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AG 5-7 Päddagogische Anforderungen an die inklusive Schule

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<strong>AG</strong> Themenfelder 5-7: Hartke, Lembke, Wagner, Kossow; St<strong>an</strong>d:14. Mai 20125 Pädagogische <strong>Anforderungen</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>inklusive</strong> <strong>Schule</strong>5.1 Schulklima, <strong>Schule</strong>thos und schulische Gesamtatmosphäre5.2 Schulische Prävention5.3 Inklusionsförderlicher Unterricht5.4 Beratung5.5 Diagnostik5 Pädagogische <strong>Anforderungen</strong> <strong>an</strong> <strong>die</strong> <strong>inklusive</strong> <strong>Schule</strong>Als <strong>inklusive</strong> <strong>Schule</strong> gelten <strong>Schule</strong>n, <strong>die</strong> alle Kinder bzw. Jugendlichen einer Regionaufnehmen, unabhängig von ihren körperlichen, intellektuellen, sozialen, emotionalen undsprachlichen Voraussetzungen. Sie beziehen Kinder mit Behinderungen, von Behinderungbedrohte und hochbegabte sowie Kinder kultureller, ethnischer und religiöser Minderheitenund sozialer R<strong>an</strong>dgruppen gleichberechtigt in ihren schulischen Alltag ein. Für Schüler mitbesonderem bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf besteht ein gestuftesUnterstützungssystem, welches von geringfügigen Hilfen im Klassenraum bis hin zu Hilfendurch Sonderpädagogen und weiteren Spezialisten reicht.Praktische Erfahrungen in <strong>Schule</strong>n und Forschungsergebnisse sprechen dafür, dass <strong>die</strong>pädagogische Wirksamkeit einer <strong>Schule</strong> von insbesondere zwei Aspekten abhängt:• der Gesamtatmosphäre, dem Schulklima – dem Ethos einer <strong>Schule</strong> sowie 1• der Qualität einzelner Elemente wie z. B. Unterricht, Klassenführung und Förderung.Soll <strong>die</strong> soziale Teilnahme und Bildung von Schülern mit Behinderungen, von Behinderungbedrohten und benachteiligten Schülern in einer <strong>inklusive</strong>n <strong>Schule</strong> gelingen, erfordert <strong>die</strong>salso ein entsprechendes Schulklima und einzelne qualitativ hochwertige, auf Inklusion1 Vgl. HELMKE, A., Weinert, F. E. (1997). Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen. In F. E. Weinert (Hrsg.),Psychologie des Unterrichts und der <strong>Schule</strong>, 71-176. Enzyklopä<strong>die</strong> der Psychologie: Themenbereich D,Praxisgebiete: Ser. 1, Pädagogische Psychologie, Bd. 3, Göttingen: Hogrefe.1


ausgerichtete pädagogische Elemente <strong>an</strong> <strong>Schule</strong>n. Es gilt, eine Verbindung von einer kinderbzw.jugendlichenfreundlichen Gesamtatmosphäre und von professioneller pädagogischerArbeit – in Bereichen wie Unterricht, pädagogisch-psychologische/sonderpädagogischeDiagnostik, unterrichtsintegrierte Förderung, Förderunterricht – herzustellen.Im Folgenden wird zunächst erläutert, was unter einem inklusionsförderlichen Schulklimaverst<strong>an</strong>den wird. Anschließend werden erforderliche einzelne Elemente einer <strong>inklusive</strong>n<strong>Schule</strong> beschrieben. Diese werden grob den Bereichen Schulische Prävention,inklusionsförderlicher Unterricht, Beratung und Diagnostik zugeordnet. An <strong>die</strong>seÜberlegungen schließen Schlussfolgerungen im Hinblick auf <strong>die</strong> Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung <strong>an</strong>.5.1 Schulklima, <strong>Schule</strong>thos und schulische GesamtatmosphäreInnerhalb des Schulalltags werden täglich eine Vielzahl von pädagogischen Entscheidungengetroffen. Die Summe <strong>die</strong>ser Entscheidungen und der auf ihnen basierenden H<strong>an</strong>dlungenbestimmen <strong>die</strong> Gesamtatmosphäre, das Klima und den Ethos einer <strong>Schule</strong>. Damit <strong>die</strong>Gesamtatmosphäre einer <strong>Schule</strong> sowohl <strong>die</strong> Bildung und Teilhabe von Schülern mitBehinderungen, von Behinderung bedrohten und <strong>an</strong>derweitig benachteiligten jungenMenschen als auch erweiterte soziale Erfahrungen aller Schüler unterstützt, sindgrundlegende pädagogische Ziele und Fragen innerhalb der <strong>Schule</strong> zu diskutieren. DieErgebnisse <strong>die</strong>ser Diskussion sind innerhalb des Schulprogramms und <strong>an</strong>dererVereinbarungen festzuhalten, wobei es wichtig ist, dass <strong>die</strong> Diskussion um pädagogischeZiele und um Fragen der Gestaltung gelingender Pädagogik nicht zum Erliegen kommt,sondern als reflexives Element den Schulalltag begleitet und regelmäßig eine Aktualisierungdes Schulprogramms erfolgt. Gewichtungen innerhalb eines inklusionsförderlichenSchulprogramms nimmt jede <strong>Schule</strong> eigenständig vor.2


Innerhalb <strong>die</strong>ser Diskussion sind auf der Zielebene insbesondere folgende Aspekte wichtig:• Vorbereitung aller Schüler auf eine grundlegend selbständige undeigenver<strong>an</strong>twortliche Lebensbewältigung,• Förderung der Fähigkeiten und Fertigkeiten aller Schüler unabhängig davon, ob siegünstige oder ungünstige Lernvoraussetzungen für schulisches Lernen mitbringen,mit <strong>an</strong>deren Worten: Förderung aller Schüler entsprechend ihrer Fähigkeiten,optimale individuelle Kompetenz- und Entwicklungsförderung auf verschiedenenKompetenz- und Entwicklungsniveaus,• Ausgleich von Benachteiligung aufgrund einer Beeinträchtigung, Behinderung oder<strong>an</strong>derer Benachteiligungen – Eröffnung von Bildungsch<strong>an</strong>cen für Benachteiligte,• Fähigkeiten des friedlichen Zusammenlebens und gemeinsamen Lernens beiunterschiedlichen Interessen, Kompetenzen und Einstellungen,• Förderung sozialer und kommunikativer Kompetenzen und gegenseitigen Respektsowie von sozialer Wertschätzung,• Respekt und Wertschätzung gegenüber den Versuchen von Personen mitBeeinträchtigungen zu leben bzw. <strong>die</strong>se innerhalb von Lernprozessen auszugleichenund zu überwinden,• bewusstes Entgegentreten gegenüber abwertenden und <strong>an</strong>deren mutwilligschädigende Äußerungen und H<strong>an</strong>dlungen – aktives Engagement für friedlicheKonfliktlösungen bei sozialen Schwierigkeiten,• Kooperation zwischen Schülern, Lehrern und Eltern sowie letztlich allen amSchulleben beteiligten Personen.Bei der Gestaltung einer inklusionsförderlichen schulischen Gesamtatmosphäre sind nebeneiner den <strong>an</strong>gesprochenen Zielen <strong>die</strong>nlichen Haltung aller Pädagogen auf derH<strong>an</strong>dlungsebene insbesondere solche Aktivitäten hilfreich, <strong>die</strong> mehr oder minder direkt zuden <strong>an</strong>gesprochenen Zielen führen. Hierzu gehören• eine unterrichtsintegrierte sowie3


