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Kinemathek<br />

Das „Zuhandene“ als Orientierungsinstrument des innerfilmischen<br />

Daseins — Zu den Filmen von Valeska Grisebach<br />

und Kim Ki-duk<br />

Von Kayo Adachi-Rabe<br />

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit<br />

dem Thema Paradox, das der filmische<br />

Technik und Repräsentation zugrunde liegt.<br />

Der Diskurs über das Paradox entstand in<br />

der antiken griechischen Philosophie, die<br />

versuchte, die Grenze der menschlichen<br />

Wahrnehmung zu veranschaulichen. Die Undefinierbarkeit<br />

der grundlegenden Elemente<br />

der Welt, nämlich der Zeit und des Raums,<br />

verursachen Widersprüchlichkeiten in<br />

unserem Denken. Der filmische Apparat<br />

operiert aufgrund der endlosen Teilbarkeit<br />

von Zeit und Raum, der Illusion der Bewegung<br />

und der Selbstreflexivität des Mediums,<br />

welche typische Erscheinungsformen des<br />

Paradoxons sind. In diesem Text wird<br />

versucht, das Thema in Bezug zu Martin Heideggers<br />

Theorie des „Zuhandenen“ zu<br />

erörtern, die ein spezifisches Denkmodell<br />

zum filmischen Paradoxon aufzeigt.<br />

Die „Kopernikanische Wende“ und das<br />

„In-der-Welt-Sein“ Zunächst müssen zwei<br />

Vorgänger von Heidegger erwähnt werden.<br />

Immanuel Kant zielte auf eine „Kopernikanische<br />

Wende“ in unserer Wahrnehmung.<br />

Ihm zufolge sollen sich nicht unsere Erkenntnisse<br />

nach den Gegenständen richten,<br />

sondern umgekehrt müssen die Gegenstände<br />

sich nach unseren Erkenntnissen richten.(I.)<br />

Wenn die Zeit und der Raum als Form unseres<br />

„inneren Sinnes“ verstanden werden können,<br />

lässt sich die Diskrepanz zwischen dem<br />

Menschen und der Welt überwinden.<br />

Der Subjektivismus des deutschen Idealismus<br />

wurde in der Phänomenologie weiter<br />

getragen. Edmund Husserl stieß dabei auf<br />

das Problem des „Paradoxons der menschlichen<br />

Subjektivität“: Es besagt, dass das<br />

wahrnehmende Subjekt die Welt konstruiert<br />

und zugleich einen Teil von ihr bildet.(II.)<br />

Der Film ist ein Medium, das die so geartete<br />

Struktur des selbstreflexiven Paradoxons<br />

beispielhaft repräsentiert. Die Darstellung<br />

geht ausschließlich aus der Sicht der Kamera<br />

hervor, wobei die Kamera selbst lediglich<br />

durch ihren Blick präsent ist. Der Zuschauer<br />

befindet sich ebenso außerhalb der dargestellten<br />

Welt und sieht ihr zu, wird jedoch<br />

emotional und physisch in sie verwickelt.<br />

Heidegger lehnt die Ansätze von Kant und<br />

Husserl ab und kommt zu einem anderen<br />

Verständnis, in dem sich das Paradoxon<br />

auflöst. Er definiert das menschliche Sein<br />

als „Dasein“ oder als „In-der-Welt-sein“. Das<br />

Sein ist bei ihm räumlich definiert: Es ist da,<br />

wo es sich befindet, nämlich in der Welt, die<br />

es wahrnimmt.(III.) Mit diesem Konzept in<br />

seiner Habilitation „Sein und Zeit“ beabsichtigt<br />

Heidegger, das Verhältnis des Menschen<br />

zur Welt ohne Subjekt-Objekt-Schema zu<br />

verstehen. Im Unterschied zum Subjekt, das<br />

der Welt gegenüber stehe, gehöre die Welt<br />

direkt zum Dasein.<br />

Das „In-der-Welt-sein“ orientiere sich in<br />

seiner Umgebung anhand der werkzeugartigen<br />

Eigenschaft der ihm zum unmittelbaren<br />

Gebrauch zur Verfügung stehenden<br />

Gegenstände, die Heidegger „Zeug“ oder<br />

„Zuhandenes“ nennt. Das Dasein versuche<br />

dabei, die Distanz und die Richtung<br />

