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PDF 61 KB - Wir sind Kirche

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<strong>Kirche</strong>Was ist ein <strong>Kirche</strong>naustritt?Neue Entwicklungen in einer altbekannten FrageIm April 2006 wurde ein Rundschreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte(PCI) bekannt. Es befasst sich mit der Frage des Abfalls von der <strong>Kirche</strong>. Die zugrundeliegende Fragestellung ist eine eherechtliche. Die Antwort des PCI hat auchKonsequenzen für die kirchenrechtliche Bewertung des „<strong>Kirche</strong>naustritts“ nachdeutschem staatlichem Recht.Wollen katholische Gläubige kirchenrechtlich gültig heiraten,müssen sie dies in der vorgeschriebenen Form tun. Ausgenommenendavon und von zwei anderen eherechtlichenBestimmungen <strong>sind</strong> jene, „die durch einen formalen Akt vonder katholischen <strong>Kirche</strong> abgefallen <strong>sind</strong>“ (cc. 1086 § 1, 1117,1124 CIC). Sie können, sofern auch der Partner nicht formpflichtigist, auf dem Standesamt eine kirchenrechtlich gültige– und, falls der Partner getauft ist, auch sakramentale –Ehe schließen.Was ist ein formaler Akt des Abfalls von der katholischen <strong>Kirche</strong>und wen betrifft die Ausnahmeregelung? Für Deutschland(ähnlich in Österreich und der Schweiz) lautet die Frage vor allem:Ist der nach staatlichem Recht mögliche „<strong>Kirche</strong>naustritt“ein solcher Akt? Die der einheitlichen Verwaltungspraxis derdeutschen Bistümer zugrunde liegende herrschende Meinunglautete: Ja! Wer aus der staatlichen Körperschaft „römisch-katholische<strong>Kirche</strong>“ austritt, sagt sich von der kirchlichen Glaubensgemeinschaftlos.Eben diese Praxis gab mitunter Anlass zu Fragen. Die eingeschüchtertejunge Frau, die ihrem atheistischen Partner zuliebeschon vor der Heirat aus der <strong>Kirche</strong> ausgetreten war, aberweiterhin so oft wie möglich heimlich die heilige Messebesuchte – war sie von der <strong>Kirche</strong> abgefallen? War ihre nurstandesamtlich geschlossene Ehe gültig? Entscheidungen deutscherDiözesangerichte orientierten sich in solchen Fällennicht immer an der herrschenden Meinung. Auch in der kanonistischenDiskussion wird sie zunehmend hinterfragt.Klärung in Zweifelsfragen erhofften sich einzelne Bischöfevom Päpstlichen Rat für die Gesetzestexte. Bereits frühere Antwortenstellten die These der Realidentität von staatlichem<strong>Kirche</strong>naustritt und kanonischem Formalakt in Frage. Eine348HERDER KORRESPONDENZ 60 7/2006


<strong>Kirche</strong>deutliche Absage an diese Grundprämisse der deutschen Bischöfeformulierte der Präsident des PCI, Kardinal Julián Herranz,in einem Schreiben an den Bischof von Rottenburg-Stuttgart vom 3. Mai 2005 (auszugsweise bei Klaus Lüdicke, in:MKCIC 1086, 3). Da es sich „nur“ um eine Auskunft des Präsidentenin einem konkreten Einzelfall handelte, blieb jedochzweifelhaft, ob und inwieweit das Schreiben als allgemeinverbindlichanzusehen war.Eine universalkirchliche InterpretationsvorgabeMit Datum vom 13. März 2006 versandte der Päpstliche Ratfür die Gesetzestexte ein Rundschreiben an die Vorsitzendender Bischofskonferenzen (englische Fassung bei: http://www.wir-<strong>sind</strong>-kirche.de/files/145_herranz-original.pdf). Es übernimmteinzelne Passagen wörtlich aus dem