• unterrichtsergänzende Förderung in den Bereichen:- Lernentwicklung,- Sprachentwicklung,- emotionale und soziale Entwicklung,- kognitive Entwicklung,- motorische Entwickung und- ein wertschätzender sozialer Umg<strong>an</strong>g.Hinzu kommen Aktivitäten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> soziale Gemeinschaft der <strong>Schule</strong> und <strong>die</strong> sozialeregionale Einbindung der Schüler steigern. Hierzu gehören Aktivitäten wie• Schulfeste,• Klassen- und W<strong>an</strong>dertage,• Projektwochen,• kulturelle und sportliche Ver<strong>an</strong>staltungen,• Beteiligung <strong>an</strong> gemeinwesenorientierten Ver<strong>an</strong>staltungen (z. B. Stadtteilfeste,Sportver<strong>an</strong>staltungen).Bei der Gestaltung solcher Ver<strong>an</strong>staltungen gilt es, Teilhabech<strong>an</strong>cen für benachteiligteSchüler zu schaffen.Neben den bereits gen<strong>an</strong>nten Aspekten sind klare Schulregeln, Vereinbarungen sowie „guteAngewohnheiten“ wesentliche Elemente des Schullebens. Solche das jeweilige Schulsystemsteuernde Regeln sollten mit allen Beteiligten abgesprochen und erläutert sein. Ebensosollten Absprachen darüber vorh<strong>an</strong>den sein, welche Konsequenzen bei Regelverstößengreifen 2 . Diese Vereinbarungen sollte <strong>die</strong> gesamte <strong>Schule</strong> gemeinsam tragen.2 Vgl. OLWEUS, D. (1996). Gewalt in der <strong>Schule</strong>. Was Lehrer und Eltern wissen sollten - und tun können. Bern:Huber sowie HENNEMANN, T., HILLENBRAND, C. (2010). Klassenführung – Classroom M<strong>an</strong>agement. In B. Hartke, K.Koch, K. Diehl (Hrsg.), Förderung in der schulischen Eing<strong>an</strong>gsstufe (S. 255-279). Stuttgart: Kohlhammer.4


Lehrer und Schüler sowie das weitere Personal der <strong>Schule</strong> setzen sich für ein sinnvollgestaltetes Schulleben und dessen Verbesserung ein. Die Bedeutung der Schulleiterinnenoder Schulleiter für ein inklusionsförderliches und kommuniktatives Schulklimas wie generellfür <strong>Schule</strong>ntwicklung und Schulqualität ist nicht hoch genug einzuschätzen (vgl. Harazd2010). 3 Für sie sollten daher Fortbildungs<strong>an</strong>gebote für <strong>die</strong> inklusionsförderliche<strong>Schule</strong>ntwicklung <strong>an</strong>geboten werden.5.2. Schulische PräventionUnter Schulischer Prävention versteht m<strong>an</strong> ein Ensemble von Maßnahmen, das daraufausgerichtet ist, das schulische Scheitern von Schülern und <strong>die</strong> Entstehung von Lern-,Sprach- und emotional-sozialen Entwicklungsstörungen zu verhindern 4 . Es geht beischulischer Prävention also auch um <strong>die</strong> Vorbeugung von sonderpädagogischemFörderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache und emotionale-soziale Entwicklung. Ohnehier umfassend auf <strong>die</strong> Begriffs- und Ursachendiskussion über unterschiedlicheFörderbedarfe und Entwicklungsstörungen eingehen zu können, sei <strong>an</strong> <strong>die</strong>ser Stelle daraufverwiesen, dass Förderbedarfe und Entwicklungsstörungen von Kindern und Jugendlichenwissenschaftlich zunehmend dimensional beschrieben und multikausal erklärt werden. Einedimensionale Beschreibung von beispielsweise Lernstörungen und damit in Verbindungstehenden Förderbedarfen (z. B. Lese-Rechtschreibschwäche, Rechenschwäche,sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen) beinhaltet <strong>die</strong> Erkenntnis,dass sich Schwierigkeiten im absichtsvollen schulischen Lernen in Umf<strong>an</strong>g (vonbereichsspezifisch bis umfassend allgemein) und Dauer (von eher vorübergehend bis eherüberdauernd) unterscheiden. Außerdem wird davon ausgeg<strong>an</strong>gen, dass kategoriale3 Harazd, Bea: Schulleitungstypen in eigenver<strong>an</strong>twortlichen <strong>Schule</strong>n und ihr Zusammenh<strong>an</strong>g zur Schulqualität.In: Berkemeyer, N. / Bos, W. / Holtappels, H.-G. / McElv<strong>an</strong>y, N. / Schulz-Z<strong>an</strong>der, R. (Hrsg.): Jahrbuch der<strong>Schule</strong>ntwicklung, Bd. 16, Weinheim und München 2010, 261-286.4 Vgl. KRETSCHMANN, R. (2000). Präventionsmodelle in der <strong>Schule</strong>. In Borchert, J. (Hrsg.), H<strong>an</strong>dbuch dersonderpädagogischen Psychologie, 325-340. Göttingen: Hogrefe.5


Grenzsetzungen im Sinne von Störungsbildern mehr oder minder willkürlich und weitgehendohne Relev<strong>an</strong>z für <strong>die</strong> inhaltliche Gestaltung von Förderung sind. Entscheidender als <strong>die</strong>Frage der Klassifikation einer Lernstörung sind eine erfolgreiche Früherkennung undFrühförderung gefährdeter Schüler. So ist es pädagogisch nicht sinnvoll, beispielweise erstmit einer gezielten Leseförderung zu beginnen, wenn das klassische Diskrep<strong>an</strong>zkriterium derLRS-Diagnostik erfüllt ist, d. h., <strong>die</strong> Ergebnisse in klassenbezogenen Lesetests soverheerend ausfallen, dass eine Diskrep<strong>an</strong>z von 1,5 St<strong>an</strong>dardabweichungen zuIntelligenztestergebnissen besteht. Genauso wenig ist es pädagogisch vertretbar, Kinder, beidenen sich verschiedene kognitive, sprachliche wie soziale Risiken kumulieren, erstumfassend (sonder)pädagogisch zu fördern, wenn ein umf<strong>an</strong>greiches, schwerwiegendes undkurzfristig nicht mehr auszugleichendes schulisches Scheitern, also ein im traditionellenSinne sonderpädagogischer Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen entst<strong>an</strong>den ist. Stattdessen ist es wünschenswert, <strong>die</strong> Gruppe von Schülern, <strong>die</strong> in einem unterschiedlichenAusmaß individuellen und sozialen Risiken ausgesetzt ist, durch schulische Prävention zueinem hinreichenden schulischen Leistungsst<strong>an</strong>d zu führen. In vergleichbarer Weise lässtsich für Früherkennung und Frühförderung in Bezug auf <strong>die</strong> Förderschwerpunkte Spracheund emotionale-soziale Entwicklung argumentieren.Eine wesentliche Grundlage für schulische Prävention ist <strong>die</strong> bereits gen<strong>an</strong>nte Erkenntnis,dass Entwicklungsstörungen und Förderbedarfe in der Regel multikausal bedingt sind. Sogibt es keinen Prädiktor für zukünftige Schulleistungen, der gültige Prognosen vonSchulleistungen bzw. von schulischem Scheitern erlaubt. Bis in <strong>die</strong> 1970er Jahre wurde <strong>die</strong>mit einem gängigen Intelligenztest gemessene kognitive Leistungsfähigkeit eines Kindes alsPrädiktor der Schulleistung <strong>an</strong>gesehen. Untersuchungen belegen mittlerweile, dass <strong>an</strong>dereFaktoren wie das Vorwissen (einschließlich vorschulisch erworbene Kompetenzen), <strong>die</strong>Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses <strong>die</strong> Unterrichtsqualität und -qu<strong>an</strong>tität und <strong>die</strong>Güte der Klassenführung Schulleistungen genauso stark wie oder stärker beeinflussen als<strong>die</strong> Intelligenz. Bedeutsamen Einfluss weisen zudem Faktoren wie <strong>die</strong> häusliche6


