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Michael Köhlmeier Rede zur Eröffnung des Ingeborg-Bachmann ...

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1<strong>Michael</strong> <strong>Köhlmeier</strong><strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Eröffnung</strong> <strong>des</strong> <strong>Ingeborg</strong>-<strong>Bachmann</strong>-WettbewerbsLiebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damenund Herren,eigentlich wollte ich an den Schriftsteller Jörg Fausererinnern, der vor dreißig Jahren hier gelesen hat. Ichwollte darauf hinweisen, dass seine Romane, Essays,Erzählungen, Aufsätze und Gedichte in liebevoll undsorgfältig editierten Werkausgaben erhältlich sind, einerschon älteren bei Rogner & Bernhard, einzeln imBerliner Alexander Verlag und in einer Kassette zu neunBänden im Züricher Diogenes Verlag – eine verlegerischeEhre, die keinem anderen Autor, der je beim <strong>Bachmann</strong>-Wettbewerb gelesen hat, zuteil wurde.Davon wollte ich eigentlich sprechen.Ich wollte wiederholen, was so viele vor mir gesagt


2haben: dass Jörg Fauser ein Kultautor ist; und wollteerklären, was ich darunter verstehe, nämlich einenDichter, <strong>des</strong>sen Wirkmächtigkeit in Werk und Lebenihren Ausdruck findet, der also doppelte Verehrungerfährt – einmal für das, was er schreibt, und dann nochdafür, wie er lebt.Und, meine Damen und Herren, ich wollte ein wenigvon Jörg Fausers Glanz auf mich lenken und erzählen,dass wir uns vor dreißig Jahren hier in Klagenfurtkennen gelernt und befreundet haben, dass wir einanderBriefe geschrieben, einander besucht, dass wir einanderverstanden haben.Und eigentlich wollte ich dann auch berichten, dass ichvor wenigen Tagen Gast im deutschen Literaturarchiv inMarbach war und mich dort mit einem der Herausgeberder Werke von Jörg Fauser getroffen habe; dass wir bei38 Grad an der Erdoberfläche im kühlen Keller <strong>des</strong>Instituts saßen, mitten im Archiv <strong>des</strong> Suhrkamp Verlags,das hier unten im Bunker vor der Zerstörung obenbewahrt wird, dass sich einige Besucher zu uns gesellten,


3Studenten, Literaturwissenschaftler undLiteraturliebhaber, und dass wir uns über Jörg Fauserunterhielten, eben über seine unvergleichliche Art zuleben und schreiben – und über seinen Tod.Davon hatte ich Ihnen eigentlich erzählen wollen.Ja, auch über Jörg Fausers Tod am 17. Juli 1987, inder Nacht nach seinem 43. Geburtstag, wollte ichGedanken anstellen; als er, wie es in den Nachrichtenhieß, betrunken auf der Autobahn spazieren ging undvon einem LKW niedergefahren wurde. Ich wollte Ihnen,meine Damen und Herren, berichten, dass einer derAnwesenden im Keller <strong>des</strong> Marbacher Literaturarchivsvon begründeten Zweifeln an dieser Version wusste.Fauser habe zu jener Zeit, sagte der Mann und senktesogar im Keller die Stimme, über die Verbindungzwischen deutscher Drogenmaffia und deutscher Politikund Wirtschaft recherchiert, habe noch in der Nacht dreiTypen getroffen, die ihn zu einem Gewährsmann bringenwollten und sei auf der Autobahn aus dem Wagengestoßen worden – ein Tod, wie er zu einer von FausersFiguren gepasst hätte.


4Eigentlich aber, meine Damen und Herren, wollte ichmeinen Vortrag nützen, um Sie dafür zu begeistern, JörgFauser zu lesen oder wieder zu lesen, so wie ich es getanhabe.Zum Beispiel diesen in jeder Hinsicht vorbildlichenText aus dem Jahr 1979, in dem er von einem Besuch inder Stadt Berlin erzählt, durch die sich damals noch bisin alle Ewigkeit eine Mauer wand; ein Text, den wir mitgleichem Recht eine Reportage, einen Essay oder eineErzählung nennen dürfen – ein literarisches Wunder,wie ich meine, denn obwohl die Welt, die hierbeschrieben wird, längst untergegangen ist, atmet derBericht eine zeitlose Frische; als wäre das heutigeBerlin, das sich einer Konfektionsallerweltstadtanzunähern droht, das alte, und das alte wäre das neue.Die Wirklichkeit <strong>des</strong> bis in alle Ewigkeit langenNachkriegs wird in diesem Text – und das ohne Absicht<strong>des</strong> Autors – <strong>zur</strong> Metapher und weist über ihre Zeithinaus und reicht auch über unsere Zeit hinaus undreicht zugleich weit <strong>zur</strong>ück, Thukydi<strong>des</strong> hätte in Jörg


