2006 [2,4 MB] - Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
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ziplinierten, körperlich wi<strong>der</strong>standsfähigen Genossen“<br />
zu gewährleisten, die in <strong>der</strong> Lage sein sollten, „ihre<br />
Produktionsstätten sowie die Errungenschaften des<br />
Arbeiter- und Bauern-Staates zu verteidigen“, erhielten<br />
die Kampfgruppen schon bald ein zunehmend militärisches<br />
Profil, das in <strong>der</strong> Formierung sogenannter<br />
„Kampfgruppen-Bataillone“ im Jahre 1959 kulminierte.<br />
Die Zusammenfassung von lokal existierenden<br />
Hun<strong>der</strong>tschaften zu zentral geführten Bataillonen,<br />
ausgerüstet mit schweren Waffen etwa <strong>zur</strong> Panzerbekämpfung<br />
und <strong>zur</strong> Flugabwehr, ließ die ursprünglichen<br />
betriebsspezifischen Sicherungsaufgaben in den<br />
Hintergrund rücken und machte die Kampfgruppen<br />
mehr und mehr zu einem Bestandteil <strong>der</strong> „sozialistischen<br />
Landesverteidigung“. Den Höhepunkt dieser<br />
Entwicklung bildete die Teilnahme von Kampfgruppen-Einheiten<br />
im Rahmen des auf dem Territorium<br />
<strong>der</strong> DDR ausgetragenen Warschauer-Pakt- Manövers<br />
„Waffenbrü<strong>der</strong>schaft“ im Jahre 1970. Auch die Einrichtung<br />
<strong>der</strong> bereits im Mai 1957 eröffneten „Zentralen<br />
Schule für Kampfgruppen“ (ZSfK) in Schmerwitz,<br />
die eine professionelle militärischen Schulung <strong>der</strong><br />
Hun<strong>der</strong>tschafts-Kommandeure gewährleisten sollte,<br />
verweist auf den zunehmend militärischen Charakter<br />
<strong>der</strong> Kampfgruppen.<br />
Einem eindeutig militärischen Charakter wirkte jedoch<br />
<strong>der</strong> Mangel an Waffen und an<strong>der</strong>en Ausrüstungsgegenständen<br />
entgegen. So gab es bis Ende <strong>der</strong><br />
fünfziger Jahre kaum für jeden „Kämpfer“ eine eigene<br />
Waffe und auch die vollständige Einkleidung mit Uniformen<br />
war erst 1959 abgeschlossen. Diese un<strong>zur</strong>eichende<br />
Ausrüstung wirkte sich auch auf die Motivation<br />
<strong>der</strong> Kampfgruppenangehörigen aus. Nicht selten<br />
weigerten sich „Kämpfer“, an Ausbildung und Aufmärschen<br />
teilzunehmen, weil ihnen ihre Zivilkleidung<br />
„zu schade“ war und sie überdies nicht als „wil<strong>der</strong><br />
Haufen“ auftreten wollten. Überhaupt bildete die Resonanz<br />
<strong>der</strong> Zivilbevölkerung einen nicht zu unterschätzenden<br />
Motivationsgrund für die Kampfgruppen-Angehörigen.<br />
Anlässlich des fünfunddreißigjährigen<br />
Jubiläums des mitteldeutschen Aufstandes<br />
wurde 1956 im Bezirk Halle ein „Generalappell“ <strong>der</strong><br />
Kampfgruppen abgehalten, <strong>der</strong> den Abschluss <strong>der</strong> ersten<br />
Ausbildungsetappe markierte. 22 000 „Kämpfer“<br />
beteiligten sich an diesem Aufmarsch. Auch war eine<br />
außerordentlich starke Beteiligung <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
zu verzeichnen. In Eisleben, eines <strong>der</strong> Zentren des<br />
Wi<strong>der</strong>standes während des mitteldeutschen Aufstandes,<br />
marschierten die Kampfgruppen durch die Arbeiterviertel<br />
und sangen alte Kampflie<strong>der</strong>, begleitet von<br />
einer lebhaften Anteilnahme. Im Anschluss an den<br />
„Generalappell“ verzeichneten die Funktionäre<br />
schließlich eine steigende Beteiligung an <strong>der</strong> Ausbildung.<br />
Verweist diese Beobachtung auf den beson<strong>der</strong>en<br />
Mobilisierungseffekt von Aufmärschen und die<br />
damit verbundene gesellschaftliche Aufwertung <strong>der</strong><br />
„Kämpfer“ , zeigt sie darüber hinaus die Bedeutung<br />
lokalspezifischer kollektiver Erinnerung für die Akzeptanz<br />
<strong>der</strong> Kampfgruppen.<br />
War die <strong>SED</strong> ganz allgemein bemüht, in regionalspezifischen<br />
historischen Untersuchungen und Einrichtungen<br />
die lokalen kämpferischen Traditionen <strong>der</strong><br />
Arbeiterbewegung herauszustellen, findet sich eine<br />
solche Bezugsnahme erst recht in <strong>der</strong> obligatorischen<br />
„Traditionspflege“ <strong>der</strong> Kampfgruppen, die einen<br />
Großteil des sogenannten „militärpolitischen Unterrichts“<br />