Unterstützung, metakognitive und sprachliche Fähigkeiten sowie <strong>die</strong> Motivation des Schülersauf. Zutreffende Prognosen auf Basis der Erfassung von Ist-Ständen sind auch deshalbkaum möglich, weil sich Einflussfaktoren der Schulleistung gegenseitig beeinflussen undunvorhergesehene Änderungen einzelner Faktoren unsystematisch, z. T. zufälligvorkommen 5 . Während m<strong>an</strong> also früher davon ausging, dass Schulleistungen imWesentlichen durch <strong>die</strong> intellektuelle Leistungsfähigkeit eines Schülers eng determiniert sindund <strong>die</strong>se selbst nicht förderbar ist, geht m<strong>an</strong> heute davon aus, dass <strong>die</strong>Schulleistungsentwicklung durch gezieltes pädagogisches H<strong>an</strong>deln beeinflussbar ist undauch intellektuelle Fähigkeiten durch gezielte Förderung zu steigern sind 6 .Entscheidende Ansatzpunkte für eine erfolgreiche schulische Prävention sind• eine Betonung des Bildungs- und Erziehungsauftrags der <strong>Schule</strong>,• <strong>die</strong> Steigerung von Vorläuferfähigkeiten des schulischen Lernens im<strong>Schule</strong>ing<strong>an</strong>gsbereich, insbesondere von- metaphonologischen Kompetenzen wie z. B. phonologische Bewusstheit,- frühe Zahlen- und Zählkompetenzen sowie- Fähigkeiten des induktiven Denkens,• <strong>die</strong> Schließung von Lücken im Vorwissen vor der Vermittlung neuer Inhalte(lückenschließendes Lernen),• <strong>die</strong> Erhöhung der Unterrichtsqualität und -qu<strong>an</strong>tität,• Verbesserungen in der Klassenführung – ein Stärken der Arbeit von Klassenlehrern,• Binnendifferenzierung im Unterricht und weitere unterrichtsintegrierte Förderung,• qualifizierter Förderunterricht,5 Vgl. HARTKE, B. & KOCH, K. (2008). Qualitätsst<strong>an</strong>dards von Prävention und Präventionsforschung. In J. Borchert,B. Hartke & P. Jogschies (Hrsg.), Frühe Förderung entwicklungsauffälliger Kinder und Jugendlicher, 37-56.Stuttgart: Kohlhammer.6 Vgl. HELMKE, A., Weinert, F. E. (1997). Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen. In F. E. Weinert (Hrsg.),Psychologie des Unterrichts und der <strong>Schule</strong>, 71-176. Enzyklopä<strong>die</strong> der Psychologie: Themenbereich D,Praxisgebiete: Ser. 1, Pädagogische Psychologie, Bd. 3, Göttingen: Hogrefe.7


• (sonder-)pädagogisch-therapeutische Förderung der Sprache (insbesondere desWortschatzes und des Instruktionsverständnisses) und der emotionalen-sozialenEntwicklung (insbesondere der Fähigkeit zur Selbststeuerung und der sozialenKompetenz),• <strong>die</strong> Stärkung der erzieherischen Kompetenz von Lehrkräften,• Elternarbeit, zur Unterstützung der elterlichen Förderung des Kindes,• regelmäßige Lernst<strong>an</strong>dserfassungen (Lernfortschrittsdokumentationen) zurSteigerung der Passung von Lernvoraussetzungen des Kindes, Unterricht undFörderung sowie• motivationsfördernde Rückmeldungen <strong>an</strong> <strong>die</strong> Schüler zu deren Leistungsentwicklungauf Basis unterschiedlicher Bezugsnormen 7 .Die hier gen<strong>an</strong>nten Ansatzpunkte und damit verbundenen Maßnahmen zur Vermeidung vonsonderpädagogischem Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache sowieemotionale-soziale Entwicklung lassen sich in der allgemeinen <strong>Schule</strong> realisieren, ohne dassbesondere Klassen für Schüler mit einem spezifischen Förderbedarf gebildet werden. Vonder Bildung solcher Klassen wird abgeraten, weil Fragen der Zielgruppenbestimmung undEing<strong>an</strong>gsdiagnostik weitgehend ungelöst sind und zudem Wirksamkeitsnachweise, <strong>die</strong> für<strong>die</strong> Wirksamkeit solcher Sonderklassen sprechen, fehlen. Stattdessen sollte <strong>die</strong>pädagogische Arbeit in der allgemeinen <strong>Schule</strong> so gestaltet werden, dass dem jeweiligenFörderbedarf der Kinder einer Klasse, im Förderunterricht und durch spezifischeEinzelförderung entsprochen wird. Dieses Vorgehen entspricht am konsequentesten demGrundged<strong>an</strong>ken einer <strong>inklusive</strong>n <strong>Schule</strong> als effektive <strong>Schule</strong> für alle Schüler.Unter pragmatischen Aspekten wird darauf hingewiesen, dass in bevölkerungsschwachenRegionen mit einer niedrigen Anzahl von Erstklässlern, <strong>die</strong> Bildung von Sonderklassen7 Vgl. HARTKE, B. (2005). Schulische Prävention - welche Maßnahmen haben sich bewährt? In S. Ellinger & M.Wittrock (Hrsg.), Sonderpädagogik in der Regelschule. Konzepte, Forschung, Praxis, 11-37. Stuttgart:Kohlhammer.8


alleine <strong>an</strong> einer zu geringen Anzahl von Schülern scheitert, <strong>die</strong> postulierten Eing<strong>an</strong>gskriterienentsprechen. Insofern ist <strong>die</strong> Etablierung eines schul- und unterrichtsintegriertenUnterstützungssystems für Schüler mit ungünstigen Voraussetzungen für schulisches Lernenvielerorts <strong>die</strong> realistischere Alternative.Eine gelingende schulische Prävention stellt eine erhebliche Herausforderung für <strong>die</strong>allgemeine <strong>Schule</strong> dar. Damit sie gelingt, sollten Erkenntnisse der Präventionsforschung 8 beider Gestaltung des innerschulischen Unterstützungssystems genutzt werden. Hiernach sindbei der Gestaltung präventiver Hilfen folgende Aspekte zu berücksichtigen.• Evidenzbasierte Förderung: Die verwendeten Förderungsmaßnahmen entsprechenempirisch ermittelten wissenschaftlichen Erkenntnissen, im besten Fall wurden sie inmehreren kontrollierten Stu<strong>die</strong>n evaluiert und als wirksam beurteilt. Die Förderungsollte zumindest auf einer empirisch bewährten Theorie basieren.• Mehrebenenprävention: Die Förderung richtet sich sowohl <strong>an</strong> alle Kinder einerKlasse, <strong>an</strong> gefährdete Kinder sowie <strong>an</strong> Kinder mit bereits bestehendem Förderbedarf.Auf den Förderebenen findet eine zielgruppenspezifische Förderung mitevidenzbasierten Methoden statt.• Objektive, reliable, valide und förderrelev<strong>an</strong>te Diagnostik: Verwendete diagnostischeVerfahren zur Erfassung von Ist-Ständen (der Ausprägung von Bedingungsfaktorenschulischen Lernens im Einzelfall) entsprechen den üblichen Gütekriterien (sonder-)pädagogisch-psychologischer Diagnostik. Die Verfahren sind so zu wählen, dass <strong>die</strong>mit ihnen ermittelten Ergebnisse für <strong>die</strong> Förderung auf der jeweiligen Förderebenegenutzt werden k<strong>an</strong>n.8 Vgl. HARTKE, B. (2005). Schulische Prävention - welche Maßnahmen haben sich bewährt? In S. Ellinger & M.Wittrock (Hrsg.), Sonderpädagogik in der Regelschule. Konzepte, Forschung, Praxis, 11-37. Stuttgart:Kohlhammer sowie HARTKE, B.,KOCH, K. & Diehl,K. (2010). Schulische Förderung in der schulischen Eing<strong>an</strong>gsstufe.Stuttgart: Kohlhammer und HARTKE, B. & DIEHL,K.(2012). Schulische Prävention im Förderschwerpunkt Lernen.Stuttgart:Kohlhammer.9


