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„Und es schrie aus den Wunden“ - eDiss - Georg-August-Universität ...

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<strong>„Und</strong> <strong>es</strong> <strong>schrie</strong> <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Wun<strong>den</strong>“Untersuchung zum Schmerzphänomen und der Sprache d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>in <strong>den</strong>Íslendinga-, Konunga- und Byskupasögursowie der Sturlunga sagaDissertationzur Erlangung d<strong>es</strong> philosophischen Doktorgrad<strong>es</strong> an der Philosophischen Fakultätder <strong>Georg</strong>-<strong>August</strong>-<strong>Universität</strong> Göttingenvorgelegt vonStefan Buntrock<strong>aus</strong> BonnGöttingen 2003


1. Gutachter: Prof. Dr. phil. Wilhelm Heizmann2. Gutachter: Prof. Dr. phil. Fritz Paul3. Gutachter: Prof. Dr. phil. Dr. med. habil. Volker Zimmermann4. Gutachter: Prof. Dr. phil. Kl<strong>aus</strong> Düwel5. Gutachter: Juniorprof. Dr. phil. Joachim GrageTag der mündlichen Prüfung: 24.05.2004ii


Für Sonjaiii


KurzreferatGewalt und Krankheit sind in der altnordischen Sagaliteratur wichtige B<strong>es</strong>tandteileder Handlung. Schmerz spielt dahingegen oft nur eine untergeordnete Rolle undfindet sehr häufig überhaupt keine Erwähnung. Di<strong>es</strong>e Beobachtung ist sowohl <strong>aus</strong>philologischer als auch <strong>aus</strong> medizinischer Sicht inter<strong>es</strong>sant. Die vorliegendeUntersuchung widmet sich der Thematik „Schmerz“ in der Form ein<strong>es</strong>interdisziplinären Ansatz<strong>es</strong>. Als Untersuchungsgegenstand dienen dieÍslendingasögur, die Konunga- und Byskupasögur sowie die Sturlunga saga. Es wirdgezeigt, daß Schmerz vielfach <strong>aus</strong>gelassen, bzw. nur paraphrasiert wiedergegebenwird. Di<strong>es</strong> betrifft vor allem diejenigen Sagas, <strong>den</strong>en ein heroisch<strong>es</strong> Weltbildzugrunde liegt. In <strong>den</strong> durch die christliche Lehre geprägten Byskupasögur wirdSchmerz dahingegen ungleich häufiger thematisiert. In der Darstellung von Schmerzzeigt sich ein kultureller Unterschied zwischen dem schmerznegieren<strong>den</strong> Hei<strong>den</strong>tumund dem Christentum als einer Religion, bei der Schmerz im Mittelpunkt steht.Darüber hin<strong>aus</strong> dienen die Byskupasögur der Verherrlichung der Macht Gott<strong>es</strong>.Mirakulöse Schmerzlinderung ist di<strong>es</strong>em Zweck über<strong>aus</strong> dienlich. Wo Schmerz<strong>aus</strong>gelassen wird, sind g<strong>es</strong>törter Schlaf und schlechte Schlafqualität geeigneteMeßinstrumente, um Schmerzzustände sichtbar zu machen, <strong>den</strong>n hierüber wird in<strong>den</strong> Sagas oft berichtet. Weitere Untersuchungsergebnisse erstrecken sich auf dasPhänomen schreiender Wun<strong>den</strong>, wie sie in der FóstbrÍðra Saga b<strong>es</strong>chrieben wer<strong>den</strong>.Eine eingehende Untersuchung di<strong>es</strong>er Stelle ist in der Sagaforschung bisher nochnicht vorgenommen wor<strong>den</strong>. Offenbar ist di<strong>es</strong><strong>es</strong> Motiv einzigartig und hat in derzeitgenössischen mittelalterlichen Literatur keine Entsprechung. Ebenfalls zumersten Mal wird in der vorliegen<strong>den</strong> Arbeit aufgezeigt, daß verkr (Schmerz) alsübergeordneter Begriff für Wundinfektionen eine Rolle spielt. AusgewählteTextstellen wer<strong>den</strong> vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse über die Physiologieund Psychologie d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> analysiert. Insb<strong>es</strong>ondere wird auf die Rolle vonEndorphinen und Copingmechanismen eingegangen.iv


AbstractIn Old Norse saga literature, violence and disease are important elements of the plot,while at the same time the d<strong>es</strong>cription of pain is repeatedly absent. This observationis inter<strong>es</strong>ting both in a philological and a medical sense. In an interdisciplinaryapproach, the role of physical pain is examined, using as a source the IcelandicFamily Sagas, the Sagas of Kings, the Sagas of Bishops and the Sturlung Saga. It isbeing shown that pain many tim<strong>es</strong> is omitted or paraphrased which is mainly true forthe more “heroic” sagas. In the “Christian” Sagas of Bishops however, pain isd<strong>es</strong>cribed much more frequently. One explanation is a different attitude towards painwithin the pagan and Christian cultur<strong>es</strong>. While pain is <strong>den</strong>ied in the pagan culture, itis an <strong>es</strong>sential part of Christianity. Furthermore, the Sagas of Bishops serve thepurpose to illustrate the power of God. Alleviation of pain is an effective means ofdoing that.In order to make pain visible, the quality of sleep can be used as an indicator. Sleepis referred to many tim<strong>es</strong> and pain is associated with a disrupted sleep. Further r<strong>es</strong>ultsinclude the phenomenon of screaming wounds as d<strong>es</strong>cribed in the FóstbrÍðra Saga.For the first time they are examined from this angle. It is concluded, that they haveno counterpart in contemporary medieval European literature. Likewise for the firsttime it is shown in this inv<strong>es</strong>tigation, how the word verkr (pain) is used as a term forwound infections. Based on recent knowledge about the physiological nature of painand its perception, the role of endorphins and coping mechanisms is discussed, usingexampl<strong>es</strong> from the Sagas.v


InhaltsverzeichnisKurzreferativAbstractv1 Vorwort 12 Einleitung 33 Die Phänomenologie d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> – Ausgewählte Aspekte mit Beispielen<strong>aus</strong> der Sagaliteratur 93.1 Einleitende Bemerkungen 93.2 Die physiologisch-anatomischen Grundlagen d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> 113.3 Schmerzverhalten 133.4 Entzündungsschmerz 153.5 Modulationsmöglichkeiten der Schmerzempfindung 163.6 Psychologie d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>: Aufmerksamkeit und Placebo 203.7 Zusammenfassung 254 Sagaliteratur 264.1 Die Anfänge isländischer Literatur 264.2 Sagaliteratur 304.3 Die Konungasögur 344.4 Die Byskupasögur 364.5 Die Sturlunga saga 374.6 Die Íslendingasögur 384.7 Die Íslendingaþættir 395 Die soziale Ordnung im mittelalterlichen Island als normenstiftendeInstanz gruppenspezifischen Schmerzverhaltens 415.1 Erkenntnisse moderner soziokultureller Forschung zumSchmerzempfin<strong>den</strong> 41


5.2 Die Anfänge d<strong>es</strong> isländischen Freistaat<strong>es</strong> 435.3 Die G<strong>es</strong>ellschaftsordnung 445.3.1 Bauern 455.3.2 Pächter 455.3.3 Sklaven 455.4 G<strong>es</strong>etzlose – Leben außerhalb der G<strong>es</strong>ellschaft 465.5 Das bipolare Modell von G<strong>es</strong>ellschaft und Umwelt 475.6 Das politische System 475.6.1 Go<strong>den</strong>tum 475.6.2 Thing 485.7 G<strong>es</strong>ellschaft in Veränderung 495.7.1 Klimaveränderungen und ihre Folgen 495.7.2 Veränderungen der ursprünglichen G<strong>es</strong>ellschaftsstruktur 505.8 Wohlstand dank Christentum 515.9 Änderungen der politischen Machtstrukturen 536 Das Christentum und seine Auswirkungen auf die G<strong>es</strong>ellschaftsordnung 566.1 Konsolidierung d<strong>es</strong> Christentums 566.2 Einfluß d<strong>es</strong> Christentums auf das tägliche Leben im 13. und 14.Jahrhundert 606.2.1 Religiös<strong>es</strong> Leben bis zum Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> 606.3 Zusammenfassung 627 Schmerz in <strong>aus</strong>gewählter Sagaliteratur: etymologische Einführung undWortschatz 657.1 Etymologische Einführung 657.2 Untersuchungsmetho<strong>den</strong> und -ergebnisse 687.2.1 Statistische Untersuchung 697.2.2 Inhaltliche Untersuchung 778 Lokalisation d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> 858.1 Augenschmerz 858.2 Extremitätenschmerz 87ii


8.3 Brustschmerz 898.4 Zusammenfassung 929 Schmerz – nichts für Hel<strong>den</strong>? 939.1 Das Schmerzverhalten der Hel<strong>den</strong> 939.1.1 Heroismus, Stolz, Familienehre 999.2 Þormóðr Kolbrúnarskáld: Schmerzverhalten <strong>aus</strong> der Sicht d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong>. 1029.3 Zusammenfassung 12110 Zum Schmerzverständnis der Sagas 12210.1 Das Phänomen verwundeter Soldaten ohne Schmerzempfin<strong>den</strong> 12410.2 Verkr – Symptom und Krankheit 12710.3 Was verstehen die Sagas unter Schmerz? 13710.4 Sinn und dramaturgische Funktion von Schmerz 14010.4.1 Schmerz als Strafe 14110.4.2 Schmerz als Indikator für Lebensgefahr 14110.4.3 Magie als Ursache für Schmerz 14410.5 Schmerzchiffren 15810.6 Der kämpfende Körper und seine Relation zum Schmerz 16210.7 Schmerzverhalten abseits d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong>ideals 17310.7.1 Spür-Helgis vorgetäuschte Schmerzattacke 17310.7.2 Der schlimme Zeh ein<strong>es</strong> „góðr drengr“ 17410.7.3 Der Schmerzensschrei Eriks d<strong>es</strong> Roten 17711 Schlaf – ein einfach<strong>es</strong> Instrument zur Schmerzm<strong>es</strong>sung 18612 Schmerz und christlicher Glaube 19312.1 Christliche Schmerzkonzeption 19312.2 Übergang vom Hei<strong>den</strong>tum zum Christentum: Sturla Sighvatsson 19612.2.1 Exkurs: Die Sturlungen 19612.2.2 Der Konflikt mit Bischof Guðmundr Arason 19712.3 Guðmundr Arason –die Lei<strong>den</strong> ein<strong>es</strong> Heiligen 20512.4 Heilung unter Schmerzen – der Heilige als Arzt 217iii


12.5 Schmerz in <strong>den</strong> Krankeng<strong>es</strong>chichten der Byskupasögur 22412.6 Zusammenfassung 23613 Schmerz in <strong>aus</strong>gewählter Sagaliteratur – eine Bilanz 23813.1 Schmerz und Schmerzverhalten der Hel<strong>den</strong> 23813.1.1 Schmerzverhalten 23913.1.2 Sinn und narrative Funktion d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> 24013.1.3 Verkr – Symptom und Krankheit 24113.1.4 Schmerzwahrnehmung der Sagahel<strong>den</strong> 24213.1.5 Statistische Untersuchung 24313.2 Schmerz und Schmerzverhalten abseits d<strong>es</strong> heroischen Protokolls 24313.3 Der Einfluß d<strong>es</strong> Christentums auf die Hel<strong>den</strong> und die heroischen Sagas 24513.4 Die Darstellung von Schmerz in <strong>den</strong> Byskupasögur 24513.4.1 Statistische Untersuchung 24513.4.2 Narrative Funktion d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> 24613.4.3 Christliche Schmerzkonzeption 24613.4.4 Allgemein<strong>es</strong> Schmerzverständnis 24713.4.5 Guðmundr Arason – ein Bischof als Heiler 24713.4.6 Der Heilige als Arzt 24813.5 Bevorzugte Körperregionen d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> 24813.6 Schlaf als Schmerzindikator 24813.7 Kurzzusammenfassung der wichtigsten Untersuchungsergebnisse 24914 Literatur- und Quellenverzeichnis 25014.1 Siglen 25014.2 Quellen 25214.3 Sekundärliteratur 25615 Abbildungsverzeichnis 27216 Tabellenverzeichnis 27317 Register 274iv


1 VorwortDie Idee für eine Abhandlung über die Darstellung von Schmerz in Sagaliteraturentstand im Rahmen mein<strong>es</strong> Doppelstudiums der Skandinavischen Philologie undder Medizin an der <strong>Georg</strong>-<strong>August</strong>-<strong>Universität</strong> Göttingen. Der scheinbare Mangel anSchmerz bei zahllosen Verletzten in <strong>den</strong> Isländersagas erschien mir lohnenswerterAusgangspunkt für eine interdisziplinäre Untersuchung. Di<strong>es</strong>e sollte auch weitereSagagattungen umfassen, um zu überprüfen, ob sich die Beobachtung in anderenQuellen wiederholte. Unter der Betreuung von Herrn Prof. Dr. phil. WilhelmHeizmann begannen Anfang 1995 die Vorbereitungen für die vorliegende Arbeit miteinem zweiwöchigen Forschungsaufenthalt am Arnamagnæanischen Institut inKopenhagen. Der Weg von der Idee bis zum fertigen Manuskript führte über weitereSkandinavienaufenthalte in Oslo, Reykjavík und Stockholm. Zwei Jahre lang war icham Landspítali Háskólasjúkrahús við Hringbraut in Reykjavík ärztlich tätig, um vorOrt Erfahrungen mit der isländischen Kultur und deren Schmerzverständnis zusammeln.Herrn Prof. Dr. phil. Wilhelm Heizmann danke ich herzlich für seine wertvollenRatschläge und seinen Beistand in allen Phasen d<strong>es</strong> Projekt<strong>es</strong>. D<strong>es</strong>weiteren danke ichHerrn Prof. Dr. phil. Fritz Paul, Direktor d<strong>es</strong> Skandinavischen Seminars der <strong>Georg</strong>-<strong>August</strong>-<strong>Universität</strong> Göttingen für die Überlassung d<strong>es</strong> Themas.Mein Dank gebührt auch meinem jetzigen Chef, Herrn Dr. med. Ulf Norming, fürseine großzügige Unterstützung bei der zeitlichen Organisation der letztenArbeitsphase.Weiterhin danke ich allen, die mit Anregungen, konstruktiver Kritik oder derZusendung von Material zum Gelingen di<strong>es</strong>er Arbeit beigetragen haben: Dr. phil.G<strong>es</strong>a Snell, Prof. Dr. med. Rainer Broll, Prof. Dr. med. Beat Rüttimann, Prof. Dr.phil. Dr. med. habil. Volker Zimmermann, Prof. Dr. med. Dr. phil Dr. h.c. GundolfKeil, Prof. Dr. phil Kl<strong>aus</strong>-Dietrich Fischer, Prof. Dr. med. habil. Dr. phil. habil.Bernhard Dietrich Haage, PD Dr. phil. Bernhard Schnell, Dr. sc. Diethard Nickel,Thomas Neckermann, Birgit Gutknecht.Sehr zu danken habe ich auch Herrn Prof. Ph.D. Jim Manis, Herrn Prof. Ph.D.Christopher Hale sowie Frau Marianne Lindvall vom Department of GermanicLanguag<strong>es</strong> der University of Alberta, ohne deren Förderung zu Anfang mein<strong>es</strong>Studiums <strong>es</strong> di<strong>es</strong>e Abhandlung wahrscheinlich nie gegeben hätte.1


Auch der Begabtenförderung der Konrad-A<strong>den</strong>auer-Stiftung bin ich zu großem Dankverpflichtet.Mein größter Dank gilt meiner Frau Sonja. Für all<strong>es</strong>.Schließlich danke ich meinen Eltern und Schwiegereltern für ihre Anteilnahme undMotivationskünste während all di<strong>es</strong>er Jahre.Stockholm im Juni 2005Stefan Buntrock2


2 EinleitungSchmerz gehört zu <strong>den</strong> elementaren Grunderfahrungen d<strong>es</strong> Menschen. Ihn lediglichals das Ergebnis von Nervenimpulsen zu verstehen, die im Gehirn das unangenehmeGefühl Schmerz erzeugen, wäre völlig falsch. Es handelt sich bei di<strong>es</strong>em Phänomenvielmehr um eine modifizierte Sinn<strong>es</strong>erfahrung als R<strong>es</strong>ultat vielfältiger individueller,psychischer sowie soziokultureller Einflüsse. Der Schmerzbegriff unterliegtständiger Veränderung, sowohl biographisch als auch historisch. Er beinhaltet für einKind etwas ander<strong>es</strong> als für einen Greis. Ein Mensch d<strong>es</strong> Mittelalters hatte ein ander<strong>es</strong>Schmerzverständnis als ein moderner Zeitgenosse. Die G<strong>es</strong>chichte der Menschheitist untrennbar verbun<strong>den</strong> mit der G<strong>es</strong>chichte d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>.Vor di<strong>es</strong>em Hintergrund ist die isländische Sagaliteratur für eine Untersuchung zumSchmerz b<strong>es</strong>onders inter<strong>es</strong>sant. Zahlreiche Themen und Konflikte menschlichenZusammenlebens, bzw. all<strong>es</strong>, was Menschsein <strong>aus</strong>macht, wur<strong>den</strong> hier verarbeitet. Soverwundert <strong>es</strong> nicht, daß sich viele der hier g<strong>es</strong>childerten Auseinandersetzungenohne weiter<strong>es</strong> in unserer heutigen Zeit abspielen könnten. Man würde in di<strong>es</strong>emUmfeld nur allzu selbstverständlich erwarten, dem Thema Schmerz auf Schritt undTritt zu begegnen. Doch die Rolle d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> ist in di<strong>es</strong>en Texten all<strong>es</strong> andere alsoffensichtlich. In der Welt der Wikinger und ihrer Nachfahren scheint für ihn keinPlatz zu sein. Bäuche wer<strong>den</strong> aufg<strong>es</strong>chlitzt, Beine abgehackt und Köpfe rollen, ohnedaß Schmerz in nennenswertem Umfang thematisiert würde. Hier hat der Topos vomschmerzunempfindlichen Wikinger seinen Ursprung. Mit der Christianisierung imJahre 1000 kam neu<strong>es</strong> Gedankengut nach Island. Im Laufe der Jahrzehnte undJahrhunderte f<strong>es</strong>tigte sich der christliche Glaube mit deutlichen Auswirkungen aufdas private und öffentliche Leben. Ein sehr wichtiger B<strong>es</strong>tandteil d<strong>es</strong> Christentumsist die Auseinandersetzung mit Schmerz. Als Strafe für Sün<strong>den</strong> oder als Prüfungdurch Gott ist er permanent unterschwellig oder sichtbar zugegen. Di<strong>es</strong><strong>es</strong>Schmerzverständnis fand seinen Niederschlag auch in der christlichen LiteraturIslands. In <strong>den</strong> Byskupasögur ist z.B. relativ häufig von Schmerz die Rede.Die Sagaforschung hat sich bis dato mit vielen grundlegen<strong>den</strong> Themen<strong>aus</strong>einanderg<strong>es</strong>etzt, doch stand das Schmerzphänomen bisher noch nie im3


Mittelpunkt einer umfassen<strong>den</strong> Analyse. 1 Dabei „ist Schmerz eine jenermenschlichen Grunderfahrungen, die uns zu dem machen, was wir sind.“ 2 Tiefer<strong>es</strong>Verständnis für die Welt der Sagas und ihre Darsteller führt daher über <strong>den</strong> Schmerz.Die Art und Weise, wie er kommuniziert wird, z.B. durch Schreien, G<strong>es</strong>tik, Mimik,macht ihn zu einer Sprache. Selbst wenn ein Betroffener seiner Umwelt keineAnhaltspunkte für seinen Schmerz liefert, vermittelt er <strong>den</strong>noch deutlich seineGrundeinstellung zu di<strong>es</strong>em Phänomen, wie <strong>es</strong> Worte eindeutiger undeindrucksvoller nicht vermöchten. Wie jede andere Sprache auch, öffnet die Sprached<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> Wege in die Kultur ein<strong>es</strong> Volk<strong>es</strong>. Sie transportiert „die geistigeSehweise einer Kulturgemeinschaft in einer b<strong>es</strong>timmten Epoche.“ 3 Auch derSchmerz ist „durch ein komplex<strong>es</strong> Gebäude von für di<strong>es</strong>e Zeit gültigenVorstellungen vorgeprägt, welche man üblicherweise gerne unter dem Begriff d<strong>es</strong>Weltbilds zusammenfaßt.“ 4 Kenntnisse „der w<strong>es</strong>entlichen Strukturen und Elemente“d<strong>es</strong> Weltbild<strong>es</strong> einer b<strong>es</strong>timmten Epoche bil<strong>den</strong> „eine wichtige Vor<strong>aus</strong>setzung fürdas Studium einer Kultur oder Kulturstufe, vor allem aber auch für die Interpretationihrer literarischen Erzeugnisse.“ 5 Inter<strong>es</strong>sante Aspekte liefern bei <strong>den</strong> Isländerninsb<strong>es</strong>ondere die Schmerzkultur der Hel<strong>den</strong> sowie der Übergang von der heidnischenin die christliche G<strong>es</strong>ellschaft.Ziel der vorliegen<strong>den</strong> Arbeit ist <strong>es</strong>, Erkenntnisse über <strong>den</strong> kulturellen Stellenwert d<strong>es</strong>Schmerz<strong>es</strong> und über mittelalterlich-isländische Schmerzvorstellungen zu gewinnen,wie sie in <strong>den</strong> Sagas vermittelt wer<strong>den</strong>. Ob sich di<strong>es</strong>e stets mit <strong>den</strong> historischenVerhältnissen decken, kann <strong>aus</strong> heutiger Sicht nicht mehr zuverlässig nachvollzogenwer<strong>den</strong> und soll auch nicht Gegenstand di<strong>es</strong>er Untersuchung sein. Denn die Sagasgeben nicht unbedingt historische Vorstellungen wieder, sondern literarischeDarstellungspraktiken. Statt um g<strong>es</strong>chichtliche Zuverlässigkeit geht <strong>es</strong> daher indi<strong>es</strong>er Arbeit um Schmerzkonzepte, -ideen und –ideologie. Di<strong>es</strong>en wiederum kommtim Rahmen der literarischen Welt der Sagas durch<strong>aus</strong> Authentizität zu. Es ist somitirrelevant, ob <strong>es</strong> Trolle gibt, die <strong>den</strong> Menschen schmerzhafte Krankheiten durch die1In <strong>den</strong> vergangenen Jahren erschienen zwei Arbeiten zu Krankheitsbildern verschie<strong>den</strong>erSagagruppen, die im Rahmen di<strong>es</strong>er Arbeit berücksichtigt wur<strong>den</strong>, wenn sich Berührungspunkteergaben (Kaiser 1998; Sigurður Samúelsson 1998).2 Morris 1996, 9.3 Simek 1990 [ERGA 4], 5.4 Simek 1990 [ERGA 4], 5.5 Simek 1990 [ERGA 4], 5.4


Luft sen<strong>den</strong>. 6 Wichtig ist, daß <strong>es</strong> die Vorstellung gibt und di<strong>es</strong>e in <strong>den</strong> Sagas zumAusdruck kommt. Da die g<strong>es</strong>ammelte Sagaliteratur für eine Analyse zu umfangreichgew<strong>es</strong>en wäre, mußten bei der Text<strong>aus</strong>wahl Einschränkungen vorgenommen wer<strong>den</strong>.Untersucht wur<strong>den</strong> schließlich die Íslendingasögur und –þættir, die Konungasögur,die Byskupasögur sowie die Sturlunga saga. Es handelt sich hierbei um einige derbekannt<strong>es</strong>ten Sagafamilien, die sich inhaltlich mit säkulären und geistlichen Themen<strong>aus</strong>einandersetzen und somit einen repräsentativen Querschnitt unterschiedlicherHandlungszeiträume und Lebensbereiche bil<strong>den</strong>. Sie sind weitgehend frei vonmärchenhaften Elementen, wie sie in <strong>den</strong> Fornaldarsögur häufig anzutreffen sindzählen nicht zur Übersetzungsliteratur wie die Riddarasögur.Einschränkungen mußten <strong>aus</strong> Kapazitätsgrün<strong>den</strong> auch beim zu untersuchen<strong>den</strong>Schmerz selbst gemacht wer<strong>den</strong>. Die vorliegende Analyse b<strong>es</strong>chäftigt sich mit einemTeilaspekt d<strong>es</strong> Schmerzspektrums, dem körperlichen Schmerz. Wir haben uns inunserer heutigen Zeit daran gewöhnt, Schmerz in eine körperliche und eine seelischeKomponente aufzuspalten. „Schuld“ daran haben nicht zuletzt die moderne Medizin,Biologie und Physiologie, indem <strong>es</strong> ihnen gelang, die physiologisch-neurologischenAbläufe d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> zu enträtseln. Im Grunde genommen gibt <strong>es</strong> di<strong>es</strong>e Trennungjedoch nicht, <strong>den</strong>n Schmerz findet immer im Kopf statt. Ganz gleich, ob der Bauchweh tut, der große Zeh oder die Seele: das Gefühl ist immer ein Produktentsprechender Hirnaktivität. Zwar könnte man dem entgegenhalten, daß Schmerzeine wichtige Schutzfunktion <strong>aus</strong>übt, indem er vor Verletzungen warnt und damitganz eindeutig rein körperlich <strong>aus</strong>gerichtet sein kann. Das mag für di<strong>es</strong>en einfachenFall zutreffen. Komplizierter wird <strong>es</strong> aber, wenn keine offensichtliche Ursacheerkennbar ist. Wie soll man z.B. <strong>den</strong> Phantomschmerz ein<strong>es</strong> Beinamputiertenkategorisieren? Das Bein fehlt vielleicht schon seit Jahren, doch tut <strong>es</strong> trotzdem weh.Und was ist mit psychosomatisch bedingten Schmerzzustän<strong>den</strong>, wie z.B.funktionellen Herzschmerzen? Die Symptome sind di<strong>es</strong>elben wie bei Anginapectoris, nur: das Herz ist g<strong>es</strong>und. Handelt <strong>es</strong> sich hier um körperlichen oderseelischen Schmerz? Tatsache ist, daß Körper und Seele miteinander inWechselwirkung stehen, so daß oftmals keine klare Grenze gezogen wer<strong>den</strong> kann.6 Und als sie ins Valfell kommen, scheint <strong>es</strong> ihnen, als ob eine Bogensehne auf dem Gebirgspaß gelleund als nächst<strong>es</strong> spürt Hermundr einen Stich unter dem Arm und heftigen Schmerz. (Ok er þeir komaútan í Valfell, þykkir þeim, sem strengr gjalli upp í skôrðin, ok því næst kennir Hermundr, at stingikemr undir hôndina ok œðiverkr, […].). Bandamanna saga, 360 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).Siehe auch Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 88.5


Andauernder seelischer Schmerz kann körperlich wer<strong>den</strong>, permanenter körperlicherSchmerz seelisch. Schwob kennt daher zwei Schmerzdefinitionen:Er [der Schmerz] ist eine einzigartige, individuelle, nicht übertragbare, nichtübersetzbare Empfindung, die jeder oder jede, der /die sie fühlt, stets (mitAusnahme der genetisch bedingten fehlen<strong>den</strong> Schmerzempfindung) undsofort als solche erkennt. Schmerz ist aber auch die G<strong>es</strong>amtheit allerkörperlichen, seelischen oder geistigen Phänomene, die als ‚unangenehm’,‚schmerzhaft’ oder ‚beängstigend’ empfun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. 7Man unterscheidet grob zwischen zwei Erscheinungsformen d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>. Demakuten Schmerz liegt meist ein handf<strong>es</strong>ter Anlaß zugrunde, z.B. eine Verletzung,eine Operation, eine schmerzhafte Krankheit. Er hat meist vorübergehen<strong>den</strong>Charakter. Chronischer Schmerz ist im Gegensatz dazu persistierend und läßt sichnicht unbedingt auf eine organische Ursache zurückführen. Mehr als die Hälfte derPatienten mit psychischen Störungen leidet unter chronischen Schmerzzustän<strong>den</strong>. 8Von ihrem W<strong>es</strong>en sind die bei<strong>den</strong> grundsätzlich verschie<strong>den</strong>. Während der akuteSchmerz das Symptom einer Krankheit darstellt, „ist der chronische Schmerz selbstdie Erkrankung.“ 9Die vorliegende Untersuchung widmet sich <strong>aus</strong>schließlich dem akuten,„körperlichen“ Schmerz. In Form ein<strong>es</strong> interdisziplinären Ansatz<strong>es</strong> wer<strong>den</strong> unterdem Blickwinkel der Philologie und der Medizin einzelne Aspekte d<strong>es</strong>Schmerzphänomens eingehender beleuchtet. Von b<strong>es</strong>onderem Inter<strong>es</strong>se sind dieHäufigkeit d<strong>es</strong> Themas Schmerz in christlich, bzw. nicht christlich geprägterSagaliteratur und das jeweils zugrundeliegende Schmerzverständnis. In di<strong>es</strong>emZusammenhang soll auch auf seine literarische Funktion näher eingegangen wer<strong>den</strong>.Der Schmerzbegriff verkr ist Gegenstand einer g<strong>es</strong>onderten Betrachtung, da ergleichzeitig auch als Krankheitsname fungiert.G<strong>es</strong>chlechts- und Altersunterschiede im Schmerzg<strong>es</strong>chehen fin<strong>den</strong> nur alsNebenaspekt Berücksichtigung. Die untersuchte Literatur wird in so großem Umfangdurch das nordische Männlichkeitsideal dominiert, daß Schmerz bei Frauen,Jugendlichen und Kindern einen im Vergleich verschwin<strong>den</strong>d geringen Bruchteil<strong>aus</strong>macht. Eine größere Zahl verwertbarer Textstellen findet sich jedoch bei <strong>den</strong>7 Schwob 1999, 100.8 Schwob 1999, 78.9 Schwob 1999, 74.6


Byskupasögur. Auf di<strong>es</strong>e B<strong>es</strong>onderheit wird im Rahmen der Untersuchung di<strong>es</strong>erSagagruppe kurz eingegangen.Eine Analyse d<strong>es</strong> mehrdimensionalen Schmerzphänomens bedarf einer gewissentheoretischen Basis. Neben physiologischen und psychologischen Grundlagen d<strong>es</strong>Schmerz<strong>es</strong> sind Kenntnisse über G<strong>es</strong>ellschaftsstrukturen der mittelalterlichenisländischen G<strong>es</strong>ellschaft erforderlich. Auch historische, politische und religiöseZusammenhänge beeinflussen die Kultur ein<strong>es</strong> Volk<strong>es</strong> und damit d<strong>es</strong>sen Einstellungzum Schmerz. Im Eingangsteil di<strong>es</strong>er Arbeit wird auf di<strong>es</strong>e Punkte nähereingegangen.Den Sagas als Untersuchungsgegenstand wird ebenfalls ein Kapitel gewidmet.Hierdurch soll auch der skandinavistisch nicht vorgebildete L<strong>es</strong>er in die Lageversetzt wer<strong>den</strong>, sich ein Bild über die Entstehung und Entwicklung derSchreibkultur auf Island zu machen. Basiswissen im Bereich Sagaliteratur ist für dasgrundlegende Verständnis di<strong>es</strong>er Arbeit unverzichtbar.Alle nicht englischsprachigen Zitate wer<strong>den</strong> übersetzt, um die Verständlichkeit d<strong>es</strong>Text<strong>es</strong> zu erleichtern. Belegstellen der Sagaliteratur stellen dabei ein b<strong>es</strong>onder<strong>es</strong>Problem dar. „Handelsübliche“ Übersetzungen sind für die Zwecke di<strong>es</strong>erUntersuchung ungeeignet. Der für deutsch<strong>es</strong> Sprachempfin<strong>den</strong> fremdartige Satzbauund die teilweise umständliche Ausdrucksweise der Sagas wären unbearbeitet eineZumutung für <strong>den</strong> L<strong>es</strong>er. Di<strong>es</strong>em Umstand müssen kommerzielle Übersetzungendurch entsprechende Angleichungen Rechnung tragen. Bei <strong>den</strong> in di<strong>es</strong>er Arbeitverwendeten Zitaten kommt <strong>es</strong> aber gerade auf Originaltreue an:Man wird dabei oft von einer ‚eleganten’ Übersetzung gar nicht erbaut sein,weil – von interpretatorischer Unschärfe abg<strong>es</strong>ehen – z.B. andere Wortartenverwendet sind als im Original, die sog. genauen Wortentsprechungen alsohäufig fehlen. 10Aus di<strong>es</strong>em Grund wird bewußt auf Stilangleichungen soweit <strong>es</strong> geht verzichtet undstatt d<strong>es</strong>sen wortwörtlich ins Deutsche übertragen. Auf di<strong>es</strong>e Weise wird eine b<strong>es</strong>sereVergleichbarkeit mit dem Original gewährleistet, was für die Zwecke di<strong>es</strong>er Arbeitam dienlichsten ist. Die isländische Schreibweise von Namen und Orten wirdbeibehalten, jedoch wer<strong>den</strong> deutsche Beugungsregeln angewendet, z.B. Þorbjôrn(Nominativ), Þorbjôrns (Genitiv) statt richtig: Þorbjarnar.10 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 37.7


Wenn beim Zitieren auf nicht normalisierte Ausgaben zurückgegriffen wurde, erklärtsich die bisweilen unterschiedliche Orthographie der altnordischen Zitate <strong>aus</strong> <strong>den</strong> abdem frühen 13. Jahrhundert zunehmend stattfin<strong>den</strong><strong>den</strong> phonemischen undorthographischen Vereinfachungen. 11 Vor allem im Vokalbereich sind großeUnterschiede zu konstatieren. Beispielsweise entwickelten sich die verschie<strong>den</strong>enSchreibweisen d<strong>es</strong> ö-Laut<strong>es</strong> „o, ô“ und „Ó u.a. zu „ö“, bzw. „Í“. 12 Je nach Alter derHandschrift wird mal die eine, mal die andere Schreibweise verwendet.Die Schreibweise sämtlicher Titelangaben orientiert sich am Prosawörterbuch derArnamagnaeanischen Komission, auch wenn die normalisierten isländischenAusgaben von Íslenzk fornrit verwendet wur<strong>den</strong>.Das Literaturverzeichnis ist nach dem isländischen Alphabet <strong>aus</strong>gerichtet und folgtim Aufbau dem Wörterbuch zur Altnordischen Prosaliteratur von Walter Baetke: „a,á, b, d, ð, e, é, f, g, h, i, í, j, k, l, m, n, o, ó, p, r, s, t, u, ú, v, x, y, ý, þ, æ, œ, ô, ø.“ Dieim isländischen Alphabet nicht enthaltenen Buchstaben „c, q, w, z“ erscheinengemäß <strong>den</strong> Regeln d<strong>es</strong> deutschen Alphabet<strong>es</strong> an entsprechender Stelle, wobei „z“ vor„þ“ steht.11 Hreinn Benediktsson 1965, 62 ff.12 Hreinn Benediktsson 1965, 69.8


3 Die Phänomenologie d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> – Ausgewählte Aspekte mitBeispielen <strong>aus</strong> der Sagaliteratur3.1 Einleitende Bemerkungen„Schmerz ist ein unangenehm<strong>es</strong> Sinn<strong>es</strong>- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oderpotentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchenSchädigung b<strong>es</strong>chrieben wird.“ 13 Mit di<strong>es</strong>en Worten charakterisiert die renommierteInternational Association for the Study of Pain „di<strong>es</strong>e ält<strong>es</strong>te und persönlichstemenschliche Erfahrung.“ 14 Es ist nicht die erste und wahrscheinlich auch nicht dieletzte Definition ein<strong>es</strong> Phänomens, das einer einheitlichen Begriffsb<strong>es</strong>timmung nursehr schwer zugänglich ist. Der reine Sinn<strong>es</strong>eindruck als R<strong>es</strong>ultat ein<strong>es</strong> im Gehirnverarbeiteten Nervenimpuls<strong>es</strong> ist immer an ein begleitend<strong>es</strong> Gefühlserlebnisgekoppelt, welch<strong>es</strong> wiederum das Schmerzverhalten steuert. Die Intensität d<strong>es</strong>Schmerz<strong>es</strong>, die ihn begleiten<strong>den</strong> Gefühle und das r<strong>es</strong>ultierende Verhalten stehenunter dem Einfluß einer Unzahl modifizierender Variablen. Von Bedeutung sindneben individuellen auch soziale und kulturelle Faktoren. Was letztlich als Schmerzim Sinne obiger Definition empfun<strong>den</strong> wird, ist überdi<strong>es</strong> stark situationsabhängig.Di<strong>es</strong> wird z.B. an seiner verwandtschaftlichen Beziehung zur Sexualität ersichtlich.Was im Rahmen sexueller Praktiken von manchen als lustvoll empfun<strong>den</strong> wird, löstbei anderen wiederum <strong>aus</strong>schließlich unangenehme Gefühle <strong>aus</strong>. Gleichzeitig spielenfür das Individuum auch die Begleitumstände eine große Rolle. Am Beispiel derGrettis saga wird deutlich, daß die Bl<strong>es</strong>suren einer Schlägerei mal als b<strong>es</strong>chwerlich,mal als unterhaltsam empfun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>:G<strong>es</strong>tr war danach sowohl steif als auch erschöpft und lag lange dort auf derKlippe. Als <strong>es</strong> hell wurde, ging er schließlich nach H<strong>aus</strong>e und legte sich insBett; er war überall g<strong>es</strong>chwollen und blau.(Anmerkung: Grettir nennt sich in di<strong>es</strong>em Abschnitt der Saga G<strong>es</strong>tr, um nichterkannt zu wer<strong>den</strong>). 15Grettir griff mit der <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>treckten Hand nach hinten über Þórdrs Rücken undergriff auf di<strong>es</strong>e Weise seine Hose und zog ruckartig seine Beine hoch undwarf ihn über seinen Kopf nach hinten, so daß er auf <strong>den</strong> Schultern landete13 IASP 1994, 217.14 Morris 1996, 58.15 G<strong>es</strong>turinn var þá bæði stirðr ok móðr ok lá þar lengi á hamrinum. Gekk hann þá heim, er lýsa tók,ok lagðisk í rekkju; hann var allr þrútinn ok blár. Grettis saga Ásmundarsonar, 213 (Guðni Jónsson1936 [ÍF 7]).9


und das war ein sehr heftiger Fall. Da sagten die Leute, daß beide Brüderschnell hinzugehen sollten und so wurde <strong>es</strong> gemacht. Darauf gab <strong>es</strong> einengewaltigen Ringkampf und bald war der eine, bald der andere stärker unddoch hatte Grettir immer einen von bei<strong>den</strong> unter sich und sie fielenabwechselnd auf die Knie oder wur<strong>den</strong> von dem anderen zu Bo<strong>den</strong> geworfen.So hart ging <strong>es</strong> zu, daß sie überall blau und blutig waren. Allen bereitete di<strong>es</strong>größt<strong>es</strong> Vergnügen. 16Das Erlebnis Schmerz ist Privatsache d<strong>es</strong> betroffenen Individuums. Außenstehendehaben nicht die Möglichkeit, an di<strong>es</strong>er Erfahrung teilzuhaben. Der AnblickLei<strong>den</strong>der löst zwar „Mit-Leid” <strong>aus</strong>, doch di<strong>es</strong><strong>es</strong> basiert immer auf <strong>den</strong> jeweiligenindividuellen Schmerzerfahrungen, die sich nicht mit <strong>den</strong>en d<strong>es</strong> Betroffenen decken.Aus di<strong>es</strong>em Grund ist <strong>es</strong> unmöglich, <strong>den</strong> Schmerz Anderer im Detail nachzufühlen.Ob jemand Schmerz erleidet, ist für Außenstehende nur erkennbar, indem er di<strong>es</strong>verbal, durch G<strong>es</strong>tik oder Mimik zum Ausdruck bringt. Inwieweit Schmerzverhaltenjedoch kulturell akzeptiert oder sogar erwünscht ist, ist eine andere Sache.Schiefenhövel untersucht in einer soziologischen Studie das Schmerzverhalten derEipo, einem Eingeborenenstamm im Hochland von W<strong>es</strong>t-Neuguinea. Von Kindheitan üben sich die Eipo im Ertragen von Schmerz, indem sie sich kleinereVerletzungen zufügen. Wun<strong>den</strong> <strong>aus</strong> kriegerischen Auseinandersetzungen ertragen sieerstaunlich gleichmütig. Schiefenhövel zieht dar<strong>aus</strong> <strong>den</strong> Schluß, Schmerztoleranz seitrainierbar. 17 Generell scheinen Mann<strong>es</strong>ehre und Ertüchtigung im Ertragen vonSchmerz f<strong>es</strong>te B<strong>es</strong>tandteile kriegerischer Kulturen zu sein. In schwerpunktmäßiglandwirtschaftlich <strong>aus</strong>gerichteten G<strong>es</strong>ellschaften ist das Zeigen von Schmerzhingegen kein<strong>es</strong>wegs unakzeptabel. 18 Auch die Isländer der untersuchten Sagasstehen zu einem nicht unerheblichen Teil in der kriegerischen Tradition derWikinger. Das gilt vor allem für die Hel<strong>den</strong> der Íslendingasögur. Di<strong>es</strong>e spielenzwischen 870 und 1030 und damit genau in der Wikingerzeit. Es erscheint dahernicht verwunderlich, wenn Sagahel<strong>den</strong>, die dem nordischen Männlichkeitsidealverpflichtet sind, Schmerz meist nicht nur verschweigen, sondern ihn sogarverlachen:16 Grettir seildisk aptr yfir bak Þórði ok tók svá í brœkrnar ok kippði upp fótunum ok kastaði honumaptr yfir hôfuð sér, svá at hann kom at herðum niðr, ok varð þat allmikit fall. Þá mæltu menn, at þeirskyldi fara til báðir brœðrnir senn, ok svá var gôrt. Þá urðu allmiklar sviptingar, ok máttu ýmsir betr,en þó hafði Grettir ávallt annanhvárn undir, en ýmsir fóru á kné eða slyðrur fyrir ôðrum. Svá tókuskþeir fast á, at hvervetna var blátt ok blóðrisa. Ôllum þótti at þ<strong>es</strong>su in m<strong>es</strong>ta skemmtun. Grettis sagaÁsmundarsonar, 235 f. (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).17 Schiefenhövel 1980, 227.18 Jensen 1933, 73.10


Da stachen sie alle nach ihm fünf Mal und alle Stiche verursachtenHohlwun<strong>den</strong>. Danach hieb Óttar Bischofsverwandter auf Bjôrns Hals. Er ließdort sein Leben und sie berichteten <strong>es</strong> so, daß er lachend starb. 19Ohne Zweifel erleidet Björn keinen schmerzlosen Tod. Durch Lachen gibt er sichseinen Gegnern gegenüber demonstrativ schmerzunempfindlich, da er als Heldsterbend keinerlei Schwäche in Form von Schmerz zeigen will. Das Lachen dientdazu, die Feinde zu verhöhnen.3.2 Die physiologisch-anatomischen Grundlagen d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>Schmerz findet im Kopf statt. Hier wer<strong>den</strong> die Nervenimpulse der Peripherieverarbeitet und die Empfindung Schmerz generiert. Die anatomischen Strukturen d<strong>es</strong>Körpers, die in der Lage sind, (potentiell) gewebsschädigende Einwirkungen auf <strong>den</strong>Körper zu registrieren und weiterzuleiten, wer<strong>den</strong> Nozizeptoren genannt. Es handeltsich um hochspezialisierte Nervenen<strong>den</strong> (Rezeptoren), die Sinn<strong>es</strong>reize in elektrischeSignale verwandeln können. Nozizeptoren befin<strong>den</strong> sich praktisch überall im Körperund reagieren auf thermische, mechanische und chemische Reize. Per Nervenleitungsen<strong>den</strong> sie ihre Informationen als elektrische Impulse an das Rückenmark. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> istTeil d<strong>es</strong> Zentralen Nervensystems und fungiert als Relaisstation der Nervenleitungvom und zum Gehirn. Im Querschnitt hat das Zentrum d<strong>es</strong> Rückenmarks dasAussehen ein<strong>es</strong> grauen Schmetterlings. Hier befin<strong>den</strong> sich hauptsächlich dieZellkörper der Nervenzellen. Wie die Arme von Kraken schicken sie ihreZellfortsätze in die Peripherie. Di<strong>es</strong>e „Krakenarme“ (Axone) stellen die landläufigals „Nerven“ bekannten Strukturen dar. Die schmetterlingsförmige „graue Substanz“wird aufgrund ihr<strong>es</strong> Aussehens auf jeder Seite in ein Vorderhorn (Vordersäule),Mittelfeld mit Seitenhorn sowie ein Hinterhorn (Hintersäule) unterteilt. DasHinterhorn bildet eine erste Filterstation für die peripheren Schmerzreize, <strong>den</strong>n nichtalle dürfen zum Gehirn passieren. So je<strong>den</strong>falls b<strong>es</strong>agt <strong>es</strong> die bereits Mitte der 60’erJahre von Melzack und Wall aufg<strong>es</strong>tellte „Gate Control Theory“. 20 Trotz ihrermittlerweile fast 40 Jahre ist sie immer noch das umfassendste und relevant<strong>es</strong>teSchmerzmodell für das Verständnis kognitiver Schmerzaspekte. Nach der GateControl Theory wer<strong>den</strong> Impulse von Nozizeptoren erst ab einer gewissen Stärke19 Þá lÄgðu þeir til hans fimm senn, ok gengu þau lÄg Äll á hol. Eptir þat hjó Óttar biskupsfrændi áháls Birni. Lét hann þar líf sit, ok sÄgðu þeir svá, at hann dæi hlæjandi. Þórðar saga kakala, 47(Kålund 1906-1911 (2)).20 Melzack & Wall 1965.11


durchgelassen. Auf di<strong>es</strong>e Weise wird die „Schmerzschwelle“ heraufg<strong>es</strong>etzt, was <strong>den</strong>Vorteil hat, daß nicht jeder geringfügige Umweltkontakt bereits mit Schmerzverbun<strong>den</strong> ist. Mit Hilfe di<strong>es</strong>er Theorie lassen sich überdi<strong>es</strong> verschie<strong>den</strong>e Phänomened<strong>es</strong> Schmerzg<strong>es</strong>chehens erklären. Beispielweise, warum Schmerz abnimmt, wennman mit der Hand eine schmerzhafte Körperstelle reibt, wie Spür-Helgi in der Gíslasaga Súrssonar: „Er sagte, er fühle sich nicht b<strong>es</strong>onders wohl und seufzte und strichsich über <strong>den</strong> Schädel.” 21 Durch di<strong>es</strong>e Handlung wer<strong>den</strong> wiederum andereNervenfasern aktiviert, die die Schmerzleitung im Hinterhorn blockieren.Schmerztherapie mittels Reizstrom (TENS = Transkutane Elektro NeuraleStimulation) funktioniert nach demselben Prinzip.Das „Gate“ im Hinterhorn ist nicht das einzige hemmende System im ZentralenNervensystem. Auch vom Gehirn ziehen Bahnen zum Zwecke der Impulshemmungins Hinterhorn. 22 Im Gehirn selbst b<strong>es</strong>tehen vielfältige neuronale Verschaltungendiverser Zentren in Hirnstamm und Großhirn, die alle der Schmerzmodulationdienen. Ihre Interaktion b<strong>es</strong>chränkt sich zudem nicht nur darauf, Signale zuunterdrücken. Schmerz kann über di<strong>es</strong>e Bahnen auch verstärkt wer<strong>den</strong>. 23 Eine derwichtigsten Schaltstellen ist der im Zwischenhirn gelegene Thalamus („Sehhügel“).Als Türhüter d<strong>es</strong> Bewußtseins laufen hier alle Umweltinformationen zusammen,wer<strong>den</strong> gefiltert und dürfen bei entsprechender Bedeutsamkeit ins Bewußtseinpassieren. Das Bewußtsein wird komplett vom Thalamus g<strong>es</strong>teuert. Wie empfindlichdi<strong>es</strong><strong>es</strong> System reagiert, läßt sich daran erm<strong>es</strong>sen, daß wir auch im dicht<strong>es</strong>tenStimmengewirr einer Party sofort aufhorchen, wenn unser Name irgendwo fällt.Ähnlich verhält <strong>es</strong> sich mit der Schmerzleitung. Damit ein peripherer Reiz alsSchmerz wahrgenommen wird, muß er <strong>den</strong> Thalamus passieren. Dabei kann <strong>es</strong>vorkommen, daß <strong>aus</strong> unterschiedlichen Grün<strong>den</strong> anderen Informationen Vorzuggewährt wird, so daß er nicht ins Bewußtsein vordringen kann. Der Schmerz wirdinfolged<strong>es</strong>sen nicht bewußt empfun<strong>den</strong>.Schmerz ist letztlich das R<strong>es</strong>ultat <strong>aus</strong> dem Zusammenspiel der diversenSchmerzzentren d<strong>es</strong> Gehirns. Der überwiegende Teil d<strong>es</strong> Schmerzempfin<strong>den</strong>s findet21 Hann kvað sér vera ekki einkar skjallt ok blés við ok strauk höfuðbeinin. Gísla saga Súrssonar, 79f. (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).22 Reynolds 1969; Mayer & al. 1971; Mayer & Price 1976.23 Fields 1992; Zhuo & Gebhart 1992; Urban & Gebhart 1997.12


im Frontalhirn statt, wie man aufgrund neurochirurgischer Operationserfahrung 24 undbildgebender Verfahren 25 weiß. Hier liegt der Hauptort für die Reizverarbeitung inder Großhirnrinde, auch als „somatosensorischer Cortex“ bezeichnet. Im Frontalhirnsind Schmerzerinnerungen und Erfahrungen g<strong>es</strong>peichert, die dem Stimulus einepersönliche Färbung verleihen und die emotionale Komponente d<strong>es</strong>Schmerzempfin<strong>den</strong>s maßgeblich b<strong>es</strong>timmen. Neuerdings glaubt man auch, daß derHirnstamm eine Rolle für das emotionale Verhalten spielt. 26 Es gibt noch eine ganzeReihe anderer Strukturen und Verschaltungen im Dienste der Schmerzverarbeitung,auf die an di<strong>es</strong>er Stelle aber nicht näher eingegangen wer<strong>den</strong> soll.3.3 SchmerzverhaltenDie Funktion d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> b<strong>es</strong>teht im Schutz d<strong>es</strong> Körpers vor Verletzungen. Beidrohendem Geweb<strong>es</strong>cha<strong>den</strong> wird eine charakteristische stereotype Reaktion<strong>aus</strong>gelöst: das Schmerzverhalten. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> b<strong>es</strong>teht in Strategien zur Reduktion vonSchmerz oder <strong>den</strong> Konsequenzen einer Verletzung. 27 Die simpelste Variante b<strong>es</strong>tehtin reflexartigem Zurückweichen vor der Gefahrenquelle. Gleichzeitig findet einLernprozeß statt, dem künftig<strong>es</strong> Vermeidungsverhalten folgt. Wer einmal auf eineheiße Herdplatte gefaßt hat, wird di<strong>es</strong> nicht wieder tun. Ohne di<strong>es</strong>e Schutzfunktionwür<strong>den</strong> wir uns auf Dauer selbst verstümmeln. Menschen, die ohne intakt<strong>es</strong>Schmerzempfin<strong>den</strong> geboren wer<strong>den</strong>, sterben oft in jungen Jahren an Verletzungen,die sie sich <strong>aus</strong> Unachtsamkeit zuziehen. 28Schmerzverhalten b<strong>es</strong>teht typischerweise <strong>aus</strong> folgen<strong>den</strong> Elementen: Zeichen derAgitation (Vokalisation), koordinierten Fluchtbewegungen (z.B. Wegziehen derHand von der heißen Herdplatte), dem Versuch, <strong>den</strong> Stimulus abzuschwächen(z.B. Reiben der verletzten Stelle). 29 Ein Beispiel für typisch<strong>es</strong> Schmerzverhalten inder untersuchten Sagaliteratur entstammt der älteren Saga über Bischof Jón. Hierwird g<strong>es</strong>childert, wie der Pri<strong>es</strong>ter Þorgeirr beim Schreiben aufgrund einer plötzlichenSchmerzattacke vom Stuhl fällt:24 Freeman & Watts 1942; 1946.25 Yaksh 1999, 287.26 Franklin 1989; Bandler, Carrive & Zhang 1991; Bandler & Shipley 1994; Bandler & Keay 1996;Bellgowan & Helmstetter 1998.27 Turk & Flor 1987.28 Morris 1996, 25.29 Yaksh 1999, 253.13


Um di<strong>es</strong>e Zeit ereignete sich außerdem di<strong>es</strong>e Sache in Hólar, daß der Pri<strong>es</strong>ter,der Þorgeirr hieß und ein hervorragender Schreiber war, ein<strong>es</strong> Tag<strong>es</strong>, als erbeim Schreiben saß, ganz überraschend von der Schreibarbeit fiel und er warvollständig steif und voller Schmerz, daß er kein Glied rühren konnte, bis aufdie Beine unterhalb d<strong>es</strong> Kni<strong>es</strong>. Und als die Leute, die dabei waren, <strong>es</strong> ihmetwas bequemer machen wollten und versuchten, ihn zu berühren, da schreiter laut und bittet sie, das nicht zu tun, sagt, daß <strong>es</strong> sich anfühlt, als müsse erganz zerbrechen, wenn sie ihn anfaßten. 30Was letztlich Þorgeirrs Zustand verursacht, ist nur schwer zu sagen. Möglicherweiseerleidet er einen Bandscheibenvorfall, wobei jedoch das <strong>aus</strong>lösende Moment unklarbleibt. Er nimmt eine Körperstellung ein, bei der er am wenigsten unter demSchmerz zu lei<strong>den</strong> hat. Als die Leute ihm zu Hilfe kommen wollen und ihn anfassen,schreit er vor Schmerz auf. Ihr Herbeieilen macht deutlich, daß sein Verhalten fürAußenstehende sofort als Schmerzverhalten erkennbar wird. 31 Zusätzlich verbalisierter seine Gefühle und gibt ihnen zu verstehen, daß er fürchtet zu zerbrechen, wenn sieihn berühren. Eine koordinierte Fluchtbewegung kann logischerweise nichtbeobachtet wer<strong>den</strong>, da <strong>es</strong> sich nicht um ein vermeidbar<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chehen handelt.Dahingegen ist der Fluchtreflex ein wichtig<strong>es</strong> Thema in der Jómsvíkinga saga. DieWikinger wer<strong>den</strong> gefangengenommen und der Reihe nach hingerichtet. Um ihrenMut zu demonstrieren, machen sie ein „wissenschaftlich<strong>es</strong>“ Experiment. Sieprobieren im Tod unterschiedliche Dinge <strong>aus</strong>, die sie schon immer inter<strong>es</strong>siert haben,z.B., ob man noch ein M<strong>es</strong>ser halten kann, wenn einem der Kopf abg<strong>es</strong>chlagen wird.Der neunte Delinquent möchte mit der Axt direkt ins G<strong>es</strong>icht g<strong>es</strong>chlagen wer<strong>den</strong>, umher<strong>aus</strong>zufin<strong>den</strong>, ob er dabei zuckt:Und ich wollte, daß du mir gewährst, daß ich nicht wie ein Schaf zurSchlachtbank geführt werde, lieber will ich dir gegenüber sitzen und ich will,daß du von vorne auf mich zugehst und mir ins G<strong>es</strong>icht schlägst und genaudarauf acht<strong>es</strong>t, ob ich zusammenzucke, weil wir Jómswikinger oft diskutierthaben, ob man sich etwas anmerken läßt, wenn man ins G<strong>es</strong>icht g<strong>es</strong>chlagenwird. Þorkell tut, worum er bat. Er sitzt ihm nun gegenüber und Þorkellschlägt ihm direkt ins G<strong>es</strong>icht. So wird g<strong>es</strong>agt, daß sie ihn nichtzusammenzucken sahen, bis auf <strong>den</strong> Moment als ihm der Tod in die Augen30 Í þetta mund varð sá hlutr enn at staðnum at Hólum, at pr<strong>es</strong>tr sá, er Þorgeirr hèt, inn bezti ritari: þáeinn dag, er hann sat at riti, þá með voveifligum atburð fèll hann f[r]á ritinu, ok var svá [stirðr ok sárrallr, at hann mátti [engan lim hræra á sér, nema fæturna firir neðan knè; ok er menn vildu leita honumnokkurra hægenda, þeir er hjá voru, ok freista at hræra hann, þá kallar hann hátt ok biðr þá eigi þatgjöra; kvezt svá þikkja, sem hann mundi allr lemjast, ef þeir tæki nokkur á honum. Jóns biskups saga,hin elzta, 191 (Jón Sigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).31 Vgl. Craig 1999, 336.14


fuhr, da ziehen sich die Augen zusammen, wie <strong>es</strong> oft g<strong>es</strong>chehen kann, wennLeute sterben. 32Indem er keinen Fluchtreflex zeigt, demonstriert er eindrucksvoll seinen Mut.Zusammenzucken würde bedeuten, daß er <strong>den</strong> Schmerz d<strong>es</strong> Schlag<strong>es</strong> antizipiert undzu vermei<strong>den</strong> sucht. Di<strong>es</strong>e mangelnde Schmerzr<strong>es</strong>istenz würde ihm als Feigheit<strong>aus</strong>gelegt mit dem R<strong>es</strong>ultat d<strong>es</strong> Statusverlust<strong>es</strong>.Schmerzverhalten ist konditioniert<strong>es</strong> Verhalten. Mit anderen Worten, jeder hat aufseine Art gelernt, Schmerz eine b<strong>es</strong>timmte Bedeutung zuzuweisen. Es ist somit dasR<strong>es</strong>ultat <strong>aus</strong> individuellen persönlichen Erfahrungen und Strategien im Umgang mitSchmerz. Der Schmerzimpuls durchläuft die Filter Erfahrung (Erinnerung),Erwartung und Motivation und erzeugt eine persönlich gefärbte Schmerzreaktion d<strong>es</strong>Individuums. Durch Modulation einzelner di<strong>es</strong>er Komponenten ist also auch dasr<strong>es</strong>ultierende Verhalten veränderbar und läßt sich im Ausnahmefall sogar ganzabtrainieren. 33 Auch der umgekehrte Fall ist möglich. Durch mentale Verknüpfungvon leichten Reizen mit Verhaltensmustern für starke Schmerzen läßt sich auch beigeringem Schmerz <strong>aus</strong>geprägt<strong>es</strong> Schmerzverhalten beobachten. 34 Zudem spielt dieInteraktion mit der Umgebung eine Rolle und beeinflußt das gezeigte Verhalten. 35Die her<strong>aus</strong>ragende Stellung der Psyche bei di<strong>es</strong>en Vorgängen ist bekannt. 36 Vorallem depr<strong>es</strong>sive Stimmung 37 und Ängstlichkeit 38 verstärken die Reaktion aufschmerzhafte Stimuli, wohingegen positiv<strong>es</strong> Denken das Gegenteil bewirkt. 393.4 EntzündungsschmerzEntzündung ist eine der häufigsten Ursachen für Schmerz, da sie nicht nur durchMikroorganismen hervorgerufen wird, sondern auch ganz normaler B<strong>es</strong>tandteil der32 […]; en þat uillda ek at þu ueittir mer at ek se æigi þann ueg leiddr til h¹ggs sem saudr helldr uil eksitia firir ok uil ek at þu gangir at mer framan ok hoggir j andlit mer ok hygg at uandliga huort ekbl<strong>aus</strong>kra nokkut vit. þuiat ver h¹fum oft vm rætt Jomsuikingar huort madr munde nokkut bregda servit ef h¹git væri j andlit honum. Þorkell gerir sem hann bat. hann sitr nu firir en Þorkell h¹ggr framanj andlit honum. Sua er sagt at þeir si hann ekki bl¹skra vid nema þa er daudi færdizt j ¹gu honum þadregr saman ¹gun sem oft kann verda þa er menn andazst. Jómsvíkinga saga , 198 (GuðbrandurVigfússon & Unger 1860).33 Yaksh 1999, 286.34 Yaksh 1999, 254.35 Craig 1999, 340.36 Vgl. auch Wall 1999, 1419 ff.37 Kremer, Block & Atkinson 1983; Turner & Romano 1984; Romano & Turner 1985.38 Beecher 1969; Katon 1984.39 Yaksh 1999, 286.15


physiologischen Wundheilung ist. Unter <strong>den</strong> klassischen Entzündungszeichenbefindet sich auch Schmerz: Rubor (Rötung), Calor (Wärme), Dolor (Schmerz),Tumor (G<strong>es</strong>chwulst) und Funktio la<strong>es</strong>ia (Funktionsstörung). 40 Auch in di<strong>es</strong>emZusammenhang erfüllt er eine Schutzfunktion, indem er Schonung d<strong>es</strong> betroffenenKörperteils erzwingt und dadurch verhindert, daß bereits g<strong>es</strong>chädigt<strong>es</strong> Gewebezusätzlich traumatisiert wird. Auf di<strong>es</strong>e Weise erhalten die Reparaturmechanismend<strong>es</strong> Körpers Gelegenheit, <strong>den</strong> Scha<strong>den</strong> zu beheben. Die Ruhigstellung bewirktSchmerzlosigkeit, was mit <strong>den</strong> chemischen Abläufen vor Ort zusammenhängt. Imentzündeten Gebiet wer<strong>den</strong> b<strong>es</strong>timmte Substanzen freig<strong>es</strong>etzt (Bradykinin,Prostaglandin, etc.), die einerseits zur Heilung beitragen, andererseits aber auch dieNozizeptoren sensibilisieren. Aus di<strong>es</strong>em Grund sind schon geringe Berührungenoder Bewegungen schmerzhaft. 41 Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen wird als Hyperalg<strong>es</strong>iebezeichnet. Wird der entzündete Bereich nicht beansprucht, herrschtSchmerzlosigkeit. Kommt <strong>es</strong> zu wiederholter Reizung der verletzten oderentzündeten Stelle, wird der Entzündungsprozeß durch zusätzlich freig<strong>es</strong>etzteNeurotransmitter g<strong>es</strong>teigert. 42 Es handelt sich um eine Neurogene Entzündung. 43Entzündungsschmerz spielt in <strong>den</strong> Sagas eine große Rolle und wird hauptsächlichvertreten durch das Wort verkr. 443.5 Modulationsmöglichkeiten der SchmerzempfindungDer menschliche Körper verfügt über ein vielfältig<strong>es</strong> Instrumentarium umSchmerzreize zu blockieren, abzuschwächen oder gar zu verstärken. Es handelt sichhierbei teils um spezielle neuronale Strukturen, teils um Gewebshormone undkörpereigene Opiate (Endorphine). Ihr Zusammenspiel ist über<strong>aus</strong> vielschichtig underst ansatzweise erforscht. Es folgt ein kurzer Überblick <strong>aus</strong>gewählter Aspekte d<strong>es</strong>aktuellen Forschungsstand<strong>es</strong>, um die Komplexität di<strong>es</strong><strong>es</strong> Themas zu verdeutlichen.Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich <strong>aus</strong> dem Problem der „schmerzlosenVerletzung“. An vielen Stellen der untersuchten Sagaliteratur erlei<strong>den</strong> diehandeln<strong>den</strong> Personen schwere Verletzungen, ohne daß der zu erwartende40 Riede & Schaefer 1993, 209 f.41 Cervero 1995; Perl 1996.42 Lembeck & Holzer 1979; Holzer 1988; Maggi & Meli 1988.43 Lynn 1996.44 Vgl. auch Kap. 10.216