6Huckleberry Finn oder den heißen Erzählungen vonWilliam Faulkner oder den Verknappungen eines DashillHammett oder den Reportagen von Joseph Roth.Ja, meine Damen und Herren, wenn alles gleichgeblieben wäre wie noch vor zwei Wochen, dann hätte ichIhnen von diesem bewunderten, bestaunten Autorerzählt, <strong>des</strong>sen Ruf gleichermaßen seinem Werk wieeiner radikalen Art zu leben gilt, die er wie kein andererin Deutschland repräsentierte.Und: Ich hätte Ihnen erzählt, wie er vor demKlagenfurter Literaturgerichtshof aufgetreten – und vonden Richtern verrissen worden war wie kein anderer vorihm und kein anderer nach ihm; und dass der Verriss inWahrheit gar nicht seinen Text, sondern seine Persongemeint hatte.An dieser Stelle, meine Damen und Herren, hätte icheine Pause gelassen, hätte Luft geholt und mit ihrmeinen alten Zorn. Ich hätte mich daran erinnert, wieJörg Fauser im Publikumsstudio <strong>des</strong> Funkhauses inKlagenfurt der Literaturkritik in ihrer hinterhältigsten


7und erbärmlichsten Gestalt begegnet war. Ich hättewieder und wieder behauptet, Fauser wäre verrissenworden, egal, was er gelesen hätte, denn die Richterhätten ihm nicht verzeihen können, wie er war. Ausseinen Blicken, aus seinen Gesten – wie er zum Podiumging, jeden Schritt wie ein Statement setzend, währenddie Richter ungeduldig wurden, wie er auf derAnklagebank platznahm, wie er unter halbgeschlossenen Lidern vor sich ins Leere blickte – aus alldem, so hätte ich mich erinnert und hätte Ihnen davonerzählt, war zu lesen: Ich brauche euch nicht. An mirgibt es für euch nichts zu entdecken. Ihr könnt euchnicht zu meinen Mentoren aufwerfen. Ich fürchte michvor euch nicht, ich respektiere euch nicht, ich gebe euchins nichts nach.Ich hätte von Marcel Reich-Ranicki erzählt, der dieStimmung in der Jury auf den Punkt brachte, als ersagte: „Dieser Autor hat hier nichts verloren!“Mit einem Gruseln hätte ich auch die anderenJuroren erwähnt, die ihrem Herrn und Meister mitInbrunst nachbellten. Ein Großteil <strong>des</strong> Publikums


8greinte, und wenn es etwas zu wiehern gab, wieherte es– so hätte ich mich ausgedrückt, und dass ich seltenetwas Widerlicheres erlebt habe. Dem Pöbel saßen diePöbelartigen vor. Ich hätte Ihnen, meine Damen undHerren, von den Gedanken berichtet, die mir damalsdurch den Kopf galoppiert waren: dass gleich einer ausder Jury aufstehen wird, der ehrenwerte Walter Jenszum Beispiel oder die ähnlich ehrenwerte GertrudFussenegger oder der gemütlich rundliche Peter Härtlingoder sonst jemand, und dass er dem Jörg Fauser insGesicht schreit: Weine endlich! Wie es Karin Struck vordir getan hat! Zeig uns, dass es weh tut! Schließlich istdas Fernsehen da! Vielleicht verzeihen wir dir dann, wiedu bist!Und die Autorenkollegen? – Die meisten hatten jakritikermundgerechte Happen vorbereitet, die brauchtenkein Pulver mehr, die hatten schon; „Knallfroschprosa“,wie der ehemalige Juror Peter von Matt dazu sagte. DieAutorenkollegen, bis auf wenige, wollten nichtzusammen mit dem da gesehen werden.Wenn sie allesamt, Kritiker und Autoren,


9übereinander gestapelt, auf seine Schulter gestelltworden wären, sie hätten dem Jörg Fauser nicht bis zumKinn gereicht.Davon hätte ich eigentlich gern erzählt, ja.Und dass sich Jörg Fauser von diesem Tag an nichtmehr Schriftsteller nannte. Er wisse mit dem Begriffnichts anzufangen, sagte er in einer Talkshow imFernsehen. Er sei Geschäftsmann.Er war anders als wir. Ganz anders. Das stimmtschon.Dass er sogar anders war, als seine Fans meintenund meinen, auch davon hätte ich Ihnen gern erzählt.Dass er nicht „cool“ war. Dass ihn die Gehässigkeitenvon Reich-Ranicki und Konsorten in Wahrheit tiefverletzt hatten. Der größte Schmerz: dass sie ihn an derLiebe seines Lebens hatten zweifeln lassen.Das Schreiben war die Liebe seines Lebens.Er hatte sich immer darauf verlassen, dass seineLiebe erwidert wird. Eigentlich gehört es sich nicht, dassich das hier erzähle und damit womöglich das zynische


