Interview mit BfV-Präsident Dr. Maaßen, Die Welt online am 12.11 ...
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DIE WELT ONLINE Seite 1/4 <strong>12.11</strong>.2012<br />
"Attentate radikaler Isl<strong>am</strong>isten jederzeit möglich"<br />
Verfassungsschutzchef Hans-Georg <strong>Maaßen</strong> über Risiken des Verbotsverfahrens<br />
gegen die NPD, das Debakel um die rechtsextremistische Mordserie und die<br />
Gefahr des isl<strong>am</strong>istischen Terrors in Deutschland.<br />
Von F. Flade, M. Lutz und U. Müller<br />
Für einen, der vielen als Buhmann der Nation gilt, wirkt Hans-Georg <strong>Maaßen</strong><br />
überraschend fröhlich. Im Journalistenclub des Axel-Springer-Hochhauses beeindruckt<br />
den neuen Verfassungsschutzpräsidenten der Blick über Berlin. Gefragt nach seinem<br />
Amtsverständnis, sagt der 49-Jährige, die Neugierde treibe ihn an. Der gebürtige<br />
Mönchengladbacher gilt als brillanter Jurist, er antwortet blitzschnell und spricht fast<br />
druckreif.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Herr <strong>Maaßen</strong>, sitzen Sie auf einem Schleudersitz?<br />
Hans-Georg <strong>Maaßen</strong>: Nein, sondern ich fühle mich auf meinem Stuhl sehr wohl.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Vier Verfassungsschutzpräsidenten im Bund und in den Ländern mussten<br />
bereits wegen der Pannen im Zus<strong>am</strong>menhang <strong>mit</strong> der Neonazizelle NSU zurücktreten.<br />
Und auch an Ihrer Amtsführung gibt es bereits Kritik.<br />
<strong>Maaßen</strong>: Kritik spornt mich an, meinen zugegebenermaßen schwierigen Job noch<br />
besser zu machen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Wie erklären Sie sich, dass die Neonazigruppe NSU so lange unerkannt blieb<br />
und neun Migranten sowie eine Polizistin ermorden konnte?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Ich selbst sehe die Ursache in strukturellem Versagen. Sowohl die<br />
Zus<strong>am</strong>menarbeit zwischen Bund und Ländern war mangelhaft als auch die zwischen<br />
Polizei und Nachrichtendiensten. Daneben gab es Fehler einzelner Personen, besonders<br />
in den Er<strong>mit</strong>tlungsbehörden. Darüber hinaus beschäftigen sich ja auch mehrere<br />
Untersuchungsausschüsse und eine Bund-Länder-Kommission <strong>mit</strong> den möglichen<br />
Gründen. Auch von der kommenden Hauptverhandlung gegen Frau Zschäpe und andere<br />
Beschuldigte erwarte ich eine Antwort auf die Frage, wie diese Terroristen unerkannt<br />
bleiben konnten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Was regt Sie dabei im Rückblick besonders auf?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Mich regt besonders auf, wenn Dilettantismus nicht klar als solcher benannt<br />
wird, sondern als Normalität hingenommen wird. Wenn man nicht in der Lage ist, die<br />
Fehler der Vergangenheit zu erkennen, kann man sie auch nicht abstellen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Trägt der Verfassungsschutz die Hauptschuld <strong>am</strong> kollektiven Versagen der<br />
Sicherheitsbehörden?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Wir alle müssen uns doch fragen, was ist falsch gelaufen? Da würde ich nicht<br />
nur Versäumnisse im Verfassungsschutzverbund sehen, sondern auch Fehler bei den<br />
Er<strong>mit</strong>tlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaften.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Nach dem 4. November 2011, als der NSU enttarnt wurde, sollte die<br />
Besondere Aufbauorganisation (BAO) "Trio" des Bundeskriminal<strong>am</strong>tes <strong>mit</strong> mehreren<br />
Hundert Be<strong>am</strong>ten die Verbrechen aufklären. Warum sind Sie von den Ergebnissen<br />
enttäuscht?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Es ist zumindest so, dass trotz der guten Arbeit der Be<strong>am</strong>ten in der BAO<br />
"Trio" die ganzen Hintergründe leider nicht restlos aufgeklärt werden konnten.