Begleitschmerz auch nur mit einem Wort erwähnt würde. Zwar ergeben sichvereinzelte Hinweise, daß Wun<strong>den</strong> im allgemeinen schmerzhaft sind, doch darf indi<strong>es</strong>em Zusammenhang eine Untersuchung von Beecher nicht außer Acht gelassenwer<strong>den</strong>. Im Jahre 1946 veröffentlichte er seinen viel beachteten Artikel „Pain in MenWounded in Battle“ über seine Beobachtungen bei verwundeten Frontsoldaten d<strong>es</strong>2. Weltkrieg<strong>es</strong>. 45 Er stellte f<strong>es</strong>t, daß eine große Anzahl der in der Schlacht Versehrtenerstaunlich wenig über Schmerz klagte. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen interpretierte erdahingehend, daß der Schmerz von der Erleichterung überlagert sein müsse, derunmittelbaren Lebensgefahr im Schützengraben entkommen zu sein. DieBeobachtungen ließen sich in einer weiteren Untersuchung Beechers reproduzieren:„The inci<strong>den</strong>ce of severe pain was surprisingly low” 46 ist eine der Haupt<strong>aus</strong>sagendi<strong>es</strong>er Publikation. Möglicherweise läßt sich Beechers Beobachtung zu einem großenTeil auf die Ausschüttung körpereigener Opiate in extremen Streßsituationenzurückführen. 47 Unterdrückung von Schmerz ist in di<strong>es</strong>en Situationen sinnvoll, um<strong>den</strong> Körper bei Flucht oder Kampf nicht zu behindern. Die schmerzlinderndeWirkung d<strong>es</strong> Opiums ist zwar seit dem Alterum bekannt, doch erst vor wenigenJahrzehnten gelang <strong>es</strong> der Molekularbiologie, <strong>den</strong> Nachweis körpereigener Opiate(Endorphine und Enkephaline) und der dazugehörigen Rezeptoren zu führen. Manfand her<strong>aus</strong>, daß Opioidrezeptoren nicht nur im g<strong>es</strong>amten Körper vorkommen,sondern auch vermehrt in <strong>den</strong> Schmerzzentren: im Hinterhorn d<strong>es</strong> Rückenmark<strong>es</strong>, imThalamus und im Limbischem System. 48 Hier<strong>aus</strong> folgerte man, daß Opioide einebedeutende Rolle für die Schmerzmodulation durch Rückenmark und Thalamusspielen müssen. Mittlerweile wurde eine Reihe verschie<strong>den</strong>er Endorphinvariantenund Rezeptor-Untertypen entdeckt. Ihr Zusammenspiel innerhalb d<strong>es</strong>Schmerzg<strong>es</strong>chehens ist bislang jedoch noch nicht <strong>aus</strong>reichend erforscht. Klar istlediglich, daß sie in gewissen Situationen in der Lage sind, Schmerz zuunterdrücken. 49Wichtige Bedeutung unter <strong>den</strong> anatomischen Strukturen kommt dem Hinterhorn d<strong>es</strong>Rückenmarks zu. Mittlerweile weiß man, daß hier die Reizverarbeitung nicht45 Beecher 1946.46 Beecher 1952, 27.47 Van der Kolk & al.1989; Pitman & al. 1990.48 Schwob 1999, 41.49 Yaksh 1999, 266.17


statisch, sondern dynamisch erfolgt. Ein und derselbe Reiz kann somitunterschiedliche Qualitäten annehmen und sowohl schmerzhaft als auch schmerzlossein. Sogar normalerweise schmerzlose Reize können hier vielfache Verstärkungerfahren, so daß sie Schmerzcharakter annehmen. Wie ein Nervenimpuls derPeripherie im Hinterhorn verarbeitet wird, hängt ganz vom aktuellenOperationsmodus ab. Nach derzeitigen Erkenntnissen arbeitet der Körper in vierverschie<strong>den</strong>en Wahrnehmungszustän<strong>den</strong>. 50Modus 1 ist der Normalzustand ein<strong>es</strong> g<strong>es</strong>un<strong>den</strong> Individuums. Geringe Reize, wie z.B.leichte Berührungen sind schmerzlos und wer<strong>den</strong> durch Rezeptoren geringerReizschwelle vermittelt. Starke Stimuli aktivieren Nozizeptoren und sorgen damitvorübergehend für Schmerz. Die Nozizeptoren treten in Aktion, noch bevor Gewebeverletzt wird. Dadurch ist di<strong>es</strong>er Modus in der Lage, verläßlich vor Verletzungen zuwarnen, bzw. di<strong>es</strong>e anzuzeigen. Geweb<strong>es</strong>chä<strong>den</strong> rufen protektive Verhaltensweisenhervor, die als physiologische Schutzmechanismen eine Schlüsselrolle imSchmerzverhalten einnehmen. Reflexartig<strong>es</strong> Entfernen der Noxe (= schädigenderReiz) und anschließend<strong>es</strong> Vermeidungsverhalten verhindern weitere Verletzung.Modus 2 ist durch Schmerzlosigkeit bei erregten Nozizeptoren und gleichzeitigblockierter Schmerzleitung gekennzeichnet. Erreicht wird di<strong>es</strong> hauptsächlich durchinhibitorische Synapsen im Hinterhorn. Die dar<strong>aus</strong> r<strong>es</strong>ultierende herabg<strong>es</strong>etzteEmpfindung wird auch „Hyposensibilität“ genannt und kann in Notfallsituationendas Überleben sichern. Schmerz stellt z.B. im Kampf ein Handicap dar, weil er dieBewegungsfähigkeit hemmt. Schmerzlosigkeit ermöglicht Verteidigung und evt.auch Flucht. Di<strong>es</strong>er Modus ist von Bedeutung für die Kampfverletzungen der Sagasund steht obendrein in Beziehung zur bereits g<strong>es</strong>childerten Endorphin<strong>aus</strong>schüttung.Die verantwortlichen Zentren für die Inhibition von Schmerzimpulsen sitzen teils imGehirn, teils im Hinterhorn. Über Anatomie und Pharmakologie hemmender spinalerSysteme ist bereits einig<strong>es</strong> bekannt. Unklar ist jedoch noch, wie sie im Detailaktiviert wer<strong>den</strong> und Schmerzunterdrückung bewirken.Modus 3 ist durch verstärkte Erregbarkeit der Schmerzverarbeitung im Hinterhorngekennzeichnet. Schon leichte Sinn<strong>es</strong>reize lösen Schmerz <strong>aus</strong> (Allodynie) undnormale Schmerzreize wer<strong>den</strong> um so stärker wahrgenommen (Hyperalg<strong>es</strong>ie). Manbeobachtet di<strong>es</strong>en Zustand nach Abschluß der Wundheilung in ehemals verletztemGewebe, bei Entzündungen als Entzündungsschmerz und bei Schädigung d<strong>es</strong>50 Doubell, Mannion & Woolf 1999, 165 ff.18


peripheren oder zentralen Nervensystems. Er ist nicht zu verwechseln mitentzündungsbedingter peripherer Sensibilisierung von Nozizeptoren. AuchHypersensibilität kann sich als wertvoll für das Überleben erweisen. Sie ruftSchonverhalten hervor, das betroffene Körperregionen vor weiterer Verletzungschützt und auf di<strong>es</strong>e Weise Regenerations- und Heilungsproz<strong>es</strong>se fördert.Die drei Modi können fließend ineinander übergehen und <strong>es</strong> ist das erklärte Ziel vonSchmerzbehandlung, Modus 1 herbeizuführen.Bei Modus 4 findet eine nicht mehr rückgängig zu machende Umprogrammierungvon Nervenverschaltungen statt. Als Auslöser gelten Verletzungen d<strong>es</strong> peripherenund/oder zentralen Nervensystems. Die betroffenen Nerven verkümmern, 51 wodurchihre Schaltstellen im Hinterhorn frei wer<strong>den</strong>. 52 G<strong>es</strong>unde Nerven sprossen daraufhin<strong>aus</strong> und b<strong>es</strong>etzen die freien Plätze. 53 Di<strong>es</strong>e Umbauvorgänge sind bereits 2 Wochennach einer Nervenverletzung abg<strong>es</strong>chlossen. 54 Es r<strong>es</strong>ultiert eine Fehlverschaltung derSchmerzleitung. Die Folge: sensorische Fehlfunktionen, u.a. permanenteHypersensibilität oder andauernder Nervenschmerz (Neuropathien). Di<strong>es</strong>eSchmerzzustände dauern auch dann noch an, wenn die ursprüngliche Verletzungschon lange verheilt ist.Das Modell verdeutlicht, daß <strong>es</strong> aufgrund der verschie<strong>den</strong>en Modi nicht immermöglich ist, von der Stärke der Noxe Rückschlüsse auf <strong>den</strong> r<strong>es</strong>ultieren<strong>den</strong> Schmerzzu ziehen und umgekehrt. Daher darf sich effektive Schmerzbehandlung nicht anSymptomen allein orientieren, sondern muß auch <strong>den</strong> zentralen Schaltzustän<strong>den</strong>Rechnung tragen. Die Modi sind jeweils sehr stabil, so daß Wechsel nicht ohneweiter<strong>es</strong> möglich sind. Dadurch kann Reizverarbeitung innerhalb ein<strong>es</strong> Modusverläßlich und reproduzierbar stattfin<strong>den</strong>. Gleichzeitig wer<strong>den</strong> zuverlässige Abläufeauch in Grenzbereichen der Reizskala zu benachbarten Zustän<strong>den</strong> gewährleistet,ohne daß bei extremeren Stimuli gleich der ganze Modus geändert wer<strong>den</strong> muß.Beim Übergang von einem Modus in einen anderen findet ein kompletter Aust<strong>aus</strong>chzweier stabiler Zustände statt, die sich stark voneinander unterschei<strong>den</strong>. Damit derKörper solche Sprünge vollziehen kann, ist eine gewisse Instabilität d<strong>es</strong> Systemsvonnöten. Bei Erreichen ein<strong>es</strong> b<strong>es</strong>timmten Schwellenwert<strong>es</strong> wird umg<strong>es</strong>chaltet und51 Castro-Lop<strong>es</strong> & al. 1990.52 Cogg<strong>es</strong>hall & al. 1997.53 Skene 1989.54 Woolf, Shortland & Cogg<strong>es</strong>hall 1992; Doubell & Woolf 1997.19


gleichzeitig Mechanismen zur Stabilisierung d<strong>es</strong> neuen Operationsmodus in Gangg<strong>es</strong>etzt.3.6 Psychologie d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>: Aufmerksamkeit und PlaceboDie Psyche spielt im Schmerzg<strong>es</strong>chehen eine her<strong>aus</strong>ragende Rolle. Der emotionaleDistr<strong>es</strong>s beim Schmerz gilt als seine unangenehmste Komponente. Angst, Zorn undDepr<strong>es</strong>sion, aber auch Frustration, Schuld und Ekel sind nicht ungewöhnlich. Es istder negative Affekt, der Schmerz in Leid verwandelt. In seiner Abw<strong>es</strong>enheit wärenBetroffene nicht unbedingt als lei<strong>den</strong>d zu bezeichnen. So hat sich gezeigt, daßOperationen am Frontalhirn <strong>den</strong> Verlust der unangenehmen Begleitgefühle d<strong>es</strong>Schmerz<strong>es</strong> zur Folge haben können. 55Von sehr großer Bedeutung für die Schmerzwahrnehmung sind die FaktorenAufmerksamkeit und Kontext. Ein Stimulus, dem keine Aufmerksamkeit zuteil wird,hat kaum Chancen, wahrgenommen zu wer<strong>den</strong>. Worauf sich die Aufmerksamkeitgerade richtet, hängt in b<strong>es</strong>onderem Maße von der jeweiligen Situation ab. DerKontext b<strong>es</strong>timmt die Bedeutung d<strong>es</strong> Stimulus und dadurch seinen Anteil an derAufmerksamkeit. Wieviel das ist, wird durch <strong>den</strong> Thalamus f<strong>es</strong>tgelegt. Melzack undWall sehen hierin eine mögliche Erklärung für anscheinend schmerzloseVerletzungen während Sportveranstaltungen oder im Krieg. 56Jede Sekunde d<strong>es</strong> Tag<strong>es</strong> treffen t<strong>aus</strong>ende Informationen über Umwelt undKörperfunktionen ein. Das Gehirn wird ang<strong>es</strong>ichts di<strong>es</strong>er Datenmengen vor eine sehrschwierige Aufgabe g<strong>es</strong>tellt, da aufgrund limitierter Kapazitäten nur ein kleinerBruchteil davon ins Bewußtsein gelangen kann. Es ist Obliegenheit d<strong>es</strong> Gehirns, alleMeldungen zu prüfen und nur die Wichtigsten ins Bewußtsein weiterzuleiten. Da nurbewußt gemacht wird, was Aufmerksamkeit auf sich zieht, wäre Bewußtsein ohneAufmerksamkeit nicht möglich. Das Bewußtsein b<strong>es</strong>teht also mit anderen Worten<strong>aus</strong> der Summe aller Sinn<strong>es</strong>eindrücke, die Aufmerksamkeit verdienen. Worauf si<strong>es</strong>ich letztlich richtet, orientiert sich an teils angeborenen, teils antrainierten Kriterien.So merken beispielsweise Migränekranke sofort auf, wenn sie kleine Lichtblitz<strong>es</strong>ehen, weil sie gelernt haben, daß ein Migräneanfall bevorsteht. Aufmerksamkeitkann sich nicht auf zwei Dinge gleichzeitig richten. Zwar ist ein schneller Wechselzwischen verschie<strong>den</strong>en Bewußtseinsinhalten möglich, doch simultane Verarbeitung55 Freeman & Watts 1942; 1946.56 Melzack, Wall & Ty 1982.20


von Sinn<strong>es</strong>eindrücken ist <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chlossen. Man kann die Arbeitsweise derAufmerksamkeit mit der ein<strong>es</strong> Kellners im R<strong>es</strong>taurant vergleichen. Unter <strong>den</strong> zuTisch sitzen<strong>den</strong> „Gästen“ (= ins Bewußtsein gelangende Sinn<strong>es</strong>eindrücke) wird er datätig, wo seine Dienste gefordert sind, kann aber immer nur einen Gast auf einmalbedienen. Zwar ist <strong>es</strong> möglich, erst Gast A ein Schnitzel zu servieren und dann GastB die Rechnung zu bringen; beid<strong>es</strong> gleichzeitig geht jedoch nicht. Autofahren undUnterhaltung mit dem Beifahrer sind beispielsweise parallel möglich. Der Fahrerkann jedoch entweder nur dem G<strong>es</strong>präch oder nur der Straße folgen. Konzentriert ersich auf die Unterhaltung, übernimmt der „Autopilot im Gehirn“ das Fahren. Bremstjedoch das dicht vor ihm fahrende Auto plötzlich ab, ist die Unterhaltung verg<strong>es</strong>sen.Die volle Aufmerksamkeit gilt wieder dem Verkehr, bis die Gefahrensituation vorbeiist und das G<strong>es</strong>präch von neuem aufgenommen wer<strong>den</strong> kann. Verlangt die Aufgabeverstärkte Konzentration, wer<strong>den</strong> auch parallele Abläufe erschwert. So b<strong>es</strong>chränktsich die Konversation ein<strong>es</strong> Rallye-Piloten mit seinem Beifahrer auf d<strong>es</strong>senAnweisungen zum Streckenverlauf.Gemäß Wall gründet sich di<strong>es</strong>e Eigenart menschlicher Psyche auf die wichtigsteAufgabe der Aufmerksamkeit als Motor für Handlungsreaktionen. 57 Das Gehirn, soWall, prüft bei allen Sinn<strong>es</strong>eindrücken, ob eine körperliche Reaktion erforderlich ist.Der jeweils wichtigste Sinn<strong>es</strong>eindruck wird der Aufmerksamkeit präsentiert, welchedie Analyse durchführt und gegebenenfalls eine Reaktion anordnet. Da dieAufmerksamkeit aber nur einen Sinn<strong>es</strong>eindruck auf einmal verarbeiten kann, ist imErgebnis auch nur eine Handlung möglich. Man könne nicht gleichzeitig vor- undrückwärts gehen: „You must »make up your mind«.“ 58 Indem sämtlicheUmweltinformationen gemäß ihrer biologischen Wichtigkeit fortlaufend neuhierarchisch gegliedert wer<strong>den</strong>, wird das Überleben g<strong>es</strong>ichert. Was biologischwichtig ist, richtet sich nach angeborenen, erlernten und kulturellen Strukturen die imThalamus verankert sind. Würde der Autofahrer seine Unterhaltung einfachfortsetzen, anstatt zu bremsen, wäre ein Auffahrunfall die Folge. Nur weil sich seineAufmerksamkeit blitzschnell wieder dem Verkehr zuwendet und die Handlung„Bremsen“ einleitet, kann ein Unfall abgewendet wer<strong>den</strong>.Di<strong>es</strong>er Mechanismus spielt wie g<strong>es</strong>agt für das Schmerzempfin<strong>den</strong> eine Rolle. Wenndas Leben in Gefahr ist und man sich z.B. <strong>aus</strong> einem brennen<strong>den</strong> Flugzeug retten57 Wall 1999b, 2.58 Wall 1999b, 2.21


muß, ist der Schmerz d<strong>es</strong> bei der Bruchlandung verstauchten Fuß<strong>es</strong> ohne Belang.Überleben ist wichtiger als die Verletzung. Die Aufmerksamkeit gilt demEntkommen der gefährlichen Situation und lenkt dadurch vom Schmerz ab.Möglicherweise <strong>aus</strong> di<strong>es</strong>em Grund verspüren manche Verletzte in der Notsituationselbst und unmittelbar danach keine Schmerzen. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen wäre zumind<strong>es</strong>tein Erklärungsansatz für das mangelnde Schmerzempfin<strong>den</strong> Þóroddrs in derEyrbyggja saga:Der Knecht d<strong>es</strong> Go<strong>den</strong> Snorri sollte ihn entklei<strong>den</strong>; und als er die Hosezurückziehen wollte, bekam er sie nicht von ihm herunter. Da sprach er: „Dasist nicht gelogen über euch Þorbrandssöhne, daß ihr ganz außergewöhnlichmodisch gekleidete Menschen seid, da ihr so enge Kleidung tragt, daß sienicht mehr von euch herunter kommt.” Þóroddr sprach: „Es wird nicht richtigangefaßt wor<strong>den</strong> sein.” Danach stemmte er sich er mit dem einen Fuß gegen<strong>den</strong> Bettpfosten und zog mit aller Kraft, aber die Hose ging nicht herunter. Daging der Gode Snorri hinzu und befühlte das Bein und entdeckte, daß einSpeer das Bein zwischen der Achill<strong>es</strong>sehne und dem Schienbein durchbohrtund all<strong>es</strong> zusammengeheftet hatte, <strong>den</strong> Fuß und die Hose. Snorri sprach da, ersei ein rechter Trottel, daß er so etwas nicht bemerkt habe. 59Ablenkung stellt generell ein wirksam<strong>es</strong> Mittel dar, Schmerz zumind<strong>es</strong>t kurzfristigzu lindern. Manche alten H<strong>aus</strong>mittel basieren auf di<strong>es</strong>em Prinzip, z.B. Senfpflaster.In Abhängigkeit individuell etablierter Prioritätsstrukturen sind auch eine PartieSchach, ein Spaziergang, etc. in der Lage, für die nötige Ablenkung zu sorgen.Bischof Guðmundr läßt sich z.B. vorl<strong>es</strong>en und singt, um sich von seinemG<strong>es</strong>ichtsschmerz abzulenken:Er hatte ein G<strong>es</strong>ichtslei<strong>den</strong> und Schmerzen in der rechten Wange oberhalbd<strong>es</strong> Aug<strong>es</strong>. Lange sang er oder er ließ sich die Apostelg<strong>es</strong>chichten auf Lateinvorl<strong>es</strong>en, wenn er wach war. 60Auch der gegenteilige Effekt ist möglich. Je mehr Aufmerksamkeit einem Schmerzgewidmet wird, d<strong>es</strong>to stärker wird er wahrgenommen. Ein bedeutender Verstärker istAngst, die bei schmerzhaften Ereignissen eine un<strong>aus</strong>weichliche Begleiterscheinungdarstellt: „Anyone who sens<strong>es</strong> an unexpected new pain and do<strong>es</strong> not feel fear is not59 Heimamaðr Snorra goða skyldi draga af honum; ok er hann skyldi kippa brókinni, fekk hann eigi afhonum komit. Þá mælti hann: „Eigi er þat logit af yðr Þorbrandssonum, er þér eruð sundrgørðamennmiklir, at þér hafið klæði svá þrông, at eigi verðr af yðr komit.“ Þóroddr mælti: „Vantekit mun ávera.“ Eptir þat spyrndi sá ôðrum fœti í stokkinn ok togaði af ôllu afli, ok gekk eigi af brókin. Þá gekktil Snorri goði ok þreifaði um fótinn ok fann, at spjót stóð í gegnum fótinn milli hásinarinnar okfótleggsins ok hafði níst allt samt, fótinn ok brókina. Mælti Snorri þá, at hann væri eigi meðalsnápr, athann hafði eigi hugsat slíkt. Eyrbyggja saga, 129 f. (Einar Ól. Sveinsson & Matthías Þórðarson 1935[ÍF 4]).60 Anlits mein hafði hann, ok lá verkr í kinn hans enni hægri ofan frá auganu. Löngum söng hann, eðalèt l<strong>es</strong>a firir sèr helgra manna sögur á latínu, þá er hann vakti. Brot úr miðsögu Guðmundar, 584 (JónSigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).22


normal. There is a natural fear of the unknown in all of us and this is coupled with afear of the consequent future.“ 61 Es ist in erster Linie die Angst vor demUnbekannten, die schmerzverstärkend wirkt. Ihre Ausprägung hängt dabei ganzentschei<strong>den</strong>d von <strong>den</strong> Umstän<strong>den</strong>, der betroffenen Person und deren individuellerLebenserfahrung ab. Viele Patienten sind erleichtert, wenn sie mit Schmerzen einenArzt aufsuchen und erfahren, daß ihre B<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong> harmloser Natur sind. Sofortempfin<strong>den</strong> sie auch ihre B<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong> als nicht mehr so stark und bedrohlich.Inwieweit sich Ablenkung als effektive Maßnahme zur Schmerzbekämpfungeinsetzen läßt, ist zur Zeit noch Gegenstand der Diskussion. 62 Als alleinigeMaßnahme hat sie im Experiment lediglich bei Stimuli geringer Intensität ihreWirksamkeit erwi<strong>es</strong>en. 63Unter <strong>den</strong> Einflußmöglichkeiten der Psyche auf das Schmerzphänomen nimmt derPlaceboeffekt eine her<strong>aus</strong>ragende Stellung ein. Seine naturwissenschaftlicheSeriosität gilt mittlerweile als g<strong>es</strong>ichert. Beim Placebo wirkt allein der Glaube, ein<strong>es</strong>chmerzlindernde Handlung <strong>aus</strong>zuführen. 64 Der Begriff entstammt dem Lateinischenund bedeutet: „ich werde gefallen“. Hinter dem Placeboeffekt verbirgt sich einetherapeutisch eing<strong>es</strong>etzte Täuschung d<strong>es</strong> Patienten. Verabreichung ein<strong>es</strong> Placeboserzeugt <strong>den</strong>selben therapeutischen Erfolg als hätte <strong>es</strong> sich um <strong>den</strong> Wirkstoff selbstgehandelt. Bekannt ist der Placeboeffekt schon seit dem 17. Jahrhundert. Seit dem18. Jahrhundert steht Placebo für pharmakologisch unwirksame Medizin. 65 In Bezugauf Schmerz wurde er erst Ende der siebziger Jahre wissenschaftlich genauerergründet. Man konnte nachweisen, daß seine Wirksamkeit auf Endorphinenberuht. 66 Endorphin<strong>aus</strong>schüttung allein reicht als Erklärung aber nicht <strong>aus</strong>, um dasRätsel d<strong>es</strong> Placeboeffekt<strong>es</strong> zu lüften. Er ist weit mehr als ein Schmerzmodulator, daer auch in Bereichen beobachtet wird, in <strong>den</strong>en Endorphine keine Rolle spielen.Beispielsweise hat man Versuchspersonen aromatisiert<strong>es</strong> Wasser zu trinken gegeben,und ihnen suggeriert, <strong>es</strong> handele sich um Alkohol. Daraufhin waren 27-29 % derVersuchspersonen nach entsprechendem Genuß einer gewissen Menge61 Wall 1999b, 6.62 Eccl<strong>es</strong>ton 1995.63 McCaul & Malott 1984.64 Wall 1999b, 5.65 Wall 1999a, 1419.66 Levine & al. 1978; Levine, Gordon & Fields 1978; Grevert & Goldstein 1985.23


„betrunken“. 67Persönliche Erwartung scheint demnach die treibende Kraft d<strong>es</strong>Wirkmechanismus von Placebos zu sein. Dementsprechend kann man schon voreinem Versuch her<strong>aus</strong>fin<strong>den</strong>, bei wem der Placeboeffekt auftreten wird, nämlich beiPersonen, die mit hohen Erwartungen teilnehmen. Bei Skeptikern bleibt er <strong>aus</strong>. 68Erwartung ist das R<strong>es</strong>ultat ein<strong>es</strong> Lernproz<strong>es</strong>s<strong>es</strong>. Aus di<strong>es</strong>em Grund sprechen kleineKinder auch nicht auf Placebos an. Sie hatten noch keine Zeit, Erfahrungen zusammeln und dar<strong>aus</strong> zu lernen. Der Lerneffekt hängt maßgeblich ab von Kultur,allgemeinem Hintergrund, Erfahrung und Persönlichkeit. 69Es gibt auch Erklärungsansätze, die <strong>den</strong> Placeboeffekt in <strong>den</strong> Bereich klassischerKonditionierung ansiedeln. 70 Die Überlegung basiert auf Experimenten, bei <strong>den</strong>enman Versuchstieren im Rahmen einer f<strong>es</strong>tgelegten Versuchsanordnung Insulininjizierte, woraufhin der Blutzuckerspiegel sank. Wurde nach einiger Zeit innerhalbderselben Versuchsanordnung das Insulin durch eine Salzlösung ersetzt, beobachteteman ebenfalls ein Absinken d<strong>es</strong> Blutzuckers. Neuere Untersuchungen deuten in derTat darauf hin, daß beim Menschen der Placeboeffekt konditionierbar ist und dabeiim Unterbewußtsein b<strong>es</strong>timmte Mechanismen ablaufen. 71Von di<strong>es</strong>er Warte <strong>aus</strong> betrachtet könnte man auch die in der untersuchtenSagaliteratur vorkommen<strong>den</strong> Reliquien, das geweihte Wasser oder die Salben alsklassische Placebos charakterisieren. Aus theologischer Sicht verbietet sich di<strong>es</strong>erAnsatz jedoch, da <strong>es</strong> hier nicht um Placeboeffekte, sondern um Wunder geht. In derGuðmundar saga Arasonar findet sich z.B.:Und als sie glaubten, für di<strong>es</strong>mal <strong>aus</strong> der gröbsten Gefahr für einen Kampfher<strong>aus</strong> zu sein, da untersucht der Pri<strong>es</strong>ter Árni Arons Wun<strong>den</strong> und findet dreiSchwertwun<strong>den</strong> und sein Bauch war weiträumig blau und vollerSchnittverletzungen; sie gießen dann durch <strong>den</strong> Bischof geheiligt<strong>es</strong> Wasserhinein und legen danach einen Verband an. […] Danach löst der Pri<strong>es</strong>ter Árnidie Bandagen von Arons Wun<strong>den</strong> und alle Blutgerinnsel waren lose in <strong>den</strong>Wun<strong>den</strong>, so als ob dort die b<strong>es</strong>te Salbe verwendet wor<strong>den</strong> wäre. Aron gabauch wenig Schmerzen in seinen Wun<strong>den</strong> an, wie <strong>es</strong> zu erwarten gew<strong>es</strong>enwäre. Er führte das in erster Linie auf <strong>den</strong> allmächtigen Gott zurück und aufdie Wasserweihe d<strong>es</strong> Bischofs Guðmundr. Es wurde für seine Wun<strong>den</strong> auchkeine andere Behandlung verwendet als das Wasser, das der Bischof67 O‘Boyle, Binns & Summer 1994.68 Bootzin 1985.69 Wall 1999a, 1427.70 Wickramasekera 1980; Reiss 1980.71 Price & Fields 1997.24


Guðmundr geweiht hatte und sie heilten b<strong>es</strong>ser und schneller als <strong>es</strong> meistüblich war. 723.7 ZusammenfassungSchmerz ist ein multidimensional<strong>es</strong> Phänomen, das in seiner Komplexität vor allemauf <strong>den</strong> Einfluß einer Reihe psychischer Faktoren zurückzuführen ist. B<strong>es</strong>onders zunennen sind: kultureller Hintergrund, Beobachtung (Lernen am Modell), kognitiveVerarbeitung (Bedeutung d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>), Furcht und Angst, neurotischePersönlichkeitsstruktur, Grad der Extrovertiertheit, Grad der Kontrolle,Aufmerksamkeit, bzw. Ablenkung und persönliche Strategien im Umgang mitSchmerz. 73 Darüber hin<strong>aus</strong> ist die Schmerzleitung von der Peripherie ins Gehirnnicht statisch, sondern unterliegt einer gewissen Plastizität, was auf <strong>den</strong> steuern<strong>den</strong>Einfluß d<strong>es</strong> Zentralen Nervensystems zurückzuführen ist. Auf di<strong>es</strong>e Weise könnenSchmerzreize verstärkt oder abg<strong>es</strong>chwächt wahrgenommen wer<strong>den</strong>. An di<strong>es</strong>enMechanismen sind sowohl anatomische Strukturen als auch biochemische Proz<strong>es</strong>sebeteiligt. Schmerzmodulierende Mechanismen sind sinnvoll, weil von ihnen imEinzelfall das Überleben abhängen kann. In Bezug auf die Sagaliteratur stellt sich dieelementare Frage nach dem Schmerz der Hel<strong>den</strong>. Anscheinend gleichgültig ertragensie selbst schwerste Verletzungen. Vor<strong>aus</strong>g<strong>es</strong>etzt, <strong>es</strong> handelt sich hier nicht bloß umein literarisch<strong>es</strong> Topos, wären z.B. herabg<strong>es</strong>etzt<strong>es</strong> Schmerzempfin<strong>den</strong> durchAbhärtung von Jugend an, abtrainiert<strong>es</strong> Schmerzverhalten, Endorphine, mangelndeAufmerksamkeit oder Operationsmodus 2 im Hinterhorn <strong>den</strong>kbar.72 Enn er þeir þottuz komnir or enum m<strong>es</strong>ta haska firi ofriðe at sinne. þa leitar Arne pr<strong>es</strong>tr til saraArons. ok finnaz iij. eggbitin. enn bukr hans var uiða blar ok eggbitinn. Steypa i siþan byskups uatne.ok binda um eptir þat. […] Eptir þat leysir Arne pr<strong>es</strong>tr bond af sarum Arons. ok voro allar bloð lifrarláusár isaronum. sua sem þar v©re en bezsto smyrsl við høfð. Aron kallaðe ok litla verke fylgia sarums(inum). eptir þui sem likende þottu. til vera. Kende hann þat fyrst allzualldanda Guði ok uatn vigsluG(uðmundar) byskups. Hann hafðe ok enga l©cning. aðra við sin sar. enn uatn þat er G(uðmundr)byskup hafðe vigt. ok grero b©ðe uel ok skiotara enn optaz var uánt. Guðmundar saga Arasonar, 218(Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).73 Cousins & Power 1999, 465.25


4 Sagaliteratur4.1 Die Anfänge isländischer LiteraturIsland war im Mittelalter ein europäisch<strong>es</strong> Zentrum literarischen Schaffens. DieSagas sind Teil di<strong>es</strong>er regen Tätigkeit. Sie stellen eine literarische Gattung dar, wi<strong>es</strong>ie in der mittelalterlichen Literatur d<strong>es</strong> Kontinents keine Entsprechung findet.Vor<strong>aus</strong>setzung für die Aufnahme schriftstellerischer Tätigkeit war dieChristianisierung Islands im Jahre 1000 n.Chr. und der damit verbun<strong>den</strong>e Zugang zurSchreibkunst. 74 Runenschrift war zwar schon lange vor Einführung der lateinischenSchrift in Skandinavien verbreitet, doch b<strong>es</strong>chränkte sich ihre Anwendung auf kurzeTexte, wie Skal<strong>den</strong>strophen oder Inschriften. Höchstwahrscheinlich gab <strong>es</strong> auch einegewisse mündliche Überlieferungstradition alter G<strong>es</strong>chichten, die die Grundlage derspäteren literarischen Produktion darstellte. 75Trotz seiner geographischen Lage am Rande Europas war Island nicht von derAußenwelt abg<strong>es</strong>chnitten. Es herrschte reger Aust<strong>aus</strong>ch mit Europa, vor allem mitNorwegen und <strong>den</strong> britischen Inseln, aber auch mit Mittel- und Südeuropa, wohinschon die Wikinger zu ihrer Zeit 76 Beziehungen unterhielten. 77Im Jahre 930 wurde auf Island mit dem Althing eine Regierungsform eingeführt, dieauf ein Staatsoberhaupt verzichtete und die politische Macht statt d<strong>es</strong>sen auf mehrereMandatsträger, sogenannte „Go<strong>den</strong>“ verteilte. Das einzige Amt d<strong>es</strong> Althings war derPosten d<strong>es</strong> G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>sprechers (lôgsôgumaðr). D<strong>es</strong>sen Aufgabe b<strong>es</strong>tand darin, die bis1117 lediglich mündlich überlieferten G<strong>es</strong>etze zu rezitieren. Jed<strong>es</strong> Jahr verkündete eram „G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>felsen“ je ein Drittel d<strong>es</strong> gelten<strong>den</strong> Rechts. Auf di<strong>es</strong>e Weise gerieten sienicht in Verg<strong>es</strong>senheit. Der isländische „Freistaat“ existierte bis zum Anschluß an74 Hreinn Benediktsson 1965, 18.75 Andreas Heusler postulierte in seinem Buch Die altgermanische Dichtung von 1941, daß dieIsländersagas vor ihrer schriftlichen Fixierung über mehrere Jahrhunderte hindurch unverändertmündlich tradiert wur<strong>den</strong> (Heusler 1941). Über lange Zeit betrachtete man sie daher als historischeQuellen. In neuerer Zeit ist man nach langer wissenschaftlicher Diskussion aber mehr und mehr vondi<strong>es</strong>er Position abgewichen. Aufgrund der Komplexität d<strong>es</strong> Themas und seiner mangeln<strong>den</strong> Relevanzfür di<strong>es</strong>e Arbeit soll hier nicht näher darauf eingegangen wer<strong>den</strong>.76 Die Blütezeit der Wikinger umfaßte etwa dreieinhalb Jahrhunderte, von 793 n.Chr bis 1066 n.Chr.793 n.Chr. begannen die Wikingerzüge mit dem Angriff auf das englische Kloster Lindisfarne inNorthumberland und endeten 1066 n.Chr. mit der Niederlage bei Stamford Bridge.77 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 12.26


Norwegen 1262/64. Sein Ende war das Ergebnis schwerer innenpolitischer Unruhen,die durch norwegische Machtpolitik aktiv g<strong>es</strong>chürt wur<strong>den</strong>.Den Übertritt zum Christentum b<strong>es</strong>chloß das Althing im Jahre 1000 unter dem Druckd<strong>es</strong> norwegischen Königs Óláfr Tryggvason. Schon vor di<strong>es</strong>em Zeitpunkt hatte <strong>es</strong>erfolglose Christianisierungsbemühungen von norwegischer Seite gegeben. Um dieAnnahme d<strong>es</strong> christlichen Glaubens zu erzwingen, nahm Óláfr schließlich inNorwegen befindliche Isländer als Geiseln und erhöhte auf di<strong>es</strong>e Weise <strong>den</strong>politischen Druck.Schier weist darauf hin, daß die unkomplizierte Art d<strong>es</strong> Umgangs mit der neuenLehre wegbereitend war für die Ausbildung einer eigenen nationalen Literatur. 78 DasChristentum war zwar im Jahre 1000 zur offiziellen Staatsreligion erklärt wor<strong>den</strong>,doch heidnische Riten waren im privaten Rahmen weiterhin zugelassen.G<strong>es</strong>ellschaftlich änderte sich zunächst nichts. Familienstrukturen undMachtverhältnisse blieben erhalten. Zurückführen läßt sich di<strong>es</strong> einerseits aufmangeln<strong>den</strong> heidnischen Widerstand. Andererseits aber auch auf die Tatsache, daßdie Häuptlinge die geistliche Führung, die sie als Go<strong>den</strong> innehatten, beibehielten. Siebekleideten nun Pri<strong>es</strong>terämter und unterhielten Kirchen. Sie büßten also nichts anMacht ein, sondern konnten sie im Gegenteil sogar noch <strong>aus</strong>weiten. Die Verhältnisseänderten sich erst im 13. Jahrhundert, als die Kirche begann, ihr Religionsmonopoldurchzusetzen und geistliche Ämter für sich zu beanspruchen.Trotz Christianisierung wurde heidnisch<strong>es</strong> Wissen weiterhin überliefert. Den Grunddafür sieht Schier in der Tradierung von Skal<strong>den</strong>dichtung, die ohne Kenntnisse innordischer Mythologie der Deutung nicht zugänglich ist. 79Keimzelle literarischer Tätigkeit bildeten der Klerus und die „kirchlichenInstitutionen“. 80 Um das Christentum zu verbreiten, bedurfte <strong>es</strong> der MithilfeEinheimischer, die durch Schulung in die Lage versetzt wer<strong>den</strong> mußten, Latein l<strong>es</strong>enund schreiben zu können. 81 Latein kam zu Beginn d<strong>es</strong> 11. Jahrhunderts mit<strong>aus</strong>ländischen Gelehrten und im Ausland <strong>aus</strong>gebildeten isländischen Geistlichennach Island. 82 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson & Vésteinn Ólason entdecken in78 Schier 1994, 245 ff.79 Schier 1994, 247.80 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 8.81 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 9.82 Hreinn Benediktsson 1965, 35. Siehe auch Walter 1976 [ASAW 66 H2], 7, 12.27


<strong>den</strong> frühen lateinischen Handschriften kontinentaleuropäische Züge. Sie seiengeprägt durch eine Orthographie, wie sie zur Zeit ‚Karls d<strong>es</strong> Großen’ auf demmitteleuropäischen F<strong>es</strong>tland üblich war. Hier<strong>aus</strong> könne zweifelsfrei g<strong>es</strong>chlossenwer<strong>den</strong>, daß die Isländer in der Kunst d<strong>es</strong> Schreibens von Gelehrten mitmitteleuropäischer Ausbildung unterrichtet wur<strong>den</strong>. 83 Es ist bekannt, daß Isländerzum Studium auf <strong>den</strong> Kontinent reisten. Das Land gehörte anfangs zum ErzbistumBremen und <strong>es</strong> gibt Belege für die Ausbildung isländischer Geistlicher inDeutschland. Die anfängliche Ausrichtung Islands vor allem an deutscheSchriftgewohnheiten erklärt Walter mit der Tatsache, daß „die bei<strong>den</strong> erstenisländischen Bischöfe von Skálholt ihre Ausbildung“ hier erhielten. 84 Es wirdvermutet, daß sich auch Sæmundr Sigfússon, der Autor ein<strong>es</strong> verlorengegangenenWerk<strong>es</strong> über die norwegische G<strong>es</strong>chichte, einige Zeit im Rheinland aufhielt. 85 Außerihm hatten auch sein Sohn Eyjólfr <strong>aus</strong> Rangárvellir sowie Hallr Þórarinsson undTeitr Ísleifsson <strong>aus</strong> Haukadal in Biskupstungu <strong>den</strong> Ruf von außeror<strong>den</strong>tlichenGelehrten. Zu di<strong>es</strong>er Zeit gab <strong>es</strong> vier Schulen: die bei<strong>den</strong> Bischofssitze Skálholt(gegr. 1056) und Hólar (gegr. 1106) sowie Schulen in Haukadalur und Oddi. Vonletztgenannter kamen die sog. Oddaverjar (= die Leute von Oddi). Bekannte Schülervon Oddi waren: Sæmundr fróði Sigfússon, Þorlákr helgi, Páll biskup Jónsson,Snorri Sturluson.Offenbar verfügten „Geistliche und Laien in einer für die damalige Zeit rechtbeachtlichen Anzahl über Lateinkenntnisse.“ 86 Di<strong>es</strong> läßt sich u.a. an <strong>den</strong> vielenhochwertigen Übersetzungen in <strong>den</strong> ält<strong>es</strong>ten erhaltenen Handschriften abl<strong>es</strong>en.Möglicherweise hatte Latein jedoch nicht <strong>den</strong> Stellenwert, <strong>den</strong> <strong>es</strong> in andereneuropäischen Ländern b<strong>es</strong>aß. 87 Auffällig ist die Ten<strong>den</strong>z der Isländer, sich früh aufdie eigene Sprache zu konzentrieren. Abg<strong>es</strong>ehen von einigen frühen Werken ist derüberwiegende Teil der überlieferten isländischen Literatur in Land<strong>es</strong>sprache verfaßt.Die ält<strong>es</strong>ten erhaltenen isländischen Handschriften stammen <strong>aus</strong> dem 12. Jahrhundertund b<strong>es</strong>tehen oftmals nur noch <strong>aus</strong> wenigen Blättern. Bei fast allen handelt <strong>es</strong> sich83 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson & Vésteinn Ólason 1992 (1), 265.84 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 9.85 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson & Vésteinn Ólason 1992 (1), 233. Sæmundr war überdi<strong>es</strong> dermutmaßlich erste Isländer, der in Frankreich studiert hatte (Walter 1976 [ASAW 66 H2], 12).86 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 14.87 Schier 1994, 232: „In der g<strong>es</strong>amten altisländischen frühen Literatur überrascht die geringe Zahl vonSchriften in lateinischer Sprache überhaupt; […].“28


um Übersetzungen oder Bearbeitungen fremder Quellen. Thematisch bil<strong>den</strong>theologische Werke die größte Gruppe. Es ist allerdings unklar, ob bei derEinseitigkeit der Überlieferung nicht auch die Aufbewahrung durch ihre jeweiligenB<strong>es</strong>itzer eine Rolle g<strong>es</strong>pielt hat. Bücher hatten in privaten Sammlungen theoretischschlechtere Chancen, die Jahrhunderte zu überstehen, als in Klosterbibliotheken. 88Dadurch hatten theologische Texte b<strong>es</strong>sere Überlebensvor<strong>aus</strong>setzungen. Insg<strong>es</strong>amtist über die Bibliotheksverhältnisse vor 1200 „fast gar nicht[s] bekannt.“ 89 Bereitsvor 1200 bot die isländische Literatur eine bemerkenswerte Vielfalt. Schier gliedertsie in fünf Gruppen: 90- Übersetzungen und Bearbeitungen fremder Werke- Isländisch<strong>es</strong> historisch<strong>es</strong> und wissenschaftlich<strong>es</strong> Schrifttum- Isländersagas (Íslendingasögur) und verwandte Schriften- Eddische Dichtung und Skaldik- RechtstexteKlöster hatten im Christentum stets große Bedeutung für die Literaturentwicklung.Das gilt auch für Island. Bei <strong>den</strong> elf zwischen 1133 und 1493 gegründeten Klösternhandelte <strong>es</strong> sich <strong>aus</strong>schließlich um Benediktiner- und <strong>August</strong>inerklöster.Einheimische Literatur konnte sich vor allem unter dem Einfluß der Benediktinerher<strong>aus</strong>bil<strong>den</strong>. Deren Vorliebe für G<strong>es</strong>chichte traf auf Island auf eine rege mündlicheÜberlieferungstradition. Bedingt durch <strong>den</strong> hohen Anteil einheimischer Geistlichermit großem Inter<strong>es</strong>se an di<strong>es</strong>en mündlichen Stoffen wurde eine nationaleLiteraturbewegung in Gang g<strong>es</strong>etzt, <strong>aus</strong> der u.a. die Íslendingasögur hervorgingen. 91Die Sagas stellen eine Fusion dar zwischen mündlichen isländischenÜberlieferungstraditionen und <strong>den</strong> für die Benediktiner typischen literarischenTraditionen „der mittelalterlichen europäischen Historiographie“. 92 Laut Schier hätte<strong>es</strong> ohne die Benediktiner wahrscheinlich keine nennenswerte isländische Literatur imMittelalter gegeben. In di<strong>es</strong>em Zusammenhang nimmt das 1133 gegründeteBenediktinerkloster Þingeyrar im Nor<strong>den</strong> d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> eine her<strong>aus</strong>ragende Stellungein. Das gilt in b<strong>es</strong>onderem Maße für die Entstehung und Vervielfältigung vonSagaliteratur. Speziell vier Namen sind mit Þingeyrar verknüpft: Eiríkur Oddsson(ca. 1130/39–1161), Abt Karl Jónsson (g<strong>es</strong>t. 1213) sowie die bei<strong>den</strong> Mönche Oddr88 Ólafur Halldórsson 1989, 68.89 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 26.90 Schier 1994, 225.91 Schier 1994, 251 f., 258 f.29


Snorrason (2. Hälfte d<strong>es</strong> 12. Jahrhunderts) und Gunnlaugr Leifsson (g<strong>es</strong>t. 1218/19).Die von ihnen g<strong>es</strong>chaffenen Werke waren für die Entwicklung der Sagaliteraturwegbereitend. Für Schier ist <strong>es</strong> von di<strong>es</strong>er Entwicklungsstufe nur noch ein kleinerSchritt, bis man damit begann, „di<strong>es</strong>e literarischen Erfahrungen nun auf dieeinheimischen Traditionen von der B<strong>es</strong>iedlung Islands und <strong>den</strong> G<strong>es</strong>chehnissen derersten Jahrhunderte anzuwen<strong>den</strong>.“ 934.2 SagaliteraturAb Mitte d<strong>es</strong> 12. Jahrhunderts (1130/50) bis zur ersten Hälfte d<strong>es</strong> 14. Jahrhunderts(um 1350) entstand auf Island eine große Anzahl erzählender historischerProsawerke. Aufgrund d<strong>es</strong> ihnen eigenen Stils und Aufb<strong>aus</strong>, <strong>den</strong> <strong>es</strong> in di<strong>es</strong>er Form inder europäischen Literatur kein zweit<strong>es</strong> Mal gibt, bil<strong>den</strong> sie eine eigene literarischeGattung, die Sagas. Zwischen <strong>den</strong> Sagas und der im deutschsprachigen Raumverbreiteten Sage b<strong>es</strong>teht lediglich sprachliche Verwandtschaft. Saga (pl. Sögur, bzwdeutsch: Sagas) leitet sich ab von altisländisch segja = sagen, erzählen. 94 ImNeuisländischen bezeichnet Saga jedwede Form von Prosatext oder Erzählung, z.B.skáldsaga (= Roman), heilsufarssaga (= Krankeng<strong>es</strong>chichte), ævisaga (=Biographie). Daher ist der Begriff zur eindeutigen Bezeichnung einer literarischenGattung nur außerhalb d<strong>es</strong> isländischen Sprachgebrauchs geeignet. 95Sigurður Nordal unterteilt die Sagaliteratur in Gegenwartssagas,Vergangenheitssagas und Vorzeitsagas. 96 Die Verfasser der Gegenwartssagas warenim Gegensatz zu Vergangenheits- und Vorzeitsagas Zeitgenossen der g<strong>es</strong>childertenBegebenheiten. Die Handlung spielt ab 1100. Unklar ist, ob schriftliche Quellen beider Abfassung benutzt wur<strong>den</strong>. Theoretisch hätte di<strong>es</strong>e Möglichkeit b<strong>es</strong>tan<strong>den</strong>. Indi<strong>es</strong>e Kategorie gehören die Sturlunga saga, die Byskupasögur und einigeKonungasögur.Die Handlung der Vergangenheitssagas fällt in die Zeit von 850 bis 1100. Zu di<strong>es</strong>erGruppe gehören die Íslendingasögur sowie die Mehrzahl der Konungasögur.92 Schier 1994, 251 ff.93 Schier 1994, 251.94 Schier 1970 [SM M78], 1; Meulengracht Sørensen 1977, 124.95 Schier 1970 [SM M78], 1.96 Sigurður Nordal 1953,180 ff.30


Die Vorzeitsagas spielen vor 850. Hierzu zählen die Fornaldarsögur, Riddarasögur,Märchensagas sowie Teile anderer Sagawerke.In <strong>den</strong> Sagas spiegelt sich die isländische Vorliebe für Genealogie. Es ist eincharakteristisch<strong>es</strong> Kennzeichen di<strong>es</strong>er literarischen Gattung, daßVerwandtschaftsbeziehungen bis ins kleinste Detail dargelegt wer<strong>den</strong>. Die sichhier<strong>aus</strong> ableiten<strong>den</strong> Stammbäume hatten unter anderem Bedeutung beiB<strong>es</strong>itzrechtsstreitigkeiten. Für <strong>den</strong> Handlungsverlauf sind die vielen Namen meistentbehrlich. In <strong>den</strong> Íslendingasögur ist di<strong>es</strong>e stilistische Eigenart am <strong>aus</strong>geprägt<strong>es</strong>tenund kann in umfangreichen Werken schnell dazu führen, daß der L<strong>es</strong>er die Übersichtverliert.Abbildung 1 illustriert die Hauptentstehungszeiten für jede der hier verwendetenSagagattungen. Es wird deutlich, daß sie während ein<strong>es</strong> relativ begrenzten Zeitraumsvon grob 200 Jahren mehr oder weniger parallel entstan<strong>den</strong>. Die Sagaschreibungbegann zwar schon in der ersten Hälfte d<strong>es</strong> 12. Jahrhunderts, aber die ält<strong>es</strong>tenüberlieferten Fragmente stammen erst <strong>aus</strong> der Zeit um 1200. Es handelt sich hierbeium Abschriften; keine der überlieferten Sagas ist im Original erhalten. 97 In welchemAusmaß beim Kopierproz<strong>es</strong>s eine Überarbeitung stattfand, läßt sich nichtrekonstruieren. Man weiß, daß z.B. Sturla Þorðarson bei der Zusammenstellung derSturlunga saga teilweise erhebliche Kürzungen und Veränderungen derOriginalquellen vornahm. Beträchtliche Unterschiede lassen sich auch beimVergleich von Texten f<strong>es</strong>tstellen, die in mehr als einer Kopie überliefert sind. Es liegtdaher die Vermutung nahe, daß Abschreiben gleichzeitig auch ein schöpferischerProzeß war.Die Zeit zwischen der B<strong>es</strong>iedlung Islands (um 870) und 1030 wird „Sagazeit“genannt. In di<strong>es</strong>em Zeitraum spielen die Íslendingasögur. Über die Ereignisse dernächsten 100 Jahre ist nichts bekannt, die Gründe hierfür sind unklar.97 Meulengracht Sørensen 1977, 126; Walter 1976 [ASAW 66 H2], 32; Schier 1971, VI.31


Abbildung 1: Entstehungszeiträume der untersuchten Sagaliteratur im Überblick870 B<strong>es</strong>iedlung Islands1000 Einführung d<strong>es</strong> Christentums1130 Sagaschreibung beginnt1150NiederschriftderKonungasögur1200Niederschriftder diversenSturlungasögurNiederschriftderByskupasögur1262/64 Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong>NiederschriftdermeistenÍslendingasögur1300Kompilation derSturlunga sagaNiederschriftderByskupasögur1350 Nach 1350 kaumnoch neue Werke32


Zwischen 1082 und 1118 war Gizzurr Ísleifsson Bischof in Skálholt. Er war sobeliebt und politisch stabilisierend, daß er laut Hungrvaka (s.u.) nicht nur Bischofwar, sondern sogar das Ansehen ein<strong>es</strong> Königs genoß. Ihm zu Ehren wird di<strong>es</strong>er allemAnschein nach friedliche und ereignisarme Abschnitt der isländischen G<strong>es</strong>chichte„Frie<strong>den</strong>szeitalter“ (= friðarôld) genannt. 98Von 1220 bis zum Ende d<strong>es</strong> isländischen Freistaat<strong>es</strong> dominierte ein einzigerFamilienclan die isländische Politik: die Sturlungen. Während di<strong>es</strong>er Zeit kam <strong>es</strong> zuteilweise bürgerkriegsähnlichen Zustän<strong>den</strong> im Land, die letztlich zum Anschluß anNorwegen im Jahre 1262/64 führten. Da ein Großteil der Sagaschreibung in di<strong>es</strong>eZeit fällt, wird diskutiert, inwieweit sich in di<strong>es</strong>en Texten die damaligen sozialenVerhältnisse widerspiegeln. 99 Möglicherweise transportieren sie ein an der Realitätder Sturlungenzeit orientiert<strong>es</strong> Menschenbild, welch<strong>es</strong> bei der Sagaschreibung alsVorbild diente. Das Inter<strong>es</strong>se an <strong>den</strong> alten Stoffen und deren Niederschrift währendder Sturlungenzeit muß auch vor dem Hintergrund der schweren Unruhen im eigenenLand g<strong>es</strong>ehen wer<strong>den</strong>. Ang<strong>es</strong>ichts der rauhen politischen Wirklichkeit wuchs dieWißbegierde an <strong>den</strong> Konflikten der Vorfahren. 100Nach 1350 entstan<strong>den</strong> kaum noch neue Isländersagas. Die Produktion derKonungasögur, der Byskupasögur und der Sturlunga saga war Mitte d<strong>es</strong> 14.Jahrhunderts abg<strong>es</strong>chlossen. Das 14. Jahrhundert war vor allem durch regeKopiertätigkeit und Her<strong>aus</strong>geben von Sagasammlungen gekennzeichnet. Aus di<strong>es</strong>erZeit stammen so bekannte Kompilationen wie die Flateyjarbók oder dieMöðruvallabók. Die weltlichen Oberhäupter d<strong>es</strong> <strong>aus</strong>gehen<strong>den</strong> 14. Jahrhundertshatten groß<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se an Büchern mit sowohl weltlichem als auch geistlichemInhalt. Die Sammlungen der Häuptlinge von Skarð á Skarðströnd, Reykjahólar, längsd<strong>es</strong> Breiðafjörður und in <strong>den</strong> W<strong>es</strong>tfjor<strong>den</strong> enthielten beispielsweise vieleHandschriften <strong>aus</strong> der Produktion d<strong>es</strong> Klosters Helgafell. Offensichtlich waren dieBeziehungen zwischen <strong>den</strong> weltlichen Herrschern und <strong>den</strong> Klöstern sehr gut. 101In <strong>den</strong> ersten Jahren d<strong>es</strong> 15. Jahrhunderts wurde Island von einer P<strong>es</strong>tepidemieheimg<strong>es</strong>ucht. Zwischen 1402 – 1404 starb ein Drittel der Bevölkerung. Auch dieBildungselite war betroffen, was gravierende Auswirkungen auf die98 Hreinn Benediktsson 1965, 16; Fell 1999 [AUS VII 201], 33 f.99 Z.B. Orri Vésteinsson 2000, 6; Jónas Kristjánsson 1994, 212.100 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson &Vésteinn Ólason 1992 (2), 12.101 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson &Vésteinn Ólason 1992 (2), 16.33


Literaturproduktion di<strong>es</strong><strong>es</strong> Jahrhunderts hatte. In Skálholt überlebte allein derBischof; in Hólar waren <strong>es</strong> sechs Pri<strong>es</strong>ter, drei Dekane und ein Mönch. 1024.3 Die KonungasögurDie Konungasögur bil<strong>den</strong> die ält<strong>es</strong>te Gruppe der „Sagaliteratur im engeren Sinne.“ 103Die Protagonisten di<strong>es</strong>er Werke sind in der Regel norwegische Könige. Aber auchSagas über die Herrscher der Orkneys und der Färöer zählen dazu, nebst vereinzeltenWerken über die dänische G<strong>es</strong>chichte. Obwohl die Konungasögur keine isländischenStoffe thematisieren, zählen sie doch zum Kreis der isländischen Sagaliteratur. DerGrund ist, daß sie im w<strong>es</strong>entlichen eine isländische Schöpfung sind und überwiegendauf Island niederg<strong>es</strong>chrieben wur<strong>den</strong>. 104 Die Autoren derjenigen Texte, die nicht aufIsland verfaßt wur<strong>den</strong>, waren (fast) alle Isländer. Die Eingrenzung der Konungasögurist nicht ganz unproblematisch. Die sog. „Königschroniken“, Übersichtswerke zurnorwegischen Monarchie, gehören nicht zur Sagaliteratur im engeren Sinne, wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Konungasögur aber in der Regel hinzugerechnet. Manche Forscher zählen auchTexte zur isländischen G<strong>es</strong>chichte mit Querverweisen nach Norwegen zu di<strong>es</strong>erGruppe (Íslendingabók, Landnámabok). 105Der Beginn der Konungasögur liegt teilweise im Dunkeln, da einige Werke derAnfangszeit verlorengegangen sind. Von <strong>den</strong> Werken zur norwegischen G<strong>es</strong>chichteSæmundr inn fróði Sigfússons (1056-1133) und Ari hinn fróði Þorgilssons (1067/68–1148) erfährt man nur durch ihre Erwähnung in anderen Quellen. Und auch das alsProtoyp der Konungasögur geltende Hryggjarstykki d<strong>es</strong> Isländers Eiríkr Oddsson (ca.1130/39–1161) existiert nicht mehr im Original. Es liegt jedoch b<strong>es</strong>timmtenAbschnitten der Heimskringla 106 und der Morkinskinna 107 zugrunde.102 Fell 1999, 71.103 Schier 1970 [SM M78], 5 f.; siehe auch oben.104 In Norwegen und nicht auf Island entstan<strong>den</strong> folgende Werke: die drei Königschroniken, dieLegendarische Óláfs saga (wahrscheinlich aber auf der Grundlage der auf Island g<strong>es</strong>chaffenenÄlt<strong>es</strong>ten Óláfs saga), Fagrskinna, Sverris saga, Hákonar saga Hákonarsonar, Magnúss sagalagabÍtis (jeweils isländische Verfasser).105 Eine eingehende Erörterung der Problematik ist für das Thema di<strong>es</strong>er Arbeit irrelevant. Es wirdd<strong>es</strong>halb darauf verzichtet. Für die vorliegende Arbeit wur<strong>den</strong> auch Quellen an der Peripherieg<strong>es</strong>ichtet. Für eine Zusammenfassung der Problematik siehe Schier 1971, 9.106 Von Snorri Sturluson um 1230 verfaßte Kompilation von Konungasagas. Es handelt sich um eineChronologie der Könige Norwegens. Sie beginnt zunächst mit <strong>den</strong> Herrschern von Uppsala, die dannnach Norwegen umsiedelten. Als erster König wird Hálfdan der Schwarze genannt, der Vater HaraldSchönhaars. Der Name Heimskringla leitet sich von <strong>den</strong> ersten Worten der Ynglingasaga ab: „Kringlaheimsins, sú er mannfólkit byggvir, er mjök vágskorin” (= Der Weltkreis, <strong>den</strong> die Menschenbewohnen, ist stark von Buchten durchschnitten).34


Die Sverris saga ist das Beispiel einer typischen „zeitgenössischen Saga”, bei der dieEreignisse und deren Niederschrift recht genau zusammenfallen. Die Sagas über diebei<strong>den</strong> norwegischen Könige Óláfr Tryggvason (Regierungszeit 995–1000) und <strong>den</strong>heiligen Óláfr Haraldsson (Regierungszeit 1015–1030) repräsentieren hingegen einenganz anderen Typ. Nach Sigurður Nordal gehören sie zu der KategorieVergangenheitssagas. Während <strong>es</strong> über Óláfr Tryggvason insg<strong>es</strong>amt drei Sagas gibt,sind über <strong>den</strong> heiligen König Óláfr Haraldsson sieben Handschriften bekannt, fünfdavon in Sagaform. Hierunter sind die sog. „Legendarische” Óláfs saga hinshelga 108 und Snorris Óláfs saga hins helga 109 wahrscheinlich die bekannt<strong>es</strong>ten. Dernorwegische Nationalheilige Óláfr Haraldsson spielt in der Sagaliteratur eineungleich größere Rolle als Óláfr Tryggvason. In <strong>den</strong> Byskupasögur taucht erwiederholt als heilender Heiliger auf, in <strong>den</strong> Íslendingasögur ist er selbst in dieHandlung eingebun<strong>den</strong> oder wird oft genannt.Mit der Morkinskinna und der Fagrskinna erreichte die Sagaschreibung in der erstenHälfte d<strong>es</strong> 13. Jahrhunderts die nächste Entwicklungsstufe:Es handelt sich dabei um freie Versionen älterer Texte, die durch Material <strong>aus</strong>Gedichten der Hofdichter, <strong>aus</strong> mündlicher Überlieferung, die zweifellos teilsmit <strong>den</strong> Gedichten in Verbindung stand, und letztlich <strong>aus</strong> der Phantasie derVerfasser selbst ergänzt wur<strong>den</strong>. 110Um 1220 begann Snorri Sturluson (1178/79–1241) mit der Umarbeitung der bis datovorliegen<strong>den</strong> Werke über die norwegischen Könige. Das Ergebnis waren spannendeErzählungen in einem bislang unbekannten Stil. Er vereinte dramaturgischeG<strong>es</strong>taltung mit dem Bemühen um historische Authentizität, was ihn zu demher<strong>aus</strong>ragendsten Autor seiner Zeit machte. 111 Snorris Ermordung 1241 beendeteabrupt die Zeit der Konungasögur. Nach seinem Tod entsteht mit der Knýtlinga saga(ca. 1260-70) über die dänischen Nachkommen König Knúts die letzte Konungasaga.107 = „das dunkle Pergament“. Eine weitere Kompilation, die um 1220 von einem unbekannten Autorverfaßt wurde. Es handelt sich gewissermaßen um die Fortsetzung der Óláfs saga helga, da sie mit derRegierungszeit d<strong>es</strong>sen Sohn<strong>es</strong>, Magnús dem Guten anfängt. Der Inhalt der ersten Version ist unklar.Im Laufe der Zeit wur<strong>den</strong> mehrere þættir hinzugefügt. Sie entstand vor der Fagrskinna um 1220.108 Entstan<strong>den</strong> um 1300, Verfasser unbekannt.109 Entstan<strong>den</strong> 1220/30, bildet <strong>den</strong> Mittelteil von Snorri Sturlusons Heimskringla.110 Jónas Kristjánsson 1994, 165.111 Jónas Kristjánsson 1994, 171.35


4.4 Die ByskupasögurDie Byskupasögur gehören mit der Sturlunga saga zu <strong>den</strong> „zeitgenössischen Sagas”.Sie handeln in erster Linie von isländischen Bischöfen zwischen 1106 und 1331,darunter auch <strong>den</strong> Nationalheiligen Þorlákr Þórhallsson und Jón Ögmundarson. Diebei<strong>den</strong> christlichen Könige Óláfr Tryggvason und Óláfr Haraldsson spielen alsHeilige auch in <strong>den</strong> Byskupasögur eine Rolle. Konungasögur und Byskupasögurweisen somit gewisse Berührungspunkte auf.Nach Einführung d<strong>es</strong> Christentums im Jahre 1000 wurde 1056 das Bistum Skálholtgegründet, gefolgt von Hólar im Jahre 1106. Þorlákr Þórhallsson, Bischof in Skálholtzwischen 1178 und 1193, wurde 1199 heilig g<strong>es</strong>prochen. Ein Jahr später bekam auchHólar mit Jón Ögmundarson seinen Heiligen. Seine Amtszeit als Bischof lagzwischen 1106 und 1121. Guðmundr Arason (Beiname: „der Gute“) wurde 1203zum Bischof von Hólar gewählt und versah sein Amt bis 1237. Zwar wurde eroffiziell trotz B<strong>es</strong>trebungen seiner Anhänger nie kanonisiert, doch gab <strong>es</strong> viele, die inihm schon zu Lebzeiten einen Heiligen sahen. Der Grund für die ablehnende HaltungRoms begründete sich <strong>aus</strong> seiner Verstrickung in die weltlichen Konflikte seinerZeit, bei <strong>den</strong>en er eine zweifelhafte Rolle spielte. Die Verehrung einheimischerHeiliger wurde von <strong>den</strong> weltlichen Fürsten gefördert, um Abwanderung von Kapitalins Ausland (Spen<strong>den</strong>, Opfergaben) zu verhindern.Schier unterscheidet zwei Typen von Texten: hagiographische Sagas über daswunderbare Wirken heiliger Bischöfe und historische Texte über die äußere Situationder Kirche und die politischen Aktivitäten der Bischöfe. Letztere stellen wichtigehistorische Quellen dar. 112 Erstere sind von historisch-soziologischer Bedeutung,<strong>den</strong>n sie zeichnen durch ihre „Wunderbücher“ „ein lebhaft<strong>es</strong>, frisch<strong>es</strong> Bild von demtäglichen Leben auf Island am Ende d<strong>es</strong> zwölften Jahrhunderts.“ 113 DieWunderbücher wur<strong>den</strong> auf Isländisch verfaßt, während <strong>es</strong> die Heiligenleben zunächstnur auf Latein gab. Zweifellos war <strong>es</strong> wichtig, der lateinunkundigen BevölkerungZugang zu di<strong>es</strong>en Texten als „Beweisen“ der Heiligkeit b<strong>es</strong>timmter Bischöfe zuermöglichen. Die Heiligenleben waren für di<strong>es</strong>en Zweck weniger geeignet.Vorwiegend hagiographisch sind die Jóns saga helga (Entstehung 1201/10), dieÞorláks saga (Entstehung vor 1211) sowie die Guðmundar saga góða (Entstehungum 1350). Über Guðmundr Arason gibt <strong>es</strong> insg<strong>es</strong>amt fünf Sagas. Bereits um 1240/49112 Schier 1971, 67.36


verfaßte ein Schüler Guðmundrs, Lambkárr Þorgilsson (g<strong>es</strong>t. 1249), eine historischeSaga über d<strong>es</strong>sen Leben bis zur Bischofsweihe. Die Pr<strong>es</strong>tssaga Guðmundar góða istB<strong>es</strong>tandteil der Sturlunga saga. Um 1300 enstan<strong>den</strong> drei Versionen einerGuðmundar saga, beruhend auf der Pr<strong>es</strong>tssaga und weiteren schriftlichen undmündlichen Quellen.In Analogie zu <strong>den</strong> Königschroniken gibt <strong>es</strong> auch bei <strong>den</strong> historischen Sagas eineChronik der Bischöfe von Skálholt unter dem Titel Hungrvaka (dieHungerweckerin). Es ist das erklärte Ziel ihr<strong>es</strong> unbekannten Autors, bei ungebildetenMenschen Inter<strong>es</strong>se für Leben und Wirken di<strong>es</strong>er Bischöfe zu wecken. AlsEntstehungszeit wird 1206 bis 1211 angenommen.Weitere historisch <strong>aus</strong>gerichtete Byskupasögur sind neben <strong>den</strong> bereits genannten diePáls saga, die Árna saga sowie die Lárentíuss saga.4.5 Die Sturlunga sagaDie Sturlunga saga zählt ebenfalls zu <strong>den</strong> „zeitgenössischen Sagas“ und gilt alshistorisch zuverlässige Quelle. 114 Sie entstand um 1300 als Kompilationverschie<strong>den</strong>er Sagas der Sturlungenzeit (1220–1262/64). Der Name Sturlunga sagaerscheint zum ersten Mal in Quellen d<strong>es</strong> 17. Jahrhunderts. Als Sturlungen wer<strong>den</strong> dieNachkommen Sturla Þórðarsons <strong>aus</strong> Hvammr („Hvamm-Sturla”) bezeichnet, die im12. und 13. Jahrhundert auf Island politisch eine her<strong>aus</strong>ragende Rolle spielten und imoben genannten Zeitraum die mächtigste Familie d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> waren. Di<strong>es</strong>e Periodewurde durch schwere innenpolitische Unruhen geprägt, die in mehreren Sagasb<strong>es</strong>chrieben wer<strong>den</strong>. Als Kompilator der Sturlunga saga gilt der lôgmaðr ÞórðrNarfason (g<strong>es</strong>t. 1308) <strong>aus</strong> Skarð in Skarðströnd. Seinen bei<strong>den</strong> Brüdern, Þorlákr(g<strong>es</strong>t. 1303) und Snorri (g<strong>es</strong>t. 1332) wird eine gewisse Mither<strong>aus</strong>geberschaftzug<strong>es</strong>chrieben. Die Leute <strong>aus</strong> Skarð unterhielten vielfältige Beziehung zu <strong>den</strong>Sturlungen. Þórðrs Familie gehörte zu <strong>den</strong> ersten Siedlern d<strong>es</strong> Ort<strong>es</strong> und wird schonim Geirmundar þáttr heljarskinns erwähnt. Ebenfalls b<strong>es</strong>tand Verwandtschaft mitGuðmundr dýri <strong>aus</strong> der Guðmundar saga dýra. Und schließlich wird im Sturlu þáttrvon einem B<strong>es</strong>uch Þórðrs bei Sturla Þórðarson, dem Verfasser der Íslendinga sagaim Winter 1271/72 berichtet. Þórðr war ein Verwandter von Sturlas Ehefrau Helga.Was Þórðr zur Her<strong>aus</strong>gabe einer Sagakompilation veranlaßte, ist unklar. Vermutlich113 Jónas Kristjánsson 1994, 187.114 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson & Vésteinn Ólason 1992 (1), 309; Schier 1971, 61.37


wollte er der Nachwelt die Ereignisse überliefern, die zum Untergang d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong>führten. 115Die Saga ist ein gut<strong>es</strong> Beispiel für die Arbeitsweise mittelalterlicher Her<strong>aus</strong>geber.Die einzelnen Texte wur<strong>den</strong> nicht in ihrer ursprünglichen Form belassen, sondernerfuhren z.T. starke Veränderungen, wie „Verb<strong>es</strong>serungen”, Streichungen,Erweiterungen, etc. Im Ergebnis unterschie<strong>den</strong> sie sich meist erheblich vom Original.Bei <strong>den</strong> Texten der Sturlunga saga wur<strong>den</strong> vor allem umfangreiche Streichungenvorgenommen, wenn zwei Sagas über dasselbe Ereignis berichteten.Die Íslendinga saga von Hvamm-Sturlas Enkel Sturla Þórðarson (1214-1284) ist dermit Abstand umfangreichste Text der Sturlunga saga. Sie behandelt <strong>den</strong> Zeitraumvon 1183 (Tod von Hvamm-Sturla) bis 1255 (Schlacht von Þverá), bzw. 1264(Hinrichtung von Þórðr Andréasson). Die Bedeutung di<strong>es</strong><strong>es</strong> Text<strong>es</strong> ist so groß, daß ermanchmal synonym mit der Sturlunga saga g<strong>es</strong>etzt wird. 116Insg<strong>es</strong>amt b<strong>es</strong>teht die Sturlunga saga <strong>aus</strong> elf Texten, die <strong>den</strong> Zeitraum von derChristianisierung bis zum Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> (1000-1262/64) fast lückenlosabdecken. Die Entstehungszeit der einzelnen Sagas umfaßt etwa 100 Jahre und reichtvon der ersten Hälfte d<strong>es</strong> 13. bis zur ersten Hälfte d<strong>es</strong> 14. Jahrhunderts. Ursprünglichenthielt die Sturlunga saga zwei Texte weniger. Nachforschungen ergaben, daß dieÞorgils saga skarða und der Sturlu þáttr erst im 17. Jahrhundert hinzugefügtwur<strong>den</strong>. 1174.6 Die ÍslendingasögurDie Íslendingasögur stellen die umfangreichste Sagagruppe dar. Sie „wer<strong>den</strong> sogenannt, weil sie von isländischen Männern und Frauen berichten, die zu <strong>den</strong> erstenGenerationen d<strong>es</strong> isländischen Volk<strong>es</strong> gehörten, von der Landnahme bis etwa1030.” 118 Schauplatz ist zumeist Island, doch bisweilen wird die Handlung einzelnerEpiso<strong>den</strong> auch nach Norwegen oder England sowie in die Randgebiete derWikingerwelt (u.a. Rußland und Byzanz) verlagert. Ihre Handlungszeit (870-1030)wird auch als Sagazeitalter (SagaÄld) bezeichnet. Da sie vor dem FriðarÄld liegt,gehören sie der Gruppe der Vergangenheitssagas an.115 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson & Vésteinn Ólason 1992 (1), 312 f.116 Jónas Kristjánsson 1994, 198.117 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson & Vésteinn Ólason 1992 (1), 311.118 Jónas Kristjánsson 1994, 209.38