Schreiben desPCI-Präsidenten vom Mai 2005 und entfaltet und präzisiertdie frühere Argumentation.Formal kommt dem Rundschreiben höhere Verbindlichkeit zuals dem Schreiben des Vorjahrs. Es ist als Verlautbarung desPäpstlichen Rates qualifiziert. Theologisch und lehrmäßig istes mit der Kongregation für die Glaubenslehre abgestimmt.Benedikt XVI. hat das Schreiben approbiert und seine Übersendungan die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen angeordnet.Gesetzeskraft besitzt es nicht. Es ist nicht eine authentischeInterpretation des Gesetzes. Die Promulgation in denActa Apostolicae Sedis unterblieb. Dass die Versendung desRundschreibens als außerordentliche Promulgationsform gedachtwar, ist nicht ersichtlich.Inhaltlich klärt das Rundschreiben, welche Kriterien für einenformalen Akt des Abfalls von der katholischen <strong>Kirche</strong> erfülltsein müssen:(1) die innere Entscheidung, die katholische <strong>Kirche</strong> zu verlassen.Gefordert wird der Wille, eines der Bande der Gemeinschaftmit der <strong>Kirche</strong> zu zerreißen. „Das bedeutet, dass derformale Akt des Abfalls mehr haben muss als einen juristischadministrativenCharakter (die Entfernung eines Namens auseinem <strong>Kirche</strong>nmitgliedschafts-Register, wie es vom Staat geführtwird, um gewisse zivile Konsequenzen hervorzurufen);er muss eine wahre Trennung von den konstitutiven Elementendes Lebens der <strong>Kirche</strong> darstellen: er setzt daher einen Aktder Apostasie, der Häresie oder des Schismas voraus“ (n. 2;Übersetzung G.B.).(2) die äußere Manifestation der inneren Entscheidung. Apostasie,Häresie und Schisma als solche begründen nach demRundschreiben nicht einen formalen Akt des Abfalls. Auch „derjuristisch-administrative Akt des Verlassens der katholischen<strong>Kirche</strong> konstituiert nicht per se einen formalen Akt des Abfalls,wie der Codex ihn versteht, denn es könnte weiterhin der Willevorhanden sein, in der Gemeinschaft des Glaubens zu verbleiben“(n. 3; Übersetzung G.B.). Zur äußeren Manifestation derinneren Entscheidung gehört:(a) die schriftliche Kundgabe des Abfalls gegenüber demOrdinarius oder dem Pfarrer des Abfallenden (n. 5); sie musspersönlich, bewusst und frei geschehen (n. 4);(b) die vom Ordinarius bzw. Pfarrer zu beurteilende Übereinstimmungzwischen der äußeren Erklärung und dem innerenWillen, von der <strong>Kirche</strong> abzufallen (n. 5).Ein formaler Akt des Abfalls im Sinne des kanonischen Eherechtsliegt nur vor, wenn innere Entscheidung und äußereManifestation zusammenkommen (n. 5).Mit Bezug auf das PCI-Rundschreiben hat der Ständige Ratder Deutschen Bischofskonferenz (DBK) am 24. April 2006eine „Erklärung zum Austritt aus der katholischen <strong>Kirche</strong>“ beschlossen(Text: http://bistum-goerlitz.online.de/archiv/amtsblatt/2006/06.htm).Darin heißt es, die „Klarstellung“ desPäpstlichen Rates berühre nicht die in der deutschen Rechtstraditionstehende staatliche Regelung für den „<strong>Kirche</strong>naustritt“(Einleitung). Die DBK-Erklärung halte an der bisherigenRechtslage fest und bestätige die „bewährte Praxis“ (Vorwort).Während das Rundschreiben sagt, der juristisch-administrativeAkt zum Zweck der Streichung aus staatlichen <strong>Kirche</strong>nmitglieds-Listensei nicht per se ein Abfall von der kirchlichenGemeinschaft, gilt für die