HEFT 3/4 GIESSEREI-RUNDSCHAU 60 (2013)Bild 5: EntwicklungBMW DieselKurbelgehäuse-Gewicht<strong>und</strong>Motorleistungbis 2005 [3].4.2 <strong>Aluminium</strong>-Kurbelgehäuse <strong>der</strong> 2.GenerationIn <strong>der</strong> Gießkonzeptfestlegung <strong>der</strong> nachfolgenden Dieselmotorengenerationwurden diese Erkenntnisse hinsichtlichBauteilfestigkeit <strong>und</strong> Erstarrungsrichtung erstmals imKokillenguss umgesetzt [4, 7, 8]. Damit wurde die Basisfür höhere Bauteilfestigkeitswerte im Bereich <strong>des</strong> (dieZünddruck- <strong>und</strong> Leistungsentwicklung) limitierenden Lagerstuhlsgelegt. Die Verwendung einer Kokille ermöglichtauch in den an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>des</strong> Bauteiles eineschnelle Erstarrung <strong>und</strong> damit gute Festigkeitswerte sowiegeringe Porositäten.Die „Nie<strong>der</strong>druckbefüllung mit Schwerkrafterstarrung“kombiniert die Vorteile <strong>des</strong> Nie<strong>der</strong>druckgusses <strong>und</strong> <strong>des</strong>Schwerkraftgusses (Bild 6):• die gesteuerte Füllung <strong>des</strong> Werkzeuges sowie• die Erstarrung von unten nach oben (Schwerkrafterstarrung)zum Brennraum hin<strong>und</strong> konnte auch in den damals neuen Fertigungsstrukturen<strong>der</strong> Leichtmetallgießerei umgesetzt werden.Die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erstarrungsrichtung <strong>und</strong> die neuenEntwicklungen im Bereich <strong>der</strong> Aufladung lassen zusätzlichden Zylin<strong>der</strong>steg in den Fokus<strong>der</strong> Motor- <strong>und</strong> Gießentwicklungtreten. Eine schnelle Erstarrung<strong>und</strong> ein geringer DAS im Lagerstuhlbereichführen zwangsweisezu einem höheren DAS imStegbereich (siehe auch Bild 10,1. Gen) <strong>und</strong> umgekehrt (2. Gen).Dieser dialektische Ansatz führtentwe<strong>der</strong> zu nicht akzeptablenEinschränkungen <strong>der</strong> Motorenentwicklungo<strong>der</strong> <strong>der</strong> Substitutionvon <strong>Aluminium</strong> durch das dreimalschwerere Gusseisen, verb<strong>und</strong>enmit einer deutlichen Gewichtszunahmeim Motor <strong>und</strong> zusätzlichim Vor<strong>der</strong>wagen.Bild 6: Temperaturverteilung bei <strong>der</strong> Erstarrung <strong>des</strong> Zylin<strong>der</strong>kurbelgehäuses [4].4.3 Anorganische Sandkernfertigung:Zusammenfassung<strong>und</strong> VorteileDie Vorteile <strong>der</strong> anorganischenSandkernfertigung sind zwischenzeitlichumfangreich publiziert[7,8,9] <strong>und</strong> innerhalb <strong>der</strong> BMWAG nicht nur Teil <strong>der</strong> Gießereistrategie,son<strong>der</strong>n auch Teil <strong>der</strong>81
GIESSEREI-RUNDSCHAU 60 (2013) HEFT 3/4Konzernstrategie „CleanProduc tion“ (siehe auch Nachhaltigkeitsbericht<strong>der</strong> BMW AG [10]).Daher nur eine kurze Zusammenfassung:Bisher beruhte die Aushärtung von Sandkernen mithandelsüblichen organischen Bin<strong>der</strong>systemen auf katalytisch(Coldbox durch Amin) o<strong>der</strong> thermisch (Warmbox,Hotbox) eingeleiteten Vernetzungsreaktionen (Polymerisation).Die harzumhüllten Quarzsandkörner werdendurch kleberähnliche Bin<strong>der</strong>brücken bei <strong>der</strong> Sandkernfertigungmiteinan<strong>der</strong> verb<strong>und</strong>en. Beim