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Als „Tante Emma“ noch ihren Krämerladen schmiss

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28 Aktuell<br />

Erinnerungen<br />

Wenn die altertümliche Schelle<br />

an der Ladentür ertönt, ist<br />

man sich mit einem Schritt<br />

sogleich im 15 m 2 kleinen Geschäft<br />

von Mathilde und Siegfried<br />

Schweinbenz.<br />

Im schwäbischen Rottenburg-Obernau,<br />

unweit von<br />

Tübingen, hat das Ehepaar<br />

einen typischen „Historischen<br />

Tante-Emma-Laden“ als Museum<br />

eingerichtet, das für gehörigen<br />

Zulauf im 500-Seelen-Dorf<br />

sorgt und für jeden<br />

Besucher „eine geheimnisvolle<br />

und gemütliche Atmosphäre<br />

verbreitet“.<br />

Seit 15 Jahren präsentieren sich<br />

in dem Minigeschäft „unglaubliche,<br />

erstaunlich alte Schätze<br />

als Ausstellungsstücke, die alle<br />

ihre eigene Geschichte haben“,<br />

wie man von der agilen, überaus<br />

freundlichen Mathilde er-<br />

fährt, die sich auch selbst gern<br />

<strong>„Tante</strong> <strong>Emma“</strong> nennen lässt.<br />

Nicht weniger erzählfreudig und<br />

humorvoll gibt sich ihr Ehegatte<br />

Siegfried, dem sie gern die Führung<br />

wissbegieriger Gäste zutraut,<br />

während sie inzwischen<br />

im heute <strong>noch</strong> bestehenden einzigen<br />

„echten“ Laden Kunden<br />

bedient.<br />

Die gute Seele<br />

des Hauses<br />

<strong>„Tante</strong>-Emma-Läden“, die außer<br />

Milchprodukten, Fleisch, Obst<br />

und Gemüse vor langer Zeit eigentlich<br />

alles anboten, was man<br />

sonst auf dem Dorf an Lebensmitteln<br />

und alltäglichen Gebrauchsgegenständenbenötigte,<br />

stammen aus einer anderen<br />

Zeit und Welt. Benannt wurden<br />

sie nach dem alten deutschen<br />

Vornamen „<strong>Emma“</strong>, der wie<br />

„Minna“ oder „Marie“ bis ins<br />

20. Jahrhundert hinein typisch<br />

unter Dienstmädchen zu finden<br />

war. Sie dienten im wahrsten<br />

Sinne des Wortes in hochherr-<br />

schaftlichen<br />

Häusern und bei<br />

Familien in großenStadtwohnungen.<br />

Später<br />

auch im Film<br />

und in der Literatur<br />

spielte der<br />

Name „<strong>Emma“</strong><br />

eine Rolle, wie<br />

man etwa von<br />

Christian Morgenstern<br />

zitieren<br />

kann: „Die Möwen<br />

sahen alle<br />

aus, als ob sie Emma hießen…“<br />

Zur Namensgebung für die alten<br />

Läden in Verbindung mit dem<br />

Vornamen Emma kam es außer<br />

der Häufigkeit des Vornamens<br />

vor allem wegen der fürsorglichen<br />

Art der „guten Tante“, die<br />

in ihrem meist winzigen Kaufladen<br />

Gesprächspartnerin und für<br />

alle die „gute Seele des Dorfes“<br />

