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Deutschlands Söhne und Töchter - Universität Bielefeld

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<strong>Deutschlands</strong> <strong>Söhne</strong> <strong>und</strong> <strong>Töchter</strong><br />

Geschlecht <strong>und</strong> Nation<br />

im Deutschland des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

Bettina Brandt<br />

Carolyn Grone<br />

Ute Frevert<br />

Fakultät für Geschichtswissenschaft<br />

<strong>und</strong> Philosophie<br />

Forschung an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong> 20/1999<br />

Jeder kennt sie, die Bezeichnungen<br />

“Muttersprache” <strong>und</strong> “Vaterland”. Familienrollen<br />

<strong>und</strong> Geschlechterbilder<br />

werden häufig gebraucht, wenn von<br />

der Nation die Rede ist. Die Geschlechter-Metaphorik<br />

diente seit dem Ende<br />

des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts dazu, die abstrakte<br />

Vorstellung von einer Nation<br />

plastischer zu machen. Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

als in Deutschland für einen bürgerlichen<br />

Nationalstaat gekämpft<br />

wurde, erachteten es die Verfechter der<br />

nationalen Idee als immer wichtiger,<br />

die Nation als gesellschaftliches Ordnungs-<br />

<strong>und</strong> Orientierungsmodell an<br />

Männer <strong>und</strong> Frauen zu vermitteln. In<br />

vielen bürgerlichen Kulturkontexten<br />

waren symbolische Darstellungen der<br />

“Germania” als weiblicher Verkörperung<br />

der Nation verbreitet, <strong>und</strong> in den<br />

Schulen wurden nationale <strong>und</strong> geschlechtsspezifischeErziehungsvorstellungen<br />

miteinander verquickt.<br />

Bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gibt es<br />

seit 1997 ein kulturwissenschaftliches Schwerpunktprogramm<br />

„Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft<br />

im Europa der Neuzeit”. Es geht darin nicht um<br />

die alte, zu Recht nicht mehr betriebene Geistes- <strong>und</strong><br />

Ideengeschichte, sondern um den Vorgriff auf eine<br />

neue, sozial- <strong>und</strong> erfahrungsgeschichtlich gesättigte<br />

Geschichte „gedachter Ordnungen” <strong>und</strong> „Realitätsbilder”.<br />

Ideen sollen nicht im luftleeren Raum aufgespürt<br />

werden, sondern vor allem auf ihre Wirkungsmöglichkeiten<br />

untersucht werden. Dabei steht ihre<br />

Rolle als potentielle Sinnstifter <strong>und</strong> Deuter von Erfahrungen<br />

im Mittelpunkt. Zu den Forschungsvorhaben,<br />

die innerhalb dieses Schwerpunktprogramms gefördert<br />

werden, zählt das zunächst an der <strong>Universität</strong><br />

Konstanz, seit Oktober 1997 an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong><br />

angesiedelte Projekt „Nation <strong>und</strong> Geschlecht<br />

im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert”, das von Prof. Dr. Ute Frevert<br />

geleitet wird.<br />

Abb. 1: Philipp Veit, Germania (1848). Das dem Nazarener Philipp Veit zugeschriebene Germania-Transparent über dem<br />

Präsidium der Paulskirche 1848/49 präsentierte die nationale Einheit als ganzen Organismus. Es war im März 1848 nicht<br />

möglich, einer männlichen Figur die symbolische Herrschaft über die Nation zu übertragen. Die parlamentarische, ständeübergreifende<br />

Selbstherrschaft ebenbürtiger „deutscher Männer” ließ sich nicht aus der Unterwerfung unter die Gestalt<br />

eines Monarchen legitimieren, aber auch nicht durch die Figur eines einzelnen Bürgers repräsentieren, da bei dieser<br />

kollektiven Selbstherrschaft deutscher Männer immer auch die individuelle Selbstbehauptung im Spannungsfeld konkurrierender<br />

