Ja. nun ist er geläutert, will nichts mehr für sich selber, gibt sich ganz hin der Fülle undGewalt der Gesichte, will nur noch Gefäß des göttlichen Auftrages, Mund seiner Verkündungsein. Was ihm im bürgerlichen Leben noch widerfährt, ist im Grunde belanglos, rührt kaumnoch an sein Innerstes. Die Verbindung zu diesem Leben war zerrissen, er lebte schon ineinem anderen, konnte unter den Schlägen jenes noch zusammenzucken, brauchte sine Kräfteaber nicht mehr zur Abwehr und Änderung dieser Lage, sondern nur noch dazu, seineVerbindung zum Ewigen und Göttlichen zu wahren, einen Auftrag lauter und treu zu erfüllen.[Kommentar: Es leuchtet ein, dass Hölderlin keinesfalls das politische "Vaterland" meint,auch nicht die unmittelbare "Heimat" seiner Kindheit, sondern die erdichtete Heimat desGeistes und des Göttlichen, wo er glaubt alleine einen/seinen Auftrag erfüllen zu können. Esist also eine metaphysische Heimat, allerdings ein Surrogat für die Welt des alltags, die ihmnichts mehr bedeutet. Also die absolut unpolitische Einstellung eines, der die Flucht aus derWelt auf sich genommen hat und sich in seine Traumwelt begibt.]"... Uns gebührt es, unter Gottes Gewitternihr Dichter, mit entblößtem Haupte zu stehen,des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigner Handzu fassen und dein Volk ins Liedgehüllt die himmlische Gabe zu reichen..."In den verschiedenen Fassungen des dramatischen Fragmentes des "Empedokles" findet dasSchicksal solch eines Berufenen und Verkünders immer klarere sinnbildhafte Gestaltung. Esgeht aber keineswegs bloß um dessen Gestalt und Schicksal. sondern ebenso sehr uni das, waser glaubt und verkündet, und es ist sehr bezeichnend, daß Hölderlin diesen ersten biologischdenkenden griechischen Naturphilosophen und Naturheilkundigen zu seinem Helden undVorbild und Mund eigener Verkündung erkoren hat. Was Empedokles sagt, ist durchaus das,was Hölderlin meint, und daß er von seinem Volk nicht verstanden und verstoßen wurde undnur in der Rückkehr zur Natur seine Erlösung findet, schöpft Hölderlin auch aus eigenstemErleben.[Kommentar: Wäre Neustädters Text frei von den unmöglichen NS-Ideologemen, wie hiererneut des Biologismus, fiele das Urteil grundverschieden aus ! Empedokles mit Biologismusund Biologismen in Verbindung zu bringen, ist der reinste Blödsinn ! Hölderlin hat diesengriechischen Philosophen und Dichter zu seinem symbolischen Wortführer erkoren, zumSinnbild des "Berufenen" und "Verkünders" umgestaltet, weil das einerseits in der antikenTradition so überliefert ist - Empedokles wurde zu den "Sieben Weisen" gezählt, weil erandererseits in derselben Tradition als hervorragender Naturphilosoph galt - von ihm soll die


Lehre der vier Grundelemente des Universums, Feuer, wasser, Erde und Luft/Äther herrühren-, andererseits ist es doch für Hölderlins Flucht aus seiner Gegenwart in eine idealisiertegriechisch-römische (klassische) Antike, dass er eine solche antike Persönlichkeit wieEmpedokles als Sinngeber und Sinnstifter auswählt. Das hat mit dem von N. beschworenenNS-Biologismus überhaupt keinen Berührungspunkt. Hölderlins Wahl ist zudem ein Ergebnisseiner, gewiss übersteigerten Überzeugung, für Höheres berufen zu sein, weshalb er so wiesein Alterego Empedokles vom Volk, also vom gemeinen Pöbel, keineswegs ist das"deutsche" Volk gemeint, wie das der NS-Kulturapparatschik Neustädter gerne haben möchte,missverstanden