Als geradezu gattungstypisch gilt die Tatsache, daß alle Verfasser der rund fünfzigIsländersagas anonym sind. 119 Im Gegensatz dazu sind die Autoren der anderen hiervorg<strong>es</strong>tellten Sagagruppen meist bekannt. Das ist um so erstaunlicher, weil dieÍslendingasögur zu Lebzeiten vieler di<strong>es</strong>er bekannten Autoren entstan<strong>den</strong>. DieAnonymität kann mit der Entstehungszeit also nicht viel zu tun haben, da beizeitgenössischen Werken nichts dergleichen beobachtet wird. Auch ist nicht mitSicherheit bekannt, wo sie entstan<strong>den</strong> und <strong>aus</strong> welchem Anlaß.Da die Íslendingasögur zur Zeit der Sturlungen aufgezeichnet wur<strong>den</strong>, kann davon<strong>aus</strong>gegangen wer<strong>den</strong>, daß ihre Verfasser unter starkem Eindruck zeitgenössischerEreignisse stan<strong>den</strong>. Die Welt der Íslendingasögur wird von der Forschung daher oftals poetisch<strong>es</strong> Abbild der Sturlungenzeit interpretiert. 120 Die Möglichkeiten fürkünstlerische Veränderungen waren bei di<strong>es</strong>er Art von Texten aufgrund derEreignisferne sehr viel b<strong>es</strong>ser gegeben als bei der Sturlunga saga, deren Ereignisse<strong>den</strong> L<strong>es</strong>ern noch „frisch“ im Gedächtnis waren. 121 Historische Genauigkeit hatte beiletzteren wegen der Kontrollierbarkeit Priorität.Da alle Íslendingasögur als Abschriften 122 von Originalen vorliegen, über derenEntstehungszeit nichts bekannt ist, wird eine zeitliche Chronologie stark erschwert.Durch indirekte Metho<strong>den</strong> wurde versucht, sich ihr Alter zu erschließen. So orientiertsich beispielsweise Einar Ól. Sveinsson an Hinweisen auf Isländersagas in anderenWerken, Nennung historischer Personen oder Ereignisse, die Hinweise auf die Zeitder Sagaentstehung ermöglichen, sprachliche Kriterien, etc. 1234.7 Die ÍslendingaþættirKurze G<strong>es</strong>chichten, in <strong>den</strong>en Isländer die Hauptrolle spielen, wer<strong>den</strong> alsÍslendingaþættir (sgl. þáttr) bezeichnet. Man rechnet sie zur Gruppe derÍslendingasögur. Insg<strong>es</strong>amt gibt <strong>es</strong> ungefähr 40 di<strong>es</strong>er Texte. Die ungenaue Anzahlergibt sich dar<strong>aus</strong>, ob eine Episode als þáttr klassifiziert oder als untrennbarer Teil119 Aufgrund von Stiluntersuchungen wur<strong>den</strong> über die Autorenschaft mancher Texte wiederholtMutmaßungen ang<strong>es</strong>tellt. So stammt die Egils saga möglicherweise von Snorri Sturluson, währendandere Sagas vor allem mit dem Kloster Þingeyrar in Verbindung gebracht wer<strong>den</strong> (Fell [AUS VII201] 1999, 44 f.).120 Jónas Kristjánsson 1994, 212; Durrenberger 1992, X, 24.121 Guðrún Nordal, Sverrir Tómasson & Vésteinn Ólason 1992 (1), 311.122Die ält<strong>es</strong>ten erhaltenen Handschriftenfragmente stammen <strong>aus</strong> der Zeit um 1250 (JónasKristjánsson 1994, 217 f.).123 Einar Ól. Sveinsson 1958.39


einer Saga betrachtet wird. Man unterscheidet zwei Gruppen von þættir, je nachdem,ob ihre Handlung auf Island oder im Ausland spielt. Viele von ihnen verfügen übereine <strong>aus</strong>gearbeitete literarische Form, in der gewöhnlich eine Steigerung bis zumHöhepunkt beobachtet wird. Einige sind eng miteinander verbun<strong>den</strong>.40


5 Die soziale Ordnung im mittelalterlichen Island alsnormenstiftende Instanz gruppenspezifischen Schmerzverhaltens5.1 Erkenntnisse moderner soziokultureller Forschung zum Schmerzempfin<strong>den</strong>Das Schmerzphänomen erklärt sich <strong>aus</strong> dem Zusammenwirken vielerunterschiedlicher Faktoren. Neben neuronalen Proz<strong>es</strong>sen spielen g<strong>es</strong>ellschaftlicheund kulturelle Einflüsse eine wichtige Rolle. Das individuelle Schmerzerleben ist u.a.die Summe <strong>aus</strong> Schmerzreiz, persönlicher Schmerzschwelle, aktueller psychischerVerfassung, früheren Erfahrungen mit Schmerz und dem individuellen Vermögen,mit Schmerz umzugehen. Das soziale Umfeld sowie die individuelle kulturellePrägung sind hierbei von großer Bedeutung, wie man <strong>aus</strong> einer Studie ersehen kann,die der Anthropologe Marc Zborowski zwischen 1951 und 1954 im Mount ZionHospital in San Francisco durchführte. 124 Für seine Analyse zum Schmerzverhaltenmännlicher Kriegsveteranen ordnete er die Patienten nach ihrer ethnischen Herkunftin vier Gruppen: Iren, Ju<strong>den</strong>, Italiener und WASPS. 125 Obwohl alle Patienten imKrieg dasselbe durchgemacht hatten, war ihr Umgang mit Schmerz völligunterschiedlich. Ju<strong>den</strong> und Italiener ließen ihren Gefühlen freien Lauf, während Irenund WASPS sich zurückzogen und eher schweigsam verhielten. Weiterhin fand ergruppenübergreifende, auf die soziale Schicht bezogene Gemeinsamkeiten.Angehörige unterer sozialer Schichten sahen im Schmerz oft eine Bedrohung ihrerArbeitskraft und bevorstehen<strong>den</strong> finanziellen Ruin. Die WASPS versuchten in di<strong>es</strong>erSituation stets, mit harmlosen, rationalen Erklärungen (Krampf, Muskelschmerz,etc.) die Gefahr zu bagatellisieren. Zborowski folgerte, daß man auf Schmerz nichtnur als Individuum reagiert, sondern auch als Angehöriger einer b<strong>es</strong>timmten sozialenSchicht oder Kultur. Folglich b<strong>es</strong>itzt die soziokulturelle Einbettung d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>weitreichende Bedeutung für die Ausprägung d<strong>es</strong> Schmerzphänomens.Inter<strong>es</strong>santerweise zeigten die Iren in di<strong>es</strong>em Zusammenhang ein Schmerzverhalten,das an die Hel<strong>den</strong> der Sagas erinnert. Sie schwiegen und waren stolz darauf, alleQualen stoisch über sich ergehen lassen zu können. Morris sieht in di<strong>es</strong>er Haltungeine aktive Handlung:124 Zborowski 1960.125WASPS = White Anglo-Saxon Prot<strong>es</strong>tants. Es handelt sich um weiße Amerikaner <strong>aus</strong>prot<strong>es</strong>tantischen Familien mit mehr als drei Generationen Ansässigkeit in Amerika.41


Schmerz zu ertragen bedeutet die Weigerung zu kapitulieren. Durch ihrSchweigen erringen die irischen Patienten einen moralischen Sieg; <strong>es</strong> ist derBeweis, daß der Schmerz sie nicht zu zerstören vermag. Er kann sie beuteln,aber sie können <strong>es</strong> einstecken. Auf di<strong>es</strong>e Weise bedeutet er für sie dieÜberwindung einer Niederlage. 126Die isländische G<strong>es</strong>ellschaft d<strong>es</strong> Mittelalters b<strong>es</strong>aß zweifellos ebenfalls eine solche„Schmerzkultur“, d.h., eine für Mitglieder di<strong>es</strong>er sozialen Gruppe typische Art, mitSchmerz umzugehen. Ihre jeweilige Ausprägung könnte aber zwischen <strong>den</strong>G<strong>es</strong>ellschaftsschichten unterschiedlich gew<strong>es</strong>en sein. Eine Analyse der Bedeutungvon Schmerz in der mittelalterlichen isländischen G<strong>es</strong>ellschaft muß daher dieSchichtzugehörigkeit berücksichtigen. Zwar ist <strong>es</strong> nicht möglich, die damaligenVerhältnisse genau zu rekonstruieren. Doch in <strong>den</strong> Sagatexten fin<strong>den</strong> sich einigeHinweise auf g<strong>es</strong>ellschaftliche Strukturen und Verhaltenscodiz<strong>es</strong>, die in di<strong>es</strong>er Arbeiteiner genaueren Betrachtung unterzogen wer<strong>den</strong> sollen. Es gilt dasKommunikationsmodell von Paul Watzlawick: man kann nicht nichtkommunizieren. 127 Abw<strong>es</strong>enheit von Schmerz im Text gibt gen<strong>aus</strong>o Hinweise aufseine g<strong>es</strong>ellschaftliche Bewertung wie seine B<strong>es</strong>chreibung. Die Hauptpersonen derSagas sind überwiegend Angehörige vornehmer isländischer Familien, von <strong>den</strong>enwiederum di<strong>es</strong>e Sagas g<strong>es</strong>chrieben wur<strong>den</strong>. 128 Da die Autoren der Sagas di<strong>es</strong>enKreisen entstammen, b<strong>es</strong>chäftigt sich die vorliegende Untersuchung also mit demSchmerz di<strong>es</strong>er Gruppe. Mitglieder anderer sozialer Schichten wer<strong>den</strong> meist nur amRande erwähnt und damit hat auch ihr Schmerz eher untergeordnete Bedeutung in<strong>den</strong> Sagatexten. Allein in <strong>den</strong> Byskupasögur fin<strong>den</strong> sich <strong>aus</strong>führlichere Hinweise aufdas Verhältnis der allgemeinen Bevölkerung zum Schmerz.Generelle Einblicke in die g<strong>es</strong>ellschaftlichen Strukturen Islands im Mittelalter gebendie G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>sammlung Grágás sowie Íslendingabók und Landnámabok, die dieAnfänge der B<strong>es</strong>iedlung thematisieren und damit in Bezug auf eine nationalekulturelle I<strong>den</strong>tität prägen<strong>den</strong> Charakter haben. Die Sagas sind Produkt und Abbilddi<strong>es</strong>er Verhältnisse. Die Kenntnis d<strong>es</strong> damaligen sozialen Gefüg<strong>es</strong> bildet <strong>den</strong>Schlüssel für das Verständnis d<strong>es</strong> in di<strong>es</strong>er Arbeit entwickelten Schmerzmodells undd<strong>es</strong>sen Einordnung in einen übergeordneten G<strong>es</strong>amtkontext. Aus di<strong>es</strong>em Grund folgt126 Morris 1996, 79.127 Watzlawick, Beavin & Jackson 1996, 53.128 Hastrup 1985, 109 f.: „The image of the Icelandic Fre<strong>es</strong>tate, as held in contemporary socialrealizations and as transmitted through history, was the image of the bóndi. This particular class wrotethe history of the Fre<strong>es</strong>tate, in a double sense.“42


ein Überblick über die g<strong>es</strong>ellschaftlichen Strukturen, wie sie aufgrund überliefertenSchrifttums rekonstruiert wur<strong>den</strong>.5.2 Die Anfänge d<strong>es</strong> isländischen Freistaat<strong>es</strong>Als Auslöser für die B<strong>es</strong>iedlung Islands 870 n.Chr. wird in der Íslendingabók, derLandnámabók und auch in der Egils saga die Machtergreifung Harald Schönhaarsum 900 in Norwegen genannt. Die unter seiner Herrschaft stattfin<strong>den</strong>de Enteignungund politische Verfolgung norwegischer Kleinkönige initiierte di<strong>es</strong>en Quellenzufolge eine Auswanderungsbewegung in das kurz zuvor entdeckte Island. Nach demaktuellen Forschungsstand sind die Angaben in di<strong>es</strong>er Form vermutlich nicht haltbar.Zwar kann die Zeit der Landnahme in etwa stimmen, doch wird bezweifelt, daßHarald Schönhaar schon zu einem so frühen Zeitpunkt in seiner endültigenMachtposition war. Glaubhafter ist, daß die Einwanderung von <strong>den</strong> britischen Inseln<strong>aus</strong> stattfand, da <strong>es</strong> um 900 dort zu mehreren Niederlagen der Wikinger kam. ImZuge d<strong>es</strong>sen wur<strong>den</strong> vor allem die in Irland ansässigen Skandinavier <strong>aus</strong> ihrenSiedlungen vertrieben und suchten wahrscheinlich auf Island eine neue Heimat.DNA-Analysen haben ergeben, daß die männlichen Landnehmer zu über 75 %, dieweiblichen jedoch nur zu 37,5 % skandinavischen Ursprungs waren. Anscheinendwaren die männlichen Einwanderer Skandinavier, die ihre keltischen Frauen undDienstboten mitbrachten. 129 Die Landnámabók gibt einen detaillierten Bericht überdie „Landnehmer“. Hier ist von etwa 400 Siedlern die Rede, wohingegen <strong>es</strong>Schätzungen zufolge erheblich mehr gew<strong>es</strong>en sein müssen, <strong>den</strong>n in derLandnámabók sind nur g<strong>es</strong>ellschaftlich hochstehende Familien aufgeführt.Familienmitglieder und Sklaven wer<strong>den</strong> nicht beziffert. 130 Unsicheren Schätzungenzufolge lebten im Mittelalter zwischen 40. und 100.000 Menschen auf Island. 131Unter dem mutmaßlich großen Populationsdruck gab <strong>es</strong> bald Probleme mit derAufteilung d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong>. Die Verfassung d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> sah zwar Gleichheit allerfreien Bauern vor, doch de facto zerfielen die Landnehmer schon nach kurzer Zeit inzwei Gruppen. Auf der einen Seite stand eine verhältnismäßig kleine Gruppe129 Sawyer & Sawyer 2002, 142 ff.130 Durrenberger weist darauf hin, daß nur die Häuptlinge die aktive Möglichkeit zur Auswanderunghatten. Untergeordnete H<strong>aus</strong>halte konnten sich ihnen anschließen, hatten aber nicht die finanziellenMittel, ein solch<strong>es</strong> Unterfangen <strong>aus</strong> eigener Kraft zu initiieren (Durrenberger 1992, 29).131 Hastrup 1985, 8; 171: 40.-100.000; Meulengracht Sørensen 2000 [CSML 42], 10: max. 50.000;Walter 1976 [ASAW 66 H2],14: 80.000.43


Großgrundb<strong>es</strong>itzer der ersten Stunde, die als Pioniere das unbewohnte Land nachBelieben untereinander aufgeteilt hatten. Auf der anderen Seite gab <strong>es</strong> die Masse derSiedler, die gekommen waren, als das Land bereits vergeben war. Sie waren daraufangewi<strong>es</strong>en, von <strong>den</strong> Pionieren einen Teil davon zu erwerben, sei <strong>es</strong> durch Kauf,Heirat oder Gewalt. 132Das bis dahin lediglich spärlich b<strong>es</strong>iedelte 133 und geographisch abg<strong>es</strong>chie<strong>den</strong>e Landeröffnete <strong>den</strong> Landnehmern die einmalige Chance, einen Staat aufzubauen, der keineRücksicht zu nehmen brauchte auf die Strömungen der Zeit: Feudalismus,Konzentration politischer Macht, Christianisierung. 134 Im Jahr 930 war das Landgemäß Íslendingabók ’albyggt’ (= voll erschlossen) und eine Zentralversammlungwurde zu seiner Regierung eingeführt: das Althing (alþingi). Gleichzeitig erhieltIsland seine erste Verfassung: das „G<strong>es</strong>etz von Úlfljótr”. Damit wurde eine imweiteren Sinne demokratieähnliche Staatsform g<strong>es</strong>chaffen, der „Freistaat“. 1355.3 Die G<strong>es</strong>ellschaftsordnungDie g<strong>es</strong>ellschaftlichen Klassen Islands gliederten sich prinzipiell in frei und unfrei, inBauern (sgl. bóndi, pl. bændr) und Sklaven (sgl. þræll, pl. þrælar). Hastrup weistdarauf hin, daß die B<strong>es</strong>chneidung von Freiheitsrechten als gewöhnlich<strong>es</strong>europäisch<strong>es</strong> Phänomen im Mittelalter zu sehen ist, mit Wurzeln in der Antike. 136 InNorwegen, dem mutmaßlichen Ursprungsland vieler Einwanderer, gab <strong>es</strong> zur Zeitder Landnahme drei Klassen: Adlige, Freie und Sklaven. Auf Island gab <strong>es</strong> wederAdel noch Staatsoberhaupt. Die freien Bauern (bændr) waren – zumind<strong>es</strong>t in derAnfangszeit – einander in allen Belangen gleichg<strong>es</strong>tellt. Die r<strong>es</strong>ultierende 2-Klassen-G<strong>es</strong>ellschaft b<strong>es</strong>tand allerdings nur in der Theorie. In der Praxis existierten nochmind<strong>es</strong>tens zwei weitere Klassen: die der Freigelassenen (sgl. leysingi, pl. leysingjar)132 Björn Þorsteinsson 1966, 72.133 Bereits vor der Landnahmezeit hat <strong>es</strong> skandinavische Siedlungen auf <strong>den</strong> V<strong>es</strong>tmannaeyjar gegeben(Margrét Hermanns-Auðardóttir [SAUU 1], 1989).134 Hastrup 1985, 9; 171; Meulengracht Sørensen 2000 [CSML 42], 10.135 Di<strong>es</strong>e Arbeit verwendet <strong>den</strong> nicht unumstrittenen Begriff „Freistaat“. In di<strong>es</strong>em Zusammenhangmuß darauf hingewi<strong>es</strong>en wer<strong>den</strong>, daß <strong>es</strong> sich hier nicht um einen „Staat“ im eigentlichen Sinnehandelte. Nach Gísli Pálsson war di<strong>es</strong><strong>es</strong> politische Gebilde „a loose association of politicalassemblag<strong>es</strong>, united by law and minimal agreement but without a centralized executive body“ (GísliPálsson 1992, 3). Seiner Meinung nach b<strong>es</strong>chreiben die Bezeichnungen Commonwealth und Þjóðveldi(wörtlich: „Volksmacht“) <strong>den</strong> Sachverhalt treffender.136 Hastrup 1985, 107.44


und die der Pächter (sgl. leiglendingr, pl. leiglendingar). Daneben bildeten sichweitere Mischformen her<strong>aus</strong>, auf die hier nicht weiter eingegangen wer<strong>den</strong> soll.5.3.1 BauernDie dominierende Klasse war die der freien Bauern. Sie war nicht nur durch ihreLändereien in einer ökonomisch sehr günstigen Position. Als Herrscher über Pächterund Sklaven verfügten die bændr auch über soziale Macht. Alle politischen Ämterwur<strong>den</strong> durch Vertreter <strong>aus</strong> ihren Reihen b<strong>es</strong>etzt. 137 Nur die bændr b<strong>es</strong>aßen dasRecht, an <strong>den</strong> Thingversammlungen teilzunehmen. Um aber þingmaðr zu wer<strong>den</strong>,bedurfte <strong>es</strong> einer gewissen Finanzkraft, um die damit verbun<strong>den</strong>e Abgabe, dasþingfararkaup, bezahlen zu können. Geld war anfangs aber nicht der Schlüssel zurMacht, sondern allein persönliche Qualitäten.5.3.2 PächterDas Pachtw<strong>es</strong>en entstand <strong>aus</strong> dem Mangel an Land, der sich durch <strong>den</strong> konstantenZustrom von Einwanderern innerhalb weniger Jahrzehnte einstellte. Um für dieNeuankömmlinge Platz zu schaffen, verpachteten die etablierten Bauern kurzerhandeinen Teil ihrer Ländereien. Das in der Regel einjährige Vertragsverhältnis ließ demPächter (leiglendingr) bei der Nutzung d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> freie Hand, solange sie nicht zugewerblichen Zwecken g<strong>es</strong>chah und der Werterhaltung diente.Eine Hierarchi<strong>es</strong>tufe unter dem leiglendingr stand der búðsetumaðr, d<strong>es</strong>sen sozialeStellung sich zwischen Pächter und Knecht befand. Auch er war frei geboren undstand zivilrechtlich mit bóndi und leiglendingr auf einer Stufe. Er hatte jedoch keinenZugang zu Ämtern und damit nur geringen politischen Einfluß. Zudem konnte erjederzeit zu Arbeiten auf dem Hof d<strong>es</strong> Bauern herangezogen wer<strong>den</strong>.5.3.3 SklavenSklaven waren in <strong>den</strong> Anfangsjahren d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> üblich und wer<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Sagasals dunkelhäutig mit krummen Nasen g<strong>es</strong>childert. Ein typischer Sklavenname istSvartr (= der Schwarze). Laut Hastrup befand sich unter <strong>den</strong> Sklaven ein großerAnteil Kelten, die die Wikinger von ihren Raubzügen mit nach Island brachten.G<strong>es</strong>ellschaftlich hatten Sklaven einen niedrigen Status und rangierten über dem Vieh.Als Eigentum ihr<strong>es</strong> Herrn lag ihr Leben in seinen Hän<strong>den</strong> und er konnte straffrei137 Hastrup 1985, 109.45


nach Belieben mit ihnen verfahren. Unter Geldstrafe g<strong>es</strong>tellt war lediglich dieTötung fremder Sklaven. 138Zwar war Sklaverei während der g<strong>es</strong>amten Freistaatzeit g<strong>es</strong>etzlich verankert, doch<strong>aus</strong> dem täglichen Leben war sie vermutlich schon vor 1100 <strong>aus</strong> wirtschaflichenGrün<strong>den</strong> verschwun<strong>den</strong>. 139 Die vormals strikt getrennten sozialen Klassendurchmischten sich. 1405.4 G<strong>es</strong>etzlose – Leben außerhalb der G<strong>es</strong>ellschaftG<strong>es</strong>etz und G<strong>es</strong>ellschaft wur<strong>den</strong> in Skandinavien im Mittelalter synonymverwendet. 141 Das galt auch für Island:The logic of social life in medieval Iceland was to a large extent defined bythe concept of vár lög, ‘our law‘. ‘Our law‘ was far more than procedur<strong>es</strong> andsocial sanctions, for it was fundamental to the very idea of social life. 142Schwere Verstöße gegen das G<strong>es</strong>etz wur<strong>den</strong> mit Ausschluß <strong>aus</strong> der G<strong>es</strong>ellschaftgeahndet. Zwei verschie<strong>den</strong>e Strafen konnten verhängt wer<strong>den</strong>: fjörbaugsgarðr undskóggangr. Fjörbaugsgarðr 143bedeutete Verbannung für drei Jahre und war diemildere Strafe. Skóggangr 144 bedeutete Ächtung. Beide gingen mit dem Verlust allerRechte auf Island einher, nebst der Konfiszierung d<strong>es</strong> persönlichen Eigentums.Während der skógarmaðr all<strong>es</strong> verlor, behielt der fjörbaugsmaðr sein Land; Geld für<strong>den</strong> Unterhalt seiner Familie wurde zur Seite gelegt. Nach Ablauf seiner dreiVerbannungsjahre wurde er in die G<strong>es</strong>ellschaft reintegriert. Der skógarmaðr warhingegen für immer <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>toßen.138 Der Betrag belief sich auf 12 Öre Silber (Vilhjálmur Finsen 1852 [DNLS 11]: Grágás (1), 202).139 Hastrup 1985, 108.140 Hastrup 1985, 108.141 Hastrup 1985, 136.142 Hastrup 1985, 205.143 Kompositum <strong>aus</strong> fjörbaugr (= Lebensring) und garðr (= Hof, Zaun). Ursprünglich mußte demGericht ein Silberring als Bußgeld gezahlt wer<strong>den</strong>, um von der Tod<strong>es</strong>strafe verschont zu wer<strong>den</strong>.Später wurde anstelle ein<strong>es</strong> Rings eine Mark (mörk) entrichtet. Bei Zahlungsunfähigkeit drohteVerbannung für immer. Garðr bezieht sich auf die Tatsache, daß sich der Verurteilte innerhalb derUmzäunung dreier Höfe aufhalten mußte, während er seine Ausreise vorbereitete (Hastrup 1985,137 f.).144 = „Waldgang“. Das Urteil trat erst nach Ende d<strong>es</strong> Things in Kraft, wenn alle wieder ihre Waffen ansich nahmen (vápnatak). Der Verurteilte erhielt somit einen kleinen Vorsprung, um in <strong>den</strong> Wald zuentkommen.46


5.5 Das bipolare Modell von G<strong>es</strong>ellschaft und UmweltIm Ausschluß <strong>aus</strong> der G<strong>es</strong>ellschaft spiegelte sich die typisch isländische Einstellungzu G<strong>es</strong>ellschaft und Umwelt. Die Sozialgemeinschaft bildete ein Bollwerk gegen diekonstanten „antisozialen“ Bedrohungen von außen in G<strong>es</strong>talt diverser übernatürlicherW<strong>es</strong>en. 145 Der Geächtete war also nicht nur von allen sozialen Kontaktenabg<strong>es</strong>chnitten, sondern wurde überdi<strong>es</strong> mit <strong>den</strong> Gefahren der Geisterweltkonfrontiert. Di<strong>es</strong>er Umstand illustriert um so mehr die Schwere der Strafe. Mit demAusschluß <strong>aus</strong> der G<strong>es</strong>ellschaft wur<strong>den</strong> die skógarmenn Teil der Wildnis. Si<strong>es</strong>tan<strong>den</strong> auf einer Stufe mit <strong>den</strong> dortigen Mächten d<strong>es</strong> Chaos, die man mit Zäunenfernzuhalten suchte. Mit der Zeit verschmolzen sie mit ihnen zu einer neuenKategorie, <strong>den</strong> Draußenliegern (útilegumenn). Sie wur<strong>den</strong> dadurch in die Nähe vonTrollen gerückt. Ächtung ist ein häufig<strong>es</strong> Thema in <strong>den</strong> Íslendingasögur. Dieberühmt<strong>es</strong>ten Geächteten waren Grettir Ásmundarson (Grettis saga Ásmundarsonar)und Gísli Súrsson (Gísla saga Súrssonar). Grettir überlebte 19 Jahre und stelltedamit <strong>den</strong> Rekord auf. Gísli war 13 Jahre lang vogelfrei.5.6 Das politische SystemDer isländische Freistaat beruhte auf <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> politischen Institutionen Go<strong>den</strong>tumund Thing.5.6.1 Go<strong>den</strong>tumGo<strong>den</strong> (goðar) waren Häuptlinge, die quasi als „Abgeordnete” ihren „Wahlkreis” aufder Thingversammlung vertraten. Sie bildeten die „Regierung” d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong>. Bei derStaatsgründung im Jahre 930 wurde ihre Zahl auf 36 f<strong>es</strong>tgelegt. Die Go<strong>den</strong> warenfreie Bauern und innerhalb di<strong>es</strong>er sozialen Schicht primi inter par<strong>es</strong>. Obwohl <strong>es</strong> sichbeim goðorð um ein öffentlich<strong>es</strong> Amt handelte, konnte sein B<strong>es</strong>itzer nach eigenemErm<strong>es</strong>sen darüber verfügen und <strong>es</strong> z.B. auf eine andere Person übertragen. 146Ursprünglich war das goðorð dadurch charakterisiert, daß <strong>es</strong> sich nicht auf einb<strong>es</strong>timmt<strong>es</strong> geographisch<strong>es</strong> Gebiet erstreckte. Die Bauern konnten selbst b<strong>es</strong>timmen,welcher Gode sie auf dem Thing vertreten sollte. 147 Jeder bóndi hatte somit die145 Hastrup 1985, 143.146 Hastrup 1985, 118.147 Die Aufgaben der Go<strong>den</strong> waren vielschichtig (Vilhjálmur Finsen 1852 [DNLS 11]: Grágás (1), 38ff.), hauptsächlich aber an die Thingversammlungen geknüpft. Sie eröffneten <strong>den</strong> Thing, wirkten ander G<strong>es</strong>etzgebung mit, brachten juristische Fälle ihrer þingmenn vor Gericht, gaben <strong>den</strong> Kalender fürdas kommende Jahr vor, etc.47


Möglichkeit, sich unabhängig sein<strong>es</strong> eigenen Wohnort<strong>es</strong> einem Go<strong>den</strong> seiner Wahlanzuschließen. 148 War er wohlhabend genug, das þingfararkaup 149 zu bezahlen,konnte er seinen Go<strong>den</strong> als þingmaðr auf das Thing begleiten. Im Gegensatz dazuhatten die Mitglieder sein<strong>es</strong> H<strong>aus</strong>halt<strong>es</strong> und seine búðsetumenn kein eigen<strong>es</strong>Wahlrecht, sondern waren an seine Entscheidung gebun<strong>den</strong>. Die þingmenn ein<strong>es</strong>Go<strong>den</strong> hatten die Verpflichtung, ihn auf dem Thing zu unterstützen, notfalls auch imbewaffneten Konflikt. Jeweils zum Frühlings- oder Althing konnte dasGefolgschaftsabkommen gekündigt und mit einem beliebigen anderen Go<strong>den</strong> neug<strong>es</strong>chlossen wer<strong>den</strong>. Die Macht ein<strong>es</strong> Go<strong>den</strong> ergab sich somit <strong>aus</strong> seiner Fähigkeit,möglichst viele þingmenn für sich zu gewinnen. 1505.6.2 ThingDas öffentliche soziale und politische Leben wurde auf regionaler und nationalerEbene auf sog. Thing-Versammlungen geregelt. Di<strong>es</strong>e gliederten sich inFrühjahrsthing (várþing), das nationale Althing (alþingi) und Herbstthing (leið), diealle im Sommerhalbjahr stattfan<strong>den</strong>.Das Althing war die wichtigste Veranstaltung und hatte die Doppelfunktion vonJudikative und Legislative. Eingeführt wurde <strong>es</strong> anläßlich der Freistaatgründung imJahre 930. Bis dahin hatte <strong>es</strong> lediglich regionale Things gegeben, und im Laufe derZeit wurde das Althing zum Symbol d<strong>es</strong> isländischen Freistaat<strong>es</strong>.Das einzige offizielle Amt der Versammlung war das d<strong>es</strong> G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>sprechers(lôgsôgumaðr), d<strong>es</strong>sen Aufgabe darin b<strong>es</strong>tand, im Dreijahr<strong>es</strong>zyklus die mündlichtradierten G<strong>es</strong>etze öffentlich zu rezitieren. Während die Go<strong>den</strong> auf dem Althingg<strong>es</strong>etzgebende Funktion hatten, lag die Gerichtsbarkeit in <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> <strong>aus</strong>gewählterþingmenn. Jeder Gode ernannte einen seiner þingmenn zum Richter. Das Gericht d<strong>es</strong>Althings war die höchste Instanz im Land und spezielle Sachverhalte wur<strong>den</strong> hierverhandelt. Anw<strong>es</strong>enheitspflicht auf dem Althing b<strong>es</strong>tand für <strong>den</strong> G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>sprecher,die Go<strong>den</strong> und ein Minimum an þingmenn. Generell galt jedoch: je mehr Begleitungein Gode zum Thing mitbrachte, d<strong>es</strong>to größer sein Ansehen und Einfluß. Auf <strong>den</strong>regionalen Frühjahrsthings (várþing) wur<strong>den</strong> zivil- und schuldrechtliche Fragen148 Laut Orri Vésteinsson überlebte di<strong>es</strong>e Ordnung etwa zwei Jahrhunderte: „This structure, whichclearly was not in operation in the thirteenth century, has been assumed to have been <strong>es</strong>tablished in thetenth century and to have been in operation until the twelfth“ (Orri Vésteinsson 2000, 9).149 Abgabe zur Deckung der Reisekosten der <strong>den</strong> Go<strong>den</strong> auf das Thing begleiten<strong>den</strong> Bauern.150 Hastrup 1985, 132: „[…], the goðorð was defined as a centre, and the relative power of this centrewas measured in terms of the number of þingmenn it was able to attract and keep.“48


ehandelt, und sie dienten obendrein der Vorbereitung auf das Althing. 151 DasHerbstthing hatte mehr informellen Charakter und diente hauptsächlich dem Zweck,das politische Jahr abzuschließen. 1525.7 G<strong>es</strong>ellschaft in VeränderungDer isländische Freistaat hatte etwa drei Jahrhunderte B<strong>es</strong>tand, bevor der Anschlußan Norwegen erfolgte. Diverse kleinere Veränderungen im System wirkten sich inihrer Summe so nachhaltig auf die G<strong>es</strong>ellschaft <strong>aus</strong>, daß die bisherige Staatsordnungschließlich nicht mehr aufrecht zu erhalten war.5.7.1 Klimaveränderungen und ihre FolgenIm 12. und 13. Jahrhundert veränderte sich das Klima auf Island mit negativenAuswirkungen für die Entwicklung d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong>. Die warmen und trockenenSommer der Landnahmezeit wichen zunehmend naß-kalten Perio<strong>den</strong>. Die Folgen fürdie Landwirtschaft waren gravierend. In der auf Viehzucht <strong>aus</strong>gerichtetenLandwirtschaft spielte der Anbau von Getreide eine ohnehin eher untergeordneteRolle, w<strong>es</strong>halb Importe einen wichtigen Versorgungszweig darstellten. MitAbkühlung d<strong>es</strong> Klimas verschwan<strong>den</strong> die Anbaugebiete in Nor<strong>den</strong> und Osten nunganz, während sich die Erträge d<strong>es</strong> Sü<strong>den</strong>s und W<strong>es</strong>tens beträchtlich verringerten. 153Veränderungen der sommerlichen Windrichtung von Nord-Ost auf Nord-W<strong>es</strong>tbrachten zudem <strong>den</strong> Handel mit Getreide und Holz <strong>aus</strong> Norwegen zum erliegen. 154Zwischen 1187 und 1219 kam kein einzig<strong>es</strong> norwegisch<strong>es</strong> Schiff nach Island. 155 DieIsländer wiederum wur<strong>den</strong> im Laufe der Zeit immer abhängiger von Importholz für<strong>den</strong> Schiffbau. Aufgrund d<strong>es</strong> Bauholzmangels schrumpfte die isländische Flotte, wassich wiederum negativ auf die Importe <strong>aus</strong>wirkte. Di<strong>es</strong>e Entwicklung verstärkte dieAbhängigkeit von norwegischen Händlern. 156 Gleichzeitig verlor der isländische151 Hastrup 1985, 127.152 Hastrup 1985, 126.153 Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1969, 251; Björn Þorsteinsson 1966, 114.154 Wallén 1970, 225 f.155 Storm 1888, 119, 125.156 Vgl. Hreinn Benediktsson 1965, 41. Im 10. und 11. Jahrhundert waren die Isländer Bauern undKaufleute. Im Sommer reisten die Söhne der Bauern mit dem Schiff nach Skandinavien und <strong>den</strong>britischen Inseln, um Handel zu treiben. Sprachprobleme gab <strong>es</strong> nicht, da di<strong>es</strong><strong>es</strong> Gebiet einenSprachraum darstellte. Mehrere solcher farmenn (Reisende) teilten sich oft ein Schiff. Im 12. und 13.Jahrhundert wurde der farmaðr vom <strong>aus</strong>tmaðr (= Mensch <strong>aus</strong> dem Osten = Norweger) abgelöst(Hastrup 1985, 224 f.). Gelsinger zufolge wurde der Beruf d<strong>es</strong> Kaufmanns auf Island d<strong>es</strong>halb nicht49


Markt für <strong>aus</strong>ländische Kaufleute an Attraktivität, da aufgrund diverserHandelsregeln dort kaum Profit zu erzielen war. 157 In Schriften <strong>aus</strong> dem 12.Jahrhundert fin<strong>den</strong> sich nur noch wenige Hinweise auf Schiffe in isländischemB<strong>es</strong>itz; im 13. Jahrhundert fehlen sie ganz. 158 Als Folge wandelte sich die einstigeSeefahrernation zum Agrarstaat. Die neue Abhängigkeit vom Ausland gefährdete aufDauer die Souveränität, <strong>den</strong>n sie verhalf dem norwegischen König zu politischerMacht. Durch farbann (= Reiseverbot für Händler) konnte er das Land nach Beliebenmit einem Handelsembargo belegen. Machthungrige isländische Häuptlinge alliiertensich daraufhin mit ihm 159 und initiierten damit eine Entwicklung, die schließlich zurAuflösung d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> führte.Hastrup sieht im Untergang der Seefahrernation Island auch <strong>den</strong> Verlust kulturellerWurzeln und I<strong>den</strong>tität. Die regelmäßigen Versorgungsfahrten nach Norwegen hattenfamiliäre Bindungen zwischen <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Ländern g<strong>es</strong>tärkt:[…], the <strong>es</strong>tablishment of genealogical knowledge and the search for (ethno-)historical i<strong>den</strong>tity, and much more, were part of the cultural order. Astravelling was lost this order could no longer be maintained. 1605.7.2 Veränderungen der ursprünglichen G<strong>es</strong>ellschaftsstrukturDie G<strong>es</strong>ellschaftsstruktur, wie sie sich in der Welt der Sagas darbietet, war nur vonkurzer Dauer. Relativ schnell lösten sich die ursprünglich eindeutig definiertenG<strong>es</strong>ellschaftsklassen auf. Der Wandel vollzog sich in zwei Schritten. 161 Als erst<strong>es</strong>verschwan<strong>den</strong> durch Erbteilung die großen Landgüter, was möglicherweise bereitszur Landnahmezeit begann und sich während d<strong>es</strong> 10. und 11. Jahrhundertsb<strong>es</strong>chleunigte. 162 In einem zweiten Entwicklungsschritt kam <strong>es</strong> durch Verpachtungzu einer weiteren Aufteilung von Land. Nur wenige Bauern konnten sich gegendi<strong>es</strong>en Prozeß behaupten und ihre Ländereien zusammenhalten. Das r<strong>es</strong>ultierendeUngleichgewicht der B<strong>es</strong>itz- und Machtverhältnisse setzte das Gleichheitsprinzip derprof<strong>es</strong>sionalisiert, weil überhaupt nur die reichen Landb<strong>es</strong>itzer und Häuptlinge über die materiellenMittel hierzu verfügt hätten. Im Gegenzug hätten sie jedoch ihre politische Stellung aufgeben müssen,möglicherweise sogar ihr Land verloren (Gelsinger 1981, 31 f.).157 Durrenberger 1992, 5.158 Jon<strong>es</strong> 1964, 38; Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1969, 78 f.159 Hastrup 1985, 226.160 Hastrup 1985, 227.161 Hastrup 1985, 172 ff.162 Olafur Lárusson 1936, 132.50


Bauern außer Kraft. 163 In der nunmehr heterogenen Gruppe freier Bauern war Machteine Frage d<strong>es</strong> Reichtums und weniger der Charaktereigenschaften. Der drastischeAnstieg an Verpachtungen erklärt sich mit der allmählichen Abschaffung derSklaverei <strong>aus</strong> Grün<strong>den</strong> mangelnder Wirtschaflichkeit. Mit Verbot d<strong>es</strong> Infatizids imfrühen 11. Jahrhundert fiel ein Regulierungsinstrument zur Begrenzung derSklavenzahl <strong>aus</strong>. 164 Überdi<strong>es</strong> wurde kurz nach dem Wechsel der Staatsreligion zumChristentum der Pferdefleischkonsum untersagt. 165 Pferdefleisch war wegen seinerKostengünstigkeit Hauptnahrungsmittel der Sklaven. Als Folge di<strong>es</strong>er bei<strong>den</strong>Verbote mußten nun mehr Sklaven zu höheren Verpflegungskosten ernährt wer<strong>den</strong>.Bei nur mäßiger Produktivität verlor Sklaverei ihre Rentabilität. Die Erträge d<strong>es</strong>Sommers wur<strong>den</strong> im Winter zu ihrer Verpflegung verwendet, 166 so daß <strong>es</strong>kostengünstiger war, sie freizulassen und ihnen ein Stück Land zu verpachten, wo siefür sich selbst sorgten. 167 Auf di<strong>es</strong>e Weise konnte man im Sommer Saisonarbeiterb<strong>es</strong>chäftigen, die im Winter auf sich alleine g<strong>es</strong>tellt waren. 168Als sich im Prozeß der sozialen Umstrukturierung die alten B<strong>es</strong>itzrechtsverhältnisseaufzulösen begannen, versuchte man, Ansprüche auf Grundb<strong>es</strong>itz genealogischgeltend zu machen. Laut Sveinbjörn Rafnsson diente die Landnámabók genaudi<strong>es</strong>em Zweck: Legitimierung von B<strong>es</strong>itzansprüchen. 169 G<strong>es</strong>chichtliche Sachverhalt<strong>es</strong>ollten sehr wahrscheinlich auf di<strong>es</strong>e „zweckdienliche” Weise f<strong>es</strong>tgehalten wer<strong>den</strong>,so daß bei ihrer Abfassung auch Phantasie und Inspiration in <strong>den</strong> Text einflossen.Das R<strong>es</strong>ultat waren Vorfahren, die niemals existiert hatten und Ortsnamen, die mitdi<strong>es</strong>en Vorfahren assoziiert wur<strong>den</strong>. 1705.8 Wohlstand dank ChristentumIn der Landnámabók zeigt sich die isländische Auffassung von Grundb<strong>es</strong>itz: Landwar unveränderbar und unveräußerlich Familienb<strong>es</strong>itz. Die jeweilige Generation war163 Hastrup 1985, 173.164 Árni Pálsson 1932, 199 ff. Auch der Zerfall der großen Grundb<strong>es</strong>itze machte Sklaverei überflüssig(Foote & Wilson 1970, 77).165 Hastrup 1985, 174.166 Durrenberger 1992, 32.167 Árni Pálsson 1932, 199 ff.; Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1969, 299.168 Durrenberger 1992, 38.169 Sveinbjörn Rafnsson 1974 [BHL 31], 109.170 Þorhallur Vilmundarson 1971 [KLNM 16], 578 ff.51


nur „Mieter” und machte irgendwann Platz für die nächste. 171 DieEigentumsdefinition der Kirche war dahingegen römisch geprägt, indem Landb<strong>es</strong>itzals personengebun<strong>den</strong> ang<strong>es</strong>ehen wurde. Übertragung an Dritte ging mit permanenterÄnderung der B<strong>es</strong>itzansprüche einher. Auf Island kollidierten di<strong>es</strong>e bei<strong>den</strong>Anschauungen und führten zu teilweise blutigen Konflikten, die ihrerseits zumUntergang d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> beitrugen.Die ersten Kirchen nach der Christianisierung wur<strong>den</strong> auf Privatgrundstücken aufKosten d<strong>es</strong> bóndi errichtet. 172 Nur wohlhabende Bauern konnten sich di<strong>es</strong> leisten.Der Hofname erhielt danach zur Kennzeichnung das Suffix –staðr (= Ort). Der späterstaðamál 173 genannte Konflikt zwischen Kirche und Landb<strong>es</strong>itzern bezieht sich aufdi<strong>es</strong>en Sachverhalt.Im Jahre 1096 wurde der Zehnte g<strong>es</strong>etzlich verankert. Die Abgabe wurdegleichmäßig auf folgende vier Parteien verteilt: Bischof, Kirche, Klerus und dieArmen. Von der neuen Regelung profitierte nicht nur die Kirche, sondern auch dieBauern, welche Kirchen auf ihrem Land errichtet hatten. Nach 1096 wurdeKirchenland vom Zehnten <strong>aus</strong>genommen. Wer also sein Land der Kircheübereignete, sparte Geld. Obendrein stan<strong>den</strong> ihm zwei Viertel der Einnahmen <strong>aus</strong>dem Zehnten zu, ein Viertel für seine Kirche, ein Viertel für <strong>den</strong> dazugehörigenPri<strong>es</strong>ter (der man im Idealfall selbst war). Auf di<strong>es</strong>e Weise wurde die Inv<strong>es</strong>tition ineine Kirche zu einer Geldanlage mit beträchtlicher Rendite. Hierin wird in derForschung der Grund dafür g<strong>es</strong>ehen, daß das G<strong>es</strong>etz ohne Probleme verabschiedetwurde. 174171 Kleven 2001, 11.172 Bis zum Jahr 1100 gab <strong>es</strong> wahrscheinlich erst fünf Kirchen (Orri Vésteinsson 2000, 25; 37 ff.). In<strong>den</strong> angeblichen 35 Kirchen, die in der Landnámabók und der Kristni saga erwähnt wer<strong>den</strong> sieht OrriVésteinsson „literary and ideological reasons behind th<strong>es</strong>e tal<strong>es</strong> of early church<strong>es</strong>“ (ebd., 41).173 staðr = Ort, mál = hier: Streitsache. Weitere Erläuterungen im Text.174 Vgl. auch Björn Þorsteinsson & Bergsteinn Jónsson 1991, 65; Jón Viðar Sigurðsson 1989[SSH 10], 96; Magnús Stefánsson 1975, 60, 86 f.Exkurs: In Norwegen und Dänemark wurde etwa zur gleichen Zeit versucht, <strong>den</strong> Zehnten einzuführen.Hier war jedoch der Widerstand so groß, daß das G<strong>es</strong>etz in Norwegen erst um 1150 und in Dänemark1135 in Kraft trat. In Schwe<strong>den</strong> gab <strong>es</strong> <strong>den</strong> Zehnten sogar erst im späten 12. Jahrhundert (Schück 1974[KLNM 18], 295; Nylander 1953 [SUIRF I 4], 205 f.). In Kontinentalskandinavien ließ sich vonprivater Seite her mit dem Zehnten kein Profit erzielen (vgl. auch Dahlerup 1981, 3 f.). Derallgemeine Widerwille gegen die Abgabe wurde überdi<strong>es</strong> dadurch verstärkt, daß man vor dem 12.Jahrhundert keine Steuern kannte, sondern stattd<strong>es</strong>sen <strong>den</strong> Land<strong>es</strong>herrn in kriegerischenAuseinandersetzungen unterstützte (Orri Vésteinsson 2000, 68). Orri Vésteinsson merkt an, daß derZehnte auf Island nur einige Wenige begünstigte, während er für die Mehrheit eine finanzielleBelastung darstellte. Seine Berechnung wich von <strong>den</strong> kontinentalskandinavischen Gepflogenheiten abund war mit 1 % d<strong>es</strong> g<strong>es</strong>chätzten Vermögens eindeutig Wucher. Eigentlich betrug er 10 % derjährlichen Einnahmen. Über die Gründe, warum <strong>es</strong> im Gegensatz zu <strong>den</strong> skandinavischen52


Noch dazu herrschte die allgemeine Auffassung, das Land nicht für immerübereignet zu haben, <strong>den</strong>n nach isländischer B<strong>es</strong>itzauffassung gehörte <strong>es</strong> ja derFamilie. Die Kirche hingegen forderte Ende d<strong>es</strong> 12. Jahrhunderts im Rahmen derlibertas eccl<strong>es</strong>iae Kontrolle über die Kirchen und Her<strong>aus</strong>gabe d<strong>es</strong> dazugehörigenLand<strong>es</strong>. Vertreten wurde sie durch <strong>den</strong> Bischof von Skálholt, Þorlákr Þórhallsson (imAmt 1178–1193). Er setzte sich für die Ernennung Geistlicher durch die Kirche ein.Bisher wur<strong>den</strong> die Pri<strong>es</strong>ter vom jeweiligen Kirchenb<strong>es</strong>itzer „ang<strong>es</strong>tellt“. Weiterhinwollte er übereignet<strong>es</strong> Land in <strong>den</strong> permanenten B<strong>es</strong>itz der Kirche bringen. Hierüberentbrannte ein 100-jähriger Streit (staðamál) mit <strong>den</strong> wohlhaben<strong>den</strong> Familien d<strong>es</strong>Land<strong>es</strong>. Die Auseinandersetzung wurde kein<strong>es</strong>wegs friedlich geführt. Die Sturlungasaga legt beredt Zeugnis ab über einige di<strong>es</strong>er Kämpfe. „[…]; th<strong>es</strong>e conflicts toreapart society, the constitution of which was based upon solidarity and equality.“ 175Erst nach Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> wurde im Jahre 1297 mit dem sættargerð vonAvaldsn<strong>es</strong> ein Kompromiß erzielt. Mit di<strong>es</strong>em Abkommen setzte sich die kirchlicheB<strong>es</strong>itzauffassung durch. Hatte ein Bauer mehr als 50 % sein<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> übereignet,fiel <strong>es</strong> an die Kirche. Waren weniger als 50 % abgetreten wor<strong>den</strong>, fiel <strong>es</strong> an seinenursprünglichen B<strong>es</strong>itzer. Die neue Regelung bedeutete empfindliche Verluste füreinige der größeren Höfe.5.9 Änderungen der politischen MachtstrukturenDie Vermögensunterschiede der freien Bauern veränderten auch die politischenStrukturen. Um ihre Machtpositionen zu f<strong>es</strong>tigen und <strong>aus</strong>zubauen, mußten dieHäuptlinge ihre Gefolgsleute bei Laune halten, was mit erheblichen finanziellenBelastungen verbun<strong>den</strong> war. Aufgrund d<strong>es</strong>sen war <strong>es</strong> ihnen kaum möglich, genugKapital anzusparen, um dauerhafte Machstrukturen zu etablieren. Das änderte sicherst durch die neuen Verdienstmöglichkeiten nach der Christianisierung. DieHaukdœlir in Südisland schafften <strong>es</strong> als erste, generationenübergreifendeMachtzentren zu errichten. 176 Dadurch ermöglichte der Zehnte im Endeffekt dieEtablierung feudaler Strukturen, mit langfristig d<strong>es</strong>tabilisieren<strong>den</strong> Auswirkungen aufNachbarländern nicht zum Prot<strong>es</strong>t kam, vermag er nur zu spekulieren (Orri Vésteinsson 2000, 69).Auch ist nicht geklärt, in welchem Umfang das G<strong>es</strong>etz Anwendung fand. Möglicherweise fand ingroßen Land<strong>es</strong>teilen über längere Zeiträume gar keine Zahlung statt, was auch an der Abgelegenheitmancher Wohnsiedlungen gelegen haben mag (ebd., 89 f.).175 Hastrup 1985, 196.176 Orri Vésteinsson 2000, 15.53


die g<strong>es</strong>amte G<strong>es</strong>ellschaftsordnung. 177 Die Nachbarn von Kirchenb<strong>es</strong>itzern wur<strong>den</strong>durch die neuen Zahlungsverpflichtungen plötzlich zu „Schuldnern”. 178Vésteinsson betont, daß sich di<strong>es</strong>e Abhängigkeit weniger finanziell als vielmehrsozial <strong>aus</strong>wirkte und vertritt damit eine etwas andere Position als Björn Þorsteinsson.Durch <strong>den</strong> Zehnten brauchten die Häuptlinge nicht mehr so viel Energie in dieEtablierung und Konsolidierung von Abhängigkeitsverhältnissen zu stecken, weilihnen nun alle zu ihrem Kirchenbereich zählen<strong>den</strong> Bauern per G<strong>es</strong>etz verpflichtetwaren:OrriWhile the tithe did contribute to power consolidation, it did not do so byputting cash in the hands of chieftains but by creating social units whichcould be manipulated for political ends. 179Konflikte zwischen ursprünglich gleichg<strong>es</strong>tellten freien Bauern waren in jedem Fallvorprogrammiert:However, as all householders, church-owners or not, are supposed to havehad equal political rights, it seems unlikely that all those who did not ownchurch<strong>es</strong> were from the outset happy to place themselv<strong>es</strong> in a subordinaterelationship with neighbours whom they had previously regarded as equals. 180Die Go<strong>den</strong> als lediglich formelle Machthaber büßten unter <strong>den</strong> neuen Verhältnissenschnell ihren politischen Einfluß ein. Allmählich avancierten die Reichen zu <strong>den</strong>wahren Herrschern d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong>, 181 <strong>den</strong>n durch die freie Go<strong>den</strong>wahl b<strong>es</strong>timmten sie,wem sie sich mit ihren Pächtern anschlossen. Das Ansehen ein<strong>es</strong> Go<strong>den</strong> richtete sichnach der Anzahl seiner þingmenn und reiche Bauern brachten viele þingmenn mit. 182Um sich <strong>aus</strong> der Abhängigkeit zu befreien, mußten die Go<strong>den</strong> versuchen, materiellgleichzuziehen, doch ihr Erfolg hielt sich in Grenzen. 183 Die einmal in Gang g<strong>es</strong>etzteEntwicklung konnte nicht mehr g<strong>es</strong>toppt wer<strong>den</strong> und die Reichen begannen, dasG<strong>es</strong>etz für eigene Inter<strong>es</strong>sen zu mißbrauchen. „The r<strong>es</strong>ult was a gradual dislocationof the law.” 184 Man darf in di<strong>es</strong>em Zusammenhang auch die starke Stellung derFamilie in der isländischen G<strong>es</strong>ellschaft nicht verg<strong>es</strong>sen Die Familienclans177 Björn Þorsteinsson 1953, 205 ff; 1966, 171,191.178 Orri Vésteinsson 2000, 90.179 Orri Vésteinsson 2000, 91.180 Orri Vésteinsson 2000, 89.181 Gunnar Karlsson 1975, 31 ff.182 Hastrup 1985, 197.183 Hastrup 1985, 197.184 Hastrup 1985, 197.54


profitierten von ihren einfluß- und erfolgreichen Mitgliedern. Durch Anhäufung vonGo<strong>den</strong>ämtern gelangten einige zu Macht und Einfluß. Bis zum Jahr 1220 hatten eineHandvoll Clans Island unter sich aufgeteilt und am Ende der Freistaatzeit stelltensechs Familien alle Go<strong>den</strong>. 185 Zu di<strong>es</strong>er Zeit hatte die politische Bedeutung d<strong>es</strong>Amt<strong>es</strong> jedoch schon so sehr gelitten, daß <strong>es</strong> ihnen in erster Linie auf dieLegalisierung ihr<strong>es</strong> Führungsanspruch<strong>es</strong> ankam. 186 Eine di<strong>es</strong>er Familien, dieSturlungen, gab einer ganzen Epoche ihren Namen. Sie war obendreinschrifstellerisch sehr aktiv und stand für die umfangreichste Literaturproduktion ihrerZeit. 187Um 1220 begann der norwegische König Hákon Hákonarson stärker als bisherB<strong>es</strong>itzansprüche auf Island anzumel<strong>den</strong>. Durch g<strong>es</strong>chickt<strong>es</strong> Taktieren mit <strong>den</strong>isländischen Machthabern schürte er die beginnende Unruhe im Land. Die Folgewaren politische Machtkämpfe, Intrigen und blutige Auseinandersetzungen, di<strong>es</strong>chließlich das Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> herbeiführten. Im Gizurarsáttmáli von 1262/64erwirkte Snorri Sturlusons ehemaliger Schwiegersohn Gizurr Þorvaldsson <strong>den</strong>friedlichen Beitritt Islands zu Norwegen. 188 Erst 1944 189 erhielt das Land seineUnabhängigkeit zurück.185 Hastrup 1985, 120.186 Orri Vésteinsson 2000, 9.187 Meulengracht Sørensen 1977, 81.188 B<strong>es</strong>tandteil d<strong>es</strong> Vertrag<strong>es</strong> war eine Kl<strong>aus</strong>el, die Gizurr zum Herrscher Islands machte. Von nun anb<strong>es</strong>timmte der König das isländische Recht. Die Isländer wur<strong>den</strong> <strong>den</strong> Norwegern rechtlichgleichg<strong>es</strong>tellt. Im Gegenzug verpflichtete sich der König, in <strong>den</strong> ersten zwei Jahren jeweils sechsVersorgungsschiffe nach Island zu schicken.189 Bereits 1918 wurde Island im Sambandslögin zu einem selbständigen Staat in Union mit Dänemarkund erhielt <strong>den</strong> Namen Konungsríkið Ísland. Während <strong>es</strong> damit innenpolitisch souverän war, wurd<strong>es</strong>eine Außenpolitik weiterhin von Dänemark b<strong>es</strong>timmt. Endgültig autonom wurde das Land erst 1944(Byock 1992, 51).55


6 Das Christentum und seine Auswirkungen auf dieG<strong>es</strong>ellschaftsordnung6.1 Konsolidierung d<strong>es</strong> ChristentumsDie isländische Kirche war in ihren Anfängen eine nationale Kirche, auch bezeichnetals „Kirche der Go<strong>den</strong>”. 190 Man begriff sich als von Rom unabhängig undweisungsungebun<strong>den</strong>. Nach der abrupten Einführung d<strong>es</strong> Christentums auf demAlthing d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> 1000 gab <strong>es</strong> zunächst kaum detaillierte Kenntnisse über die neueReligion. Bekannt war lediglich, daß nur die Kirche Schutz vor ewiger Verdammnisgarantierte. Die Taufe war dadurch zunächst wichtiger als Religionsunterricht.Anfangs stand für di<strong>es</strong>e Aufgabe lediglich ein einziger Pri<strong>es</strong>ter zur Verfügung. Fast20 Jahre lang war er der einzige Geistliche auf Island. 191 Nach Óláfr TryggvasonsTod dauerte <strong>es</strong> bis zum Herrschaftsantritt Óláfr Haraldssons im Jahre 1015, bis <strong>es</strong>wieder norwegisch<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se am isländischen Christianisierungsprozeß gab. Abetwa 1020 kamen „Bischöfe“ zur Missionierung nach Island. 192 Sie hatten keinenf<strong>es</strong>ten Amtssitz und „manchmal war <strong>es</strong> um deren Legitimation nicht zum b<strong>es</strong>tenb<strong>es</strong>tellt.“ 193 Einige von ihnen waren sogar exkommuniziert wor<strong>den</strong> und in <strong>den</strong> Augender Kirchenführung ein Ärgernis. Erzbischof Adalbert von Bremen verbot <strong>den</strong>Isländern schriftlich, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. 194 All<strong>es</strong> in allem hattendie Missionsbischöfe aber keinen bleiben<strong>den</strong> Einfluß auf das öffentliche religiöseLeben. 195 Als schließlich ordinierte Isländer zur Verfügung stan<strong>den</strong>, wollten nurwenige ein Pri<strong>es</strong>teramt auf Island versehen. Hierfür war die Tatsache verantwortlich,daß sich die Kirchen in Privatb<strong>es</strong>itz befan<strong>den</strong>. Anreiz zum Bau einer Kirche wurdedurch das Versprechen g<strong>es</strong>chaffen, für sich und seine Familie hierdurch Zutritt in <strong>den</strong>Himmel erkaufen zu können. 196 Als Ang<strong>es</strong>tellte mußten sich die Pri<strong>es</strong>ter mit äußerstb<strong>es</strong>chei<strong>den</strong>em Lohn und dem Status von H<strong>aus</strong>ang<strong>es</strong>tellten zufrie<strong>den</strong> geben. 197 Um190 Fell 1999 [AUS VII 201], 32.191 Orri Vésteinsson 2000, 24 f.192 Bis zum Jahr 1100 erhöhte sich die Anzahl der Pri<strong>es</strong>ter auf neun (Orri Vésteinsson 2000, 25).193 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 10.194 Hreinn Benediktsson 1965, 18.195 Hreinn Benediktsson 1965, 36.196 Fell 1999 [AUS VII 201], 36, Fußnote 2.197 Fell 1999 [AUS VII 201], 30.56


die Engpässe <strong>aus</strong>zugleichen, empfingen viele Häuptlinge selbst die Pri<strong>es</strong>terweiheund bekleideten nun neben ihrer weltlichen auch eine geistliche Position. 198 Manerachtete <strong>es</strong> nicht für nötig, di<strong>es</strong>e Ämter zu trennen, <strong>den</strong>n römisch-katholischeTraditionen und Gepflogenheiten wur<strong>den</strong> mit <strong>den</strong> einheimischen als unvereinbarempfun<strong>den</strong>: „There was a strong sense that Icelanders in A.D. 1000 had acceptedChrist, not the institutional Church.” 199Ein wichtiger Fortschritt in der Ausbildung geistlichen Nachwuchs<strong>es</strong> und damit derF<strong>es</strong>tigung d<strong>es</strong> Christentums war die Eröffnung ein<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>terseminars in Skálholtdurch Gizzurr hvítis Sohn Ísleifr Gizzurarson (1006–1080). Bis dahin fand derg<strong>es</strong>amte Unterricht im Ausland statt. Die Zeit der Wikingerzüge war so gut wievorbei und die Häuptlinge erkannten allmählich <strong>den</strong> Wert von Bildung. Fortanschickten sie ihre Söhne nicht mehr auf Plünderungsfahrten, sondern zur Schule. 200Ísleifr selbst hatte seine Pri<strong>es</strong>terweihe in Deutschland erhalten 201 und übernahm nachseiner Rückkehr <strong>den</strong> väterlichen Hof in Skálholt als Häuptling und Pri<strong>es</strong>ter. 1056wurde er zum ersten isländischen Bischof ernannt und Skálholt der erste isländischeBischofssitz. 202 Nach wie vor gab <strong>es</strong> zu di<strong>es</strong>er Zeit weder eine Kirchenstruktur, nochEinnahmen <strong>aus</strong> dem Zehnten, der erst 1096 eingeführt wurde. Spen<strong>den</strong> reicherHäuptlinge bildeten die Haupteinnahmequelle der Kirche. Außerdem kam <strong>es</strong> zuAuseinandersetzungen mit <strong>den</strong> Missionsbischöfen, die durchs Land zogen und ihreeigenen christlichen Standards predigten. 203 Trotz di<strong>es</strong>er Schwierigkeiten gelang <strong>es</strong>Ísleifr, eine Schule zu etablieren. Ihre wichtigste Aufgabe b<strong>es</strong>tand in der Vermittlungvon Latein sowie L<strong>es</strong>en und Schreiben als Ausgangspunkt für die Übersetzung derchristlichen Lehre ins Altnordische. Damit wurde di<strong>es</strong>e auch <strong>den</strong> einfachen Leutenzugänglich. 204 Weitere Schulen folgten und im Jahre 1106 auf Initiative von ÍsleifrsSohn Gizzurr (1042(?)–1118) ein zusätzlicher Bischofssitz in Hólar.198 Fell 1999 [AUS VII 201], 30.; Orri Vésteinsson 2000, 182 ff; Walter 1976 [ASAW 66 H2], 12.199 Fell 1999 [AUS VII 201], 32.200 Walter 1976 [ASAW 66 H2], 12; Fell 1999 [AUS VII 201], 32. Orri Vésteinsson weist in di<strong>es</strong>emZusammenhang darauf hin, daß Schwerverbrechen und auch gelegentliche Wikingerfahrten lautHungrvaka zu <strong>den</strong> Problemen gehörten, mit <strong>den</strong>en Ísleifr während seiner Amtszeit immer wieder zukämpfen hatte (Orri Vésteinsson 2000, 63). Siehe auch Einar Arnórsson 1944, 226 f. zurWikingerproblematik.201 Island gehörte anfangs zum Erzbistum Bremen, so daß hier viele Isländer <strong>aus</strong>gebildet wur<strong>den</strong>.202 Ísleifrs Sohn und Nachfolger, Bischof Gizurr, schenkte Skálholt der Kirche.203 Orri Vésteinsson 2000, 63.204 Die erste vollständige Bibelübersetzung datiert inter<strong>es</strong>santerweise erst auf das Jahr 1584 und gehtauf Guðbrandur Þorláksson zurück. Im Mittelalter gab <strong>es</strong> weder eine komplette altnordische Version57


Der erste Bischof von Hólar war Jón Ögmundarson (1052–1121). Mehr als jederandere seiner Vorgänger vermochte er <strong>es</strong>, die Menschen während seiner Amtszeit(1106–1121) christlich zu prägen. Um das Jahr 1100 hatte das Christentum dieG<strong>es</strong>ellschaft bereits deutlich verändert. 205 Kirche war täglicher B<strong>es</strong>tandteil d<strong>es</strong>Lebens gewor<strong>den</strong>. 206 Jón Ögmundarson erhöhte die Gebets- undGott<strong>es</strong>dienstfrequenz, 207 verbot Magie und änderte die heidnischen Namen derWochentage. Er gründete in Hólar eine Elit<strong>es</strong>chule zur weiteren Verbreitung derchristlichen Lehre für die er sogar <strong>aus</strong>ländische Lehrer anwarb. 1200 wurde er heiligg<strong>es</strong>prochen.Der Grundstein für die Unruhen, die schließlich zum Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> führten,wurde 1152 gelegt. Mit Gründung d<strong>es</strong> Erzbistums Nidarós (Trondheim) wechseltedie Zuständigkeit für Island von Dänemark (Lund) nach Norwegen. ErzbischofEysteinn Erlendsson war f<strong>es</strong>t entschlossen, Reformen auf Island durchzusetzen. Esging ihm dabei um folgende Punkte:• Die Kirchen und das übereignete Land sollten permanent in <strong>den</strong> B<strong>es</strong>itz der Kircheübergehen und auch einzig durch sie verwaltet wer<strong>den</strong>.• Die Kirche sollte das Exklusivrecht erhalten, Pri<strong>es</strong>ter zu ernennen, zu b<strong>es</strong>chäftigenund in Strafsachen vor eigene Gerichte zu stellen.• Vermischung weltlicher und geistlicher Ämter sollte unterbun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Pri<strong>es</strong>tersollte kein Nebenberuf sein. Sie durften sich nicht in weltliche Angelegenheiteneinmischen und schon gar keine Waffen tragen. 208 Vor allem forderte er von ihnenein zurückgezogen<strong>es</strong> Leben im Zölibat.d<strong>es</strong> Alten, noch d<strong>es</strong> Neuen T<strong>es</strong>tament<strong>es</strong>. Teilübersetzungen lagen dahingegen vor (Kirby 2000[CSML 42], 287). Einer der wichtigsten christlichen Texte d<strong>es</strong> norrönen Mittelalters war die Stjórn (=Leitung, Führung, Regierung). Es handelte sich um „eine vermutlich um 1300 im Auftrag von KönigHákon Magnússon (g<strong>es</strong>t. 1319) entstan<strong>den</strong>e altw<strong>es</strong>tnordische Bibelkompilation, in der eineÜbersetzung der ersten Bücher d<strong>es</strong> Alten T<strong>es</strong>taments mit <strong>aus</strong>führlichen Kommentaren nachpatristischen und mittelalterlichen Quellen versehen wurde, die allerdings so breit angelegt war, daßder Bearbeiter damit nicht über 2 Mos<strong>es</strong> 18 hin<strong>aus</strong>kam […]“ (Simek 1990 [ERGA 4], 249 f.).205 Fell 1999 [AUS VII 201], 34.206 Fell 1999 [AUS VII 201], 34.207 Siehe hierzu auch Orri Vésteinsson 2000, 60 f.208 Di<strong>es</strong> war in der Tat ein groß<strong>es</strong> Problem. „Out of 186 i<strong>den</strong>tifiable pri<strong>es</strong>ts in the twelfth centuri<strong>es</strong> ofwhose actions some account is pr<strong>es</strong>erved, only twenty-three appear performing tasks related to theiroffice“ (Orri Vésteinsson 2000, 211). Von 19 Pri<strong>es</strong>tern weiß man, daß sie sich an kriegerischenAuseinandersetzungen beteiligten und weitere acht schlossen sich zumind<strong>es</strong>t einer kriegführen<strong>den</strong>Partei an. Die Anzahl gewaltsam zu Tode gekommener Geistlicher zwischen Anfang d<strong>es</strong> 12. undMitte d<strong>es</strong> 13. Jahrhunderts (ebd., 214) ist beachtlich. Orri Vésteinsson geht davon <strong>aus</strong>, daß sich an derSchlachten der Sturlungenzeit weit<strong>aus</strong> mehr Pri<strong>es</strong>ter beteiligten als <strong>aus</strong> der Überlieferung hervorgeht,da sich ihr Verhalten nicht von dem weltlicher Kriegsteilnehmer unterschied und die Sagaschreiber58


