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Prof. em. Dr. CLAUS TIEDEMANN, UNIVERSITÄT HAMBURG „Sport ...

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<strong>Prof</strong>. <strong>em</strong>. <strong>Dr</strong>. phil. Claus Tied<strong>em</strong>ann, Universität Hamburg: Vorschlag einer Definition von <strong>„Sport</strong>“, S. 8 von 14<br />

anderen Menschen aus gleicher Entfernung ebenfalls zum Bus sprinten sähe und mich mit<br />

ihm irgendwie verständigte, wir könnten beide darum streiten, wetteifern, wer von uns als<br />

Erster die Bustür erreichte, dann wären alle Definitionsel<strong>em</strong>ente für <strong>„Sport</strong>“ gegeben: Aus<br />

dieser kleinen Alltagssituation hätten wir beide eine kleine, flüchtige Sportsituation g<strong>em</strong>acht.<br />

Bei vielen Tätigkeiten, die umgangssprachlich und pauschal d<strong>em</strong> (Tätigkeitsfeld) Sport zugerechnet<br />

werden, fehlt überhaupt schon das Beziehungsel<strong>em</strong>ent auf der Tätigkeitsebene<br />

selbst, und / oder es fehlt das Ziel des Vergleichs nach Regeln (siehe dazu weiter unten!), z.<br />

B. beim Bewegungstraining zum Zwecke der Rehabilitation („Gesundheitssport“!), beim Joggen<br />

(außer als Training für einen Wettkampf), Jonglieren, Tanzen (ausgenommen Turniertanzen!),<br />

Fitnesstraining oder Bodybuilding; sie sind deshalb für mich nicht sportliche Tätigkeiten,<br />

auch wenn die Menschen bei oder mit dieser Tätigkeit möglicherweise eine andere<br />

Beziehungsart (z. B. Geselligkeit) leben. Die Beziehung zu mindestens ein<strong>em</strong> anderen Menschen<br />

muss für die Tätigkeit selbst notwendig sein, in ihr und durch sie gelebt werden, und<br />

sie muss die weiteren Definitionsel<strong>em</strong>ente enthalten (Absicht des Vergleichens usw.), wenn<br />

die Tätigkeit zum Tätigkeitsfeld <strong>„Sport</strong>“ gehören soll. Die eben aufgezählten und viele weitere<br />

Tätigkeiten gehören für mich überwiegend zum Tätigkeitsfeld „Bewegungskultur“.<br />

Die Grenzen sind allerdings nicht starr. Man kann eben - wie im Beispiel (Sprint zum Bus) gezeigt<br />

und in der Kulturgeschichte z. B. des Tanzens und des Turnens feststellbar - vieles zu<br />

einer sportlichen Tätigkeit machen, „versporten“. Und es spielt für meinen Sportbegriff, wie<br />

gesagt, eine wichtige Rolle, ob der einsame „Jogger“ das nur für sich und seinen Genuss tut<br />

(das gehörte zum Tätigkeitsfeld „Bewegungskultur“), oder ob er das als vorbereitendes Training<br />

für einen Wettkampf tut (das gehörte zum Tätigkeitsfeld <strong>„Sport</strong>“).<br />

„mit der bewussten Absicht“: Auch in anderen Tätigkeitsfeldern begeben sich Menschen<br />

in Beziehungen zueinander. Ihre subjektiven Absichten und die kommunizierbaren Ziele charakterisieren<br />

die Beziehungen und Tätigkeiten. Für eine sportliche Beziehung und Tätigkeit ist<br />

die Absicht eines regel-bestimmten Vergleichs mit (mindestens) ein<strong>em</strong> anderen Menschen<br />

auf d<strong>em</strong> Gebiet der Bewegungskunst kennzeichnend (zu den hier schon vorweggenommenen<br />

weiteren Definitions-El<strong>em</strong>enten siehe unten!). Die bewussten Absichten werden unter den<br />

Menschen ausgetauscht. Sie münden u.a. in Vereinbarungen und Regeln.<br />

Außer den bewussten Absichten haben Menschen aber auch unbewusste. Die bewussten und<br />

die unbewussten Absichten können zud<strong>em</strong> pathogen sein, gerade im heutigen Spitzensport<br />

und besonders in einigen Sportarten, z. B. wenn Menschen selbst- oder fr<strong>em</strong>dschädigend<br />

(siehe dazu unten!) oder die Wirklichkeit leugnend handeln. Solches rechne ich nicht mehr zu<br />

<strong>„Sport</strong>“. Die Grenze muss im konkreten Fall jeder für sich bestimmen; dies ist allerdings kein<br />

beliebiger, sondern ein sehr verantwortungsvoller Entscheidungsprozess, über den gerade<br />

Wissenschaftler begründet streiten (= argumentieren) sollten.<br />

Sportarten wie Boxen sind unter dies<strong>em</strong> Aspekt meines Erachtens probl<strong>em</strong>atisch, auch viele<br />

der so genannten Extr<strong>em</strong>sportarten, weil die Menschen bei ihnen absichtsvoll zumindest in<br />

Kauf nehmen, dass es zu erheblichen Selbst- oder Fr<strong>em</strong>dschädigungen kommen kann. Hier<br />

sollte immer wieder über die Grenzziehung gestritten werden. Mir ist auch klar, dass solche<br />

(meines Erachtens notwendigen) Wertungen historisch relativ sind: Bei den antiken olympischen<br />

Spielen waren die Pankrationisten hoch geachtete Mitglieder der damaligen Sport-Szene<br />

(die ich als Historiker auch heute mit d<strong>em</strong> Begriff Sport bezeichne). Heutzutage wäre eine<br />

Tätigkeit wie Pankration ethisch noch weit bedenklicher als Boxen. Oder: Viele heute als bedeutende<br />

"Sportler" anerkannte Menschen sind vor ihrer sportlichen Höchstleistung für "verrückt"<br />

erklärt worden. Diese Erkenntnis der historischen Relativität enthebt mich aber nicht<br />

Sport ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, in d<strong>em</strong> Menschen sich freiwillig in eine Beziehung zu anderen Menschen begeben mit der bewussten<br />

Absicht, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten insbesondere im Gebiet der Bewegungskunst zu entwickeln und sich mit diesen anderen Menschen<br />

auf Grundlage der gesellschaftlich akzeptierten ethischen Werte nach selbstgesetzten oder übernommenen Regeln zu vergleichen.

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