Interessen mitgedacht war. Die Koexistenz von Symbolen der Revolution <strong>und</strong> des Alten Reiches hielt den verfassungspolitischen<br />

Gestaltungshorizont offen.<br />

9


Sowohl „Nation” als auch „Geschlecht” gelten als<br />

zentrale Ordnungskonzepte <strong>und</strong> Orientierungsmuster<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, als „gedachte Ordnungen“<br />

ersten Ranges. Wie sich diese Ordnungen miteinander<br />

verschränken, wie sie kommuniziert <strong>und</strong> angeeignet<br />

werden, analysieren zwei eng aufeinander<br />

bezogene Teilprojekte: Das eine beschäftigt sich mit<br />

der symbolischen Repräsentation der Nation in der<br />

zeitgenössischen Literatur, in Liedern, in politischer<br />

Lyrik, in Festspielen; in der Malerei, in der Karikatur<br />

<strong>und</strong> in der Massengraphik; im Vereinsleben <strong>und</strong> bei<br />

Festen, in Denkmälern <strong>und</strong> in der Presse. Das andere<br />

Teilprojekt befaßt sich mit den Erziehungsvorstellungen<br />

für bürgerliche Jungen <strong>und</strong> Mädchen in der<br />

nationalen Bildungsanstalt Schule. Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Analyse sind neben behördlichen Dokumenten,<br />

Schulbüchern <strong>und</strong> Jahresberichten auch die Fachpresse,<br />

Verbandszeitschriften, Festreden, Schülerarbeiten<br />

<strong>und</strong> erfahrungsgeschichtliche Quellen.<br />

Die Repräsentation nationaler Einheit<br />

Über die konkrete Gestalt eines ethnisch-kulturell<br />

<strong>und</strong> territorial klar definierten deutschen Nationalstaates<br />

im Jahr 1948 geriet die Verfassungsarbeit der<br />

Frankfurter Nationalversammlung in eine Kontroverse.<br />

In politisch brenzliger Situation mahnte der<br />

Dichter <strong>und</strong> Abgeordnete Ludwig Uhland bei den<br />

Parlamentariern die Besinnung auf ihren einheitsstiftenden<br />

Auftrag an: „Eben weil es gärt, müssen wir<br />

die Form bereit halten, in die das siedende Metall<br />

sich ergießen kann, damit die blanke, unverstümmelte,<br />

hochwüchsige Germania aus der Grube<br />

steige.” Dieses Beispiel aus der Praxis politischer<br />

Rede ist zweifach bedeutsam. Über den Konflikt partikularer<br />

Interessen stellt Uhland das Bild der Germania,<br />

das der Nation die Identität eines benennbaren<br />

<strong>und</strong> physisch-einheitlichen Kollektivsubjekts verleiht.<br />

Die Auferstehung der Germania aus einem Guß hält<br />

Abb. 2: Umschlag für Einzelbilder mit Motiven vom Frankfurter B<strong>und</strong>esschießen 1862. Das Bild, in dessen Zentrum Männer unterschiedlicher<br />

regionaler Herkunft der Germania als Mutter <strong>und</strong> Majestät des Volkes huldigen, zierte einen Umschlag für Bilder vom<br />

„Ersten Allgemeinen Deutschen B<strong>und</strong>esschießen“ in Frankfurt a.M.1862. Es zeigt die Konstituierung eines wehrhaften Männerb<strong>und</strong>es,<br />

dessen interne Egalität durch Germanias waagrecht gehaltenes Richtschwert signalisiert wird. Während der wehrhafte Familienvater<br />

im Männerb<strong>und</strong> die Chance auf Heldenformat erhält, bleibt die bürgerliche Ehefrau links auf den familiären Binnenraum bezogen.<br />

