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Verschone uns, o Herr! - Katholische Akademie

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<strong>Verschone</strong> <strong>uns</strong>, o <strong>Herr</strong>!<br />

Im Gottesdienst wieder eine Fürbitte, in der die Zunahme der Orientierungslosigkeit,<br />

der Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse und der naturwissenschaftlichen<br />

Eindimensionalität beklagt und wie im Gegenchor an die gleichzeitige Abnahme der<br />

gesellschaftlichen Bindungskräfte, das Schwinden des Vertrauens und des<br />

Zusammenhalts in der Familie erinnert wird.<br />

Jenseits aller zeitgebundenen Not mischt sich in diese Fürbitten unüberhörbar der Ton<br />

der Selbstgefälligkeit und Selbstüberschätzung. Haben wir es wirklich so viel schwerer<br />

als <strong>uns</strong>ere Vorfahren und müssen wir <strong>uns</strong>ere Nöte wirklich so oft mit einem<br />

geschichtlichen Mehr und Weniger aufladen, um <strong>uns</strong> vor allem eine Sonderrolle zu<br />

sichern? Zu beten und zu bitten gibt es seit jeher genug: Die Bitten um Trost und<br />

Verschonung angesichts der Nöte von Geburt und Tod, die Bitten um Freundschaft und<br />

Liebe in Zeiten des Verrats und dunkler Gottesnacht.<br />

(Joachim Hake, Direktor der <strong>Katholische</strong>n <strong>Akademie</strong> in Berlin)


„Die ungewöhnliche Kraft der Kirche….“<br />

„Die ungewöhnliche Kraft der Kirche beruht (unter anderem) darauf, daß die Menschen<br />

in den besten Augenblicken ihrer Seele und ihres Lebens zu ihr kommen: in<br />

Augenblicken des Leides und des Kummers, in schrecklichen und pathetischen.<br />

‚Jemand ist gestorben‘, ‚ich selber sterbe‘. Hier ist der Mensch ein ganz anderer als sein<br />

ganzes Leben sonst. Und dieser ‚ganz andere‘ und ‚bessere‘ kommt mit seinem<br />

Wehklagen und Seufzen, seinen Tränen und seinem Flehen zur Kirche.“ Wassilij<br />

Rosanow kommt dieser Gedanke — wie er notiert — im Sommer bei einem Morgentee,<br />

und die beiläufige und manierierte Erwähnung dieses Details verstärkt seine einseitige<br />

Wucht. „Nur das Leid öffnet <strong>uns</strong> für das Große und Heilige“.<br />

In Augenblicken der Not und des Kummers ist der Mensch — so Rosanow — ein ganz<br />

anderer und nur hier steht er in der Nähe zum Heiligen, das ihm ohne das Leid<br />

verschlossen bleibt. Diese Nähe führt ihn in die Kirche, wo er Trost und Linderung<br />

sucht und letztlich das Heilige, das ihm im Leiden nahe und offenbar ist. Die Kirche<br />

wird zum ausgezeichneten Ort mit jeder vergossenen Träne und mit jedem Seufzer und<br />

Flehen. Rosanow weiter: „Wie sollte dieser Ort, wo jeder seine Last und Bürde ablegen<br />

darf, nicht der beste und mächtigste sein? Die Kirche hat sich der Herzen bemächtigt,<br />

da, wo sie den größten Schmerz verspüren: und es gibt keinen anderen Ort von solcher<br />

Mächtigkeit wie diesen.“ (vgl. Wassilij Rosanow, Solitaria. Ausgewählte Schriften,<br />

Hamburg und München 1963, 137 und 143.)<br />

(Joachim Hake, Direktor der <strong>Katholische</strong>n <strong>Akademie</strong> in Berlin)


Pedanterie<br />

Schüchterne Sorgfalt. Möglicherweise ist Pedanterie vor allem das: Eine Haltung, mit<br />

dem Leben und Denken Geduld zu haben, sich Zeit zu nehmen, dem genialen<br />

Schwung einer ersten Antwort tief und gründlich zu misstrauen, hier und dort das<br />

Tempo heraus zu nehmen, zu zögern, zaudern, wiederholen, eben zu warten. Als<br />

alltägliche Nüchternheit wird sie geschätzt, als skrupulöser Kleinmut heftig kritisiert.<br />

Üblicherweise hat Pedanterie keinen guten Ruf. In der Literatur hat sie einen Ort: Franz<br />

Kafka, Fernando Pessoa oder Julien Green. Wie die Liebe und der Schmerz ist die<br />