• Verheiratete Männer sollten keine außerehelichen Verhältnisse pflegen dürfen.Im Jahre 1178 wurde Þorlákr Þórhallsson (1133–1193) anläßlich seiner Weihe zumBischof mit der Umsetzung der Reformen betraut. Unter ihm entbrannte dasstaðamál,das er auch unter Einsatz d<strong>es</strong> Druckmittels der Exkommunikation nicht zulösen vermochte. Trotz seiner unpopulären Reformbemühungen war ÞorlákrÞórhallsson über<strong>aus</strong> beliebt und wurde 1199 auf Initiative sein<strong>es</strong> Neffen Páll Jónssonheilig g<strong>es</strong>prochen. Páll führte das Werk sein<strong>es</strong> Vorgängers nicht fort und ließ dieKirchenlandfrage unberührt.Genau das Gegenteil tat sein Kollege Guðmundur Arason (1160–1237) in Hólar. Umje<strong>den</strong> Preis versuchte er, Kontrolle über die strittigen Ländereien zu erhalten. Erexkommunizierte hierbei so großzügig, daß er zum Schluß über fast alle Häuptlinge<strong>den</strong> Kirchenbann verhängt hatte. Die Exkommunikation verlor ihren Schrecken undwurde der Lächerlichkeit preisgegeben. Zudem sah er <strong>es</strong> als seine christliche Pflichtan, die <strong>aus</strong> der G<strong>es</strong>ellschaft Ausg<strong>es</strong>toßenen zu verpflegen. Dafür verwendete er dasVermögen der Diöz<strong>es</strong>e, zum großen Mißfallen der lokalen Machthaber. Immerwieder kam <strong>es</strong> zu bewaffneten Konflikten mit <strong>den</strong> Häuptlingen der Region.Teilweise waren an die t<strong>aus</strong>end Mann an di<strong>es</strong>en Kämpfen beteiligt. Nach jahrelangenReibereien, Unruhen und insg<strong>es</strong>amt acht Jahren in Norwegen starb Guðmundr imJahre 1237 in Hólar. 209 Seine Amtszeit hatte deutliche Spuren hinterlassen. Seinegrobe Missachtung der zivilen G<strong>es</strong>etze war ein schlecht<strong>es</strong> Beispiel für die Häuptlinged<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> gew<strong>es</strong>en, die nun ihrerseits keine Rücksicht mehr nahmen. DieG<strong>es</strong>ellschaft begann, <strong>aus</strong>einanderzubrechen:From the death of Bishop Guðmundr to the capitulation of 1262, the historyof Iceland as recorded in the Sturlunga Saga is largely a succ<strong>es</strong>sion ofintrigu<strong>es</strong>, treacherous murders, and battl<strong>es</strong>, along with a strong undercurrentof yearning by the common people for peace and stability. 210Trotzdem, oder vielleicht sogar gerade d<strong>es</strong>halb, f<strong>es</strong>tigte sich der christliche Glaube.Pri<strong>es</strong>ter nicht explizit nannten (ebd., 212). Erst nach 1250 normalisierten sich die Zustände und dieTod<strong>es</strong>rate sank auf null ab. Orri Vésteinsson interpretiert die Statistik als „a reflection of the warfareand violence in Icelandic society which characterized this period in particular” (ebd. 214).209 Guðmundr Arason war nicht bei allen unbeliebt und nach seinem Tod versuchten seine Anhängerimmer wieder erfolglos, seine Heiligsprechung zu erwirken. Er galt vielen bereits zu Lebzeiten alsheilig und trug <strong>den</strong> Beinamen „der Gute“.210 Fell 1999 [AUS VII 201], 49.59


[…], in spite of all the turmoil of political and social disintegration, IcelandicChristianity did reach a high-water mark during the last century of theCommonwealth. 211Die Entwicklung ging sogar so weit, daß sich die Menschen von der Kirche Schutzgegen die Willkür der Häuptlinge versprachen. Die Bischöfe gehörten derg<strong>es</strong>etzgeben<strong>den</strong> Versammlung (lôgrétta) an und hatten hier im Laufe der Zeiterheblich an Einfluß gewonnen. 212 1253 wurde auf dem Althing ein von <strong>den</strong>isländischen Bischöfen zusammen mit norwegischen Klerikern <strong>aus</strong>gearbeitet<strong>es</strong>G<strong>es</strong>etz verabschiedet, 213 das Kirchenrecht über weltlich<strong>es</strong> Recht stellte. Dadurchwur<strong>den</strong> die bisherigen G<strong>es</strong>etze praktisch außer Kraft g<strong>es</strong>etzt und der Untergang d<strong>es</strong>Staat<strong>es</strong> in seiner bisherigen Form eingeleitet. 2146.2 Einfluß d<strong>es</strong> Christentums auf das tägliche Leben im 13. und 14. Jahrhundert6.2.1 Religiös<strong>es</strong> Leben bis zum Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong>Um das Jahr 1200 hatte sich das Christentum auf Island f<strong>es</strong>t etabliert. Seinegenerellen Inhalte waren nun allgemein bekannt und <strong>es</strong> gab eine flächendeckendekirchliche Infrastruktur. 215 Neben <strong>den</strong> zwei Bischofssitzen Skálholt und Hólarbefan<strong>den</strong> sich auf Island im Mittelalter schätzungsweise 330 Kirchen und 430Pri<strong>es</strong>ter. 216 Hinzu kamen bis zum Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> sechs Klöster, deren Zahl sichbis zum Jahr 1493 auf elf erhöhte. 217 Mehrere Schulen für die Pri<strong>es</strong>ter<strong>aus</strong>bildung211 Fell 1999 [AUS VII 201], 64.212 Nicht zuletzt auch durch die Tatsache, daß ab 1117 die zuvor mündlich tradierten G<strong>es</strong>etze d<strong>es</strong>Land<strong>es</strong> aufg<strong>es</strong>chrieben wur<strong>den</strong>. Schreiben war zu der Zeit ein Monopol d<strong>es</strong> Klerus unddementsprechend wur<strong>den</strong> die G<strong>es</strong>etze von Geistlichen niederg<strong>es</strong>chrieben und auch von ihnen derg<strong>es</strong>etzgeben<strong>den</strong> Versammlung auf dem Althing 1118 vorgetragen (Jakob Benediktsson 1968 [ÍF 1]:Íslendingabók, 10. Kap., S. 23 f.). Hierdurch erhielt die Kirche enormen Einfluß auf die G<strong>es</strong>etzgebungd<strong>es</strong> Land<strong>es</strong>. Durch <strong>den</strong> Verfielfältigungsprozeß, der meist nicht originalgetreu durchgeführt wurde,kursierten mit der Zeit mehrere schriftliche G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>versionen und auch der Fälschung wurde Tür undTor geöffnet. Schriftlich Fixiert<strong>es</strong> konnte im Einzelfall Gültigkeit erlangen, auch wenn <strong>es</strong> nie auf demAlthing proklamiert wor<strong>den</strong> war (Foote 1977, 53). Erstaunlicherweise findet sich in der Grágás einPassus, der dem G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>text im B<strong>es</strong>itz d<strong>es</strong> Bischofs im Abweichungsfall Gültigkeit zuweist(Vilhjálmur Finsen 1852 [DNLS 11]: Grágás (1), 213). Die Macht der Bischöfe in Bezug auf dieweltlichen G<strong>es</strong>etze war also schon vor 1253 immens.213 Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1969, 182.214 Hastrup 1985, 221.215 Fell 1999 [AUS VII 201], 60.216 Fell 1999 [AUS VII 201], 54.217 Di<strong>es</strong>e teilten sich auf in 5 Benediktiner- und 6 <strong>August</strong>inerklöster. Der Benediktineror<strong>den</strong> unterhieltzwei Frauen- und drei Männerklöster.60


wur<strong>den</strong> gegründet, so daß man nach und nach <strong>den</strong> Nachwuchs im eigenen Landheranbil<strong>den</strong> konnte.Das tägliche Leben war stark vom Kirchenjahr geprägt, in dem <strong>es</strong> neben <strong>den</strong>traditionellen Sonn- und Feiertagen auch eine ganze Reihe weiterer Anlässe fürM<strong>es</strong>sen und Gott<strong>es</strong>dienste gab. An <strong>den</strong> großen Feiertagen mußten gleich mehrereKirchgänge über <strong>den</strong> Tag verteilt absolviert wer<strong>den</strong>. Die Isländer kamen di<strong>es</strong>enVerpflichtungen regelmäßig nach. 218 Die Gott<strong>es</strong>dienste wur<strong>den</strong> traditionell aufLatein gehalten und damit vom gemeinen Volk nicht verstan<strong>den</strong>. Di<strong>es</strong>er scheinbareNachteil war in Wirklichkeit ein Vorteil, weil sich dadurch die Heiligkeit der M<strong>es</strong>seund das Mystische der Religion verstärkten. Es wurde der tief im Volk verwurzelteGlaube an Magie und Geister ang<strong>es</strong>prochen. Der stammte noch <strong>aus</strong> der heidnischenZeit und hatte die Christianisierung überlebt: „The Norse religious world valued theknowledge of magic and the supernatural even more than warfare and physicalstrength.“ 219 Auch während der folgen<strong>den</strong> Jahrhunderte hielt er sich hartnäckig undhat die isländische Kultur bis in die Gegenwart hinein geprägt. 220 Der isländischeVolksglaube kennt eine Vielzahl übernatürlicher G<strong>es</strong>chöpfe, die Felsen, Hügel undBäche bewohnen. Hinzu kommen diverse Schutzgeister (landvættir). Zwar wurdevon Seiten der Kirche immer wieder versucht, <strong>den</strong> Geisterglauben <strong>aus</strong>zurotten, dochder Erfolg hielt sich in geringen Grenzen. Mit der Christianisierung änderte sichlediglich die Sicht auf die Dinge, nicht aber die Grundhaltung. Geister gab <strong>es</strong>weiterhin, nun aber nicht mehr gute und böse, sondern nur noch böse. Da <strong>es</strong> lauterstem Gebot nur einen Gott gibt, war eine friedliche Koexistenz zwischen ihm und<strong>den</strong> Geistern nicht möglich, so wie zuvor zu <strong>den</strong> nordischen Göttern. Sie stellten einekonstante Bedrohung d<strong>es</strong> ersten Gebot<strong>es</strong> dar und wur<strong>den</strong> daher als feindlichang<strong>es</strong>ehen. Analog dazu wurde auch kein Unterschied zwischen schwarzer undweißer Magie gemacht. Jegliche Magie galt als schwarz. 221 Bei einem so stark<strong>aus</strong>geprägten Bedürfnis nach Übernatürlichem ist <strong>es</strong> nicht verwunderlich, daß Ersatzinnerhalb der Kirche g<strong>es</strong>ucht und gefun<strong>den</strong> wurde. Großer Beliebtheit erfreute sichder Kult um Engel, Heilige und Reliquien:218 Fell 1999 [AUS VII 201], 54.219 Fell 1999 [AUS VII 201], 14.220 Fell 1999 [AUS VII 201], 15.221 Fell 1999 [AUS VII 201], 37, Fußnote 13.61


St. Michael the angel was extraordinary popular. People were acutely awareof the devil and his machinations, and of the eternal torments of hell fromwhich the interc<strong>es</strong>sion of the saints could save them. 222In Sachen Heiligenkult unterschied sich Island nicht vom r<strong>es</strong>tlichen Europa.Biographien der isländischen, skandinavischen und biblischen Heiligen erfreutensich großer Beliebtheit „and devotion to th<strong>es</strong>e saints became a part of everydaylife.“ 223 In di<strong>es</strong>em Zusammenhang entwickelte sich die für Island typische Sitte d<strong>es</strong>religiösen Eid<strong>es</strong>. In Notsituationen wurde ein Heiliger um Beistand gebeten undgleichzeitig eine Gegenleistung für die gewährte Hilfe versprochen. In derSagaliteratur sind vor allem die Byskupasögur ergiebige Quellen für Beispiele di<strong>es</strong>erArt. Fell weist auf <strong>den</strong> bemerkenswerten Umstand hin, daß auch heute noch aufIsland f<strong>es</strong>t an die Wirksamkeit di<strong>es</strong>er Eide geglaubt wird, trotz der Tatsache, daß derHeiligenkult längst verschwun<strong>den</strong> ist. 224Weit verbreitet war auch die Verehrung von Maria. 225 Fast 200 Kirchen wur<strong>den</strong> ihrgeweiht. Byskupasögur und Sturlunga saga erwähnen das Ave Maria an vielenStellen und verdeutlichen, wie tief der Marienkult im Volk verankert war. Reliquienwaren ebenfalls wichtiger B<strong>es</strong>tandteil d<strong>es</strong> religiösen Lebens durch die ihneninnewohnende heilende Kraft. Die „Wunderbücher” der Byskupasögur schildernhäufig Wunderheilungen mittels Reliquien oder geweihtem Wasser. Parallelen zurMagie sind offenkundig. Weitere wichtige B<strong>es</strong>tandteile d<strong>es</strong> religiösen Lebens warenFasten und Wallfahrten. Wallfahrten hatten zudem auch einen praktischen Nutzen fürdie Allgemeinheit, weil die Pilger neue Ideen und Entwicklungen mit in die Heimatbrachten. 2266.3 ZusammenfassungIm Jahre 930 gründeten die Isländer einen Staat, der zwar mit seinen Things demnorrönen Vorbild entsprach, sich jedoch durch <strong>den</strong> bewußten Verzicht auf einStaatsoberhaupt und die formelle Gleichstellung aller freien Bauern deutlich vonallen Staatsformen seiner Zeit unterschied. Wie lange di<strong>es</strong><strong>es</strong> „Experiment“ ohneäußere Einflüsse B<strong>es</strong>tand gehabt hätte, ist höchst ungewiß. F<strong>es</strong>t steht, daß mit222 Fell 1999 [AUS VII 201], 57.223 Fell 1999 [AUS VII 201], 57.224 Fell 1999 [AUS VII 201], 57.225 Fell 1999 [AUS VII 201], 75 f.226 Fell 1999 [AUS VII 201], 58.62


Christentum und Kirche neue Elemente hinzukamen, die manche Bauern g<strong>es</strong>chicktfür ihre eigene Machtpolitik zu nutzen wußten. Durch Bau und Betrieb vonEigenkirchen wur<strong>den</strong> sie reich. Da Reichtum immer gleichzeitig auch Machtbedeutet, entwickelten sich di<strong>es</strong>e Bauern bald zu Oligarchen, die das b<strong>es</strong>tehendeGleichgewicht der Kräfte für ihre Zwecke <strong>aus</strong>hebelten. Hierdurch wurde derGrundstein gelegt für die Konflikte und chaotischen innenpolitischen Zustände, di<strong>es</strong>chließlich zum Anschluß an Norwegen führten. Den Isländern gelang <strong>es</strong> nicht, dieSituation <strong>aus</strong> eigener Kraft unter Kontrolle zu bringen, da das g<strong>es</strong>etzlicheInstrumentarium lediglich Konflikte unter Einzelnen und Gleichen regelte. DieAnerkennung d<strong>es</strong> norwegischen Königs als Staatsoberhaupt muß von vielenIsländern als Erleichterung empfun<strong>den</strong> wor<strong>den</strong> sein, kehrte doch hierdurch wiedereine staatliche Ordnung ein. Gleichzeitig verstand <strong>es</strong> die Kirche als Institution, sichallmählich zu emanzipieren und bot <strong>den</strong> Gläubigen Halt und Unterstützung. In <strong>den</strong>Anfängen gelang <strong>es</strong> ihr, über das Schriftmonopol Einfluß auf die G<strong>es</strong>etzgebung zunehmen. Ab 1253 rangierte Kirchenrecht über Zivilrecht. Mit dem kristinréttur d<strong>es</strong>Jahr<strong>es</strong> 1275 machte Bischof Árni Þorláksson alle Isländer offiziell zu Untertanen d<strong>es</strong>Papst<strong>es</strong>. 1297 gelang <strong>es</strong> der Kirche, das staðamál nach 100jährigem Ringen für sichzu entschei<strong>den</strong>, was entschei<strong>den</strong>d zu ihrer Unabhängigkeit beitrug. Bis zurReformation gehörten <strong>den</strong> elf Klöstern d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> insg<strong>es</strong>amt 580 Höfe mitsamtLändereien. 227Die christlichen Regeln beeinflußten auch die Zusammensetzung der G<strong>es</strong>ellschaft.Durch Abschaffung der Kindstötung und heidnischer Gepflogenheiten wie demVerzehr von Pferdefleisch wur<strong>den</strong> die Übergänge zwischen <strong>den</strong> ursprünglich starrdefinierten Klassen fließend. Das Verbot der Kindstötung erschwerte dieFamilienplanung. Sklaven mit ihrem immer größer wer<strong>den</strong><strong>den</strong> Anhang wur<strong>den</strong> imLaufe der Zeit zu kostspielig, was schließlich zur Abschaffung der Sklaverei führte.Stattd<strong>es</strong>sen verpachtete man Land an die Freigelassenen, was zu immer mehrFamilien mit niedrigem Einkommen führte. Nachdem die christlichen Inhalte in derBevölkerung Fuß gefaßt hatten, wur<strong>den</strong> sie in die isländische Kultur eingegliedert.Die christliche Weltanschauung verdrängte mit der Zeit zwar die letzten Überbleibseld<strong>es</strong> Hei<strong>den</strong>tums, doch wie auch auf dem Kontinent hielten sich hartnäckig R<strong>es</strong>te deralten Weltanschauung, vor allem der Glaube an Magie und Geister. Auf der Suchenach „legalem” Ersatz entwickelte sich ein reger Heiligen- und Reliquienkult sowie227 Fell 1999 [AUS VII 201], 77, Fußnote 11.63


Verehrung religiöser Symbole. Andere vorchristliche Ideale und Wertvorstellungenerwi<strong>es</strong>en sich ebenfalls als r<strong>es</strong>istent gegen das Christentum. Zu nennen sind der stark<strong>aus</strong>geprägte Sinn für Ehre, bzw. Familienehre und die fatalistischeLebenseinstellung, die durch die Hel<strong>den</strong> der Sagas exemplarisch verkörpert wird.64


7 Schmerz in <strong>aus</strong>gewählter Sagaliteratur: etymologischeEinführung und Wortschatz7.1 Etymologische EinführungZur Wortentstehung d<strong>es</strong> deutschen Wort<strong>es</strong> Schmerz gibt <strong>es</strong> mehrere Th<strong>es</strong>en. 228 U.a.wird sie auf die indogermanische Wurzel *mer-d- = (auf-) reiben zurückgeführt. 229Zudem steht der Begriff u.a. in Beziehung zu lat. mordere = ’beißen’. 230 Diealthochdeutsche Form smerza (fem.), bzw. smerzo (masc.) erscheint in der Literaturzum ersten Mal in der Evangelienharmonie Otfrids (ca. 868). Aus ihr wurdemittelniederdeutsch smerte. Es folgten Entlehnungen in diekontinentalskandinavischen Sprachen. 231 Im Dänischen und Norwegischen fin<strong>den</strong>sich smerte, im Schwedischen smärta. Die Dominanz d<strong>es</strong> Wort<strong>es</strong> in der heutigendeutschen Sprache geht u.a. auf Luther zurück, der in seiner Bibelübersetzung lat.dolor <strong>aus</strong>nahmslos mit ‚Schmerz’ übersetzte. 232 Wahrscheinlich bediente er sichhierbei auch sein<strong>es</strong> volkssprachlichen Umfeld<strong>es</strong>. 233 In der Bibel d<strong>es</strong> StraßburgerDruckers Mentel von 1461 wur<strong>den</strong> in <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Passagen noch die Wörterschmertz, seer und not in <strong>aus</strong>gewogenem Verhältnis zueinander benutzt. Di<strong>es</strong>entsprach ihrer damaligen gleichrangigen und gleichbedeuten<strong>den</strong> Verwendung. Ineiner Neuauflage von 1475 wurde bis auf eine Ausnahme schmertz verwendet, da notund seer schon zu di<strong>es</strong>er Zeit als veraltet galten. 234 Im Laufe der Jahrhundertewur<strong>den</strong> seer und not immer mehr verdrängt und schmertz (Schmerz) setzte sich alsmundartlicher Begriff für körperlich<strong>es</strong> Leid im deutschen Sprachraum durch. LautTrübner beinhaltet der Begriff in der Schriftsprache auch eine seelischeKomponente. 235 Seer findet sich heutzutage nur noch im Nordw<strong>es</strong>ten228 Kluge 2002, 814 f.229 Hoffmann 1956 [BDP 10], 6.230 Hoffmann 1956 [BDP 10], 6.231 Hoffmann 1956 [BDP 10], 6 f.232 Hoffmann 1956 [BDP 10], 10; Fülleborn 1987 [EF B 18], 60.233 Hoffmann 1956 [BDP 10], 15: „Es ist nicht eindeutig nachzuweisen, woher Luther, d<strong>es</strong>senSprachform sich nach seinen eigenen Äußerungen an die kursächsische Kanzlei anschloß (Tischre<strong>den</strong>,Weim. Ausg. I, 524 f.), das Wort übernahm; kein<strong>es</strong>falls dürfen wir bei ihm, der ‚dem Volk aufs Maulsah‘, <strong>den</strong> Anteil der Volkssprache unterschätzen. Schmerz(en) war das Wort, das beide, ‚Ober- undNiederlender‘, (Tischre<strong>den</strong>, s.o.) verstan<strong>den</strong>; […]“234 Hoffmann 1956 [BDP 10], 9 f.235 Trübner 1955.65


Niedersachsens, was Hoffmann mit der Nähe zur niederländischen Grenze und demim Niederländischen geläufigen Begriff zeer erklärt. 236 Der Ausdruck leitet sich <strong>aus</strong>der indogermanischen Wurzel *sai- = ’Schmerz, Krankheit’ ab und ist „in allengermanischen Sprachen vorhan<strong>den</strong>“. 237 Das altnordische Wort lautet sár nachurnordisch *saira- und hat in der Substantivform seine ursprüngliche Bedeutung zu’Wunde’ gewandelt. 238 Das Adjektiv sárr hat seinen direkten Bezug zum Schmerzhingegen erhalten. Neben ‚verwundet’ kann <strong>es</strong> auch ‚schmerzhaft’ bedeuten. 239‚Schmerz’ als Substantiv wird durch Komposita von sár <strong>aus</strong>gedrückt: sársauki,sárleikr. In der altnordischen Heroischen Elegie ist sárr „Hauptbegriff d<strong>es</strong>Wortschatz<strong>es</strong> d<strong>es</strong> Lei<strong>den</strong>s“. 240 In <strong>den</strong> Sagas, die im Rahmen der vorliegen<strong>den</strong> Arbeituntersucht wur<strong>den</strong>, nimmt dahingegen verkr (Schmerz) nach indogermanisch*uergo- = ’arbeiten’ eine zentrale Bedeutung ein. 241 Zwischen verkr, m. ‚Schmerz’und verk, n. ‚Werk, Arbeit’ b<strong>es</strong>teht eine verwandtschaftliche Beziehung und DeVri<strong>es</strong> übersetzt verkr dementsprechend auch zusätzlich mit ‚Arbeit’. 242 AlexanderJóhann<strong>es</strong>son sieht die Verbindung zu angelsächsisch weorc, was „<strong>aus</strong>ser ‚arbeit‘auch ‚pein‘ bedeutet.“ 243 Im heutigen deutschen Sprachraum hat sich bei Werk alleindie Bedeutung von ‚Arbeit’ gehalten. Allein auf <strong>den</strong> Inseln und Halligen Schl<strong>es</strong>wig-Holsteins begegnet man dem Begriff im fri<strong>es</strong>ischen Wort Wark 244 .Das weiter oben erwähnte Wort not hat seine Entsprechung in altnordisch nauðr =‚Not, Bedrängnis’. Für die Schmerzanalyse di<strong>es</strong>er Arbeit hat <strong>es</strong> keine Bedeutung.‚Pein’, ‚Qual’ und ‚Leid’ sind eng mit Schmerz verwandt und in verschie<strong>den</strong>enVariationen in der untersuchten Sagaliteratur vertreten.‚Pein’ = altnordisch pína ist ein b<strong>es</strong>onders in christlichen Schriften vertreten<strong>es</strong> Wortlateinischen Ursprungs. 245 „Lat. poena ‚Strafe‘, das Fachwort d<strong>es</strong> röm. Rechts, wurde236 Hoffmann 1956 [BDP 10], 30.237 Hoffmann 1956 [BDP 10], 29.238 De Vri<strong>es</strong> 1977, 463.239 Vgl. auch Fritzner 1973; Alexander Jóhann<strong>es</strong>son 1956, 761; De Vri<strong>es</strong> 1977.240 Sprenger 1992 [ERGA 6], 227.241 Hoffmann 1956 [BDP 10], 38.242 De Vri<strong>es</strong> 1977, 656.243 Alexander Jóhann<strong>es</strong>son 1956, 156.244 Fering-Öömrang Wur<strong>den</strong>buk 2002; Hoffmann 1956 [BDP 10], 38.Fri<strong>es</strong>isch ist kein Dialekt d<strong>es</strong> Deutschen, sondern eine eigenständige Sprache. Wark entstammt <strong>den</strong>fri<strong>es</strong>ischen Dialekten der nordfri<strong>es</strong>ischen Inseln und Halligen.245 De Vri<strong>es</strong> 1977, 425.66


von der christlichen Kirche auf die ‚Höllenstrafe‘ übertragen.“ 246 DerBedeutungswandel von ‚Strafe’ zu ‚Schmerz’ vollzog sich laut Hoffmann imRahmen mittelalterlicher Foltermetho<strong>den</strong> durch die Kirche:Der im Ahd. rein kirchliche Begriff ‚Strafe für die Sün<strong>den</strong>’ dehnte sich imMittelalter auf jede ‚harte oder entehrende Leib<strong>es</strong>strafe wie z.B.Auspeitschung, Abschnei<strong>den</strong> d<strong>es</strong> Haar<strong>es</strong>, Brandmarkung, Kerker,Tod<strong>es</strong>strafe’ <strong>aus</strong>. Sodann bezeichnete Pein im b<strong>es</strong>onderen ‚die mitPeinigungen gepaarten scharfen Examinationen auf einen Verdacht hin, dasVerhör auf der Peinbank, die peinliche Befragung’, also die ‚Folter’. Aus derBedeutung ‚körperliche Peinigung, verbun<strong>den</strong> mit Schmerzen’ entwickelt<strong>es</strong>ich die subjektive Auffassung ‚Zustand von körperlichem Lei<strong>den</strong>, großerkörperlicher Schmerz, verursacht durch Wun<strong>den</strong> oder Krankheit […].’ 247Nach Alexander Jóhann<strong>es</strong>son entstammen die nordischen Formen demmittelniederdeutschen. pînlik: ‚strafwürdig’, ‚peinlich’, ‚schmerzlich’. 248übersetzt pína mit ‚Pein, Qual, Lei<strong>den</strong>’. 249BaetkeBedeutungsgleich mit pína verwendet und ebenfalls überwiegend in christlicherLiteratur anzutreffen, 250 ist plága = ‚Plage’. Auch hier ist der Ursprung lateinisch:plaga = ‚Schlag, Stoß’. Kirchensprachlich bedeutet <strong>es</strong> ‚Wunde’ und ‚(von Gottg<strong>es</strong>andte) Strafe’. 251 De Vri<strong>es</strong> übersetzt plága mit ‚Peinigung’. 252 Ein weiterersinnverwandter Begriff von pína ist kvôl = ‚Qual’, welcher sich von derindogermanischen Wurzel *guel- = ‚stechen, stechender Schmerz, Qual, Tod’herleitet. 253‚Leid’ leitet sich von althochdeutsch leid = ‚Beleidigung, Unrecht’ ab und stellt eineSubstantivierung von germanisch *laiþa- ‚betrüblich, widerwärtig’ dar. 254altnordische Entsprechung leiðr = ‚feindlich, verhaßt’ entspricht nicht dem deutschenWortsinn. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> erklärt sich folgendermaßen:Durch nachträgliche Attraktion ist das starke Verb lei<strong>den</strong> im Deutschen mitLeid verbun<strong>den</strong> wor<strong>den</strong> und hat seine Bedeutung ‚gehen‘ zu ‚lei<strong>den</strong>‘Die246 Hoffmann 1956 [BDP 10], 31.247 Hoffmann 1956 [BDP 10], 31 f.248 Alexander Jóhann<strong>es</strong>son 1956, 1116.249 Baetke 1993 [SSAWL 111], 476.250 De Vri<strong>es</strong> 1977, 425.251 Hoffmann 1956 [BDP 10], 34.252 De Vri<strong>es</strong> 1977, 425.253 Hartmann 1995, 4; Hoffmann 1956 [BDP 10], 37.254 Kluge 2002, 567.67


gewandelt (ursprünglich ist <strong>es</strong> nicht verwandt). Dabei mag auch dieBedeutungsentwicklung ‚erfahren‘ eine Rolle g<strong>es</strong>pielt haben. 255Ein dem altnordischen Ausdruck leiðr ähnlich<strong>es</strong> Wort, leiðendi ‚Unbehagen’, wirdan einer Stelle in der Jóns saga helga (yngri gerð) verwendet. Es geht um einenMann mit schmerzhaftem Haut<strong>aus</strong>schlag am g<strong>es</strong>amten Körper, wobei <strong>es</strong> sich lautSigurður Samúelsson um eine allergische Reaktion handelt. 256 In der Saga heißt <strong>es</strong>:„[…]; nun ist meine g<strong>es</strong>amte Haut ein einziger Ausschlag und ich habeSchmerzen und Fieber, daß ich nicht ein noch <strong>aus</strong> weiß mit dem schlimmenJuckreiz.“ Und danach beginnt er bitterlich zu weinen <strong>aus</strong> Kummer undLeid. 257An di<strong>es</strong>er Stelle wäre neben Unbehagen auch eine Übersetzung mit ‚Leid’ <strong>den</strong>kbar.Ansonsten wird Leid in <strong>den</strong> untersuchten Sagas durch folgende Wörter vermittelt:harmkvæli, harmkvôl, kvôl, meinlæti, meinsemd, -semi, óhœgendi, pína.7.2 Untersuchungsmetho<strong>den</strong> und -ergebnisseIn der vorliegen<strong>den</strong> Analyse wird das Vorkommen körperlichen Schmerz<strong>es</strong>untersucht. Methodisch wird hierbei zwischen einer statistischen und einerqualitativen Untersuchung unterschie<strong>den</strong>. In der statistischen Untersuchung wer<strong>den</strong>Schmerz<strong>aus</strong>drücke und –umschreibungen zahlenmäßig erfaßt. Jede Nennung wirdregistriert, wobei auch Wiederholungen in die Statistik einfließen.Im Gegensatz dazu steht in der qualitativen Untersuchung das Schmerzerleben imVordergrund. Das bedeutet, daß nach Hinweisen auf Schmerzereignisse g<strong>es</strong>uchtwird. Unterschie<strong>den</strong> wird hierbei zwischen „potentiellen Schmerzereignissen“ und„tatsächlichen Schmerzereignissen“. Unter „potentiellen Schmerzereignissen“wer<strong>den</strong> Textpassagen verstan<strong>den</strong>, die von ihrer Art her Schmerzschilderungenenthalten könnten, weil ganz offensichtlich Schmerzhaft<strong>es</strong> g<strong>es</strong>childert wird. Es bleibtoffen, ob der Sagatext di<strong>es</strong><strong>es</strong> Potential realisiert. „Tatsächliche Schmerzereignisse“zeichnen sich dadurch <strong>aus</strong>, daß sich im Text Hinweise auf Schmerz der betroffenenPerson fin<strong>den</strong>.255 Kluge 2002, 567.256 Sigurður Samúelsson 1998, 70.257 „[…]; nú er hörund mitt allt sem einn hrúðr sé, en sviðar þeir eru at mèr ok hitar, at ek veit eigi,hvat ek skal til taka með illakláða þeim”. Ok eptir þetta setr at honum grát mikinn af harmi okleiðendum. Jóns biskups saga, hin elzta, 182 (Jón Sigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).68


7.2.1 Statistische UntersuchungIn der statistischen Untersuchung wur<strong>den</strong> alle Ausdrücke katalogisiert, die sich direktoder indirekt auf Schmerz beziehen. Zu <strong>den</strong> „direkten“ Schmerzbegriffen zählen alleVarianten d<strong>es</strong> Wort<strong>es</strong> Schmerz (z.B. verkr, sárleikr = ‚Schmerz’) nebst verwandten(z.B. pínsl = ‚Peinigung, Qual, Folter’) oder bildlich verwendeten Begriffen (z.B.guðs bardagi = ‚Gott<strong>es</strong> Kampf’).Die Aufstellung enthält auch <strong>den</strong> nicht ganz unproblematischen Begriff harmr.Baetke und Alexander Jóhann<strong>es</strong>son übersetzen ihn mit ‚Harm, Kummer,Schmerz’. 258 Wie Sprenger aufzeigt, handelt <strong>es</strong> sich um einen in der Gefühlsweltverankerten Schmerz. 259In seltenen Fällen kann harmr jedoch auch körperliche Dimensionen annehmen, wiez.B. in der Guðmundar saga Arasonar eftir Arngrím Ábóta Brandsson:Das dritte Mal kam zu ihm der Mann, der eine schmerzhaftere Erkrankunghatte, als die meisten anderen, weil er von unerträglichen Schmerzen inseinen G<strong>es</strong>chlechtsteilen gepeinigt wurde […]. 260Harmr bezieht sich eindeutig auf die Schmerzen in <strong>den</strong> Genitalien d<strong>es</strong> Mann<strong>es</strong>, sodaß der Begriff für di<strong>es</strong>en und ähnliche Fälle in das Vokabelverzeichnis mitaufgenommen wurde. Alle anderen Textstellen, bei <strong>den</strong>en sich das Wort aufpsychische Vorgänge bezieht, wur<strong>den</strong> nicht in die Untersuchung einbezogen. Diefolgende Tabelle 1 gibt eine Übersicht der direkten Schmerzbegriffe:258 Baetke 1993 [SSAWL 111], 234; Alexander Jóhann<strong>es</strong>son 1956, 255.259 Sprenger 1992 [ERGA 6], 255 f.260 Í þriðja tíma kom til hans sá maðr, er sárligra mein hafði en fl<strong>es</strong>tir aðrir, þvíat hann píndist meðúbærligum harmi í sjálfum getnaðarliminum, […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta , 25 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).69


Tabelle 1: „Direkte“ SchmerzbegriffeSchmerzverkr, m. Schmerz; Lei<strong>den</strong> augnaverkr Augenschmerzenbakverkr Rückenschmerzen beinverkr Knochenschmerzenbrjóstverkr Brustschmerzen fótarverkr Beinschmerzenhjartverkr Herzschmerzen hôfuðverkr Kopfschmerzenjaxlaverkr Zahnschmerzen ofverkr, m. sehr große Schmerzenœðiverkr, m. heftige Schmerzen óðaverkr, m. rasender, wütender Schmerzóðvirki, adj. von heftigen Schmerzen geplagt verkmikill, adj. sehr schmerzhaftat verkja schmerzen at brenna brennen (i.S.v. schmerzen)harmr, m. hier: Schmerz e-m verðr illt við hier: Schmerzsárleikr, m. Schmerz sársauki, m. Schmerzsárr, adj. schmerzhaft, schmerzlich sárliga, adv. schmerzhaft, schmerzlichskurðr, m. schnei<strong>den</strong>der Schmerz, Schnei<strong>den</strong> at skera schnei<strong>den</strong> (i.S. v. schmerzen)stingi, m. stechender Schmerz, Stechen at stinga stechenat súrna brennen, beißen sviði, m. Brennen, brennender Schmerzsvíðandi (schmerzhaft) brennend at svíða brennen, schmerzenmeinn, adj. schmerzhaft; Schmerz e-m verðr meint víð etw. verursacht jmd. SchmerzenVerwandte Wörterat angra plagen, quälen harmkvæli, n.pl. Lei<strong>den</strong>, Qual, Marterharmkvôl, f. Lei<strong>den</strong>, Qual, Marter hôrmung, f. Betrübnis, Kummerat hnekkja mühsam (<strong>aus</strong> dem Kampf) zurück- at hruma zu schaffen machengehen, -humpeln (von Verwundeten) kvôl, f.Qual, Pein, Lei<strong>den</strong>at kvelja quälen, peinigen, plagen leiðendi, n.(pl.) Unbehagen; hier: Leidat lima verstümmeln, zergliedern meiðing, f. Mißhandlung, Verstümmelung,meinlæti, n. Peinigung, Lei<strong>den</strong> körperl. Verletzungmeinsemd, -semi, f. Lei<strong>den</strong> óhœgendi, n.pl. Lei<strong>den</strong>, Peinóhœgiliga, adv. schmerzhaft, unangenehm at óhœgja unangenehm machen,pína, f. Pein, Qual, Lei<strong>den</strong> Unbehagen bereitenpísl/pínsl, f. Peinigung, Qual, Folter at plága plagen, quälenveinan, f. Gejammer, Wehklagen at væla jammern, wehklagenat ymja jammern, klagen; lärmen, at œsa hier: quälenschreienBildliche Begriffebardagi Kampf bônd og bardagi “F<strong>es</strong>seln und Kampf“guðs bardagi „Gott<strong>es</strong> Kampf“70


Die Übersetzung der Begriffe beruht auf folgen<strong>den</strong> Nachschlagewerken: WalterBaetke: Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur, Jan De Vri<strong>es</strong>: Altnordisch<strong>es</strong>Etymologisch<strong>es</strong> Wörterbuch, Johan Fritzner: Ordbog over Det gamle norske Sprog,Alexander Jóhann<strong>es</strong>son: Isländisch<strong>es</strong> Etymologisch<strong>es</strong> Wörterbuch und LeivHeggstad, Finn Hødnebø & Erik Simensen: Norrøn Ordbok.Verkr liegt mit insg<strong>es</strong>amt 80 Nennungen in allen Sagagattungen an der Spitze. 261 Essteht in der Tabelle daher an erster Stelle, gefolgt von seinen diversen Komposita.Die übrigen Ausdrücke der Liste sind in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt.„Indirekte“ Ausdrücke sind begrifflich schmerzneutrale Wörter, die im Kontext aufein schmerzhaft<strong>es</strong> Ereignis hindeuten, wie z.B. þola = ertragen:„Bist du verwundet?“ sagt Þormóðr. „Ich bin verwundet“, sagte jener. „Ihrhabt schlecht an dem König gehandelt“, sagte Þormóðr und sticht nun mitdem Kurzschwert nach ihm. Er ertrug <strong>es</strong> schlecht. Þormóðr fordert ihn nunauf, <strong>es</strong> mannhaft zu ertragen, „und jetzt kannst du die Königsleut<strong>es</strong>chmähen.“ 262Eine Zusammenstellung der indirekten Schmerzbegriffe findet sich in Tabelle 2:Tabelle 2: „Indirekte“ Schmerzbegriffeat bera ertragen at blása við stöhnen, seufzen, schwer atmengaulan, f. Geheul, Heulen, Brüllen hryggr, adj. bekümmert, traurig, betrübtat kalla rufen, schreien at kveða við Laut geben, schreienóp, n. Rufen, G<strong>es</strong>chrei; Gejammer at œpa rufen, schreien, brüllenskrækr, m. Schrei, G<strong>es</strong>chrei; Gebrüll snôrgl, n. Röchelnstynr, m. Stöhnen, Seufzer at stynja (vor Schmerz) stöhnen, jammernat vinna víð gegen etw. ankämpfen at þola <strong>aus</strong>halten, ertragen (können)óþolandi unerträglich þrekraun, f. Erprobung der (Körper- u.Seelen-)Stärke, derMannhaftigkeitZusätzlich ergibt sich das Vorhan<strong>den</strong>sein von Schmerz in einigen Fällen indirekt <strong>aus</strong>dem Kontext. Insg<strong>es</strong>amt wur<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Quellen 58 di<strong>es</strong>er „Umschreibungen“i<strong>den</strong>tifiziert.261 Ausnahme: Konungasögur; hier dominiert sárr.262 Ertu úar úægõr þo¨moð¨ úar er ek úagðe hinn. Eõgõ færr íð¨ væl tõl konongsenú úagðe þo¨moð¨. Ocrekr nu at hanum úaxet. hann þolãe õlla. þo¨moð¨ bõð¨ hann nu þola væl oc a mæl þa konongs mannum.Olafs saga hins helga, 88 (Johnsen 1922).71


Zur Verdeutlichung folgen zwei Beispiele:Und jetzt drehen sie ihm einen Stock ins Haar. Und als <strong>es</strong> ihm schien, daß ernicht mehr lange auf <strong>den</strong> Schlag zu warten habe, da sprach er: „Widder“,sagte er. Þorkell stoppt <strong>den</strong> Schlag und fragte, warum er solch<strong>es</strong> sage. „Weil“,sagte er, „<strong>es</strong> nicht allzuviele [Widder] sein wer<strong>den</strong> für all die Schafe, die ihrJarsleute g<strong>es</strong>tern rieft, als ihr verwundet wurdet.“ 263Es geht in di<strong>es</strong>er Stelle <strong>aus</strong> der Jómsvíkinga saga um die Hinrichtung mehrererWikinger. Der Delinquent verhöhnt seinen Scharfrichter, indem er dieSchmerzäußerungen der im Kampf verwundeten Männer d<strong>es</strong> Jarls mit dem Blökenvon Schafen vergleicht.Im zweiten Beispiel soll der Knecht Guðmundrs unter Anwendung von Gewalt zumRe<strong>den</strong> gebracht wer<strong>den</strong>:Dann ergriffen Valgarðr Hjartarson und seine Männer <strong>den</strong> KnechtGuðmundrs und wollten ihn zum Re<strong>den</strong> bringen und Sighvatr der Großewurde gegen ihn handgreiflich und hieb ihm <strong>den</strong> Arm ab, so daß er fortaneinarmig war. 264Traditionell ist der Sinn von Gewalt/Folter das Zufügen von Schmerz undlogischerweise muß hierin auch im Textbeispiel die Intention liegen, auch wenndi<strong>es</strong><strong>es</strong> nicht extra erwähnt wird. Typisch für viele Gewaltszenen der untersuchtenSagas wird jedoch nicht der Schmerz, sondern das funktionelle R<strong>es</strong>ultathervorgehoben. Es wird nicht nur g<strong>es</strong>agt, daß der Knecht einen Schlag auf <strong>den</strong> Armerhält, sondern zusätzlich noch einmal betont, daß er fortan einarmig ist. Di<strong>es</strong>erZusatz spielt auf die Tatsache an, daß ein körperlich behinderter Knecht für dieArbeit auf dem Hof so gut wie wertlos ist.Eine Untersuchung der Schmerzbegriffe muß auch die jeweilige Verteilung in <strong>den</strong>einzelnen Sagagattungen berücksichtigen, um mögliche Unterschiede sichtbar zumachen. Aus di<strong>es</strong>em Grund wurde für jede Sagafamilie eine Rangliste mitHäufigkeitsangabe der Schmerzbegriffe erstellt und im Folgen<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Tabellen 3-6 wiedergegeben. Bei Gleichrangigkeit erscheinen die betreffen<strong>den</strong> Wörter inalphabetischer Reihenfolge.263 Ok nu snua þeir uond j hár honum. ok er honum þotti sem skamt munde at bida h¹ggsins þa mælltihann. hrutr sagde hann. Þorkell st¹duar h¹ggit ok spurde hui hann mællti sligt. Þuí segir hann at þomun æigi ofskipat med anum þeim sem þer nefnndud j gær jalls menn þa er þer fengud sárin.Jómsvíkinga saga, 198 (Guðbrandur Vigfússon & Unger 1860).264 Siþan tocv þeir Valgarð Hiartar son, huscarl Guðmundar, ok villðv navðga honum til sagna, ocvann Sighvatr inn micli a honum [ok] hio [a haun]d honum, sva at hann var ein-henndr siðan.Guðmundar saga dýra, 199 (Kålund 1906-1911 (1)).72


Tabelle 3: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in <strong>den</strong> ByskupasögurRang Begriff Anzahl Rang Begriff Anzahl1 verkr 46 11 fótarverkr 22 sárr 15 œðiverkr 23 augnaverkr 13 harmr 2Umschreibung 13 e-m verðr illt við 24 óhægendi 10 at kvelja 25 at bera 8 meinsemi 2at æpa 8 óhægiliga 26 meinn 7 at plága 2sárleikr 7 at skera 27 meinlæti 6 at stynja 2sviði 6 12 bônd ok bardaga 18 sárliga 5 harmkvæli 19 kvôl 4 jaxlaverkr 1at pína 4 at kalla 1at þola 4 leiðendi 110 hôfuðverkr 3 óðaverkr 1ofverkr 3 skurðr 1pína 3 at stinga 1guðs bardagi 3 stingi 1svíðandi 1at vinna við 1at æsa 1Auswertung: 40 verschie<strong>den</strong>e Wörter + 13 UmschreibungenTabelle 4: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in <strong>den</strong> KonungasögurRang Begriff Anzahl Rang Begriff Anzahl1 sárr 14 písl 22 at þola 11 sárliga 2verkr 11 sársauki 23 Umschreibung 8 veinan 24 at bera 6 8 at brenna 1at æpa 6 fótarverkr 15 augnaverkr 4 gaulan 1at pína 4 guðs bardagi 1at svíða 4 harmung 16 at hnekkja 3 meinlæti 17 hjartverkr 2 at óhægja 1at kveða við 2 at stynja 1at kvelja 2 stynr 1kvôl 2 sviði 1meinn 2 e-m verðr illt við 1óp 2 at veina 1Auswertung: 31 verschie<strong>den</strong>e Wörter + 8 Umschreibungen73


Tabelle 5: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in der Sturlunga sagaRang Begriff Anzahl Rang Begriff Anzahl1 Umscheibung 10 kvôl 12 verkr 8 at lima 13 meinn 3 meiðing 14 at hnekkja 2 óhægiliga 1sárr 2 pína 1at þola 2 at pína 15 at bera 1 snôrgl 1brjóstverkr 1 at svíða 1harmr 1 þrekraun 1at kvelja 1Auswertung: 18 verschie<strong>den</strong>e Wörter + 10 UmschreibungenTabelle 6: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in <strong>den</strong> ÍslendingasögurRang Begriff Anzahl Rang Begriff Anzahl1 Umschreibung 27 at veina 22 verkr 13 œðiverkr 23 at þola 9 10 at angra 14 augnaverkr 7 bakverkr 15 e-m verðr illt við 6 beinverkr 16 at stynja 5 at blása við 17 at kveða við 4 hryggr 18 at kvelja 3 meiðing 1meinn 3 meinsemi 1at svíða 3 óðvirki 1at æpa 3 óhægendi 19 at hnekkja 2 at pína 1at hruma 2 sárr 1kvôl 2 at súrna 1at óhægja 2 sviði 1sárliga 2 at verkja 1skrækr 2 verkmikill 1stingi 2 at væla 1Auswertung: 35 verschie<strong>den</strong>e Wörter + 27 Umschreibungen74


Die Aufstellung verdeutlicht, daß die Byskupasögur über die größte Vielfalt anSchmerzbegriffen verfügen. Dahingegen wer<strong>den</strong> in der Sturlunga saga weniger alshalb so viele unterschiedliche Wörter verwendet. Vom Textumfang ähneln sich diebei<strong>den</strong> Sagagattungen, so daß sich di<strong>es</strong>er rein quantitative Vergleich anbietet. 265 DieÍslendingasögur haben etwa <strong>den</strong> vierfachen Umfang der Byskupasögur und weisendoch eine geringere Variabilität der Ausdrücke auf. Jedoch fin<strong>den</strong> sich in ihnenw<strong>es</strong>entlich mehr Schmerzumschreibungen als in jeder anderen Sagafamilie. Alseinzeln<strong>es</strong> Wort ist verkr der am häufigsten vorkommende Begriff. Trotzdem tauchter im g<strong>es</strong>amten Textcorpus nur 13 Mal auf, während <strong>es</strong> in <strong>den</strong> Byskupasögur 46Nennungen sind. Auch für alle anderen Ausdrücke wird ein deutlich häufiger<strong>es</strong>Vorkommen in <strong>den</strong> Byskupasögur im Vergleich mit allen anderen Sagagattungendeutlich. Der Bereich der Ein- bis Zweifachnennungen beginnt in <strong>den</strong> Byskupasögurbei Rang 11. In <strong>den</strong> Íslendingasögur ist <strong>es</strong> Rang 9, in <strong>den</strong> Konungasögur Rang 7 undin der Sturlunga saga Rang 4. Die Gruppe der Wörter mit Ein- undZweifachnennungen ist von quantitativer Bedeutung. Zwar ist jeder Begriff für sichselten im Text vertreten, aber zusammengenommen haben sie je nach Textgattungeinen Anteil zwischen 51 und 89 % d<strong>es</strong> g<strong>es</strong>amten Schmerzwortschatz<strong>es</strong>. Hierdurchtragen di<strong>es</strong>e Wörter auch entschei<strong>den</strong>d zur sprachlichen Vielfalt bei. Andererseitsreicht ein- bis zweifache Nennung innerhalb ein<strong>es</strong> umfangreichen Text<strong>es</strong> nicht <strong>aus</strong>,das sprachlich vorherrschende Bild in eine b<strong>es</strong>timmte Richtung zu beeinflussen.Verkr und ähnlich oft benutzte Wörter dominieren daher das G<strong>es</strong>amtbild.Die Zusammensetzung d<strong>es</strong> Schmerzvokabulars folgt dem bereits b<strong>es</strong>chriebenenTrend. In <strong>den</strong> Byskupasögur fin<strong>den</strong> sich 20 direkt Schmerz bezeichnende Wörter, in<strong>den</strong> Íslendingasögur 16, in <strong>den</strong> Konungasögur 12 und in der Sturlunga saga 6.Abschließend ist zu sagen, daß sich anhand der für di<strong>es</strong>e Arbeit <strong>aus</strong>gewähltenSagas eine recht umfangreiche Auflistung unterschiedlicher Wörter und Ausdrückezum Thema Schmerz erstellen läßt. Der am meisten verwendete Begriff ist verkr, derin Variation und Abwandlung insg<strong>es</strong>amt 15 Mal vertreten ist. Daneben gibt <strong>es</strong>weitere 9 Begriffe, die all<strong>es</strong>amt mit „Schmerz“ übersetzt wer<strong>den</strong>. Darüber hin<strong>aus</strong>sind eine Reihe verwandter Begriffe und Umschreibungen zum Thema vorhan<strong>den</strong>.Die Byskupasögur bil<strong>den</strong> die sprachlich ergiebigste Sagagruppe di<strong>es</strong>erUntersuchung. Hier findet sich nicht nur die größte Vielfalt an Schmerzbegriffen,265 Auf die thematischen Unterschiede wird in der inhaltlichen Untersuchung eingegangen.75


sondern auch ihr häufigst<strong>es</strong> Vorkommen. Schlußlicht bildet die Sturlunga saga mitnur wenigen Ausdrücken und Nennungen.Aus der sprachlichen Vielfalt ein<strong>es</strong> Begriffs lassen sich Rückschlüsse auf seineBedeutung ziehen. Je wichtiger ein Thema, d<strong>es</strong>to häufiger wird in der Regel darüberg<strong>es</strong>prochen. Je mehr darüber g<strong>es</strong>prochen wird, d<strong>es</strong>to mehr differenzierendeBezeichnungen bil<strong>den</strong> sich in einer Sprache im Laufe der Zeit her<strong>aus</strong>. Eineindrucksvoll<strong>es</strong> Beispiel ist die große Anzahl unterschiedlicher Ausdrücke fürSchnee und Eis bei <strong>den</strong> Inuit Kanadas, Alaskas und Grönlands. Da sie <strong>den</strong> meistenTeil d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> in schneebedeckter Landschaft zubringen, haben sich je nach Dialektbis zu 49 Wörter für Schnee her<strong>aus</strong>gebildet. 266Für die Byskupasögur mit ihrem größeren Schmerzwortschatz würde analog gelten,daß Schmerz inhaltlich eine größere Rolle spielt als in <strong>den</strong> anderen Sagagattungen. Inder Tat gibt <strong>es</strong> erhebliche thematische Unterschiede zu <strong>den</strong> übrigen Sagafamilien.Die Byskupasögur sind christlich geprägte Texte mit einem großen AnteilWunderheilungen. Geringfügige Überschneidungen gibt <strong>es</strong> mit <strong>den</strong> Konungasögurdurch die Sagas über <strong>den</strong> heiligen Óláfr und mit der Sturlunga saga durch diePr<strong>es</strong>tssaga Guðmundar Arasonar. Di<strong>es</strong>e haben jedoch zusammen mit <strong>den</strong>Íslendingasögur eine generell andere Thematik. Während die Byskupasögur Lebenund Wirken isländischer Bischöfe b<strong>es</strong>chreiben, erzählen die Konungasögur dasLeben skandinavischer Herrscher. Die Sturlunga saga thematisiert die Ereignisse derSturlungenzeit und die Íslendingasögur berichten über die Hel<strong>den</strong> der Sagazeit. Vonder literaturwissenschaftlichen Eingruppierung her gehören die Byskupa- undKonungasögur sowie die Sturlunga saga zu <strong>den</strong> Gegenwartssagas. Allein dieÍslendingasögur wer<strong>den</strong> <strong>den</strong> Vergangenheitssagas zugerechnet.266 Derby 1994; Woodbury 1991. Auch die linguistische Zählmethode spielt eine Rolle. MancheAutoren kommen so auf 300 und mehr Wörter.76


7.2.2 Inhaltliche UntersuchungDer Schwerpunkt der inhaltlichen Analyse lag auf demographischen, sozialen,kulturellen und körperlichen Frag<strong>es</strong>tellungen: Wie oft tritt Schmerz auf? Wer erleidetSchmerz? In welchem Zusammenhang ist er anzutreffen? Warum tritt er auf? WelcheKörperregionen sind vorwiegend betroffen?Abbildung 2 veranschaulicht das Verhältnis „potentieller“ zu „tatsächlichen“Schmerzereignissen.Abbildung 2: Häufigkeit von Schmerz in <strong>den</strong> untersuchten Sagas1600140012001000800600400PotentiellschmerzhafteEreignisseAnteildokumentiertenSchmerz<strong>es</strong>2000ByskupasögurKonungasögurSturlunga sagaÍslendingasögurJed<strong>es</strong> Ereignis mit potentiell schmerzhaftem Charakter wurde registriert und auf dasVorkommen von Schmerz untersucht. „Tatsächliche Schmerzereignisse“ sinddiejenigen „potentiellen Schmerzereignisse“, in <strong>den</strong>en Schmerz beobachtet wurde.Wie <strong>aus</strong> der Abbildung anschaulich zu entnehmen ist, liegt die Anzahl derTextstellen mit potentiellem Schmerzinhalt in <strong>den</strong> Íslendingasögur um ein Vielfach<strong>es</strong>über <strong>den</strong>en der Byskupasögur (Faktor 9,2). Das erklärt sich <strong>aus</strong> dem hohenVerletzungs- und Gewaltanteil der Íslendingasögur. Aus demselben Grund gibt <strong>es</strong> inder Sturlunga saga über fünfmal mehr potentielle Schmerzstellen als in <strong>den</strong>Byskupasögur. Gleichzeitig sinkt der Schmerzanteil erheblich, sowohl in absolutenZahlen, als auch prozentual. Während bei <strong>den</strong> Byskupasögur noch in etwa jederzweiten potentiellen Textstelle Schmerz vorkommt, ist <strong>es</strong> in der Sturlunga saga nurnoch jede 39.Berechnet man <strong>den</strong> prozentualen Anteil der Schmerzereignisse an <strong>den</strong> insg<strong>es</strong>amtverzeichneten Textstellen, erhält man die „Schmerzquote“. Abbildung 3 zeigt, daß77


die Quote bei christlichen Texten deutlich höher liegt, als in Sagas ohne christlichenSchwerpunkt. Die Konungasögur liegen mit 11,4 % im Mittelfeld. Di<strong>es</strong>er Werterklärt sich vor allem durch die vielen Schmerzschilderungen im Zusammenhang mitder Schlacht von Stiklastaðir. Ohne di<strong>es</strong>e Stellen würde auch di<strong>es</strong><strong>es</strong> Ergebnisdeutlich niedriger <strong>aus</strong>fallen.Abbildung 3: Schmerzquote160060Anzahl der Ereignisse1400120010008006004002005040302010ProzentPotentielleSchmerzereignisseSchmerzquote in %00ByskupasögurKonungasögurSturlunga sagaÍslendingasögurUm die Ursachen d<strong>es</strong> in <strong>den</strong> Sagas g<strong>es</strong>childerten Schmerz<strong>es</strong> weiter differenzieren zukönnen, wur<strong>den</strong> drei Kategorien gebildet: Krankheit, Verletzung und Tod. Hierbeiwurde so verfahren, daß Krankheiten oder Verletzungen mit tödlichem Ausgang derKategorie Tod zugeordnet wur<strong>den</strong>, unabhängig von der Länge der Krankheits-, bzw.Verletzungszeit. Im Sagatext nicht näher benannte und bezifferte Tote und Verletztewur<strong>den</strong> nicht in die Statistik aufgenommen.Abbildung 4: Potentiell schmerzhafte Ereignisse im Überblick100%80%60%40%20%Ereignis mitTod<strong>es</strong>folgeVerletzungKrankheit0%ByskupasögurKonungasögurSturlunga sagaÍslendingasögur78


Abbildung 4 zeigt die prozentuale Zusammensetzung potentiell schmerzhafterEreignisse für jede Sagagruppe. Auffällig ist der hohe Anteil an Krankheit in <strong>den</strong>Byskupasögur und die vielen Ereignisse mit Tod<strong>es</strong>folge in <strong>den</strong> anderenSagagattungen. Dort wiederum spielt Krankheit nur eine sehr untergeordnete Rolle.Im Verletzungsanteil unterschei<strong>den</strong> sich die Texte nicht w<strong>es</strong>entlich voneinander.Das Bild ändert sich deutlich bei Untersuchung der Schmerzereignisse (Abb. 5):Abbildung 5: Schmerzursachen im Überblick100%80%60%Ereignis mitTod<strong>es</strong>folgeVerletzung40%Krankheit20%0%ByskupasögurKonungasögurSturlunga sagaÍslendingasögurKrankheit stellt eine wichtige Ursache für Schmerz dar. Bei <strong>den</strong> Byskupasögur hatsich der Anteil der Erkrankungen von 57 auf 71 % erhöht, in <strong>den</strong> übrigen Texten fälltdie Steigerung noch deutlicher <strong>aus</strong>. Am <strong>aus</strong>geprägt<strong>es</strong>ten ist sie in <strong>den</strong> Konungasögur,von 7 auf 38 %. Der schmerzhafte Tod tritt in <strong>den</strong> Hintergrund zugunstenschmerzhafter Verletzung.Der hohe Krankheitsanteil der Byskupasögur erklärt sich wiederum durch diediversen Wunderheilungen der Bischöfe. Wunderheilungen gibt <strong>es</strong> auch in <strong>den</strong>christlich geprägten Texten der Konungasögur (Olafssagas) und in der Sturlungasaga (Pr<strong>es</strong>tssaga Guðmundar Arasonar).Auch die G<strong>es</strong>chlechter- und Altersverteilung war Gegenstand der Untersuchung.Tabelle 7 und 8 zeigen die Ergebnisse für die potentiellen und tatsächlichenSchmerzereignisse:79


Tabelle 7: G<strong>es</strong>chlecht und Alter in <strong>den</strong> „potentiellen Schmerzstellen“Byskupasögur Konungasögur Sturlunga saga ÍslendingasögurMänner 116 175 888 1576Frauen 34 1 10 35Jungen 15 0 0 4Mädchen 9 0 0 2Tabelle 8: G<strong>es</strong>chlecht und Altersstruktur in <strong>den</strong> „tatsächlichen Schmerzstellen“Byskupasögur Konungasögur Sturlunga saga ÍslendingasögurMänner 52 25 21 43Frauen 23 1 2 4Jungen 3 0 0 0Mädchen 7 0 0 1Alle Sagagattungen wer<strong>den</strong> männlich dominiert. Frauen und Kinder sind innennenswertem Ausmaß nur in <strong>den</strong> Byskupasögur vertreten. In <strong>den</strong> Konungasögursowie der Sturlunga saga fehlen sie praktisch ganz. Die Íslendingasögur weisengen<strong>aus</strong>o viele potentielle Schmerzstellen über Frauen auf wie die Byskupasögur.Gem<strong>es</strong>sen am Männeranteil machen sie jedoch nur rund 2 % <strong>aus</strong>, in <strong>den</strong>Byskupasögur sind <strong>es</strong> rund 29 %.Wie Tabelle 8 zeigt, wird Schmerz mit Ausnahme der Byskupasögur fast<strong>aus</strong>schließlich bei Männern b<strong>es</strong>chrieben. Die bereits in Abbildung 3 für alleTextstellen errechnete Schmerzquote ergibt sich nach G<strong>es</strong>chlecht und Alter wiefolgt:Tabelle 9: Schmerzquote nach G<strong>es</strong>chlechternByskupasögur Konungasögur Sturlunga saga ÍslendingasögurMänner 44,8 14,3 2,4 2,7Frauen 67,6 20 11,4Jungen 20 0 0 0Mädchen 77,8 0 0Die G<strong>es</strong>amtschmerzquoten der Konungasögur, Sturlunga saga und Íslendingasögurdecken sich mit <strong>den</strong> Schmerzquoten der Männer. Da in di<strong>es</strong>en Sagagattungen derFrauenanteil äußerst gering ist, hat deren Schmerzquote auf das G<strong>es</strong>amtr<strong>es</strong>ultat keineAuswirkungen. Aufgrund der geringen Fallzahlen bei <strong>den</strong> Frauen in <strong>den</strong>Konungasögur und <strong>den</strong> Mädchen in <strong>den</strong> Íslendingasögur, sind die r<strong>es</strong>ultieren<strong>den</strong>80


Schmerzquoten irreführend und wer<strong>den</strong> <strong>aus</strong> di<strong>es</strong>em Grunde nicht aufgeführt. In <strong>den</strong>Byskupasögur liegt die Männerschmerzquote unter der G<strong>es</strong>amtschmerzquote von49,1 %, die der Frauen und Mädchen darüber. Einschränkend muß g<strong>es</strong>agt wer<strong>den</strong>,daß in der Gruppe der Mädchen sehr wenige Fälle verzeichnet wur<strong>den</strong>, so daß dieSchmerzquote einen verzerrten Wert wiedergibt. Konzentriert man sich <strong>aus</strong> di<strong>es</strong>emGrund nur auf die Frauen und Männer der Byskupasögur und untersucht sie aufSchmerzursachen nach obigen drei Kategorien, ergibt sich:Tabelle 10: Schmerzursachen-Analyse Männer/Frauen in <strong>den</strong> ByskupasögurKranke Männer 61 Kranke Frauen 23Kranke Männer + Schmerz 33 Kranke Frauen + Schmerz 18Schmerzquote 54,1% Schmerzquote 78,3%Verletzte Männer 39 Verletzte Frauen 11Verletzte Männer + Schmerz 17 Verletzte Frauen + Schmerz 5Schmerzquote 43,6% Schmerzquote 45,5%Tote Männer 16 Tote Frauen 0Tote Männer + Schmerz 2 Tote Frauen + Schmerz 0Schmerzquote 12,5% Schmerzquote 0%Die Schmerzquoten der kranken Männer und Frauen liegen deutlich über demG<strong>es</strong>amtwert von 49,1 %. Dabei übersteigt der Frauenwert deutlich <strong>den</strong> der Männer.Von 10 kranken Frauen in <strong>den</strong> Byskupasögur lei<strong>den</strong> mehr als drei Viertelgleichzeitig unter Schmerzen. Bei <strong>den</strong> Männern ist <strong>es</strong> knapp die Hälfte. Aus di<strong>es</strong>enDaten zu folgern, daß Frauen allgemein schmerzempfindlicher als Männer darg<strong>es</strong>telltwer<strong>den</strong>, ist aufgrund der unsicheren Datenlage nicht ganz eindeutig. DieVerletzungsquoten sind bei bei<strong>den</strong> G<strong>es</strong>chlechtern etwa gleich. In <strong>den</strong> Byskupasögurkommen Frauen nicht schmerzhaft zu Tode. Erkrankte Frauen stellen somit für dieSchmerzdarstellung der Byskupasögur eine statistisch relevante Größe dar.Auch der Männeranteil an <strong>den</strong> schmerzhaft Erkrankten liegt über derdurchschnittlichen Schmerzquote. Vergleicht man die Werte der erkrankten Männermit <strong>den</strong>en anderer Sagagattungen, läßt sich eine gleichmäßig hohe Schmerzquotef<strong>es</strong>tstellen:81


Tabelle 11: Erkrankte MännerByskupasögur Konungasögur Sturlunga saga ÍslendingasögurKranke Männer 61 11 10 11Kranke Männer + Schmerz 33 9 4 7Schmerzquote 54,1% 81,8% 40,0% 63,6%Ein Vergleich der Fallzahlen zeigt, daß die Byskupasögur sechsmal mehr erkrankteMänner verzeichnen als jede andere untersuchte Sagafamilie. Die Ergebnisse müssenjedoch mit Vorsicht interpretiert wer<strong>den</strong>, weil kleine Fallzahlen schnell zu großenSchwankungen in der Quote führen können.In der Sagaliteratur fin<strong>den</strong> sich in sehr vielen Fällen präzise B<strong>es</strong>chreibungender bei Verletzungen oder Krankheiten beteiligten Körperregionen. Die Abbildungen6, 7, 8 und 9 zeigen schematisch die bei schmerzhaften Ereignissen beteiligtenKörperregionen. Wenn im Text keine <strong>aus</strong>reichen<strong>den</strong> oder zu allgemeine Angabenüber die betroffenen Gebiete vorlagen, wurde eine Zuordnung zur Kategorie„unb<strong>es</strong>timmte Körperregion“ getroffen. Die Anzahl di<strong>es</strong>er Textstellen ist in derlinken unteren Ecke einer je<strong>den</strong> Abbildung vermerkt.Wie <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Abbildungen ersichtlich wird, spielt sich ein Großteil der schmerzhaftenEreignisse im Kopf- und Beinbereich ab. Di<strong>es</strong>e Regionen wer<strong>den</strong> oftmals nochweiter unterteilt (Knie, Wade, Fußgelenk, Fuß, etc.). B<strong>es</strong>onders auffällig ist dasunverhältnismäßig häufige Auftreten von Schmerz im Augenbereich (Byskupasögur11 Textstellen, Konungasögur 6 Textstellen, Sturlunga saga 1 Textstelle,Íslendingasögur 10 Textstelle). Der Bauch ist vor allem in <strong>den</strong> Byskupasögurbetroffen (10 Textstellen). In <strong>den</strong> übrigen Texten wird nur einmal in der Sturlungasaga über Schmerzen in di<strong>es</strong>er Region berichtet. Der Brustkorb ist regelmäßig mitmehreren Ereignissen beteiligt, die Rückenpartie spielt in Sachen Schmerz praktischkeine Rolle. Die Arme sind mäßig häufig in Schmerzschilderungen einbezogen.82


Abbildung 6: Schmerz in <strong>den</strong> Byskupasögur: beteiligte KörperregionenRücken 1Arm 6Brustkorb 8Brüste 1Kopf 4G<strong>es</strong>icht 5Augen 11Zunge 2Zähne 1Schlüsselbein 1Schulter 5Bauch 10Urogenital3Seite 4Bein 18unb<strong>es</strong>t.Körperregion 14Fuß 1Abbildung 7: Schmerz in <strong>den</strong> Konungasögur: beteiligte KörperregionenKopf 1Augen 6Zunge 4Arm 5Brustkorb 2Handgelenk 1Finger 1Seite 2Bein 8unb<strong>es</strong>t.Körperregion 20Knie 2Wade 1Fußgelenk 1Fuß 383


Abbildung 8: Schmerz in der Sturlunga saga: beteiligte KörperregionenKopf 2G<strong>es</strong>icht 3Augen 1Arm 4Brustkorb 6Finger 1Bauch 1Urogenital1Bein 4unb<strong>es</strong>t.Körperregion 9Wade 1Fußgelenk 1Abbildung 9: Schmerz in der Íslendingasögur: beteiligte KörperregionenRücken 1Arm 3Kopf 3G<strong>es</strong>icht 3Augen 10Zähne 1Schulter 1Brustkorb 5 Skelett 1Finger 1Seite 1G<strong>es</strong>äß 3Bein 13unb<strong>es</strong>t.Körperregion 1784