deutschen Bischöfe weiterhin: Der<strong>Kirche</strong>naustritt nach staatlichem Recht ist in jedem Fall einformaler Akt des Abfalls von der <strong>Kirche</strong> (nn. 1–3).Eine partikularkirchliche ReaktionGeorg Bier (geb. 1959) war alsPastoralreferent in Osnabrückund ab 1993 als Diözesanrichterin Limburg tätig; seit 2004ist er Professor für <strong>Kirche</strong>nrechtund Kirchliche Rechtsgeschichtein Freiburg.Die betonte Berufung auf die nationale Rechtstradition überrascht.Mit welcher Berechtigung wird sie gegen eine universalkirchlicheVorgabe geltend gemacht? Das Rundschreiben bringtzum Ausdruck, wie der Papst und maßgebliche römische Dikasterienden „formalen Akt desAbfalls“ interpretieren undinterpretiert wissen wollen.Können sich die deutschen Bischöfefür ihre abweichendePosition auf die fehlendeGesetzeskraft des Rundschreibensberufen? Die DBK-Erklärung spricht von „weltkirchlichenBestimmungen“ (Vorwort), geht also von einerverbindlichen Festlegung aus. Wie begründen die deutschen Bischöfeihre Position?Nach dem PCI-Rundschreiben muss die Erklärung des Abfallsvon der <strong>Kirche</strong> persönlich vor einer kirchlichen Autoritätabgegeben werden. Der „<strong>Kirche</strong>naustritt“ nach deutschemRecht wird (außer im Bundesland Bremen)gegenüber einer staatlichen Behörde erklärt. Gleichwohl sehendie deutschen Bischöfe das Kriterium des PCI als erfülltan. Sie konstatieren, die „Erklärung des Austritts vor derstaatlichen Behörde wird durch die Zuleitung an die zustän-HERDER KORRESPONDENZ 60 7/2006 349


<strong>Kirche</strong>dige kirchliche Autorität auch kirchlich wirksam“ (n. 2). Damitist vermutlich gemeint: Der Austretende weiß (bzw.kann wissen), dass seine Erklärung vor der staatlichen Behördean den zuständigen Pfarrer weitergeleitet wird; deshalbkann sie rechtlich als vor dem Pfarrer selbst abgegebengelten. Aber wie lässt sich auf diese Weise der innere Willedes „Austretenden“ bestimmen?Nach der Rechtsauffassung des PCI liegt ein formaler Akt desAbfalls, der zum Wegfall der Formpflicht führt, nur vor, wenndie nach außen erklärte Abkehr von der <strong>Kirche</strong> Ausdruck derinneren Haltung ist. Wer sich äußerlich von der <strong>Kirche</strong> distanziert,ohne sich innerlich abzuwenden, bleibt formpflichtig.Von der korrekten Beurteilung der Formpflichtigkeit hängt dieGültigkeit eines Sakramentes ab. Es muss daher mit hinreichenderSicherheit feststehen, ob jemand innerlich abgefallenist. Dazu bedarf es des qualifizierten Urteils der kirchlichenAutorität. Der Pfarrer, der von einem <strong>Kirche</strong>naustritt nurdurch eine amtliche Mitteilung erfährt, ist dazu nicht fähig.Die Rechtsfiktion, er habe die vor der staatlichen Behörde abgegebeneErklärung selbst entgegengenommen, hilft ihm nichtweiter. Er kann nicht beurteilen, ob die geforderte Übereinstimmungzwischen Erklärung und Willenshaltung besteht.