wird. Diese höhere Berufung ist nur Weisen = "Berufenen" und "Verkündern"vorbehalten. Es ist hier die klare Abwendung Hölderlins von der gegebenen Welt erkennbar,der er den Rücken kehrt, weil er sich persönlich nicht verwirklichen konnte, vor allem in derLiebe, um sich nun einer idealen und gleichzeitig Traumwelt der Reinheit undAusschließlichkeit zuzuwenden. Diese elitäre Komponente, auch ein beliebtes, sogar einKernelement des NS-, vor allem des SS-Diskurses, fühlt Neustädter zwar heraus, erweist sichaber unfähig in vernünftige Worte zu kleiden, hingegen ausschließlich biologistische undplumpenvölkische, deutsch- und germanentümelnde Floskeln aneinander zu reihen]Als er in der Heimat keinen Erwerb, keine Stelle mehr findet, als auch Schller auf seine Briefenicht mehr antwortet, geht er in die Schweiz und nach Bordeaux, um dort als Erzieher seinBrot zu verdienen. Als er in langer Fußwanderung von dort zurückkehrt, empfängt ihn dieKunde vom Tode Diotimas. Nun ist auch die letzte Bindung ans Persönliche und Gewesenegefallen, einsam steht er, erschauernd unter der Fülle und Gewalt der Gesichte, die Vorzeitund Künftiges in mächtigem Bogen umspannen und in gewaltigen Bildern und schwerenRhythmen zur Verkündung drängen. Dies aber ist seine Verkündung: Der alte Glaube istkraftlos geworden, seine begeisternde und erlösende Macht erloschen, das Volk ist inGleichgültigkeit gesunken. schwankt ohne Halt noch Ziel. Aber während es so hindämmert,ist in seiner Seele doch schon ein heimlich Feuer erglommen "von neuen Zeichen", und"... Nicht länger darf Geheimnis mehrdas Ungesprochene bleiben,nachdem es lange verhüllt ist ..."Es geht um nicht weniger, als um eine neue Gottverkündung im deutschen Raum.[Kommentar: Selbst wenn das zuträfe, ist es eine Verkündung die überhaupt nichts mit demNS-Irrsinn am Hut hat, sondern, wie bereits auseinandergesetzt, mit der ausflüchtigenBewegung eines vom Leben Enttäuschten in die erdachte und idealisierte Welt klassizistischerReinheit von Botschaft, Sinngebung und Zielen. Dass es sich dabei um un- bzw.antichristliche Akzente handelt, ist sowohl durch den Gegenstand seiner Ausführungen wiedurch die Art der Darstellung, also durch den klassizistisch-romantischen Diskurs Hölderlins,der im Wesentlichen ausweichlerisch ist und weltfremde Akzente setzt, vorgegeben. Damit istder Dichter durchaus seiner Zeit und dem damals herrschenden Zeitgeist verhaftet. SeinSehertum (das Berufensein und das Verkündertum) weist zwar in die Zukunft, malt dieseaber, wohl im Einklang mit dem unzeitgemäßen Stoff und den lange zurückliegendenGegenständen seines Diskurses, in unrealistischen und utopischen Bildern wie Vorstellungenaus]Nach einer nahezu 2000jährigen naturfernen, entgöttlichten Zeitennacht, beginnt nun derMorgen eines neuen Weltentages heraufzudämmern, in dem die Göttlichkeit alles Natürlichenwieder erkannt and verehrt, und seine Gesetzlichkeit wieder befolgt wird, Gott und seineAllmacht ist an keinerlei Satzung gebunden, offenbart sich in keinerlei Schrift, sondern


