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Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung im Lichte des nemo ... - ZIS

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<strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Verdächtigung nach polnischem Strafrecht_____________________________________________________________________________________wirklichen <strong>des</strong>halb keine der in Art. 233 § 1 polnStGB bezeichnetenTatbestandsmerkmale. In einem solchen Fallbraucht es <strong>des</strong>halb keine weitere Begründung für den Ausschlussder <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong> <strong>falscher</strong> Angaben, da der ineigener Sache vernommene und falsche Angaben machendeVerdächtige bzw. Angeklagte nicht die in Art. 233 § 1polnStGB bezeichneten Tatbestandsmerkmale verwirklicht.Ein solches Verhalten ist, wie man wohl sagen darf, bereitstatbestandlich und nicht erst <strong>wegen</strong> Vorliegens eines Rechtfertigungsgrun<strong>des</strong>(sekundäre Legalität) straflos.Dem Recht auf Verteidigung als Rechtfertigungsgrundkommt aber auch auf dem Boden <strong>des</strong> Art. 233 § 1 polnStGBBedeutung zu. Es betrifft nämlich den Inhalt der Aussageneiner als Zeuge hinsichtlich der Begehung einer Straftat vernommenenPerson, der <strong>im</strong> Nachhinein die Begehung dieserStraftat vorgeworfen wird. Steht dem Verdächtigen das Rechtauf Verteidigung erst ab der formellen Beschuldigung oderbereits früher zu? Gilt der Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong>Falschaussage auch für einen Verdächtigen bzw. Angeklagten,der <strong>im</strong> Strafverfahren gegen eine andere Person wahrheitsgemäßeAussagen macht, mit denen er sich selbst möglicherweisebelastet? Und schließlich: Endet das die Falschaussageausschließende Recht auf Verteidigung als Rechtfertigungmit der rechtskräftigen Entscheidung (Verurteilungbzw. Freispruch) oder besteht es weiter und – wenn ja – biszu welchem Zeitpunkt?Nicht ohne Bedeutung für die Beantwortung der vorstehendenFragen ist die in Art. 233 § 3 polnStGB best<strong>im</strong>mteGrundlage für den Ausschluss der <strong>Strafbarkeit</strong>, wenn derBetroffene in Unkenntnis seines Aussageverweigerungsrechtsoder seines Rechts, die Beantwortung best<strong>im</strong>mter Fragen zuverweigern, aus Angst vor einer ihm selbst oder einem Allernächstendrohenden Strafverfolgung eine falsche Aussagemacht. Das Aussageverweigerungsrecht und das Recht, dieBeantwortung best<strong>im</strong>mter Fragen zu verweigern – in demdurch das <strong>nemo</strong> tenetur-Prinzip erfassten Umfang –, sind inArt. 182 § 3 polnStPO 6 und Art. 183 § 1 polnStPO 7 best<strong>im</strong>mt.Aus Art. 233 § 3 polnStGB in Verbindung mit Art. 182§ 3 polnStPO und Art. 183 § 1 polnStPO wäre zu schließen,dass der polnische Gesetzgeber das Modell „Wahrheit sagenoder schweigen“ angenommen und <strong>im</strong> Rahmen <strong>des</strong> Rechtsauf Verteidigung die Möglichkeit der Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungeingeräumt hat. Eine <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong>Falschaussage setzt die Kenntnis <strong>des</strong> Aussagenden über dasihm zustehende Schweigerecht voraus. Bei Unkenntnis diesesRechts spricht das Gesetz von „Nichtbestrafung“, was daraufhinweist, dass in diesem Fall weder die Verwirklichung vonTatbestandsmerkmalen noch Rechtfertigungsgründe vorlie-gen. Im letzteren Fall bedient sich das Gesetz der Formel„keine Straftat begeht“. Der Gesetzgeber sieht somit dieFalschaussage bei Unkenntnis <strong>des</strong> dem Aussagenden zustehendenSchweigerechts als ein Verhalten, das die