2006 [2,4 MB] - Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
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ländlichen Gebieten mehr Eigenheime statt Wohnblöcke<br />
zu errichten, da diese eher dem ländlichen Charakter<br />
entsprachen.<br />
Die Trennung von Ackerbau und Viehwirtschaft,<br />
die in den 1960er Jahren peu à peu über den Weg <strong>der</strong><br />
Kooperation begann und Mitte <strong>der</strong> 1970er Jahre abgeschlossen<br />
werden konnte, war in <strong>der</strong> DDR und innerhalb<br />
des sozialistischen Wirtschaftsgebietes umstritten.<br />
Der Transport- und Verwaltungsaufwand erhöhte<br />
sich. Auch <strong>der</strong> Alltag <strong>der</strong> Beschäftigten in <strong>der</strong> Landwirtschaft<br />
erfuhr große Verän<strong>der</strong>ungen. In vielen<br />
Gemeinden waren die Beziehungen zwischen den<br />
Produktseinheiten konfliktgeladen. Trotz <strong>der</strong> ständig<br />
angemahnten Kooperation in <strong>der</strong> Landwirtschaft gelang<br />
es <strong>der</strong> <strong>SED</strong> nicht, die Agrarbetriebe flächendeckend<br />
zu einer effektiven und reibungslosen Zusammenarbeit<br />
zu bewegen. Vielmehr schuf man weitgehend<br />
einseitige Abhängigkeitsverhältnisse zulasten<br />
<strong>der</strong> Tierproduzenten. Zwischen den Dörfern und auch<br />
in den Familien bildeten sich Gräben. Dies wird in einem<br />
Arbeitspapier <strong>der</strong> Bezirksleitung Rostock von<br />
1977 verdeutlicht: „Durch die vollzogene Arbeitsteilung<br />
Pflanzen- und Tierproduktion ist jetzt <strong>der</strong> Zeitpunkt<br />
herangekommen, wo erste Erscheinungen des<br />
Auseinan<strong>der</strong>lebens <strong>der</strong> Genossenschaftsbauern in den<br />
Dörfern auftreten.“<br />
Der <strong>SED</strong>-Gigantismus, <strong>der</strong> sich in überdimensionierten<br />
Betrieben äußerte, hatte verheerende ökonomische<br />
und ökologische Folgen, die aus ideologischen<br />
Gründen durch die <strong>SED</strong> weitgehend übergangen wurden.<br />
Die rigorose Trennung <strong>der</strong> Produktionszweige<br />
und die Organisation <strong>der</strong> Arbeit nach Produktarten<br />
führte nicht zum erhofften wirtschaftlichen Erfolg.<br />
Die Erträge gingen in den 1970er Jahren im Vergleich<br />
<strong>zur</strong> vorrangegangen Dekade <strong>zur</strong>ück. An<strong>der</strong>e sozialistische<br />
Län<strong>der</strong> mit kollektivierter Landwirtschaft, wie<br />
die ČSSR und Ungarn, konnten höhere Leistungen in<br />
<strong>der</strong> Feldwirtschaft erreichen, obwohl die DDR Mitte<br />
<strong>der</strong> 1960er Jahre in diesem Sektor noch leistungsmäßig<br />
überlegen war. So sah sich Werner Felfe, <strong>der</strong> ZK-<br />
Sekretär für Landwirtschaft, 1982 dazu gezwungen,<br />
angesichts <strong>der</strong> Landwirtschaftspolitik <strong>der</strong> 1970er Jahre,<br />
die stark durch seinen Vorgänger Gerhard Grüneberg<br />
geprägt war, zu konstatieren: „Offenbar erweist<br />
sich eine Marxsche Erkenntnis wie<strong>der</strong>um als richtig:<br />
konzentriert man die Produktion zu stark, ohne auch<br />
die Effektivität zu steigern, so kann man unversehens<br />
von einer intensiv betriebenen Wirtschaft in eine mehr<br />
extensive Art zu wirtschaften hineingeraten.“<br />
Durch die Konzentration <strong>der</strong> Produktion, welche eine<br />
starke Reduzierung <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> LPG und VEG<br />
mit sich brachte, ergab sich, dass meist nur noch ein<br />
Landwirtschaftsbetrieb in einer Gemeinde vorhanden<br />
war. Die Bedeutung <strong>der</strong> Genossenschaften ging weit<br />
über die einfacher landwirtschaftlicher Betriebe hinaus.<br />
Da die Kommunen we<strong>der</strong> über Finanz- noch Produktionsmittel<br />
in ausreichendem Maße verfügten,<br />
mussten die LPG diese Lücke ausfüllen. Sie leisteten<br />
einen Großteil des ländlichen Wohnungs- und Hausbaus,<br />
errichteten Wasser- und Stromversorgung, bauten<br />
Straßen, Kin<strong>der</strong>tagesstätten, Gasthäuser, Einkaufseinrichtungen<br />
und vieles mehr. Ihr Maschinenpark<br />
und ihre Arbeitskräfte standen <strong>der</strong> ländlichen<br />
Bevölkerung in Ermangelung verfügbarer Dienstleistungsbetriebe<br />
<strong>zur</strong> Verfügung. Diese Ausnahmestellung<br />
<strong>der</strong> LPG brachte allerdings auch Probleme hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Machtkonzentration in den Gemeinden<br />