ingsum in seiner Schöpfung, spricht zu uns durch seine Sterne und Meere, durch Wald undWiud, die heimatliche Landschaft und ihre Menschen, durch die Liebe zu ihnen und zumVaterland.[Kommentar: Das ist ein insgesamt pantheistisches Weltempfinden, das bekanntlich beiGoethe Programm war. Der Ruf "Zurück zur Natur !", der hier herausklingt, ist für dasdamalige Zeitalter durchaus typisch und beschränkt sich nicht nur auf Hölderlin, wie das N.fälschlicherweise weitergeben möchte. Doch ist bei Hölderlin die Weltflucht nicht nurbetonter als bei anderen Dichtern der Romantik, sondern wird zur Konstante seines Schaffens.Wenn nun Neustädter so viele Gemeinsamkeiten zwischen Hölderlins Sichtweise und demNS-Diskurs erblicken möchte, so leistet er dabei nicht nur dem Trieb eines politisierendenund ideologisierenden NS-Kulturfunktionärs Genüge, sondern spürt jene tatsächlicheGemeinsamkeit zwischen den beiden Polen auf, nämlich ihre ausgesprochene Weltfremdheit.Doch im Gegensatz zu Hölderlin, der sich programmatisch auf die Natur und deren Gewaltenberuft, tat das der NS in der verfälschend- einseitigen Weise desNaturdarwinismus/Rassismus, einer für gesellschaftliche und auch staatliche Verhältnisse,auch aus der Sicht ihrer menschenverachtenden und zerstörerischen Kohnsequenzen,untragbaren, weil unnatürlichen, gegen die Natur gerichteten Weltfremdheit]Heilige Städte. heilige Flüsse, heiliges Land sind ihm nicht mehr Jerusalem und Jordan undPalästina; an ihre Stelle treten die Vaterlandsstädte Stuttgart, Heidelberg, der"Vaterlandsstädte ländlichschönste", Neckar und Main. der ganze geliebte Heimatboden unddas größere Vaterland, und aus der Ferne leuchten als Vorbilder die Stätten hellenischer Kraftund Blüte und nationaler Einheit, die alle er als erster und im vollem Bewußtsein dieserunerhört neuen Schau und Aufgabe besingt. Und wie er der deutschen Seele ihre Heimat nurschenkt und heiligt, so befreit er sie von der Furcht vor dem Tode und aller Ungewißheit einesanders gearteten Jenseits.[Kommentar: Neustädter erreicht hier zweifelsohne den Höhepunkt politisierendideologisierenderVerzerrung und Maßdeutung Hölderlins, weil er in die eigentlich auf dieengste Umgebung seiner schwäbischen Heimat beschränkte Heimatliebe Hölderlins zumeinen die vaterländisch-deutschnationale Dimension hineinzwängt, zum anderen diehellenische Dimension zwar erwähnt, aber geflissentlich übersieht, dass Hölderlin diese seinerHeimat nicht nur gleichstellt, sondern als scheinendes Idealbild sogar voranstellt. Solcheschwerpunktmäßige Prioritäten Hölderlins interessieren den ideologisierenden Neustädternatürlich keinen Deut. Auch dass Hölderlin nicht auf biblische Vorbilder zurückgreift sondernauf das der griechischen Antike hat keinerlei Berührungspunkte mit dem im NS verbreitetendeutschchristlichen Dogma, aus dem christlichen Glauben sei alles, was jüdisch ist, zuignorieren, wie das Neustädter zu Beginn des Abschnittes andeuten möchte, sondernHölderlins Verortung in der Antike war ein Wesenszug der spätklassizistisch-romantischenEpoche]"Man sagt sonst, über den Sternen verhalle der Kampf, und künftig erst, versprichtman uns, wenn unsere Hefe gesunken se{ verwandle sich in edlen Feuerwein dasgärende Leben; die Herzensruhe der Seligen sucht man sonst auf Erden nirgendsmehr. Ich weiß es anders.... Die dich nicht ehren, kindlich Leben der Natur; diemögen vor dem Tode sich fürchten. Ihr Joch ist ihre Welt geworden; besseres, alsihren Knechtdienst, kennen sie nicht.... Ich habe es gefühlt, das Leben der Natur dashöher ist denn alle Gedanken, - wenn ich auch zur Pflanze würde, wäre der Schadedenn so groß ? - Ich werde sein ! Wie sollte ich mich verlieren aus der Sphäre desLebens, worin die ewige Liebe, die allen gemein ist, die Naturen alle zusammenhält?