10 Forschung an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong> 20/1999


Abb. 3: Friedrich August von Kaulbach: Deutschland – August 1914.<br />

Das Gemälde zum Kriegsausbruch 1914 zeigt Germania als furchtbare<br />

Rächerin, deren Leidenschaft das im Kaiserreich beliebte Motiv<br />

der geharnischten „Germania auf der Wacht am Rhein” weit überbietet.<br />

Wie eine Bildbeschreibung dazu liest sich ein Gedicht Ferdinand<br />

Freiligraths von 1870. Germania tritt in diesem Gedicht als<br />

„bleiche Siegerin” in schwarzem Gewand <strong>und</strong> mit dem Schwert in<br />

der Hand eisernen Schrittes der „trotzigen Nachbarin” Frankreich<br />

entgegen. Ihre zornigen Tränen gelten ihren getöteten <strong>Söhne</strong>n. So<br />

läßt sich das Bild auch als erinnernder Appell an die Opfergemeinschaft<br />

von 1870/71 deuten <strong>und</strong> als Legitimation einer erneuten<br />

kriegerischen „Verteidigung” gegen ein aggressives Frankreich.<br />

den abstrakten Debatten einen substantiellen <strong>und</strong><br />

anschaulichen Bezugspunkt vor Augen. Doch wird<br />

Germania fabriziert <strong>und</strong> ist die Nation ein Geschöpf,<br />

über dessen Form gestritten wird. So präsentiert sich<br />

Germania im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert mit den unterschiedlichsten<br />

Attributen, mit phrygischer Mütze, Eichenkranz<br />

oder Kaiserkrone. Gemeinsam war den diversen<br />

Vorstellungen von Germania jedoch die Repräsentation<br />

der nationalen Einheit in weiblicher Gestalt.<br />

Eine Gr<strong>und</strong>konstellation bürgerlicher Visionen der<br />

Germania war die Bindung zwischen Mutter Germania<br />

<strong>und</strong> dem Kollektiv ihrer <strong>Söhne</strong>. Heinrich von<br />

Kleists Ode Germania an ihre Kinder (1809) war im<br />

Kontext der antinapoleonischen Mobilisierung 1813<br />

in ganz Deutschland verbreitet. In dieser Ode ruft<br />

Germania als transhistorische, gebärende Natur den<br />

Völkerreigen ihrer <strong>Söhne</strong> zu den Waffen gegen die<br />

„Franken”. Kaiser, Ritter, Kaufmann, Denker <strong>und</strong><br />

arbeitendes Volk sammeln sich zum Schutz des mütterlichen<br />

Körpers, dessen Schoß sie gleichermaßen<br />

entstammen. Sie konstituieren einen B<strong>und</strong> ebenbürtiger<br />

Brüder in Waffen. In der Abwehr der napoleonischen<br />

Besetzung entstand die neue, egalisierende<br />

Kategorie des „deutschen Mannes“.<br />

Mutter Germania <strong>und</strong> ihre <strong>Söhne</strong><br />

In der Formel vom „Volk in Waffen” verband sich<br />

seit den Befreiungskriegen die Wehrbereitschaft des<br />

Bürgersoldaten mit dessen Forderung nach gleich<br />

berechtigter Teilnahme an der Politik. So figurierte<br />

Germania nicht nur als Mutter von Kriegern, sondern<br />

auch als Garantin der politischen Selbstherrschaft<br />

ihrer <strong>Söhne</strong>. Auf dem ersten allgemeinen deutschen<br />

Schützenfest in Frankfurt am Main im Jahre 1862<br />

huldigten die nationalbewegten Männer der Schützen-,<br />

Gesangs- <strong>und</strong> Turnvereine in einer Statue, in<br />

Festspiel, Bildern <strong>und</strong> Liedern einer Germania, die<br />

ihren <strong>Söhne</strong>n nicht allein die hingebungsvolle Liebe<br />

bis in den Heldentod abverlangt, sondern gut bürgerlich<br />

auf die moralische Selbstbeherrschung ihrer<br />

Forschung an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong> 20/1999<br />