8 Lokalisation d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>Eine Analyse der von Schmerz betroffenen Körperregionen zeigt, daß manche Arealebevorzugt involviert sind. Allgemein fällt auf, daß der Kopfbereich häufig, derBauch hingegen relativ selten genannt wird (Abbildungen 6-9). Im folgen<strong>den</strong> solleneinige <strong>aus</strong>gewählte Regionen d<strong>es</strong> Körpers näherer Betrachtung unterzogen wer<strong>den</strong>.8.1 AugenschmerzSehr oft wird in <strong>den</strong> Sagas über augnaverkr (Augenschmerz) berichtet. Die Gründehierfür sind vielfältig. Den Augen wur<strong>den</strong> seit jeher b<strong>es</strong>ondere Eigenschaftenzug<strong>es</strong>chrieben. In der Antike galten sie als Spiegel der Seele, 267 im Nor<strong>den</strong> d<strong>es</strong>Mittelalters waren sie Kennzeichen der Persönlichkeit. 268 Auch <strong>den</strong> „bösen Blick“kannte man in Skandinavien. Physiologisch betrachtet ist das Auge ein wichtig<strong>es</strong>,stark innerviert<strong>es</strong> Sinn<strong>es</strong>organ, d<strong>es</strong>sen Hornhaut schon auf geringe Schmerzreiz<strong>es</strong>ehr empfindlich reagiert. Jegliche Funktionsstörung in di<strong>es</strong>em Bereich wirkt sichextrem störend <strong>aus</strong> und beeinträchtigt unmittelbar das allgemeine Befin<strong>den</strong>.Vergleichbare Verletzungen oder Erkrankungen anderer Körperregionen wer<strong>den</strong>oftmals rein subjektiv als weit weniger dramatisch bewertet. Es erscheint allein <strong>aus</strong>di<strong>es</strong>em Grund logisch, daß die Sagas eher auf Augen- als auf Bauchschmerzeingehen. Reichborn-Kjennerud weist überdi<strong>es</strong> darauf hin, daß Augenkrankheiten imMittelalter zu <strong>den</strong> häufigsten Erkrankungen überhaupt zählten. Grund war derallgemein schlechte G<strong>es</strong>undheitszustand der Bevölkerung, gepaart mit rauchgefülltenRäumen, was in vielen Fällen zu chronischer Bindehautentzündung führte. 269 Auchdie fehlende Systematik der Augenkrankheiten ist ein Grund für die häufigeNennung von Augenschmerz. Krankheitsnamen wur<strong>den</strong> erst spät eingeführt, so daßsich die Nomenklatur von Augenlei<strong>den</strong> an ihren Symptomen orientierte. Folglichwur<strong>den</strong> alle Krankheiten, zu deren Symptomatik der Schmerz zählte, als augnaverkrbezeichnet. 270 Aufgrund der Tatsache, daß Augenkrankheiten oft akut mit ernsthaftenKomplikationen bis hin zur Blindheit auftraten, schildern die Sagas di<strong>es</strong>e Zuständegern mit starken Worten. 271 Zum Beispiel:267 Schleusener-Eichholz 1980 [LeMa 1], 1208.268 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 28 f.269 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (5), 5.270 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (5), 5.271 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (5), 5.85


[…], dasselbe Kind bekam starke Augenschmerzen, so daß der eine Augapfelunter gewaltigem Schmerz her<strong>aus</strong>sprang, […]. 272Augenschmerz ist auch eine oft b<strong>es</strong>chriebene Strafe, die die Betroffenen meist überNacht ereilt:Nun verhinderte der allmächtige Gott, daß die Kirche verbrannt wurde. Aberdem unwissen<strong>den</strong> Mann sandte er Augenschmerz gleich in derdarauffolgen<strong>den</strong> Nacht. 273Þormóðr kolbrúnarskáld wird von Þorbjôrg kolbrún mit Augenschmerz b<strong>es</strong>traft, weiler ein Lobgedicht auf sie der Einfachheit halber gleich ein zweit<strong>es</strong> Mal für eineandere Frau verwendet. Sie erscheint ihm im Traum und erklärt, daß er erst wiederg<strong>es</strong>und werde, wenn er seine Tat öffentlich bereue:Þorbjôrg sprach: „Wahr ist, daß du mein Lobgedicht Þórdís Grímudóttirgegeben hast und die Strophen geändert hast, <strong>aus</strong> <strong>den</strong>en unzweideutighervorging, daß du das Gedicht für mich gemacht hatt<strong>es</strong>t, weil du dich nichttraut<strong>es</strong>t, kleiner Kerl, wahrheitsgemäß zu sagen, für welche Frau du dasGedicht gemacht hast. Nun werde ich dir deine Untreue und Lüge damitlohnen, daß du nun einen so großen und starken Augenschmerz bekommensollst, so daß beide Augen dir <strong>aus</strong> dem Kopf springen sollen, <strong>es</strong> sei <strong>den</strong>n, dubekennst öffentlich deine niedere G<strong>es</strong>innung, daß du mir mein Lobgedichtweggenommen und einer anderen Frau gegeben hast. Du sollst niemalsg<strong>es</strong>und wer<strong>den</strong>, <strong>es</strong> sei <strong>den</strong>n, du streichst die Verse, die du zum Lobe Þórdísverändert hast und nimmst die wieder auf, die du über mich gemacht hast.Und du sollst di<strong>es</strong><strong>es</strong> Gedicht niemand anderem zueignen als der Person, fürdie <strong>es</strong> ursprünglich gemacht war.“ 274Er erwacht mit so starken Schmerzen, daß ihm fast die Augen <strong>aus</strong> dem Kopfspringen. Als er seinen Betrug öffentlich g<strong>es</strong>teht, verschwin<strong>den</strong> die B<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong>augenblicklich:Er erwacht dadurch, daß er so starke Augenschmerzen hatte, daß er <strong>es</strong> kaumohne zu schreien ertragen konnte und für <strong>den</strong> R<strong>es</strong>t der Nacht nicht schlafenkonnte. Am Morgen bleibt er lange liegen. […] Nun gibt er allgemeinbekannt, wie <strong>es</strong> sich mit dem Gedicht verhalten hatte und widmet danach aufs272 […], þat sama barn varð fyrir ströngum augnaverk, at með æsiligum harmi sprakk út augnasteininnannarr, […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta , 170 (GuðbrandurVigfússon & al. 1878).273 Nu let almattigr Guð við beraz bruna kirkionnar. en þeim uvitra manne sendi hann augnavercþegar eptir um nottina. Saga Óláfs konungs hins helga, 642 3 - 642 4 (Johnsen & Jón Helgason 1941).274 Þorbjôrg mælti: „Satt er, at þú hefir mitt lofkvæði gefit Þórdísi Grímudóttur ok snúit þeimørendum, er m<strong>es</strong>t váru ákveðin orð, at þú hefðir um mik ort kvæðit, því at þú þorðir eigi, lítill karl, atsegja satt til, um hverja konu þú hefðir ort kvæðit. Nú mun ek launa þér því l<strong>aus</strong>ung þína ok lygi, at þúskalt nú taka augnaverk mikinn ok strangan, svá at bæði augu skulu springa ór hôfði þér, nema þúlýsir fyrir alþýðu klækisskap þínum, þeim er þú tókt frá mér mitt lofkvæði ok gefit annarri konu.Muntu aldregi heill verða, nema þú fellir niðr þær vísur, er þú hefir snúit til lofs við Þórdísi, en takirþær upp, er þú hefir um mik kveðit, ok kenna eigi þetta kvæði ôðrum en þeim, sem ort var íôndverðu.” FóstbrÍðra saga, 174 f. (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).86


Neue vor vielen Zeugen das Gedicht der Þorbjôrg. Þormóðr genas daraufschnell von seinem Augenschmerz und erholt sich völlig von di<strong>es</strong>emLei<strong>den</strong>. 275Als Þormóðrs Freund Bersi von d<strong>es</strong>sen Übel erfährt, kommentiert er die ProblematikAugenschmerz mit <strong>den</strong> treffen<strong>den</strong> Worten: „Derjenige ist nicht g<strong>es</strong>und, d<strong>es</strong>sen Augenschmerzen.” 2768.2 ExtremitätenschmerzSchmerzen in <strong>den</strong> Extremitäten, vor allem in <strong>den</strong> Beinen, wer<strong>den</strong> ebenfalls in allenSagagruppen häufig erwähnt. Da Beine keinerlei übergeordnete symbolischeBedeutung b<strong>es</strong>itzen, steht hier, anders als bei <strong>den</strong> Augen, die Funktionalität ganz imVordergrund. Di<strong>es</strong> zeigt sich im deutschen Sprachgebrauch an <strong>den</strong> häufigenRedewendungen mit „Bein“, z.B. „einem auf die Beine helfen“, „einem Beinemachen“, „nicht auf einem Bein kann stehen können“. 277 Schmerzen in einem oderbei<strong>den</strong> Beinen bedeuten akute Gefährdung der Mobilität. In einer Welt ohnebehindertengerechte Infrastruktur, d.h. ohne Rollstühle, geteerte Straßen, leichtzugängliche Häuser, etc. stellt di<strong>es</strong>e Bedrohung eine absolute Katastrophe dar. OhneMobilität erlischt für die betroffenen Sagapersonen auch die individuelleg<strong>es</strong>ellschaftliche Funktion und damit der soziale Status. Als Þorbjôrn in derHeiðarvíga saga im Kampf einen Fuß verliert, entschließt er sich gegen ein Lebenals Behinderter: „Þorbjôrn […] liegt nichts am Leben mit di<strong>es</strong>er Verstümmelung.“ 278Da <strong>es</strong> sich leichter mit nur einem Arm als mit nur einem Bein leben läßt, scheinendie Sagas dem Schmerz in <strong>den</strong> unteren Extremitäten größer<strong>es</strong> Gewicht beizum<strong>es</strong>sen.Wenn die Krankheit oder Verletzung <strong>aus</strong>heilt, wird sehr oft eine Anmerkung zumFunktionsstatus gemacht. Überdi<strong>es</strong> erhalten di<strong>es</strong>e Personen oft einen Beinamen, deran das Ereignis erinnert. Di<strong>es</strong>e Beinamen gibt <strong>es</strong> hauptsächlich für <strong>den</strong> Beinbereich,wohingegen sie nach Armverletzungen in weit<strong>aus</strong> geringerem Umfang vorkommen.275 Hann vaknar við þat, at hann hafði svá mikinn augnaverk, at hann mátti varla þola óœpandi okmátti eigi sofa, þat sem eptir var nætrinnar. Hann hvílir lengi um morgininn. […] Nú lýsir hann fyriralþýðu, hversu farit hafði um kvæðit, ok gefr þá af nýju við môrg vitni Þorbjôrgu kvæðit. Þormóðibatnaði þá skjótt augnaverkjarins, ok verðr hann þá alheill þ<strong>es</strong>s meins. FóstbrÍðra saga, 175 ff. (BjörnK. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).276 Eigi er sá heill, er í augun verkir. FóstbrÍðra saga, 176 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson1958 [ÍF 6]).277 Röhrich 1973 (1), 111 ff.278 Þorbjôrn […] hirðir nú eigi um líf með ørkumlum þ<strong>es</strong>sum. Heiðarvíga saga, 303 (Sigurður Nordal& Guðni Jónsson 1956 [ÍF 3]).87


Hieran läßt sich ebenfalls die Bedeutsamkeit funktionsfähiger Beine abl<strong>es</strong>en. In derBárðar saga SnÌfellsáss findet sich z.B.:Þorkell lag nach dem Fall noch eine Weile, aber Bárdur ging nach H<strong>aus</strong>e.Þorkels Oberschenkel war im Ringkampf der bei<strong>den</strong> Brüder gebrochenwor<strong>den</strong>. Dann stand er auf und hinkte mühsam nach H<strong>aus</strong>e; danach wurd<strong>es</strong>ein Fuß verbun<strong>den</strong> und heilte völlig <strong>aus</strong>. Er wurde seither ÞorkellVerbandsfuß genannt. 279In der Gunnlaugs saga ormstungu wird Gunnlaugr das Bein <strong>aus</strong>gekugelt. DerFunktionsverlust hindert ihn daran, zur Hochzeit seiner ehemaligen Verlobten Helgazu reiten:Dann wurde das Bein verbun<strong>den</strong> und eingerenkt und schwoll sehr stark an.[…] Gunnlaugur war doch wegen sein<strong>es</strong> Bein<strong>es</strong> nicht imstande, sichfortzubewegen, doch er ließ sich nichts anmerken und d<strong>es</strong>halb wurde nichts<strong>aus</strong> der Reise. 280Ein anderer möglicher Grund für die häufigere Nennung schmerzhafter Zustände derunteren Extremität in der untersuchten Literatur ergibt sich <strong>aus</strong> der mit ihnenverbun<strong>den</strong>en Gefahr für Leib und Leben. Knochenbrüche in di<strong>es</strong>em Bereich gehenz.B. mit einer höheren Mortalität einher. Vor allem Frakturen d<strong>es</strong> Oberschenkels sindohne adäquate operative Behandlung lebensbedrohlich. Der Blutverlust einerFemurschaftfraktur liegt bei etwa zwei Litern, was ohne Substitutionsmöglichkeit zueiner kritischen Kreislaufbelastung führen kann. Außerdem bergen Frakturenmarkhaltiger Knochen die große Gefahr von Fettembolien, die mit einer hohenSterblichkeitsrate belastet sind. Handelt <strong>es</strong> sich zusätzlich um einen offenen Bruch,kommt ein nicht unerheblich<strong>es</strong> Infektionsrisiko hinzu. In der FljótsdÍla saga wirddem alten Þiðrandi von einem Widder der Oberschenkelknochen zerschmettert,woran er nach kurzer Zeit stirbt, nachdem sich die mutmaßlich offene Frakturschmerzhaft entzündet:Er sitzt vor dem Zaun dort beim H<strong>aus</strong>. Die Leute fragen, warum er nicht nachH<strong>aus</strong>e käme. Er sagt, daß ihm das Gehen unangenehm gew<strong>es</strong>en sei undsprach, daß <strong>es</strong> <strong>den</strong>noch etwas b<strong>es</strong>ser gewor<strong>den</strong> sei und sagte, ein Widder habeihm <strong>den</strong> Oberschenkelknochen zerschlagen. Er wurde damit nach H<strong>aus</strong>egetragen und sein Bett gemacht. Und danach fängt der Oberschenkel plötzlich279 Þorkell lá eptir fallit stund þá, en Bárðr gekk heim. Brotnat hafði lærleggr Þorkels í glímu þeirabræðra. Þá stóð hann upp ok hnekkti heim; síðan var bundit um fót hans, ok greri hann mjök at heilu.Hann var síðan kallaðr Þorkell bundinfóti. Bárðar saga SnÌfellsáss, 118 (Þórhallur Vilmundarson &Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).280 Þá var vafiðr fótrinn ok í liðinn fœrðr og þrútnaði allmjôk. […] Gunnlaugr var þó ófœrr fyrirfótarins sakar, þótt hann léti ekki á sjásk, ok varð því ekki af ferðinni. Gunnlaugs saga ormstungu,86 f. (Sigurður Nordal & Guðni Jónsson 1956 [ÍF 3]).88


an, sich schmerzhaft zu entzün<strong>den</strong> und schwoll stark an und das führt zuseinem Tod. 2818.3 BrustschmerzSchmerzschilderungen im Rumpfbereich beziehen sich überwiegend auf <strong>den</strong> Thorax.Der Rücken ist in der untersuchten Literatur praktisch nie involviert und dasAbdomen in nennenswertem Umfang nur in <strong>den</strong> Byskupasögur. Dahingegen sindaufg<strong>es</strong>chlitzte Bäuche mit her<strong>aus</strong>hängen<strong>den</strong> Gedärmen ein d<strong>es</strong> öfteren verwendet<strong>es</strong>Bild. Erstaunlicherweise wird Schmerz in di<strong>es</strong>em Zusammenhang nie verbalisiert.Vielmehr muß di<strong>es</strong><strong>es</strong> Motiv als Symbol für Mannhaftigkeit in Extremsituationeninterpretiert wer<strong>den</strong>. D<strong>es</strong>sen Wirkung wird intensiviert, indem der Betroffene dieEingeweide mittels sein<strong>es</strong> Gürtels im Bauchraum fixiert und weiterkämpft.Der Brustkorb ist Sitz der wichtigen Organe Herz und Lunge. Ähnlich dem Auge,b<strong>es</strong>itzt auch das Herz <strong>aus</strong>geprägten Symbolcharakter. 282Die „volkstümliche wiewissenschaftliche Begrifflichkeit d<strong>es</strong> Mittelalters knüpft an die antiken Traditionenvom Herzen als der organischen und seelisch-geistigen Lebensmitte an.“ 283 Di<strong>es</strong> magein Grund dafür sein, daß Schmerzen im Brustbereich in <strong>den</strong> Sagas aufmerksamregistriert wer<strong>den</strong>. Im Mittelalter verband man ein größer<strong>es</strong> Körperareal mit demHerzen als <strong>es</strong> seiner topographischen Lage entspricht. So bezeichnet hjartverkr(Herzschmerz) „meist […] eine Krankheit im Magen.” 284 Die Verknüpfung Herz-Magen läßt sich außerdem anhand einer Reihe volkssprachlicher Ausdrückebelegen. 285 Für die vorliegende Untersuchung spielt di<strong>es</strong>e anatomische B<strong>es</strong>onderheitjedoch keine Rolle. Unter „Thoraxschmerz“ wur<strong>den</strong> nur Stellen subsummiert, diedi<strong>es</strong>er Körperregion klar zugeordnet wer<strong>den</strong> konnten. Überdi<strong>es</strong> ist hjartverkr in <strong>den</strong>untersuchten Texten ein seltener Begriff.281 Sitr hann fyrir utan garðinn þar hjá húsinu. Menn spyrja, hví hann færi eigi heim. Hann segir sérgönguna óhæga verit hafa, en kvað þá þó lítit um hafa batnat ok sagði hrút einn hafa lostit sundr í sérlærlegginn. Var hann við þetta heim borinn ok gjör hvíla hans. Ok eptir þetta lýstr í verkjum, ok blæslærið mjök, ok þetta leiðir hann til bana. FljótsdÍla saga, 219 (Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]).Die Wendung „ljósta í verkjum” bezeichnet weniger Schmerz als vielmehr eine schmerzhafteWundinfektion (vgl. auch Kapitel 10.2 ).282 Siehe hierzu auch: Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (4), 97 f.283 Hödl 1989 [LeMa 4], 2187.284 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 98: „[…] oft<strong>es</strong>t […] en sykdom i mag<strong>es</strong>ekken.”285 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 40.89


Nicht zuletzt galt das Herz im mittelalterlichen Nor<strong>den</strong> als Sitz von Mut undWillenskraft. 286 Hier<strong>aus</strong> entwickelte sich die Sitte, die Leichen gefallener Krieger zueröffnen (kryfja til hjarta), um her<strong>aus</strong>zufin<strong>den</strong>, ob der Betreffende mutig(hjartaþrúðr, hugþrúðr) oder feige (hjartablauðr, hugblauðr) gew<strong>es</strong>en war. 287 Jekleiner das Herz, d<strong>es</strong>to mutiger der Mann. Als illustrierend<strong>es</strong> Beispiel <strong>aus</strong> <strong>den</strong> fürdi<strong>es</strong>e Arbeit untersuchten Sagas ist der Tod Þorgeirr Hávarssons in der FóstbrÍðrasaga zu nennen, dem nach seinem Tod das Herz her<strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chnitten wird, um dieQuelle sein<strong>es</strong> großen Mut<strong>es</strong> zu ergrün<strong>den</strong>. 288 Das wohl bekannt<strong>es</strong>te Beispiel di<strong>es</strong>erArt findet sich in der Atlakviða der Liederedda. Das her<strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chnittene Herz d<strong>es</strong>Feiglings Hjalti zittert, das d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong> Högni nicht. 289Erkrankungen der Lunge waren häufig auf Island anzutreffen. Ungünstigeklimatische Gegebenheiten sowie ung<strong>es</strong>unde Wohnverhältnisse bildeten <strong>den</strong>Nährbo<strong>den</strong> für Infektionen der Atemwege. 290 In der FóstbrÍðra saga bezeichnet sichHelgi selseista als „g<strong>es</strong>und in der Brust“. Da die Saga di<strong>es</strong>en Umstand hervorhebt,könnte man im Umkehrschluß vermuten, daß Lungenkrankheiten in der Bevölkerungverbreitet waren:Er sagt: „Ich bin kein Sportler, aber auf meine Beine kann ich mich verlassenund ich habe eine g<strong>es</strong>unde Lunge und d<strong>es</strong>halb faßt mich niemand, wenn ichweglaufe.“ 291286 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 23.287 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 23.288 So sagen manche Leute, daß sie sein Herz her<strong>aus</strong>schnitten und sehen wollten, wie <strong>es</strong> b<strong>es</strong>chaffenwäre, so tapfer wie er war, und die Leute sagen, daß das Herz sehr klein gew<strong>es</strong>en sei und mancheLeute halten das für wahr, daß die Herzen tapferer Leute kleiner seien als die der Feigen, weil dieLeute behaupten, daß weniger Blut in kleinen Herzen sei als in großen und behaupten, daß HerzblutAngst hervorruft und die Leute sagen, daß einem Mann der Mut d<strong>es</strong>halb sinkt, weil sich das Herzblutund das Herz in ihm erschrecken. („Svá segja sumir menn, at þeir klyfði hann til hjarta og vildu sjá,hvílíkt væri, svá hugprúður sem hann var, en menn segja, at hjartat væri harla lítit, ok hôfðu sumirmenn þat fyrir satt, at minni séu hugprúðra manna hjôrtu en hugl<strong>aus</strong>sa, því at menn kalla minna blóð ílitlu hjarta en miklu, en kalla hjartablóði hræzlu fylgja, ok segja menn því detta hjarta manna íbrjóstinu, at þá hræðisk hjartablóðið ok hjartat í manninum.”) FóstbrÍðra saga, 210 f. (Björn K.Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).289Froh sprach Gunnar, der Speer-Niflunge: ‘Hier habe ich das Herz Högnis d<strong>es</strong> Tapferen, dasungleich dem Herzen Hiallis d<strong>es</strong> Feigen nur wenig bebt, wo <strong>es</strong> auf er Schüssel liegt, noch wenigerbebte <strong>es</strong> als <strong>es</strong> in der Brust lag. (“Mærr qvað þat Gunnarr, geir-Niflungr: / ‘Hér hefi ec hiarta Hôgnains frœcna, / ólíct hiarta Hialla ins blauða, / er lítt bifaz, er á bióði liggr, / bifðiz svági miôc, þá er íbriósti lá.”) Atlaqviða in grœnlenzca, 25 (Neckel 1962).290 Grøn 1907-1908, 494.291 Hann segir: „Engi em ek íþróttamaðr, en mikit tr<strong>aus</strong>t á ek undir fótum mínum, ok brjóstheill em ek,ok því fær engi tekit mik á rás.” FóstbrÍðra saga, 195 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958[ÍF 6]).90


Wie beim Augenschmerz sind für Pneumonie und Pleuritis keine überliefertenKrankheitsnamen bekannt. Statt d<strong>es</strong>sen ist die Nomenklatur auch hier durchSymptome geprägt. Der di<strong>es</strong>e Krankheiten begleitende stechende Schmerz beimAtmen hat ihnen die Bezeichnung stingi oder stingasótt 292 eingetragen: „Das Wort‚stingi’ kommt vor als atemabhängiger Schmerz, der von Lunge, Brustfell odergebrochenen Rippen <strong>aus</strong>geht. In der heutigen Sprache benutzen wir statt d<strong>es</strong>sen‚stingur’.“ 293Im Neuisländischen bezeichnet stingur in Abweichung zumAltisländischen nur das Symptom und nicht auch die Krankheit. Es handelt sich nichtum einen medizinischen, sondern um einen volkssprachlichen Ausdruck. In derBandamanna saga findet sich:Und als sie ins Valfell kommen, scheint <strong>es</strong> ihnen, als ob eine Bogensehne aufdem Gebirgspaß gelle und als nächst<strong>es</strong> spürt Hermundr einen Stich unter demArm und heftigen Schmerz. Er muß nach H<strong>aus</strong>e umkehren und die Leutetrennen sich von ihm. Der Schmerz verlagert sich auf die Körperseite und dieKrankheit wird umso schlimmer, je länger die Reise durch <strong>den</strong> Bezirk dauert,[…]. 294Hermundr wird in di<strong>es</strong>er Szene nicht wirklich von einem Pfeil getroffen. Imnordischen Volksglauben erfolgt Krankheitsübertragung durch die Luft überunsichtbare Pfeile, die von Krankheitswichten (sykdomsvetter) 295 abg<strong>es</strong>chossenwer<strong>den</strong>. Hierauf lassen sich auch die Krankheitsbezeichnungen sending (Sendung)und skot (Schuß) zurückführen. 296 Der im deutschen Sprachraum verbreitete BegriffHexenschuß entspringt di<strong>es</strong>er Vorstellung.Hermundrs Krankheit verschlimmert sich, so daß er wenig später stirbt. Reichborn-Kjennerud stellt die Diagnose Lungenentzündung. 297 Aufgrund d<strong>es</strong> abruptenKrankheitsbeginns mit dem Gefühl, von einem Pfeil getroffen wor<strong>den</strong> zu sein,sollten jedoch auch andere Ursachen nicht von vornherein <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chlossen wer<strong>den</strong>.Herzinfarkt, Spontanpneumothorax und Lungenembolie treten gleichfalls alsplötzlich<strong>es</strong> Ereignis mit Brustschmerzen auf.292 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 92.293 Sigurður Samúelsson 1998, 67: „Orðið ‚stingi’ kemur fyrir sem takverkur frá lungum, brjósthimnueða rifjabroti. Í nútimamáli notum við í stað þ<strong>es</strong>s ‚stingur’.”294 Ok er þeir koma útan í Valfell, þykkir þeim, sem strengr gjalli upp í skôrðin, ok því næst kennirHermundr, at stingi kemr undir hôndina ok œðiverkr, verðr nú heim at snúa, ok ferr frá honum liðit.Ferr verkrinn um síðuna, ok því meira er um sóttina, sem meir líðr upp í héraðit ferðinni, […].Bandamanna saga, 360 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).295 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 46.296 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 87.297 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 92.91


8.4 ZusammenfassungIn der untersuchten Sagaliteratur tritt Schmerz vor allem in <strong>den</strong> Köperregionen Kopf(Augen), untere Extremität und Thorax auf, wodurch deren Bedeutunghervorgehoben wird. Andere Stellen d<strong>es</strong> Körpers fallen dahingegen durchüberraschend wenige Schmerzb<strong>es</strong>chreibungen auf. So ist der Bauchbereich zwar oftOrt schmerzhafter Verletzungen (Motiv der her<strong>aus</strong>hängen<strong>den</strong> Därme), aber Schmerzan sich findet in di<strong>es</strong>em Zusammenhang keine Erwähnung. Einzig in <strong>den</strong>Byskupasögur ist häufiger von Bauchschmerzen die Rede. Die Augen sind nicht nurwichtige Sinn<strong>es</strong>organe, sondern haben seit jeher auch starken Symbolcharakter.Nicht minder symbolträchtig ist das Herz, das dadurch dem Brustraum zu einemher<strong>aus</strong>ragen<strong>den</strong> Stellenwert verhilft. Zwar kommt Herzschmerz in der untersuchtenSagaliteratur kaum vor, doch wird dem Thorax als „Behälter“ d<strong>es</strong> Herzensautomatisch größere Aufmerksamkeit zuteil. Der Umstand häufig b<strong>es</strong>chriebenerBeinschmerzen ist in erster Linie vor einem funktionellen Hintergrund zu deuten.Verlust von Mobilität geht mit erheblichen Statuseinbußen nebst möglicher sozialerAusgrenzung einher.92


9 Schmerz – nichts für Hel<strong>den</strong>?9.1 Das Schmerzverhalten der Hel<strong>den</strong>Schmerz wird in großen Teilen der untersuchten Sagaliteratur eher selten thematisiert(Abbildungen 1 und 2). Je nach Sagatypus berichtet im günstigsten Fall jede zweiteStelle über Schmerz, im ungünstigsten jede 39. Gleichzeitig existieren auch reinquantitative Unterschiede in der Anzahl potentiell <strong>aus</strong>wertbarer Textstellen. DieÍslendingasögur verfügen über fast zehnmal mehr Passus, in <strong>den</strong>en Krankheit,Gewalt und Tod thematisiert wer<strong>den</strong>. Gleichzeitig muß jedoch auch in Betrachtgezogen wer<strong>den</strong>, daß der Umfang der Íslendingasögur deutlich über dem der übrigenSagagattungen liegt. Während sich die anderen in etwa die Waage halten, ist ihrTextcorpus um etwa das Vierfache größer. In der Sturlunga saga, die etwa dasFormat von Byskupa- und Konungasögur b<strong>es</strong>itzt, fin<strong>den</strong> sich immerhin noch 900Textstellen von Inter<strong>es</strong>se. Trotz di<strong>es</strong><strong>es</strong> auch optisch in <strong>den</strong> Abbildung 2 und 3sichtbaren Unterschied<strong>es</strong>, verfügen die Byskupasögur in absoluten Zahlen betrachtetüber die meisten Passagen zum Schmerz. Fünfundachtzig B<strong>es</strong>chreibungen vonSchmerz stehen gegen 20 in <strong>den</strong> Konungasögur, 23 in der Sturlunga saga und 48 in<strong>den</strong> Íslendingasögur. Di<strong>es</strong>e Beobachtungen wer<strong>den</strong> im folgen<strong>den</strong> genauer untersucht.Von Inter<strong>es</strong>se sind die Protagonisten der jeweiligen Passagen sowie die genauerenäußeren Umstände und die kontextuale Funktion von Schmerz. Hierzu dient einVergleich von Zitaten mit und ohne Schmerzinhalt.Schmerz beeinflußt die Persönlichkeit und di<strong>es</strong>e wiederum dasSchmerzempfin<strong>den</strong>. 298 Laut Schwob befindet sich Persönlichkeit in konstanterVeränderung und muß dabei zwei unterschiedliche Strömungen koordinieren: „zumeinen die Entwicklung von psychologischen, psychomotorischen instinktivaffektivenVerhaltensweisen; zum anderen die notwendige Anpassung an äußereEinflüsse.“ 299 Der Schmerz sei in di<strong>es</strong>em Zusammenhang ein „b<strong>es</strong>onderswirkungsvoll<strong>es</strong> Instrument zur Veränderung der Persönlichkeit […].“ 300 Als Beispielnennt er chronisch kranke Patienten, bei <strong>den</strong>en Schmerz leicht zu einem Teil derPersönlichkeit werde. Andererseits hat die bereits angeführte Untersuchung von298 Schwob 1999, 51 ff.299 Schwob 1999, 51.300 Schwob 1999, 51.93


Zborowski gezeigt, daß sich einmal geprägt<strong>es</strong> Schmerzverhalten nicht ohne weiter<strong>es</strong>verändern läßt. Die individuellen genetischen, kulturellen und sozialenGegebenheiten führten zu spezifischen Mustern im Schmerzverhalten der an derUntersuchung beteiligten Iren, Ju<strong>den</strong>, Italiener und WASPS. 301Die Protagonisten der Íslendingasögur bil<strong>den</strong> eine recht homogene Gruppenordischer Hel<strong>den</strong>, die sich aufgrund ihrer vermeintlichenSchmerzunempfindlichkeit 302 b<strong>es</strong>onders gut zum Schmerzstudium eignet. DieIndolenz muß auch unter dem Einfluß d<strong>es</strong> Sagastils g<strong>es</strong>ehen wer<strong>den</strong>. Er erfährt in<strong>den</strong> Íslendingasögur seine Vervollkommnung. Charakterisiert ist er durch einenüchterne und sparsame B<strong>es</strong>chreibung rasch aufeinanderfolgender Ereignisse. DerErzähler enthält sich wertender Kommentare, während direkte Rede und Dialogeeinen realistischen Eindruck vermitteln. Neue Personen wer<strong>den</strong> in die Handlungdurch kurze B<strong>es</strong>chreibung von Aussehen und Temperament eingeführt. Die Saga willnicht „durch spannende äußere Ereignisse, verwickelte Handlungen odermerkwürdige Situationen wirken […], sondern durch die Vorführung wertvoller oderdoch charaktervoller und als solche inter<strong>es</strong>santer Menschen und deren gegenseitigeBeziehungen.” 303 Jónas Kristjánsson bemerkt in di<strong>es</strong>em Zusammenhang: 304Die Erzählung kann gelegentlich unter dem Druck der trockenen Informationverschwin<strong>den</strong>. Genealogien, Menschen und Ortschaften wer<strong>den</strong> inbeängstigender Fülle und in kleinsten Einzelheiten vorgeführt. Der Fa<strong>den</strong> derErzählung wird durch lose verbun<strong>den</strong>e Einschübe ständig unterbrochen.Über Gedanken und Gefühle der Sagafiguren erfährt der L<strong>es</strong>er nichts. Baetkebezeichnet di<strong>es</strong> als „Wirklichkeitskunst”. 305 Und „die Wirklichkeitswelt der Saga istnicht die Sinnenwelt.” 306 Dem L<strong>es</strong>er wird die Rolle ein<strong>es</strong> unbeteiligten Beobachterszuteil. 307 Die Ausführungen d<strong>es</strong> Erzählers b<strong>es</strong>chränken sich auf das Allernötigste.Di<strong>es</strong>er Stil befremdet <strong>den</strong> modernen L<strong>es</strong>er vor allem bei <strong>den</strong> zahlreichen301 Zborowski 1960.302 Miller bemerkt in di<strong>es</strong>em Zusammenhang: „People‘s initial impr<strong>es</strong>sion of sagas is that the sagaworld is coldly unemotional – not only the sensibiliti<strong>es</strong> of characters in them, but the sensibiliti<strong>es</strong> ofthe narrative style as well. Readers are amused, some indeed are repelled, by the laconic way in whichrather gru<strong>es</strong>ome events and grieveous loss<strong>es</strong> are experienced or d<strong>es</strong>cribed“ (Miller 1992, 90).303 Baetke 1974 [WDF 151], 171.304 Jónas Kristjánsson 1994, 212.305 Baetke 1974 [WDF 151], 166.306 Baetke 1974 [WDF 151], 166.307 Baetke 1974 [WDF 151], 170: „Di<strong>es</strong> ist durch<strong>aus</strong> die Haltung d<strong>es</strong> Sagaerzählers: er gibt überSeelisch<strong>es</strong> nur indirekt Aufschluß. Er läßt uns die Menschen und ihr Erleben so sehen, wie wir sie imLeben sehen: nämlich von außen.“94


Gewaltszenen, in <strong>den</strong>en die Kargheit der schriftstellerischen Inszenierung <strong>den</strong>Eindruck kalter Emotionslosigkeit vermittelt. Bäuche wer<strong>den</strong> aufg<strong>es</strong>chlitzt, Beineamputiert und hunderte von Menschen erschlagen, ohne daß auch nur ein Schreierklänge. 308 Die „ […] Welt der Saga ist, so merkwürdig das klingt, ohne Farben undohne Töne.” 309 Aber das ist nur ein Kunstgriff, durch <strong>den</strong> eine Konzentration auf dasInnere der handeln<strong>den</strong> Personen ermöglicht wird. 310 Das Äußere wird benutzt, umseelische Vorgänge sichtbar zu machen. „[…]; die Welt d<strong>es</strong> äußeren G<strong>es</strong>chehenserscheint wie eine durchsichtige dünne Fläche, durch die man <strong>den</strong> Strom derverborgenen Lei<strong>den</strong>schaften zu spüren meint.” 311 Im Text selbst wird so gut wienichts über seelische Vorgänge verraten. Hierin sieht Baetke das auffallendsteMerkmal d<strong>es</strong> Sagastils. 312Folgende zwei Beispiele <strong>aus</strong> der Kategorie „potentieller Schmerz“ repräsentierentypisch hel<strong>den</strong>haft<strong>es</strong> Schmerzverhalten:1. Beispiel:Flosi sprach zu ihm: „Du hast <strong>den</strong> Schwur mit uns gebrochen und hastEigentum und Leben verwirkt. Hier sind nun die Sigfússöhne und wollen dichgerne töten. Aber mir scheint, daß du in eine böse Lage gekommen bist undich werde dir das Leben schenken, wenn du mir das Selbsturteil überläßt.“Ingjaldr sagt: „Eher werde ich zu Kári reiten, als dir das Selbsturteil zuüberlassen. Und ich will <strong>den</strong> Sigfússöhnen das antworten, daß ich nicht mehrAngst vor ihnen habe, als sie vor mir.“ „Warte nur,“ sagt Flosi, „wenn dunicht feige bist, weil ich dir eine Sendung schicken werde.“ „Gewiß werdeich warten“, sagt Ingjaldr. Þorsteinn Kolbeinsson, der Neffe Flosis ritt nachvorne neben ihn und hatte einen Speer in der Hand; er war einer von Flosistapfersten und tüchtigsten Männern. Flosi ergriff von ihm <strong>den</strong> Speer undschleuderte ihn nach Ingjaldr und traf ihn an der linken Seite am Schildunterhalb d<strong>es</strong> Schildriemens und spaltete ihn [<strong>den</strong> Schild] der Länge nach;der Speer drang ihm ins Bein oberhalb d<strong>es</strong> Kni<strong>es</strong> und sodann ins Seitenbrettd<strong>es</strong> Sattels und blieb dort stecken. Flosi sprach zu Ingjaldr: „Bist dugetroffen?“ „Gewiß bin ich getroffen,“ sagt Ingjaldr, „aber ich nenne das eineSchramme und keine Wunde.“ Ingjaldr zog darauf <strong>den</strong> Speer <strong>aus</strong> dem Beinund sprach zu Flosi: „Warte du nun, wenn du nicht feige bist;“ – und er warfdann <strong>den</strong> Speer zurück über <strong>den</strong> Fluß. Flosi sieht, daß der Speer auf seineKörpermitte zufliegt; er reißt das Pferd zurück; der Speer flog an Flosis Brust308 Von di<strong>es</strong>er Regel gibt <strong>es</strong> einige wenige Ausnahmen, von <strong>den</strong>en in di<strong>es</strong>er Arbeit die Rede sein wird.309 Baetke 1974 [WDF 151], 166.310 Baetke 1974 [WDF 151], 167.311 Baetke 1974 [WDF 151], 167.312 Baetke 1974 [WDF 151], 167.95


vorbei und verfehlte ihn und traf Þorsteinn in der Mitte und er fiel tot vomPferd. Ingjaldr lief dann in <strong>den</strong> Wald und sie konnten ihn nicht einholen. 313Im Beispiel erhält Ingjaldr eine schwere Verwundung am Bein. Der von Flosig<strong>es</strong>chleuderte Speer durchbohrt <strong>den</strong> Oberschenkel mit so großer Wucht, daß er imSattel stecken bleibt. Ingjaldr gibt durch kein Zeichen zu erkennen, daß ihm dieVerletzung weh tut, ganz im Gegenteil. Für ihn ist sie nichts als eine „Schramme“.Als nächst<strong>es</strong> zieht er <strong>den</strong> Speer <strong>aus</strong> der Wunde, was ebenfalls theoretisch sehrschmerzhaft sein müßte. Wiederum findet sich kein Hinweis darauf im Text. Trotzder Verletzung ist er anschließend noch in der Lage, <strong>den</strong> Speer zurückzuwerfen undzwar so heftig, daß er einen Gegner damit auf der Stelle tötet. Schließlich entkommter mit seiner Wunde laufend in <strong>den</strong> Wald, ohne daß seine Verfolger ihn einholenkönnen.Der exemplarische Charakter di<strong>es</strong>er Szene läßt sich auch schematisch b<strong>es</strong>chreiben:Held trifft alleine auf eine Übermacht – Held weicht nicht zurück – Held wirdverwundet – Held tötet Gegner proportional zur Schwere der Verletzung: je schwererer verletzt ist d<strong>es</strong>to mehr. Schmerz taucht in di<strong>es</strong>em Zusammenhang praktisch nieauf. Der Held ist jedoch am Ende oftmals stirðr 314 , móðr 315 oder honom mæddiblóðrás. 316Bezeichnenderweise wird in di<strong>es</strong>er Textpassage auch nichts weiter über <strong>den</strong>getöteten Þorsteinn berichtet. Er fällt tot <strong>aus</strong> dem Sattel. Auch hier wäre aufgrund derschmerzhaften Bauchverletzung eine andere Reaktion <strong>den</strong>kbar (z.B. Schrei,Stöhnen). Ingjalds Bein wird an späterer Stelle noch einmal thematisiert:313 Flosi mælti til hans: „Þú hefir rofit sætt á oss, ok hefir þú fyrirgôrt fé ok fjôrvi. Eru hér núSigfússynir ok vilja gjarna drepa þik. En mér þykkir þú við vant um kominn, ok mun ek gefa þér líf, efþú vill selja mér sjálfdœmi.“ Ingjaldr segir: „Fyrr skal ek ríða til móts við Kára en selja þér sjálfdœmi.En því vil ek svara Sigfússonum, at ek skal eigi hræddari við þá en þeir eru við mik.“ „Bíð þú þá,“segir Flosi, „ef þú ert eigi ragr, því at ek skal senda þér sending.“ „Bíða skal ek víst,” segir Ingjaldr.Þorsteinn Kolbeinsson, bróðurson Flosa, reið fram hjá honum ok hafði spjót í hendi; hann varhr<strong>aus</strong>tastr maðr með Flosa einn hverr ok m<strong>es</strong>t virðr. Flosi þreif af honum spjótit ok skaut til Ingjalds,ok kom á ina vinstri hliðina ok í skjôldinn fyrir neðan mundriða, ok klofnaði hann í sundr; spjótithljóp í fótinn fyrir ofan kné ok svá í sôðulfjôlna ok nam þar staðar. Flosi mælti til Ingjalds: „Hvártkom á þik?“ „Á mik kom víst,“ segir Ingjaldr, „ok kalla ek þetta skeinu, en ekki sár.“ Ingjaldr kipptiþá spjótinu ór fœtinum ok mælti til Flosa: „Bíð þú nú, ef þú ert eigi blauðr;“ – ok skaut hann þáspjótinu aptr yfir ána. Flosi sér, at spjótit stefnir á hann miðjan; opar hann þá h<strong>es</strong>tinum; spjótit fló fyrirframan brjóst Flosa ok missti hans ok kom á Þorstein miðjan, ok féll hann dauðr af h<strong>es</strong>tinum.Ingjaldur hleypti þá í skóginn, ok náðu þeir honum ekki. Brennu-Njáls saga, 337 f. (Einar Ól.Sveinsson 1954 [ÍF 12]).314 „Steif“315 „Erschöpft“316 „Er war vom Blutverlust g<strong>es</strong>chwächt“96


Wundbrand befiel Ingjaldrs Bein; er ging dann zu Hjalti und der heilteIngjaldr und doch hinkte er fortan. 317Auch hier wird kein Wort über Schmerz verloren, obwohl Ingjaldr Bein von eineroffenbar derart <strong>aus</strong>geprägten Infektion befallen wird, daß er letztlich zum Invali<strong>den</strong>wird.2. Beispiel:Die bei<strong>den</strong> Kórekssöhne Þorkell und Gunnsteinn sind die einzigen Überleben<strong>den</strong>ein<strong>es</strong> Kampf<strong>es</strong>. Ihr Freund Þiðrandi ist dabei ums Leben gekommen:Þorkell Kóreksson fragte seinen Bruder Gunnsteinn, ob er sehr verletzt sei.Gunnsteinn sagte, er habe einige Wun<strong>den</strong> – „aber wie geht <strong>es</strong> dir, Þorkell?”„Keine Wunde an mir ist schädlich.” Da sprach Þorkell: „Nun brauchen wirnicht mehr auf Þidrandi zu warten, trotzdem mag <strong>es</strong> nicht ratsam sein, nachH<strong>aus</strong>e zum Gehöft zurückzukehren. Ich glaube nicht, daß wir unsere Pferdezu fassen bekommen. Außerdem sind wir wahrscheinlich nicht g<strong>es</strong>chmeidigzu Fuß.” Sie legen einen Schild über Þidrandi dort auf dem kleinen Erdhügel,gehen danach fort, die Straße entlang, geradewegs die Anhöhe hinauf. Siekamen nur langsam voran, weil <strong>es</strong> schon sehr dunkel war. Sie gingen, bis siezu <strong>den</strong> Anhöhen kamen, die im Gebirgspaß am höchsten waren. Dort wareine Senke südlich der Straße und die heißt Ziegenmulde. Ein Fluß ergießtsich von oben <strong>aus</strong> dem Einschnitt im Gebirge in die Senke. Dort ist ein großerWasserfall. Unter dem Wasserfall ist eine große Höhle. In der Höhle sind imHerbst oft Männer, wenn man in die Berge geht. Þorkell sprach: „Laß uns indie Höhle gehen, weil ich so erschöpft bin, daß ich nicht weiter gehen kann.“Sie gehen zur Höhle. Davor ist Geröll aufgetürmt. Gunnsteinn wirft sichsofort nieder, weil ihm sehr warm war. Er wirft seine Kleider von sich.Þorkell schmeißt seinen Gürtel ab. Danach schält er sich <strong>aus</strong> seinen Kleidern.Da fallen die Eingeweide her<strong>aus</strong>. Er setzt sich dann nieder und Þorkell ließdort sein Leben. Den ganzen Weg von unten <strong>aus</strong> Njarðvík war er in di<strong>es</strong>emZustand gegangen. Nun ist Gunnstein allein übrig bei seinem toten Bruder. Erwar schwer verwundet. Gunnsteinn hielt <strong>es</strong> für das Ratsamste, sich von dortwegzubegeben. Er steht dann auf und als er von dort weggehen will, war er sosteif, daß er keinen Fuß vor <strong>den</strong> anderen setzen konnte. Er setzt sich dannnieder. Er muß nun dort bleiben, obwohl ihm das nicht gut gefällt. 318317 Blástr kom í fótinn Ingjaldi; fór hann þá til Hjalta, ok grœddi hann Ingjald, ok var hann þó jafnanhaltr síðan. Brennu-Njáls saga, 344 (Einar Ól. Sveinsson 1954 [ÍF 12]).318 Þorkell Kóreksson spurði Gunnstein bróður sinn, hvórt hann væri mjök sár. Gunnsteinn kveðst hafasár nökkur, - „en hvat líðr þér, Þorkell?” „Ekki sár er skaðligt á mér.” Þá mælti Þorkell: „Nú munumvit eigi þurfa Þiðranda at bíða, enda mun eigi ráð heim at leita til bæjarins. Eigi get ek, at vit náimh<strong>es</strong>tum okkrum. Munum vit ok eigi vera mjúkir til göngu.” Þeir hvelfa skildi yfir Þiðranda þar áþúfunni, ganga síðan á burt, fara upp til götu, rétta leið upp í brekkur. Þeim fórst seint, því atnáttmyrkr var á mikit. Þeir gengu, til þ<strong>es</strong>s er þeir kómu at brekkum þeim, er efstar vóru í skarðinu. Þarvar hvammr fyrir sunnan götur og heitir Kiðjahvammr. Á fellr ofan ór skarðinu ok ofan í hvamm. Þarer mikill fors í. Undir forsinum er hellir mikill. Í þeim helli eru menn opt á h<strong>aus</strong>tum, er á fjall ergengit. Þorkell mælti: „Förum vit til hellisins, því at mik gjörir svo móðan, at ek má eigi lengraganga.” Þeir fara til hellisins. Er þar hlaðit grjóti fyrir framan. Gunnsteinn kastar sér niður þegar, þvíat honum var heitt mjök. Hann verpr af sér klæðum. Þorkell sprettir af sér belti sínu. Eptir þat flettirhann af sér klæðum. Þá falla út iðrin. Hann sezt þá niður, ok lét Þorkell þar líf sitt. Við þetta hafðihann gengit allt neðan ór Njarðvík. Nú er Gunnsteinn einn eptir hjá bróður sínum dauðum. Hann var97


Auch in di<strong>es</strong>er Textstelle wer<strong>den</strong> schwere Wun<strong>den</strong> bagatellisiert. Gunnsteinn machtüber seine Verletzungen nur vage Angaben, Þorkell weicht der Frage <strong>aus</strong>, indem erbehauptet, keine seiner Wun<strong>den</strong> sei gefährlich. Daß sie sehr wohl gefährlich, sogarlebensgefährlich sind, wird wenig später deutlich, als er seinen Gürtel löst und dieEingeweide her<strong>aus</strong>fallen. Bemerkenswert ist die Formulierung der Frage: „en hvaðlíður þér Þorkell?“ Hier wird jemand ganz direkt aufgefordert, Auskunft über seinenZustand zu geben, was auf zweierlei Weise verwundert. Zum ersten wird in <strong>den</strong>Íslendingasögur selten der Handeln<strong>den</strong> auf das körperliche Befin<strong>den</strong> eingegangen;di<strong>es</strong>e Informationen stammen meist vom Sagaverfasser. Zum zweiten sind offeneFragen in Bezug auf Verletzungen sehr ungewöhnlich. 319 Normalerweise inter<strong>es</strong>siertnur, ob jemand überhaupt verletzt ist oder nicht. Þorkell entspricht di<strong>es</strong>em Musterschon eher: „Þorkell Kóreksson spurði Gunnstein bróður sinn hvórt hann væri mjöksár.“ Im Kontext di<strong>es</strong>er Textpassage hat Gunnsteinns Frage einen funktionalen Sinn:sie bereitet die große Überraschung am Ende der Passage vor als klar wird, daßÞorkells Bauch aufg<strong>es</strong>chlitzt wurde. Explizit wird darauf hingewi<strong>es</strong>en, daß er mitdi<strong>es</strong>er Verletzung <strong>den</strong> ganzen Weg <strong>aus</strong> Njarðvík durchgehalten hat. Er erscheintdadurch als Held, was beim L<strong>es</strong>er anerkennende Bewunderung für di<strong>es</strong>e Leistunghervorruft. Im weiteren Handlungsverlauf stirbt Þorkell auch wie ein Held, mither<strong>aus</strong>hängen<strong>den</strong> Eingewei<strong>den</strong> als äußerem Zeichen seiner schweren Verletzung. Ersetzt sich einfach hin und stirbt. Mehr ist <strong>aus</strong> dem Text nicht zu erfahren; keineSchmerzlaute, keine letzten Worte. Sein Bruder Gunnsteinn ist ebenfalls übelmitgenommen, aber auch er scheint keinen Schmerz zu spüren. Stattd<strong>es</strong>sen findetsich hier das bereits ang<strong>es</strong>prochene Wort stirðr. Er ist so steif, daß er sich nicht mehrrühren kann und in der Höhle bleiben muß. Steifheit wurde auch bereits am Anfangder Passage von Þorkell impliziert: „Munum vit ok eigi vera mjúkir til göngu.“Offenbar handelt <strong>es</strong> sich um ein Surrogat für Schmerz. Es wird je<strong>den</strong>falls anhanddi<strong>es</strong>er bei<strong>den</strong> Beispiele deutlich, daß Schmerz von Hel<strong>den</strong> nicht ohne weiter<strong>es</strong>i<strong>den</strong>tifiziert wer<strong>den</strong> kann. Er läßt sich anhand der g<strong>es</strong>childerten Verletzungensár mjök. Gunnsteinn sá þat af sínu ráði að ráðast á burt þaðan. Hann stendr þá upp, ok er hann ætlarþaðan til göngu, þá var hann svo stirðr, at hann mátti hvórigan fót hræra yfir annan fram. Sezt hann þániðr. Verðr hann nú þar at vera, þó honum þætti eigi gott. FljótsdÍla saga, 265 f. (Jón Jóhann<strong>es</strong>son1950 [ÍF 11]).319 Fröhlich weist darauf hin, daß das „dialogische Potential“ der Saga sehr b<strong>es</strong>chränkt sei, da die„Figurenrede oft genug lediglich in der indirekten Form referiert wird. Auf di<strong>es</strong>e Weise erhalten dieFiguren wenig bis gar keinen Raum zur direkten verbalen Selbstdarstellung. Ihr Innenleben wird nichtpreisgegeben und kann lediglich <strong>aus</strong> ihren Taten und Äußerungen g<strong>es</strong>chlossen wer<strong>den</strong>“ (Fröhlich2000 [ERGA 24], 68).98


lediglich vermuten. Zu klären ist, ob die Verwundeten und Kranken überhauptSchmerz empfin<strong>den</strong> und ob Kultur und Persönlichkeit das Schmerzerlebenbeeinflußen. Bevor auf di<strong>es</strong>e Fragen weiter eingegangen wird, ist an di<strong>es</strong>er Stelle einExkurs über das in <strong>den</strong> Íslendingasögur vertretene Männlichkeitsideal angebracht.9.1.1 Heroismus, Stolz, FamilienehreDie Hel<strong>den</strong> der Sagas erscheinen dem modernen w<strong>es</strong>tlichen L<strong>es</strong>er in ihrer heroischenLebenseinstellung oft fremd. Sie stehen dabei jedoch ganz in der Tradition dermittelalterlichen europäischen Kultur („[…] d<strong>es</strong>igned by men to privileget<strong>es</strong>tosterone“), 320 sowie der norrönen, die gekennzeichnet ist durch „an incrediblystrong sense of personal honor, bolstered by a fatalistic belief in inevitabled<strong>es</strong>tiny.“ 321Fatalismus stellt in di<strong>es</strong>em Lebensentwurf die Triebfeder jedwe<strong>den</strong> Handelns dar.Zwar ist das persönliche Schicksal un<strong>aus</strong>weichlich und wird sich zurvorherb<strong>es</strong>timmten Zeit in vorherb<strong>es</strong>timmter Form erfüllen; die Zeitspanne zwischenGeburt und Tod bietet jedoch alle Möglichkeiten, das Leben frei zu g<strong>es</strong>talten. Es gilt,di<strong>es</strong>e b<strong>es</strong>tmöglich zu nutzen:Fatalism do<strong>es</strong> not numb the will. In a strange way it giv<strong>es</strong> one an innerfreedom; one becom<strong>es</strong> free to focus attention on behaving nobly and soearning a good name, rather than trying vainly to manipulate externalconditions which are preordained. 322Sich selbst ein Denkmal zu setzen wird zur Maxime erhoben. Innerhalb di<strong>es</strong><strong>es</strong>Lebenskonzept<strong>es</strong> kommt dem Begriff der Ehre viel Bedeutung zu. Die eigene Ehreund die der Familie (ætt) um je<strong>den</strong> Preis zu verteidigen, gehört zu <strong>den</strong> Doktrin derSagahel<strong>den</strong>:One must never compromise one‘s pride by allowing on<strong>es</strong>elf to become anobject of pity or laughter. One must never admit to having been wrong; […].Moreover, one must never act in such a way as to show fear, for example byappearing to try to appease one‘s enemi<strong>es</strong>. One must be willing to pursue aquarrel unyieldingly to its end. 323Jegliche Verletzung di<strong>es</strong><strong>es</strong> Codex, und sei <strong>es</strong> auch nur durch Worte, muß geahndetwer<strong>den</strong>. In der G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>sammlung Grágás spiegelt sich di<strong>es</strong>er Sachverhalt deutlich320 Mandel 1998, 66.321 Fell 1999 [AUS VII 201], 14.322 Fell 1999 [AUS VII 201], 14.323 Fell 1999 [AUS VII 201], 60.99


wider. Hier wird bis in die fünfte Verwandtschaftsebene 324 genau f<strong>es</strong>tgelegt, werinnerhalb der Familie bei der Strafverfolgung welche Rechten und Pflichten hat. 325Die Sagas behandeln oftmals Konflikte, in <strong>den</strong>en sich das G<strong>es</strong>etz für dieWiedergutmachung erlittenen Scha<strong>den</strong>s als unzulänglich erweist oder von einer derbeteiligten Parteien einfach außer Acht gelassen wird. 326 Dann ist SelbstjustizMethode der Wahl, <strong>den</strong>n zur Wiederherstellung der Ehre ist jed<strong>es</strong> Mittel recht underlaubt. Inter<strong>es</strong>santerweise bezieht sich das auch auf Maßnahmen, die eher negativbelegt sind: Lüge, Verrat, Übervorteilung, Rücksichtslosigkeit. Konflikte zwischenIndividuen weiten sich hierbei schnell auf die Familienebene <strong>aus</strong>, da die Familie <strong>aus</strong>einem komplizierten Netzwerk sozialer Bindungen b<strong>es</strong>teht. 327 Sie ist „die einzigeffektive Verteidigung für das Individuum, d.h. das Sippenmitglied, gegenÜbergriffe und Angriffe von außen. Die Sippe stellte das ‚Rechtssubjekt’ dar […]und nicht das Individuum.” 328 Das Ætt (= die Sippe) ist die zentrale soziale Einheitder isländischen (nordischen) G<strong>es</strong>ellschaft im Mittelalter. 329 Es setzt sich nicht nur<strong>aus</strong> Blutsverwandten zusammen, sondern rekrutiert seine Mitglieder auch überEh<strong>es</strong>chließungen oder Adoptionen. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Familienmodell ist darüber hin<strong>aus</strong> starkgenealogisch geprägt, wor<strong>aus</strong> sich u.a. der isländische Eigentumsbegriff herleitet, derim Rahmen d<strong>es</strong> staðamál bereits an anderer Stelle b<strong>es</strong>prochen wurde.Gunnarr <strong>aus</strong> der Brennu-Njáls saga verkörpert <strong>den</strong> Archetypus d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong>, so wie erauch <strong>aus</strong> dem Märchen bekannt ist: „He is handsome, accomplished, well traveled,324 Grágás (1) (Vilhjálmur Finsen 1852 [DNLS 11]), 167 ff. Es ergeben sich folgende Beispiele fürVerwandtschaftsgrade: I) bræðr (Brüder), II) bræðrungar (Cousins 1. Grad<strong>es</strong>), III) næsta bræðra(Cousins 2. Grad<strong>es</strong>), IV) annarra bræðra (Cousins 3. Grad<strong>es</strong>), V) þriðja bræðra (Cousins 4. Grad<strong>es</strong>).325Beispiel: Bei Ehrverletzungen der weiblichen Mitglieder der Sippe müssen die nächstenmännlichen Verwandten die Strafverfolgung übernehmen. Die Skala solcher Vergehen reicht vonVergewaltigung und Ehebruch zu „Banalitäten“ wie Küssen oder Dichten von Lieb<strong>es</strong>lyrik. EinVergewaltiger oder Ehebrecher muß damit rechnen, auf der Stelle getötet zu wer<strong>den</strong>, wird er inflagranti g<strong>es</strong>tellt. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Recht haben in absteigender Reihenfolge: Sohn – Vater – Bruder – Ehemann– Adoptivvater – Adoptivsohn (Vilhjálmur Finsen 1852 [DNLS 11]: Grágás (1), 164 f.).326 Kleven merkt an, daß das Prinzip der Rache in der isländischen G<strong>es</strong>ellschaft sehr hoch anzusiedelnwar. „‘Retten‘ ble handhevet gjennom hevnen – bøtene var bare et appendiks eller et subsidiærtmiddel, blant annet for å hindre ny blodhevn som gjengjeld på <strong>den</strong> gamle” (Kleven 2001, 12).Übersetzung: ‚Das Recht’ wurde durch die Rache <strong>aus</strong>geübt – Geldstrafen waren lediglich einAnhängsel oder ein subsidiär<strong>es</strong> Mittel, u.a., um neue Blutrache als Vergeltung für die alte zuverhindern.327 Kleven 2001, 12 ff.328 Kleven 2001, 11: „[…] det en<strong>es</strong>te effektive vern for individet, dvs. ættemedlemmet, mot overgrepog angrep utafra. Det var ætta som var ’rettssubjektet’ […] og ikke enkeltindividet.”329 Vgl. auch Kleven 2001, 10 ff; Hastrup 1985, 72 ff.100


very athletic, somewhat mod<strong>es</strong>t, and not very clever.“ 330 Es sind allerdings nicht alleHel<strong>den</strong> gleich. Egill (Egils saga Skallagrímssonar) und Gísli (Gísla saga Súrssonar)verkörpern jeweils andere Typen:If Gunnar is the model of the fair-haired hero, Egill is the antith<strong>es</strong>is. He isungenerous, covetous, moody, irritable, temperamental, proud, oftend<strong>es</strong>pon<strong>den</strong>t, clever, and a great poet.[…]Gísli, the central figure of the saga of that name, is not as brooding as Egill,but he is far from the model hero. He runs from his pursuers when he has achance to <strong>es</strong>cape. He sometim<strong>es</strong> us<strong>es</strong> other people badly, sacrificing them forhis own benefit. And yet, perhaps bec<strong>aus</strong>e he is an underdog, we feelsympathy for him. 331Trotz ihrer Unterschiedlichkeit haben sie das Eine gemeinsam: drengskapr. 332 Erstellt die wichtigste Tugend d<strong>es</strong> Sagahel<strong>den</strong> dar. Di<strong>es</strong>e soziale Norm erfordert ein sohoh<strong>es</strong> Maß an Selbstdisziplin, daß nur derjenige ihr entsprechen kann, der, wie dieSagahel<strong>den</strong>, von Kind<strong>es</strong>beinen an darauf sozialisiert wurde. Leben und Handeln nachdi<strong>es</strong>em Prinzip belohnt Hel<strong>den</strong> und im speziellen Fall <strong>den</strong> Sagahel<strong>den</strong> mit „honor,good name, and reputation, even though wordly well-being and life itself are strippedfrom him.“ 333Da Gefühle nicht in di<strong>es</strong><strong>es</strong> Verhaltensmuster fallen, wer<strong>den</strong> sieverborgen. Di<strong>es</strong> trifft in di<strong>es</strong>em Rahmen auch auf Schmerz zu. Ridder nennt einenpl<strong>aus</strong>iblen Grund:Schmerz hat immer etwas von Nacktsein und Scham: Es sickert das Blutdurch das Hemd, <strong>es</strong> bricht das Fleisch <strong>aus</strong> dem Stoff, man entblößt dieWunde. Und doch ist der Versuch, sich der sozialen Begegnung zu entziehen,gerade jener Augenblick, im dem die Notwendigkeit, <strong>den</strong> Körper vorSchmerz und Verfall zu schützen, das Angewi<strong>es</strong>ensein d<strong>es</strong> Menschen auf <strong>den</strong>anderen bedingt: […]. 334Wie im weiteren Verlauf der Untersuchung dargelegt wird, ergeben sich <strong>den</strong>nochHinweise darauf, daß auch Sagahel<strong>den</strong> zu Schmerz fähig sind. Ihr Schmerzverhaltenwird jedoch g<strong>es</strong>teuert durch das nordische Männlichkeitsideal. Das Überspielen vonSchmerz macht sie zu Hel<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n hier zeigt sich drengskapr. Da dieÍslendingasögur über außergewöhnliche Menschen berichten, muß davon<strong>aus</strong>gegangen wer<strong>den</strong>, daß der Rezipient di<strong>es</strong>er Textstellen ob di<strong>es</strong>er Selbstdisziplin330 Durrenberger 1992, 8331 Durrenberger 1992, 9.332 Baetke 1993 [SSAWL 111], 91: „drengskapr m. vornehme G<strong>es</strong>innung, anständig<strong>es</strong>, hochherzig<strong>es</strong>Verhalten, Ritterlichkeit; Mannhaftigkeit, Tapferkeit, Mut; […].“333 Fell 1999 [AUS VII 201], 14.334 Ridder 1979, 14.101


gezielt in Erstaunen und Hochachtung versetzt wer<strong>den</strong> soll. Es ist somit zu vermuten,daß die Hel<strong>den</strong> sind, was sie sind, nämlich Hel<strong>den</strong>, die für ihren drengskaprbewundert wur<strong>den</strong>. Dar<strong>aus</strong> ergibt sich der Schluß, daß sich das Schmerzverhalten derBevölkerung von dem der Hel<strong>den</strong> unterschie<strong>den</strong> haben muß. Der Held wäre ja sonstkein Held, sondern ein Durchschnittsmensch.Ehre und drengskapr waren f<strong>es</strong>te B<strong>es</strong>tandteile d<strong>es</strong> isländischen Lebens auch nach derChristianisierung und überdauerten mehrere Jahrhunderte. 335 Das ist um soerstaunlicher, weil von Seiten der Kirche große Anstrengungen unternommenwur<strong>den</strong>, di<strong>es</strong><strong>es</strong> unchristliche Verhaltensmuster abzuschaffen. 336 Da sich „wichtig<strong>es</strong>oziale Institutionen wie Ehre und Rache, Denken und Verwandtschaftsstrukturen,Ehe und Verfügungsgewalt über das Grundeigentum“ 337 nur langsam veränderten,„konnten die Sagaverfasser und ihre Zeitgenossen zwischen ihrer Zeit und der Zeit,von der die Sagas handeln, eine Kontinuität sehen“ 338 bemerkt MeulengrachtSørensen in Bezug auf die Íslendingasögur. Dar<strong>aus</strong> läßt sich folgern, daß sich auchdas Hel<strong>den</strong>verständnis zwischen Vergangenheits- und Gegenwartssagas nichtgrundlegend geändert haben kann. Der Begriff d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Konungasögur undin der Sturlunga saga steht dem der Íslendingasögur somit sehr nahe.9.2 Þormóðr Kolbrúnarskáld: Schmerzverhalten <strong>aus</strong> der Sicht d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong>.Schmerz ist ein wichtiger Schutzmechanismus d<strong>es</strong> Körpers. Er warnt vorVerletzungen und verhindert selbstgefähr<strong>den</strong>d<strong>es</strong> Verhalten. Menschen, die ohneSchmerzempfin<strong>den</strong> geboren wer<strong>den</strong>, was obendrein äußerst selten vorkommt,sterben meist schon in jungen Jahren an <strong>den</strong> Folgen von Verletzungen. 339 Wie dieeinführen<strong>den</strong> Beispiele illustrieren, sucht man bei Hel<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Sagas oft vergeblich335 Meulengracht Sørensen 1992 [ERGA 5], 721.336 Fell 1999 [AUS VII 201], 15.337 Meulengracht Sørensen 1992 [ERGA 5], 721.338 Meulengracht Sørensen 1992 [ERGA 5], 721.339 Morris schildert <strong>den</strong> Fall d<strong>es</strong> Edward H. Gibson, der als „Das menschliche Nadelkissen“ in <strong>den</strong>amerikanischen Varietés der 20‘er Jahre d<strong>es</strong> 20. Jahrhunderts für Furore sorgte: Gibson war so gut wieimmun gegen Schmerzen, was er entdeckte, als er im Alter von sieben Jahren so heftig von einem Beilam Kopf getroffen wurde, daß <strong>es</strong> in seinem Schädel steckenblieb. So zugerichtet rannte er nachH<strong>aus</strong>e, wo sein Vater <strong>es</strong> her<strong>aus</strong>zog. Außer leichten Kopfschmerzen verspürte Gibson bei der ganzenSache nichts. Seine Show lief folgendermaßen ab: „Zweimal täglich, nur mit einer Unterhosebekleidet, b<strong>es</strong>tieg Gibson die Bühne und forderte einen Zuschauer auf, seinen ganzen Körper außerdem Unterleib und der Leistengegend mit Nadeln zu spicken.“ Seine Karriere war schnell beendet, alser damit begann, außergewöhnlichere Dinge zu zeigen. So wollte er einmal die Kreuzigung Christinachstellen und nachdem er sich auf das Holzkreuz gelegt hatte, schlug ein Mann „mit einem102


nach Zeichen von Schmerz. Die Ursache ist nicht mangelnd<strong>es</strong> Schmerzempfin<strong>den</strong>,sondern die <strong>aus</strong>geprägte Sozialisierung di<strong>es</strong>er Personengruppe. Sie verhindertweitgehend, daß Schmerzverhalten nach allgemein gelten<strong>den</strong> g<strong>es</strong>ellschaftlichenMustern gezeigt wird. Wie auch in der folgen<strong>den</strong> Textpassage ergeben sich immerwieder Hinweise auf die Lei<strong>den</strong>sfähigkeit der Sagahel<strong>den</strong>. Ein intakt<strong>es</strong>Schmerzempfin<strong>den</strong> ist bei ihnen die Vor<strong>aus</strong>setzung für ihren Status. Ohne Schmerzgäbe <strong>es</strong> keine hel<strong>den</strong>hafte Selbstbeherrschung, mit der Folge, daß Hel<strong>den</strong> dieMöglichkeit genommen würde, sich gegenüber normalen Menschen <strong>aus</strong>zuzeichnen.Daß klaglos<strong>es</strong> Ertragen von Schmerz zu <strong>den</strong> wichtigen Eigenschaften ein<strong>es</strong> drengrzählt, wird sehr anschaulich im Bericht über die Schlacht von Stiklastaðirthematisiert, die im Jahre 1030 stattfand. Varianten d<strong>es</strong> Handlungsverlaufs fin<strong>den</strong>sich nicht nur in <strong>den</strong> Óláfssagas der Konungasögur, sondern auch in der FóstbrÍðrasaga, einer Íslendingasaga. Der erste Teil der FóstbrÍðra saga stammt <strong>aus</strong> derMöðruvallabók, der zweite <strong>aus</strong> der Hauksbók (im weiteren Text zusammenfassendmit „FóstbrÍðra saga” bezeichnet). Zudem findet sich eine Parallele in derFlateyjarbók als Teil der Saga vom heiligen Olaf. In <strong>den</strong> Konungasögur wird dieEpisode in folgen<strong>den</strong> Texten erwähnt: in der „Legendarischen“ Saga über Olaf <strong>den</strong>Heiligen und der von Snorri Sturluson verfaßten Saga Óláfs konungs hins helga, diein gekürzter Form <strong>den</strong> Mittelteil von Snorris Heimskringla bildet.Die nachfolgende Analyse di<strong>es</strong>er wichtigen Quelle zum Sagaschmerz bezieht auchihre Varianten vergleichend mit ein. Inhaltlich wird mit der Person d<strong>es</strong> ÞormóðrBersason (alias Kolbrúnarskáld) ein Held vorgeführt, der in der Lage ist, Schmerzklaglos zu ertragen. Ihm wer<strong>den</strong> im Handlungsverlauf durchschnittliche Menschenkontrastierend gegenüberg<strong>es</strong>tellt, <strong>den</strong>en das nicht gelingt. Di<strong>es</strong>e Normalsterblichenwiederum erfahren eine Kategorisierung in „gut“ und „böse“, was im TextAuswirkungen auf die Darstellungsweise ihrer Lei<strong>den</strong> hat.Þormóðr BersasonIn der Schlacht von Stiklastaðir wird König Óláfr getötet. Ohne seinen König willÞormóðr Bersason nicht weiterleben, vor allem nicht vor dem Hintergrund, daß Óláfrihnen bei<strong>den</strong> vor dem Kampf dasselbe Schicksal vorherg<strong>es</strong>agt hatte:Vorschlaghammer <strong>den</strong> ersten Nagel durch Gibsons Handfläche – da fiel eine Frau <strong>aus</strong> dem Publikumin Ohnmacht. Klugerweise brach Gibson die Vorstellung ab“ (Morris 1996, 23 f.).103