Wir sterben, um zu leben." "Der Tod ist ein Bote des Lebens, und daß wir jetztschlafen in unsern Krankenhäusern, dies zeugt vom nahen gesunden Erwachen..."[Kommentar: Hölderlins Naturgefühl bzw. seinem Wunsch eins mit der Natur zu werden,auch wenn er als Pflanze dort weiter leben sollte, entspricht seinem Bedürfnis nachallumfassender Harmonie und ewigem Leben, beides typisch romantische Ideale]Und welch großartiger Lebens- und Ewigkeitsglaube bricht ans seinen Worten: "Was lebt istunvertilgbar, und wenn du es zerreißest bis auf den Grund, und wenn du bis ins Mark eszerschlägst: doch bleibt es eigentlich unverwundet, und sein Wesen entfliegt dir siegend unterden Händen !' Und aus diesem Glauben, der einen "neuen Frühling" der Völker" mit sichbringen wird, wird dann auch die "Lieblingin der Zeit, die jüngste, schönste Tochter der Zeit,die neue Kirche, hervorgehen, aus diesen befleckten, veralteten Form... Ich kann sie nichtverkünden, denn ich ahne sie kaum, aber sie sind gewiß, gewiß !"[Kommentar: Dass es sich nicht um die Kirche nach den Seligkeitsrezepten derdeutschchristlichen Irrwege handelt, dass es sich hier überhaupt um die katholische Kirchehandelt, mit der Hölderlin wohl in Konflikt geraten war, sondern eher und vor allem um densymbolischen Ausdruck "Kirche" stellvertretend für "Glauben", für den neuen, von allenVisionären der Romantik verkündeten Glauben, das fällt Neustädter nicht im geringsten auf. ]Aber sie kommt nicht als Geschenk, sie muß gewagt, erkämpft, errungen werden, so wieEmpedokles es fordert:"So wagts! was ihr geerbt, was ihr erworben,was euch der Väter Mund erzählt, gelehrt,Gesetz und Bräuch, der alten Götter Namen,vergeßt es kühn und hebt, wie Neugeborne,die Augen auf zur göttlichen Natur !...dann .... ruht auf richtigen Ordnungen das neue Leben,und euern Bund befestigt das Gesetz.[Kommentar: Was nicht zu erwarten wäre, spricht Hölderlin nun aus: die Notwendigkeit derAbwendung von der Tradition, um den zustand von "Neugeborenen" zu erreichen und der"göttlichen Natur" angesichtig zu werden. Der Idealismus und Utopismus Hölderlins ist hierunverkennbar. Doch Neustädter nimmt weder die eine noch die andere Begriffsbestimmungvor, weil sie in sein ideologisches NS-Korsett nicht hineinpasst]Wir erinnern uns nun der Eingangsworte zu dieser Stunde aus "Hyperion" und begreifen nun,wie das gemeint ist, mit dem "dürren, faulen Baum", dem jungen Leben und dem: "Es werdevon Grund aus anders!" Noch aber stehen dieser Befreiung und Erneuerung all jene entgegen,deren bisherige Verkündung und Macht zu Schanden würde Mit einer Schärfe und Bitterkeit,wie wir sie sonst bei Hölderlin nirgends finden, rechnet er mit diesen in der Gestalt ihresVertreters, des Priesters Hemokrates, im Empedokles ab."Ich kenne dich und deine schlimme Zunft,und lange wars ein Rätsel mir, wie euchin ihrem Runde duldet die Natur.Ach, als ich noch ein Knabe war, da miedeuch Allverderber schon mein frommes Herz,das unbestechbar innigliebend hing


