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Kinemathek<br />

mit seinem Messer, das die Tatwaffe war, die<br />

Schriftzeichen in den Boden zu schnitzen und<br />

die Bedeutung des Textes in sich aufzunehmen.<br />

Im selben Maß versucht der Film, den<br />

Verwendungszweck des „Zeugs“ grundsätzlich<br />

neu zu interpretieren.<br />

Als die Schriftzeichen fertig geschnitzt sind<br />

und gefärbt werden, dreht sich der Tempel<br />

auf dem Wasser. Wir sehen die Drehung aus<br />

dem Inneren des Gebäudes. Das Bild assoziiert<br />

die „Kopernikanische Wende“ - nicht die<br />

Sonne, sondern die Erde bewegt sich - sowie<br />

die Erkenntnis von Kant, dass sich die Gegenstände<br />

der Welt nach den Erkenntnissen<br />

des Menschen richten müssen. Bisher waren<br />

wir im Film der realistischen Vorstellung verhaftet,<br />

dass der Tempel unbeweglich ist und<br />

es Schwierigkeiten bereiten muss, wenn das<br />

Boot verloren geht, mit dem seine Bewohner<br />

zum Ufer übersetzen. Diese Gegenstände<br />

stellen Werkzeuge dar, die von denjenigen<br />

beherrscht werden, die erleuchtet sind. Der<br />

Mönch kann das Boot sogar anhalten und<br />

zurückkommen lassen, ohne es zu berühren.<br />

Kim Ki-duk bietet eine außergewöhnliche<br />

Lösung des Paradoxons an: die Überwindung<br />

der Grenze der menschlichen Wahrnehmung<br />

durch übersinnliche Fähigkeiten. Das stellt<br />

eine extreme Art der Interpretation des<br />

kantischen Subjektivismus dar. Kim Ki-duk<br />

versucht aber im Wesentlichen, das Paradox<br />

nicht zu lösen, sondern es unbeschränkt zu<br />

entfalten, sodass das Unmögliche ermöglicht<br />

wird.<br />

In einem späteren Aufsatz verdeutlicht Heidegger<br />

seine Absichten mit dem Begriff des<br />

„Zeugs“ durch den Begriff des „Dings“. Das<br />

„Ding“, das man anfasst und verwendet, soll<br />

die weit voneinander entfernten Elemente<br />

der Welt miteinander vernetzen. Der Krug<br />

dient z.B. dazu, Wein einzugießen, der ein<br />

Produkt von Erde, Regen und Sonne ist und<br />

Heidegger zufolge sowohl ein Geschenk<br />

an die Menschen als auch ein Opfer an die<br />

Götter darstellt.(XI.) In dem Sinne schafft Kim<br />

Ki-duks Film auch eine weite Verzweigung<br />

des Symbolgehalts von „Zuhandenem“ in der<br />

Abstraktion eines meditierenden Denkens.<br />

Das „Ding“ und das „Werk“ des Kunstwerks<br />

Zum Schluss müssen Heideggers Gedanken<br />

zum „Ding“ im Kunstwerk und zum „Werk“<br />

des Kunstwerks erläutert werden. Heidegger<br />

unterscheidet Technik und Kunst dadurch<br />

voneinander, dass erstere die Teilnahme des<br />

Menschen vergessen lässt, während letztere<br />

diese fordert. In der Kunst bestehe die Möglichkeit,<br />

die Wahrheit, die durch die<br />

Philosophie unvermittelbar sei, zu präsentieren.(XII.)<br />

In seinem Vortrag „Der Ursprung<br />

des Kunstwerks“ analysiert Heidegger, wie<br />

das „Ding“ im Kunstwerk dargestellt ist.<br />

Vincent van Gogh z. B. male ein Paar Bauernschuhe<br />

so, dass es die ganze Welt des Lebens<br />

einer Bäuerin lebendig vorstellbar<br />

mache.(XIII.)<br />

Auf ähnliche Weise erscheint die Welt des<br />

Schlossers bei Valeska Grisebach durch die<br />

präzise Milieuschilderung und durch die mikroskopische<br />

Großaufnahme seines Gesichts<br />

realistisch. Der Film von Kim Ki-duk hingegen<br />

stellt eine Kunstwelt dar, die aber durch die<br />

feine Historisierung der Gegenstände und die<br />

Abstrahierung der Umgebung ein in sich<br />