Sprößlinge in Fleiß, Maß <strong>und</strong> Sitte als Basis politischer<br />

Verantwortung achtet. Der weibliche Körper der Germania<br />

repräsentierte eine Nation, in der die aktive<br />

Trägerschaft den Männern oblag <strong>und</strong> in der Wehr<strong>und</strong><br />

Todesbereitschaft, politische Teilhabe <strong>und</strong> Männlichkeit<br />

in Eins gesetzt waren. Das Modell nationaler<br />

Einheit aus dem Zusammenschluß von männlichen<br />

„Gleichen”ersetzte die soziale Ungleichheit durch den<br />

Entwurf einer Differenz zwischen Männern <strong>und</strong><br />

Frauen. Es schloß zugleich die Frauen von politischer<br />

Handlungsträgerschaft aus.<br />

Mutter Germania <strong>und</strong> ihre (Schwieger-)<strong>Töchter</strong><br />

Die Beziehung zwischen Germania <strong>und</strong> ihren <strong>Söhne</strong>n<br />

trug auch zur Konstruktion von getrennten weiblichen<br />

<strong>und</strong> männlichen Sphären bei. Der Germania zugeschrieben<br />

wurden ein zeitlos gebärender Körper als<br />

Garant ethnischer Kontinuität <strong>und</strong> Ganzheit, der<br />

Bezug zum Göttlichen, das Anmahnen der Werte als<br />

Garantie kultureller Kontinuität, der liebende Ausgleich<br />

von Differenzen <strong>und</strong> die Erhöhung der Helden.<br />

Diese Eigenschaften enthoben die Figur einer entgegengesetzten,<br />

von Männern bevölkerten Sphäre der<br />

aktiven Ausübung von Tugenden <strong>und</strong> Pflichten, der<br />

11


Herrschaft, des Kampfes, der Vereinzelung, der Veränderung.<br />

Parallel dazu erhielten Frauen ihren durch<br />

Ehe <strong>und</strong> Familie vermittelten Platz in der Nation.<br />

Im nationalen Festritual der Turner-, Sänger- <strong>und</strong><br />

Schützenturniere oblag ihnen das Spenden der allerheiligsten<br />

Fahne sowie die Segnung <strong>und</strong> Belohnung<br />

der Helden, <strong>und</strong> wie im „großen Haus” der Nation<br />

Germania als Sinnbild bürgerlicher Tugenden auftrat,<br />

wurde die familiäre Erziehung zur vornehmsten Aufgabe<br />

leibhaftiger Frauen erklärt. Die Nation im Krieg<br />

verlangte dann neben der weiblichen Teilnahme in<br />

Zuversicht, Beten <strong>und</strong> Pflegen auch die Bereitschaft,<br />

die männlichen Angehörigen der Übermutter zu<br />

opfern. Doch keine Szene, in der Germania sich<br />

unmittelbar an ihre <strong>Töchter</strong> wandte. Frauen blieben<br />

gegenüber der großen Mutter Nation nur „Schwiegertöchter”.<br />

Germania als Kriegsheldin<br />

Kriegerische Tugend <strong>und</strong> Stärke wurden mit Germania<br />

seit der Antike verb<strong>und</strong>en. Doch machte sich ab<br />

Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts eine zunehmende Militarisierung<br />

ihres Erscheinungsbildes bemerkbar. Nach<br />

dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 <strong>und</strong> der<br />