an Soun und Äther und den Boten allender großen ferngeahneten Natur.Denn wohl hab ichs gefühlt, in meiner Furcht,daß ihr des Herzens freie Götterliebebereden möchtet Zinn gemeinen Dienst,und daß ichs treiben sollte so wie ihr.Hinweg ! Ich kann vor mir den Mann nicht sehen,der Heiliges wie ein Gewerbe treibt;sein Angesicht ist falsch und kalt und tot,wie seine Götter sind ..."Nein, der Dienst am Göttlichen kann und darf nicht zu Erwerb und Beruf werden, er mußBerufung und damit ein Wagnis und letzter Einsatz sein auf alle äußere und innere Gefahrhin, die damit verbunden ist, und die er, Hölderlin, auf sich nimmt.[Kommentar: Hölderlin spricht sich für eine Naturreligion aus, die er in seiner Kindheitbesaß. Es spielt also eine gewisse Verkindlichung in Hölderlins Einstellung eine Rolle. Ervermeint als Grundbedingung für den neuen Befreiungsglauben, allerdings minder einespolitischen denn eines auf die Belange der Seele und des Geeistes ausgemünzten, kindlicheUnbestechbarkeit und Liebe/Frömmigkeit einfordern zu müssen]In immer neuen, immer gewaltigeren Bildern gestaltet er seine Schau, immer drängenderverkündet, beschwört, fordert er die Besinnung auf die eigene Art, das Erwachen seinesdeutschen Volkes zu neuer Aufgabe: Träger dieser neuen Gottschau und Gläubigkeit unddamit Retter des Abendlandes und seiner Kultur zu werden. -- so wie einst die Griechen, alssie den Ansturm des Ostens, der persischen Übermacht, opfermütig abwehrten.[Kommentar: Faseleien, die aus dem propagandistischen Repertoire der NS-Heilslehrestammen und hier das Paradigma des vorgeblichen Berufenseins Hitlerdeutschlands EuropasKultur vor den barbarischen asiatischen Horden der Bolschewiken - dem "Ansturm desOstens" - zu retten]In großartiger Vision schlägt er den Bogen vom alten Hellas und seinem nationalenAufblühen nach der Zerstörung Athens und der siegreichen Entscheidungsschlacht beiSalamis, über die kleinliche, glaubenslose Gegenwart in die erhoffte Zukunft in seinemmächtigen Gedicht "Archipelagus"; in dieser Rückschan ein Vorbild und Zukunftsbildgestaltend.[Kommentar: Hier kann es nur heißen: Hölderlin, dieser Träumer !]Wenn er auch immer wieder das Griechentum als Vorbild hinstellt, so nicht, damit dasdeutsche Volk seine Art nachahme, sondern damit es wie dieses, d. h. treu der eigenen Art,eins mit sich selbst und dem angeborenen Glauben sei und schaffe; dann werde es zu Kraftund Freiheit und zu einer Leistung gelangen. wie die Welt sie noch nicht gesehen. [WiederErgüsse der billigsten NS-Propaganda. Dass es sich hier um eine klassisch-humanistischeSichtweise handelt, die in erster Linie der allgemein menschlichen Dimension gilt, konntedem von seiner NS-Hörigkeit geblendeten N. überhaupt nicht in den sinn kommen][Kommentar: So fährt Neustädter mit der billigsten Verabsolutisierung Hölderlins im NS-Geist fort:]


Kein deutscher Dichter, noch Denker, noch Staatsmann hat bis zu Hölderlins Zeit demdeutschen Volke solch eine Aufgabe zugewiesen, ihm Vaterlandsgesänge von solch einerGröße der Schau und Kraft des Glaubens und der Sprache geschenkt, wie die nunentstehenden etwa "An die Deutschen" oder ",Germania", wo es heißt:"Du bist es, auserwähltalliebend, und ein schweres Glückbist du zu tragen stark geworden...... Germania, wo du Priesterin bistund wehrlos Rat gibst ringsden Königen und den Völkern."Und endlich der "Gesang der Deutsehen":O heilig Herz der Völker, o Vaterland!Allduldend, gleich der schweigenden Mutter Erd,und allverkannt, wenn schon aus deinerTiefe die Fremden ihr Bestes haben!Sie ernten den Gedanken, den Geist von dir,sie pflücken gern die Traube, doch höhnen siedich, ungestalte Rebe; daß duschwankend den Boden und wild umirrest.Du Land des hohen, ernsten Genius!Du Land