war. Sie war bestrebt, dass die<br />

Bevölkerung bei ihr alles Notwendige<br />

erhielt, was man nicht<br />

als Selbstversorger anbauen<br />

oder herstellen konnte, „von der<br />

Schiefertafel zum Kolbenfüller,<br />

von Strapsen über Papierkragen<br />

bis zu Patentknöpfen, Bonbons<br />

oder Zichorie als Kaffee- und<br />

Soßenfarbe und für die Dichtung<br />

defekter Auto-Kühler“,<br />

wie Friedrich Schweinbenz erläutert.<br />

Blumen, Obst und Gemüse<br />

wuchsen im Garten, Milch und<br />

Käse erhielt man beim Großvater<br />

im Kuhstall, Tiere wurden<br />

daheim geschlachtet, Brot backte<br />

die Bäuerin selbst im Backhäusle.<br />

Südfrüchte kannten die<br />

Leute auf dem Land höchstens<br />

von Bildern, an Tiefkühlkost<br />

und Fertiggerichten hatte damals<br />

<strong>noch</strong> niemand Interesse.<br />

Wie es in Wirklichkeit einmal<br />

alltäglich war, so schnuppert es<br />

im Tante-Emma-Laden der Fa-<br />

Landpost 40/2010<br />

<strong>Als</strong> <strong>„Tante</strong> <strong>Emma“</strong><br />

<strong>noch</strong> <strong>ihren</strong> <strong>Krämerladen</strong> <strong>schmiss</strong><br />

Schmierseife für alle Fälle — auch<br />

Reißverschlüsse konnten wieder<br />

gängig gemacht werden.<br />

Rund-um-Service bei Tante Emma:<br />

Senfportionierer und jede andere<br />

Menge Gewürze.<br />

Reichhaltiges Sortiment aus dem Nähkasten.<br />

milie Schweinbenz auch heute<br />

<strong>noch</strong> ein bisschen nach einem<br />

Nebeneinander aus Gewürzen,<br />

Zigarren, Waschpulver, Kernseife,<br />

Kaffee, Schokolade und vielen<br />

in Vergessenheit geratenen,<br />

einst lose verkauften Nahrungsmitteln.<br />

„Feil geboten“ werden<br />

in dem Museums-Laden eine<br />

unerwartete Vielfalt von Waren,<br />

hübschen Dosen, Schachteln,<br />

Flaschen, Abfüllbehälter<br />

und andere Gefäße sowie bunte<br />

Emailleschilder, die einst an<br />

Gartenzäunen mit heute <strong>noch</strong><br />

bekannten Firmen- oder Produktnamen<br />

wie „Maggi“ oder<br />

„Fewa“ oder „Milka“ warben<br />

und zum Teil 80 Jahre alt sind.<br />

Leidenschaftliche<br />

Sammler<br />

Stolz ist Herr Schweinbenz darauf,<br />

was er im Laufe der Zeit<br />

alles zusammen mit seiner Frau<br />

gesammelt hat. Mathilde hortete<br />

einmal beispielsweise 140<br />

klassische Damenhüte aus einer<br />

aufgelösten Tanzschule, hinzu<br />

kamen 160 Puppen aus dem vorigen<br />

Jahrhundert. „Auch Tochter<br />

Andrea und Schwiegersohn<br />

Jürgen brachten manch alten<br />

Kruscht und seltene Schmalztöpfe<br />

herbei“, die gar nicht alle<br />

als Exponate untergebracht<br />

werden konnten.