Tatbestandsmerkmaleeiner unter Androhung von Strafe verbotenenTat verwirklicht, als ein rechtswidriges, aus kr<strong>im</strong>inalpolitischenGründen aber straffreies Verhalten an. Ob eine solcheQualifizierung der unter Umständen gem. Art. 233 § 3polnStGB gemachten Aussagen dogmatisch richtig ist, istnicht unumstritten. Anders übrigens werden die unter solchenUmständen gemachten Aussagen durch das Oberste Gericht(OG) qualifiziert, das in seinem Urteil vom 12.2.2009 8 feststellte:„Keine Straftat der Falschaussage (Art. 233 § 1polnStGB) begeht, wer vorsätzlich unwahre Aussagen hinsichtlichder Umstände macht, die für die Verwirklichungseines Rechts auf Verteidigung von Bedeutung sind (Art. 6polnStPO)“. Aus den Urteilsgründen ging nicht hervor, obder Falschaussagende über das ihm zustehende Aussageverweigerungsrechtbzw. das Recht, die Beantwortung best<strong>im</strong>mterFragen zu verweigern, belehrt worden ist. Es ist somitanzunehmen, dass das Oberste Gericht die unter solchenUmständen gemachten Falschaussagen als einen <strong>wegen</strong> Vorliegens<strong>des</strong> gesetzlichen Konträrtypus (Recht auf Verteidigung)rechtswidrigkeitsausschließenden Umstand qualifiziert.Umstritten bleibt aber nach wie vor, ob Falschaussageneiner über das Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrechtbelehrten Person in der Situation, in der wahre Aussagen ihreProzesssituation verschlechtern würden, die <strong>Strafbarkeit</strong> <strong>wegen</strong>der Straftat gem. Art. 233 § 1 polnStGB begründen. Aufdie so formulierte Frage gibt das Schrifttum verschiedeneAntworten. In der älteren Fachliteratur wurde angenommen,dass die trotz Belehrung über das Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrechtgemachten Falschaussagen eine <strong>Strafbarkeit</strong><strong>wegen</strong> Falschaussage begründen (jetzt Art. 233 § 1polnStGB). Diesen Standpunkt vertraten u.a. Młynarczyk 9und Wąsek 10 .Zu den bestehenden Zweifeln bezog das OG in seinemBeschluss vom 20.9.2007 11 unmittelbar Stellung. In der Begründungzum Beschluss bewertet das OG kritisch die inArt. 233 § 3 polnStGB und in Art. 183 § 1 polnStPO angenommeneLösung <strong>wegen</strong> der ihr anhaftenden inneren Widersprüchlichkeitund der Unvereinbarkeit mit den verfassungsundprozessrechtlichen Garantien <strong>des</strong> Rechts auf Verteidigung.Aus diesen Gründen kann die Möglichkeit, die Beantwortungder Frage unter Umständen gem. Art. 183 § 1polnStGB zu verweigern, nach Auffassung <strong>des</strong> OG von min<strong>im</strong>alerpraktischer Bedeutung sein. Unter Berufung auf dieMeinung von Sowiński 12 stellt das OG fest, dass der diskutiertenKonstruktion „ein angeborener Mangel anhaftet, den6 „Das Zeugnisverweigerungsrecht steht auch einem Zeugenzu, der in einer anderen anhängigen Sache <strong>wegen</strong> Beteiligungan der Straftat angeklagt ist, auf die sich das Verfahren erstreckt.“7 „Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern,deren Beantwortung ihn selbst oder einen seiner nächstenAngehörigen der Gefahr aussetzen würde, <strong>wegen</strong> einerStraftat oder einer Fiskalstraftat verfolgt zu werden“.8 III KK 339/08, LEX Nr. 4865459 Młynarczyk, Fałszywe zeznania w polsk<strong>im</strong> prawie karnym(Falschaussagen <strong>im</strong> polnischen Strafrecht), 1971, S. 153 f.10 Wąsek, Wojskowy Przegląd Prawniczy z. 3-4/1992, 73.11 I KZP 26/07, OSNKW 10/2007, Pos. 71.12 Sowiński, Prawo świadka do odmowy zeznań w procesiekarnym (Das Zeugnisverweigerungsrecht <strong>im</strong> Strafprozess),2004, S. 126._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com263

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