der Liebe! bin ich der Deine schon,oft zürnt ich weinend, daß du immerblöde die eigne Seele leugnest.Nun! sei gegrüßt in deinem Adel, mein Vaterland,mit neuem Namen, reifeste Frucht der Zeit! - -Du letzte und du erste allerMusen, Urania; sei gegrüßt mir!Noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig Werk,das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild,das einzig, wie du selber, das ausLiebe geboren und gut, wie du, sei.Wo ist dein Delos, wo dein Olympia,daß wir uns alle finden am höchsten Fest? -Doch wie errät der Sohn, was du denDeinen, Unsterbliche, längst bereitest?"[Kommentar: Die politischen Einschläge sind hier unverkennbar, doch sind sie nichteindeutig, keinesfalls so schwerwiegend, wie das Neustädter in seiner NS-Furoreherausstellen will. Weil Hölderlin die Muse Urania und die von dieser ausgestrahlte Liebeebenso betont wie das Vaterländische]Die Frage nach dem deutschen Delos und Olympia ist die nach der deutschen Einigkeit. Sowie es für die Griechen etwas gab, was über allen Hader hinweg gemeinsam war, was sieimmer wieder einte und zusammenfinden ließ, ihre gemeinsame griechische Welt- undGottschau, und die dieser geweihten gemeinsamen nationalen Kult- und Weihestätten, andenen die gemeinsamen nationalen Festspiele stattfanden, so mögen auch die Deutschen zueinem gemeinsamen Glauben finden, der sie zu gemeinsamer Feier dereinst zusammenführt!Wie dieser gemeinsame Glauben, diese Einigkeit und Gemeinschaft - über die


Naturgläubigkeit hinaus! - beschaffen sein soll, hat er in einem Brief an seinen Bruderangedeutet: ,,Nicht daß irgendeine Form, irgendeine Meinung und Behauptung siegen wird, -dies dünkt mir nicht die wesentlichste seiner Gaben.[Kommentar: Warum Neustädter wohl diese bedeutsame stelle in Hölderlins Brief nichtwürdigt ? Weil sich Hölderlin gegen den Sieg irgendeiner Partei, also irgendeiner Meinungoder Ausrichtung wendet, was ganz antitotalitär ist und in Neustädters NS-gepoltesInterpretationsmuster nicht hineinpasst. ]Aber daß der Egoismus in allen seinen Gestalten sich beugen wird unter die heilige Herrschaftder Liebe und Güte, daß Gemeingeist über alles in allem gehen und das deutsche Herz insolchem Klima, unter dem Segen dieses neuen Friedens erst recht aufgehen und geräuschlos,wie die wachsende Natur, seine geheimen, weitreichenden Kräfte entfalten wird, dies mein'ich, dies seh' und glaub' ich, und dies ist's was vorzüglich mit Heiterkeit mich in die zweiteHälfte meines Lebens hinaussehen läßt."Es ist, wenn wir all diese Aussagen zusammennehmen, nicht weniger als eine Zeitwende, dieda verkündet wird, eine geistig-seelische Neuordnung im deutschen Raum, deren Quellennicht mehr draußen in irgendeiner Fremde liegen, sondern in der eigenen Art, in der eigenenVergangenheit. in der eigenen Heimat.Wie ging es aber ihm, der dies verkündete ? So wie es den meisten Verkündern und Neueremvon jeher ergangen ist: sie wurden angefeindet, bekämpft. verbannt, verbrannt oder - wasvielleicht noch schlimmer ist - gar nicht vernommen und verstanden. Jenes hat Hölderlin imEmpedokles gestaltet, dieses an sich selbst erfahren müssen. Einmal nimmt die Bitterkeit inihm überhand und er bricht aus in furchtbarer Anklage über die "Barbaren um uns her, dieunsere besten Kräfte zerreißen, ehe sie zur Bildung kommen können..."