König Óláfr sprach: „Ich weiß nicht, ob <strong>es</strong> so kommt, wie ich will, aber wennich etwas entschei<strong>den</strong> darf, dann wirst du am Abend dorthin gehen, wohin ichgehe.“ 340Gegen Ende d<strong>es</strong> Gefechts wird der bis dahin unverletzte Þormóðr letztlich doch nochschwer verwundet. Wie ein Blitz <strong>aus</strong> heiterem Himmel trifft ihn schicksalsgleich einPfeil in die Brust:Und in di<strong>es</strong>em Augenblick als er di<strong>es</strong><strong>es</strong> sprach, flog ein Pfeil auf Þormóðr zuund traf ihn in die Brust und er wußte nicht, woher er kam. 341Genauere Informationen über Lokalisation und Art der Wunde liefert dieFlateyjarbók:Und als nächst<strong>es</strong> hört er, wie eine Bogensehne knallt und ein Pfeilabg<strong>es</strong>chossen wird und der trifft Þormóðr unter dem linken Arm undverursacht dort eine Hohlwunde. 342Hier erfährt man, daß der Pfeil in die linke Brustseite unterhalb d<strong>es</strong> linken Arm<strong>es</strong>eindringt. Er verursacht dort eine sog. „Hohlwunde“, d.h. eine perforierendeVerletzung in <strong>den</strong> Brustraum. Hohlwun<strong>den</strong> sind durch Beteiligung derKörperhöhlen 343 gekennzeichnet.Die „Legendarische“ Óláfs saga enthüllt weitere Details, vermeidet allerdings dieBezeichnung „Hohlwunde“:Und in di<strong>es</strong>em Augenblick traf ihn ein Schuß unter dem linken Arm, ein Pfeilmit Widerhaken stak zwischen <strong>den</strong> Rippen […]. 344Die Verletzung ist von ihrer Art her als akut lebensbedrohlich einzuschätzen, daspitze Traumata d<strong>es</strong> Brustraum<strong>es</strong> mit Verletzung der Pleurahöhle zu einem sog.„Pneumothorax“ führen. Unter normalen Umstän<strong>den</strong> herrscht in di<strong>es</strong>er Region einpermanenter Unterdruck, der bewirkt, daß die Lungen ständig entfaltet sind. BeiVerletzung kann Luft in <strong>den</strong> Pleuraspalt eindringen, was ein Zusammenfallen der340 Óláfr konungr mælti: „Eigi veit ek, hvárt mín ráð megu um þat til leiðar koma, en ef ek mánôkkuru um ráða, þá muntu þangat fara í kveld, sem ek fer.” FóstbrÍðra saga, 263 f. (Björn K.Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).341 Ok í því bili, er hann mælti þetta, þá fló ôr at Þormóði ok kom fyrir brjóst honum, ok vissi hanneigi, hvaðan at kom. FóstbrÍðra saga, 269 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).342 Ok því næst heyrir hann, at strengr gellr, ok er skotit ôru, ok kømr hon undir vinstri hônd Þormóðiok þar á hol. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 269 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson1958 [ÍF 6]).343 Roche Lexikon Medizin 1987, 963. Stichwort „Körperhöhle“: „anat jeder natürliche, von M<strong>es</strong>otheloder Epithel <strong>aus</strong>gekleidete, in sich g<strong>es</strong>chlossene oder mit anderen Räumen bzw. der Außenwelt inVerbindung stehende Körperhohlraum: die Bauch-, Brust-, Schädel-, Nasen-, Mundhöhle, derRachenraum, die Liquorräume, Gelenkhöhlen.“344 Oc õ þuõ kom úkot unãõr honã hanum võnútrõ krok or æõnn mõllõ rõvíanna […]. Olafs saga hins helga,86 (Johnsen 1922).104


Lunge auf der betroffenen Seite zur Folge hat. Im schlimmsten Fall verhält sich dieWunde wie ein Ventil. Beim Einatmen strömt Luft ein, die beim Ausatmen nichtwieder entweichen kann. Der Pleuraraum wird dadurch aufgepumpt wie einLuftballon. Folge ein<strong>es</strong> solchen „Spannungspneumothorax“ ist eine massiveBelastung d<strong>es</strong> Kreislaufs mit Eintritt d<strong>es</strong> Tod<strong>es</strong>, wenn nicht alsbaldGegenmaßnahmen ergriffen wer<strong>den</strong>. Der Spannungspneumothorax ist einegefürchtete Komplikation d<strong>es</strong> sog. „offenen Pneumothorax“. Es entsteht eineVerbindung zwischen Pleuraraum und Außenluft mit ständigem Luft<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch durchdie Wunde. An Symptomen verursacht ein Pneumothorax nicht nur Atemnot,sondern auch starke Brustschmerzen. 345 Abg<strong>es</strong>ehen davon ist auch diezugrundeliegende Pfeilverletzung durch<strong>aus</strong> schmerzhaft. Þormóðrs Schmerzreaktionfällt gering und damit hel<strong>den</strong>haft <strong>aus</strong>. Zwar fühlt er die Schwere der Verletzung undweiß instinktiv, daß sie tödlich ist, doch bleibt er nach außen gelassen:Über di<strong>es</strong>e Wunde freute er sich, weil er zu wissen glaubte, daß di<strong>es</strong>e Wundeihn töten werde. (FóstbrÍðra saga) 346Über di<strong>es</strong>e Wunde freut er sich sehr und sprach: „Ich glaube, daß di<strong>es</strong>erMann seinen Bogen sehr glücklich g<strong>es</strong>pannt hat und nun weiß ich, daß nunall<strong>es</strong> wird, wie <strong>es</strong> g<strong>es</strong>ollt hätte.“ (FóstbrÍðra saga, Flateyjarbók) 347Die Parallele in der „Legendarischen“ Óláfs saga schildert die Umstände derVerwundung etwas <strong>aus</strong>führlicher und b<strong>es</strong>chreibt auch Þormóðrs Köpersprache. Erbricht <strong>den</strong> Schaft d<strong>es</strong> Pfeils ab und setzt sich hin:Und in di<strong>es</strong>em Augenblick traf ihn ein Schuß unter dem linken Arm, ein Pfeilmit Widerhaken stak zwischen <strong>den</strong> Rippen und er sprach: „Niemand spannteglücklicher seinen Bogen“, sagte er, „nun hoffe ich, daß ich nicht vom Königgetrennt werde,“ und brach <strong>den</strong> Schaft d<strong>es</strong> Pfeils ab und setzte sich nieder.(„Legendarische” Óláfs saga) 348Das Hinsetzen unterstreicht das körperliche Unbehagen, das durch die Verletzung<strong>aus</strong>gelöst wird und steht im Gegensatz zu seiner Körpersprache im Augenblick d<strong>es</strong>etwas später in der Handlung eintreten<strong>den</strong> Tod<strong>es</strong>. Er, der hel<strong>den</strong>haft im Stehen stirbt,345 Berchtold & al. 1994, 319 ff.346 Því sári varð hann feginn, því at hann þóttisk vita, at þetta sár mun honum at bana verða.FóstbrÍðra saga, 269 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).347 Verðr hann þ<strong>es</strong>su sári feginn harla mjôk ok mælti: „Þat hygg ek, at þ<strong>es</strong>si maðr [hafi] beztu heilliboga upp dregit, enda veit ek, at nú skall þeim, er skyldi.” FóstbrÍðra saga (Viðaukar úrFlateyjarbók), 269 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).348 Oc õ þuõ kom úkot unãõr honã hanum võnútrõ krok or æõnn mõllõ rõvíanna oc mællte. Ængõ dro bætr[a]hæõllõ úõnn boga úagðe hann Nu vænte ek at ek úkõlõzc æõgõ võð konongenn. Oc braut af úkaftet aforenne oc úættõz nõð¨. Olafs saga hins helga, 86 (Johnsen 1922).105


wird an di<strong>es</strong>er Stelle vom Schmerz buchstäblich in die Knie gezwungen. Imfolgen<strong>den</strong> macht die „Legendarische“ Óláfs saga weitere Andeutungen überÞormóðrs Befin<strong>den</strong>: „Die Wun<strong>den</strong> machten Þormóðr sehr zu schaffen.“ 349FóstbrÍðra saga der Flateyjarbók wird sogar noch deutlicher: „Die Wunde machteÞormóðr sehr zu schaffen, wie zu erwarten war.” 350 In einem Nebensatz ist hier zuerfahren, daß Wun<strong>den</strong> auch Hel<strong>den</strong> stark beeinträchtigen. Offenbar steht außerFrage, daß auch Hel<strong>den</strong> Schmerz empfin<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n wie zu erwarten war, ist Þormoðrstark von seiner Verwundung mitgenommen. Die FóstbrÍðra saga überspringtdi<strong>es</strong>en Passus.Snorris Heimskringla und die Saga Óláfs konungs hins helga variieren inhaltlich,indem Þormóðr schon während d<strong>es</strong> Kampf<strong>es</strong> andere schwere Verwundungenerleidet. Er ist durch seine Verletzungen und durch Erschöpfung derartmitgenommen, daß er nicht mehr an der Entscheidungsphase der Schlacht mit demNamen Dagshríð teilnehmen kann. Während er dort bei anderen Schwerverwundetenauf dem Schlachtfeld steht, wird er von b<strong>es</strong>agtem Pfeil getroffen:Aber Þormóðr kam da nicht in die Schlacht [Dagshríð], weil er kampfunfähigwar aufgrund seiner Wun<strong>den</strong> und seiner Erschöpfung und er stand dort beiseinen Gefährten, <strong>den</strong>n er vermochte nichts ander<strong>es</strong> zu tun. Dann wurde ihmein Pfeil in die linke Seite g<strong>es</strong>chossen. Er brach <strong>den</strong> Pfeilschaft ab und gingdann vom Kampf fort und nach H<strong>aus</strong>e zu <strong>den</strong> Häusern. 351Es wird weder Trauer über das mögliche Überleben d<strong>es</strong> Kampf<strong>es</strong>, noch Freude überdie tödliche Verwundung g<strong>es</strong>childert. Ganz im Gegenteil entsteht der Eindruck, daßÞormóðr offenbar nicht sterben will, <strong>den</strong>n er bringt sich in Sicherheit:Þormóðr wurde schwer verwundet und er tat <strong>es</strong> <strong>den</strong> anderen gleich, daß allevon dort flohen, wo die größte Lebensgefahr b<strong>es</strong>tand und einige rannten[…]. 352Die349 Þormoðe ohägðezt mõok úaren. Olafs saga hins helga, 87 (Johnsen 1922).350 Þormóði óhægðist mjök sárit, sem ván var. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 351(Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).351 En Þormoðr com þa eKi i oRosto þvi at hann var þa vvigr bêþi af sarvm oc af møþi oc stoð hann þarhia felôgvm sinom þott hann mêtti eKi aNat at hafaz. þa var hann lostiN með Ãrv i siþvna vinstri brÃthann af ser Ãrvarscaptit oc gecc þa brÃt fra oRosto oc heim til hvsaNa […]. Saga Óláfs konungs hinshelga, 582 2 – 583 6 (Johnsen & Jón Helgason 1941); Heimskringla (2), Óláfs saga helga, 389 (BjarniAðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).352 Þormoðr varþ saR mioc gjorþi hann þa sem aþrir at allir hopvþv fra þar er m<strong>es</strong>tr þotti lifs hasci ensvmir rvnnv […]. Saga Óláfs konungs hins helga, 581 15 – 583 16 (Johnsen & Jón Helgason 1941);Heimskringla (2), Óláfs saga helga, 389 (Bjarni Aðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).106


Der weitere Handlungsverlauf variiert bisweilen recht stark zwischen <strong>den</strong> Texten. Imfolgen<strong>den</strong> wird die FóstbrÍðra saga als Grundlage verwendet und auf Varianten inanderen Texten hingewi<strong>es</strong>en.Þormóðr begibt sich zu einer Scheune, in der verwundete Soldaten d<strong>es</strong> Königsuntergebracht sind und lehnt sich dort an eine Flechtwand. Eine Frau, die Wasser fürdie Wundreinigung in einem K<strong>es</strong>sel erwärmt fragt ihn, warum er seine Wun<strong>den</strong> nichtverbin<strong>den</strong> lasse, wenn er verletzt sei. Als echter Held antwortet er: „Ich habe nursolche Wun<strong>den</strong>, die man nicht zu verbin<strong>den</strong> braucht.“ 353 Der äußerlich ruhige undunbeteiligt wirkende Þormóðr bildet einen starken Kontrast zu seiner Umgebung.Überall liegen Schwerverletzte und die Scheune ist erfüllt von ihrem Schreien undWehklagen. Er jedoch steht aufrecht und läßt sich seinen Schmerz nicht anmerken,obwohl ihm die Wunde schwer zu schaffen macht, wie man kurz zuvor in zweiVarianten der FóstbrÍðra saga erfahren hat. Im direkten Vergleich d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong> mitnormalen Menschen zeigt sich seine Größe. Die Wirkung der Szene wird weiterg<strong>es</strong>teigert, indem der schwer ang<strong>es</strong>chlagene Þormóðr trotz allem noch fähig ist,Spöttern mit seinem Schwert eine Lektion zu erteilen und der Lächerlichkeitpreiszugeben. Als letzte Handlung entfernt er sich selbst die Pfeilspitze, was in derFóstbrÍðra saga als einziger Variante nicht erwähnt wird. Hier stirbt er stehend aneine Flechtwand gelehnt mit einer Skal<strong>den</strong>strophe auf <strong>den</strong> Lippen, die sich auch inder Flateyjarbók und der „Legendarischen“ Óláfs saga findet:[…] Das verursacht meine Blässe, verehrte Frau, daß tiefe Wun<strong>den</strong> nach derDagshríð und dänischen Waffen mich schmerzen. 354Mit Hilfe der Strophe versteht <strong>es</strong> Þormóðr meisterlich, seinen Schmerz künstlerischzu veredeln und ihm Ausdruck zu verleihen, ohne ihn auf herkömmliche Weisezeigen zu müssen. In Anbetracht d<strong>es</strong> hohen g<strong>es</strong>ellschaftlichen Ansehens, das Skal<strong>den</strong>innehatten, kulminiert die Außergewöhnlichkeit Þormóðrs in di<strong>es</strong>en letzten Worten.Während Normalsterbliche in ähnlicher Situation b<strong>es</strong>tenfalls ihren Schmerzunterdrücken können, hat ein Held hier ganz andere Möglichkeiten.Bei der L<strong>es</strong>art di<strong>es</strong>er Passage bietet sich neben dem sozialisierten Schmerzverhaltender Hel<strong>den</strong> auch eine mehr physiologische Interpretationsebene an, die vielleichtnicht vollständig <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Augen verloren wer<strong>den</strong> sollte. Þormóðrs Verhalten kann353 Þau ein hefi eg sár að eigi þarf að binda. FóstbrÍðra saga, 842 (Björn K. Þórolfsson & GuðniJónsson 1958 [ÍF 6]).354 […] / Þat veldr mér, en mæra / marglóðar nú tróða, / djúp ok danskra vápna / Dagshríðar sporsvíða. FóstbrÍðra saga, 275 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).107


natürlich auch das Ergebnis der Ausschüttung körpereigener Morphine mitImpulshemmung auf spinaler Ebene sein, wie eingangs di<strong>es</strong>er Arbeit <strong>aus</strong>führlicherb<strong>es</strong>chrieben. Allerdings hätte unter di<strong>es</strong>er Prämisse jeder die Möglichkeit, ein Heldzu sein, was der Aussage der Saga zuwiderliefe und der Textintention sicher nichtgerecht würde.Die Operation an sich selbst mit Entfernen der widerhakenb<strong>es</strong>etzten Pfeilspitze istein weiterer großartiger Beleg für Þormóðrs Lei<strong>den</strong>sfähigkeit. Ohne das geringsteAnzeichen von Schmerz reißt er sich bei di<strong>es</strong>er Prozedur mitsamt dem Pfeil gleichetliche Herzfasern <strong>aus</strong> der Brust, deren bunt<strong>es</strong> Signalement ihm eindeutig ihreHerkunft verrät:Dann nahm Þormóðr die Zange und zog <strong>den</strong> Pfeil her<strong>aus</strong>, aber an dem Pfeilwaren Widerhaken und daran hingen Fasern vom Herzen, einige rot undeinige weiß, gelb und grün. 355Vorbereitet wird die Szene in ihren Parallelen mit leichter Variation, doch mit demgemeinsamen Ziel, Þormóðrs schlechte körperliche Verfassung vor dem großenFinale ins rechte Licht zu rücken. Die letzte Tat d<strong>es</strong> todgeweihten Hel<strong>den</strong> soll alseine seiner her<strong>aus</strong>ragendsten erscheinen. Þormóðr kann während di<strong>es</strong>er letztenAugenblicke sein<strong>es</strong> Lebens seinen schlechten Zustand vor Dritten zwar weiterhinleugnen, jedoch nicht mehr vollends verbergen. Zwischenzeitlich ist er so blaßgewor<strong>den</strong>, daß er seine Fassade vor <strong>den</strong> anw<strong>es</strong>en<strong>den</strong> mit der Wundversorgungb<strong>es</strong>chäftigten Frauen nicht mehr glaubwürdig aufrechterhalten kann: 356Die Frau sprach: „Wi<strong>es</strong>o bist du so bleich, wenn du nur ein wenig verwundetbist?” 357In der FóstbrÍðra saga der Flateyjarbók, sowie der Saga Óláfs konungs hins helgaund der Heimskringla ist <strong>es</strong> eine Ärztin 358 , die ihn auf seine Blässe anspricht unddamit jemand, der sich mit Wun<strong>den</strong> <strong>aus</strong>kennt. In der FóstbrÍðra saga ist <strong>es</strong> eine355 Síðan tók Þormóðr tôngina ok kippði á burt ôrinni, en á ôrinni váru krókar, ok lágu þar á tágar afhjartanu, sumar rauðar, en sumar hvítar, gular ok grœnar. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úrFlateyjarbók), 275 f. (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).356 Wenn in <strong>den</strong> Sagas von Hautfarbe bei Verletzungen die Rede ist, wird in der Regel die Farbe rotverwendet. Rot als Farbe d<strong>es</strong> Blut<strong>es</strong> steht symbolisch für die blutende Wunde. In Wirklichkeit kommt<strong>es</strong> im Rahmen größeren Blutverlust<strong>es</strong> jedoch zu einem Zusammenziehen kleiner Gefäße in der Haut,die dadurch schlechter durchblutet wird. Die Folge: Blässe. Die B<strong>es</strong>chreibung von Þormóðrs Teintmacht einen realistischen Eindruck.357 Konan mælti: „Hví ertu svá litl<strong>aus</strong>s, ef þú ert sárr þó lítt?” FóstbrÍðra saga (Viðaukar úrFlateyjarbók), 274 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).358 Sie wird im Text explizt mit læknir (= Arzt) bezeichnet (FóstbrÍðra saga (Viðaukar úrFlateyjarbók), 356 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6])).108


Frau, die die Wun<strong>den</strong> der Verletzten reinigt und von der man daher einen gewissenmedizinisch g<strong>es</strong>chulten Blick vor<strong>aus</strong>setzen kann. Einzig in der „Legendarischen“Óláfs saga ist nicht explizit von Blässe die Rede. Þormóðrs Aussehen spiegelt sichjedoch in der entsprechen<strong>den</strong> Reaktion einer vorbeigehen<strong>den</strong> Frau, die ihn für einenWidergänger hält. Blässe darf als B<strong>es</strong>tandteil di<strong>es</strong><strong>es</strong> Anblicks erwartet wer<strong>den</strong>.Überdi<strong>es</strong> wird ein Fleck auf seiner Nase erwähnt, der <strong>den</strong> herannahen<strong>den</strong> Todsymbolisiert.Die Ärztin versucht, die Pfeilspitze zu entfernen, was ihr nicht gelingt, weil dieWunde g<strong>es</strong>chwollen ist und das Eisen nur wenig darüber hin<strong>aus</strong>ragt, so daß sie <strong>es</strong> mitder Zange nicht richtig zu fassen bekommt. Þormóðr will <strong>es</strong> daraufhin selbstversuchen und gibt ihr Anweisung, die Wunde aufzuschnei<strong>den</strong>, während er diePfeilspitze mit der Zange her<strong>aus</strong>zieht:Da sprach Þormóðr: „Schneide zum Eisen, so daß <strong>es</strong> mit der Zange gut zufassen ist; gib sie mir dann und laß mich ziehen.” Sie tat <strong>es</strong> so. […] Dannnahm Þormóðr die Zange und zog <strong>den</strong> Pfeil her<strong>aus</strong>, aber an dem Pfeil warenWiderhaken und daran hingen Fasern vom Herzen, einige rot und einigeweiß, gelb und grün. Und als Þormóðr das sah, da sprach er: „Gut hat derKönig uns bewirtet, weiß sind di<strong>es</strong>em Mann die Wurzeln d<strong>es</strong> Herzens.” 359In der der Saga Óláfs konungs hins helga und der Heimskringla steht anentsprechender Stelle:„Schneide ihn her<strong>aus</strong>“, sagt er, „oder fasse ihn mit der Zange und zieh ihn so<strong>aus</strong> der Wunde, daß die Haut sich nicht schließt.“ „Das wage ich nicht zutun“, sagte sie. „Schneide das Fleisch weg“, sagt er, „oder gib mir die Zange.“Er zieht <strong>den</strong> Pfeil zu sich heran und sagte: „Bei di<strong>es</strong>em Mann ist <strong>es</strong> um dasHerz gut b<strong>es</strong>tellt, und das haben wir unserem König zu verdanken.“ 360Verstärkt wird die Wirkung di<strong>es</strong>er Szene durch <strong>den</strong> bemerkenswerten Umstand, daßÞormóðr kurzerhand die Arztrolle gleich mit übernimmt. Kaiser sieht in di<strong>es</strong>emHand-an-sich-legen einerseits <strong>den</strong> Willen zur B<strong>es</strong>chleunigung d<strong>es</strong> eigenen Tod<strong>es</strong>,andererseits <strong>den</strong> Versuch, die Ärztin vor dem Vorwurf wundärztlichen Versagens zu359 Þá mælti Þormóðr: „Sker þú til járnsins, svá at vel megi ná með tôngunni; fá mér síðan ok lát mikkippa.” Hon gerði svá. […] Síðan tók Þormóðr tôngina ok kippði á burt ôrinni, en á ôrinni várukrókar, ok lágu þar á tágar af hjartanu, sumar rauðar, en sumar hvítar, gular ok grœnar. Ok er þat sáÞormóðr, þá mælti hann: “Vel hefir konungrinn alit oss, hvítt er þ<strong>es</strong>sum karli um hjartarœtr.”FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 275 f. (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958[ÍF 6]).360 Sker or úægõr hann eða úpænn um tongenne oc kõpp úva or úareno at æõgõ úlae harunãenne úaman.Eõgõ þore ek þat gera úagðe hon. Sker hollãet úægõr hann eða fa mer tongena. Hann ã¨egr at úer orena.oc mællte Gott er þeúúom karle um hõartat Oc þat æõgum ver kononge varom at launa. Olafs saga hinshelga, 88 (Johnsen 1922).109


schützen. 361 Naheliegender wäre <strong>es</strong> jedoch, in di<strong>es</strong>er Passage eine weitere ErhöhungÞormóðrs als Held zu sehen. Nicht genug damit, daß ihm ein Pfeil mit Widerhakenunter zweifellos großen Schmerzen <strong>aus</strong> der Brust gezogen wird; er nimmt di<strong>es</strong>enEingriff auch noch selbst vor. Von der Verletzung bis zu seinem Tod soll hier einHeld vorgeführt wer<strong>den</strong>, der in der Lage ist, größte körperliche Qualen zu meistern.Je mehr Leid, d<strong>es</strong>to größer ist die Wirkung auf <strong>den</strong> L<strong>es</strong>er und so kann dem Verfasserder Saga allein <strong>aus</strong> dramaturgischer Sicht nicht daran gelegen sein, Þormóðr mit demWunsch ein<strong>es</strong> schnellen Tod<strong>es</strong> <strong>aus</strong>zustatten, zumal <strong>es</strong> dazu auf dem Schlachtfeldb<strong>es</strong>sere Gelegenheit gegeben hätte. Um die Stand<strong>es</strong>ehre der Ärztin kann <strong>es</strong> hierebensowenig gehen. Ihre Aufgabe ist <strong>es</strong>, die Pfeilextraktion zu initiieren, um damitÞormóðr die Möglichkeit zu geben, sich abermals als Held zu beweisen. Die g<strong>es</strong>amteTextstelle ist allein darauf <strong>aus</strong>gerichtet, <strong>den</strong> lei<strong>den</strong>sfähigen Hel<strong>den</strong> zu zeigen.Di<strong>es</strong>em obersten Ziel muß sich auch die innere Logik der Handlung unterordnen.Denn von Anfang an verhält sich Þormóðr nicht wie ein typischer Sagaheld. DemKlischee entsprechend hätte er sich nach seiner Verwundung in <strong>den</strong> Kampf stürzenmüssen, um mit der Waffe in der Hand zu sterben. Das tut er nicht. Statt d<strong>es</strong>sen ziehter sich zurück und begibt sich paradoxerweise <strong>aus</strong>gerechnet in ein Feldlazarett.Hierdurch gelingt <strong>es</strong> dem Sagaverfasser, <strong>den</strong> schwerverwundeten„Tod<strong>es</strong>sehnsüchtigen“ mit gewöhnlichen Verwundeten zusammenzubringen, um <strong>den</strong>Unterschied im Verhalten zu demonstrieren. Denn nach Heilung drängt <strong>es</strong> Þormóðrnach wie vor nicht. Er nutzt vielmehr die Situation, um sich aufzuspielen und <strong>den</strong>harten Mann her<strong>aus</strong>zukehren. Daß er überhaupt in die ärztliche Behandlungeinwilligt, dient überwiegend der dramaturgischen Ausleuchtung d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong>. EinBehandlungs- oder gar Heilungswunsch b<strong>es</strong>teht von Þormóðrs Seite nicht.Etwas weniger elegant nimmt sich die „Legendarische” Óláfs saga d<strong>es</strong> ThemasPfeilextraktion an. Die Frau mit Holz im Arm, der Þormóðr begegnet, ist keineÄrztin und er zeigt ihr seine Wunde spontan <strong>aus</strong> eigenem Antrieb. Auf ihrNachfragen, was in einer solchen Situation zu tun sei, schlägt er von sich <strong>aus</strong> eineBehandlung vor und wird auch sogleich tätig. Auch hier kommt <strong>es</strong> also zu einerKostprobe seiner Lei<strong>den</strong>sfähigkeit, doch weniger kunstvoll in Szene g<strong>es</strong>etzt.361 Kaiser 1998, 147110


Die Normalsterblichen und ihre Wun<strong>den</strong>Das Schmerzverhalten der in der Scheune liegen<strong>den</strong> Verwundeten wird in <strong>den</strong>Texten kontrovers behandelt. Die FóstbrÍðra saga sowie ihrer Variante in derFlateyjarbók schildern die Szenerie nach Þormóðrs Eintritt wie folgt:Viele Männer waren in der Scheune, die schwer verwundet waren und <strong>es</strong><strong>schrie</strong> laut <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Hohlwun<strong>den</strong>, wie <strong>es</strong> die Natur der Wun<strong>den</strong> ist.(FóstbrÍðra saga) 362Dort waren viele Männer schwer verwundet und <strong>es</strong> <strong>schrie</strong> laut <strong>aus</strong> <strong>den</strong>Hohlwun<strong>den</strong> der Männer oder <strong>den</strong> Kopfwun<strong>den</strong>, wie <strong>es</strong> die Natur großerWun<strong>den</strong> ist. (FóstbrÍðra saga, Viðaukar úr Flateyjarbók) 363Der Erzähler informiert <strong>den</strong> L<strong>es</strong>er, daß Hohlwun<strong>den</strong>, bzw. große Wun<strong>den</strong>üblicherweise schreien. Die an di<strong>es</strong>er Stelle verwendete Formulierung sem náttúra erläßt durch die dadurch <strong>aus</strong>gedrückte Selbstverständlichkeit vermuten, daß <strong>es</strong> sich umein allgemein bekannt<strong>es</strong> Schmerzkonzept handelt. Ausführliche Recherchen 364 zudi<strong>es</strong>em Phänomen haben jedoch das Gegenteil ergeben. In der untersuchten Literaturwer<strong>den</strong> geräuschvolle Wun<strong>den</strong> nur noch ein einzig<strong>es</strong> Mal erwähnt und zwar in derVatnsdÍla saga:Und als Hrolleifr ihn sah, schleuderte er <strong>den</strong> Speer nach ihm und der traf ihnin der Mitte. Und als der <strong>den</strong> Stoß erhielt, ritt er zum Hügel zurück undsprach: „Du Junge, folg mir nach H<strong>aus</strong>e.“ Er begegnete seinen Söhnen nicht;und als sie nach H<strong>aus</strong>e kamen, war der Abend weit fortg<strong>es</strong>chritten. Und alsInigimundr vom Pferd steigen wollte, da sprach er: „Ich bin nun steif und wiralte Männer wer<strong>den</strong> schwach auf <strong>den</strong> Beinen.“ Und als der Junge ihn anfaßte,da tönte <strong>es</strong> <strong>aus</strong> der Wunde. Da sah der Junge, daß der Speer durch ihnhindurch stand. 365362 Margir menn váru í hlôðunni, þeir er mjôk váru sárir, ok lét hátt í holsárum, sem náttúra er tilsáranna. FóstbrÍðra saga, 272 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).363 Þar váru margir menn mjôk sárir, ok lét hátt í holsárum manna eða hôfuðsárum, sem náttúra er tilstórsára. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 272 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson1958 [ÍF 6]).364 Einschlägige Sagaforschung, Medizinhistorische Forschung, Nachschlagewerke, umfangreicheInternetrecherche auf Deutsch, Englisch, Isländisch. Korr<strong>es</strong>pon<strong>den</strong>z mit Prof. Dr. Wilhelm Heizmann,Institut für Nordische Philologie, LMU München, Prof. Dr. Dr. Volker Zimmermann, Institut fürEthik und G<strong>es</strong>chichte der Medizin, <strong>Universität</strong> Göttingen, Prof. Dr. Dr. Gundolf Keil, Institut fürG<strong>es</strong>chichte der Medizin, <strong>Universität</strong> Würzburg, Prof. Dr. Kl<strong>aus</strong>-Dietrich Fischer, Medizinhistorisch<strong>es</strong>Institut, <strong>Universität</strong> Mainz, Prof. Dr. Dr. Bernhard Dietrich Haage, Institut für Germanistik,<strong>Universität</strong> Mannheim, PD Dr. Bernhard Schnell, Mittelhochdeutsch<strong>es</strong> Wörterbuch, Akademie derWissenschaften zu Göttingen, Dr. Diethard Nickel, Corpus Medicorum Graecorum, Berlin-Bran<strong>den</strong>burgische Akademie der Wissenschaften, Berlin.365 Ok er Hrolleifr sá hann, skaut hann til hans spjóti, ok kom á hann miðjan. Ok er hann fekk lagit,reið hann aptr at bakkanum ok mælti: „Þú sveinn, fylg mér heim.“ Hann hitti eigi sonu sína; ok er þeirkómu heim, var mjôk liðit á aptaninn. Ok er Ingimundr skyldi af baki fara, þá mælti hann: „Stirðr emek nú, ok verðu vér l<strong>aus</strong>ir á fótum inir gômlu menninir.“ Ok er sveinninn tók við honum, þá þaut ísárinu. Sá sveinninn þá, at spjótit stóð í gegnum hann. VatnsdÍla saga, 61 (Einar Ól. Sveinsson 1939[ÍF 8]).111


Weder hat sich die Sagaforschung bislang mit di<strong>es</strong>em Thema <strong>aus</strong>einanderg<strong>es</strong>etzt,noch fin<strong>den</strong> sich in der übrigen heute bekannten Literatur d<strong>es</strong> europäischenMittelalters analoge Passagen zum Phänomen der schreien<strong>den</strong> Wun<strong>den</strong>. Einzig in derBahrprobe, 366 wie sie u.a. im Nibelungenlied und in Hartmann von der Au<strong>es</strong> Iweinüberliefert ist, begegnet man einem ähnlichen Eigenleben von Wun<strong>den</strong>. Dochhandelt <strong>es</strong> sich hierbei um einen juristischen Beweis zur Überführung ein<strong>es</strong> Mörders.Es geht also um die Verletzungen von bereits toten Menschen, wodurch sich dieWun<strong>den</strong> in der Bahrprobe ganz grundsätzlich von <strong>den</strong>en in der Sagaliteraturunterschei<strong>den</strong>. Das laut Lexikon d<strong>es</strong> Mittelalters verbreitete „Motiv d<strong>es</strong> bluten<strong>den</strong>oder singen<strong>den</strong> Knochens“ fällt in di<strong>es</strong>elbe Kategorie wie die Bahrprobe. 367„Schreiend<strong>es</strong> Blut“ zählt ebenfalls zu <strong>den</strong> gängigeren Vorstellungen, doch wiederumvor dem Hintergrund von Rache, Mord und Vergeltung. 368 Überdi<strong>es</strong> handelt <strong>es</strong> sichbeim Blut um Schreien im übertragenen Sinne, während der Sagaverfasser ganzkonkret von Wun<strong>den</strong> berichtet, die Schmerzensschreie hervorbringen. Þormóðr teiltdi<strong>es</strong>e Betrachtungsweise, indem er wenig später einem feindlichen Bauernsoldatenentgegenhält:Hier gibt <strong>es</strong> viele schwerverletzte Männer und keiner von ihnen stöhnt, abersie können nichts dafür, daß <strong>es</strong> <strong>aus</strong> ihren Wun<strong>den</strong> schreit. (FóstbrÍðrasaga) 369366 Bei der Bahrprobe handelt <strong>es</strong> sich um ein „mittelalterlich<strong>es</strong> Verfahren zur Ermittlung d<strong>es</strong> Mördersoder Totschlägers. Auf der Grundlage der Vorstellung vom leben<strong>den</strong> Leichnam ist <strong>es</strong> unter derHerrschaft der Blutrache der Tote selbst, der <strong>den</strong> Mörder verklagt: »vox sanguinis fratris tui clamat adme de terra« (Gen I.4.10).“ Holzhauer 1980 [LeMa 1], 1350.367 Holzhauer 1980 [LeMa 1], 1350.368 Grimm 1899, 1721. Stichwort „Schreien”: 3) freier und übertragener gebrauch zeigt sich imentwickelten nhd. B<strong>es</strong>onders beim adjectivisch gebrauchten participium, weniger bei <strong>den</strong> verbalenformen, abg<strong>es</strong>ehen von der anwendung in gehobener sprache und einigen f<strong>es</strong>ten vorstellungen. a) dasblut d<strong>es</strong> ermordeten schreit die mordklage (s. oben 2, g, δ): die stim dein<strong>es</strong> bruders schreiet zu mir vonder er<strong>den</strong>. gen<strong>es</strong>is 4, 10 (vgl.: dror hruopit is te drohtina selbun endi sagat hue thea dadi frumida, thatmen an th<strong>es</strong>un middilgardun. altsächs. gen<strong>es</strong>is); di<strong>es</strong>e bibelstelle ist für die übertragene anwendungvon schreien in der von ihr angegebenen richtung vorbildlich gewor<strong>den</strong>: gleich wie magister <strong>Georg</strong>enblut … je lenger je hefftiger schrey und schreiet. LUTHER 6, 326; so grosz ist der mord d<strong>es</strong>unschuldigen, das sein blut zu gott schreit und das ohn unterlasz. PARACELSUS (1590) 9, 283; dergleich thut gott zu di<strong>es</strong>er zeit, wann blut der unschuld zu jm schreit. SCHWARTZENBERG Cicero (1535)100 a ; himmelan schreit das blut deiner opfer, und ruft von gott rache! rache! von gott HÖLTY 97Halm. dann überhaupt von unrecht, das anklage erhebt und vergeltung verlangt: jr frevel und gewaltschreiet über sie. Jer. 6, 7; sihe, der erbeiter lohn, die ewer land eingeerndtet haben, und von euchabgebrochen ist, das schreiet. Jac. 5, 4; aber dasz ihr uns nicht bedauert – das schreyet rache. KLINGER9, 257; […].369 Eru hér margir menn mjôk sárir, ok stynr engi þeirra, en þeim er ósjálfrátt, þótt hátt láti í sárumþeira; […]. FóstbrÍðra saga, 274 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).In der Flateyjarbók wird die Formulierung nicht mehr aufgegriffen. Hier heißt <strong>es</strong> lediglich: Hier gibt<strong>es</strong> viele schwerverletzte Männer und keiner von ihnen jammert, […]. (Eru hér margir menn mjôk112


Der Bauer bekundet jedoch eine gegenteilige Auffassung. Demnach sind <strong>es</strong> dieVerwundeten und nicht ihre Wun<strong>den</strong>, die für die Schmerzensschreie verantwortlichsind:Und als er hört, wie <strong>es</strong> laut <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Wun<strong>den</strong> der Männer schreit, sprach er:„Es ist übrigens nicht verwunderlich, daß <strong>es</strong> dem König im Kampf mit <strong>den</strong>Bauern nicht gut ergangen ist, so schwächlich wie di<strong>es</strong>e Leute sind, die demKönig gefolgt sind, weil ich meine sagen zu dürfen, daß die Männer, die hierdrinnen sind, kaum ohne zu schreien ihre Wun<strong>den</strong> ertragen können.” 370Die gegenteiligen Positionen verdeutlichen, worum <strong>es</strong> bei <strong>den</strong> schreien<strong>den</strong> Wun<strong>den</strong>eigentlich geht: um drengskapr. Wie im Zusammenhang mit Þormóðrs Verwundungdargelegt, zeigen Hel<strong>den</strong> keinen Schmerz. Demnach ist ein vor Schmerz schreienderVerwundeter kein Held und obendrein auch nicht b<strong>es</strong>onders männlich. Indem derBauer die Auffassung vertritt, die Verletzten und nicht deren Wun<strong>den</strong> seien dieUrheber der Schmerzensschreie, spricht er ihnen jeglichen drengskapr ab, was imweiteren Handlungsverlauf folgerichtig einen Racheakt Þormóðrs provoziert. Unklarbleibt, wie der Bauer die Szene wirklich wahrnimmt. Die einleitende Formulierung:<strong>„Und</strong> als er hört, wie <strong>es</strong> laut <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Wun<strong>den</strong> der Männer schreit, […]” kann aufzweierlei Weise gedeutet wer<strong>den</strong>. Es läßt sich di<strong>es</strong>en Worten nicht entnehmen, obder Erzähler <strong>aus</strong> seiner eigenen Erzählerperspektive oder <strong>aus</strong> der d<strong>es</strong> Bauernberichtet. Aus der Erzählerperspektive sieht und hört der Bauer schreiende Männer,einzig der Erzähler beharrt auf seinem Standpunkt, daß die Wun<strong>den</strong> schreien. DerKommentar d<strong>es</strong> Bauern deckt sich daher mit seinem subjektiven Sinn<strong>es</strong>eindruck: <strong>es</strong>schreien die Männer und nicht die Wun<strong>den</strong>. Bezieht sich die Formulierung aber aufdie Perspektive d<strong>es</strong> Bauern, hört und sieht auch er schreiende Wun<strong>den</strong>. SeinKommentar, <strong>es</strong> <strong>schrie</strong>en die Männer, stellt also eine Lüge und Provokation dar. Daauch der Bauer letztlich kein objektiver Beobachter ist, läßt sich die Frage nichtklären und <strong>es</strong> steht Aussage gegen Aussage.Inter<strong>es</strong>sant wird <strong>es</strong> im weiteren Handlungsverlauf. Þormóðr verwickelt <strong>den</strong> Bauern inein G<strong>es</strong>präch und man vergleicht Bl<strong>es</strong>suren. Als der Bauer herantritt, um ÞormóðrsWunde zu inspizieren, fügt di<strong>es</strong>er ihm mit der Axt eine nicht unbeträchtlicheVerletzung zu:sárir, ok vælar engi þeira, […].) (FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 273 (Björn K.Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6])).370 Ok er hann heyrir, at hátt lætr í sárum manna, mælti hann: „Eigi er þó undarligt, at konunginumhafi eigi vel gengit bardaginn við bœndr, svá þróttl<strong>aus</strong>t fólk sem þetta er, sem konunginum hefir fylgt,því at mér þykkir svá mega at kveða, at þeir menn, sem hér eru inni, þoli varla óœpandi sár sín.”FóstbrÍðra saga, 272 f. (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).113


Der <strong>schrie</strong> laut auf und stöhnte heftig. Þormóðr sprach da: „Das wußte ich,daß <strong>es</strong> hier drinnen einen schwächlichen Mann geben müsse. Es steht dirnicht zu, die Mannhaftigkeit anderer zu tadeln, weil du selbst schwächlichbist. Hier gibt <strong>es</strong> viele schwerverletzte Männer und keiner von ihnen stöhnt,aber sie können nichts dafür, daß <strong>es</strong> <strong>aus</strong> ihren Wun<strong>den</strong> schreit. Du aberstöhnst und jammerst, obwohl du nur eine kleine Wunde erhalten hast.“ 371In der Flateyjarbók wird di<strong>es</strong>e Stelle noch plastischer darg<strong>es</strong>tellt:Þormódr antwortet: „Das kann sein, daß jemand hier drinnen ist, der nichttapfer ist, wenn man suchte und dir wird meine Wunde nicht schwererscheinen, auch wenn du sie genau betracht<strong>es</strong>t.“ Der Bauer antwortet: „Ichmeine, <strong>es</strong> wäre b<strong>es</strong>ser, du hätt<strong>es</strong>t sowohl mehr als auch schwerere.” DerBauer dreht sich sodann in der Scheune nach draußen und wollte hin<strong>aus</strong>gehen. In di<strong>es</strong>em Augenblick schlägt Þormódr nach ihm. Der Schlag traf ihnan der Rückseite und er schlug ihm beide Hinterbacken ab. „Stöhn du jetztnicht,” sagte Þormódr. Der Bauer <strong>schrie</strong> laut auf mit großem G<strong>es</strong>chrei undfaßte sich mit bei<strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> an <strong>den</strong> Hintern. Þormódr sprach: „Das wußteich, daß sich hier drinnen ein Mann befin<strong>den</strong> müsse, der nicht als tapfer zubezeichnen sei. Es steht dir nicht zu, daß du die Mannhaftigkeit andererMänner tadelst, da du selbst schwächlich bist. Hier sind viele schwerverwundete Männer und keiner von ihnen jammert, aber du meckerst wie einebrünstige Ziege und wehklagst wie eine Stute, obwohl du nur eine kleineFleischwunde hast.” 372Der Natur großer Wun<strong>den</strong> entsprechend, müßte <strong>es</strong> jetzt <strong>aus</strong> d<strong>es</strong> BauernAllerwert<strong>es</strong>ten schreien. Das ist, laut Erzähler und Þormóðr, nicht der Fall. Es schreitder Mann und nicht die Wunde, wodurch d<strong>es</strong>sen schwächliche Konstitution offenzutage tritt. Verstärkt wird das hier gezeichnete Bild überdi<strong>es</strong> durch die mitweiblichen Attributen b<strong>es</strong>etzte Wortwahl. Þormóðr vergleicht sein Jammern mit demMeckern einer brünstigen Ziege und dem Wehklagen einer Stute. Derlei Vergleich<strong>es</strong>tammen <strong>aus</strong> der Kategorie nið und sind tödliche Beleidigungen. Doch der Bauerunternimmt nichts, um seine Ehre zu verteidigen. Auch das hier verwendete Wort371 Sá kvað við hátt ok stundi fast. Þormóðr mælti þá: „Þat vissi ek, at vera mundi nôkkurr sá maðrinni, er þrekl<strong>aus</strong>s myndi vera. Er þér illa saman farit, leitar á þrek annarra manna, því at þú ertþrekl<strong>aus</strong>s sjálfr. Eru hér margir menn mjôk sárir, ok stynr engi þeira, en þeim er ósjálfrátt, þótt hátt látií sárum þeira; en þú stynr ok veinar, þó at þú hafi fengit eitt lítit sár.” FóstbrÍðra saga, 273 f. (BjörnK. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).372 Þormóðr svarar: „Vera kann þat, at nôkkurr sé sá hér inni, at eigi sé þrekmikill, ef til er reynt, okeigi mun þér mitt sár mikit þykkja, þótt þú hyggir at því.” Bóndi svarar: „Ek ætla þá væri betr, at þúhefðir bæði môrg ok stór.” Snýr bóndi þá útar eptir hlôðunni ok ætlaði út at ganga. Í því høggrÞormóðr eptir honum. Þat hôgg kom á bakit, ok hjó hann af honum báða þjóhnappana. „Styn þú eiginú,” kvað Þormóðr. Bóndi kvað við hátt með miklum skræk ok þreif til þjóhnappanna báðumhôndum. Þormóðr mælti: „Þat vissa ek, at vera myndi hér inni nôkkurr maðr, sá er eigi myndi þróttigrreynask; er þér illa saman farit, er þú finnr at þrek annara manna, þar er þú ert þróttl<strong>aus</strong>s sjálfr. Eru hérmargir menn mjôk sárir, ok vælar engi þeira, en þú bræktir sem geit blæsma ok veinar sem merr, þó atþú hafir eina vôðvaskeinu litla.” FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 272 f. (Björn K.Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).114


skrækr (= Kreischen) wird in der Regel für Frauen verwendet. 373 Der Bauer wirddurch bösartigen Spott auf die schlimmste <strong>den</strong>kbare Weise lächerlich gemacht. Dochmuß man sich fragen, ob seine Wunde nicht vielleicht doch schreit und derSagabericht schlichtweg falsch ist. Wie „objektiv“ ist der Erzähler wirklich? Will er<strong>es</strong> überhaupt sein? Es ist inkonsequent, <strong>den</strong> L<strong>es</strong>er erst wissen zu lassen, daß großeWun<strong>den</strong> schreien, nur um bei der nächsten Gelegenheit wieder von di<strong>es</strong>em Motivabzurücken. Der Sagaerzähler muß sich <strong>den</strong> Vorwurf gefallen lassen, in seinemBericht für die Seite d<strong>es</strong> Königs Partei zu ergreifen. Offenbar haben die Soldaten inder Scheune auf der „richtigen“ Seite gekämpft und haben schreiende Wun<strong>den</strong>,während der Bauer bei <strong>den</strong> „Bösen“ war und daher ganz unheroisch selbst schreit.Ganz gen<strong>aus</strong>o, wie er die schreien<strong>den</strong> Wun<strong>den</strong> der Männer in der Scheune leugnet,streiten der Erzähler und Þormóðr ihrerseits seine schreiende Wunde ab. Denn sieentbindet von der Verantwortung für die öffentlich gezeigte Schmerzreaktion. Manist ósjálfrátt („nicht selbstb<strong>es</strong>timmt“), wie Þormóðr <strong>es</strong> in der FóstbrÍðra saga<strong>aus</strong>drückt. Die Wun<strong>den</strong> unterliegen nicht der willentlichen Kontrolle d<strong>es</strong> Verletztenund damit ist das ertönende Wehklagen in gewisser Weise nicht d<strong>es</strong>senAngelegenheit. Der drengskapr bleibt dadurch über je<strong>den</strong> Zweifel erhaben. Es ist indi<strong>es</strong>em Zusammenhang unlogisch, daß Þormóðr keine schreiende Wunde hat,obwohl er schwer verletzt ist. In di<strong>es</strong>em Bruch zeigt sich jedoch, daß er zu eineranderen Klasse Mensch gehört. Die Wun<strong>den</strong> von Hel<strong>den</strong> schweigen, währendNormalsterbliche auf die eine oder andere Weise Schmerzensschreie hervorbringen.Kaiser erkennt in der Darstellung der FóstbrÍðra saga „Zischlaute <strong>aus</strong> dem Thorax“,verursacht durch Thoraxverletzungen. 374 Di<strong>es</strong>e Interpretation ist insofern nicht ganzvon der Hand zu weisen, als daß „das schlürfende Geräusch ein- und <strong>aus</strong>tretender373 Baetke übersetzt das Wort zwar mit Schrei, G<strong>es</strong>chrei, Gebrüll, das Verb skrækja jedoch mitschreien, kreischen, krächzen. Baetke 1993 [SSAWL 111], 565 f.Skrækr wird in der in di<strong>es</strong>er Arbeit untersuchten Literatur nur noch einmal verwendet und zwar in derGrettis saga Ásmundarsonar. Als Grettir sich in seinen letzten Jahren auf der Insel Drangeyverschanzt, versucht ihn sein Widersacher Þorbjôrn von dort zu vertreiben. Da die Insel uneinnehmbarist, weil sie nur über Leitern betreten wer<strong>den</strong> kann, scheitern alle Angriffe Þorbjôrns. Schließlich sollseine Ziehmutter, eine alte Hexe, mit schwarzer Magie eingreifen. Þorbjôrn bringt sie in einem Bootzur Insel. Grettir erkennt sie und in böser Vorahnung kommender Ereignisse schleudert er einengroßen Stein ins Boot, der der Hexe <strong>den</strong> Oberschenkel bricht. Als sie getroffen wird, ertönt laut<strong>es</strong>Gekreische: „Das war doch ein längerer Steinwurf als Þorbjôrn jemandem zugetraut hätte. Es ertöntelaut<strong>es</strong> Gekreische. Der Stein hatte <strong>den</strong> Schenkelknochen der Alten getroffen, so daß er zerbrach.”[„Þat var þó lengra steinkast, en Þorbjôrn ætlaði, at nôkkurr maðr myndi kasta. Við þat kom uppskrækr mikill; hafði steinninn komit á þjólegg kerlingar, svá at í sundr gekk.”] Grettis sagaÁsmundarsonar, 248 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).374 Kaiser 1998, 88.115


Luft durch die Thoraxwunde (sucking wound)“ 375 ein möglich<strong>es</strong> Symptom d<strong>es</strong>offenen Pneumothorax darstellt. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen mag bei der Entstehung derVorstellung schreiender Wun<strong>den</strong> Pate g<strong>es</strong>tan<strong>den</strong> haben. Trotzdem ist derDeutungsansatz unwahrscheinlich, weil eindeutig von Wun<strong>den</strong> die Rede ist, die wieverwundete Männer schreien. Aus heutiger Sicht gibt <strong>es</strong> für di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen keineErklärung; schreiende Wun<strong>den</strong> sind schlicht Humbug. Daher sind rationaleErklärungsversuche <strong>aus</strong> Sicht d<strong>es</strong> modernen Arzt<strong>es</strong> hier fehl am Platz. Di<strong>es</strong><strong>es</strong>peziellen Wun<strong>den</strong> haben im Text eine Funktion, die vor dem kulturellen undg<strong>es</strong>ellschaftlichen Hintergrund di<strong>es</strong>er Zeit g<strong>es</strong>ehen wer<strong>den</strong> muß. Die soziale Normder Sagawelt läßt öffentlich<strong>es</strong> Schmerzverhalten nicht zu. Schreiende Wun<strong>den</strong>katalysieren di<strong>es</strong><strong>es</strong> unakzeptable Verhalten und verhindern, daß der verletzteDurchschnittsmann kompromittiert wird. Nur Hel<strong>den</strong> sind in der Lage, ihrenSchmerz vollständig zu beherrschen. Zudem stößt man schnell an Grenzen, wennman <strong>den</strong> rationalen Interpretationsansatz der sucking wounds weiterverfolgt. Längstnicht jede Thoraxverletzung r<strong>es</strong>ultiert in einem offenen Pneumothorax. Es ist indi<strong>es</strong>er Passage nicht von einem, sondern von vielen Verwundeten die Rede. Di<strong>es</strong>emüßten <strong>aus</strong> Kaisers Sicht sämtlich <strong>den</strong>selben Verletzungstyp aufweisen, nämlichoffene Brustverletzungen mit sucking wounds. Daß jedoch <strong>aus</strong> einer Schlacht nurThoraxverletzte hervorgehen, wäre ein Kuriosum. In di<strong>es</strong>em Zusammenhang sollteauch die weiter oben zitierte Belegstelle <strong>aus</strong> der VatnsdÍla saga in die Diskussionmiteinbezogen wer<strong>den</strong>. Der hier verwundete Ingimundr hat gar keineThoraxverletzung (<strong>„Und</strong> als Hrolleifr ihn sah, schleuderte er <strong>den</strong> Speer nach ihm undtraf ihn in der Mitte.“ 376 ). Da er im Abdomen getroffen wurde, können <strong>aus</strong> seinemThorax auch keine Zischlaute entweichen. Überdi<strong>es</strong> handelt <strong>es</strong> sich nicht um eineoffene Verletzung, die dafür die Vor<strong>aus</strong>setzung bildet. Der Speer steht durch ihnhindurch. Selbst wenn er seine Wunde in der Brust hätte, würde dadurch ein offenerPneumothorax verhindert.Neben dem Bauern in der Scheune wer<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Parallelen der anderenTexte weitere Personen genannt, deren Zusammentreffen mit Þormóðr nachdemselben Muster verläuft. Es handelt sich um unedle Charaktere, die fast alle alsAngehörige d<strong>es</strong> Bauernheer<strong>es</strong> <strong>aus</strong>gewi<strong>es</strong>en wer<strong>den</strong> und sich meist abfällig über die375 Berchtold & al. 1994, 322.376Ok er Hrolleifr sá hann, skaut hann til hans spjóti, ok kom á hann miðjan. VatnsdÍla saga, 61(Einar Ól. Sveinsson 1939 [ÍF 8]).116


Schmerzen der am Bo<strong>den</strong> liegen<strong>den</strong> verwundeten Königsleute äußern. Þormóðr stelltihre angebliche Fähigkeit zur Selbstbeherrschung auf die Probe, indem er ihnen mitseinem Schwert erhebliche Verletzungen zufügt. Die darauf folgende heftigeSchmerzreaktion entlarvt sie als Angeber, wodurch sie sich nicht nur deutlich vomHel<strong>den</strong> Þormóðr abheben, sondern <strong>aus</strong> d<strong>es</strong>sen Sicht auch von <strong>den</strong> verwundetenSoldaten d<strong>es</strong> Königs. Von di<strong>es</strong>en jammert seiner Ansicht nach bekanntlich niemand,sondern das Wehklagen entweicht ihren Wun<strong>den</strong>. Abbildung 10 gibt einenorientieren<strong>den</strong> Überblick d<strong>es</strong> Handlungsverlaufs in <strong>den</strong> einzelnen Texten.Kimbi ist eine G<strong>es</strong>talt, die abg<strong>es</strong>ehen von der FóstbrÍðra saga in allen anderenVarianten vorkommt. In der Flateyjarbók ist er ein weiterer Bauernsoldat, demÞormóðr in der Scheune begegnet. Er will <strong>aus</strong> der Notlage sein<strong>es</strong> verwundetenGegenübers Kapital schlagen und ihn gegen Bezahlung verstecken. Þormóðr gehtzum Schein auf <strong>den</strong> Handel ein und als Kimbi die Hand <strong>aus</strong>streckt, schlägt Þormóðrsie ihm mit dem Schwert ab:Kimbi streckte die Hand vor und wollte <strong>den</strong> Ring nehmen. Þormóðr schlugmit dem Schwert nach ihm und hieb Kimbi die Hand ab und sagte, daß er nunnicht mehr stehlen würde. Kimbi ertrug <strong>es</strong> schlecht. Þormóðr sagte, daß er(am eigenen Leib) erfahren solle, wie Wun<strong>den</strong> zu ertragen seien. Dann gingKimbi weg und Þormóðr blieb zurück. 377In der „Legendarischen” Óláfs saga ist Kimbi ein alter Sanitäter, der explizit alsSchurke charakterisiert wird:Kimbi hieß der, der die Wun<strong>den</strong> der Männer verbin<strong>den</strong> sollte. Er war ein alterMann und man sagte über ihn, daß er weder tapfer noch treu war. 378Offenbar äußert er sich abfällig über die schreien<strong>den</strong> Verwundeten, <strong>den</strong>n Þormóðrfährt ihn an, daß er kein drengr sei, wenn er die Leute d<strong>es</strong> Königs schmähe. Kimbiantwortet, er würde die Wun<strong>den</strong> nicht schlechter ertragen. 379Durch di<strong>es</strong>e Replik hat Kimbi die nötige „Fallhöhe” erreicht. Als Þormóðr seinegierigen Blicke nach einem gol<strong>den</strong>en Ring an seinem Arm bemerkt, nutzt er di<strong>es</strong>en377 Kimbi rétti fram hôndina ok vildi taka hringinn. Þormóðr sveiflaði til sverðinu ok hjó af Kimbahôndina ok kvað hann eigi þeiri mundu stela síðan. Kimbi þolði illa. Þormóðr kvað hann reyna skyldu,hversu sárin væri at þola. Síðan fór Kimbi á brott, en Þormóðr stóð eptir. FóstbrÍðra saga (Viðaukarúr Flateyjarbók), 270 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).378 kõmbõ het úa er binn|ãa úkõllãõ um úar manna. Allã¨að¨ mað¨ oc ængõ ræíútõ mað¨ veret oc o|trur veretkallað¨. Olafs saga hins helga, 87 (Johnsen 1922).379 Þo¨moð¨ mællte tõl kimba at hann mõnãõ æígí vera ã¨ængr. er hann a mællte konongs manum. úægõrat hann man æõgõ þola værr úaren. Olafs saga hins helga, 87 (Johnsen 1922).117


Abbildung 10: Handlungsverläufe zwischen Þormóðrs Verwundung undTod im ÜberblickÍslendingasögurFóstbrÍðra sagaVerwundung ÞormóðrsFóstbrÍðra sagaViðaukar úr FlateyjarbókVerwundung ÞormóðrsKimbiBauer: will Þ. Verstecken und Ring als BelohnungFrau am K<strong>es</strong>sel„warum läßt du deine Wun<strong>den</strong> nicht verbin<strong>den</strong>?“überheblicher Bauerschmäht VerwundeteFrau am K<strong>es</strong>sel„warum bist du so bleich?“Þormóðr stirbtFrau am K<strong>es</strong>sel„warum läßt du deine Wun<strong>den</strong> nicht verbin<strong>den</strong>?“überheblicher Bauerschmäht VerwundeteÄrztinuntersucht Wunde, BehandlungsversuchÞormóðr entfernt PfeilÞormóðr stirbtKonungasögurÓláfs saga hins helgaDie „Legendarische”Verwundung ÞormóðrsÓláfs saga konungs hins helga/HeimskringlaVerwundung ÞormóðrsKimbi„Sanitäter“, schmäht Verwundete, will RingKimbiHybrid <strong>aus</strong> drei Personen anderer Sagasjunger Mannverwundeter Bauer,schmäht VerwundeteFrau mit Holz im Armkeine Untersuchung, keine BehandlungÞormóðr entfernt PfeilÞormóðr stirbtÄrztin am Feuer„warum bist du so bleich?“untersucht Wunde, BehandlungsversuchÞormóðr entfernt PfeilÞormóðr stirbt118


Umstand, um ihm eine Falle zu stellen und mit dem Schwert die Hand abzuschlagen.Wie erwartet, ist der Aufschneider Kimbi nicht in der Lage, <strong>den</strong> Schmerz<strong>aus</strong>zuhalten:Kimbi streckt die Hand danach <strong>aus</strong>. Þormóðr zieht schnell das Kurzschwertund schlägt ihm die Hand ab. „Nun wird sich zeigen, wie Wun<strong>den</strong> zu ertragensind.“ Kimbi jammert sehr und schreit. Aber Þormóðr sagt, er werde mitdi<strong>es</strong>er Hand nieman<strong>den</strong> mehr betrügen. Nun geht Þormóðr fort. 380Þormóðr gibt in seinem Kommentar noch einmal deutlich die Verhaltensnorm vor,die jeder drengr einhalten muß und der Kimbi nicht entspricht. Daß Þormóðr mitseiner eigenen Wunde di<strong>es</strong>e Haltung vorbildlich verkörpert, unterstreicht seineGlaubwürdigkeit und seinen Anspruch auf <strong>den</strong> Hel<strong>den</strong>status. Auf die Schilderungvon Kimbi in der Saga Óláfs konungs hins helga soll nicht weiter eingegangenwer<strong>den</strong>, da sich <strong>aus</strong> dem Handlungsverlauf keine weiteren Erkenntnisse gewinnenlassen. In di<strong>es</strong>er Variante ist er eine Mischung <strong>aus</strong> großspurigem Bauern mit demKimbi <strong>aus</strong> der Flateyjarbók und dem jungen Mann <strong>aus</strong> der „Legendarischen“ Óláfssaga. Di<strong>es</strong>en jungen Mann ereilt übrigens dasselbe Schicksal wie Kimbi und <strong>den</strong>Bauern. Zur Begegnung mit Þormóðr kommt <strong>es</strong> unmittelbar nach derAuseinandersetzung mit Kimbi. Er kommt ihm <strong>aus</strong> einem der Häuser entgegen undrät ihm ab, hineinzugehen. Es herrsche dort Jammern und Wehklagen. 381Der junge Mann erzählt Þormóðr, daß auch er bei <strong>den</strong> Bauern mitgekämpft habe undverwundet wurde. Þormóðr ersticht ihn mit dem Schwert. Der Mann zeigt dieSchmerzreaktion, die er zuvor kritisiert hatte. Wie schon vorher bei Kimbi, folgt dieErmahnung zur körperlichen Selbstbeherrschung:„Bist du verwundet?“ sagt Þormóðr. „Ich bin verwundet“, sagte jener. „Ihrhabt schlecht an dem König gehandelt“, sagte Þormóðr. Und sticht nun nachihm mit dem Kurzschwert. Er ertrug <strong>es</strong> schlecht. Þormóðr fordert ihn nun auf,<strong>es</strong> mannhaft zu ertragen, „und jetzt kannst du die Königsleute schmähen.“Nun starb di<strong>es</strong>er [Mann] ziemlich bald. 382Allen hier behandelten Stellen gemeinsam ist die immer wieder fast formelhaftverwendete Frage „bist du verwundet?“. Di<strong>es</strong>e Eigentümlichkeit findet sich vielfach380 kõmbõ retter tõl honãena. En þo¨moð¨ brõgð¨ úaxe oc häggr af hanum honãena. Nu man ræínahveúúo úaren er at þola. kõmbõ væõnar mõok oc äper. En þo¨moð¨ queð¨ hann æõgõ úkulu með þæõrõhænãõ no|kcon mann úvõkõa. Nu gõængr þo¨moð¨ õ braut. Olafs saga hins helga, 87 (Johnsen 1922).381 Mað¨ gõængr õ mot hanom ungr af huúõ nokcoro. bõ㨠hann æõgõ õnn ganga. Sægõr þar vera op ocvæõnan. Olafs saga hins helga, 87 (Johnsen 1922).382 Ertu úar úægõr þormoð¨ úar er ek úagðe hinn. Eõgõ færr íð¨ væl tõl konongsenú úagðe þormoðr. Ocrekr nu at hanum úaxet. hann þolãe õlla. þo¨moð¨ bõð¨ hann nu þola væl oc a mæl þa konongs mannum.Nu do úa vano braðare. Olafs saga hins helga, 88 (Johnsen 1922).119


in der untersuchten Sagaliteratur und wurde bereits in der Einleitung di<strong>es</strong><strong>es</strong> Kapitelskurz erörtert. Þormóðr und seine Gegenspieler nutzen ihre Wun<strong>den</strong> zumMännervergleich. Größe, Lokalisation und Tiefe einer Verletzung sind objektiveParameter, die sich miteinander vergleichen lassen und zuverlässig über dieMannhaftigkeit ihr<strong>es</strong> Trägers Auskunft erteilen. Der Ausdruck „Wunde“, bzw.„verwundet“ (sár(r)) symbolisiert Schmerz und wird dadurch zumErkennungsmerkmal der Hel<strong>den</strong>, die in der Lage sind, di<strong>es</strong>en einfach zu ignorieren.Die Verbindung zum Schmerz hat deutliche etymologische Wurzeln: urnordisch*saira- bedeutet Schmerz. Altnordisch sár hat seine Bedeutung zu Wunde verändert.Gleichzeitig bedeutet altnordisch sárr neben verwundet auch schmerzhaft. Schmerzwird u.a. durch Komposita von sár <strong>aus</strong>gedrückt: sársauki, sárleikr. Schmerz undWunde liegen also so nahe beisammen, daß sie praktisch untrennbar miteinanderverbun<strong>den</strong> sind. Immer wenn von Wunde die Rede ist, schwingt Schmerz imHintergrund mit. Für <strong>den</strong> Sagahel<strong>den</strong> ist die Frage nach Verwundungen immer auchdie Frage nach dem damit verbun<strong>den</strong>en Wundschmerz. Es bleibt Kimbi also garnichts ander<strong>es</strong> übrig, als gegenüber Þormóðr zu behaupten, er sei ein bißchenverwundet, will er von di<strong>es</strong>em Ernst genommen wer<strong>den</strong>: „‚Bist du verwundet’, sagtÞormóðr. ‚Etwas’ sagt Kimbi.” 383 Es bleibt unklar, ob Kimbi überhaupt verwundetist, aber seine Behauptung weist ihn als einen tapferen Mann <strong>aus</strong> und legitimiert ihnfür seine herabsetzen<strong>den</strong> Äußerungen über die Verletzten in der Scheune. Þormóðrglaubt ihm trotzdem nicht und prüft lieber selbst nach, wie schmerzr<strong>es</strong>istent Kimbiwirklich ist.383 ertv nocot sáR segir Þormoðr. lítt segir Kimbi. Saga Óláfs konungs hins helga, 582 13 (Johnsen &Jón Helgason 1941).120