DIE WELT ONLINE Seite 2/4 <strong>12.11</strong>.2012<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Von wem soll denn noch Aufklärung kommen?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Ich hoffe, dass die Hauptangeschuldigte Beate Zschäpe in dem<br />
bevorstehenden Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht endlich ihr Schweigen<br />
bricht. Erst dann werden wir in vielen Punkten Klarheit erhalten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Vor einem Jahr wurden in Ihrer Behörde wichtige Akten vernichtet,<br />
ausgerechnet zum Auftakt der Karnevalszeit. Hat diese "Aktion Konfetti" das Vertrauen<br />
in den Verfassungsschutz nachhaltig erschüttert?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Da<strong>mit</strong> wurde die Reputation des Verfassungsschutzes in der Tat schwer<br />
beschädigt. Der Bericht des Sonderbeauftragten belegt, dass es sich nicht um eine<br />
Vertuschungsaktion handelte, sondern um das dumme Fehlverhalten eines einzelnen<br />
Mitarbeiters.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Ist nicht der Verfassungsschutz insges<strong>am</strong>t ein Sanierungsfall?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Nein. Der Verfassungsschutz ist eine wichtige Einrichtung. Wir müssen uns<br />
aber reformieren und modernisieren. Wir können sicherlich noch besser werden.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Vor allem die türkischstämmige Bevölkerung hat wegen der Mordserie kein<br />
Vertrauen mehr. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan<br />
Kolat, wirft dem Verfassungsschutz sogar vor, den Rechtsstaat zu gefährden. Trifft Sie<br />
das?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Das ist Polemik, die ich für falsch halte. Allein in den vergangenen zehn<br />
Jahren hat der Verfassungsschutz entscheidend <strong>mit</strong>gewirkt, zehn Anschläge aus dem<br />
isl<strong>am</strong>istischen Bereich zu verhindern, beispielsweise den der Sauerlandgruppe. Der<br />
Verfassungsschutz hat dabei auch eine schützende Hand über ausländische Mitbürger<br />
gehalten.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Irritiert ist die Öffentlichkeit auch über das V-Leute-Wesen. Offenbar bezahlt<br />
der Verfassungsschutz höchst dubiose Informanten und schützt diese angeblich sogar<br />
vor Verfolgung durch die Polizei. Heiligt der Zweck die Mittel?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Nein. Es muss nur immer wieder klargemacht werden: V-Leute sind<br />
Extremisten und keine Be<strong>am</strong>ten, die einen Eid auf die Verfassung geschworen haben.<br />
Zugleich sind V-Leute jedoch unverzichtbar, um an Informationen aus extremistischen<br />
Gruppierungen zu gelangen. Aus offen zugänglichen Quellen allein ist das nicht<br />
möglich. Allerdings müssen wir V-Leute so auswählen, dass sie ihre Bezahlung nicht<br />
benutzen, um Extremismus zu finanzieren.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Was wollen Sie bei den V-Mann-Führern ändern?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Das Bundes<strong>am</strong>t hat bereits eine klare hausinterne <strong>Die</strong>nstanweisung <strong>mit</strong> hohen<br />
– auch ethischen – Standards für das Führen von V-Leuten. In den Ländern brauchen<br />
wir ebenfalls ähnliche Vorschriften. Ich plädiere auch für eine Rotation von V-Mann-<br />
Führern. Sie sollten nicht über lange Zeiträume die gleichen Personen betreuen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Es gibt das Bundes<strong>am</strong>t für Verfassungsschutz, parallel arbeiten 16<br />
Landesämter. Oft weiß die eine Stelle nicht, was die andere tut. Ist das föderale Klein-<br />
Klein der Treibsatz für Ineffizienz?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Bei den Sicherheitsbehörden ist Effizienz das Entscheidende. <strong>Die</strong>se hängt<br />
aber nicht von der Zahl der Ämter ab.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Wovon dann?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Wichtig ist, die Zentralstellenfunktion des Bundes<strong>am</strong>tes zu stärken. Das heißt:
DIE WELT ONLINE Seite 3/4 <strong>12.11</strong>.2012<br />
<strong>Die</strong> Landesämter müssen künftig dazu verpflichtet werden, dem Bundes<strong>am</strong>t sämtliche<br />
Informationen zur Verfügung zu stellen. Und wir müssen den Einsatz von V-Leuten<br />
zentral koordinieren dürfen. Für all das muss das Bundesverfassungsschutzgesetz<br />
geändert werden.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Dafür brauchen sie die Länder. Und die sperren sich.<br />
<strong>Maaßen</strong>: Ich bin zuversichtlich, dass wir <strong>mit</strong> den Ländern zu guten Lösungen kommen.<br />
<strong>Die</strong> meisten Länder haben verstanden, dass von einer Stärkung des Bundes<strong>am</strong>tes alle<br />
profitieren.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Als mögliche Konsequenz aus dem NSU-Debakel wird über ein Verbot der<br />
NPD diskutiert. Würde es Ihre Arbeit erleichtern?<br />
<strong>Maaßen</strong>: <strong>Die</strong> Verfassungsschützer haben <strong>mit</strong> der kürzlich vorgelegten umfangreichen<br />
Materials<strong>am</strong>mlung gegen die NPD gute Arbeit geleistet. <strong>Die</strong> Frage, ob ein Verbot<br />