Reichsgründung legte Germania den Brustpanzer<br />

nicht mehr ab. Gleichwohl: Männliche wie weibliche<br />

Autoren wollten „ihre” Germania in Kriegsgedichten,<br />

Festspielen, Denkmalsbeschreibungen oder Reden<br />

weniger als streitbare Amazone denn als „ächte”<br />

deutsche Frau verstanden wissen. Zwar ließ es das<br />

bildungsbürgerliche Wissen um die kämpferischen<br />

Frauen der Germania des Tacitus zu, das weibliche<br />

Nationalsymbol gleichen Namens als gerüstete Partnerin<br />

deutscher Krieger auftreten zu lassen. Doch<br />

Abb. 4: „Ueber die Klinge”, deutsche Karikatur<br />

auf Napoleon III. (1870). Diese deutsche Karikatur<br />

von 1870 präsentiert die direkte Konfrontation<br />

zwischen Germania <strong>und</strong> dem französischen<br />

Kaiser als Mops durch den Filter des Kriegs-<br />

“Humors”. Die drohende Verletzung der bürgerlichen<br />

Geschlechterordnung durch die Gestalt<br />

einer aktiven Kriegerin wird durch das Spiel der<br />

„Frau Germania” mit dem dahergelaufenen<br />

Schoßh<strong>und</strong> entschärft. Zugleich verstärkt diese<br />

Inszenierung die Botschaft vom „leichten Spiel”<br />

mit einem unterlegenen Gegner.<br />

12 Forschung an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong> 20/1999


Abb. 5: Louis Raemaekers: France unmasking Germany,<br />

ca. 1915. Die im Ersten Weltkrieg als Postkartenmotiv<br />

verbreitete Zeichnung des holländischen<br />

Karikaturisten Louis Raemakers zeigt, wie über den<br />

Geschlechtergegensatz nationale Stereotypen installiert<br />

werden, hier aus der Perspektive der deutschen<br />

Kriegsgegner: Die französische Marianne, in einem<br />

weißen, ungeschützten <strong>und</strong> unschuldig wirkenden<br />

Empirekleid, demaskiert die „Weiblichkeit” der<br />

gepanzerten Germania als eine falsche. Hinter der<br />

lieblich-jungfräulichen Maske <strong>Deutschlands</strong> kommt<br />

der männliche Barbar mit hinterrücks gezücktem<br />

Dolch zum Vorschein. List <strong>und</strong> Brutalität des militarisierten<br />

Deutschland stehen einem aufgeklärten,<br />

„wahrhaftigen” <strong>und</strong> moralisch überlegenen Frankreich<br />

gegenüber.<br />

bringt Germania ihre Kampfkraft eher dadurch zum<br />

Einsatz, daß sie als verheißende Siegesbraut in die<br />

Schlacht voranschwebt, um Kraft durch Hoffnung –<br />

auf einen unverletzbaren Körper – zu spenden, in<br />

dem sie W<strong>und</strong>en heilt, die Sieger bekränzt <strong>und</strong> das<br />

Andenken der gefallenen Helden in Kriegerdenkmälern<br />

wahrt. Es sind die Männer, die Sieg <strong>und</strong><br />

Macht für Germania erstreiten.<br />

Dagegen erzeugte das Bild von der Herausforderung<br />

Germanias durch einen männlichen Feind eine<br />

andere, konfrontative Mann-Frau-Beziehung: Die<br />

Geschlechterdifferenz erhielt einen neuen Bezugsrahmen<br />

<strong>und</strong> strukturierte nun den nationalstereotypen<br />

Gegensatz zwischen einem unmoralischen Frankreich<br />

<strong>und</strong> einem tapferen Deutschland. Hatte der „Franzmann”<br />

Mutter Germania ins „heil’ge, reine Antlitz”<br />

geschlagen oder der Jungfrau Germania den Jungfernkranz<br />

entwendet, steigerte sich die Inszenierung<br />

des Krieges in das Pathos männlicher Rache für eine<br />

weibliche Ehrverletzung. Die emotionale Eskalation<br />

lieferte dann das Bild der haßerfüllten Rächerin Germania,<br />

das zugleich die bürgerliche Geschlechterordnung<br />

zu sprengen drohte. Pathos oder karikaturisti-<br />

Forschung an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong> 20/1999<br />