10Grinsen der neuen Richter aufreize.„Klagenfurt – das ist nicht ein Fest der Literatur“,hatte Jörg Fauser geurteilt, „das ist ein Fest derLiteraturkritik.“ Ein Fest – möchte ich hinzufügen –, beidem die Autoren die Rolle der Sektgläser spielen.Irgendwann, sagte er, werden uns die Kritiker nichtmehr brauchen, sie werden über Bücher reden, die es garnicht gibt, sie werden Autoren verreißen und bejubeln,die es gar nicht gibt. Sie werden sich gegenseitig einenPreis stiften – Kritiker eins sitzt in der Jury, Kritikerzwei kriegt den Preis, Kritiker drei spricht die Laudatio.Er hielt es für möglich, dass ihn seine Liebe betrügt.Er fürchtete, dass sie ihn von allem Anfang an betrogenhat. Das war seine Verzweiflung. Er hat sein Leben aufsSpiel gesetzt. Aufs Spielen. Schreiben ist Spielen. Kannman spielen bis zum Ende? Und jederzeit innehalten undsagen, ich lebe? Und am Ende Rückschau halten undsagen, mein Leben war Spielen, und damit meinen, zuErnsthafterem sei der Mensch nicht fähig?Dem Zyniker applaudiert der Pöbel. Der Zyniker gehtnach der Veranstaltung nach Hause, seift sich die


11Schminke ab und berichtet seinem Spiegelbild: Ich warwichtig, ich war sogar noch wichtiger. – Aber was, wennder Zyniker Recht hat? Und wenn dieses Recht auch nurdarin besteht, dass es sich ohne den göttlichen Funken,der in jeder Kunst glost, leichter, cooler leben lässt? Weiles allein schon peinlich ist, an diesen göttlichen Funkenzu glauben. Und am peinlichsten ist, von ihm zusprechen. Und ein Skandal gar ist, von ihm in allerÖffentlichkeit zu sprechen.Das alles hätte ich eigentlich sagen wollen. Vielleichthätte ich die letzten Zeilen gestrichen, weil ich michgeschämt und mich nicht getraut hätte, sie vorzulesen.Ich weiß nicht.Aber dann ist einiges passiert, und ich wurdegezwungen, etwas anderes zu sagen.Erst hat der Direktor <strong>des</strong> ORF Lan<strong>des</strong>studios VorarlbergBefehl gegeben, die Rundfunkbibliothek aus<strong>zur</strong>äumen;er selbst hat Hand angelegt und die Bücher in einen mitGeldern <strong>des</strong> ORF gemieteten Container geworfen. – Der


12Direktor einer Anstalt, die gesetzlich verpflichtet ist, einenKulturauftrag zu erfüllen, verwendet einen Teil seinerArbeitszeit und einen Teil der Rundfunkgebühren dafür,Bücher in einen Container zu werfen, um sie derVernichtung zuzuführen. – Man brauchte Platz. Dabeistehen so viele Wände einfach als Wände da.Bücherregale tragen doch nicht mehr auf als höchstensfünfundzwanzig Zentimeter, das ist nachgerade einer derVorteile von Geist in dieser Form.Und da kam auch schon eine nächste Meldungherein: Alexander Wrabetz, der Generaldirektor <strong>des</strong>ORF, beendet den <strong>Bachmann</strong>-Wettbewerb, indem er sichauf das Kerngeschäft <strong>des</strong> ORF besinnt.Diese Meldung hat einen Strich durch meine <strong>Rede</strong>gemacht. Und schon spielte mein Handy seinen Blues,eine Journalistin war dran und wollte wissen, mitwelchen Worten ich es dem ORF hineinsage ... und dernächste Anruf, diesmal von der APA ... und schon wiedereiner ... und schon wieder einer ... Ich bekam die roteFahne in die Hand gedrückt – wie der Tramp in ChaplinsModern Times.


13Nach einer Nacht Nachdenken habe ich michschließlich dazu durchgerungen, mich in denSchulterschluss von Autoren und Kritikern und allenanderen anständigen Kulturschaffenden undKulturinteressierten einzuklemmen, auch auf dieGefahr, meine Nase einem unangenehmen Achselgeruchauszusetzen. In der Not werden eben Opfer verlangt.Also leiste ich meinen „Gewissensdienst“ und protestiereso heftig ich nur kann gegen die Abmurksung <strong>des</strong><strong>Ingeborg</strong>-<strong>Bachmann</strong>-Wettbewerbs und verspreche, allesmir Mögliche zu unternehmen, damit die Abmurksernamentlich und für lange, lange Zeit in Erinnerungbleiben.Und ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,sehr verehrte Damen und Herren, ein Gleiches zu tun –vor allem aber: Jörg Fauser nicht zu vergessen.

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