kontrollierend, sein Territorium in der Welt<br />

zu schaffen.(IV.)<br />

Die Theorie des „Zuhandenen“ basiert auf<br />

Heideggers Prinzip, das praktische, alltägliche<br />

Hantieren des Menschen in den Mittelpunkt<br />

zu stellen, um sein konkretes Verhältnis<br />

zur Welt realistisch nachzuvollziehen. Der<br />

Mensch begegne der Welt dadurch, dass<br />

er einen Gegenstand als Werkzeug mit der<br />

Hand ergreife und verwende. Dabei sollte<br />

er in der Lage sein, den Verwendungszweck<br />

des „Zuhandenen“ sachgemäß zu interpretieren.<br />

Der Hammer z.B. dient dazu, einen<br />

Nagel einzuschlagen. In der einem Gegenstand<br />

immanenten Funktion, die Heidegger<br />

„Bewandtnis“ nennt, erscheine das Wesen<br />

des „Zuhandenen“.(V.)<br />

Für Heidegger gelten nicht nur kleine<br />

alltägliche Gebrauchsgegenstände, sondern<br />

alles Seiende, das überhaupt einen interpretierbaren<br />

Sinn verkörpert, als „Zuhandenes“.<br />

Durch die Interpretation der Gegenstände<br />

vernetzt man sich in einem umfangreichen<br />

Sinnzusammenhang mit der Welt. Man<br />

benutzt z.B. eine Uhr, deren Funktion darin<br />

besteht, die Bewegung der Sonne abzumessen.<br />

Die Konfrontation mit der Welt anhand<br />

eines „Zeugs“ führt das Dasein aber letztlich<br />

auf sich selbst zurück. Die Welt zu verstehen<br />

heißt also, seine eigene Position als „In-der-<br />

Welt-sein“, das selbst den Sinnzusammenhang<br />

der Welt stiftet, zu begreifen.(VI.)<br />

Heideggers Theorie zeichnet sich durch die<br />

Gegenständlichkeit und Indirektheit des Bildes<br />

eines Wahrnehmungsprozesses aus, der<br />

vom Verstand initiiert ist. Sein Lehrer Husserl<br />

prägte hingegen ein sinnlich-physikalisches,<br />

Kinemathek<br />

unmittelbareres Bild eines Subjekts. Er stellt<br />

die Grundposition des wahrnehmenden<br />

Menschen so dar, dass dieser, während er<br />

sich im Raum fortbewegt, aus seinen Perspektiven<br />

heraus den Horizont seines Sichtfeldes<br />

erweitert.(VII.) Husserl verstand den Körper<br />

des Menschen als direktes Medium zum<br />

Kontakt zur Welt, während Heidegger das<br />

Zuhandene als Mittel zur Berührung der unmittelbaren<br />

Umgebung benötigt.<br />

In der filmischen Wahrnehmung geht der<br />

Prozess der Beschäftigung mit dem „Zuhandenen“<br />

in einer komplexen Art und Weise<br />

vor sich. Die Kamera fungiert als vorrangiges<br />

„Werkzeug“, das dem Auge des Filmemachers<br />

und des Zuschauers dient. Die Gegenstände,<br />

die von den dargestellten Personen zu einem<br />

bestimmten Zweck benutzt werden, zeigen<br />

ihren Zeugcharakter. Der hantierende Körper<br />

im Film selbst stellt auch ein innerfilmisches<br />

„Zuhandenes“ dar, das dem Zuschauer eine<br />

Orientierungshilfe bietet. Im Film hat alles<br />

Sichtbare und Hörbare das Potenzial, als Zeichen<br />

gebraucht und in das Netz eines<br />

Sinnzusammenhangs gebracht zu werden.<br />

Visuell und akustisch verdeutlicht der Film,<br />

dass der Gebrauch eines Gegenstandes<br />

unsere Wahrnehmungswelt entscheidend<br />

mitgestaltet. Die Kooperation der Bewegung<br />

der Kamera und der sich mit „Zeug“ beschäftigenden<br />

Protagonisten verwirklicht unser<br />

doppeldeutiges „Im-Film-sein“ als Rezipienten<br />

eines einheitlichen, ästhetischen Erlebnisses.<br />

Im Folgenden werden zwei Filmbeispiele präsentiert,<br />

um die Frage zu stellen, ob<br />

Heideggers Denkweise tatsächlich eine

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