Gießen kommt eszum Kontakt mit <strong>der</strong> heißen Schmelze <strong>und</strong> daher zu Zersetzungsreaktionen<strong>der</strong> organischen Bin<strong>der</strong>anteile, ähnlicheiner Verbrennung unter Sauerstoffmangel mit entsprechen<strong>der</strong>Rauchentwicklung.Die neuen wasserglasbasierten Silikatbin<strong>der</strong> sind vonihrer chemischen Struktur dem Quarzsand sehr ähnlich.Die Aushärtung <strong>des</strong> Kernes erfolgt über eine Polykondensationsreaktion,bei <strong>der</strong> Wasser abgespalten wird. DerKernsand muss also „nur“ durch das heiße Kernschießwerkzeugmit Heißluftspülung getrocknet werden [11].Die organische Rauch- <strong>und</strong> Kondensatentwicklung wirktsich negativ auf• die Arbeitsbedingungen <strong>der</strong> Mitarbeiter,• die Bauteilfestigkeit,• die Taktzeit,• die Anlagen- <strong>und</strong> Werkzeugverfügbarkeit sowie• die Abluftreinigung <strong>und</strong> den daraus resultierendenEnergieverbrauch aus.Der Wegfall dieser Verbrennungsprodukte führt zu vielenVorteilen, diese lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen:• die Arbeitsbedingungen <strong>der</strong> Mitarbeiter• die Qualität <strong>und</strong> die Festigkeit <strong>der</strong> Bauteile• die KostenDie großen technologischen Anstrengungen mussten bisherim Feld <strong>der</strong> vorgelagerten Kernfertigung erbracht werden,um die Serieneinführung dieser anspruchsvollenTechnik überhaupt zu ermöglichen. Die Vorteile, basierendauf <strong>der</strong> neuen Bin<strong>der</strong>technologie, haben sich im erstenAnsatz natürlich auch auf die nachfolgende Kokillengieß-<strong>und</strong> Werkzeugtechnologie ausgewirkt. Daher kurzdie Zusammenfassung <strong>der</strong> zu diesem frühen Zeitpunktbereits erzielten Optimierungspotenziale im Gießprozess,basierend auf dem Einsatz von anorganisch geb<strong>und</strong>enenSandkernen:• Taktzeit–15 Prozent• Produktivität+15 Prozent• Werkzeuginstandhaltung–50 Prozent• Werkzeugstandzeit+25 ProzentErst nach einer umfassenden Serienerfahrung über mehrereMillionen Bauteile sowie viele unterschiedliche Bauteil-<strong>und</strong> Werkzeugkonstruktionsstände (Kurbelgehäuse,Zylin<strong>der</strong>köpfe für Otto <strong>und</strong> Dieselmotoren, Fahrwerksteile)ist eine zusammenfassende Bewertung dieser Technologie<strong>und</strong> ihrer Potentiale möglich. Nun können auch alte,eingefahrene Grenzen <strong>der</strong> Werkzeug- <strong>und</strong> Gießkonzeptentwicklungneu bewertet <strong>und</strong> ggf. überfahren werden.5. <strong>Gießtechnik</strong> für Kurbelgehäuse<strong>der</strong> 3. GenerationDie bereits dargelegten Entwicklungen in <strong>der</strong> Motorentechnikhaben eine neue Betrachtung <strong>der</strong> <strong>Gießtechnik</strong> fürKurbelgehäuse erfor<strong>der</strong>lich gemacht. Die strategische Ableitungeines Zielekataloges für ein neues Gieß- <strong>und</strong>Werkzeugkonzept führt zu folgenden Prämissen:1. Deutliche Steigerung <strong>der</strong> Festigkeit im Zylin<strong>der</strong>steg(Aufladung)2. Leichte Steigerung <strong>der</strong> Festigkeit im Lagerstuhl3. LDS-Tauglichkeit <strong>des</strong> Gefüges (Laufflächenbeschichtung)4. Absenkung <strong>der</strong> Taktzeit5. Reduktion <strong>des</strong> Kreislaufmaterials6. Hohe Dichtheitsanfor<strong>der</strong>ung nach Bearbeitung imZylin<strong>der</strong>steg/Zuganker7. Reduzierung <strong>des</strong> Kokillenverschleißes (Standzeit,Wartungskosten)8. Nutzung vorhandener Strukturen <strong>und</strong> WerkzeugkonzepteNach verschiedenen umfangreichen Konzeptuntersuchungenstellte sich nur eine Lösung als zielführend heraus:Die Basis ist die Speisung im thermischen Zentrum!Dies ist <strong>der</strong> Bereich, wo ohne massive Werkzeugbeeinflussung<strong>der</strong> Hotspot am Ende <strong>der</strong> Erstarrung entsteht.Das thermische Zentrum liegt in <strong>der</strong> Mitte <strong>des</strong> Zylin<strong>der</strong>segmentsim Bereich Lagerstuhl/unterer Totpunkt <strong>des</strong>Kolbens. Alle bisherigen Lösungen waren durch die langenNachspeisewege (wegen <strong>der</strong> Bauhöhe) von oben nachunten o<strong>der</strong> von unten nach oben kompromissbehaftet.Speziell die Anfor<strong>der</strong>ung „Dichtheit <strong>der</strong> Zugankerbohrungen“führte immer wie<strong>der</strong> zu prozessualen Einschränkungen,wie lange Erstarrungszeiten o<strong>der</strong> beheizten Bereichen<strong>des</strong> Werkzeuges. Damit steigt natürlich <strong>der</strong> Verschleiß<strong>und</strong> die Wartungsintensität <strong>der</strong> Gießkokillen. Erstdie umfangreiche Erfahrung im Kokillenguss mit anorganischgeb<strong>und</strong>enen Sandkernen (z.B. Fahrwerksteile mitKernen <strong>und</strong> innenliegenden Speisern) <strong>und</strong> die konsequenteNutzung <strong>der</strong>en Vorteile, speziell• hohe thermische Stabilität• hohe chemische Stabilität• „Rauchfreiheit“ bzw. die sehr geringe Kondensatbildungzeigten diesen Weg als gangbar auf.5.1. Zentralspeiserkonzept:Technische UmsetzungBild 7 zeigt die Anordnung <strong>der</strong> Speiserkerne in <strong>der</strong> geöffnetenGießkokille. Die Einzelspeiser werden in einerhochautomatisierten Kernschießanlage mit Mehrfachwerkzeuggefertigt, anschließend manuell in die Kokilleeingelegt <strong>und</strong> sind im vergossenen Zustand nur 500 gschwer. Dieser fertigungstechnische Mehraufwand gehtnatürlich in die Gesamtbetrachtung <strong>des</strong> Systems ein.Bild 8 zeigt den nächsten Arbeitsschritt in <strong>der</strong> Kerneinlegereihenfolge.Das mit dem Wasserpumpenkern (FunktionsintegrationWasserpumpengehäuse ins Kurbelgehäuse)vormontierte Wassermantelkernpaket kann wegen <strong>des</strong>geringen Gewichtes auch beim Sechszylin<strong>der</strong>motor manuellin die Kokille eingelegt werden. Aufwendige Kerneinlegevorrichtungen,die die Zugänglichkeit <strong>der</strong> Kokille<strong>und</strong> die Platzsituation für den Mitarbeiter erschweren,müssen nicht eingesetzt werden. Die Kokille schließt, <strong>der</strong>Kokillenhohlraum wird mit <strong>Aluminium</strong> gefüllt. Die an <strong>der</strong>Stahlkokille anliegenden Bereiche erstarren zuerst, speziellgilt das für den Lagerstuhl, den Zylin<strong>der</strong>steg <strong>und</strong>auch den Zugankerbereich. Dies führt zu kurzen Erstarrungsintervallen<strong>und</strong> einem geringen Dendritenarmabstand(DAS). Natürlich kommt <strong>der</strong> Kokillenentlüftungeine entscheidende Rolle zu. Die erwärmte Luft aus dem82