geschlossenes Universum bildet.<br />

Heidegger charakterisiert das „Werk“ des<br />

Kunstwerks im Unterschied zum „Zeug“ und<br />

dem „Ding“ dadurch, dass es eine Welt<br />

eröffnet und eine Öffnung der Welt sichtbar<br />

macht. Diese Öffnung schafft einen Zugang<br />

zu dem Seienden, so dass seine Wahrheit<br />

unverborgen erscheint. Die Kunst sei ein<br />

„Werden und Geschehen im Werk“(XIV.), das<br />

die Welt und ihre unveränderlichen Elemente<br />

(die „Erde“) in einen Konflikt versetzt.<br />

Gerade diese Widersprüchlichkeiten in<br />

einem Werk sollen diesem Einheit, Innigkeit<br />

und Ruhe verleihen.(XV.) So beschreibt<br />

Heidegger den dynamischen Prozess der<br />

Wahrnehmung eines Kunstwerks, das selbst<br />

paradoxe Methoden verwendet.<br />

Die beiden oben beschriebenen Filmbeispiele<br />

stellen jeweils eine Öffnung in dem<br />

Moment dar, in dem das „Zuhandene“<br />

unbrauchbar wird oder in dem seine gewöhnliche<br />

Funktion verändert wird. Dieser Konflikt<br />

wird durch die technischen Elemente des<br />

Films verstärkt. Die beständige Ordnung des<br />

Sinnzusammenhangs der Welt stürzt ein, sodass<br />

die Dimension der Zeit, die einen neuen<br />

Prozess des Werdens in unserer Wahrnehmung<br />

hervorruft, ihre Wirkung intensiviert.<br />

Heideggers Theorie des Zuhandenen, die<br />

ursprünglich als Methode der Schaffung<br />

einer widerspruchsfreien Wahrnehmungswelt<br />

konzipiert wurde, scheint letztlich das<br />

Paradox als unvermeidbare Wahrheit der<br />

Wahrnehmung und auch als unverzichtbare<br />

Ausdrucksform der Kunst neu entdeckt zu<br />

haben.<br />

Dieser Artikel geht auf einen Vortrag zurück,<br />

der am 17. März 2008 auf dem 21. Film- und<br />

Fernsehwissenschaftlichen Kolloquium an<br />

der Bauhaus-Universität Weimar gehalten<br />

wurde.<br />

Kinemathek<br />

0 1<br />

Literatur<br />

I. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft.<br />

Hamburg: Felix Meiner 1998, S. 21.<br />

II. Husserl, Edmund: Husserliana Bd. VI. Die<br />

Krisis der europäischen Wissenschaften und<br />

die transzendentale Phänomenologie. Eine<br />

Einleitung in die phänomenologische Philosophie.<br />

2. Aufl., Den Haag: Martinus Nijhoff<br />

1976, S. 183.<br />

III. Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen:<br />

Niemeyer 1993 (17. Aufl.), S. 56.<br />

IV. Ebd. S. 72 - 76 (§16).<br />

V. Ebd. S. 83 - 88 (§ 18).<br />

VI. Ebd. S. 86.<br />

VII. Husserl, Edmund: Ding und Raum. Hamburg:<br />

Felix Meiner 1991, S. 154 ff.<br />

VIII. Heidegger: Sein und Zeit, S. 74 f.<br />

IX. Ebd. S. 105.<br />

X. Ebd. S. 141.<br />

XI. Heidegger, Martin: „Das Ding“ in: Ders.:<br />

Vorträge und Aufsätze. Stuttgart: Klett-Corta<br />

1956, S.157-179: S. 165 f.<br />

XII. Heidegger: „Frage nach der Technik“ in<br />

Ders: Aufsätze und Vorträge. S. 9-40: S. 39.<br />

XIII. Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes.<br />

Stuttgart: Reclam 1960, S. 26 f.<br />

XIV. Ebd. S. 73.<br />

XV. Ebd. S. 43, 47.<br />

Abbildungen<br />

Frühling, Sommer, Herbst, Winter…und Frühling:<br />

Cineclick Asia<br />

Sehnsucht: Piffl Medien<br />

Kayo Adachi-Rabe ist Filmwissenschaftler<br />

in und forscht zurzeit im Rahmen des<br />

Projekts “WerteWelten” im Germanis-<br />

tischen Seminar der Universität Tübingen<br />

zum Thema “Repräsentation der Freiheit<br />

in den gegenwärtigen asiatischen Filmen“.

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