<strong>Kirche</strong>naustritt – stets ein schismatischer Akt?Ermöglicht die Weiterleitung der Austrittserklärung an einekirchliche Autorität dennoch, die Übereinstimmung von äußererHandlung und innerer Haltung der „Austretenden“ festzustellen?Das wäre möglich, wenn das Urteil der kirchlichenAutorität entbehrlich wäre. Es müsste feststehen: Ausnahmslosjeder <strong>Kirche</strong>naustritt ist ein schismatischer Akt. Genau dies istdie Position der DBK: „Der <strong>Kirche</strong>naustritt ist der öffentlicherklärte und amtlich bekundete Abfall von der <strong>Kirche</strong> und erfülltden Tatbestand des Schismas im Sinne des c. 751“ (n. 1).Schisma bedeutet: Verweigerung der Unterordnung unter denPapst oder Verweigerung der Gemeinschaft mit den dem Papstuntergebenen Gliedern der <strong>Kirche</strong> (c. 751). Ohne Zweifel kannder <strong>Kirche</strong>naustritt äußerer Ausdruck einer solchen Haltungsein. Aber ist ein <strong>Kirche</strong>naustritt in jedem Fall ein schismatischerAkt?Die in Fußnote 1 der DBK-Erklärung angeführten Referenzstellenbelegen eine entsprechende „ständige Auffassung“ odereine „bewährte Praxis“ mehrheitlich nicht:In der Kanzelverkündigung der westdeutschen Bischöfe von 1937heißt es: „Der <strong>Kirche</strong>naustritt ist, auch wenn er unter äußeremDruck und nur zum Schein erfolgt und nicht (…) die Loslösungvon der kirchlichen Gemeinschaft in sich schließt, doch immereine schwere Sünde“ (Hervorhebung G.B.).Dekret <strong>61</strong>0 § 2 der Diözesansynode Köln von 1954 und Artikel271 der Trierer Synodalstatuten von 1959 sprechen von Katholiken,die „wegen äußerer Rücksichten“, etwa aus politischenoder steuerlichen Gründen, aus der <strong>Kirche</strong> austreten, obwohlsie innerlich am katholischen Glauben festhalten. Nach beidenStrafnormen verfällt der Katholik der vom Ortsordinarius verhängtenStrafe der Exkommunikation (Die Trierer Strafnormist seit 2000 außer Kraft [Abl. Trier 144 ((2000)) nn. 31, 183]und daher kein Beleg für eine „ständige“ Auffassung; die Diözesanbestimmungenzur Rekonziliation formulieren zwar die„Annahme“, jeder Austritt sei ein Schisma, nicht aber eineStrafnorm [vgl. ebd. n. 183]).Die Texte sprechen, bei aller Missbilligung des <strong>Kirche</strong>naustritts,nicht von einem Schisma. Kölner und Trierer Strafnormschließen eine Identifikation von <strong>Kirche</strong>naustritt und Schismaauch implizit aus: Wäre jeder <strong>Kirche</strong>naustritt als Schismaangesehen worden, hätte stets ein kodikarisches Strafgesetzgegriffen; in diesem Fall wäre es dem Diözesanbischof nachdamaliger Rechtslage verboten gewesen, die Strafe der Exkommunikationanzudrohen.Stattdessen unterscheiden alle Texte sorgfältig zwischen äußererHandlung und innerer Haltung. Das ist lebensnah. DasBeispiel einer aufgrund äußerer Bedrängnis austretenden Frauwurde schon genannt. Verwiesen werden kann auf jene, dieausschließlich aus finanziellen Gründen aus der <strong>Kirche</strong> austretenoder weil sie mit der Verwendung der <strong>Kirche</strong>nsteuernicht einverstanden <strong>sind</strong>. Weitere Beispiele ließen sich anführen.Die Präsumtion, ausnahmslos jeder <strong>Kirche</strong>naustritt sei einSchisma, wird bereits durch ein einziges Gegenbeispiel widerlegt.Lässt sich die behauptete Identität von „<strong>Kirche</strong>naustritt“ undSchisma anders begründen? In Fußnote 3 der DBK-Erklärungheißt es: „Auch der Austritt wegen der <strong>Kirche</strong>nsteuer stellt alsVerweigerung der solidarischen Beitragspflicht für die Erfordernisseder <strong>Kirche</strong> (…) eine schwere Verfehlung gegenüberder kirchlichen Communio dar“. In den Blick kommt hier diePflicht jedes Gläubigen, im eigenen Verhalten stets die Gemeinschaftmit der <strong>Kirche</strong> zu wahren (vgl. c. 209 § 