sche Komik dienen in deutschen Kriegsdarstellungen<br />

von 1870/71 <strong>und</strong> 1914 dazu, diese Spannung zu<br />

entschärfen. Gerade die körperliche <strong>und</strong> moralische<br />

Überlegenheit des weiblichen Körpers ließ den<br />

Ansturm des französischen Herausforderers als<br />

schwächlich erscheinen. Den nervösen, feminisierten<br />

Angeber legt Germania-Brünhilde kurzerhand in Ketten,<br />

läßt ihn als Schoßh<strong>und</strong> über die Klinge springen<br />

oder erdrückt den dürren Lüstling im Tanz. Umgekehrt<br />

zeigen Propagandabilder der Alliierten des<br />

Ersten <strong>und</strong> <strong>und</strong> noch des Zweiten Weltkrieges Germania<br />

als expansionslüstern-fettleibiges „Gretchen”,<br />

hinter dessen Fassade der männliche Barbar zum<br />

Vorschein kommt.<br />

Bildliche Darstellungen der Germania durchzogen<br />

viele der kulturellen Räume bürgerlichen Lebens: Sie<br />

zirkulierten im Fest- <strong>und</strong> Vereinswesen <strong>und</strong> erschienen<br />

im Theater, sie standen auf Denkmälern <strong>und</strong><br />

präsentierten sich in den Karikaturen der Presse; über<br />

Nippes oder Postkarten erschloß sich das Symbol<br />

auch Kleinbürgern <strong>und</strong> Arbeitern. Auch in den höheren<br />

Schulen waren national geprägte Geschlechterstereotype<br />

wirksam.<br />

13


Abb. 6: Gymnasiasten in historischen Soldatenuniformen. An nationalen Festtagen schlüpften Realschüler <strong>und</strong> Gymnasiasten<br />

im Deutschen Kaiserreich (1871 bis 1914) gerne in Soldatenkleidung. So in <strong>Bielefeld</strong> im Jahre 1900, als Kaiser Wilhelm II. auf<br />

der Sparrenburg das Denkmal des Großen Kurfürsten einweihte. Schüler des Ratsgymnasiums präsentierten sich stolz in Uniformen<br />

aus der Zeit des Großen Kurfürsten. In der prestigeträchtigen Rolle des Soldaten fühlten sich die Jungen in der militarisierten<br />

deutschen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrh<strong>und</strong>erts willkommen <strong>und</strong> ernst genommen.<br />

Werdet Männer!<br />

„Männer verlangt das Vaterland”. So kurz <strong>und</strong> bündig<br />

lautete die Anweisung, die Schüler an höheren<br />

Knabenschulen des Deutschen Kaiserreichs 1871-<br />

1914 in Festreden <strong>und</strong> im Unterricht immer wieder<br />

eingetrichtert bekamen. Männer – vor allem die der<br />

bürgerlichen <strong>und</strong> adligen Kreise – waren in der Vorstellung<br />

der Zeitgenossen unersetzlich für die Existenz<br />

der Nation. Sie stellten die politischen Entscheidungsträger<br />

im Nationalstaat, an ihrer Fähigkeit hingen<br />

Sieg <strong>und</strong> Niederlage, wenn es hieß, das Vaterland<br />

im Krieg zu verteidigen. Mit ihrem „Schweiß<br />

<strong>und</strong> Blut” war, so die allgemeine Überzeugung, der<br />

Sieg über die Franzosen <strong>und</strong> die Gründung des deutschen<br />

Reiches 1870/71 erst gelungen. Schon im<br />

Schul- <strong>und</strong> Jugendalter mußten die Knaben aus<br />

gutem Hause deshalb zu Männern erzogen werden,<br />

die dem Vaterland dienten.<br />

Nation, Männer <strong>und</strong> Frauen<br />

Bereits seit dem Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, als in<br />

den damals noch getrennten deutschen Staaten erstmals<br />

über ein einheitliches Deutschland nachgedacht<br />

wurde, war für das Projekt des bürgerlichen Nationalstaats<br />

die Konzeption zweier verschiedener Geschlechtersphären<br />

konstitutiv. Während Männer als<br />

Krieger <strong>und</strong> Staatsbürger wichtig waren, wurde den<br />

Frauen als mütterlichen Volkserzieherinnen <strong>und</strong> Vermittlerinnen<br />

