6 unisono 20-2009Die <strong>Schweizer</strong> Zeitschrift für BlasmusikKulturförderungals KrisenbekämpfungDas Molotow BrassOrkestar vordem Barnard Castle.Mit dem «Brass: Durham International Festival» entstand in den letzten Jahren im NordenEnglands ein Blechbläserfestival von weltweiter Ausstrahlung. Mit dem Molotow Brass Orkestarwar bei der diesjährigen dritten Austragung zum ersten Mal auch eine Formation aus derSchweiz anwesend. melanie gehrigdurham, etwas südlich der nordenglischen StadtNewcastle gelegen, ist nach Oxford und Cambridgedie drittälteste Universitätsstadt Englands.Im gleichnamigen Bezirk wurde mit derStockport and Darlington Railway 1825 die ersteEisenbahn zur Personenbeförderung errichtet,und zusammen mit den angrenzenden Regionenbildete Durham das Kerngebiet desKohlebergbaus in England. Um den Minenarbeiternnach ihren Schichten eine Alternativezum allabendlichen Pub-Besuch und dem damitverbundenen übermässigen Alkoholkonsumzu bieten, gründeten die Minengesellschaftenim ausgehenden 19. Jahrhundertfirmeneigene Blasmusikformationen, die ineiner reinen Blechbesetzung spielten. Die englischenBrass Bands waren geboren.Wirtschaftsförderungmit Pauken und TrompetenTrotz der reichen Geschichte erlebte Durham inden letzten Jahren eine sehr schwierige Zeit.Die Schliessung der Kohleminen und die darauffolgenden 30-jährige Wirtschaftskrise wurde inFilmen wie «Brassed Off» und «Billy Elliot» eindrücklichdargestellt. Mit der gezielten Förderungvon Kultur versucht die lokale Behördeseit einigen Jahren ganz bewusst, einen Kontrapunktzum jahrelangen wirtschaftlichen Niedergangder Umgebung zu setzen. So entstandenPrestigeobjekte wie die Millenium Bridgein Newcastle. Aber auch die Musik erlebt imNorden Englands ganz gezielte Förderung. Mitdem «Brass: Durham International Festival»knüpft die Behörde an die lange Tradition derBlechbläser in der Gegend an.Waren es im 19.Jahrhundert die Brass Bands, mit denen mandie Minenarbeiter von der Flasche wegbrachte,so sind es heute abermals Blechbläser, die denLeuten der Umgebung aus der allgemeinenNiedergeschlagenheit helfen sollen.Lichtblick im tristen AlltagDas Programm des Festivals wurde so gestaltet,dass alle Musik, die einen Bezug zu Blechblasinstrumentenhat, am Festival ihren Platz findet.Das Ziel des 15-tägigen Festivals ist es nicht,einen zusätzlichen Brass Band Wettbewerbdurchzuführen, sondern den Leuten der Umgebungein inspirierendes Festival zu bieten. Dassdies den Organisatoren offenbar gelungen ist,beweist die Aussage einer 25-jährige Theologiedoktorandinmorgens um 1 Uhr im Pub, als siemeinte: «You know: Durham is such an dullplace. Only the two weeks of the brass festivalit’s worth living here.» Damit sagt sie, dass Durhamein so langweiliger Ort sei, in dem es sichnur während des Brass-Festivals zu wohnenlohne. Neben den zahlreichen offiziellen Konzertenin Durham und den umliegenden Städtchenist es ein erklärtes Ziel der Organisatoren,die Leute nicht nur in den Konzertsaaleinzuladen, sondern die Musik auch zu denLeuten zu bringen. So führen die meisten anwesendenBands auch Strassenkonzerte inDurham und in der gesamten Grafschaft durch.Dank der grossen Unterstützung der öffentlichenHand ist rund die Hälfte aller Konzerte fürdas Publikum gratis.Mix aus Balkan Brassund <strong>Schweizer</strong> VolksmusikEine besondere Rolle spielte heuer die einzige<strong>Schweizer</strong> Formation am Festival, das MolotowBrass Orkestar aus Bern. Es wurde eingeladen,um während der gesamten zweiten Festivalwocheals Promo-Band des Veranstalters mit demBrass-Bus unterwegs zu sein. Beim Brass-Bushandelte es sich um einen typischen englischenDoppeldecker mit offenem Verdeck, auf demsich sogar bei voller Fahrt auf der Autobahnspielen liess. Die täglich drei bis vier Auftritteder Band auf den regionalen Märkten, in Bibliotheken,Pubs, Bars und Konzertsälen hattenzum Ziel, Werbung für das Festival zu machenund den Anlass in der Bevölkerung noch breiterabzustützen. Dabei wurde die Gelegenheit genutzt,den funkigen Stilmix aus Balkan Brassund <strong>Schweizer</strong>Volksmusik dem englischen Publikumnäher zu bringen. Besondere Aufmerksamkeiterlangten dabei natürlich das Alphornund das alte Hirsbrunner-Helikon mit Baujahr1930. ■
