Rezensionenzuvor. Für Letztere bestand Selbstverwirklichung im Besuch von Makrameeo<strong>der</strong>Trommelkursen, aber trotzdem machten sie „weiter den Dreck weg“ undkümmerten sich um die Kin<strong>der</strong>, während ihre Ehemänner das Geld verdienten.Und so stehen die Töchter heute aufgrund mangeln<strong>der</strong> Alternativen vor <strong>der</strong>Frage, <strong>ein</strong>e Vater-Mutter-Kind-Familie zu gründen, <strong>der</strong>weil ihnen das Ticken<strong>der</strong> ‚biologischen Uhr‘ in den Ohren zu dröhnen beginnt. Wollten sie auf dieseWeise tatsächlich in <strong>der</strong> „Teilzeitfalle landen“ bzw. gleich ganz von <strong>der</strong> „Bildflächeverschwinden“? O<strong>der</strong> sollten sie vielleicht doch lieber mit ihrem mittlerweileunbefriedigend gewordenen promiskuitiven Single-<strong>Leben</strong> fortfahren,um sich ideal<strong>ist</strong>isch weiterhin alle Karrieremöglichkeiten offen zu halten? ImGegensatz zu den „miserabel gestylten“ frauenbewegten Frauen <strong>der</strong> 70er und80er tragen die „Allys“ <strong>der</strong>artige Dilemmata nicht mehr in die Öffentlichkeit,son<strong>der</strong>n machen sie mit sich all<strong>ein</strong>e aus, denn „Aufruhr passt nicht ins Selbstdesign“.Ja, − dazu müsste Feminismus wie<strong>der</strong> „sexy“ s<strong>ein</strong>...Zu dem Schluss, dass es sich als Single-Frau gar nicht so unbeschwertlebt, kommt auch <strong>der</strong> französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann. Auf <strong>der</strong>Grundlage umfangreicher Stat<strong>ist</strong>iken und <strong>ein</strong>er Auswahl von Leserinnenbriefenan die Zeitschrift Marie-Claire entwirft <strong>der</strong> Autor auf 219 Seiten <strong>ein</strong> „Portraitdes Solo-S<strong>ein</strong>s“. In <strong>ein</strong>em kurzen h<strong>ist</strong>orischen Abriss skizziert er die „weitzurückreichende Bewegung des All<strong>ein</strong>lebens“ und analysiert in <strong>ein</strong>er detailliertenphänomenologischen Untersuchung das Alltagsleben von Single-Frauen. ImMittelpunkt s<strong>ein</strong>es „Leitfaden[s] zum Verständnis <strong>der</strong> merkwürdigen Ex<strong>ist</strong>enzdes Single-<strong>Leben</strong>s“ stehen nicht all<strong>ein</strong> Kullmanns „thirtysomethings“, son<strong>der</strong>ngenerell Frauen zwischen 20 und 50, welche, so <strong>der</strong> Autor, die zunehmendeIndividuation <strong>der</strong> Gesellschaft mit maximaler Kraft zu spüren bekommen. Soprognostiziert Jean-Claude Kaufmann nicht nur das Ende <strong>der</strong> Familie, son<strong>der</strong>n<strong>ein</strong>e Revolution des Privatlebens, <strong>der</strong>en Hauptmotor, da sind sich beide AutorInnen<strong>ein</strong>ig, die Emanzipation des weiblichen Geschlechts <strong>ist</strong>. Frauen befindensich „im Auge des Zyklons <strong>der</strong> Individualisierung, ohne das wirklich zu wolleno<strong>der</strong> wirklich zu verstehen, welcher Wind sie hier davonträgt. Als unfreiwilligeAvantgarde zahlen sie die Zeche für <strong>ein</strong>e Übergangsphase, die noch k<strong>ein</strong>eneuen Orientierungspunkte für das Privatleben hervorgebracht hat.