• Lernfortschrittsdokumentation: Die Schulleistungen und der Entwicklungsst<strong>an</strong>d allerKinder sollen in regelmäßigen Abständen objektiv, reliabel und valide erfasst werden.Dies <strong>die</strong>nt einer präzisen und fairen Leistungsbeurteilung sowie der Erfassung derindividuellen Entwicklung, des Lernverlaufs bzw. von Lernfortschritten. Beiausbleibenden oder zu geringen Lern- bzw. Entwicklungsfortschritten wird der aktuellstattfindende Unterricht bzw. <strong>die</strong> gegenwärtige Förderung kritisch <strong>an</strong>alysiert undverbessert.• Soziale Zugehörigkeit und Bindung: Innerhalb der sozialen Beziehungen der Schülerwird ein hohes Maß <strong>an</strong> Kontinuität, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit <strong>an</strong>gestrebt. DieKinder sind in erster Linie Teil einer Klassengemeinschaft, das schulischeUnterstützungssystem wird von Personen realisiert, <strong>die</strong> kontinuierlich bestimmtenKlassen und Kindern zugeordnet sind. Die Anzahl der Bezugspersonen für Schülermit Förderbedarf soll überschaubar bleiben, <strong>die</strong>s bezieht sich auch auf <strong>die</strong> Anzahl derLehrkräfte einer Klasse. Klassen und sie unterstützende Hilfssysteme sollen eine„sozialen Halt gebende Gemeinschaft“ bilden.• Kooperative Beratung: Innerhalb der <strong>inklusive</strong>n <strong>Schule</strong> sind ein Vielzahl <strong>an</strong>Entscheidungen zu treffen. Um dabei ein hohe Maß <strong>an</strong> Fachlichkeit zu erreichensowie sämtliche vorh<strong>an</strong>denen Informationen und Sichtweisen zu nutzen, solltenweitreichende Entscheidungen, wie beispielsweise <strong>die</strong> Zuordnung von Schülern zuFördermaßnahmen und <strong>die</strong> Inhalte von Förderplänen, von kooperierenden Teamsberaten werden. Solche Teamberatungen sollen von einer Lehrperson mitBeratungskompetenz moderiert werden. Zudem sollten Pädagogen in der <strong>inklusive</strong>n<strong>Schule</strong> (sonder-)pädagogisch-psychologisch bei Erziehungsproblemen beratenwerden.Die Ver<strong>an</strong>twortung für den Aufbau eines präventiven innerschulischenUnterstützungssystems liegt vorwiegend bei der Schulleitung der jeweiligen <strong>Schule</strong> und den10


<strong>an</strong> der <strong>Schule</strong> arbeitenden Sonderpädagogen, wobei das Unterstützungssystem integraler,von allen Beteiligten getragener Best<strong>an</strong>dteil des Schullebens sein sollte. 95.3 Inklusionsförderlicher UnterrichtEine erfolgreiche integrative Förderung von Schülern mit sonderpädagogischemFörderbedarf ist eng mit der inklusionsförderlichen Gesamtatmosphäre einer <strong>Schule</strong> sowiederen Unterstützungssystem zur schulischen Prävention verbunden. Je weiter entwickelt dasinnerschulische präventive Unterstützungssystem für entwicklungs- und schulisch gefährdeteSchüler ist, umso besser sind schulinterne und zusätzliche integrative Hilfen (z. B. Hilfendurch Pädagogen mit sonderpädagogischer Aufgabenstellung oder von Schulsozialarbeitern)in den Schulalltag zu implementieren. Gleichzeitig leistet ein inklusionsförderlicher Unterrichteinen Beitrag zur schulischen Prävention.Ebenso wie präventive Hilfen konstituieren sich integrative Hilfen aus der Arbeit mitevidenzbasierten Konzepten und Materialien, deren Einsatz im Unterricht und inFörderstunden, aus der Verwendung von objektiven, reliablen, validen und förderrelev<strong>an</strong>tendiagnostischen Verfahren, einer kontinuierlichen Lernfortschrittsdokumentation, regelmäßigstattfindende Beratungen zur Pl<strong>an</strong>ung der Förderung, Aktivitäten zur Steigerung der sozialenZugehörigkeit und persönlichen Beziehungen zwischen den Schülern sowie Schülern undPädagogen. Innerhalb des K<strong>an</strong>ons hilfreicher pädagogischer H<strong>an</strong>dlungen in der <strong>inklusive</strong>n<strong>Schule</strong> sind Binnendifferenzierung, den Unterricht ergänzender Förderunterricht undsonderpädagogisch-therapeutische Förderung besonders wichtig.9 Anregungen für schulische Prävention finden sich insbesondere in Veröffentlichungen von KRETSCHMANN (z. B.KRETSCHMANN, R.: 2000. Präventionsmodelle in der <strong>Schule</strong>. In J. Borchert, Hrsg., H<strong>an</strong>dbuch dersonderpädagogischen Psychologie, 325-340. Göttingen: Hogrefe), der Rostocker Arbeitsgruppe RügenerInklusionsmodell (z. B. MAHLAU, K., DIEHL, K., VOß, S. & HARTKE, B.: 2011. Das Rügener Inklusionsmodell [RIM] –Konzeption einer <strong>inklusive</strong>n Grundschule. Zeitschrift für Heilpädagogik, 62, 464-472) oder Buchreihe vonELLINGER „Lernen Fördern“ im Kohlhammerverlag.11


Integrative Förderung in den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache sowie emotionalesozialeEntwicklung bezieht sich auf Schüler, <strong>die</strong> trotz adäquater präventiver Förderung• so deutliche Entwicklungs- und Lernrückstände aufweisen, dass sie <strong>die</strong>Mindest<strong>an</strong>forderungen der Grundschule nicht in sechs Schuljahren erreichen werden• unter einer deutlich ausgeprägten emotionalen-sozialen Entwicklungsstörung leiden,<strong>die</strong> einen hinreichenden <strong>Schule</strong>rfolg und eine <strong>an</strong>gemessene emotionale-sozialeEntwicklung verhindern oder• extreme sprachliche Entwicklungsstörungen aufweisen, <strong>die</strong> einen hinreichenden<strong>Schule</strong>rfolg und eine weitere <strong>an</strong>gemessene Sprachentwicklung ausschließen.Um dem Förderbedarf <strong>die</strong>ser Schüler gerecht zu werden, sind unterrichtsintegrierte Hilfen,Binnendifferenzierung, Förderunterricht sowie sonderpädagogisch-therapeutische Hilfen inder <strong>Schule</strong> zu gewährleisten. Häufig gilt es, innerschulische Hilfen mit außerschulischenHilfen zu verbinden.Um innerhalb des täglichen Unterrichts adäquate Hilfen realisieren zu können, sollten imRahmen einer förderlichen Klassenführung 10 unter <strong>an</strong>derem folgende Kriterien berücksichtigtwerden:• <strong>an</strong>gemessene Vorbereitung des Klassenraums (Materialien sind für alle guterreichbar, keine Reizüberflutung),• Pl<strong>an</strong>ung und Unterrichtung von Regeln und unterrichtlichen Verfahrensweisen,• Festlegung von Konsequenzen bei <strong>an</strong>gemessenem und un<strong>an</strong>gemessenemVerhalten,• Schaffen eines positiven Klimas im Klassenraum (höflicher und respektvoller Umg<strong>an</strong>gmitein<strong>an</strong>der, Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls, Erfolgserlebnisse fürjeden Schüler),10 HENNEMANN, T., HILLENBRAND, C. (2010). Klassenführung – Classroom M<strong>an</strong>agement. In B. Hartke, K. Koch, K.Diehl (Hrsg.), Förderung in der schulischen Eing<strong>an</strong>gsstufe (S. 255-279). Stuttgart: Kohlhammer.12


• unterrichtliche Klarheit (prägn<strong>an</strong>te Org<strong>an</strong>isation, verständliche Sprache, gutvorbereitete Unterrichtsmaterialien),• Einsatz kooperativer Lernformen (Lernen im wechselseitigen Austausch) und• professioneller Umg<strong>an</strong>g mit Unterrichtsstörungen (Strategien für potentielle Problemebereithalten, Störungen gezielt und effektiv unterbinden).Gerade um Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf <strong>an</strong>gemessen zu unterrichten,sind Formen der Binnendifferenzierung zu realisieren. Gezielte Hilfen im Leistungsbereichwirken sich zudem ausgesprochen positiv auf <strong>die</strong> emotionale-soziale Entwicklung vonSchülern aus. Von einem exzellenten Deutschunterricht geht eine Vielzahl vonsprachentwicklungsförderlichen Impulsen aus. Besonders wichtig sind Differenzierungen• in der Anzahl der Aufgaben,• im Niveau der <strong>Anforderungen</strong>,• im Umf<strong>an</strong>g und in der Intensität der Hilfen durch Lehrer und weiteres pädagogischesPersonal,• durch den Einsatz von Me<strong>die</strong>n/Unterrichtsmaterialien,• durch <strong>die</strong> Sozialform,• durch <strong>die</strong> Form der Schülerpräsentationen 11 .Differenzierung in der Anzahl der Aufgaben:Durch unterschiedliche <strong>Anforderungen</strong> in der Anzahl zu bearbeitender Aufgaben sollunterschiedlichen Arbeitstempi von Schülern entsprochen werden. Das Arbeitstempol<strong>an</strong>gsamer Schüler soll behutsam gesteigert werden.11 Vgl. MUTH, J. (1986). Integration von Behinderten. Über <strong>die</strong> Gemeinsamkeit im Bildungswesen. Essen: NeueDeutsche <strong>Schule</strong>. Vgl. auch: Jürgens, E. / ST<strong>an</strong>dop, J. (Hrsg.): Was ist guter Untericht? Bad Heilbrunn:Klinkhardt2010.13