Landpost 40/2010 Aktuell 29<br />

Vier Räder an die Seifenkiste —<br />

für Buben das ideale Fahrzeug.<br />

Im alten Waschkeller befindet sich<br />

das Museum.<br />

Fotos: Mechthild Wiedner<br />

Siegfried stammt aus dem väterlichen<br />

Tante-Emma-Laden von<br />

1932, absolvierte von 1949 bis<br />

1952 seine Lehre als Großhandelskaufmann<br />

und erinnert sich<br />

<strong>noch</strong> genau an früher: „Mutter<br />

führte als <strong>„Tante</strong> <strong>Emma“</strong> das<br />

Lebensmittelgeschäft, der Mann<br />

ging auf Reisen, besuchte und<br />

belieferte Schneiderinnen mit<br />

Stoffen und Posamenten und<br />

hörte sich um, in welcher Kate<br />

eine Hochzeit bevorstand. Den<br />

heiratswilligen Mädels verkaufte<br />

er dann die Aussteuer.“<br />

Der Kaufmann hörte sich<br />

beim Volk um<br />

Episoden aus dem eigenen Leben,<br />

Erfahrungen aus Gesprächen<br />

und die damit zusammenhängenden<br />

Gewohnheiten<br />

sowie Bräuche der bodenständigen<br />

Landbevölkerung hatten<br />

für den Kaufmann sozialkundlichen<br />

Hintergrund. Hinzu kamen<br />

im Alltagsgeschäft der Umgang<br />

mit Firmenvertretern und deren<br />

Warenangebot. Was die Einheimischen<br />

im <strong>Krämerladen</strong><br />

schließlich vorfanden, deckte<br />

vollkommen deren Bedürfnisse<br />

und überrascht heutzutage<br />

jeden Besucher des Kaufladen-<br />

Museums.<br />

Während Frau Schweinbenz wie<br />

in längst vergangenen Tagen<br />

<strong>noch</strong> selbst in dem allerdings<br />

der heutigen Zeit angepassten<br />

„Nahkaufladen“ Besucher und<br />

Fremde bedient, führt ihr Mann<br />

mit unheimlicher Freude stundenlang<br />

durch den historischen<br />

<strong>„Tante</strong>-Emma-Laden“. Jedes<br />

Ausstellungsstück gleicht einem<br />

Schatz mit eigener Geschichte,<br />

die Siegfried durch Späße<br />

„würzt“. Männer etwa staunen<br />

über ein „Zigarren-Potpourri“,<br />

das einst 25 DM kostete. „Das<br />

scheint nicht viel“, erklärt Herr<br />

Schweinbenz, „doch waren die<br />

Löhne so niedrig, dass der Sohn<br />

in der Fabrik dafür 20 Stunden<br />

arbeiten musste.“ Ein dickes,<br />

langes „Lungentorpedo“, zum<br />

Schutz in Zedernholz gehüllt,<br />

qualmte von früh bis zum<br />

Abend.<br />

Die Hausfrau achtete darauf,<br />

dass die mit einem Spitzwegmotiv<br />

hübsch verzierten Blechdosen<br />

von Backpulver oder Vanillezucker<br />

später in der Küche für<br />

Reis, Grieß oder Mehl Verwendung<br />

fanden, nie aber wie heute<br />

Wegwerfartikel waren. Oma benutzte<br />

Kakao- oder Teedosen<br />

als Nadelbüchsen. Zichorie in<br />

Rollenform aus Wegwarte färbt<br />

heute <strong>noch</strong> den „Blümchenkaffee“<br />

oder die Soße. <strong>„Tante</strong><br />

Emmas Himbeerbonbons“, gab<br />

es beim Einkauf gratis aus dem<br />

großen Glas oder im Spitztütchen<br />

lose beim Kaufmann.<br />

„Jeder Laden hatte seinen Gebäckständer<br />

mit Keksen in Dosen<br />

zum Abfüllen in Bodenbeutel“,<br />

wird erzählt. Ein Behälter<br />

mit Spiegel fand sich vor 100<br />

Jahren über jedem Küchenherd.<br />

Das Metallkästchen barg die<br />

Schwefelhölzchen, mit denen<br />

Oma das Herdfeuer entzündete.<br />

Der gleichzeitige Blick in<br />

den Spiegel verriet, ob der Dutt<br />

auf dem Kopf <strong>noch</strong> richtig saß.<br />

Petroleum wurde in Kannen abgefüllt,<br />

den Docht für Zimmerlampe<br />

oder Hauslaterne schnitt<br />