deutscher Kultur eine große nationale<br />

Bedeutung beigemessen. Nach der Reichsgründung<br />

blieb denn auch der ehemalige Reichskanzler Otto<br />

von Bismarck in einer Rede vor preußischen Oberlehrern<br />

im Jahre 1895 nicht allein, wenn er forderte,<br />

daß für „unsere nationale Entwicklung” vor allem<br />

Frauen gewonnen werden müßten. Schon 1879<br />

hatte etwa der Berliner Mädchenschullehrer Kirchner<br />

gefragt: „Welche Aufgaben stellt die Wiederaufrichtung<br />

des deutschen Reiches dem weiblichen<br />

Geschlecht?”<br />

Zwischen nationaler Einheit<br />

<strong>und</strong> Geschlechtertrennung<br />

Das Bestreben, genuin weibliche <strong>und</strong> männliche<br />

Tätigkeitsfelder zu definieren, war unter Schul- <strong>und</strong><br />

Bildungsmännern <strong>und</strong> bei manchen Lehrerinnen im<br />

Kaiserreich groß. Diesem Bemühen kam entgegen,<br />

daß Mädchen <strong>und</strong> Jungen an höheren Schulen noch<br />

14 Forschung an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong> 20/1999


is ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert weitgehend in getrennten<br />

Anstalten unterrichtet wurden. Damit bot sich die<br />

Möglichkeit, das nationale Erziehungsprogramm<br />

geschlechterspezifisch zuzuschneiden.<br />

An höheren Knabenschulen sollten die Zöglinge<br />

auf die aktive, wenn nötig auch militärische Mitgestaltung<br />

in politisch-öffentlichen Angelegenheiten<br />

des Staates vorbereitet werden. Der weibliche Aktionsradius,<br />

für den die <strong>Töchter</strong> besserer Familien an<br />

höheren Mädchenschulen gebildet wurden, beschränkte<br />

sich hingegen auf den häuslichen Binnenraum.<br />

Über das Ehe- <strong>und</strong> Familienleben, durch pflegerische<br />

<strong>und</strong> erzieherische Fürsorge sollte das weibliche<br />

Geschlecht für die Nation nützlich werden. Diese<br />

Geschlechterdifferenzen ließen sich in der schulischen<br />

Praxis allerdings nicht konsequent durchziehen.<br />

Männliche <strong>und</strong> weibliche Rollenzuweisungen überschnitten<br />

sich zuweilen. So wurden beispielsweise die<br />

sittlich-moralische Charakterbildung <strong>und</strong> christliche<br />

Frömmigkeit an Knaben-Gymnasien <strong>und</strong> -Realschulen<br />

ausdrücklich zu Idealen des deutschen Mannes<br />

erhoben, gleichwohl bekamen junge Schülerinnen an<br />

höheren Mädchenschulen im Kaiserreich dieselben<br />

Charakter- <strong>und</strong> Frömmigkeitsideale als Ausweis vorbildlicher<br />

deutscher Weiblichkeit vorgeführt. Die<br />

Treue zu Monarchie <strong>und</strong> Kaiser, die Liebe zur Volksgemeinschaft,<br />

zum heimatlichen Boden <strong>und</strong> deutscher<br />

Kultur wurde ebenfalls beiden Geschlechtern<br />

gleichermaßen vermittelt. Mal galt diese Hingabe ans<br />

Vaterland als besonders männlich, im anderen Fall als<br />

explizit weiblich.<br />

Der Dienst für die Nation <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>ene<br />