Differenzierung im Niveau der <strong>Anforderungen</strong>:Aufgaben zu gleichen Lerngegenständen können im Anforderungsniveau unterschiedlichgestellt werden. Wichtig ist es hierbei, den jeweiligen Schüler nicht zu über- oder zuunterfordern. Differenzierung im Niveau verl<strong>an</strong>gt eine genaue didaktische Analyse desSchwierigkeitsgrades unterschiedlicher Aufgaben und deren Reihung innerhalb desVermittlungsprozesses. Die <strong>an</strong>gemessene Auswahl der Aufgaben für den jeweiligen Schülerverl<strong>an</strong>gt eine Einschätzung des Leistungsniveaus des Schülers.Differenzierung im Umf<strong>an</strong>g und in der Intensität der Hilfen durch Lehrer und weiterespädagogisches Personal:Zwar sollten Schüler möglichst selbstständig Aufgaben bearbeiten und damit Wissen undFertigkeiten festigen. Dennoch benötigen Schüler mit Förderbedarf mehr oder minderausgeprägte Hilfen, <strong>die</strong> von kurzen Aufmunterungen und Bestätigungen bis hin zu einerErarbeitung eines Unterrichtsinhaltes mit einem einzelnen Schüler reichen können(individualisierte Instruktion).Differenzierung durch den Einsatz von Me<strong>die</strong>n/ Unterrichtsmaterialien:Viele Aufgaben lassen sich mit Hilfe von Me<strong>die</strong>n oder Unterrichtsmaterialien lösen, wobeilängerfristig Problemlösungen ohne <strong>die</strong>se Hilfsmittel <strong>an</strong>gestrebt werden. Beispiele fürHilfsmittel sind das Zehner- oder Hunderterfeld sowie Legeplättchen, Rechengeld,Taschenrechnern, Tonabspielgeräte, Anlauttabellen, Wörterbüchern oder computergestützteLernprogramme.Differenzierung durch <strong>die</strong> Sozialformen:Wenn Kinder Aufgaben in der Einzelarbeit nicht bewältigen, gelingt ihnen <strong>die</strong>s zumindestteilweise in der Partner- und Gruppenarbeit. Bei der Aufgabenstellung <strong>an</strong> eine Gruppe sindLernaktivitäten für schwache Lerner einzupl<strong>an</strong>en. Zudem besteht <strong>die</strong> Möglichkeit, dass14


Lehrkräfte für Teile der Klasse selbstständig zu bearbeitende Aufgaben auswählen (für <strong>die</strong>Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit), einzelne Kinder oder Gruppen hingegen <strong>an</strong>leiten oderdurch weiteres pädagogisches Personal <strong>an</strong>leiten lassen.Differenzierung im Unterricht k<strong>an</strong>n z. T. durch eine einzelne Lehrkraft geleistet werden,verl<strong>an</strong>gt aber beispielsweise bei Differenzierung durch unterschiedlich intensive Hilfe durchPädagogen zusätzliche Lehrer- und Betreuungsstunden. Diese disponiblen Stunden könnensowohl für ein Zwei-Pädagogen-System im regulären Unterricht als auch für zusätzlicheFörderstunden eingesetzt werden. Förderstunden ergänzen das vorh<strong>an</strong>deneUnterrichts<strong>an</strong>gebot, d. h., sie finden nicht parallel zum Klassenunterricht statt. Sowohl <strong>die</strong>Förderung in einem Zwei-Pädagogen-System als auch <strong>die</strong> Förderung in zusätzlichenFörderstunden sollen genauso wie <strong>an</strong>dere (präventive und integrative) Förderaktivitäten –<strong>die</strong> dem Recht des Kindes auf individuelle Entwicklungsförderung <strong>die</strong>nen –selbstverständliche, zur <strong>Schule</strong> gehörende Elemente sein.Forschungsergebnisse über <strong>die</strong> „guten Unterricht“ und inklusionsförderlichen Unterrichtentsprechen sich inhaltlich weitgehend 12 . Nach 40 Jahren internationaler empirischerUnterrichtsforschung ist bek<strong>an</strong>nt, <strong>an</strong> welchen Kriterien guter Unterricht zu erkennen ist:• Klare Strukturierung des Unterrichtsprozesses,• Hoher Anteil echter Lernzeit,• Lernförderliches Klassenklima, freundlich-<strong>an</strong>erkennender Lehrerstil,• Inhaltliche Klarheit,• Sinnstiftendes Kommunizieren zwischen Lehrern und Schülern und zwischen denSchülern,• Methodenvielfalt,• Beachtung individueller Lernausg<strong>an</strong>gslagen 13 .12 Die im Folgenden <strong>an</strong>geführten Kriterien guten inklusionsförderlichen Unterrichts stammen aus demGutachten von Klaus Klemm und Ulf Preuss-Lausitz: Auf dem Weg zur schulischen Inklusion in Nordrhein-Westfalen. Empfehlungen zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention im Bereich der allgemeinen <strong>Schule</strong>n.193 S.. Juni 2011, Essen und Berlin, S. 33ff. und 53ff.. Die vollständige Fassung ist unter www.Schulministerium.NRW.de Das Bildungsportal zu finden. Die ben<strong>an</strong>nten Kriterien wurden auf Basis einerAnalyse des einschlägigen Forschungsst<strong>an</strong>des erarbeitet.13 Siehe hierzu auch <strong>die</strong> <strong>die</strong> Aussagen zum Thema Klassenführung in <strong>die</strong>sem Abschnitt.15


Diese Kriterien sind weitgehend kompatibel mit der Praxiserfahrung im gemeinsamenUnterricht und Erkenntnissen der Begleitforschung über gelingende Integration, <strong>die</strong>allerdings darüber hinaus weitere Aspekte guten gemeinsamen Unterrichts herausgearbeitethaben, <strong>die</strong> bei der Pl<strong>an</strong>ung und Gestaltung gemeinsamen Unterrichts beachtet werdensollten 14 :• Lernen mit allen Sinnen,• Lernen durch H<strong>an</strong>deln,• Häufiger Wechsel der Sozialformen,• kommunikatives Lernen (Peer-Peer-Lernen),• Lernen durch verstärkte Partizipation (Einführung von Wahlmöglichkeiten beimAnspruchsniveau, bei Teilthemen, Zeitdauer, Me<strong>die</strong>n, Sozialformen,Präsentationsarten),• Ver<strong>an</strong>twortungsübergabe auch <strong>an</strong> ‚schwierige’ Schüler,• Bei Teamarbeit Förderung im Raum, Realisierung des 4-Augen-Prinzips,• Einführung von Zielvereinbarungen in Entwicklungsgesprächen generell und durchFörderpläne bei Schülern mit besonderem Förderbedarf, und nicht zuletzt• Einführung tr<strong>an</strong>sparenter Rechenschaftslegung bzw. Dokumentation des Erreichensvon Zielvereinbarungen.Zugunsten der Förderung von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf besteht einumfassender und differenzierter Förderpl<strong>an</strong>, in dem Ziele, H<strong>an</strong>dlungsmöglichkeiten derunterrichtsintegrierten und unterrichtsergänzenden Förderung beschrieben sowie Anfgabenzur Evaluation der Förderung enthalten sind. Hierüber ist auch <strong>die</strong> Arbeitsteilung zwischender Lehrkraft, der allgemeinen <strong>Schule</strong> und des Sonderpädagogen definiert. Schüler mitsonderpädagogischem Förderbedarf nehmen am Förderunterricht der allgemeinen <strong>Schule</strong>teil. Der Förderunterricht durch Sonderpädagogen ergänzt <strong>die</strong> Förderung der allgemeinen<strong>Schule</strong>, als konstituierendes Element der <strong>inklusive</strong>n <strong>Schule</strong>, dass allen Kindern offen steht,14 Einige der hier gen<strong>an</strong>nten Punkte sind vorwiegend als Prozessmerkmale gelingenden gemeinsamenUnterrichts zu verstehen. Mit <strong>an</strong>deren Worten: Die gen<strong>an</strong>nten Kriterien ersetzen nicht spezifischeevidenzbasierte Förderung, sondern ergänzen <strong>die</strong>se zugunsten eines abwechslungsreichen, motivierendenUnterrichts (beispielsweise ersetzt das Nachschreiben von Buchstaben im S<strong>an</strong>d nicht eine systematischeFörderung der phonologischen Bewusstheit, im Rahmen von Differenzierung/Stationsarbeit ist <strong>die</strong>sesSinnesübung aber eine begrüßenswerte Ergänzung eines systematischen Unterichts/einer systematischenFörderung).16