“Kaufmanns mikrosoziologische Diagnose fällt um <strong>ein</strong>iges düsterer aus.Mehr noch als für Kullmann offenbart sich für Kaufmann hinter <strong>der</strong> be<strong>ein</strong>druckendenFassade das <strong>Leben</strong> <strong>der</strong> autonomen, erfolgreichen Single-Frau als <strong>ein</strong><strong>Desaster</strong>. Sie <strong>ist</strong> frustriert, unsouverän und denkt „pausenlos über das Wie undWarum ihrer zerrissenen Ex<strong>ist</strong>enz nach“. Vor allem <strong>ist</strong> sie <strong>ein</strong>es: fürchterlich<strong>ein</strong>sam. Der Grund für diese „komische“ Situation, in <strong>der</strong> sich zunehmend mehrFrauen wi<strong>der</strong> Willen befinden, <strong>ist</strong> in erster Linie strukturell bedingt: es <strong>ist</strong> „dasheimliche, versteckte Modell des Privatlebens“, welches Frauen in Form <strong>ein</strong>es„omnipräsenten erhobenen Zeigefingers“ mit ihrer ‚Anormalität‘ konfrontiertund ihnen das All<strong>ein</strong>s<strong>ein</strong> verleidet. Die Dynamik des Solo-S<strong>ein</strong>s wirkt wie <strong>ein</strong>Freiburger FrauenStudien 13 303
RezensionenSog, in dem <strong>der</strong> Zuwachs an Autonomie Frauen „zu be<strong>ein</strong>druckend und perfekt[macht], um überhaupt noch als Partnerinnen in Frage zu kommen“ und in demsie selbst zunehmend wählerischer werden. Denn wie bei Kullmann, so wirdauch hier Single-<strong>Das</strong><strong>ein</strong> mit karrierebewusstem <strong>Leben</strong> gleichgesetzt, welchesunausweichlich auf die Zerreißprobe zusteuert, zwischen Familienleben undAutonomie wählen zu müssen. Doch schwer hat die Single-Frau es nach Kaufmannhauptsächlich deswegen, „weil sie nicht versteht, was mit ihr passiert.“Hätte die Leserin doch das Gefühl, dass wenigstens Kaufmann sie verstünde!Stattdessen hat dieser sich auf die vertraut-überhebliche Manier <strong>ein</strong>esBriefkastenonkels zurückgezogen. Es sch<strong>ein</strong>t, dass erst <strong>der</strong> Blick in s<strong>ein</strong>en vonoben herab gehaltenen Zerrspiegel aus all<strong>ein</strong> lebenden Frauen merkwürdigeEx<strong>ist</strong>enzen macht. Trotz interessanter theoretischer Ansätze (er bezieht sichauf Berger/Luckmann ebenso wie auf Elias und Foucault) und durchaus guterBeobachtungen, gelingt es Jean-Claude Kaufmann nicht die „Feen und Fakten“s<strong>ein</strong>er Geschichte von <strong>Singlefrau</strong> und Märchenprinz zusammenzubringen.An<strong>der</strong>s Katja Kullmann. Lässt sich mit Heide Oestereich 3 Generation Allyauch als <strong>ein</strong>e lediglich subjektive Bestandsaufnahme kritisieren, die sowohlden Feminismus als auch den Single-Alltag schlicht am eigenen Glückanspruchmisst, so <strong>ist</strong> Katja Kullmann doch zumindest ihrem eigenen Anspruch gerechtgeworden: ihr Buch hat Witz und verkauft sich bestens. Auf den letzten Seitenallerdings schlägt die Stimmung im verzweifelt-heiteren „Ally“-Universum umund lässt die Leserin mit <strong>ein</strong>em beklemmenden Gefühl <strong>der</strong> Ausweglosigkeitzurück. Dieses regt nicht gerade dazu an, sich „wütend geworden“ für eigeneRechte <strong>ein</strong>zusetzen, wie Kullmann es in o.g. Interview empfiehlt.Die Botschaft bei<strong>der</strong> Bücher <strong>ist</strong> <strong>ein</strong>deutig: All<strong>ein</strong>wohnen, All<strong>ein</strong>leben,All<strong>ein</strong>- und Einsams<strong>ein</strong> sind Synonyme, die als alles bestimmendes Wesensmerkmal<strong>ein</strong> neues, sch<strong>ein</strong>bar <strong>ein</strong>dimensionales Wesen schaffen − die Single-Frau.Anmerkungen1 Literatur-Café am 07.07.2002: www.literaturcafe.de/bf.htm?/berichte/kullmann.shtml.2 Ebd.3 taz Nr. 6764, 03.06.2002.304Freiburger FrauenStudien 13