mit sich. Die Bürgermeister waren zwar oft in den<br />
<strong>SED</strong>-Grundorganisationen <strong>der</strong> Agrarbetriebe eingebunden,<br />
sahen sich aber gegenüber den LPG-Vorsitzenden<br />
oft in eine Bittstellerposition gedrängt. Obwohl<br />
die Genossenschaften demokratisch organisiert<br />
sein sollten, bestimmte häufig <strong>der</strong> Vorsitzende über<br />
die Geschicke des Betriebes. Daher blieb die halbherzig<br />
vorgebrachte Kritik an Mängeln bei <strong>der</strong> Durchsetzung<br />
<strong>der</strong> sogenannten „innergenossenschaftlichen<br />
Demokratie“ bis zum Ende <strong>der</strong> DDR ständig aktuell.<br />
Die Genossenschaften wurden aus den genannten<br />
Gründen somit unbeabsichtigt zu Erben <strong>der</strong> landwirtschaftlichen<br />
Großgüter <strong>der</strong> Vorkriegszeit; ein Aspekt,<br />
<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Forschung bis dato kaum berücksichtigt<br />
wurde und <strong>der</strong> u. a. mit Hilfe von Zeitzeugen untersucht<br />
werden soll.<br />
Das Dissertationsprojekt folgt verschiedenen Fragestellungen<br />
ökonomischer, ökologischer und sozialer<br />
Art. Beachtung erfährt v. a. die Umsetzung <strong>der</strong> weitreichenden<br />
Transformation und <strong>der</strong>en Auswirkung auf<br />
Arbeits- und Lebensbedingungen <strong>der</strong> ländlichen Bevölkerung.<br />
Daneben sollen die unterschiedlichen Akteursebenen<br />
und ihre Rolle in den Umbildungsprozessen<br />
analysiert werden. Von beson<strong>der</strong>em Interesse für<br />
die Untersuchung ist, wie sich Landbevölkerung und<br />
Leitung <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Betriebe gegenüber<br />
<strong>der</strong> oft administrativen Durchsetzung <strong>der</strong> <strong>SED</strong>-Agrarpolitik<br />
verhielten, denn die Trennung <strong>der</strong> Produktionszweige<br />
war zum Beispiel höchst umstritten. Weiterhin<br />
stellen sich folgende Fragen: Inwieweit konnte<br />
eine industrielle Großproduktion tatsächlich eingeführt<br />
werden? Gelang es angesichts <strong>der</strong> gegenläufigen<br />
Entwicklung in Form des Ausbaus <strong>der</strong> Individualwirtschaften<br />
<strong>der</strong> Genossenschaftsbauern die Landbevölkerung<br />
zu proletarisieren?<br />
Das Untersuchungsgebiet beschränkt sich auf die drei<br />
Nordbezirke Neubrandenburg, Rostock und Schwerin,<br />
die stark landwirtschaftlich geprägt waren. Allerdings<br />
wird die zentrale Ebene bei den Untersuchungen nicht<br />
ausgeblendet.<br />
Die 1960er Jahre gelten als erfolgreichste Etappe<br />
<strong>der</strong> Landwirtschaft <strong>der</strong> DDR. Die LPG, die während<br />
<strong>der</strong> Zwangsvergenossenschaftlichung zum Teil überhastet<br />
gebildet worden waren, festigten sich allmählich<br />
nicht zuletzt unter dem Eindruck des Neuen Ökonomischen<br />
Systems <strong>der</strong> Planung und Leitung<br />
(NÖPSL). Oft wird in <strong>der</strong> Forschungsliteratur <strong>der</strong><br />
Eindruck erweckt, dass es sich bei diesem Jahrzehnt<br />
um eine relativ stabile Periode <strong>der</strong> Landwirtschaftsentwicklung<br />
handelt. Diese Auffassung kann nach den<br />
bisherigen Untersuchungen m. E. nicht aufrechterhalten<br />
werden. Das Agrarwesen <strong>der</strong> DDR war einem<br />
ständigen Wandel unterworfen. Dieser Umstand ist<br />
mehreren Faktoren geschuldet: <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong><br />
<strong>SED</strong> alle Än<strong>der</strong>ungen schrittweise durchzuführen, einer<br />
zu konstatierenden Experimentierfreudigkeit, <strong>der</strong><br />
Korrektur fehlerhafter Entwicklungen und später personellen<br />
Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Leitung <strong>der</strong> Landwirtschaft<br />
(Tod des Landwirtschaftsministers Ewald 1973<br />
und des ZK-Sekretärs für Landwirtschaft Gerhard<br />
Grüneberg 1981). Durch den Mauerbau sah man sich<br />
in <strong>der</strong> Lage, Landwirtschaftspolitik offener durchzusetzen.<br />
In den 1960er Jahren gab es mehrere parallele<br />
Entwicklungen, die einschneidende Verän<strong>der</strong>ungen<br />
auf dem Lande mit sich brachten. Als Eingeständnis<br />
gegenüber den Bauern hatte man im Zuge <strong>der</strong> Vergenossenschaftlichung<br />
LPG zugelassen, in denen das<br />
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