falls spezifische sonderpädagogische Hilfen in einer pädagogischen Situation erforderlichsind.5.4 BeratungUnter Beratung versteht m<strong>an</strong> im Wesentlichen eine professionelle Hilfeleistung, <strong>die</strong> voneinem Berater erbracht wird und von einer Ratsuchenden Person nachgefragt wird. Anlassfür eine Beratung in der <strong>Schule</strong> sind zumeist erzieherische und unterrichtlicheSchwierigkeiten. Sie zielt auf eine bessere Bewältigung der aktuell bestehendenpädagogischen Probleme und der daraus resultierenden psychosozialen Belastung ab. Alsein in der Praxis gut bewährtes Konzept gilt <strong>die</strong> Kooperative Beratung nach Mutzeck 15 . DiePhasen einer Kooperativen Beratung und einer auf ihrer Methodik aufbauendenkooperativen Fallberatung wird im Folgenden kurz vorgestellt. Hierüber soll exemplarischgenauer bestimmt werden, was unter Beratung im Kontext einer <strong>inklusive</strong>n <strong>Schule</strong> zuverstehen ist. Das Modell von Mutzeck wird als geeignete Grundlage für Beratung in der<strong>inklusive</strong>n <strong>Schule</strong> <strong>an</strong>gesehen, was eine Orientierung <strong>an</strong> weiteren Beratungsmodellen nichtausschließt.Einzelne Phasen und zu berücksichtigenden Leitfragen innerhalb einer KooperativenBeratung sind:1. Einführung in <strong>die</strong> „Kooperative Beratung“ (Wie wird <strong>die</strong> Beratung ablaufen? Waserwarten <strong>die</strong> Beteiligten von dem Gespräch? Wie sind <strong>die</strong> Aufgaben und Rollenverteilt?),2. Beschreibung des Problems und Rekonstruktion der Innensicht (Was ist geschehen?Was dachte und empf<strong>an</strong>d ich dabei? Wie erlebe ich das Problem jetzt?) sowieRessourcenbeschreibung,3. Perspektivenwechsel (Wie mag der Interaktionspartner das Problem gesehenhaben?),15 Vgl. MUTZECK, W.(2008). Kooperative Beratung. Weinheim: Beltz.17


4. Analyse des Problems und Benennen der Unzufriedenheit (Was macht michunzufrieden? Was will ich verändern?),5. Fokussierung des Schlüsselproblems und Bestimmung des Ziels (Wie soll derZust<strong>an</strong>d aussehen, den ich erreichen will?),6. Erarbeitung von H<strong>an</strong>dlungswegen (Lösungsfindung) (Welche Wege könnten zum Zielführen?),7. H<strong>an</strong>dlungsbewertung und autonome Entscheidung für eine derH<strong>an</strong>dlungsmöglichkeiten (Für welchen der aufgezeigten Wege entscheide ich mich?),8. Pl<strong>an</strong>ung und Vorbereitung der H<strong>an</strong>dlungsschritte, Umsetzungshilfen undStörungsentgegnungen (Wie sehen <strong>die</strong> Schritte aus, <strong>die</strong> zu meinem Ziel führen? Wasund wer könnte mir helfen, <strong>die</strong>se Schritte in meinem Berufsalltag zu verwirklichen?),9. Begleitung und Nachbereitung der Beratung (Wie ist <strong>die</strong> Umsetzung bzw.Nichtumsetzung meines Vorhabens verlaufen? Was wirkte förderlich, hilfreich bzw.störend oder gar behindernd?).Anlass für <strong>die</strong> Entwicklung der Kooperativen Beratung waren für Mutzeck zunehmendeSchwierigkeiten in pädagogischen Berufen und neue beraterische Aufgaben vonSonderpädagogen in der allgemeinen <strong>Schule</strong> im Kontext von Prävention und Integration.Auf dem Konzept der Kooperativen Beratung baut das Konzept der KooperativenFallberatung auf. Es wurde im Rahmen integrativer Hilfen und Fallarbeit in der Schulpraxismehrerer Bundesländer erprobt. Das Konzept wird im Folgenden als idelatypisches Beispielfür ein hilfreiches Konzept für Fallbesprechungen zugunsten der Pl<strong>an</strong>ung von integrativenpädagogischen Maßnahmen in seinem Ablauf dargestellt:o Vorab: Informationserhebung zur pädagogischen Situation des Kindes durch mitdem Kind arbeitenden Pädagoginnen und Pädagogen Beobachten und Notation von Beobachtungen Analyse von Arbeitsergebnissen, Curriculumbasierten Messungen(CBMs), Ergebnissen von Screenings und Tests, Inventarisierungen Gespräche mit den Eltern, dem Kind, weiteren mit dem Kindarbeitenden Personen und Erstellen von Protokolleno Problembeschreibung und Ressourcenerkundung im Team ggf. unter Einbezugvon weiteren Personen (Eltern, Therapeuten) <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d von Leitfragen und Notationder Ergebnisse auf einem Poster zur pädagogischen Situation des Kindes. Was sind Stärken und Interessen des Kindes?18


Wo liegen Probleme und Schwierigkeiten? Welcher Art sind sie undwie schwerwiegend und umf<strong>an</strong>greich sind sie? Welche Informationen liegen über Bedingungen der Probleme undSchwierigkeiten vor? Welche Rolle spielen dabei org<strong>an</strong>isatorische,methodisch-didaktische, soziale und psychologische Aspekte?o Problem<strong>an</strong>alyse unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven Was ist der Kern der Unzufriedenheit bei den beteiligten Personen?Was stört am meisten, macht <strong>die</strong> größten Sorgen? Was ist das zentrale Problem? Was hält das Problem aufrecht? Welche Anteile habenunterschiedliche Personen am Problem? …o Erstellen eines individuellen Förderpl<strong>an</strong>s Zielbestimmung in einem Schwerpunktbereich – genaue Formulierungvon Zielen als Zust<strong>an</strong>d, den es zu erreichen gilt Lösungsfindung – kreative Sammlung von H<strong>an</strong>dlungsmöglichkeitenzur Zielerreichung Entscheidungsfindung und Förderpl<strong>an</strong> – Auswahl und Org<strong>an</strong>isationvon pädagogischen Aktivitäten, dabei Klärung der Aufgaben- undArbeitsteilung – Festhalten des Arbeitsergebnisses zunächst aufeinem Poster bzw. einer Flipchart, später auf einem Förderpl<strong>an</strong>-Vordruck (konkrete Lern- und Verhaltensziele, Org<strong>an</strong>isation derFörderung, Aufgaben, Materialien, Indikatoren der Zielerreichung undVereinbarungen zur Evaluation der Förderung, Verabredung einesweiteren Termins für eine <strong>an</strong>schließende „Förderkonferenz“)In einer <strong>inklusive</strong>n <strong>Schule</strong> sollten zumindest Schulleiter und Sonderpädagogen überBeratungskompetenzen verfügen, wünschenswert ist eine weitreichende Schulung vonLehrkräften und z. B. auch Schulsozialarbeitern in Beratungskompetenzen. Bei besonderenberuflichen psychosozialen Belastungen von Pädagogen sollen Beratungs<strong>an</strong>gebote zurVerfügung stehen. Innerhalb auf den Einzelfall bezogener Problemlöseversuche inPädagogenteams soll der Problemlöseprozess professionell in Anlehnung <strong>an</strong> einBeratungsmodell moderiert werden 16 . Gerade im Kontext von schwerwiegendenErziehungsproblemen k<strong>an</strong>n es notwendig sein externe Berater eines Beratungs- und16 Das Beratungsmodell von Mutzeck wurde hier wegen seiner Praxisnähe sowie Plausibilität beispielhaftdargestellt. Eine Orientierung <strong>an</strong> weiteren Beratungsmodellen sollen damit nicht ausgeschlossen werden.19