9.3 ZusammenfassungZum Sterben Þormóðr Kolbrúnarskálds in der letzten Schlacht König Óláfrs beiStiklastaðir fin<strong>den</strong> sich Parallelen in folgen<strong>den</strong> Sagatexten: FóstbrÍðra saga nebstihrer Variante in der Flateyjarbók, „Legendarische” Óláfs saga hins helga, SagaÓláfs konungs hins helga und Heimskringla. Im Mittelpunkt der Handlung stehen diedurch drengskapr vorgegebenen Verhaltensregeln bei Schmerz. In für die GattungSaga ungewöhnlich detaillierter Manier kontrastiert der Sagaverfasser dasSchmerzverhalten von Hel<strong>den</strong> mit dem normaler Menschen. Während Hel<strong>den</strong>Schmerzen vollständig kontrollieren können, hat der gemeine Mann hierzu keineMöglichkeit. Der L<strong>es</strong>er erfährt, daß große Wun<strong>den</strong> Schmerzensschreie <strong>aus</strong>stoßen unddaß di<strong>es</strong>e Art der Schmerzverbalisierung g<strong>es</strong>ellschaftlich toleriert wird. Die oraleLautäußerung bei Schmerz ist dahingegen inakzeptabel. Der Autor ergreift in seinenSchilderungen deutlich Partei für <strong>den</strong> Hel<strong>den</strong> Þormóðr und die Soldaten d<strong>es</strong> Königs.Þormóðr erträgt seine Schmerzen scheinbar teilnahmslos und schreiende Wun<strong>den</strong>fin<strong>den</strong> sich <strong>aus</strong>schließlich bei Verwundeten der Königsseite. Den Bauern wer<strong>den</strong> imText explizit negative Charaktereigenschaften zugewi<strong>es</strong>en. Bei Verwundung habensie keine Kontrolle über ihr Verhalten und schreien vor Schmerz. ImHandlungsverlauf wer<strong>den</strong> sie von Þormóðr als schwächliche Angeber bloßg<strong>es</strong>tellt,indem er sie mit seinem Schwert verletzt. Keiner der Mißhandelten ist stark genug,seinen Schmerz klaglos zu ertragen.Mit <strong>den</strong> schreien<strong>den</strong> Wun<strong>den</strong> liegt hier ein medizinischer Diskurs vor, der nahelegt,daß der Verfasser di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen als real begreift und überdi<strong>es</strong> als allgemeinbekannt vor<strong>aus</strong>setzt. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, da nach heutigemForschungsstand bis auf eine Stelle in der VatnsdÍla saga nirgendwo weiterenB<strong>es</strong>chreibungen di<strong>es</strong>er Art überliefert sind. Ob Verwandtschaft zur Bahrprobeb<strong>es</strong>teht, läßt sich nicht klären.121


10 Zum Schmerzverständnis der SagasWie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, gibt <strong>es</strong> deutliche Hinweise auf einspezifisch<strong>es</strong> Schmerzverhalten nach dem nordischen Männlichkeits-, bzw.Hel<strong>den</strong>ideal d<strong>es</strong> Mittelalters. Wie weiterhin dargelegt, nehmen die B<strong>es</strong>chreibungenvon Verletzung und Totschlag in der Sagaliteratur <strong>den</strong> weit<strong>aus</strong> größten Raum ein.Hieran anknüpfend soll der Wundschmerz einer eingehenderen Betrachtungunterzogen wer<strong>den</strong>. In di<strong>es</strong>em Zusammenhang ist neben der Präsentation weitererIndizien für regelmäßig auftreten<strong>den</strong> Wundschmerz auch die Frage nach demgenerellen Verständnis von Schmerz zu erörtern. Mit an Sicherheit grenzenderWahrscheinlichkeit wurde hierunter im isländischen Mittelalter etwas ander<strong>es</strong>verstan<strong>den</strong> als im Deutschland d<strong>es</strong> 21. Jahrhunderts. Morris kommentiert di<strong>es</strong>enSachverhalt folgendermaßen:Heute wird Schmerz innerhalb ein<strong>es</strong> kulturellen Bereichs erfahren, der soeinzigartig und eigen ist, wie die Skylin<strong>es</strong> unserer großen Städte. Wir habenein Verständnis von Schmerz, das nicht nur Plato und Aristotel<strong>es</strong> oderShak<strong>es</strong>peare und Cervant<strong>es</strong> oder Jeremy Bentham und Kardinal Newman sehreigenartig erschienen wäre, sondern auch unseren eigenen Großeltern undUrgroßeltern. Die sozialen Kräfte, die für di<strong>es</strong>e folgenschwerenVeränderungen die Verantwortung tragen, sind so mächtig, daß man ihnengen<strong>aus</strong>owenig entkommen kann wie der Erdanziehungskraft. 384Di<strong>es</strong>en Punkt gilt <strong>es</strong> auch bei der folgen<strong>den</strong> Analyse zu be<strong>den</strong>ken. Ein Wort wieverkr kann zwar mit Schmerz übersetzt wer<strong>den</strong>, doch mit der Übersetzung geht seinInhalt verloren. Der Begriff dient als Transportmittel für kulturelle Überlieferung undnicht zuletzt auch individuelle Schmerzerfahrungen. Durch die Übersetzung wirddem Begriff der kulturelle Sinngehalt der anderen Sprache aufgepfropft. Di<strong>es</strong>erProzeß ist unvermeidbar und verfälscht <strong>den</strong> Eindruck, der sich <strong>aus</strong> einer Textpassageergibt. Andererseits sollte man di<strong>es</strong><strong>es</strong> Problem nicht überbewerten. Die anatomischenVor<strong>aus</strong>setzungen für die Schmerzempfindung haben sich seit dem Mittelalter nichtgeändert. Schmerzrezeptoren, Nerven und Gehirn gewährleisten nach wie vor dieReizverarbeitung. Damals wie heute wird ein Schmerzimpuls „weh“ getan haben,davon ist <strong>aus</strong>zugehen. Ob auf Deutsch oder Isländisch, beide Begriffe bezeichnenSchmerzzustände. Mögliche Unterschiede sind in der jeweiligen emotionalenFärbung zu suchen. Denn Schmerz wird erst durch diverse modifizierende Faktoren(z.B. Alter, soziale Herkunft, kultureller Hintergrund, etc.) zu Leid. Und im Lei<strong>den</strong>384 Morris 1996, 84 f.122


und dem dar<strong>aus</strong> r<strong>es</strong>ultieren<strong>den</strong> Schmerzverhalten zeigen sich die Unterschiedezwischen <strong>den</strong> Kulturen.Der französische Arzt René Leriche (1879-1955) hebt zusätzlich die intraindividuellenUnterschiede hervor:Gegenüber dem Schmerz sind wir nicht alle gleich. – Die physischeSensibilität der Menschen heute und damals unterscheidet sich grundlegendund unter <strong>den</strong> Menschen von heute hat sie nicht <strong>den</strong>selben Klang für alle. 385Di<strong>es</strong><strong>es</strong> könnte auch für die Wortwahl in der Sagaliteratur Bedeutung haben. Wie dievorliegende Untersuchung ergeben hat, dominiert der Schmerzbegriff verkr. Füreinen großen Teil der untersuchten Sagas, die Íslendingasögur, liegen keineKenntnisse über die Autoren vor. Das Kloster Þingeyrar gilt aber als Zentrum derSagaschreibung. Es wäre <strong>den</strong>kbar, daß sich in der Abg<strong>es</strong>chie<strong>den</strong>heit ein<strong>es</strong> kleinenKlosters ein individueller Schreibstil mit dazugehörigem eigenen Wortschatzher<strong>aus</strong>bil<strong>den</strong> kann. Je mehr hier produziert wird, d<strong>es</strong>to größer der Anteil einzelnerWörter gem<strong>es</strong>sen an der g<strong>es</strong>amten Literatur ein<strong>es</strong> Land<strong>es</strong>. Mit anderen Worten: wennin <strong>den</strong> Sagas <strong>aus</strong> Þingeyrar vorzugsweise das Wort verkr verwendet wird und nichtsársauki, dann entsteht <strong>aus</strong> heutiger Sicht der Eindruck, daß verkr im Altisländischendas häufigste Wort für Schmerz war. Ein weiterer Aspekt ist die Kopiertätigkeit.Keine der bekannten Sagas ist im Original überliefert. Anhand derBibelübersetzungen durch Mentel und Luther wurde gezeigt, wie eine rechtvielfältige Schmerzsprache auf einen Begriff reduziert wer<strong>den</strong> kann. Während <strong>es</strong> inder Mentel-Bibel von 1461 noch drei Übersetzungssynonyme für dolor gab,verwendete die Luther-Bibel nur noch das Wort Schmerz. Ähnlich<strong>es</strong> kann für dieSagas nicht <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chlossen wer<strong>den</strong>. Texte beim Abschreiben zu „verb<strong>es</strong>sern“ wargängige Praxis. Rein spekulativ ist vorstellbar, daß Wörter einfach <strong>aus</strong>get<strong>aus</strong>chtwur<strong>den</strong>, die man als nicht mehr zeitgemäß empfand. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> rein subjektiveEmpfin<strong>den</strong> kann unter gewissen Umstän<strong>den</strong> in der heutigen Forschung einenfalschen Eindruck erzeugen. Fleißige Kopierer haben aufgrund der Fülle ihrerProduktion Einfluß auf <strong>den</strong> Stil anderer, da auch ihre Texte mit der Zeit Gegenstandd<strong>es</strong> Kopierproz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> wer<strong>den</strong>. Rein statistisch g<strong>es</strong>ehen haben ihre Texte überdi<strong>es</strong> aucheine größere Chance, der Nachwelt überliefert zu wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n je umfangreicher dasAusgangsmaterial, d<strong>es</strong>to größer die Chance, daß manche Schriften mehrere385 Leriche 1949, 14: Nous ne somm<strong>es</strong> pas tous égaux devant la douleur. […] La sensibilité physiqued<strong>es</strong> homm<strong>es</strong> d‘aujourd‘hui <strong>es</strong>t toute autre que celle d<strong>es</strong> homm<strong>es</strong> d‘autrefois, et parmi l<strong>es</strong> homm<strong>es</strong>d‘aujourd‘hui, elle n‘a pas le même son pour tous.123


Jahrhunderte überdauern. Aufgrund di<strong>es</strong>er Mechanismen könnte summa summarumein Begriff in der Überlieferung <strong>den</strong> Spitzenplatz erobern, der in Wirklichkeitvielleicht gar nicht vorherrschend war. Das individuelle SchmerzverständnisEinzelner würde somit die Literatur einer Epoche prägen. Die vorliegendeUntersuchung orientiert sich eng am Text mit dem Versuch, ein übergeordnet<strong>es</strong>Schmerzmodell zu i<strong>den</strong>tifizieren. Inwieweit di<strong>es</strong><strong>es</strong> auf die tatsächlicheng<strong>es</strong>ellschaftlichen Vorstellungen zutrifft, bleibt offen. Die hier vorg<strong>es</strong>telltenÜberlegungen sollen auf di<strong>es</strong>e Problematik hinweisen.Von großem Vorteil für die Schmerzanalyse sind die strengen formalen Kriterien,<strong>den</strong>en die Sagas unterworfen sind. Auf di<strong>es</strong>e Weise fin<strong>den</strong> sich häufigeWiederholungen b<strong>es</strong>timmter Motive, Formulierungen und Handlungen.D<strong>es</strong>pektierlich könnte man Sagas auch als „Konglomerat von Textb<strong>aus</strong>teinen“bezeichnen. Durrenberger charakterisiert di<strong>es</strong>en Sachverhalt folgendermaßen:Sagas do not tell stori<strong>es</strong>, they d<strong>es</strong>cribe patterns. There is no suspense in apattern – there is repetition until one se<strong>es</strong> and understands it. 386Di<strong>es</strong>e Tatsache erlaubt <strong>es</strong>, Einzelbeobachtungen zum Schmerz in einen größerenZusammenhang zu stellen. Aufgrund di<strong>es</strong>er holzschnittartigen Muster b<strong>es</strong>teht einehohe Wahrscheinlichkeit, daß Schmerzvorstellungen verschie<strong>den</strong>er Sagas einanderentsprechen. Die im folgen<strong>den</strong> vorgelegten Einstellungen zum Schmerz müssten sichdemnach auf alle heroisch geprägten Texte übertragen lassen.10.1 Das Phänomen verwundeter Soldaten ohne Schmerzempfin<strong>den</strong>Gleich im Anschluß an Þormóðrs Tod geben die Handschriften der Konungasögureinen wichtigen Hinweis auf die generelle Schmerzhaftigkeit von Wun<strong>den</strong>. Diebei<strong>den</strong> Brüder Finnr und Þorbergr liegen schwerverwundet auf dem Schlachtfeld undunterhalten sich:Þorbergr fragt: „Wie oft bist du, Finnr, in der Schlacht gew<strong>es</strong>en?“ „Oft“, sagter, „und immer habe ich <strong>es</strong> schlecht gefun<strong>den</strong>, nur jetzt nicht, <strong>den</strong>n meineWun<strong>den</strong> schmerzen nicht. Hier in der Nähe d<strong>es</strong> Königs geht <strong>es</strong> mir jetzt gut,und hier ist ein guter Duft.“ („Legendarische“ Óláfs saga) 387Finnr sprach: „Wie oft bist du in der Schlacht gew<strong>es</strong>en, Þorbergr Bruder?”„Einige Male“, sagt er „und ich habe <strong>es</strong> immer schlecht gefun<strong>den</strong>“. <strong>„Und</strong> wiefind<strong>es</strong>t du <strong>es</strong> nun?“ sprach Finnr. „Gut“, sagt Þorbergr. „Denn hier ist <strong>es</strong>386 Durrenberger 1992, 14.387 Spírr þo¨b|ergr. hveúúo oppt hæfõr þu finnr õ val veret. Oppt úægõr hann oc õamnan õllt þott, nema nuæõgõ. þuõ at ækcõ úvõða úar mÍn. her er mer nu gott hõa konongenom Oc goð¨ õlmr er her.” Olafs sagahins helga, 88 (Johnsen 1922).124


weich und bequem und das gefällt mir gut.” „So geht <strong>es</strong> mir auch“, sprachFinnr, „und ich habe keinen Schmerz in <strong>den</strong> Wun<strong>den</strong> oder weißt du, ob dasUnerhörte wahr ist, daß der König heilig sei?“ „Du bist so vorschnell,“ sagteÞorbergr, „daß du wenig über das nach<strong>den</strong>kst, was du sagst, oder sonst nichtdarauf acht<strong>es</strong>t, du wüßt<strong>es</strong>t seit langem von seiner Heiligkeit.“ (Saga Óláfskonungs hins helga) 388Das Frage-Antwort-Schema tritt in der Saga Óláfs konungs hins helga zwar in leichtveränderter Form auf, doch in bei<strong>den</strong> Fällen ist <strong>es</strong> Finnr, der angibt, keine Schmerzenin seinen Wun<strong>den</strong> zu haben. In der „Legendarischen“ Óláfs saga führt er die nacheiner Schlacht üblichen Wundschmerzen als Grund dafür an, daß Kampf ihm sonstnicht gefällt. In der Saga Óláfs konungs hins helga wird di<strong>es</strong>er Satz Þorbergr in <strong>den</strong>Mund gelegt und Finnr schließt sich an. Aus di<strong>es</strong>er Stelle läßt sich generell folgern,daß Schmerz in jedem Fall f<strong>es</strong>ter B<strong>es</strong>tandteil von Verletzungen ist. Sein Fehlen wirdals Wohltat empfun<strong>den</strong>. Gleichzeitig wird auch die Begründung genannt: Der in derSchlacht gefallene heilige König Óláfr sorgt für das Wohl seiner verwundetenSoldaten durch schmerzlose Wun<strong>den</strong>, angenehmen Duft und ein bequem<strong>es</strong>Schlachtfeld.Daß im Krieg verwundete Soldaten mitunter in hohem Maße unempfindlich fürSchmerzen sein können, wurde zum ersten Mal durch <strong>den</strong> französischen Chirurgenund Wundarzt Jaqu<strong>es</strong> Guillemeau (1550-1613) b<strong>es</strong>chrieben. Ferdinand Sauerbruchund Hans Wenke berichteten über diverse Beispiele <strong>aus</strong> dem ersten Weltkrieg undprägten 1936 für di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen <strong>den</strong> Begriff „seelischer Wundstupor”. 389 Eshandelt sich mit anderen Worten um psychisch bedingte Schmerzlosigkeit vonWun<strong>den</strong>. 1946 veröffentlichte Henry K. Beecher (1904-1976) eine auch heute nochzitierte Studie unter dem Titel: „Pain in men wounded in battle”. Beecher war nachdem Medizinstudium 1932 zwei Jahre Assistenzarzt in der Chirurgie amMassachusetts General Hospital (MGH), bevor er in die anästh<strong>es</strong>iologischeForschung wechselte. Während d<strong>es</strong> 2. Weltkrieg<strong>es</strong> war er in Italien und Nordamerika388 Finnr mœlti. hue oft hefer þu j ual verit Þorbergr broder. verit hefui ek nockurum sinnum segerhann ok hefer mer of allt illt þott en huersu þiki þer nu quad Finnr gott seger Þorbergr. þuiat her ermiugt ok lint vni ek uel vid suo er mer ok quad Finnr ok ek hefui ¹ngann suida j sarum edr uæitzstu efþau endime eru s¹nn at konungrinn se hæilagr hea ockr suo ertu skiot ordr kuad Þorbergr at þu hyggrilla at huat þu mæler edr gair æigi ella. uisser þu helgi hans fyrer longu. Saga Óláfs konungs hinshelga, 827 10-17 (Johnsen & Jón Helgason 1941).389Sauerbruch & Wenke 1936, 12 ff; Roche Lexikon Medizin 1987, 1830: Wundstupor =vorübergehende Schmerzlosigkeit der Wunde als Folge der unfallbedingten Durchtrennung derörtlichen Nervenendigungen.125


stationiert. Dort beobachtete er, daß schwer verwundete Soldaten viel weniger überSchmerzen klagten als seine postoperativen Patienten am MGH:„Three-quarters of badly wounded men, although they have received nomorphine for hours […] have so little pain that they do not want pain reliefmedication, even though the qu<strong>es</strong>tions raised remind them that such isavailable for the asking. This is a puzzling thing and perhaps justifi<strong>es</strong> a littl<strong>es</strong>peculation.” 390Er folgerte, daß sich <strong>aus</strong> der Verwundung für die Betroffenen ein sekundärerKrankheitsgewinn ergeben müsse mit positiven Auswirkungen auf die Toleranz vonSchmerzen. Nach seiner Theorie bedeutet Kampf an der Front akute Lebensgefahr.Verwundung ist gleichbedeutend mit der Erleichterung darüber, dem Tod fürs ersteentronnen zu sein und nun die Möglichkeit zu haben, sich längere Zeit zu H<strong>aus</strong>e zurRehabilitation aufzuhalten. Im Rahmen einer Untersuchung der US-Army inNordafrika mit dem Titel: „The Physiologic Effects of Wounds” b<strong>es</strong>tätigten sich dieErgebnisse <strong>aus</strong> Beechers Studie:The inci<strong>den</strong>ce of severe pain was surprisingly low. The data showed thatsevere pain was not to be accounted for on the basis of the patients’ havingreceived l<strong>es</strong>s morphine or having received it earlier than patients whoreported little or no pain. 391Anfang der 90‘er Jahre legte die Arbeitsgruppe um van der Kolk und Pitmanexperimentell gewonnene Daten vor, die für eine Endorphin<strong>aus</strong>schüttung in starkenStreß- oder Angstsituationen sprechen. Die Wirkung d<strong>es</strong> körpereigenen Morphinsentspricht gemäß di<strong>es</strong>er Forschungsergebnisse einer Morphindosis in Höhe von8 mg. 392Bezogen auf <strong>den</strong> fehlen<strong>den</strong> Wundschmerz in o.g. Passage der Óláfs saga wäre ein<strong>es</strong>olche naturwissenschaftlich begründete Erklärung sicherlich zu diskutieren. Auchan anderen Stellen der Sagaliteratur, in <strong>den</strong>en kein Schmerz erwähnt wird, mußzumind<strong>es</strong>t die Möglichkeit in Betracht gezogen wer<strong>den</strong>, daß di<strong>es</strong>er hier vorg<strong>es</strong>tellteMechanismus körpereigener Morphin<strong>aus</strong>schüttung eine Rolle spielen könnte. Auchdie von Wall und Melzack vorg<strong>es</strong>tellte Beobachtung, daß Ablenkung vomSchmerzg<strong>es</strong>chehen durch Konzentration auf andere Dinge (z.B. kämpfen) die390 Beecher 1946.391 Beecher 1952, 27.392 Van der Kolk & al. 1989; Pitman & al. 1990. Anmerkung: Bei starken akuten Schmerzen beträgtdie initiale intravenöse Dosis je nach Größe und Gewicht ca. 3-5 mg. Weitere Gaben orientieren sicham analgetischen Effekt. Bei großen und schweren Männern sowie bei sehr starken Schmerzenkönnen durch<strong>aus</strong> 10-15 mg zur Anwendung gelangen, um eine <strong>aus</strong>reichende Schmerzstillung zuerzielen.126


Schmerzreaktion moduliert, sollte erwogen wer<strong>den</strong>. „Störend“ wirkt sich in derdiskutierten Textpassage die Tatsache <strong>aus</strong>, daß Finnr bisher immer schmerzhafteWun<strong>den</strong> im Kampf erlitten hatte. Warum er gerade di<strong>es</strong><strong>es</strong> Mal nichts fühlt, wird mitder Heiligkeit König Óláfrs erklärt. Es ist im Text zu erfahren, daß beide schwerverwundet sind („[…] und beide, Finnr und Þorbergr schwer verwundet” 393 ). DaFinnr seine Verwundungen bisher immer wieder überlebt hat, ist di<strong>es</strong>möglicherweise seine schwerste Verletzung. Das bedeutet gleichzeitig auch <strong>den</strong>bisher größten körperlichen Streß. Es kann spekuliert wer<strong>den</strong>, ob dadurch mehrEndorphine freig<strong>es</strong>etzt wer<strong>den</strong>. Denkbar wäre auch ein höher<strong>es</strong> Angstniveau vor demKampf als gewöhnlich. Über die früheren Kämpfe erfährt man nichts. Vielleichthandelte <strong>es</strong> sich um kleinere Aktionen, die nie Tod<strong>es</strong>angst provozierten.Sprachlich g<strong>es</strong>ehen wird in der Passage das Verb svíða verwendet, analog zuÞormóðrs Strophe (s.o.). Svíða bezeichnet einen brennen<strong>den</strong> Schmerz und wird inder untersuchten Literatur nur im Zusammenhang mit Schnittwun<strong>den</strong> gebraucht. Inder Landnámabók wird <strong>es</strong> ebenfalls in einer Strophe verwendet:[…] / Schwertschnittwun<strong>den</strong> ließ ich unter / <strong>den</strong> Fliehen<strong>den</strong> brennen. 39410.2 Verkr – Symptom und KrankheitVerkr ist das häufigste Wort für Schmerz in der untersuchten Sagaliteratur. In allenfür di<strong>es</strong>e Arbeit benutzten Wörterbüchern wird <strong>es</strong> mit Schmerz oder verwandtenBegriffen übersetzt. 395 Wie jedoch im folgen<strong>den</strong> dargelegt wird, handelt <strong>es</strong> sich beiverkr auch um eine recht häufige Bezeichnung für Wundinfektionen. Das Prinzip ist<strong>aus</strong> dem Bereich der Augenkrankheiten bekannt: vor der Einführung vonKrankheitsnamen orientierte man sich in terminologischen Fragen an <strong>den</strong>Begleitsymptomen. Infolged<strong>es</strong>sen steht augnaverkr (Augenschmerz) generell für allemöglichen Augenkrankheiten. 396 Im deutschen Sprachgebrauch ist Ähnlich<strong>es</strong> zubeobachten. Husten kann gleichermaßen eine eigenständige Krankheit (i.d.R.Bronchitis) bezeichnen als auch <strong>den</strong> Vorgang selbst (z.B. wenn man sich393 „[…] oc þæir sarer miok Finnr oc Þorbergr.” Olafs saga hins helga, 88 (Johnsen 1922)394 Landnámabók (Melabók) (Finnur Jónsson 1921), 87: […] / eggskeindar let eg undir / obi<strong>den</strong>dumsuijda.395 Baetke 1993 [SSAWL 111]; Ásgeir Blöndal Magnússon 1989; Cleasby & Guðbrandur Vigfússon1957; De Vri<strong>es</strong> 1977; Fritzner 1973; Alexander Jóhann<strong>es</strong>son 1956; Heggstad, Hødnebø & Simensen1975.396 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (5), 5.127


„verschluckt“ hat). Mit verkr verhält <strong>es</strong> sich ebenso. Es kann Symptom undKrankheitsname zugleich sein. Di<strong>es</strong> soll an einigen Beispielen genauer <strong>aus</strong>geführtwer<strong>den</strong>.Eine der bekannt<strong>es</strong>ten Schilderungen von Wundinfektionen findet sich in der Grettissaga Ásmundarsonar: Der geächtete Grettir befindet sich zusammen mit seinemBruder Illugi und dem Knecht Glaumr auf der Insel Drangey. Sie ernähren sich von<strong>den</strong> dort wei<strong>den</strong><strong>den</strong> Schafen der Bauern. Distriktshäuptling Þorbjôrn versucht mitallen Mitteln, <strong>den</strong> ungebetenen Gast loszuwer<strong>den</strong>. Als alle konventionellenMöglichkeiten <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chöpft sind, wendet er sich an seine Ziehmutter, die HexeÞuríðr. Grettir ahnt, daß von ihr große Gefahr <strong>aus</strong>geht: „[…]; und das weiß ich, daßmir von ihr und <strong>aus</strong> ihrer Zauberkunst Schlecht<strong>es</strong> erwachsen wird.“ 397 Sie schicktihm eine Zauberkrankheit, indem sie magische Runen in ein Stück Treibholz ritzt:„[…]; dann nahm sie ihr M<strong>es</strong>ser und ritzte Runen in die Wurzel und rötete sie mitihrem Blut und sprach einen Zauberspruch darüber.” 398 Als Grettir <strong>es</strong> am Strand derInsel findet, spürt er instinktiv, daß Gefahr im Verzug ist. 399 Zwar wirft er <strong>es</strong> insMeer zurück, erkennt <strong>es</strong> aber nicht wieder, als <strong>es</strong> der Knecht Glúmr am nächsten Tagerneut findet und zum Feuerholz legt. Als Grettir <strong>es</strong> mit der Axt spalten will, rutschter ab und hackt sich ins Bein:Und im selben Augenblick als die Axt das Holz berührte, drehte sie sich so,daß sie flach auftraf und prallte vom Holz ab und ins rechte Bein Grettirsoberhalb d<strong>es</strong> Kni<strong>es</strong> und so, daß sie im Knochen steckte und das war einegroße Wunde. 400Illugi versorgt die Wunde und die Heilung verläuft zunächst äußerst positiv. Explizitwird darauf hingewi<strong>es</strong>en, daß Grettir zu di<strong>es</strong>em Zeitpunkt keine Schmerzen verspürt.Dabei ist die Axt mit solcher Wucht ins Bein eingedrungen, daß sie im Knochen397 […]; ok þat veit ek, at af henni ok hennar fjôlkynngi leiðir mér nôkkut illt. Grettis sagaÁsmundarsonar, 248 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).398 […]; síðan tók hon kníf sinn ok reist rúnar á rótinni ok rauð í blóði sínu ok kvað yfir galdra. Grettissaga Ásmundarsonar, 250 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).399 Grettir stieß mit dem Fuß dagegen und sprach: „schlecht<strong>es</strong> Holz und von einem bösen Menscheng<strong>es</strong>andt und wir wollen uns ander<strong>es</strong> Feuerholz suchen“ und warf <strong>es</strong> aufs Meer hin<strong>aus</strong> und bat Illugisich zu hüten, <strong>es</strong> nach H<strong>aus</strong>e zu tragen „weil <strong>es</strong> zu unserem Unheil g<strong>es</strong>chickt wurde.“ (Grettir spyrndivið fœti sínum ok mælti: „Illt tré ok af illum sent, ok skulu vit annan eldivið hafa,” ok kastaði út á sjá,ok bað hann Illuga varask at bera þat heim, - „því at þat er sent okkr til óheilla.”). Grettis sagaÁsmundarsonar, 250 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).400 Ok jafnskjótt sem øxin kom við tréit, snerisk hon flôt ok stôkk af trénu ok á fót Grettis inn hœgrafyrir ofan kné, ok svá at stóð í beini, ok var þat sár mikit. Grettis saga Ásmundarsonar, 251 (GuðniJónsson 1936 [ÍF 7]).128


steckt. Die Knochenhaut ist ungemein schmerzempfindlich und <strong>es</strong> ist kaumvorstellbar, daß Grettir keinen Schmerz verspürt:Dann verband Illugi die leichte Wunde Grettirs und <strong>es</strong> blutete wenig undGrettir schlief gut in der Nacht und so vergingen drei Nächte, daß keinSchmerz in die Wunde kam; und als sie <strong>den</strong> Verband lösten, hatte sich dieWunde zusammengezogen, so daß sie fast verheilt war. 401Einen Anhaltspunkt auf <strong>den</strong> Infektionscharakter von verkr liefert die Wortwahl: <strong>es</strong>kommt kein Schmerz in die Wunde. Dabei gibt <strong>es</strong> doch nur zwei Möglichkeiten:entweder die Wunde schmerzt, oder sie schmerzt nicht. Nur eine Infektion kann indie Wunde kommen, was nach dreitägiger Inkubationszeit auch der Fall ist. In dervierten Nacht bekommt Grettir doch noch Schmerzen im Wundgebiet, was beweist,daß er der Schmerzempfindung fähig ist:Nun legen sie sich am Abend nieder. Und gegen Mitternacht wälzte sichGrettir unruhig im Schlaf heftig hin und her. Illugi fragte, warum er sounruhig sei. Grettir sagt, daß ihm das Bein weh täte – „und mir scheint, alshätte sich die Farbe verändert.” Sie machten da Licht. Und als geleuchtetwurde, erschien das Bein ang<strong>es</strong>chwollen und dunkelblau und die Wunde hatt<strong>es</strong>ich geöffnet und sah viel schlimmer <strong>aus</strong> als zu Beginn. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> wurde vongroßem Schmerz begleitet, so daß er <strong>es</strong> in keiner Weise still ertragen konnteund er konnte nicht schlafen. Da sprach Grettir: „Wir sollten uns daraufvorbereiten, daß di<strong>es</strong>e Krankheit, die ich bekommen habe, nicht von alleineverschwin<strong>den</strong> wird, weil das Zauberei ist und die Alte will hierdurch <strong>den</strong>Steinschlag rächen.” 402Das in di<strong>es</strong>er Stelle genannte verkr bezieht sich auf Schmerz als Symptom imRahmen der Entzündung. Es wer<strong>den</strong> insg<strong>es</strong>amt drei klassische Zeichen derEntzündung genannt: dolor, rubor, tumor. 403 Grettirs Zustand verschlechtert sichkontinuierlich, so daß er gegen Ende der zweiten Woche dem Tode nahe ist:Der Schmerz in der Wunde begann sich zu verschlimmern, so daß dasg<strong>es</strong>amte Bein anschwoll und der Oberschenkel begann sich nach oben und401 Þá tók Illugi ok batt um skeinu Grettis, ok blœddi lítt, ok svaf Grettir vel um nóttina, ok svá liðuþrjár nætr, at engi kom verkr í sárit; en er þeir leystu til, var skeinan saman hlaupin, svá at náliga vargróin. Grettis saga Ásmundarsonar, 251 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).402 Nú leggjask þeir niðr um kveldit. Ok er kom at miðri nótt, brauzk Grettir um fast. Illugi spurði, hvíhann væri svá ókyrr. Grettir segir, at honum gerðisk illt í fœtinum, - „ok þœtti mér líkara, at nôkkutlitbrigði væri á.“ Kveikðu þeir þá ljós. Ok er til var leyst, sýndisk fótrinn blásinn ok kolblár, en sáritvar hlaupit í sundr ok miklu illiligra en í fyrstu. Þar fylgði mikill verkr, svá at hann mátti hvergi kyrrþola, ok eigi kom honum svefn á auga. Þá mælti Grettir: „Svá skulu vér við búask, sem krankleikiþ<strong>es</strong>si, sem ek hefi fengit, mun eigi til einskis gera, því at þetta eru gørningar, ok mun kerling ætla athefna steinshôggsins.“ Grettis saga Ásmundarsonar, 252 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).403 Die vier Kardinalsymptome der Entzündung wur<strong>den</strong> von Celsus (30 v. Chr.) f<strong>es</strong>tgelegt und sindauch heute noch gültig: Rubor (Rötung), Calor (Wärme), Dolor (Schmerz), Tumor (G<strong>es</strong>chwulst). Alsfünft<strong>es</strong> Symptom definierte Virchow (1858) Funktio la<strong>es</strong>ia (Funktionsstörung). Aus: Riede &Schaefer 1993, 209 f.129


unten zu entzün<strong>den</strong> und die Wunde brach auf, so daß Grettir dem Tode nahewar. 404Hier bezeichnet verkr die Krankheit als Ganz<strong>es</strong>. Es ist der Name der stattfin<strong>den</strong><strong>den</strong>Wundinfektion. Das ergibt sich eindeutig <strong>aus</strong> der k<strong>aus</strong>alen Verknüpfung zwischenSchmerz und Schwellung. Ein Symptom ist stets die Folge einer Erkrankung, aberniemals ein<strong>es</strong> anderen Symptoms. Wenn also blástr die Folge von verkr ist, dannmuß <strong>es</strong> sich bei verkr um eine Krankheit handeln. Die Auswertung andererTextstellen kommt zu demselben Ergebnis. Oft wird das Auftreten der Infektion mitdem formelhaften at ljósta/slá í verkjum kenntlich gemacht. In der Sverris sagaerhält Nicolas von V<strong>es</strong>tn<strong>es</strong> eine Wunde am Kopf, die sich entzündet und zum Todeführt:Nicolas wurde verwundet. Er wurde vorne in <strong>den</strong> Stahlhelm g<strong>es</strong>chossen undder Schuß ging hindurch. Es war eine augenscheinlich kleine Wunde. […]Nicolas von V<strong>es</strong>tn<strong>es</strong> ließ seine Wunde nicht versorgen und fand sie nichtweiter bedeutsam und ging damit ba<strong>den</strong>. Da begann sie plötzlich zuschmerzen und er lag nur eine kurze Zeit bis er starb. Das war ein großerMannscha<strong>den</strong>. 405Die Wunde entwickelt sich nach oben g<strong>es</strong>childertem Muster. Nach zunächstsymptomlosem Verlauf manif<strong>es</strong>tiert sich nach einer gewissen Inkubationszeit eineInfektion (verkr), an der er verstirbt. Das Symptom Schmerz gibt demKrankheitsg<strong>es</strong>chehen seinen Namen. Noch deutlicher wird di<strong>es</strong> in der„Legendarischen“ Óláfs saga. Bannerträger Þórðr Folason erhält eineFingerverletzung, die ihm <strong>den</strong> Finger mehr oder weniger amputiert. Erst am drittenTag beachtet er die Wunde überhaupt. Grund: sie fängt an zu schmerzen:Þórðr Folason wurde auch am Finger verwundet und der war dort fast ganzabg<strong>es</strong>chlagen, wo er auf der Fahnenstange gelegen hatte. Am dritten Tagschenkte er der Wunde Beachtung; der Finger beginnt nun so zu schmerzen,daß er <strong>es</strong> kaum ertragen kann. Da erschien ihm König Olaf und tadelte ihnwegen seiner Eigensinnigkeit und seiner Achtlosigkeit. Dann stieß er <strong>den</strong>Finger an seine Stelle und so hart, daß <strong>es</strong> ihm sehr weh tat. Und als ererwachte, war er geheilt. 406404 Verkrinn tók að vaxa í skeinunni, svá at blés upp allan fótinn, ok lærit tók þá at grafa bæði uppi okniðri, ok snerisk um allt sárit, svá at Grettir gerðisk banvænn. Grettis saga Ásmundarsonar, 255(Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).405 Nicolas varþ úaR hann var úcotinn í útálhúfuna framan oc gecc ígegnum iN. þótti þat úár litit at úia.[…] Nicolas af Veútneúi let ecki varð-veita úar úitt oc þotti litilú um vert oc for i bað með. þa lÃút iverkiom oc la hann litla hriþ aþr en hann andaðiz. var þat mikill maNúcaði. Sverris saga, 148 f.(Indrebø 1920).406 þo¨ð¨ fola|úon varð oc úar a fíngrõ oc næúta af hoguõt þar úem a la mærkõútongenne. Æftõr þrõðõa ãaggaf hann gaum at. líútr nu õværk úva at hann fær var|la þolat. þa võtraðezk hanum Olafr konongr oc130


„[…], lystr nu i værk sva at hann fær varla þolat” verdeutlicht, daß das Symptomgleichzeitig als Krankheitsname fungiert. Nach drei Tagen Inkubationszeit bricht dieEntzündung <strong>aus</strong> und schmerzt ihn so sehr, daß er <strong>es</strong> kaum ertragen kann.Ähnlich ergeht <strong>es</strong> Jón in der Íslendinga saga, der ebenfalls nicht auf seine Wundeachtet und an einer Infektion verstirbt:Die Schwager Jón und Gizurr verbrachten Weihnachten beim König wieandere Angehörige d<strong>es</strong> königlichen Gefolg<strong>es</strong>. Und sie gingen am Hof d<strong>es</strong>Königs auf G<strong>es</strong>ellschaften. Ein<strong>es</strong> Abends um Lichtmeß kamen die Schwagervon einem F<strong>es</strong>t und waren sehr betrunken und <strong>es</strong> war dunkel auf demSchlafbo<strong>den</strong> und die Betten waren nicht gemacht. Und als Licht gebrachtwurde, wurde Jón böse und herrschte die Diener an. Óláfr legte ein Wort fürsie ein; aber Jón nahm eine Latte und schlug nach Óláfr, aber Gizurr ergreiftJón und hält ihn f<strong>es</strong>t. Da bekam Óláfr eine Handaxt zu fassen und hieb Jóndamit auf <strong>den</strong> Kopf. Dem Aussehen nach war das keine große Wunde. Jóndrehte sich heftig um und fragte, warum Gizurr ihn wärhend d<strong>es</strong> Hiebsf<strong>es</strong>thielt. Jón wurde fuchsteufelswild und fragte, wie Gizurr ihn f<strong>es</strong>thaltenkönne, während er angegriffen würde. Óláfr flüchtete vom Schlafbo<strong>den</strong> unddie Falltür fiel zu. Gizurr fiel zuerst auf die Falltür. Und als er bemerkte, daßJón verletzt war, da liefen sie beide vom Schlafbo<strong>den</strong> ihm hinterher; aberÓláfr war schon in rabenschwarzer Nacht verschwun<strong>den</strong>. Sie kehrten um zumSchlafbo<strong>den</strong> und verban<strong>den</strong> die Wunde; Jón machte wenig Aufhebens darumund war auf <strong>den</strong> Beinen. Am nächsten Morgen suchten sie nach Óláfr, fan<strong>den</strong>ihn aber nicht. Jón gab wenig auf sich acht, ging ins Bad und trank daheimzuerst. Da begann die Wunde zu schmerzen und er legte sich nieder. AnAgn<strong>es</strong>m<strong>es</strong>se starb er […]. 407Die Beispiele verdeutlichen, welch Stellenwert sorgfältiger Wundversorgungzukommt. Jón, Þórðr und Nicolas gehen schlampig mit ihren Verletzungen um,wodurch eine Wundinfektion hervorgerufen wird. Offenbar waren sich die Isländerd<strong>es</strong> Mittelalters ein<strong>es</strong> Zusammenhang<strong>es</strong> zwischen Sauberkeit im Wundbereich undder Infektionsrate bewußt. Aus di<strong>es</strong>em Grund wird in <strong>den</strong> Sagas immer wieder aufdie penible Wundversorgung hingewi<strong>es</strong>en, z.B.:avõtaðe hann um þralínãõ oc um o gaum gõæfð. Sõðan útakc hann fngrõnu õútað úõnn Oc úva hart athanum varð õllt võð útorom. Oc er hann vaknaðe, var hann hæõll orðenn. Olafs saga hins helga, 89(Johnsen 1922).407 Þeir Ion ok Gizvrr magar voro með konungi vm iol sem aðrir skvtilssveinar. Enn siþan gengv þeir ihivkolf aa konungs-garði. Þat var eitt kuelld nær Geisla-degi, er þeir magar komo or hivkolfinvm ocvoro mi¹k drvknir; oc var myrkt i loptino, ok ekki vpp gervar hvilvr. Enn er vpp kom liosit, var Ionilla stilltr ok aa-mælti þionosto-monnum. Hann Olafr skavt orði firir þa; enn Ion tok skiðv oc slo tilOlafs, enn Gizvrr tekr Ion ok helldr honum. Þa fekk Olafr hand-Äxi ok hio i havfvð Ione; varþ þat ekkimikit sar aa synðvm. Hann Ion braz við hart ok spvrði, hvi Gizvrr hellði honvm vndir hÄgg. Olafr liopor loptino, ok fell aptr hlemr. Gizvrr fell aa lemminn fyrst; enn er hann visse, at Ion var sarr, þa liopvþeir baðir or loptinu eptir honum; enn Olafr var þa vnnðan borinn, en niðmyrkr aa. Snero þeir þa aptr iloptit oc bvndv vm sarit; let Ion litt ifir oc var aa fotvm. Leitvðv þeir eptir Olafi of morgininn ok fengvhann eigi vpp spurðan. Ion geymði sin litt, for i bað ok drakk inni first. Slo þa i verkivm, ok lagðihann niðr. Hann andaðiz Agn<strong>es</strong>ar-m<strong>es</strong>so […]. Íslendinga saga, 422 f. (Kålund 1906-1911 (1)).131


Sie verbin<strong>den</strong> nun ihre Wun<strong>den</strong> und schlafen die Nacht über. 408Da bat Hákon darum, daß die Wunde Ögmundrs verbun<strong>den</strong> würde, […]. 409Dann wur<strong>den</strong> die Wun<strong>den</strong> von Egill und seinen Leuten verbun<strong>den</strong>. 410[…]; sie ritten die kleine Bucht hinauf und verban<strong>den</strong> ihre Wun<strong>den</strong> in einerEinhegung, die Korngarðr heißt. 411[…]; und als er dorthin kam, da verband er alle seine Wun<strong>den</strong>. 412Sveinbjörn verbindet ihre Wun<strong>den</strong> und lädt sie ein, dort eine Weile zubleiben. 413Machmal lassen sich Infektionen jedoch trotz b<strong>es</strong>ter Pflege nicht verhindern:[…] Guðbjörg und die Jungen wen<strong>den</strong> sich gegen Einarr. Guðbjörg ergriffmit bei<strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> seine Kutte und hielt ihn von hinten f<strong>es</strong>t, und die Jungenhieben dann beide nach ihm. Der eine Schlag traf ihn am Kopf oberhalb d<strong>es</strong>Ohr<strong>es</strong> und der andere an der Wange und <strong>es</strong> sah nach mehr <strong>aus</strong> als <strong>es</strong> war.Daraufhin liefen Leute hinzu und die Jungen davon. […] Einarr lagverwundet und der Pri<strong>es</strong>ter Helgi Skeljungsson verarztete ihn. Zuerst heiltendie Wun<strong>den</strong>. Aber kurz vor der Weihnachtsfastenzeit begannen sie zuschmerzen und rissen wieder auf. Er starb zwei Nächte nach derMagnúsm<strong>es</strong>se. 414Das Textbeispiel zeigt, daß Wundinfektionen auch als Spätkomplikation auftretenkönnen. In der Gull-Þóris saga stellt sich verkr sogar erst im Winter nach derVerletzung ein:Am Tag danach begab sich Steinólfr nach H<strong>aus</strong>e nach Sü<strong>den</strong> ins Fagradalund lag <strong>den</strong> Herbst über lange verwundet und seine Wun<strong>den</strong> heilten nur408 Binda þeir nú sár sín og sofa af náttina. SvarfdÍla saga, 1785 f. (Jónas Kristjánsson 1956 [ÍF 9]).409 Þa baud Hacon at binða sar Ogmundar, […]. Guðmundar saga dýra, 179 (Kålund 1906-1911 (1)).410 […]; váru þá bundin sár þeira Egils. Egils saga, 238 (Sigurður Nordal 1933 [ÍF 2]).411 […]; þeir riðu upp með váginum ok bundu sár sín undir stakkgarði þeim, er Korngarðr heitir.Eyrbyggja saga, 36 (Einar Ól. Sveinsson & Matthías Þórðarson 1935 [ÍF 4]).412 […], en er hann kom þangat, þá batt hann sár hans ôll, […]. Heimskringla (3), Haraldssona saga,336 (Bjarni Aðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).413 Bindr Sveinbjörn um sár þeira ok býðr þeim þar at vera nökkura hríð […]. Arons saga, 457 f. (JónJóhann<strong>es</strong>son, Magnús Finnbogason & Kristján Eldjárn 1946).414 […] Gvdbiorg oc svinarnir snva at Einari. Toc Gvdbiorg tveim hondvm i kapvna oc hellt honum abaci, enn sveinarnir hioggv til hans badir senn. Com annat hoggit i hofuðit fyrir ofan eyra, enn annat akinnina, oc var þat meira asyndvm. Eptir þat liopv menn til, en sveinarnir i brot. […] Einarr la isarvm, oc var Helgi pr<strong>es</strong>tr Scelivngs son at græða hann. Grero fyst [sic!] sarin. Enn fyrir iola-fostv sloi verkiom, oc rifnoðv aptr sarin. Hann andaþiz II nottvm eptir Magnus m<strong>es</strong>so. Íslendinga saga, 2(Kålund 1906-1911 (1)).132


langsam. Und im Winter bekam er verkr und die bereits verheilten Wun<strong>den</strong>rissen wieder auf und er starb an di<strong>es</strong>en Wun<strong>den</strong>. 415Menschenbisse bergen ein b<strong>es</strong>onders hoh<strong>es</strong> Infektionsrisiko. 416Das muß auchSigurðr erfahren, der in der Orkneyinga saga seinen Widersacher Melbrikta tötet undd<strong>es</strong>sen Kopf am Sattel sein<strong>es</strong> Pferd<strong>es</strong> bef<strong>es</strong>tigt. Als er losreitet, verletzt er sich aneinem von Melbriktas Zähnen. Die Wunde entzündet sich mit verkr und Schwellung,woran Sigurðr schließlich stirbt:Und als sie unterwegs waren, da wollte Sigurðr sein Pferd mit <strong>den</strong> Füßenanspornen, und er stößt sich die Wade an dem Zahn, der <strong>aus</strong> Melbriktas Kopfhervorragte und verletzte sich. Und in di<strong>es</strong>e Wunde kamen verkr undSchwellung und daran verstarb er. 417Ebenfalls in di<strong>es</strong>em Beispiel läßt sich auf eine gewisse Inkubationszeit schließen,weil die Schwellung zu ihrer Ausbildung Zeit benötigt.Auch in <strong>den</strong> Byskupasögur fin<strong>den</strong> sich Beispiele zu Wundinfektionen:1) Di<strong>es</strong>er Vorfall ereignete sich in Hofstaðir im Reykjadal, daß ein Junge einderartig<strong>es</strong> Beinlei<strong>den</strong> bekam, daß verkr in die Wade kam, so daß dasFleisch verw<strong>es</strong>te und eine Wunde mit einem großen Loch entstand, so daßkeine ärztliche Behandlung durchgeführt wer<strong>den</strong> konnte, weil der Jungebrüllte, sobald jemand <strong>den</strong> Scha<strong>den</strong> berührte. 4182) Die Wunde war da so tief und so groß, daß man die Handkante ein<strong>es</strong>Mann<strong>es</strong> hineinstecken konnte. Danach wurde ein Verband angelegt undnachdem drei Nächte vorbei waren, war die Wunde abg<strong>es</strong>chwollen undheilte von Tag zu Tag, so daß all<strong>es</strong> innerhalb ein<strong>es</strong> Monats verheilt warund weder verkr noch Schwellung kamen hinein. 419415 Um daginn eptir fór Steinólfr heim suðr til Fagradals ok lá lengi í sárum um h<strong>aus</strong>tit ok greri seint.En um vetrinn sló í verk, ok rifnuðu aptr, þá er gróin váru, ok dó hann af þeim sárum. Gull-Þórissaga, 223 (Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).416 Berchtold & al. 1994, 218.417 Ok er þeir váru á leið komnir, þá vildi Sigurðr keyra h<strong>es</strong>tinn við fœti sínum, ok lýstr hannkálfanum á tônnina, er skagði ór hôfði Melbrikta, ok skeindiskt. Ok í þat sár l<strong>aus</strong>t verkjum ok þrota,ok leiddi hann þat til bana; […]. Orkneyinga saga, 7 f. (Sigurður Nordal 1913-1916 [STUAGNL 40]).418 Sa atburdur vard a Hofstödum j Reykja dal, ad sueinn nockur tok þ<strong>es</strong>s hattar fotar mein ad verk slöj kalfann so ad holldid fvnadi, og stod särid med störum holum, so ad ecki matti adgiordum vidkoma,þuiat sueirninn æpti þegar menn hofdu hendur ad meyninu, […]. Þorláks saga C, 352 (Jón Helgason1938-1978 [EA A 13]).419 var þa úªrit sua diupt ok mikit at úetia mátti i nidr handar iadar manz. Sidan var vm bundit. ok eptirííý. ntr lidnar. var úªrit þrota lauút. ok batnadi sua úidan dag fra deghi. at med ollu var hæillt innanhalfs manadar ok kom huarki i þroti ne verkr. Þorláks saga C, 370 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A13]).133


Bei dem Jungen wird eine schmerzhafte, nekrotisierende Entzündung b<strong>es</strong>chrieben,deren Name verkr lautet. 420 Die zweite Passage b<strong>es</strong>chreibt eine Wundheilung, bei derzwei gefürchtete Komplikationen <strong>aus</strong>bleiben: verkr und þroti.Grettirs Wundinfektion zeigt alle Zeichen ein<strong>es</strong> Krankheitsg<strong>es</strong>chehens durchanaerobe Keime. Der Verletzungstyp bildet <strong>den</strong> idealen Nährbo<strong>den</strong> für di<strong>es</strong>e Erreger,da die tiefe, zunächst gut verheilende Schnittverletzung für schlecht belüfteteWundverhältnisse sorgt. Nach kurzer Inkubationszeit (1-3 Tagen) kommt <strong>es</strong> bei der„gashaltigen Phlegmone“ zu einer „feuchte[n], gangränöse[n] Entzündung, mitfaulig-süßlichem Geruch und grau-grüner bis schwarzer Verfärbung.“ 421 Hinzu treten„toxische Allgemeinsymptome“, 422 wie hoh<strong>es</strong> Fieber als Zeichen einer Sepsis. 423Sigurður Samúelsson sieht im Multiorganversagen der Sepsis GrettirsTod<strong>es</strong>ursache. 424 Zu <strong>den</strong> anaeroben Wundinfektionen zählt auch der gefürchtete„Gasbrand“ (syn. „Gasödem“). Während für die Phlegmone Staphylokokken,Streptokokken, Koli-, Proteus-, oder Typhuskeimen verantwortlich sind, wird dasGasödem durch Clostridium perfringens verursacht. 425 Es ist eine eher selteneErkrankung und läßt sich klinisch nur schwer von der gashaltigen Phlegmoneunterschei<strong>den</strong>. Der Krankheitsverlauf ist dramatisch mit letalem Ausgang binnenweniger Tage. Grettirs zweiwöchige Krankheit spräche also eher dagegen. Das in derGrettis saga Ásmundarsonar b<strong>es</strong>chriebene Ödem wird bei Berchtold nur für <strong>den</strong>Gasbrand als Symptom genannt. Da Schwellung jedoch zu einem der klassischenvier Entzündungszeichen zählt, wird auch bei der Phlegmone ein gewiss<strong>es</strong>Anschwellen der Wunde zu beobachten sein. Die Symptomatik d<strong>es</strong> Gasbrand<strong>es</strong>gemäß Lehrbuch der Chirurgie zeigt erstaunliche Parallelen mit der B<strong>es</strong>chreibungvon Grettirs Wunde in der Saga:420 Sigurður Samúelsson diagnostiziert eine Entzündung im Sinne ein<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chwürs (SigurðurSamúelsson 1998, 144). Zum Ausdruck verkr bezieht er keine Stellung.421 Berchtold & al. 1994, 193.422 Berchtold & al. 1994, 193.423 Bei einer Sepsis („Blutvergiftung“) kommt <strong>es</strong> durch ein lokal<strong>es</strong> Entzündungsg<strong>es</strong>chehen zumEintritt von Erregern in die Blutbahn. Bei hoher Virulenz der Keime und/oder g<strong>es</strong>chwächterAbwehrlage d<strong>es</strong> Organismus entwickelt sich das Bild einer Sepsis mit schwerenAllgemeinsymptomen wie hohem Fieber, Schüttelfrost, Herzrasen und erhöhter Atemfrequenz.Unbehandelt führt die Sepsis über Organschädigungen, Gerinnungsstörungen mit nachfolgendemseptischen Schock zum Tode. Quelle: Berchtold & al. 1994, 187.424 Sigurður Samúelsson 1998, 148.425 Berchtold & al. 1994, 195.134


Lokal kommt <strong>es</strong> zur schmerzhaften, ödematösen Schwellung der Wunde undd<strong>es</strong> Wundgebiet<strong>es</strong> mit violett-schwarzer Verfärbung der Haut […]. Aus derWunde entleert sich übelriechend<strong>es</strong>, fleischwasserfaben<strong>es</strong> Sekret. DieMuskulatur siehtwie gekocht <strong>aus</strong>Abbildung 11: Gasödemund beim Betastend<strong>es</strong> Geweb<strong>es</strong> findetsich dascharakteristischeKnistern der Gasblasen.Der Infektschreitet in derRegel foudroyantvon distal nachproximal fort.Zusätzlich fin<strong>den</strong>sich <strong>aus</strong>geprägteAllgemeinsymptomemit raschemkörperlichen Verfalldurch dieIntoxikation. 426Quelle: Berchtold & al. 1994, 194.Abdruck mit freundlicher Genehmigung d<strong>es</strong> Verlag<strong>es</strong> Urban-Fischer.Zum Vergleich: Grettir hat eine stark g<strong>es</strong>chwollene, schmerzhafte Wunde mitschwarz-blauer Verfärbung der umgeben<strong>den</strong> Haut. Die Wunde selbst istaufg<strong>es</strong>prungen und aufgequollen. Bei seinem Tod hat sich die Entzündung bis inskleine Becken „gegraben“ also von distal nach proximal („[…]; var lærit allt grafitupp at smáþôrmum“). 427 Die Allgemeinsymptome sind die einer Sepsis und nichtvon einer Phlegmone zu unterschei<strong>den</strong>. Am Ende der zweiten Woche ist Grettir„banvænn“ (= dem Tode nahe“). 428Daß <strong>es</strong> sich bei verkr immer um eine Wundinfektion mit Anaerobiern handelt, istwohl eher zweifelhaft. Di<strong>es</strong>e spezielle Variante findet sich zwar allem Anschein nachbei Grettir, läßt sich aber aufgrund fehlender Angaben in <strong>den</strong> übrigen Quellen nichtverallgemeinern. Sicher ist hingegen, daß verkr eine Wundinfektion darstellt, die oftin das Bild einer Sepsis einmündet und dadurch zum Tode führt.Daß <strong>es</strong> sich bei verkr um eine Bezeichnung für Infektionen handelt, erfährt weitereUnterstützung in <strong>den</strong> volkssprachlichen norwegischen und dänischenKrankheitsnamen. Im Norwegischen steht verk nicht nur für Schmerz, sondern auchfür Wundinfektionen:426 Berchtold & al. 1994, 194.427 Grettis saga Ásmundarsonar (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]), 261.135


Es brauchte lange Zeit, bevor die Ärzte sich darüber klar wur<strong>den</strong>, daß diekleinen Läsionen und Wun<strong>den</strong> wichtige Krankheitsursachen darstellenkönnen, indem Krankheitserreger über die Haut hineingelangen, […]. Manhat her<strong>aus</strong>gefun<strong>den</strong>, daß ein Stich, ein Riß oder eine kleine Wunde eineEntzündung in der Haut und im darunterliegen<strong>den</strong> Gewebe, „zwischenFleisch und Haut“ hervorrufen kann und sich auf Muskeln, Sehnen undKnochen <strong>aus</strong>breiten kann. Sie [die Wunde] schwillt an und wenn sich derProzeß über ein größer<strong>es</strong> Gebiet erstreckt, wird er zu einem verk. Beginnt er„bis zum Eiter anzuschwellen“, „bis zu Eiter zu schmerzen“ oder „zumG<strong>es</strong>chwür“, entwickelt er sich zu dem, was byld, kaun, svull oder kveise mitEiter drin genannt wird. Das Gewebe in der Mitte wird in der Folge absterbenund das nekrotische Gewebe zum Schluß abg<strong>es</strong>toßen. Di<strong>es</strong>en Zapfen nanntendie Alten kveisunagli, knôttr oder hella. 429Gemäß di<strong>es</strong>er Definition unterschei<strong>den</strong> sich verk und byld in der lokalenAusbreitung. Bei byld handelt <strong>es</strong> sich im Sinne ein<strong>es</strong> Abszeß<strong>es</strong>, Furunkels,Karbunkels um ein weitgehend lokal begrenzt<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chehen mit Eiterbildung. Verkbreitet sich hingegen ungehindert im Körper <strong>aus</strong>, wie am Beispiel Grettirseindrucksvoll darg<strong>es</strong>tellt wird.In Reichborn-Kjenneruds Auflistung altnordischer Äquivalente für byld und verk istverkr nicht verzeichnet:Die Krankheitsnamen für G<strong>es</strong>chwüre und verk in unserer Zeit sind zu einemGroßteil seit der Sagazeit bekannt: þroti, kaun, sullr, kveisa, kýli, währendboldi zuerst in <strong>den</strong> alten Büchern der Heilkunde auftaucht. 430Aus <strong>den</strong> im Rahmen di<strong>es</strong>er Untersuchung vorgelegten Ergebnissen geht jedochhervor, daß Reichborn-Kjenneruds verk seine Entsprechung im verkr derSagaliteratur findet.Fritzner kennt für verkr zwar nur Begriffe <strong>aus</strong> dem Umfeld d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>, aberkveisa übersetzt er mit: „Byld, Værk.” In di<strong>es</strong>em Zusammenhang verweist er auf dievolksmedizinische Vorstellung, ein Wurm habe sich an der Stelle d<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chwürs insFleisch eingegraben:428 Grettis saga Ásmundarsonar (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]), 255.429 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 139 f: ”Det tok lang tid før lægene blev klar over at de smål<strong>es</strong>joner og sår kunde bli viktige sykdomsårsaker ved å slippe sykdomsstoff inn gjennem hu<strong>den</strong>, […].En har funnet ut at et stikk, en rift eller et lite sår kan volde betendelse i hu<strong>den</strong> og vevene under,„millom hold og skinn”, og bre sig til muskler, sener og ben. Det sveller op, og dersom det går ut overet større område, blir det en v e r k . Tar det til å „svella til vågs”, „verkja til vågs” eller „til svulls”,blir det gjerne til det de kaller b y l d , kaun, svull eller kveise med våg i. Vevet i midten vil da dø bort,og det nekrotiske vev blir til slutt støtt av. Denne tapp kalte de gamle kveisunagli, knôttr eller hella.“430 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 143: „S y k d o m s n a v n e n e for bylder og verk i vår tidhar for en stor del vært kjent si<strong>den</strong> sagati<strong>den</strong> da vi finner: þroti, kaun, sullr, kveisa, kýli, mens boldiførst viser sig i de gamle lægebøker.”136


Da der ved kveisa i Folk<strong>es</strong>proget oftere betegn<strong>es</strong> en Maddik, et Insekt […],har Betydningen: Byld, Værk sandsynligvis sin Grund deri, at man ansaa<strong>den</strong>ne for at være en Følge af, at der havde sat sig en giftig Orm (eitrkveisa) i<strong>den</strong> af Værk angrebne Legemsdel, […]. 431Grøn gibt eine deutsche Übersetzung di<strong>es</strong>er Stelle, unterläßt <strong>es</strong> aber, Værk zuübersetzen:Weil in der Volkssprache öfters mit „kveisa“ eine Made oder ein Insektbezeichnet wird, hat die Bedeutung „G<strong>es</strong>chwür“ wahrscheinlich darin ihreBegründung dass man dasselbe als eine Folge davon betrachtete, dass eingiftiger Wurm („eitrkveisa“) sich in dem angegriffenen Theile d<strong>es</strong> Leib<strong>es</strong>eingenistet hatte. 432Auch im ODS stellt Schmerz die Hauptbedeutung von værk dar. In einer Fußnoteheißt <strong>es</strong> jedoch: „Værk bedeutet in anderen dänischen Provinzen ‚Schwellung’.” 433In einer weiteren Spezialanwendung wird der Begriff auch mit Krankheiten<strong>aus</strong> dem rheumatischen Formenkreis in Verbindung gebracht: „Lei<strong>den</strong>, das mit(b<strong>es</strong>onders: intermittieren<strong>den</strong>) Schmerzen verbun<strong>den</strong> ist; nun b<strong>es</strong>onders bezogen aufGicht(schmerz); Rheumatismus.” 434 Grøn 435 und Reichborn-Kjennerud 436 verweisenebenfalls auf di<strong>es</strong>en Umstand.10.3 Was verstehen die Sagas unter Schmerz?An <strong>den</strong> zuletzt behandelten Textbeispielen läßt sich ein Schmerzverständnis abl<strong>es</strong>en,das nicht mit der heute gängigen Auffassung im Einklang steht. Die F<strong>aus</strong>tregel:Schmerz ist all<strong>es</strong>, was weh tut, scheint zumind<strong>es</strong>t für di<strong>es</strong>e Sagas nicht zuzutreffen.Þórðr Folason verliert zwar fast seinen Finger, kümmert sich aber nicht darum. Erstals sich die Wunde entzündet, hat er auf einmal so starke Schmerzen, daß er <strong>es</strong> kaumertragen kann („[…]; [der Finger] beginnt nun so zu schmerzen, daß er <strong>es</strong> kaumertragen kann.”). 437Da er also augenscheinlich rein physisch in der Lage ist,Schmerz zu empfin<strong>den</strong>, muß er auch etwas gefühlt haben als er verletzt wurde.Di<strong>es</strong>er Verletzungsschmerz verfügt offenbar über eine ganz andere Dimension als431 Fritzner 1973 (2), 368.432 Grøn 1907-1908, 142; siehe auch Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 140 f.433 ODS 1954, 928.: „Værk betyder i andre danske Provindser Hævelse.”434 ODS 1954, 928: „lidelse, der er forbundet m. (især: intermitterende) smerter; nu især omgigt(smerter); reumatisme.”435 Grøn 1907-1908, 505 f.436 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 116 f.437 […]. líútr nu õværk úva at hann fær var|la þolat. Olafs saga hins helga, 89 (Johnsen 1922).137


der Entzündungsschmerz oder der Therapi<strong>es</strong>chmerz, <strong>den</strong> der heilige Óláfr ihmzufügt. Es liegt nahe, daß der Verletzungsschmerz nicht extra genannt zu wer<strong>den</strong>braucht; er ist selbstverständlich vorhan<strong>den</strong>. Ausgedrückt wird di<strong>es</strong> im Wort sár. Wiebereits darg<strong>es</strong>tellt, bedeutet das Substantiv sár ‚Wunde’, während das Adjektiv sárrneben ‚verwundet’ auch mit ‚schmerzhaft’ übersetzt wer<strong>den</strong> kann. Zudem hat sichdie Bedeutung d<strong>es</strong> Substantivs von ‚Schmerz’ zu ‚Wunde’ gewandelt. Es schwingtalso jed<strong>es</strong> Mal unterschwellig Schmerz mit, wenn von einer Wunde die Rede ist.Damit wird seine Erwähnung überflüssig, <strong>den</strong>n, wie Rüttimann im Zusammenhangmit Kriegsverletzungen bemerkt: „Der Schmerz wird gewissermaßen zu einerGegebenheit, als zum Leben gehörig betrachtet.“ 438 Das antike Schmerzverständnisgeht sogar so weit, ihn als zum Ereignis gehörig zu fordern: „Seine Ausschaltunghätte als widersinnig, als sinnlos gelten müssen.“ 439Hier<strong>aus</strong> kann nur g<strong>es</strong>chlossen wer<strong>den</strong>, daß Þórðr <strong>den</strong> obligatorischen Wundschmerznicht als Schmerz im eigentlichen Sinne interpretiert. Die Wunde tut zwar weh, dochdas empfindet er als normal. Es gilt der Verhaltenscodex d<strong>es</strong> nordischenMännlichkeitsideals: „Tja, was soll man machen? Man muß <strong>es</strong> <strong>aus</strong>halten.“ 440In <strong>den</strong> Sagas fin<strong>den</strong> sich zum verletzungsbegleiten<strong>den</strong> Schmerz <strong>den</strong>noch vereinzelteHinweise. Es wurde beispielsweise bereits an anderer Stelle auf folgen<strong>den</strong> Satz <strong>aus</strong>der FóstbrÍðra saga hingewi<strong>es</strong>en: „[…] und <strong>es</strong> <strong>schrie</strong> laut <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Hohlwun<strong>den</strong>, wie<strong>es</strong> die Natur der Wun<strong>den</strong> ist.“ 441 In der Gull-Þóris saga bekommt Þórir im Traum einpaar Handschuhe g<strong>es</strong>chenkt, mit <strong>den</strong>en sich Wundschmerz lindern läßt:Ich werde dir auch Handschuhe geben, wie du sie nicht wieder bekommenwirst, weil deine Leute unverwundbar wer<strong>den</strong>, wenn du sie mit ihnenb<strong>es</strong>treichst. Di<strong>es</strong>e Handschuhe sollst du auch tragen, wenn du die Wun<strong>den</strong>der Leute verbind<strong>es</strong>t und der Schmerz wird dann schnell verschwin<strong>den</strong>. 442Abg<strong>es</strong>ehen davon, daß <strong>es</strong> sich bei di<strong>es</strong>en Zauberhandschuhen um ein phantastisch<strong>es</strong>Element handelt, wird doch deutlich, daß Wun<strong>den</strong> generell mit Schmerzeneinhergehen. Ohne schmerzende Wun<strong>den</strong> gäbe <strong>es</strong> di<strong>es</strong>e Handschuhe wahrscheinlich438 Rüttimann 1987, 153.439 Rüttimann 1987, 154.440 Zborowski 1960, 193.441 […] ok lét hátt í holsárum, sem náttúra er til sáranna. FóstbrÍðra saga, 272 (Björn K. Þórolfsson &Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).442 Eg skal ok gefa þér glófa þá, er þú mant enga fá slíka, því at liði þínu mun óklaksárt verða, ef þústrýkr þeim með. Þ<strong>es</strong>sa glófa skaltu á höndum hafa, þá er þú bindr sár manna, ok man skjótt verk órtaka. Gull-Þóris saga, 184 (Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).138


nicht; ihre Existenz hätte sich erübrigt. Þorbjôrn <strong>aus</strong> der Heiðarvíga saga weißebenfalls, daß Wun<strong>den</strong> schmerzen: „Es ist kein Trolltum, wenn jemand Wun<strong>den</strong>erträgt […].” 443Eine Nachricht wert ist Schmerz erst, wenn Ereignisse außerhalb d<strong>es</strong> Normaleneintreten. Erst als bei Þórðr die Entzündung einsetzt und der heilige Óláfr <strong>den</strong> Fingerzurück an seinen Platz stößt, wird Schmerz zum Thema. Nun sprengt das G<strong>es</strong>chehendie Grenzen d<strong>es</strong> Alltäglichen. Auf der einen Seite bedroht die Wundinfektion seinLeben, <strong>den</strong>n ohne die Möglichkeit zu antibiotischer Therapie ist die Prognoseinf<strong>aus</strong>t. Auf der anderen Seite erscheint ihm König Óláfr. Beid<strong>es</strong> ist angsteinflößendund lenkt die Aufmerksamkeit auf <strong>den</strong> verletzten Finger. 444 Daß <strong>es</strong> hierdurch zu einerSchmerzverstärkung kommen kann, ist erwi<strong>es</strong>en. 445 Anders ließe sich nur schwerlicherklären, warum Óláfrs chiropraktisch<strong>es</strong> Eingreifen schmerzhaft sein sollte, dasVerletzungstrauma inklusive der folgen<strong>den</strong> drei Tage aber nicht.Ähnlich verhält sich Grettir ang<strong>es</strong>ichts seiner Beinwunde. Zwar steckt die Axt imKnochen 446 und <strong>es</strong> ist eine große Wunde, aber er wirkt unbeteiligt. 447 Erst als sich dieInfektion manif<strong>es</strong>tiert, ändert sich die Situation. Der Held und stärkste Mann Islandskann vor Schmerz nicht mehr ruhig liegen und gibt in indirekter Rede zu, unterSchmerzen zu lei<strong>den</strong>: „Grettir sagt, daß ihm das Bein weh täte.“ 448 Im Normalfallwäre eine solche Schmerzreaktion mit dem Hel<strong>den</strong>status unvereinbar. Grettir verliertnur d<strong>es</strong>halb nicht sein G<strong>es</strong>icht, weil die Ursache seiner B<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong> übernatürlicherNatur ist. Er weiß selbst, daß sein Lei<strong>den</strong> auf <strong>den</strong> Zauber von Þuríðr zurückgeht und443 „Eigi er það trollskapr, at maðr þoli sár […].”Heiðarvíga saga, 303 (Sigurður Nordal & GuðniJónsson 1956 [ÍF 3]).444 Wall 1999b, 6: „Anyone who sens<strong>es</strong> an unexpected new pain and do<strong>es</strong> not feel fear is not normal.There is a natural fear of the unknown in all of us and this is coupled with a fear of the consequentfuture.”445 Cousins & Power 1999, 465.446 Und im selben Augenblick als die Axt das Holz berührte, drehte sie sich so, daß sie flach auftrafund prallte vom Holz ab und ins rechte Bein Grettirs oberhalb d<strong>es</strong> Kni<strong>es</strong> und so, daß sie im Knochensteckte und das war eine große Wunde.(Ok jafnskjótt sem øxin kom við tréit, snerisk hon flôt ok stôkk af trénu ok á fót Grettis inn hœgrafyrir ofan kné, ok svá at stóð í beini, ok var þat sár mikit.). Grettis saga, 251 Ásmundarsonar (GuðniJónsson 1936 [ÍF 7]).447 Da betrachtete er das Holz und sprach: „Derjenige erwi<strong>es</strong> sich nun als überlegen, der Schlimmer<strong>es</strong>wollte und das wird nicht das einzige Mal sein. Hierher ist nun dasselbe Holz gekommen, das ich vorzwei Tagen hin<strong>aus</strong>geworfen habe.“(Þá leit hann á tréit ok mælti: „Sá varð nú drjúgari, er verr vildi, ok mun þetta eigi eitt saman fara. Erhér nú komit þat sama tré, sem ek hefi út kastat tvá daga.“). Grettis saga Ásmundarsonar, 251 (GuðniJónsson 1936 [ÍF 7]).139


fühlt gleichzeitig, daß <strong>es</strong> sich bei dem Entzündungsschmerz nicht länger um <strong>den</strong>obligatorischen Wundschmerz handelt, da sich d<strong>es</strong>sen Charakter verändert hat. Auchein Held wie Grettir kann gegen di<strong>es</strong>e übernatürlichen Mächte nichts <strong>aus</strong>richten undist gezwungen, Schmerzverhalten zu zeigen. Hierdurch wer<strong>den</strong> dem L<strong>es</strong>er dieunvorstellbaren Dimensionen di<strong>es</strong><strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> vor Augen geführt, <strong>den</strong>n im Laufeder Saga hat er erfahren, zu welch grandioser Selbstbeherrschung Grettir in SachenSchmerz fähig ist. Unterstrichen wird die Macht d<strong>es</strong> Zaubers durch die gleichzeitigenoptischen Veränderungen der Verletzung. Das Bein ist innerhalb kurzer Zeit starkang<strong>es</strong>chwollen, bl<strong>aus</strong>chwarz verfärbt und die Wunde hat sich geöffnet.10.4 Sinn und dramaturgische Funktion von SchmerzFür Bakan ist die Sinnfrage ein elementarer B<strong>es</strong>tandteil d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>:Der Versuch, das W<strong>es</strong>en d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> zu begreifen, seinen Sinn zu fin<strong>den</strong>,ist schon die Antwort auf <strong>den</strong> Imperativ d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> selbst. Keine andereErfahrung fordert so beharrlich eine Deutung. Der Schmerz erzwingt dieFrage nach seinem Sinn, und b<strong>es</strong>onders nach seiner Ursache, da die Ursacheein wichtiger Teil seiner Bedeutung ist. 449Die Suche nach dem Sinn d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> ist einer der w<strong>es</strong>entlichen Unterschiedezwischen dem heutigen und dem bis ins 17. Jahrhundert gelten<strong>den</strong>Schmerzverständnis. Vor Leibnitz und D<strong>es</strong>cart<strong>es</strong> hatte jeder Schmerz einen Sinn:[…], sinnvoll in der Antike als Ausdruck widernatürlicher Vorgänge, sinnvollspäter als Erbübel, als gottgewollte oder von Gott geduldete Prüfung, Strafe,Plage. 450Mit Aufkommen der Anästh<strong>es</strong>ie „setzte eine kritischere und differenziertere Wertungd<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> ein; <strong>es</strong> fand eine eigentliche Umbewertung statt. Nun konnte <strong>es</strong> auchsinnlosen Schmerz geben, wobei das kein<strong>es</strong>wegs bedeuten soll, aller Schmerz seiohne Sinn.“ 451Jeglicher Schmerz in <strong>den</strong> Sagas gründet sich damit auf einSchmerzverständnis, das ihm einen b<strong>es</strong>timmten Sinn zuweist. Allerdings ist der„Sinn von Schmerz […] zuweilen so eng mit der historisch gewachsenen Kultur, inder er auftritt, verbun<strong>den</strong>, daß er Außenstehen<strong>den</strong> völlig verschlossen bleibt.“ 452448 Grettir segir, at honum gerðisk illt í fœtinum, […]. Grettis saga Ásmundarsonar, 252 (GuðniJónsson 1936 [ÍF 7]).449 Bakan 1968, 57 f.450 Rüttimann 1987, 154.451 Rüttimann 1987, 154.452 Morris 1996, 62 f.140