der Kaufmann in gewünschter<br />

Länge ab. Die Gerätschaft zum<br />

Öffnen von Einweckgläsern erinnert<br />

eher an eine Mausefalle.<br />

Därme für die<br />

Hausschlachtung<br />

waren teuer,<br />

deshalb bot<br />

Tante Emma<br />

„Pergamentersatzdärme“<br />

für<br />

die Brühwürste<br />

an.<br />

Vielseitig verwenden<br />

konnten<br />

Hausfrauen die<br />

typische Kernseife<br />

aus dem<br />

<strong>„Tante</strong>-Emma-<br />

Laden“. Man erhielt im kleinen<br />

Laden außerdem „Wichsgarnituren“,<br />

Mostkrüge, Ersatzknöpfe,<br />

„Vatermörder“, „Stehbrunzhosen“,<br />

Griffel zur Schiefertafel<br />

ebenso wie die ersten Füllhalter<br />

oder den Senf lose in Tassen aus<br />

einem Portionierautomaten.<br />

„Ein Viertelpfund echten Bohnenkaffee<br />

aus der Schublade<br />

konnte man sogar am Sonntag<br />

bei der „guten Tante“ holen,<br />

wenn unverhofft ein Notstand<br />

eingetreten war.“<br />

Die einzelnen Waschmittelpackungen<br />

wurden ab Werk gut<br />

geschützt in großen Holzkisten<br />

sortiert und per Bahn geliefert.<br />

<strong>„Tante</strong> <strong>Emma“</strong> packte sie aus<br />

und verstaute sie in den Regalen.<br />

Übrig blieben die stabilen<br />

Holzkisten, die der pfiffige Opa<br />

mit alten Kinderwagenrädern<br />

versah — fertig war die Seifenkiste<br />

für die Buben.<br />

Die Rechenmaschine<br />

war ihr Kopf<br />

Lang wäre die Liste, würde man<br />

all das aufzählen und wiedergeben,<br />

was Siegfried Schweinbenz<br />

in seinem Museum aus alten<br />

Zeiten vorführt und sachkundig<br />

kommentiert, auch wenn nicht<br />

immer alles lustig scheint. „Da<br />

war die Inflation nach dem Ersten<br />

Weltkrieg, wo ein Brot <strong>noch</strong><br />

14 Pfennig kostete, am nächsten<br />

Tag jedoch dafür 1 Mrd. Mark<br />

auf den Tresen gelegt wurde.“<br />

Tante Emma musste gescheit<br />

genug sein, „die Rechenmaschine<br />

war ihr Kopf“, betont<br />

der Kaufmann, erst recht, wenn<br />

Kunden anschreiben ließen oder<br />

man ihnen mit kleinen Krediten<br />

aushelfen musste. Kassenbücher<br />

und Journale aus längst vergangener<br />

Zeit, in die alle Geldbewegungen<br />

säuberlich von Hand<br />

Darf es <strong>noch</strong> ein Viertelpfund Bohnenkaffee sein?<br />

eingetragen wurden, spiegeln<br />

wie die originalgetreuen Regale,<br />

Theken und Vitrinen im privaten<br />

Museum das frühere Leben<br />

auf dem Land wider.<br />

Kritische Besucher des <strong>„Tante</strong>-<br />

Emma-Ladens“ denken natürlich<br />

auch darüber nach, ob die<br />

Ladenbesitzerin einst überhaupt<br />

genug verdient hat. Siegfried<br />

Schweinbenz weiß darauf seine<br />

Antwort: „Während der Erziehung<br />

ihrer oft zahlreichen<br />

Kinder konnte die Frau daheim<br />

sein, das Haus besorgen und<br />

nebenher <strong>noch</strong> <strong>ihren</strong> Laden<br />

schmeißen, während der Mann<br />

Schuster, Schreiner oder Fabrikarbeiter<br />

war. Was im Geschäft<br />

verdient wurde, war gerade dafür<br />

ausreichend, was die Familiemitglieder<br />

in den Mund schoben.“<br />

Karl-Heinz Wiedner<br />

<strong>„Tante</strong>-Emma-Laden“ der Familie<br />

Schweinbenz in Rottenburg-<br />

Obernau, Rommelstalstraße<br />

23 / 1, Telefon: 0 74 72 / 88 85.<br />

Schön verzierte Dosen fanden <strong>noch</strong><br />

Verwendung zur Aufbewahrung<br />

verschiedener Kleinteile.

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