Die <strong>Schweizer</strong> Zeitschrift für Blasmusik20-2009 unisono 7Eric Ball, Gründervaterder modernen Brass BandsVor 20 Jahren ist Eric Ball, dessen Bezug zur Schweiz in der letzten Ausgabe von «unisono»bereits dargestellt wurde, verstorben. Als markante Persönlichkeit der Brass-Band-Welt des20. Jahrhunderts hat er alle Sparten der Szene beeinflusst: Direktion, Verlag, Komposition,Expertise und Kommunikation. jean-raphaël fontannaz, übersetzung florian marchonbei seinem tod am 1. Oktober 1989 hinterlässtEric Ball ein beeindruckendes Lebenswerk. 86Jahre zuvor, am 31. Oktober 1903, wird er ineine Heilsarmisten-Familie hineingeboren. Seineweiteren Vornamen «Walter John» wird erspäter auch als Pseudonym zurVeröffentlichungeiniger Werke benutzen.Erste Musikschritte auf der OrgelSchon sehr jung beginnt Eric Ball mit dem Klavier-und Orgelspiel. Er träumt davon, einesTages Organist in einer der grössten englischenKathedralen zu werden. Erst als er zum Jugendlichenheranwächst, lassen sich seine Elternlängere Zeit in der Grafschaft Buckinghamshirenieder, wo auch sein Talent fürs Orgelspiel entdecktwird.Mit fünfzehn Jahren zieht er mit seiner Familiezurück ins Umland von London. Der jungeEric Ball übt weiterhin fleissig am Klavierund an der Orgel, oft in der St. Peterskirche inStaines und der Holy Trinity Church in Dartford.Nebst den klassischen Komponisten Mozart,Beethoven und Schubert interessiert er sich zunehmendfür den zeitgenössischen britischenKomponisten Edward Elgar. Dieser zählte zuden ersten klassischen Komponisten, die auchStücke für Brass Band schrieben («The SevernSuite»), wobei er zwischen 1879 und 1884 auchselbst eine Blech-Formation leitete.Die HeilsarmeeSeine Nähe zur Heilsarmee trägt ihren Teil zurEntwicklung Eric Balls zum Brass-Band-Komponistenbei. Bereits mit 18 Jahren komponierter für den Musikverlag der Heilsarmee, wo ersich bekannten Heilsarmee-Komponisten wieAlbert Jakeway, Phil Catelinet, Fred Hawkesoder Georg Marshall annähert. Im Jahr 1924schliesst der 21-jährige Eric Ball sein Studiumam Royal College of Music in London mit demDiplom ab.Drei Jahre später tritt er in die Offiziersschuleder Heilsarmee ein und gründet balddarauf die Salvationist Publishing and SuppliesBand. Während der Kriegsjahre 1942 bis 1944dirigiert Eric Ball die berühmteste Formationder Heilsarmee, die International Staff Band. Erschreibt und veröffentlicht eine Vielzahl vonFoto: The Salvation Army International Heritage Centre, Londres.Eric Ball gilt als eine Art Gründerfater derheutigen Brass Bands.Kompositionen und Arrangements, wobei erwesentlich vom Schaffen des Edward Elgar inspiriertwird. Kein Wunder also, veröffentlicht erbald die «EnigmaVariations» für BrassBand. DasAuftauchen eines Komponisten von derselbenBedeutung wie Elgar verhilft der Brass-Band-Bewegung entscheidend zu ihrem Aufstieg zueiner selbstständigen Szene. Zwischen 1930und 1946 verschafft er sich mit Titeln wie«Songs of the Morning» ein zunehmendes Ansehenals Komponist.NeuausrichtungIn den Folgejahren erlebt Eric Ball einen Gesinnungswandelund kann sich immer weniger mitdem Gedankengut der Heilsarmee identifizieren,bis er schliesslich gegen Ende des Zweiten Weltkriegesdie Entscheidung fasst, auszutreten.Nebst einem schmerzlichen Widerhall aus denReihen seiner ehemaligen Lebensgemeinschaftmuss er schliesslich auch den sofortigen Einzugin die Entertainments National Service Associationder britischen Streitkräfte erdulden, wo erseinen Dienst amVaterland zu verrichten hat.1946 wird Eric Ball auf Empfehlung einesalten Bekannten aus seiner Zeit bei der InternationalStaff Band zum musikalischen Leiter derBrighouse & Rastrick Band. Mit dem Sieg ander «National Brass Band Championship» imgleichen Jahr legt er einen fulminanten Startmit der international renommierten Band hin.In der gleichen Zeit übernimmt er die Führungdes Magazins «The Champion Journal».Bald macht Eric Ball Bekanntschaft mit JohnHenry Iles, dem Besitzer des MusikverlagsSmith & Co. und des Wochenmagazins «TheBritish Bandsman». 1952 vertraut ihm dieserbeide Geschäfte an. Sein schliesslich fünfzehnjährigerEinsatz wird sich in beiden Unternehmenals sehr bemerkenswert und fruchtbarherausstellen.Als Dirigent verzeichnet Eric Ball etlicheweitere grosse Erfolge, darunter zwei Siegemit der CWS Brass Band Manchester (1948und 1952) und einer mit der Ransome &Marles Band (1951) an der «British Open BrassBand Championship». 1951 stellt er mit «TheConquerors» auch gleich das Pflichtstück. Ihmkommt schliesslich sogar die Ehre zu, dasLondon Symphony Orchestra zu dirigieren.Versöhnung mit der HeilsarmeeSeinem Ruf folgte Eric Ball schliesslich indie ganze Welt: USA, Kanada, Australien,Niederlande, Schweden, Dänemark,Deutschland aber auch die Schweiz warenseine musikalischen Destinationen.Im Verlauf seiner Karriere wurden ihmetliche Ehrungen zuteil. Als Höhepunktverlieh ihm Queen Elizabeth II 1969 zunächstden Mitglieds-, später sogar den Offiziersordendes «Most Excellent Order ofthe British Empire» für seine besonderenVerdienste zugunsten der Brass-Band-Musik.1977 feierte die Heilsarmee mit einemoffiziellen Fest Eric Balls 50 Jahre in ihremDienst. Diese Anerkennung freute Eric Ballund versöhnte ihn wieder vollends mit derHeilsarmee, wenn auch er die Brückenwahrscheinlich nie ganz hinter sich abgerissenhatte.Eric Ball verstarb am 1. Oktober 1989 imAlter von 86 Jahren.■