1). Ist die„schwere Verfehlung“ gegen diese Pflicht gleichbedeutend miteinem Schisma? Worin genau besteht die Verfehlung?Wer die kodikarisch vorgeschriebene finanzielle Unterstützungder <strong>Kirche</strong> (c. 222) nicht oder nicht in der vorgeschriebenenForm leistet, fördert Wachstum und Heiligung der <strong>Kirche</strong>nicht in bestmöglicher Weise (c. 210) und behindert die Sendungder <strong>Kirche</strong>. Die bewusste Umgehung der Beitragspflichtoder des festgelegten Einzugs ist ein Akt des Ungehorsamsgegenüber den Hirten.Ohne Zweifel ist jedes Schisma Ausdruck des Ungehorsamsund behindert die kirchliche Sendung. Ist aber umgekehrt jedeBehinderung, jeder Ungehorsam Ausdruck eines Schismas?Nicht gehorsam gegen die kirchlichen Hirten <strong>sind</strong> beispielsweiseGläubige, die ohne triftigen Grund der Sonntagsmessefernbleiben, Laien, die in der Eucharistiefeier predigen oderPriester, die Nicht-Katholiken zum Kommunionempfang einladen.Sie alle wahren nicht die Gemeinschaft mit der <strong>Kirche</strong>,350HERDER KORRESPONDENZ 60 7/2006


<strong>Kirche</strong>verdunkeln die kirchliche Lehre und behindern die kirchlicheSendung. Aber: Sind sie alle Schismatiker? Wenn nein: Worinbesteht der signifikante Unterschied zwischen ihrem Ungehorsamund jenem der aus Steuergründen Austretenden? <strong>Wir</strong>ddie kirchliche Sendung durch den Entzug finanzieller Mittelnachhaltiger in Frage gestellt als durch den Verlust an Glaubwürdigkeit,der entsteht, wenn <strong>Kirche</strong>nglieder sich – womöglichöffentlichkeitswirksam – über doktrinelle oder disziplinarischeVorgaben hinwegsetzen?Werden „Schisma“ und „Ungehorsam“ in dieser Weise gleichgesetzt,wird der Begriff des Schismas inhaltlich entleert undzur nichtssagenden Chiffre. Eine solch weite Auslegung verbietetbereits c. 18. Nach ihm unterliegen Gesetze, die eine Strafefestlegen, enger Auslegung. Nicht jede Verletzung der Gemeinschaftmit der <strong>Kirche</strong> ist ein Schisma. Dann aber lässt sich dieIdentität von „<strong>Kirche</strong>naustritt“ und Schisma auch auf diesemWeg nicht begründen.Eherechtliche KonsequenzenDie Rechtsauffassung der deutschen Bischöfe erweist sich insgesamtals frag-würdig. Das PCI-Rundschreiben hat eingeschärft,ein Schisma setze den inneren Willen zur Verweigerungder Gemeinschaft mit Papst und <strong>Kirche</strong> voraus. Nicht jeder„<strong>Kirche</strong>naustritt“ ist Ausdruck dieses inneren Willens. Es istmit Katholiken zu rechnen, die zwar punktuell ungehorsam<strong>sind</strong>, an der Gemeinschaft mit Papst und Bischöfen jedochinnerlich festhalten. Gleichwohl wird in der DBK-Erklärungjedem „Austretenden“ der innere Wille zum Abfall von der<strong>Kirche</strong> unterstellt. Einen sachlichen Grund dafür gibt es nicht.Das PCI-Rundschreiben legt eine solche pauschale Annahmenicht nur nicht nahe – es vertritt im Gegenteil nachdrücklichdie von der Lebenserfahrung gestützte Auffassung, äußereHandlung und innere Haltung seien nicht notwendig deckungsgleich.Ob der „<strong>Kirche</strong>naustritt“ eines Katholiken ein schismatischerAkt ist oder nicht, kann die kirchliche Autorität nur im Einzelfallund nur bei persönlicher Entgegennahme der Austrittserklärungentscheiden. Deshalb ist es letztlich unerheblich, ob– wie der Vorsitzende der DBK, Kardinal Karl Lehmann, in