ausmachte. Die Verleihung von Ehrennamen<br />
an bewährte Einheiten und die damit einhergehende<br />
Schaffung sogenannter „Traditionskabinette“, in denen<br />
die Geschichte <strong>der</strong> jeweiligen Namenspatrone –<br />
zumeist antifaschistische Wi<strong>der</strong>standskämpfer – beispielgebend<br />
vermittelt wurde, die Gespräche mit Zeitzeugen<br />
und Veteranen sowie das Abhalten von Manövern<br />
und Aufmärschen anlässlich historisch im<br />
Sinne einer revolutionären Tradition bedeutsamer Ereignisse<br />
sollten die Botschaft des Proletarischen Mythos<br />
aktualisieren.<br />
Ein in den 1960er Jahren durch das altersbedingte<br />
Ausscheiden älterer „Kämpfer“, für die die Erfahrungen<br />
<strong>der</strong> „Klassenkämpfe“ <strong>der</strong> Weimarer Republik<br />
noch zum persönlichen Erfahrungshorizont zählten,<br />
einsetzen<strong>der</strong> Generationswechsel in den Kampfgruppen<br />
wirkte sich jedoch auch auf die organisationsinterne<br />
Traditionsbindung aus. Zu fragen bleibt deshalb,<br />
inwieweit weiterhin idealistische Beweggründe ausschlaggebend<br />
für den Dienst in den Kampfgruppen<br />
waren, bzw. dieser aus an<strong>der</strong>en, etwa opportunistischen,<br />
Absichten erfolgte. So implizierte <strong>der</strong> Dienst in<br />
den Kampfgruppen die Freistellung von an<strong>der</strong>en, für<br />
jeden Bürger <strong>der</strong> DDR so zahlreich verlangten gesellschaftlichen<br />
Verpflichtungen, damit die „Kämpfer“<br />
sich ganz auf ihre Ausbildung konzentrieren konnten.<br />
Zudem wurde im August 1974 die sogenannte<br />
„Kampfgruppen-Rente“ eingeführt, die langjährigen<br />
Kampfgruppen-Angehörigen (mindestens 20 Jahre)<br />
einen Renten-Aufschlag von 100 Mark zusicherte, eine<br />
Maßnahme, die verständlicherweise auf große Zustimmung<br />
unter den „Kämpfern“ stieß.<br />
Verfolgte die Untersuchung bisher einen vornehmlich<br />
organisationsinternen Fokus, <strong>der</strong> nach Hierarchien<br />
und Kameradschaftspraxen innerhalb <strong>der</strong><br />
Kampfgruppen selber fragte, ist noch zu klären, welche<br />
Rolle die Kampfgruppen im betrieblichen Alltag<br />
spielten. Sollte die wöchentlich vierstündige Ausbildung<br />
ursprünglich außerhalb <strong>der</strong> Arbeitszeit stattfinden,<br />
scheiterte dies nicht selten am Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong><br />
Kampfgruppen-Angehörigen selbst. Die Ausbildung<br />
während <strong>der</strong> Arbeitszeit durchzuführen, bedeutete jedoch<br />
den Verlust <strong>der</strong> betreffenden „Kämpfer“ in <strong>der</strong><br />
Produktion und rief deshalb die Betriebsleitungen auf<br />
den Plan. Weigerten diese sich teilweise, die „Kämpfer“<br />
für die Ausbildung freizustellen, bot das Konkurrenzverhältnis<br />
von Kampfgruppen-Arbeit und betrieblichem<br />
Alltag manch unmotiviertem Kampfgruppen-<br />
Angehörigen die Möglichkeit, sich durch die Arbeit<br />
<strong>der</strong> Ausbildung zu entziehen. Mangelnde Unterstützung<br />
<strong>der</strong> Kampfgruppen-Arbeit von Seiten <strong>der</strong> Betriebe<br />
war wie<strong>der</strong>um eine weitverbreitete Klage <strong>der</strong><br />
für die Ausbildung zuständigen Parteifunktionäre.<br />
Die betriebsbezogene Organisation <strong>der</strong> Kampfgruppen<br />
konstituierte solchermaßen ein Konkurrenzverhältnis<br />
betrieblicher und organisationsspezifischer Hierarchien,<br />
das wie<strong>der</strong>um einen eindeutig militärischen Charakter<br />
<strong>der</strong> Kampfgruppen konterkarierte. So konstatierte<br />
die Volkspolizei, die für die Überwachung <strong>der</strong><br />
Ausbildung verantwortlich war, dass Teile des Leitungspersonals<br />
es nicht verstünden, „dass sie vor einem<br />
Zug bzw. Gruppe von Kampfgruppenangehörigen stehen<br />
und nicht vor ihren Betriebsangehörigen“ und beklagte<br />
Unsicherheiten und sogar „Min<strong>der</strong>wertigkeitskomplexe“<br />
bei den betreffenden Offizieren.<br />
Das gefor<strong>der</strong>te militärische Profil <strong>der</strong> Kampfgruppen<br />
untergrub zudem die spontaneistische Botschaft<br />
des Proletarischen Mythos. Sie zielte eben nicht dar-<br />
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