Pedanterie ein Schutz vor Sentimentalität und vor der mit ihr verbundenen Neigung zu<br />

fragwürdigen Abkürzungen. In die meisten Handlungen trägt sie Verzögerungen ein<br />

und in die Aufmerksamkeiten winzige Unterbrechungen, die die Klarsicht erhöhen. Auf<br />

dem Grund der Sentimentalität rumort eine ängstliche Ungeduld, der sich die<br />

Pedanterie nicht ergibt. Die Sentimentalität ist stets auf der Flucht, die Pedanterie<br />

wartet. Sie verschafft sich eine Übersicht, notiert, zeigt auf, sammelt und berichtet, sorgt<br />

und kümmert sich um das Übersehene. In der Pedanterie finden die Ängste eine Form,<br />

die sie ohne sie nicht hätten.<br />

(Joachim Hake, Direktor der <strong>Katholische</strong>n <strong>Akademie</strong> in Berlin)


Blinde Löwen<br />

In seinen Tagebüchern beschreibt Julien Green immer wieder auch sein Leben in und<br />

mit seiner Bibliothek. Wie anderen Liebhabern von Büchern auch macht es ihm ein<br />

großes Vergnügen, wahllos ein Buch aus dem Regal zu nehmen, einige Seiten zu lesen<br />

und diese Lektüre im Buch zu vermerken, in einem kleinen Exzerpt auf dem<br />

Vorsatzblatt oder einer flüchtigen Randnotiz. Verschwindet das Buch wieder im Regal,<br />

hebt das Vergessen dieser Notiz an und die Erinnerung an eine Entdeckung verliert sich<br />

bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Buch wieder glücklich an derselben Stelle<br />

aufgeschlagen wird.<br />

In den Tagebüchern aus den 80er Jahren findet sich für den 17. Juli 1981 ein in dieser<br />

Hinsicht bemerkenswerter Eintrag: „Gestern öffnete ich einen der Bände von Bloy, und<br />

in dem Augenblick, wo ich mir einen Satz aufschreiben wollte, stellte ich fest, daß ich<br />

es schon vor mehr als vierzig Jahren getan hatte.“ Es ist nicht allein der Abstand von<br />

mehreren Jahrzehnten, der diese Notiz bemerkenswert macht, sondern der<br />

wiedergefundene Satz, der den Bücherliebhaber Green wie in einen alten und<br />

vergessenen Spiegel schauen lässt: „Wenn man voller Liebe von Gott spricht, ähneln<br />

alle menschlichen Worte blinden Löwen auf der Suche nach einer Quelle in der<br />

Wüste.“ (Tagebücher 1981-1990, München 1995, 43)<br />

(Joachim Hake, Direktor der <strong>Katholische</strong>n <strong>Akademie</strong> in Berlin)


Die Welt des Kranken<br />

Die Welt des Kranken ist eine andere Welt als die des Gesunden. Leider habe ich<br />

vergessen, wo ich diese Behauptung das erste Mal gelesen habe. Das Gefühl für den<br />

Riss in der Welt, den Abstand und Abgrund zwischen den Gesunden und Kranken hat<br />

mich dennoch seither nicht verlassen. Ob Zufall, Vorsehung oder Schicksal den<br />

Kranken gezeichnet haben, interessiert nicht; wenn sich seine Zeit zum Tod hin<br />

verkürzt, ist seine Welt durch einen Riss von der Welt der Gesunden geschieden. Keine<br />

natürliche Verbundenheit der Sterblichen bringt ihn in die Welt des Gesunden zurück.<br />

Die Brücken zwischen den Welten der Kranken und Gesunden sind einzig als<br />

Einbahnstraßen begehbar, auf denen sie sich kaum begegnen. Gelegentlich hat es den<br />

Anschein, als ob die Liebe diese Brücken gegen den Strom des Lebens für wenige<br />

Momente ineinander schiebt. Im Übrigen gilt die Äußerung von Charles Du Bos: „Um<br />

einen Kranken zu verstehen, muß ein Gesunder beinahe genial sein … genau wie ein<br />

Kranker fast der Heiligkeit bedarf, um mit den Gesunden immer nachsichtig zu sein…“<br />

(Charles Du Bos, zitiert nach: Francois Mauriac, Charles du Bos, in: ders., Noch ist es<br />

Zeit, Heidelberg 1957, 85)<br />

(Joachim Hake, Direktor der <strong>Katholische</strong>n <strong>Akademie</strong> in Berlin)

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