[Kommentar: Das stimmt zwar, aber Neustädter nimmt mit keinem Wort auf die historischenEntwicklungen jener Zeit Bezug, die Hölderlin veranlassten auch politische töneanzustimmen. Neustädter betrachtet nämlich was Hölderlin 150 Jahre zuvor "verkündet" hatteals Entsprechung nationalsozialistischer Ideale und Ziele. Es darf dabei nicht vergessenwerden, dass das Verkünderische an Hölderlin durchaus der gleichen Komponente des NSzupass war, deshalb auch so gut in Neustädters fragwürdige Argumentation passt.]Aber die Liebe zu seinem Volke überwog alle Bitterkeit und Anklage; er hielt sich offen undbereit dein Dienst, den er für sich als bindend erkannt hatte; Mittler zu sein, das heilige Feuerweiter zu reichen, mochte er selber davon verzehrt werden und verlodern. Immerbedrängender wird die Fülle der Gedichte, immer gewaltiger, dunkler, geheimnisreicher dieSprache. "Ich spreche Mysterien, aber sie sind", heißt es an einer Stelle, "doch. allmählichsteigern sie sich ins Unaussprechbare, nicht mehr Verkündbare, und diesem übermächtigenDrncke, nur noch Ahnen, Schauen, Vernehmen zu müssen, ohne es noch ins Wort fassen, sichdavon befreien zu können in der Verkündung, diesem Drucke vermag sein Geist schließlichnicht mehr stand zu halten, Die Erkenntnis, die er Empedokles in den Mund gelegt: "Fortmuß, durch wen der Geist geredet!" erfüllt sich furchtbar an ihm selbst.[Kommentar: Hölderlin hat die Grenze des Aussprechbaren erreicht, damit die Grenzen derpoetischen Wortgestaltung - das ihn latent begleitende Krisengefühl kommt zum Ausbruch]Im selben Jahre, da das alte Preußen bei Jena in Trümmer sank, die überaltete zermürbteReichseinheit des ,,heiligen römischen Reiches deutscher Nation" auseinanderbrach und die


Jahre deutscher Schmach begannen, da sank auch Hölderlins Geist in Dunkel, 1806. 36 Jahrealt war er damals, doch 37 Jahre lang lebte er noch so dahin, ein "lebendig Toter", den "Apollgeschlagen", da er zu tief ins göttliche Licht geschaut, wie er selber von sich gesagt. Was eraber erschaut, das hat er uns hinterlassen, in unsterbliches Sinnbild und Wort gebannt. Werden Herzschlag deutschen Wesens vernehmen will, von zartester Innigkeit bis zum Sturm desZorns und der Begeisterung., lausche in sein Werk: wer Adel und Reinheit undOpferbereitschaft deutscher Jugend und deutschen Mannes- und Weibtums erkennen will,gehe zu den Gestalten seiner Seele, oder beschwöre seine eigene Gestalt, sein eigenesSchicksal vor sein geistig Auge, denn sein Leben und Schaffen war von Anfang bis Ende einEinsatz und Opfer für das, was er als seine Sendung und Pflicht erkannt hatte. Und daß ernicht nur mit der Waffe des Geistes zu kämpfen bereit war, wenn es darauf ankam, dafür legtZeugnis ab ein Wort., das er seinem Bruder schrieb:"... dann wollen wir uns durch kein Geschwätz von Übertreibung, Ehrgeiz,Sonderbarkeit usw. hindern lassen, um mit allen Kräften zu ringen und mit allerSchärfe und Zartheit zusehen, wie wir alles Menschliche in uns und andern in immerfreiern und innigern Zusammenhang bringen, es sei in bildlicher Darstellung, oderwirklicher Welt, und wenn das Reich der Finsternis mit Gewalt einbrechen will, sowerfen wir die Feder unter den Tisch und gehen in Gottes Namen dahin, wo die Notam größten ist und wir am nötigsten sind."(Volk im Osten. Die Zeitschrift des Südostens, 4. Jg., Heft 7, 1943, S.59-74)

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