beantragt wird, ist nun eine politische Entscheidung. Dabei sollte berücksichtigt werden,<br />
dass ein Verbot zwar Strukturen und Logistik der NPD zerschlägt, auf der anderen Seite<br />
aber ein Verbot gewaltbereiten Rechtsextremisten Zulauf bescheren könnte, denn das<br />
rechtsextremistische Gedankengut kann ja nicht verboten werden.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Warum sind Sie so skeptisch?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Das Risiko ist hoch, dass ein Verbotsverfahren vor dem<br />
Bundesverfassungsgericht scheitert. Oder dass die NPD vor dem Europäischen<br />
Gerichtshof für Menschenrechte einen Sieg erringt und als zulässige Partei eingestuft<br />
wird. <strong>Die</strong>se Risiken muss die Politik sehr genau abwägen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Was würde ein Scheitern bedeuten?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Das wäre ein Ritterschlag für die NPD. Sie hätte dann als einzige Partei in<br />
Deutschland das höchstrichterliche Siegel, nicht verfassungsfeindlich zu sein.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Der Verfassungsschutz ist aktuell vor allem wegen des Rechtsextremismus<br />
und des Versagens der Behörde in der Öffentlichkeit präsent. Tun Sie sonst nichts?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Wir leisten vielfach hervorragende Arbeit, zum Beispiel in der<br />
Spionageabwehr. <strong>Die</strong>se konnte im vorigen Jahr ein russisches Agentenpaar enttarnen,<br />
das unter falscher Identität in Deutschland lebte. Ein großer Erfolg: Es handelt sich um<br />
den gravierendsten Spionagefall seit der Wiedervereinigung.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: <strong>Die</strong> Eheleute müssen sich ab Anfang nächsten Jahres vor Gericht<br />
verantworten. Laut Anklageschrift waren die russische Botschaft und die Konsulate voll<br />
in die Spionage einbezogen. Muss sich die Bundesrepublik das dauerhaft gefallen<br />
lassen?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Wie wehren uns gegen die Spionageaktivitäten ausländischer <strong>Die</strong>nste.<br />
Deswegen ist es wichtig, dass unsere Spionageabwehr so gut aufgestellt ist.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: <strong>Die</strong> Bundesregierung wollte die beiden Agenten <strong>mit</strong> den Aliasn<strong>am</strong>en Andreas<br />
und Heidrun Anschlag austauschen. Bedauern Sie, dass es nicht dazu k<strong>am</strong>?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Dazu möchte ich mich nicht äußern.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Leben weitere solcher Spione wie die Eheleute Anschlag unter uns?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Das ist realistisch. Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in<br />
Westeuropa. Genaue Zahlen will ich nicht nennen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Jahrelang wurde hauptsächlich vor den Gefahren gewarnt, die vom
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isl<strong>am</strong>ischen Terrorismus ausgehen. Ist die Bedrohung geringer geworden?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Ich sehe im isl<strong>am</strong>istischen Terrorismus weiterhin die größte Bedrohung für<br />
die innere Sicherheit in unserem Land. <strong>Die</strong>s wird aber derzeit, auch überschattet durch<br />
die Diskussion um den Rechtsextremismus, in der öffentlichen Wahrnehmung<br />
verdrängt. Attentate von radikalen Isl<strong>am</strong>isten können jederzeit passieren.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Denken Sie an die Terroranschläge von Madrid 2004 oder London 2005?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Solche Ereignisse sind auch in Deutschland möglich. Wir beobachten<br />
außerdem, dass sich immer mehr potenzielle Einzeltäter radikalisieren, oft über das<br />
Internet.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Viele Isl<strong>am</strong>isten sind Salafisten. Sie wollen den Staat abschaffen, nehmen<br />
gleichzeitig aber Sozialhilfe in Anspruch. Ist das nicht dreist?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Es ist nicht hinnehmbar, dass Terroranschläge womöglich <strong>mit</strong> deutscher<br />
Sozialhilfe finanziert werden. Man sollte alle gesetzlichen Maßnahmen ausschöpfen,<br />
um das zu verhindern.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Auch die Isl<strong>am</strong>hasser machen mobil. Sind Aktionen nach dem Vorbild des<br />
norwegischen Massenmörders Anders Breivik bei uns undenkbar?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Leider nein. Ich halte Aktionen nach diesem Muster durchaus für möglich.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Zum Schluss eine Frage zu Ihrem Image. Sie gelten als "harter Hund".<br />
Gefällt Ihnen das?<br />
<strong>Maaßen</strong>: Nein. Und es stimmt auch nicht, oder haben Sie jetzt diesen Eindruck?<br />
<strong>Die</strong> <strong>Welt</strong>: Angeblich lautet ihr Lebensmotto doch: "Stress ist etwas für<br />
Leistungsschwache." Überfordern Sie da<strong>mit</strong> nicht Ihre Umwelt?<br />
<strong>Maaßen</strong>: (lacht) Das Motto ist nicht wirklich ernst gemeint. Ich bin aber durchaus ein<br />
Anhänger des Leistungsprinzips.