Tugendkatalog erwiesen sich im Fall dieser charakterlichen<br />

Bildungsziele als geschlechtsspezifisch<br />

neutral; die Zuschreibungen von „Männlichkeit” <strong>und</strong><br />

„Weiblichkeit” waren austauschbar.<br />

Neigung zum Internationalismus bei Lehrerinnen<br />

Die nationale Bildung junger Mädchen <strong>und</strong> Knaben<br />

in der deutschen Gesellschaft des Kaiserreichs, für die<br />

die Nation eine wichtige Bezugsgröße war, fand viele<br />

Fürsprecher. Dennoch verhielt sich der überwiegende<br />

Teil der Lehrerinnenschaft, die die größte Fraktion<br />

der bürgerlichen Frauenbewegung ausmachte, bis in<br />

die späten 1890er Jahre eher reserviert. Sie liebäugelten<br />

weniger mit der Nation als mit internationalen<br />

Kontakten. Wie dieser „Zug zum Internationalismus”<br />

zu verstehen sei, erklärte die Lehrerin <strong>und</strong> prominente<br />

Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung<br />

des Kaiserreichs, Helene Lange: „Der deutsche<br />

Mann”, schrieb sie im Jahre 1900, habe „die Frau,<br />

die ihre nationalen Pflichten erfüllen wollte, in den<br />

Internationalismus hineingedrängt”. Genau genom-<br />

Forschung an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong> 20/1999<br />

men waren es, so Lange, zwei Momente, die viele Frauen seit<br />

der Reichsgründung der eigenen Nation entfremdeten:<br />

„Rechtlosigkeit <strong>und</strong> ein Mangel an tiefgreifenden Beziehungen<br />

zum Kulturleben des eigenen Volkes.” Lange hatte mit<br />

ihrer Kritik nicht die fehlende politische Gleichberechtigung<br />

beider Geschlechter im Kopf, wohl aber monierte sie die<br />

langjährige administrative Benachteiligung der Mädchen- <strong>und</strong><br />

Lehrerinnenbildung. Bis 1893 war es Mädchen in Deutschland<br />

nicht möglich, aufs Gymnasium zu gehen. Und erst seit<br />

1896 durften Schülerinnen das Abitur ablegen. Als Folge dieser<br />

allmählichen positiven Entwicklung für die Bildung der<br />

Frauen forderte Lange „eine stärkere Betonung der nationalen<br />

Eigenart” innerhalb des deutschen Lehrerinnenvereins.<br />

Bis zur Jahrh<strong>und</strong>ertwende also waren vor allem Lehrerinnen<br />

auf Distanz zur eigenen Nation gegangen. Spätestens nach<br />

1900 zogen sie mit ihren männlichen Kollegen an einem<br />

Strang. Die Nation wurde für beide Geschlechter zur dominierenden<br />

Leitidee auf dem Weg in den Ersten Weltkrieg.<br />

Prof. Dr. Ute Frevert (rechts) lehrt Allgemeine<br />

Geschichte unter besonderer Berücksichtigung des<br />

19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong>.<br />

Bettina Brandt (links) studierte Germanistik <strong>und</strong> Geschichte<br />

an der <strong>Universität</strong> Konstanz <strong>und</strong> ist seit<br />

1997 Mitarbeiterin in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

finanzierten Forschungsprojekt<br />

zum Thema „Nation <strong>und</strong> Geschlecht im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert”<br />

an der <strong>Universität</strong> <strong>Bielefeld</strong>. Im Rahmen des<br />

Projekts arbeitet sie an einer Dissertation über „Germania<br />

als Symbol des Nationalen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert“.<br />

Carolyn Grone (Mitte) studierte Germanistik, Geschichte<br />

<strong>und</strong> Sportwissenschaften an den <strong>Universität</strong>en<br />

Konstanz <strong>und</strong> Wien, seit 1997 ist sie Mitarbeiterin<br />

dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

finanzierten Forschungsprojekt zum Thema „Nation<br />

<strong>und</strong> Geschlecht im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert” an der <strong>Universität</strong><br />

<strong>Bielefeld</strong>. Im Rahmen des Projekts arbeitet sie<br />

an einer Dissertation über die nationale Bildung an<br />

höheren Knaben- <strong>und</strong> Mädchenschulen im Deutschen<br />

Kaiserreich von 1870/71 bis 1914.<br />

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