Unterstützungszentrums in Problemlöseprozesse und psychosozialeUnterstützungsprozesse einzubeziehen.5.5 DiagnostikFür <strong>die</strong> im präventiven und integrativen Kontext arbeitenden Sonderpädagogen erweitert sichdas Aufgabenfeld. Es gestaltet sich komplexer und dynamischer. Sonderpädagogenbenötigen Kenntnisse der heutigen Vielfalt entwicklungspsychologischer Prozesse,Informationen über Ursachen von Leistungsversagen, Bedingungen bzw. Formen vonBeeinträchtigungen ebenso wie vielfältige Kenntnisse über Förderung und Therapie.Diagnose und Förderung stellen eine Einheit dar und sind prozesshaft zu gestalten. Die Ist-St<strong>an</strong>ds-Diagnostik erweitert sich um den Aspekt des Soll-St<strong>an</strong>des und <strong>die</strong> Beschreibung desH<strong>an</strong>delns und der Förderung mit dem Ziel, Lern-, Sprach- und Verhaltensstörungen zuverhindern bzw. zu mildern.Ein hohes Maß <strong>an</strong> entwicklungspsychologischen und diagnostischen Kenntnissen undFertigkeiten ist auch für Lehrkräfte allgemeiner <strong>Schule</strong>n wünschenswert.Als Merkmale einer inklusionstauglichen Diagnostik gelten gegenwärtig u.a.:• H<strong>an</strong>dlungsrelev<strong>an</strong>z: Diagnostik muss einen bedeutsamen und unmittelbaren Profit für<strong>die</strong> Optimierung pädagogischen H<strong>an</strong>delns abwerfen.• Prozessorientierung: Pädagogisches und diagnostisches H<strong>an</strong>deln sollte dabei ineinem engen Zusammenh<strong>an</strong>g stehen. Diagnostik und Pädagogik sind ein zirkulärerund zusammenhängender Prozess.• Situationsorientierung: Im Zentrum diagnostischer Bemühungen steht nicht allein dasKind sondern <strong>die</strong> gesamte Lernsituation.20


• Partizipationsorientierung: Partizipation meint hier das Recht auf Mitbestimmung deram diagnostischen Prozess Beteiligten (also auch Kinder, Eltern)• Empathie: Ein Verstehen der Sichtweise des Kindes seiner schulischen Situation wird<strong>an</strong>gestrebt. 17Im Gegensatz zu einer sonderpädagogischen Diagnostik im Kontext eines segregativenSchulsystems, <strong>die</strong> vorwiegend auf <strong>die</strong> formale Feststellung von sonderpädagogischenFörderbedarf und damit vor allem auf weitreichende Prognosen ausgerichtet war, geht es beider (sonder-)pädagogischen Diagnostik innerhalb des Kontextes Inklusion vorwiegend um<strong>die</strong> Beschreibung der pädagogischen Situation des Kindes als Grundlage der Pl<strong>an</strong>ung vonFörderung (Fragestellungen sind dabei : Was gelingt dem Kind gut, was noch nicht?Weshalb hat das Kind Schwierigkeiten in einem Lern- oder Entwicklungsbereich? Was undwie soll gefördert werden?), zudem um <strong>die</strong> Evaluation von Förderung (Fragestellungen: Hilftdas was wir machen dem Kind? Gelingt so <strong>die</strong> Erreichung der vereinbarten Ziele?).Im Folgenden wird ein auf Basis der Analyse einschlägiger Fachliteratur ermittelter Konsenszu aktuellen Qualitätsst<strong>an</strong>dards (sonder-)pädagogischer Diagnostik wiedergegeben.Hauptaspekte zur Beurteilung der Qualität sonderpädagogischer Diagnostik sind hiernachintersubjektive Nachvollziehbarkeit, Förderrelev<strong>an</strong>z und Praktikabilität. Zu <strong>die</strong>sen Punktenfinden sich im Folgenden weitere erläuternde Angaben.Intersubjektive Nachvollziehbarkeit: Da Diagnostik Gütekriterien genügen sollte, mussDiagnostik zuvorderst allseits <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten Minimalkriterien von Wissenschaftlichkeitentsprechen. Bei Erkenntnissen mit Wissenschafts<strong>an</strong>spruch muss es sich „um bewusstgemachte, ausformulierte und reflektierte Meinungen h<strong>an</strong>deln. Diese müssen sprachlich soklar dargestellt sein, dass sie für <strong>an</strong>dere in ihrer Argumentationsstruktur nachvollziehbar und17 Vgl. HAUSSCHILDT, J.(1998). Diagnosegeleitete Förderung – ein wirklichkeitsorientiertes pädagogisches(Unterrichts-)Konzept? Ein Plädoyer für pädagogische Orientierung <strong>an</strong> der Wirklichkeit des Kindes. In:Sonderpädagogik, 28, 84-92 sowie WEMBER, F.(2009). Individuelle Förderung – Kern der sonderpädagogischenFörderung und zentrales Instrument der Qualitätssicherung. In F. Wember, St. Prändl (Hrsg.), St<strong>an</strong>dards dersonderpädagogischen Förderung. München, Basel: Reinhardt.Kooperative Beratung. Weinheim: Beltz.21