einemKNA-Interview geltend gemacht hat – die Erklärunggegenüber dem Staat als virtuelle Erklärung gegenüber der<strong>Kirche</strong> angesehen werden kann und insoweit den Anforderungendes PCI-Rundschreibens genügt. Die innere Haltung des„Austretenden“ ergibt sich nicht aus dem Austrittsformular.Auch Kardinal Lehmann begründet im Interview nicht, weshalbausnahmslos jeder <strong>Kirche</strong>naustritt ein Schisma sein sollte.Mithin steht in der Regel nicht fest, ob ein <strong>Kirche</strong>naustritt alsAbfall von der <strong>Kirche</strong> gemeint ist oder nicht. Bis zum Beweisdes Gegenteils ist – in dubio pro reo – davon auszugehen, dasseine Straftat nicht vorliegt und dass „Austretende“ die Gemeinschaftmit der <strong>Kirche</strong> wahren wollen.Wer daher – aus welchen Gründen auch immer – den <strong>Kirche</strong>naustrittnach deutschem Recht erklärt, bleibt nach dem PCI-Rundschreiben formpflichtig. Ob der Apostolische Stuhl dieabweichende Rechtsauffassung der DBK-Erklärung akzeptierenwird, während er weltweit andere Kriterien zugrunde legt,bleibt abzuwarten – auch wenn Kardinal Lehmann betont, derPCI-Präsident habe ausdrücklich bestätigt, eine Änderung derdeutschen Rechtslage zum <strong>Kirche</strong>naustritt sei nicht beabsichtigt.Das vom PCI-Präsidenten unterzeichnete Rundschreiben– die einzige greifbare Interpretationsgrundlage – lässt diesnicht deutlich werden.Nach dem Rundschreiben <strong>sind</strong> „ausgetretene“ Katholiken, diezukünftig nur standesamtlich heiraten (die kirchenrechtlichinteressante Frage, ob die PCI-Position rückwirkend gilt, kannhier nur angezeigt, nicht aber erörtert werden), wegen Missachtungder Formpflicht ungültig verheiratet. Deutsche Diözesangerichtekönnten unter Hinweis auf die DBK-Erklärunganders entscheiden. Dagegen könnte Berufung bei der RömischenRota eingelegt werden. Woran würden sich die Rotarichtervoraussichtlich orientieren? An der Auffassung des PCIoder an jener der deutschen Bischöfe? Und wenn die Rota gemäßder PCI-Vorgabe entschiede – wem dienten deutsche Gerichteauf Dauer mit abweichenden Urteilen?Konsequenzen für die rechtliche Beurteilung des„<strong>Kirche</strong>naustritts“Das PCI-Rundschreiben gibt Antwort auf eine eherechtlicheFrage. Es hat darüber hinaus Konsequenzen für die rechtlicheBeurteilung des „<strong>Kirche</strong>naustritts“. Es spricht von juristischadministrativenAkten, welche die Streichung eines Namensaus einer staatlichen <strong>Kirche</strong>nmitglieder-Liste zur Folge haben –einer Liste, die geführt wird, um zivile Konsequenzen darausabzuleiten. Auch wenn diese Beschreibung nicht gezielt auf den„<strong>Kirche</strong>naustritt“ gemünzt sein sollte – sie trifft (auch) auf ihnzu. Die Klarstellung des PCI, trotz eines solchen Aktes könneder Wille vorhanden sein, weiterhin der Glaubensgemeinschaftanzugehören, erschüttert die bisherige Position der deutschenBischöfe nachhaltig. Hat der Päpstliche Rat das nicht genügendbedacht? Das ist unwahrscheinlich. Benedikt XVI., der dasRundschreiben approbiert hat, ist mit der Situation in seinemHeimatland genauestens vertraut.Wenn jetzt auch aufgrund des PCI-Rundschreibens nicht längerunterstellt werden darf, dass jeder Austretende ein Schismatikerist, entfällt die inhaltliche Grundlage für die in derDBK-Erklärung wiederholte Auffassung, „wer – aus welchenGründen auch immer – den Austritt aus der katholischen <strong>Kirche</strong>erklärt, zieht sich die Tatstrafe der Exkommunikation zu“(n. 3). Wer aus der <strong>Kirche</strong> austritt, ohne Schismatiker zu sein,zieht sich keine Tatstrafe und meist auch keine andere Sanktionzu. Universalkirchenrechtlich ist der <strong>Kirche</strong>naustritt keinStraftatbestand, partikularrechtlich gibt es eine entsprechendeStrafnorm nur im Erzbistum Köln.HERDER KORRESPONDENZ 60 7/2006 351