kritisierbar werden 18 . Entscheidend ist dabei zudem <strong>die</strong> „Offenlegung des Weges, der zurErkenntnis geführt hat“, der systematisch und „in allen Entscheidungen begründet undrational nachvollziehbar, wenn möglich mehrmals und von verschiedenen Personenwiederholbar sein“ muss. Diagnostische Vorgehensweisen sind also systematisch undpräzise zu dokumentieren.Folgende Auswahl <strong>an</strong> Aspekten bestimmt das Qualitätsmerkmal „intersubjektiverNachvollziehbarkeit“ genauer 19 :• der diagnostische Prozess muss für alle <strong>an</strong> der Diagnostik Beteiligtennachvollziehbar/ tr<strong>an</strong>sparent und überprüfbar sein• der diagnostische Prozess ist theoriegeleitet und der theoretische Ansatz desDiagnostikers ist nachvollziehbar:o bezüglich der Vorstellung von sonderpädagogischer Diagnostik allgemein undo bezogen auf wissenschaftlich fun<strong>die</strong>rte Deutungsmuster bestimmterAuffälligkeiten• eine fachlich korrekte diagnostische H<strong>an</strong>dlungsweise muss aus der Dokumentationder diagnostischen Arbeit oder einem Gutachten ersichtlich sein, z. B.:18 Vgl. HABERLIN, U.(2003). Wissenschaftstheorie für Heil- und Sonderpädagogik. In A. Leonhardt & F. B. Wember(Hrsg.), Grundfragen der Sonderpädagogik. Bildung - Erziehung - Behinderung (S. 58-80). Weinheim: Beltz. DieZitate beziehen sich auf den Text von Haeberlin S. 61.19 Vgl. KANY,W. & SCHÖLER, H. (2009). Diagnostik schulischer Lern- und Leistungsschwierigkeiten. Stuttgart:Kohlhammer. KORNMAN, R. (2007). Gutachten als Grundlage von Förderplänen. In W. Mutzeck, C. Melzer & P.Jogschies (Hrsg.), Förderpl<strong>an</strong>ung. Grundlagen - Methoden - Alternativen. 3., überarbeitete und erweiterte Aufl.(S. 45-54). Weinheim: Beltz. LANGFELDT, H.-P. (1988). Sonderpädagogische Diagnostik: Allgemeine Grundlagenund Funktionen. Sonderpädagogik, 18 (2/3), 67-76. LANGFELDT, H.-P. & RICKEN, G. (1996). Diagnose der Diagnostikbei Lernbehinderten. In H. Eberwein (Hrsg.), H<strong>an</strong>dbuch Lernen und Lern-Behinderungen (S. 77-94). Weinheim:Beltz. LANGFELDT, H.-P. & ROZSA J. (2000). Leistungsdiagnostik. In J. Borchert (Hrsg.), H<strong>an</strong>dbuch derSonderpädagogischen Psychologie (S. 261-270). Göttingen: Hogrefe. LEONARCZYK, T. (2004). Die ErstellungFörderpädagogischer Gutachten. In W. Mutzeck & P. Jogschies (Hrsg.), Neue Entwicklungen in derFörderdiagnostik. Grundlagen und praktische Umsetzungen (S. 281-288). Weinheim: Beltz. LUKESCH, H. (1998).Einführung in <strong>die</strong> pädagogisch-psychologische Diagnostik. Regensburg: Roderer PERLETH, C. (2000). (Begabungs-)Diagnostik bei Schülern mit Lernbehinderungen. In K. A. Heller (Hrsg.), Begabungsdiagnostik in der Schul- undErziehungsberatung (2., vollständig überarbeitete Aufl., S. 279-321). Bern: Huber. SCHULZE,G. G. (2004).Ergebnisse einer Analyse förderpädagogischer Gutachten in Sachsen. In W. Mutzeck & P. Jogschies (Hrsg.),Neue Entwicklungen in der Förderdiagnostik. Grundlagen und praktische Umsetzungen (S. 220-237). Weinheim:Beltz.22


o Auswahl von diagnostischen Methoden/Testverfahren (einschließlich derGespräche und Verhaltensbeobachtungen), <strong>die</strong> den Gütekriterien Objektivität,Reliabilität und Validität entsprechen und auf einem vertretbarentheoretischen Konstrukt basiereno Einhaltung der Instruktionen bei der Durchführung der Verfahreno korrekte und objektive Auswertung und Interpretation der Ergebnisseo st<strong>an</strong>dardisierte Darstellung der Ergebnisse• übersichtlicher und systematischer Aufbau der Dokumentation der Diagnostik (u. a.durch Hypothesengeleitetheit)• <strong>an</strong>gemessene, verständliche und deutliche Formulierungen der Aussagen• Nachvollziehbarkeit der Informationsquellen• nachvollziehbare Schlussfolgerungen und Interpretationen – z. B. bezüglichFörderbedarf und Empfehlungen• Widersprüchlichkeiten in der Anamnese oder den Ergebnissen der Überprüfungwerden explizit herausgestellt• Validität der DiagnoseFörderrelev<strong>an</strong>z: Diagnostik und Förderung sind inhaltlich unmittelbar mitein<strong>an</strong>der verbunden.Innerhalb der diagnostischen Arbeit geht es neben der Beschreibung von Ist-Zuständen umeine Analyse der bereits durchlaufenen Fördermaßnahmen (Darstellung der Lernhistorie)sowie um Empfehlungen für eine optimierte Förderung des Kindes. Durch beispielsweise einPräventionsgutachten sollen <strong>die</strong> Maßnahmen der sekundären Prävention optimiert werden.Das Gutachten muss demzufolge Förderrelev<strong>an</strong>z aufweisen. Damit sich bestehende Lern-und Leistungsauffälligkeiten nicht zu einer Beeinträchtigung des Lernens, vonkommunikativen Prozessen sowie des sozialen Verhaltens und der emotional sozialen23


Entwicklung verfestigen, sind modifizierte Interventionen notwendig. Schuck et al (2006) 20konkretisieren das Kriterium Förderrelev<strong>an</strong>z. Sie nennen dabei u. a. folgende Aspekte:• Problem<strong>an</strong>gemessenheit: Zuschnitt der diagnostischen Zielsetzungen, Inhalte undMethoden auf das Ausg<strong>an</strong>gsproblem• Historizität: Betrachtung der aktuellen Problemfelder vor dem Hintergrund ihrerEntstehungsgeschichte und Bedingungshintergründe• Strukturbezogenheit: verschiedene Gegenst<strong>an</strong>dsbereiche werden unter demGesichtspunkt möglicher Wechselbeziehungen und Verwobenheit <strong>an</strong>alysiert• Entwicklungsorientierung: aktuelle Fähigkeiten sollen, wenn möglich,entwicklungsbezogen eingeordnet werden, um theoriegeleitet bestimmen zu könnenwelche nächsten Entwicklungsschritte das Kind vollziehen k<strong>an</strong>n• Zielreflexivität: der Diagnostiker soll sich seiner Teilziele des diagnostischenH<strong>an</strong>delns bewusst werden (z. B. Orientierung <strong>an</strong> der Altersnorm, richtlinienbezogeneEinschätzung, entwicklungspsychologische Einordnung) und dementsprechend <strong>die</strong>Methoden wählen• Subjekt<strong>an</strong>gemessene Lerngegenst<strong>an</strong>dsbestimmung: nächste Lernschritte sollenmöglichst konkret und diagnostisch ver<strong>an</strong>kert beschrieben werden• Qualität der Schlussfolgerungen: zeigt sich in der Plausibilität individuellerFördervorschläge (sowohl bezüglich des schulischen Bereiches, inkl.Lernortbestimmung, als auch des außerschulischen Umfeldes)Praktikabilität: Sonderpädagogische Diagnostik muss „unter den Bedingungen derAlltagspraxis h<strong>an</strong>dhabbar bleiben“ 21 . Auch <strong>die</strong>ser Aspekt ist nicht allein auf <strong>die</strong> Gutachten,sondern auf den gesamten diagnostischen Prozess <strong>an</strong>zuwenden. Der diagnostische Prozessund <strong>die</strong> Gutachten entstehen immer unter Rahmenbedingungen, <strong>die</strong> beides sowohl20 Vgl. SCHUCK, K. D., KNEBEL, U. VON, LEMBKE, W., SCHWOHL, J. & STURM, T. (2006). Rahmenbedingungen unddiagnostische Umsetzung zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs in Hamburg und Schleswig-Holstein. In U. Peterm<strong>an</strong>n & F. Peterm<strong>an</strong>n (Hrsg.), Diagnostik sonderpädagogischen Förderbedarfs (Neue FolgeBd. 5, S. 37-65). Göttingen: Hogrefe insbesondere S. 44 f.21 Ebd.24


unterstützen als auch beschränken können (von Knebel, 2004, S. 84). SolcheRahmenbedingungen sind z. B. <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Überprüfung zur Verfügung stehende Zeit,räumliche Bedingungen, Möglichkeiten des Zugriffs auf diagnostische Verfahren, Aus- undFortbildungsst<strong>an</strong>d der Diagnostiker.Grundsätzlich sollten auch Lehrerinnen und Lehrer der allgemeinen <strong>Schule</strong> über ein hohesMaß <strong>an</strong> diagnostischen Kompetenzen verfügen. Insbesondere sollten Lehrkräfte dazu in derLage sein, individuelle Lernausg<strong>an</strong>gslagen mit Relev<strong>an</strong>z für ihren Unterricht zu beschreibenund ggf. Lücken in Vorkenntnissen bzw. von Vorläuferfähigkeiten von schulischenLerninhalten zu erkennen, um <strong>die</strong>se zu schließen.Abschließender Hinweis: Fragen der Lehreraus-, Lehrerfort- und –weiterbildung und derpersonellen Ausstattung und Schulorg<strong>an</strong>isation werden von <strong>an</strong>deren Arbeitsgruppenbearbeitet und werden später zur Diskussion gestellt.25

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