JudentumMöglicherweise fürchten die deutschen Bischöfe: Wenn der<strong>Kirche</strong>naustritt nicht mehr mit schweren Strafen bedroht ist,könnte die Hemmschwelle für einen solchen Schritt sinken.Dass die genannte Sorge begründet sein könnte, illustriert einePressemeldung des so genannten <strong>Kirche</strong>nVolksBewegung „<strong>Wir</strong><strong>sind</strong> <strong>Kirche</strong>“ vom 25. April 2006. Darin wird das PCI-Rundschreibenals „Frohbotschaft“ bezeichnet und der Eindruck erweckt,der „<strong>Kirche</strong>nsteuer sparende“ <strong>Kirche</strong>naustritt sei nunmehrkirchenrechtlich unbedenklich.Zu solchen Folgerungen gibt das Rundschreiben indes keinenAnlass. Dass der <strong>Kirche</strong>naustritt nicht immer den Tatbestanddes Schismas erfüllt, bedeutet nicht, er wäre in diesen Fällenstrafrechtlich nicht relevant. Zwar hat der universalkirchlicheGesetzgeber mit Bedacht darauf verzichtet, die Verletzung derBeitragspflicht mit einer Strafandrohung zu versehen (vgl.Communicationes 5 [1973] 95). Wer aus der <strong>Kirche</strong> austritt,verletzt aber in jedem Fall seine Rechtspflicht, in der festgesetztenWeise zum finanziellen Unterhalt der <strong>Kirche</strong> beizutragen,und ist ungehorsam gegen die geistlichen Hirten.Eine strafrechtliche Ahndung dieses Ungehorsams ist möglich,kommt nach geltendem Recht aber nur als ultima ratio in Betracht(c. 1341). Dies gilt zumal für die Exkommunikation, dievon Rechts wegen nur „mit allergrößter Zurückhaltung“ angedrohtwerden soll (c. 1318). Universalkirchenrechtlich könnteeine Sanktion nach c. 1371 n. 2 erfolgen. Danach ist mit einergerechten Strafe zu belegen, „wer dem Ordinarius (…) derrechtmäßig gebietet oder verbietet, nicht gehorcht und nachVerwarnung im Ungehorsam verharrt“.Die deutschen Diözesanbischöfe könnten für ihre Diözesenauch partikularkirchliche Strafnormen erlassen. Als Straftatbestandwäre der äußere Akt des <strong>Kirche</strong>naustritts festzulegen(nicht die dahinter vermutete Haltung). Mögliche Sanktionenwären: das Verbot, Ämter und Dienste in der <strong>Kirche</strong> zu erlangenoder wahrzunehmen; der Entzug des aktiven und passivenkirchlichen Wahlrechts; der Ausschluss von der Mitgliedschaftin kirchlichen Vereinen. Schon jetzt ermöglicht das geltendekirchliche Arbeitsrecht im Fall eines <strong>Kirche</strong>naustritts die fristloseKündigung.Die DBK hält einstweilen an einer Position fest, die seit demPCI-Rundschreiben kirchenrechtlich problematischer istdenn je. Dahinter mag das nachvollziehbare Bemühen stehen,rasch auf die einsetzende Debatte zu reagieren, um Nachteile –nicht zuletzt finanzieller Art – von der <strong>Kirche</strong> abzuwenden.Aber heiligt dieser Zweck auch nicht-rechtskonforme Mittel?Georg Bier352HERDER KORRESPONDENZ 60 7/2006

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