10.4.1 Schmerz als StrafeIn <strong>den</strong> untersuchten Textpassagen erfüllt Schmerz oft <strong>den</strong> Sinn einer B<strong>es</strong>trafung fürUnachtsamkeit im Umgang mit Wun<strong>den</strong>. Im genannten Beispiel von Þórðr Folasonerscheint der heilige König Óláfr und tadelt seine Nachlässigkeit. DerTherapi<strong>es</strong>chmerz bekommt <strong>den</strong> Charakter einer zusätzlichen B<strong>es</strong>trafung, so als obÓláfr <strong>den</strong> Scha<strong>den</strong> unwillig wieder in Ordnung brächte. Auch Jón (Íslendinga saga)und Nicolas af V<strong>es</strong>tn<strong>es</strong>i (Sverris saga) sterben, weil sie sich nicht um ihre Wun<strong>den</strong>kümmern. Die Botschaft di<strong>es</strong>er Stellen hat stark moralisieren<strong>den</strong> Charakter: „und dieMoral von der G<strong>es</strong>chicht’: vernachlässige deine Wun<strong>den</strong> nicht!“10.4.2 Schmerz als Indikator für LebensgefahrEin Vergleich der Textbeispiele zu verkr läßt eine weitere Funktion von Schmerzzutage treten. Er warnt vor Lebensgefahr. In allen Fällen verläuft die Heilungzunächst unkompliziert, bis sich die Wundinfektion unter heftigen Schmerzenklinisch manif<strong>es</strong>tiert. Die hel<strong>den</strong>hafte Indifferenz der Betroffenen gegenüber Wundeund Schmerz schlägt abrupt in <strong>aus</strong>geprägt<strong>es</strong> Schmerzverhalten um. Jón und Nicolassterben. Wahrscheinlich würde auch Þóðr ihnen in <strong>den</strong> Tod folgen, hätte er nichtB<strong>es</strong>uch vom heiligen Óláfr, der ihn in letzter Sekunde rettet. Aus dramaturgischerSicht ist der Schmerz wichtig. Andernfalls wäre der Tod di<strong>es</strong>er drei Männer nurschwer nachvollziehbar, handelt <strong>es</strong> sich doch um absolut unbedeutende Wun<strong>den</strong>.Daß solche Kratzer g<strong>es</strong>tan<strong>den</strong>e Männer umbringen, muß pl<strong>aus</strong>ibel gemacht wer<strong>den</strong>.Schmerz eignet sich hervorragend für di<strong>es</strong>en Zweck. Er vermittelt, daß etwas nichtstimmen kann, wenn kampf- und leiderprobte Männer auf einmal zusammenbrechenund vor lauter Schmerz nicht mehr ein noch <strong>aus</strong> wissen. Auch bei der schlimmenWunde Grettirs übernimmt Schmerz die Funktion, <strong>den</strong> nahen<strong>den</strong> Tod anzukündigen.Im Laufe der Saga hat Grettir so viel körperlich<strong>es</strong> Leid klaglos über sich ergehenlassen müssen, daß ang<strong>es</strong>ichts der starken Schmerzen klar wird: di<strong>es</strong>mal geht <strong>es</strong> nichtgut <strong>aus</strong>. Ein weiter<strong>es</strong> Beispiel findet sich in der Sturlunga saga. In der Guðmundarsaga dýra erhält Hrafn von seinem Bruder Hákon eine Speerverletzung im Bereichd<strong>es</strong> Brustbeins sowie eine Fleischwunde an nicht näher benannter Stelle. Hákon hatein Verhältnis mit Hrafns Frau Guðrún und will <strong>den</strong> Bruder auf ihre Initiative hinb<strong>es</strong>eitigen:Sie fragte, wie stark er verwundet sei. Er antwortet: „Die Fleischwunde istnicht tief, aber am Brustbein brennt <strong>es</strong> manchmal.“ Hrafn lag drei Nächte141


verwundet und erhielt alle Sakramente und starb danach und wurde nachMöðruvellir gebracht. 453Auf Guðrúns Frage nach der Schwere seiner Verletzung spielt er <strong>den</strong> Scha<strong>den</strong>herunter. Auch hier gibt der Schmerz einen Hinweis auf die Schwere d<strong>es</strong> Zustand<strong>es</strong>,<strong>den</strong>n drei Tage später ist Hrafn tot.Eine im Handlungsverlauf der FóstbrÍðra saga weiter zurückliegende VerwundungÞormóðr Bersasons stellt ein selten<strong>es</strong> Beispiel für Wun<strong>den</strong> dar, die trotz Entzündungschließlich <strong>aus</strong>heilen. Über die Begebenheit wird in der FóstbrÍðra saga und derFlateyjarbók berichtet und zeichnet sich in der Flateyjarbók durch die genauezeitliche B<strong>es</strong>chreibung d<strong>es</strong> Infektionsproz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> <strong>aus</strong>. In einem Kampf erhält Þormóðreine Verwundung am Bein: „[…]; der Stoß trifft ihn am Bein unterhalb d<strong>es</strong> Kni<strong>es</strong>und das wird eine große Wunde.“ 454 In Bezug auf die weitere Entwicklung derWunde unterscheidet sich die Handlung der FóstbrÍðra saga erheblich von <strong>den</strong>Zusätzen <strong>aus</strong> der Flateyjarbók. In der FóstbrÍðra saga findet sie nur anfangs und amSchluß Erwähnung. Direkt nach dem Vorfall verbindet Þormóðr die Wunde undversteckt sich danach im Bootsh<strong>aus</strong> von Þórunn: „Þormóðr verbindet seine Wundeund begibt sich zum Bootsh<strong>aus</strong> hinunter, das Þórunn gehörte; […].“ 455 Dort wartet erauf eine günstige Gelegenheit, über <strong>den</strong> Fjord zu fliehen (er wurde im Verlauf derHandlung geächtet). In der Nacht nimmt er ein Boot und rudert auf <strong>den</strong> Fjord hin<strong>aus</strong>.Seine Todfeindin Þordís <strong>aus</strong> Löngun<strong>es</strong> sieht seine Flucht im Traum und nimmt mitihrem Sohn und einigen Männern die Verfolgung auf. Þormóðr täuscht bei einerSchäre einen Bootsunfall vor und versteckt sich zwischen Steinen im Wasser. Þordísfällt auf di<strong>es</strong>e List nicht herein und läßt das Gebiet mit Speeren sondieren, ohne ihnjedoch zu entdecken. Sie fahren wieder ab, nehmen das andere Boot mit undÞormóðr versucht, an Land zu schwimmen. Er schafft <strong>es</strong> nicht und rettet sich mitletzter Kraft auf eine andere Schäre („[…] und war danach so steif und erschöpft, daßer von dort <strong>aus</strong> nirgendwohin mehr gelangen konnte.”). 456 Da erscheint der heilige453 Hon spurdi, hve miog hann væri sarr. Hann svarar: „grvn verda svaðv-sar, enn svida get ekbringspala-dilann of stvnd.” Rafn la III nætr í sarum oc fecc alla reiðv oc andaþiz siþan oc var færdr aMoðrv-vollv. Guðmundar saga dýra, 277 (Kålund 1906-1911 (1)).454 […]; kømr lagit í fót honum fyrir neðan kné, ok verðr þat mikit sár. FóstbrÍðra saga, 250 (BjörnK. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).455 Þormóðr bindr sár sitt og ferr ofan til n<strong>aus</strong>ts þ<strong>es</strong>s, er Þórunn átti; […]. FóstbrÍðra saga, 251 (BjörnK. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).456 […] ok var þá orðinn [bæði stirðr ok móðr], svá, at hann mátti hvergi þaðan komast. FóstbrÍðrasaga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 255 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).142


König Óláfr dem Bauern Grímr <strong>aus</strong> Vík im Traum und befiehlt ihm, Þormóðr zubergen. Die Rettungsaktion glückt und Þormóðr wird in Vík g<strong>es</strong>und gepflegt:[…], bringen sie ihn nach H<strong>aus</strong>e nach Vík und bewirten ihn dort heimlich undheilen ihn. Und als er sich von der Verletzung erholt hatte, die Ljótr ihmbeigebracht hatte, da bringt Steinarr Þormóðr auf ihr Schiff. 457Sehr viel <strong>aus</strong>führlicher behandelt die Flateyjarbók Þormóðrs körperlichen Zustand.Die Handlung setzt nach der primären Wundversorgung ein, so daß man nichterfährt, ob er die Wunde verbun<strong>den</strong> hat. Þormóðr versteckt sich nicht im Bootsh<strong>aus</strong>von Þórunn, sondern von Þordís in Löngun<strong>es</strong>. Erste Symptome einer Wundinfektionstellen sich im Laufe d<strong>es</strong> Vormittags ein: „Þormódr blieb liegen wo er war, weil erwegen der Wunde wenig laufen konnte.“ 458 Seit der Verletzung sind knapp 24Stun<strong>den</strong> vergangen. Den ganzen Tag harrt er in seinem Versteck <strong>aus</strong> und gegenAbend beginnt das Bein zu schmerzen: „Þormódrs Bein fing an, sehr weh zu tun.“ 459Aus seinem Versteck her<strong>aus</strong> hat er die Knechte beobachtet, wie sie morgens zumFischen auf <strong>den</strong> Fjord fuhren und abends wieder zurückkehrten. Als alle weg sind,will er ein Boot nehmen, wird dabei aber von einem der Knechte überrascht. Derläuft direkt zum H<strong>aus</strong>, um Alarm zu schlagen. Þormódr kommt wegen sein<strong>es</strong> Beinsnicht hinterher: „[…] und Þormódr will ihn verfolgen, aber sein Bein war so steif,daß er sich nicht vom Fleck rühren konnte.“ 460 Er wirft dem Flüchten<strong>den</strong> eine Axthinterher und verletzt ihn an der Wade. Dann flieht er selbst mit dem Boot auf <strong>den</strong>Fjord. In der Nacht träumt Þordís, daß er mit dem Boot geflohen ist und nimmt mitihren Leuten die Verfolgung auf. Im Traum erhält sie detaillierte Informationen überÞormódrs Zustand:[…] und er hat nun Kárr verwundet, deinen Verwandten, und dein Bootgenommen und rudert nun über <strong>den</strong> Fjord und ich glaube, daß verkr in derWunde ist, die Ljótr ihm zugefügt hat. 461457 […], fœra hann heim í Vík ok varðveita hann þar á laun ok grœða hann. Ok er hann var heill maðrorðinn þeira áverka, er Ljótr hafði á honum unnit, þá flytr Steinarr Þormóðr til skips þeira. FóstbrÍðrasaga, 256 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).458 Þormóðr liggr sem áðr, þar sem hann var kominn, því at hann var lítt gengr fyrir sárinu. FóstbrÍðrasaga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 252 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).459 Þormóði gerðisk verkmikill fótrinn. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 252 (Björn K.Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).460 […], ok vill Þormóðr snúa eptir honum, en honum var svá stirðr fótrinn, at hann mátti hvergikomask. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 252 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson1958 [ÍF 6]).461 […], ok hefir hann nú unnit á Kár, frænda þínum, ok tekit bát þinn ok rœr nú yfir á fjörð, ok hyggek, at honum sé verkr í sári því, er Ljótr veitti honum. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók),253 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6)].143


Þormóðr hat sich nach gut einem Tag Inkubationszeit eine Wundinfektion zugezogenmit <strong>den</strong> im Text bezeichneten typischen Entzündungssymptomen dolor und functiola<strong>es</strong>ia. Þordís vermutet, daß <strong>es</strong> sich um verkr handelt. Di<strong>es</strong> wird aber im weiterenHandlungsverlauf weder erneut aufgenommen noch b<strong>es</strong>tätigt.Þordís und ihre Knechte rudern auf <strong>den</strong> Fjord hin<strong>aus</strong> und fin<strong>den</strong> das gekenterte BootÞormódrs. Bei ihrer Suche unter Zuhilfenahme der Speere wird er in der Version derFlateyjarbók verletzt: „Þormóðr wurde an vielen Stellen von ihren Speerenverletzt.” 462 Als er nach ihrer Abfahrt versucht, an Land zu schwimmen, nimmt dieFlateyjabók detaillierteren Bezug auf Þormóðrs Zustand:Und als <strong>es</strong> nicht mehr weit war bis zum F<strong>es</strong>tland, da konnte Þormóðr auf eineSchäre gelangen und war da so steif und erschöpft, daß er von dort <strong>aus</strong>nirgendwohin mehr zu kommen vermochte. 463Der übrige Handlungsverlauf stimmt wieder überein mit der FóstbrÍðra saga.Þormóðr wird gerettet und g<strong>es</strong>und gepflegt. Der Zustand seiner Wunde bleibt imDunkeln. Indirekt steht die Heilung mit König Óláfr in Verbindung, der ein direkt<strong>es</strong>Inter<strong>es</strong>se an der Rettung Þormóðrs bekundet. Eine weitere Erwähnung derWundinfektion erübrigt sich dadurch.10.4.3 Magie als Ursache für SchmerzMagie ist ein weiterer Anlaß für schmerzhafte Wun<strong>den</strong> in der untersuchtenSagaliteratur. Beth definiert Magie als „Operationen [mit] dem Zweck, egoistischgeartete Wünsche, deren Erfüllung gebieterisch gefordert wird, durchzudrücken.“ 464Wie bereits darg<strong>es</strong>tellt, zeichneten sich die Isländer von je her <strong>aus</strong> durch einenstarken Glauben an Magie, Geister und andere übernatürliche Kräfte. Pettersson siehthierin ein natürlich<strong>es</strong> Bedürfnis d<strong>es</strong> Menschen:Der Mensch wünscht, mit <strong>den</strong> höheren Mächten in Kontakt zu kommen undvon ihnen Hilfe zu erlangen. In seinem Sehnen nach einem erfüllten Lebenspricht sich sein Wunsch <strong>aus</strong>, in lebendigem Kontakt mit der schöpferischenQuelle d<strong>es</strong> Universums zu stehen. Er nähert sich di<strong>es</strong>er Quelle von Kraft undLeben auf verschie<strong>den</strong>e Weise: in Unterwerfung und Loyalität, durchProt<strong>es</strong>te, Gefälligkeiten oder durch Ansprüche. Wenn Forderungen undGefälligkeiten überwiegen, sprechen die Wissenschaftler von „Magie“ –462 Þormóðr skeindisk víða af spjótum þeira. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 254 (BjörnK. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).463 Ok er sakmmt var til meginlands, þá komsk Þormóðr á eitt sker ok var þá orðinn bæði stirðr okmóðr svá, at hann mátti hvergi þaðan komask. FóstbrÍðra saga (Viðaukar úr Flateyjarbók), 255(Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).464 Beth 1978 [WDF 337], 33.144


wenn Unterwerfung und Loyalität die Hauptaspekte sind, sprechen sie von„Religion“. 465Kaiser unterscheidet in ihrer Arbeit zwischen „Scha<strong>den</strong>-“ und „Heilmagie“. Darunterversteht sie „eine dem Menschen Scha<strong>den</strong> zufügende“ und „eine zum Heile d<strong>es</strong>Menschen dienende“ Magie. 466 Im Hinblick auf Schmerz ist für di<strong>es</strong>e Arbeit in ersterLinie die Scha<strong>den</strong>magie von Bedeutung.Auf Grettirs Beinwunde wurde bereits <strong>aus</strong>führlich eingegangen. Aufgrund d<strong>es</strong>Runenzaubers der Hexe Þuríðr rutscht seine Axt beim Holzhacken ab und verletztihn am Bein. Es entwickelt sich eine lebensgefährliche Entzündung, begleitet vonstarken Schmerzen, die vor allem vor di<strong>es</strong>em magischen Hintergrund g<strong>es</strong>ehenwer<strong>den</strong> müssen.Ein ander<strong>es</strong> Beispiel für Magie sind schmerzhafte Wun<strong>den</strong> durch Zauberschwerter.Kaiser bezeichnet di<strong>es</strong> als „Kontaktmagie“:Als letzte Anwendungsform der Magie wird die Kontaktmagie vorg<strong>es</strong>tellt.Die scha<strong>den</strong>magischen Kräfte sind an ein persönlich<strong>es</strong> Attribut d<strong>es</strong>‚Absenders’ gekoppelt, mit dem der ‚Empfänger’ in Kontakt kommen muß.Die Distanz zwischen <strong>den</strong> an der magischen Handlung Beteiligten ist fastoder ganz aufgehoben, d.h. der K<strong>aus</strong>alitätszusammenhang ist b<strong>es</strong>ondersintensiv gef<strong>es</strong>tigt. 467Unter <strong>den</strong> namhaften Schwertern der Sagaliteratur fällt b<strong>es</strong>onders das SchwertSkôfnungr auf. In der LaxdÍla saga wird <strong>es</strong> folgendermaßen charakterisiert:Aber das ist die Natur d<strong>es</strong> Schwert<strong>es</strong>, daß die Sonne nicht auf dieParierstange scheinen darf und <strong>es</strong> darf nicht in Anw<strong>es</strong>enheit von Frauengezogen wer<strong>den</strong>. Wenn jemand eine Wunde durch das Schwert erhält, soverheilt di<strong>es</strong>e Wunde nicht, <strong>es</strong> sei <strong>den</strong>n, sie würde mit dem beiliegen<strong>den</strong>Heilstein b<strong>es</strong>trichen. 468Der hier genannte Heilstein übernimmt die Funktion ein<strong>es</strong> Antidots bei Verletzungendurch das Schwert. Außer Skôfnungr verfügt auch Hvítingr <strong>aus</strong> der Kormaks sagaüber einen solchen lyfsteinn. Von jeher hat man b<strong>es</strong>timmten Steinen Zauberkraftzug<strong>es</strong>chrieben, wie bereits <strong>aus</strong> frühen schriftlichen Quellen d<strong>es</strong> 3. Jahrhundertsv. Chr. hervorgeht. 469 In <strong>den</strong> Sagas kann ein „Heilstein“ auch <strong>aus</strong> einem465 Pettersson 1978 [WDF 337], 316.466 Kaiser 1998, 66.467 Kaiser 1998, 70.468 En sú er náttúra sverðsins at eigi skal sól skína á hjôltin og honum skal eigi bregða, svá at konur séhjá. Ef maðr fær sár af sverðinu, þá má þat sár eigi grœða, nema lyfsteinn sá sé riðinn við, er þarfylgir. LaxdÍla saga, 172 (Einar Ól. Sveinsson 1934 [ÍF 5]).469 Kaiser 1998, 74.145


kräutergefüllten Säckchen b<strong>es</strong>tehen. Kaiser vermutet hinter dem Konzept d<strong>es</strong>lyfsteinn pharmakologische Effekte in Form heilender Kräuter oder vasokonstriktiverMineralien (Alaun, Hämatit). 470Daß die Schneide von Zauberschwertern als regelrecht giftig ang<strong>es</strong>ehen wird,verdeutlicht eine Passage <strong>aus</strong> Brot af Þórðar sögu hreðu:Und als Þórðr nach H<strong>aus</strong>e kam, sahen die Leute, daß er am linken Arm einwenig verwundet war. Di<strong>es</strong>e Wunde verheilte schlecht, so daß sie anschwollund B<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong> bereitete, und das führte zu seinem Tod, weil Gift an <strong>den</strong>Schwertschnei<strong>den</strong> Bárekrs gew<strong>es</strong>en war. 471Þórðr Hísingarskalli hat mit einem Berserker auf dem Holm gekämpft und einekleine Wunde davongetragen. Berserker galten als zauberkundig und ihre Schwerterals magisch. Als Þórðr nach H<strong>aus</strong>e kommt, schwillt die Wunde an und beginnt zuschmerzen, wofür das giftige Schwert verantwortlich gemacht wird. Offenbar handelt<strong>es</strong> sich um eine Wundinfektion mit anschließender Sepsis, die zum Tode führt. 472Gift wird in <strong>den</strong> Sagas als ätzende Säure darg<strong>es</strong>tellt, die bei Kontakt Schmerzenverursacht. In der Gull-Þóris saga tropft Hyrningr beim Kampf mit einem DrachenGift aufs Bein, gefolgt von heftigen Schmerzen: 473[…] das Gift tropfte Hyrningr aufs Bein und verursachte dort so heftigeSchmerzen, daß er <strong>es</strong> kaum <strong>aus</strong>halten konnte. 474Vergleicht man die Verletzungen durch magische Schwerter, zeigen sichUnterschiede im zeitlichen Verlauf. Während sich im Brot af Þórðar saga hreðu dieInfektion erst nach einer gewissen Inkubationszeit manif<strong>es</strong>tiert, treten die SymptomeSchmerz und Schwellung in der LaxdÍla saga im unmittelbaren Anschluß an dasEreignis auf.Grímr sah <strong>den</strong> Schatten d<strong>es</strong> Mann<strong>es</strong> auf dem Wasser und er springt schnellauf. Þorkell ist ihm da schon sehr nahe gekommen und schlägt nach ihm; derHieb trifft <strong>den</strong> Arm oberhalb d<strong>es</strong> Handgelenk<strong>es</strong>, aber das war keine großeWunde. […] Sie stehen nun beide auf und gehen heim zur Hütte. Þorkellsieht, daß Grímr vom Blutverlust g<strong>es</strong>chwächt ist; er nimmt darauf <strong>den</strong>470 Kaiser 1998, 76.471 En er Þórðr kom heim, sá menn, at hann var sárr á vinstri hendi ok ekki mjök. Þat sár greri illa, sváat blástr hljóp ok illindi í, ok þat varð honum at bana, því at eitr hefði verit i sverðseggjum Báreks.Brot af Þórðar sögu hreðu, 235 (Jóhann<strong>es</strong> Halldórsson 1959 [ÍF 14]).472 Für eine medizing<strong>es</strong>chichtliche Analyse der Stelle siehe Kaiser 1998, 166.473 Die Gull-Þóris saga gilt als einer der jüngeren Íslendingasögur (Schier 1969, 57), die sich mitihren phantastischen Elementen <strong>den</strong> Vorzeitsagas annähert und darüber hin<strong>aus</strong> in stärkerem Maßeromantisch geprägt ist als die älteren Sagas (Meulengracht Sørensen 1977, 151).474 […] eitrit kom á fót Hyrningi, ok sló þar í æðiverk, svá at hann mátti trautt standast. Gull-Þórissaga, 188 (Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).146


Skôfnungsstein und b<strong>es</strong>treicht die Wunde damit und bindet ihn an GrímrsArm und sofort verschwan<strong>den</strong> jeglicher Schmerz und Schwellung <strong>aus</strong> derWunde. 475Eine Inkubationszeit von wenigen Minuten reicht zur klinischen Manif<strong>es</strong>tation einerInfektion nicht <strong>aus</strong>. Hier weicht die Sagaschreibung von ihrer generellen Linie ab,Infektionsverläufe exakt f<strong>es</strong>tzuhalten. Indem sich die Symptome im Zeitraffereinstellen, wird die Zauberkraft der Klinge hervorgehoben. Dahinter läßt sich einPlaceboeffekt vermuten. Grímr empfindet mehr Schmerz als gewöhnlich, weil erweiß, welch<strong>es</strong> Schwert ihn getroffen hat. Infolged<strong>es</strong>sen widmet er der Verletzungmehr Aufmerksamkeit als er <strong>es</strong> unter anderen Umstän<strong>den</strong> tun würde. Es r<strong>es</strong>ultierenstärkere Schmerzen.Entsprechend<strong>es</strong> läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Þórðar sagahreðu beobachten:Skeggi schlug nach Þórðr und traf ihn an der Schulter; das war eineFleischwunde. […] Þórðrs Arm wurde dick und schwoll an. Eiðr schnitt dieSchnittfläche <strong>aus</strong> der Wunde; da verschwand aller Schmerz. 476Eiðr greift in <strong>den</strong> Kampf ein und beendet ihn. Wann genau Þórðrs Arm anschwilltund schmerzt, kann nicht mit B<strong>es</strong>timmtheit geklärt wer<strong>den</strong>. In Anbetracht d<strong>es</strong> hohenStellenwert<strong>es</strong> sofortiger Wundversorgung und der Lokalisation d<strong>es</strong> Abschnitt<strong>es</strong> imText scheint die Behandlung noch auf dem Kampfplatz stattzufin<strong>den</strong>:Und in di<strong>es</strong>em Augenblick kam Eiðr mit zehn Mann und ging sofortdazwischen und sprach, daß sie nicht länger kämpfen sollten. […] So geht <strong>es</strong><strong>aus</strong>, daß sie Frie<strong>den</strong> schließen und Eiðr soll in ihrem Streit und derTotschlagsangelegenheit vermitteln. Þórðr, Ásbjörn und Skeggi gaben sichdarauf die Hand. Þórðrs Arm wurde dick und schwoll an. Eiðr schnitt dieSchnittfläche <strong>aus</strong> der Wunde. Da verschwand aller Schmerz. Eiðr setzt nuneine Bezirksversammlung an. 477475 Grímr sá skuggann mannsins, er bar á vatnit, ok sprettr hann upp skjótt. Þorkell er þá kominn mjôksvá at honum ok høggr til hans; høggit kom á hôndina fyrir ofan úlflið, ok var þat ekki mikit sár. […]Standa þeir nú upp báðir ok ganga heim til skálans. Þorkell sér, at Grím mœðir blóðrás; tekr þáSkôfnungs-stein ok ríðr ok bindr við hônd Gríms, ok tók þegar allan sviða ok þrota ór sárinu. LaxdÍlasaga, 173 (Einar Ól. Sveinsson 1934 [ÍF 5]) (vgl. auch Brot af Þórðar sögu hreðu, 244 f. (Jóhann<strong>es</strong>Halldórsson 1959 [ÍF 14])).476 Skeggi hjó til Þórðar, ok kom þat á öxlina; var þat svöðusár. […] Hönd Þórðar þrútnaði ok blésupp. Eiðr skar ór eggfarveginn ór sárinu; tók þá ór verkinn allan. Þórðar saga hreðu, 220 (Jóhann<strong>es</strong>Halldórsson 1959 [ÍF 14]).477 Ok í því kom Eiðr at með tíunda mann ok hljóp þegar á millum ok kvað þá eigi lengr berjast skulu.[…] Svá lýkr, at þeir sættast, ok skal Eiðr gera um öll mál þeira ok vígaferli. Gengu þeir til handsala,Þórðr ok Ásbjörn ok Skeggi. Hönd Þórðar þrútnaði ok blés upp. Eiðr skar ór eggfarveginn ór sárinu;tók þá ór verkinn allan. Eiðr stefnir nú heraðsfund. Þórðar saga hreðu, 220 (Jóhann<strong>es</strong> Halldórsson1959 [ÍF 14]).147


Für Kaiser hingegen vergeht zwischen der Verwundung und ihrer Behandlung „vielwertvolle Zeit.“ 478Beide Beispiele illustrieren, wie komplex das Thema Schmerz in <strong>den</strong> Texteingebettet ist. Es wer<strong>den</strong> Sachverhalte miteinander assoziiert, die wenig gemeinsamzu haben scheinen. So stellt die LaxdÍla saga die Rechnung „Blutverlust = Schmerz+ Schwellung“ auf, während die Þórðar saga hreðu Schwellung in die Nähe d<strong>es</strong>Schmerz<strong>es</strong> rückt. Di<strong>es</strong>er Sachverhalt wird im folgen<strong>den</strong> einer genauerenUntersuchung unterzogen.Generell betrachtet scheint der schmerzhafte Charakter der Wun<strong>den</strong> vor<strong>aus</strong>g<strong>es</strong>etzt zuwer<strong>den</strong>. Wundschmerz wird nicht b<strong>es</strong>chrieben, wenn er entsteht, sondern wenn erverschwindet. Hierin zeigt sich ein Hauptcharakterzug d<strong>es</strong> Sagastils:Selbstverständlichkeiten bedürfen keiner weiteren Erwähnung. Genannt wird nur,was eine Funktion im Text b<strong>es</strong>itzt. Daß Wun<strong>den</strong> schmerzen, wird als gegebenhingenommen und dementsprechend nicht weiter ang<strong>es</strong>prochen. Als Eiðr das giftigeGewebe wegschneidet, verschwin<strong>den</strong> Schmerz und Entzündung. Es wird fernerdeutlich: Schmerz um seiner selbst willen gibt <strong>es</strong> in <strong>den</strong> Sagas nicht. Stets übernimmter eine b<strong>es</strong>timmte Funktion. Im vorliegen<strong>den</strong> Fall signalisiert sein Verschwin<strong>den</strong> <strong>den</strong>Erfolg von Eiðrs Therapie. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Muster läßt sich auch in der LaxdÍla sagabeobachten als Þorkell die Wunde von Grímr mit dem Heilstein d<strong>es</strong> Schert<strong>es</strong>Skôfnungr b<strong>es</strong>treicht und daraufhin sofortige Linderung eintritt. 479Die vorliegende Textpassage weist eine weitere B<strong>es</strong>onderheit auf. ÞorkellsMotivation zur Behandlung der Verletzung leitet sich nicht von <strong>den</strong> SymptomenSchmerz und Schwellung ab, sondern <strong>aus</strong> der Tatsache, daß sich bei Grímr Zeichend<strong>es</strong> Blutverlust<strong>es</strong> bemerkbar machen. Dar<strong>aus</strong> läßt sich folgern, daß der Zweck d<strong>es</strong>Heilsteins in erster Linie darin b<strong>es</strong>teht, eine Blutung zum Stillstand zu bringen, auchwenn das hier mit keinem Wort erwähnt wird. Kaisers Modell vom Heilstein alsMineral mit vasokonstriktiver Wirkung ist somit pl<strong>aus</strong>ibel. Daß Schmerz undSchwellung nach der Behandlung verschwin<strong>den</strong>, ist demzufolge nicht derHaupteffekt d<strong>es</strong> lyfsteinn, sondern allenfalls ein für Grímr angenehmer Nebeneffekt.Di<strong>es</strong>er Umstand verwundert, <strong>den</strong>n umgekehrt wäre <strong>es</strong> logischer. Es ließe sich indi<strong>es</strong>em Zusammenhang darüber spekulieren, ob nicht gar Schmerz und Schwellungals sichtbare Zeichen ein<strong>es</strong> (vermeintlichen) Blutverlust<strong>es</strong> ang<strong>es</strong>ehen wer<strong>den</strong>478 Kaiser 1998, 167.479 LaxdÍla saga, 173 (Einar Ól. Sveinsson 1934 [ÍF 5]).148


müssen. Grund für di<strong>es</strong>e Annahme ist das deutliche Mißverhältnis zwischen Wundeund Blutung in di<strong>es</strong>er Textstelle. Zunächst wird g<strong>es</strong>agt, <strong>es</strong> handele sich um einekleine Wunde: „ok var þat ekki mikit sár.“ Später ist von großem Blutverlust dieRede. Di<strong>es</strong> setzt aber in <strong>den</strong> allermeisten Fällen eine größere Wunde vor<strong>aus</strong>. ImTextbeispiel ist sie oberhalb d<strong>es</strong> Handgelenk<strong>es</strong> lokalisiert. Kleine Wun<strong>den</strong> in di<strong>es</strong>emBereich pflegen nicht stark zu bluten. Allenfalls eine tiefere Verletzung an derBeug<strong>es</strong>eite d<strong>es</strong> Unterarms wäre dazu in der Lage. Nur dort verlaufen Gefäße (di<strong>es</strong>og. „Pulsadern“), deren Verletzung eine hämodynamisch relevante Blutunghervorrufen könnte. Die große Anzahl frustraner Selbstmordversuche mit dem Ziel,sich die „Pulsadern“ zu durchtrennen, zeigt, wie schwer <strong>es</strong> ist, sie mit dem M<strong>es</strong>ser zutreffen. Eine „kleine“ Wunde in di<strong>es</strong>em Gebiet würde in <strong>den</strong> meisten Fällen nicht<strong>aus</strong>reichen, die betreffende Person innerhalb weniger Minuten durch <strong>den</strong>entstehen<strong>den</strong> Blutverlust zu schwächen. Grob g<strong>es</strong>chätzt wären dazu mind<strong>es</strong>tens1.000 ml Blut erforderlich. Zudem wird in der Passage berichtet, Grímr spränge imletzten Augenblick auf. Die Verletzung an der Hand deutet darauf hin, daß erschützend <strong>den</strong> Arm hebt, um <strong>den</strong> Schlag abzuwehren. Dadurch würde nicht dieBeuge-, sondern eher die Streckseite d<strong>es</strong> Unterarms getroffen und überdi<strong>es</strong> als„kleine Wunde“ keine größeren Gefäße verletzt wer<strong>den</strong>. Zudem fin<strong>den</strong> sich im Textkeine Angaben über eine stärkere Blutung. Trotzdem verliert Grímr so viel Blut, daßer dadurch g<strong>es</strong>chwächt wird. Die Erhebung d<strong>es</strong> Blutverlust<strong>es</strong> zur Hauptsacheerscheint widersinnig. Offenbar verbirgt sich hinter der Chiffre blóðrás mœðir e-n, 480der Versuch, Schmerz zu verschleiern. Di<strong>es</strong>e Absicht läßt sich auch für andereRedewendungen f<strong>es</strong>tstellen. Di<strong>es</strong>em Thema soll daher ein eigen<strong>es</strong> Kapitel gewidmetwer<strong>den</strong>.Zum Abschluß der magischen Schmerzursachen soll eine Begebenheit näherbetrachtet wer<strong>den</strong>, die sowohl in <strong>den</strong> Íslendingasögur (Egils þáttr Síðu-Hallssonar)als auch <strong>den</strong> Konungasögur (Saga Óláfs konungs hins helga) b<strong>es</strong>chrieben wird.König Knútr von Dänemark b<strong>es</strong>tellt <strong>den</strong> verfeindeten König Óláfr Haraldsson zuangeblichen Frie<strong>den</strong>sverhandlungen in <strong>den</strong> Limfjord. In Wahrheit segelt er selbstnach England und schickt an seiner Statt einen zauberkundigen Finnen zumTreffpunkt (<strong>„Und</strong> das sagen die Leute, daß König Knútr einen sehr zauberkundigen480 = Blutverlust schwächt jmd.149


Finnen gedungen hatte, […].”). 481 Der soll unter <strong>den</strong> Norwegern für eine tödlicheKrankheit sorgen, um eine mögliche Verfolgung zu behindern. Als der König wiederin See stechen will, kommt er herbeigelaufen und wirft Handschuhe auf das Deckein<strong>es</strong> der Schiffe. Es entweicht eine Staubwolke und kurze Zeit später erkranken dieLeute d<strong>es</strong> Königs an einer schmerzhaften Krankheit:Dann kam von Land her ein Mann gelaufen, der sehr aufgeregt war und errief zu <strong>den</strong> Schiffen und sagt, daß er wegen ein<strong>es</strong> wichtigen Anliegens <strong>den</strong>König treffen müsse, aber sie kümmern sich nicht um sein Rufen. Si<strong>es</strong>chickten sich darauf an, einige Klippen entlang zu segeln und ein Schiff kametwas näher als die anderen Schiffe daran vorbei. Und als sie sich gegen <strong>den</strong>Mann, der gerufen hatte, taub stellten, da läuft er auf die Klippen und wirftHandschuhe auf das Schiff, das vorne fuhr, und <strong>es</strong> schien ihnen, als ob Staub<strong>aus</strong> ihnen entwiche und dann läuft di<strong>es</strong>er Mann davon. Aber das folgt di<strong>es</strong>erSendung, daß sich eine schwere Krankheit auf dem Schiff <strong>aus</strong>breitet und soheftig verläuft, daß die Leute sie kaum ohne zu schreien ertragen können undviele starben daran. 482Die Formulierung lautet in der Saga Óláfs konungs hins helga:Der Mann bat sie, zu einer überhängen<strong>den</strong> Klippe zu fahren und ihn dort anBord zu nehmen und er begab sich dorthin und wurde nicht an Bordgenommen. Da warf er Handschuhe auf das Schiff d<strong>es</strong> Königs und Staubrauchte her<strong>aus</strong>. Danach breitete sich eine Krankheit unter <strong>den</strong> Leuten d<strong>es</strong>Königs <strong>aus</strong> und das war „Herzschmerz” und die Männer lagen zwei Tageoder einen. 483Die Version der Bergsbók (Sth. Perg. fol. nr.1) wird sowohl im Íslendingaþáttr alsauch der Konungasaga als zugehörige Handschrift aufgeführt:Sie hatten <strong>es</strong> eilig mit der Abfahrt und der Mann war nicht von vornehmemÄußerem und <strong>es</strong> wurde nicht zu ihm hin gerudert. Da spricht di<strong>es</strong>er Mann:„Da ich ein Treffen mit dem König nicht erreiche, so nehmt meineHandschuhe mit, die ich aufs Schiff werfe und ich wollte, daß sie mit demKönig zusammenträfen.“ Er wirft die Handschuhe aufs Schiff und <strong>aus</strong> ihnenentwich Staub. Und kurze Zeit später breitete sich eine Krankheit unter <strong>den</strong>481 En þat er sôgn manna, at Knútr konungr hafi keypt at einum finnskum manni ok fjôlkunnigummjôk, […]. Egils þáttr Síðu-Hallssonar, 383 (Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991[ÍF 13]).482 Þá kemr þar maðr af landi ofan hlaupandi, geystr mjôk, ok kallaði út á skipin ok segir sik eiganauðsynja ørendi at finna konunginn, en þeir gefa ôngan gaum at kalli hans. Tóku þeir þá at sigla meðbjôrgum nøkkurum fram, ok bar eitt skipit fram hjá ôðrum skipunum nøkkut svá. Ok er þeim manni,er kallat hafði, þótti þeir daufheyrask við, þá hleypr hann fram eptir bjôrgunum ok kastar ofan á skipit,þat er fyrst ferr, glófum, ok sýndisk þeim svá sem dust ryki af þeim, ok síðan hleypr sá maðr á brott.En þat fylgir sendingu þ<strong>es</strong>si, at sótt kemr á skipit mikil ok tekr svá fast, at menn fá varla boritóœpandi, ok fengu margir bana af. Egils þáttr Síðu-Hallssonar, 379 (Þórhallur Vilmundarson &Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).483 Madurinn bad þa fara fyrer hamar gnipu eina ok taka þar uit sier ok for hann þangat ok uar eigiuid honum tekit. þŠ kastade hann glodum Š konungs skipit. ok Rauk ur dust. sidan kom sott j lidkonungs ok uar þat hiarttuerkr. ok lagu menn .ij. d¥gr eda eitt. Saga Óláfs konungs hins helga, 784 38 –785 1 (Johnsen & Jón Helgason 1941).150


Leuten d<strong>es</strong> Königs <strong>aus</strong>. Die Männer bekamen Herzschmerz und <strong>schrie</strong>en biszum Tode und lebten nicht länger als einen halben Tag. 484Es b<strong>es</strong>teht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen dem rätselhaften Staub undder epidemischen Ausbreitung der Krankheit. 485 Nach Kaiser wird das Magischedurch die Handschuhe selbst symbolisiert. 486 Auch Reichborn-Kjennerud bezeichnetsie als „trollhansker“, 487Krankheitsentstehung:betont jedoch die Handlung d<strong>es</strong> Werfens für dieIn der kürzlich genannten Erzählung <strong>aus</strong> der Saga Olafs d<strong>es</strong> Heiligen wirdg<strong>es</strong>agt, daß ein Finne, <strong>den</strong> König Knut gedungen hatte, König Olaf zuscha<strong>den</strong>, auf das Schiff „mit Handschuhen warf“ und daß <strong>es</strong> <strong>aus</strong> ihnenher<strong>aus</strong>staubte mit dem R<strong>es</strong>ultat, daß sich eine Krankheit unter Olafs Männern<strong>aus</strong>breitete. Auch später hören wir, daß Dinge geworfen wer<strong>den</strong>, umKrankheiten zu überführen. Wurf ist am eh<strong>es</strong>ten eine Krankheit, dieunsichtbar durch die Luft kommt wie eine Krankheit, die durch Zauberei<strong>aus</strong>gelöst wird: „Krankheit auf Volk und Vieh werfen.“ 488Im nordischen Volksglauben stellt Krankheitsübertragung durch die Luft eineSpezialität der Finnen dar. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> spiegelt sich in Krankheitsnamen wie Finnskot(„Finnenschuß), Nordskot („Nordschuß“), Nordsending („Nordsendung“) wieder. 489Di<strong>es</strong>er Umstand erklärt, warum König Knútr einen Finnen für di<strong>es</strong>e Aufgabeangeworben hat. Obwohl Mikroorganismen als Krankheitserreger zu jener Zeit nichtbekannt waren und man an Ansteckung über unsichtbare Pfeile glaubte, 490 wird hierein Grundprinzip der Krankheitsübertragung richtig erkannt. VieleInfektionskrankheiten wer<strong>den</strong> über die Luft übertragen (z.B. „Tröpfcheninfektion“);die Windpocken tragen di<strong>es</strong>en Ansteckungsweg bildhaft in ihrem Namen. 491484 Þeim var annt um fôrina, en maðr eigi virðuligr at sjá, ok var eigi á móti honum róit. Þá mælir sjámaðr: „Meðr því at ek nái eigi konungs fundi, þá takið með glófum mínum, er ek kasta á skip, okvilda ek, at þeir kœmi á konungs fund.” Hann kastar glófunum á skipit, ok hraut ór dust. En stundusíðar kom sótt í lið konungs. Menn tóku hjartverk ok œpðu til bana ok lifðu eigi lengr en hálft dœgr.Egils þáttr Síðu-Hallssonar (Bergsbók), 379 (Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991[ÍF 13]).485 Sigurður Samúelsson bezeichnet sie als Seuche (umgangsveiki) (Sigurður Samúelsson 1998, 26).486 Kaiser 1998, 71.487 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 88. Trollhansker = Zauberhandschuhe.488 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 88 f.489 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 88. Di<strong>es</strong>e Art der Krankheitsübertragung findet sich nicht nurim norrönen Volksglauben, sondern u.a. auch im deutschen, z.B. Hexenschuß (ebd.).490 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (3), 142.491Betrachtet man die Stelle <strong>aus</strong> einem modernen Blickwinkel, so ergibt sich ein kurioserNebenaspekt: hier wird realitätsnah der Einsatz einer biologischen Waffe b<strong>es</strong>chrieben. Was imMittelalter als Zauberei galt, ist heutzutage Wirklichkeit. Bei der Herstellung biologischerKampfstoffe wer<strong>den</strong> leichte Staubpartikel mit einem Krankheitserreger versehen (z.B. Anthrax). DerTrägerstaub ist so fein, daß er sich nach dem Ausbringen an der Luft schnell über ein sehr groß<strong>es</strong>151


Die Bergsbók bezeichnet die Krankheit als gørningasótt, 492was laut Reichborn-Kjennerud eine geläufige Globalbezeichnung für durch Landgeister <strong>aus</strong>gelösteKrankheiten darstellt. 493 Grøn faßt <strong>den</strong> Begriff weiter und versteht darunter auchErkrankungen durch Zauberkünste oder „übernatürlich<strong>es</strong> Verfahren.“ 494Während die Krankheit im Egils þáttr Síðu-Hallssonar nicht näher bezeichnet wird,trägt sie in <strong>den</strong> anderen Handschriften <strong>den</strong> Namen hjartverkr. 495 DerKrankheitsverlauf ist kurz (1/2 – 2 Tage) und endet in vielen Fällen mit dem Tod.Die Betroffenen sterben qualvoll unter großen Schmerzen. Der Name „Herzschmerz“deutet auf eine Lokalisation in der Brust.Als Egill Síðu-Hallsson ebenfalls erkrankt, trägt er sein Schicksal wie ein Held:Und nun erkrankt Egill und so heftig wie die Männer, die <strong>es</strong> am schlimmstentraf und die nicht starben und er ertrug [die Krankheit] so mannhaft, daß keinStöhnen seinem Hals entwich. 496Weder die Saga Óláfs konungs hins helga noch die Bergsbók erwähnen an di<strong>es</strong>erStelle, daß Egill Schmerzen hat. Es wird lediglich g<strong>es</strong>agt, daß er erkrankt. Für Egillhat die Krankheit strafen<strong>den</strong> Charakter. Aus Wut über Knútrs Täuschungsmanöverhatte Óláfr die Plünderung der Umgebung angeordnet. Alle Kinder unter zwölfJahren wur<strong>den</strong> als Geiseln genommen, um von ihren Eltern Lösegeld zu erpr<strong>es</strong>sen.Egill hat Mitleid mit ihnen und befreit sie, was ihm <strong>den</strong> Zorn d<strong>es</strong> Königs einträgt. Inder Saga Óláfs konungs hins helga fühlt er sich durch die Krankheit für di<strong>es</strong>e Tatb<strong>es</strong>traft:Das Schlimme ist, sagte Egill, daß ich fürchte daß der Zorn Gott<strong>es</strong> mit demd<strong>es</strong> Königs übereinstimmt und <strong>es</strong> bereitet mir <strong>den</strong> größten Kummer, daß ichmich mit dem König entzweit habe. 497Areal verteilt. Die hochgefährlichen Erreger lassen innerhalb kürz<strong>es</strong>ter Zeit eine tödlich verlaufendeKrankheit <strong>aus</strong>brechen. Wie die Milzbrandattentate d<strong>es</strong> Jahr<strong>es</strong> 2002 gezeigt haben, bedarf <strong>es</strong> keineraufwendigen Verpackung der Substanz; ein Briefumschlag genügt. Ohne Zweifel würde auch einHandschuh <strong>aus</strong>reichen, ganz wie im Textbeispiel b<strong>es</strong>chrieben. König Knútr könnte demzufolge alsderjenige gelten, der als erster Herrscher der G<strong>es</strong>chichte eine biologische Waffe im Krieg eing<strong>es</strong>etzthat.492 Durch Zauberei hervorgerufene Krankheit. Egils þáttr Síðu-Hallssonar (Þórhallur Vilmundarson& Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]), 383.493 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 46.494 Grøn 1907-1908, 670.495 „Hjartverkur“ ist im modernen Isländisch der volkssprachliche Ausdruck für Angina pectoris.496 Ok nú tekr Egill sóttina ok svá harða sem þeir menn, er harðast fengu af, þ<strong>es</strong>s er eigi gekk ônd órhonum, en hann bar svá prýðliga, at eigi kom stynr ór hálsi honum. Egils þáttr Síðu-Hallssonar, 380(Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).152


Er will sich unbedingt mit dem König versöhnen, doch der weigert sich, Egill zusehen. Erst im dritten Anlauf gelingt <strong>es</strong> Finnr Árnason, <strong>den</strong> König zu einem B<strong>es</strong>uchzu überre<strong>den</strong>. Ausschlaggebend<strong>es</strong> Argument ist Egils Schmerzindolenz:[…] und bat, Finnr Árnason zu sagen, er möge in seinem Auftrag zum Königgehen. Er ging sofort und fragte, ob der König von Egills Krankheit gehörthabe. Der König sagte, er habe <strong>es</strong> erfahren. Hast du erfahren, daß er seineKrankheit tapferer als andere Männer erträgt; er stöhnt nicht wie andereMänner, die gen<strong>aus</strong>o krank sind und G<strong>es</strong>chrei erheben, sprach Finnr. 498Finnr sprach: „Hast du gehört, daß er sie [die Krankheit] tapferer erträgt alsandere, daß kein Stöhnen seinem Hals entweicht, während andere sie mitG<strong>es</strong>chrei ertragen?“ 499[…]; und dann sprach Finnr: „Herr,“ sagt er, „um Eurer Vornehmheit willen,helft dem Mann, der nun todgeweiht danieder liegt und seht, welchaußeror<strong>den</strong>tlich tapferer und kühner Mann er ist; niemand kann verstehen,warum kein Stöhnen seinem Hals entweicht; […]. 500Es bietet sich ein Vergleich an mit der Schlacht von Stiklastaðir in der FóstbrÍðrasaga. Beide Male teilen der Held und ein Kollektiv gewöhnlicher Männer dasselbeSchicksal. Sowohl Þormóðr als auch Egill erweisen sich als wahre Hel<strong>den</strong>, indem sieihre schweren Schmerzen klaglos ertragen. Eine Kontrastierung mit der lautschreien<strong>den</strong> Masse einfacher Männer unterstreicht eindrucksvoll ihren Hel<strong>den</strong>status.Obwohl die Krankheit bei Egill äußerst heftig <strong>aus</strong>bricht, hört man von ihm nichteinen einzigen Schmerzenslaut, während andere unablässig schreien. Trotz derweitgehen<strong>den</strong> Parallelität der b<strong>es</strong>chriebenen Situationen b<strong>es</strong>teht ein deutlicherUnterschied in der Bewertung d<strong>es</strong> Schmerzverhaltens. Das anonyme Kollektiv derVerletzten in der FóstbrÍðra saga wird der Verantwortung für seine „geringe“Schmerztoleranz enthoben, indem die Schmerzensschreie <strong>den</strong> Wun<strong>den</strong>zug<strong>es</strong>chrieben wer<strong>den</strong>. Den an Herzschmerz Erkrankten steht di<strong>es</strong><strong>es</strong> Privileg nicht497 Mein eru sagdi Eigill. þuiat mik ugger ath saman fari guds Reidi ok konungs. ok er mier þat m<strong>es</strong>tanngur ath ek em missatur uid konung. Saga Óláfs konungs hins helga, 785 3-5 (Johnsen & JónHelgason 1941).498 […]. ok bad seigia Finni Arna syni ath hann f¥ri Š konungsfunnd med hans erindi. hann for þegarok spurdi huert konungr hefde frett uan matt Eigils. konungur kuezt spurt hafa. Hefer þu spurt þat athhann berr sott sina prydiligar enn adrer menn. hann stynnr eigi kuat Finnr sem adrer menn er ¥pa uppjafn siuker. Saga Óláfs konungs hins helga, 785 15-19 (Johnsen & Jón Helgason 1941).499 Finnr mælti: „Hefir þú frétt, at hann ber því prýðiligar en aðrir, at eigi kemr stynr ór hálsi honum,en aðrir bera með ópi?” Egils þáttr Síðu-Hallssonar (Bergsbók), 381 (Þórhallur Vilmundarson &Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).500 […]; ok síðan mælti Finnr: „Herra,“ segir hann, „ger nú fyrir yðra tign, at þér hjálpið viðmanninum, er nú liggr dauðvona, ok sjáið, hversu mikill drengr hann er ok hreystimaðr; þat fær engimaðr skilit, at stynr komi ‹eigi› ór hálsi honum; […]. Egils þáttr Síðu-Hallssonar, 381 (ÞórhallurVilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).153


zu. Sie wer<strong>den</strong> nicht zu Hel<strong>den</strong> stilisiert, wie in der FóstbrÍðra saga. Die Inkonstanzin der Bewertung d<strong>es</strong> Lei<strong>den</strong>s gewöhnlicher Menschen macht deutlich, daß <strong>es</strong> nureine Form von Hel<strong>den</strong>tum geben kann, deren Norm nur wenige entsprechen.Als König Óláfr Egill schließlich aufsucht, möchte der an der Thoraxseite zwischenBrust und Rücken (Bergsbók) berührt wer<strong>den</strong>:Das erscheint mir notwendig zu sein, zu bitten, daß du mir deine Hand auf dieKörperseite legst, dort wo das Herz darunter ist. Ich vermute, daß unsereUnterhaltung nur kurz ist. Ich glaube, daß sie dir leichter im Gedächtnisbleibt, wenn du mein Lei<strong>den</strong> in der letzten Stunde betast<strong>es</strong>t. 501Di<strong>es</strong> mag als zusätzlicher Hinweis auf die Lokalisation d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> gelten. Nachder Berührung wird er augenblicklich wieder g<strong>es</strong>und:König Óláfr legte seine Hände auf Egills Körperseite, dort wo sich derSchmerz befand und sang seine Gebete. Und im selben Augenblickverschwand jeglicher Schmerz. 502Die Bergsbók schließt in die Wunderheilung auch alle übrigen Kranken ein:Der König geht dann zu Egill und legt seine Hand auf ihn. Darauf setzte sichEgill auf und behauptete, g<strong>es</strong>und zu sein und <strong>es</strong> war so wie er sagte, abernicht nur er allein war g<strong>es</strong>und, sondern alle, die krank waren im Gefolge d<strong>es</strong>Königs und seither befiel nie wieder eine Zauberkrankheit die Leute d<strong>es</strong>Königs, […]. 503Nicht ganz so schnell schreitet die Heilung im Egils þáttr Síðu-Hallssonar voran:So wird berichtet, daß bei seiner Berührung die Krankheit sofort nachläßt undsich stark b<strong>es</strong>serte; aber der König geht von Egill weg und ihm geht <strong>es</strong> vonStunde zu Stunde b<strong>es</strong>ser und <strong>es</strong> kommt so, daß er wieder völlig g<strong>es</strong>undwird. 504König Óláfr heilt Egill durch Handauflegen und wendet damit nicht nur eine uralteBehandlungsmethode an, 505 sondern gibt gleichzeitig eine Probe seiner „Heiligkeit.“501 „Þat þykki mér þá skylt at biðja þ<strong>es</strong>s, at þú takir hendi þinni á síðu mér, þar er hjarta er undir. Getek okkra viðrœðu skamma. Ætla ek þér hugkvæmra vera munu, ef þú þreifar á meini mínu á efstustundum.“ Egils þáttr Síðu-Hallssonar (Bergsbók), 382 f. (Þórhallur Vilmundarson & BjarniVilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).502 Olafr konungr lagði hendr sinar yfir siðv Egils þar er verkriN la vndir oc sÃng bønir sinar. Eniamnsciott toc ór verkinn allan. Saga Óláfs konungs hins helga, 447 12-13 (Johnsen & Jón Helgason1941).503 Konungr gengr þá at Agli ok heldr hendi sinni á honum. Þá settisk Egill upp ok lézk heill vera, oksvá var sem hann sagði, en eigi var hann einn heill, heldr þeir allir, er sjúkir váru í liði konungs, okkom síðan aldri gørningasótt í lið konungs, […]. Egils þáttr Síðu-Hallssonar (Bergsbók), 383(Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).504 Svá er frá sagt, at við átak hans linar þegar sóttinni ok hœgðisk mjôk; en konungr gengr á brott fráAgli, ok batnar honum stund frá stund, ok þar kemr, at hann verðr alheill. Egils þáttr Síðu-Hallssonar,383 (Þórhallur Vilmundarson & Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).505 Kaiser 1998, 77.154


Di<strong>es</strong>er ist er sich zu di<strong>es</strong>em Zeitpunkt offenbar selbst noch gar nicht bewußt: „Ich binkein Arzt.“ 506 Trotzdem entspricht er dem Wunsch Egills und legt ihm seine Handauf die Brust. Im Text der Saga Óláfs konungs hins helga singt er gleichzeitig einGebet. Kaiser weist darauf hin, daß Gebete oder B<strong>es</strong>chwörungsformeln oft beimHandauflegen g<strong>es</strong>prochen wur<strong>den</strong>, „um die Heilwirkung zu steigern.“ 507 Gleichzeitiginterpretiert sie Egills Heilung durch Óláfr als dem Christentum zugeordneteheilmagische Praktik. Den scha<strong>den</strong>magischen Handschuhen d<strong>es</strong> finnischenZauberers stellt sie die „heilmagisch fähige[n] Hände“ König Óláfrs gegenüber. 508Die Symbolik di<strong>es</strong>er Stelle ist jedoch weit<strong>aus</strong> stärker als daß sich Óláfrs Kräfte aufseine Hände reduzieren ließen. Als Ausdruck seiner Heiligkeit tritt er in di<strong>es</strong>er Szeneals Christus selber auf. 509 Daß Christus in <strong>den</strong> Sagas oft durch irdische Stellvertreterwirkt, u.a. durch König Óláfr, greift Kaiser später in etwas anderem Zusammenhangauf. 510Um welche Krankheit <strong>es</strong> sich bei hjartverkr handelt, ist nicht genau zu klären.Fritzner übersetzt <strong>den</strong> Begriff mit „Smerte, Sygdom i Hjertet” 511 ; Cleasby &Guðbrandur Vigfússon mit „heart-ache“ 512 und Heggstad, Hødnebø & Simensen mit„1. ein sjukdom i mag<strong>es</strong>ekken, kardialgi. 2. hjarteverk, hjart<strong>es</strong>org.” 513 Daß„Herzschmerz“ auch als Erkrankung d<strong>es</strong> Magens aufgefaßt wer<strong>den</strong> kann, stellt fürdie vorliegende Textpassage ein Lokalisierungsproblem der Krankheit dar.Reichborn-Kjennerud weist darauf hin, daß die Cardia d<strong>es</strong> Magens (= der Teil d<strong>es</strong>Magens, der sich der Speiseröhre anschließt) von Thukydid und Galen mitdemselben Ausdruck wie das Herz belegt wurde. Somit bezeichne hjartverkr ehereine Krankheit d<strong>es</strong> Magens, was sich auch in der Tatsache zeige, daß Herz undMagen in sprachlichen Wendungen oft synonym verwendet wür<strong>den</strong>, z.B.506 Ekki em ek læknir. Egils þáttr Síðu-Hallssonar (Bergsbók), 383 (Þórhallur Vilmundarson &Bjarni Vilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).507 Kaiser 1998, 77.508 Kaiser 1998, 78.509 Vgl. auch: Markus 8, 25: „Da legte er ihm nochmals die Hände auf die Augen; nun sah der Manndeutlich. Er war geheilt und konnte all<strong>es</strong> ganz genau sehen.“; Lukas 5,13: „Da streckte J<strong>es</strong>us die Hand<strong>aus</strong>, berührte ihn und sagte: Ich will <strong>es</strong> – werde rein! Im gleichen Augenblick verschwand derAussatz.“510 Kaiser 1998, 79.511 Fritzner 1973 (1), 831. Übersetzung: Schmerz, Herzkrankheit.512 Cleasby & Guðbrandur Vigfússon 1957, 266.513 Heggstad, Hødnebø & Simensen 1975, 189. Übersetzung: 1. eine Magenkrankheit, Kardialgie. 2.Herzschmerz, Herzleid.155


„vannmegin [sic!] hjartans ok matmagans.“ 514 In di<strong>es</strong>em Sinne interpretiert er dieSeuche unter Óláfrs Leuten als Erkrankung d<strong>es</strong> Magens: „ Die Krankheit wurde alsHerzschmerz interpretiert, aber auch hier muß <strong>es</strong> sich um eine Magenkrankheitgehandelt haben.“ 515Auch Grøn merkt an, daß hjartverkr zwar nur mit„Herzkrankheit“ übersetzt wer<strong>den</strong> könne, ohne daß jedoch „damit eine Krankheit d<strong>es</strong>Herzens gemeint wird.“ 516 Di<strong>es</strong> gründe sich auf die bis ins 17. Jahrhundert gültigehippokratische Lehrmeinung, nach der das Herz nicht erkranken könne. 517 SigurðurSamúelsson geht noch einen Schritt weiter und diagnostiziert in o.g. Textpassageeine Seuche, die unter starken Durchfällen zum Tode führt. Die Brustschmerzeninterpretiert er als Koliken. Durch ihre Lokalisation unter dem Rippenbogen wür<strong>den</strong>sie mit dem Brustbereich assoziiert:Obwohl <strong>es</strong> sich so verhalten soll, daß <strong>es</strong> sich hier um eine durch Magiehervorgerufene Krankheit handelt, ist offensichtlich, daß <strong>es</strong> sich hier bei einerReihe von Leuten um eine akute Erkrankung handelt mit Blähungen undKolikschmerzen. Der „Herzschmerz“ wird sich wahrscheinlich vonSchmerzen unter dem Rippenbogen herleiten, die sich in <strong>den</strong> Brustkorbprojizieren. Es fehlt nur noch die B<strong>es</strong>chreibung von Diarrhoe, um dasKrankheitsbild zu vervollständigen. 518Sigurður Samúelssons Diagnostik ist nicht ohne weiter<strong>es</strong> nachvollziehbar. Blähungenwer<strong>den</strong> in keiner der Handschriften erwähnt. Es ergeben sich auch in derSekundärliteratur zu di<strong>es</strong>em Thema keine Anhaltspunkte, daß <strong>es</strong> sich bei hjartverkrum eine Ruhrerkrankung gehandelt haben könnte. Zudem weist Grøn darauf hin, daßfür Durchfallerkrankungen der Begriff útsótt verwendet wurde. 519SigurðurSamúelssons Ansatz muß daher als überwiegend spekulativ betrachtet wer<strong>den</strong>. Dasgilt vor allem auch vor dem Hintergrund, daß <strong>es</strong> eine klare sprachlicheDifferenzierung zwischen thorakalem und abdominalem Schmerz gibt. Grøn nenntals Fachbegriffe für Bauchschmerzen: iðraverkr = Schmerzen der Eingeweide,kviðsótt/kviðverkr = Bauchschmerzen, abbendi = kolikartiger Bauchschmerz. 520 Esist recht unwahrscheinlich, daß sich die von Sigurður Samúelsson vermuteten514 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 40. Übersetzung: Krankheit d<strong>es</strong> Herzens und d<strong>es</strong> Magens.515 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 40.516 Grøn 1907-1908, 494.517 Grøn 1907-1908, 494.518 Sigurður Samúelsson 1998, 26.519 Grøn 1907-1908, 434.520 Grøn 1907-1908, 503.156


Darmkoliken so weit apikal unter dem Rippenbogen abspielen, daß sie vor demHintergrund oben genannter definitorischer Schärfe als Brustschmerzenmißinterpretiert wer<strong>den</strong> könnten.Auch stimmt die Lage d<strong>es</strong> Magens mit der Lokalisation der Schmerzen nicht überein.Egill möchte, daß König Óláfr ihn an der schmerzen<strong>den</strong> siða berührt, „wo sich dasHerz befindet“. Siða bezeichnet die Körperseite zwischen Brust und Rücken. 521Magenschmerzen wären jedoch eher im Epigastrium anzusiedeln. Die vonReichborn-Kjennerud ang<strong>es</strong>prochenen Magenschmerzen <strong>aus</strong> dem Bereich der Cardiaprojizieren sich allenfalls unter das Brustbein, doch nicht auf <strong>den</strong> von Egillbezeichneten Körperbereich. Bei <strong>den</strong> übrigen Männern ist die Schmerzlokalisationzwar nicht näher bezeichnet, doch da <strong>es</strong> sich um ein und di<strong>es</strong>elbe Krankheit handelt,kann von entsprechen<strong>den</strong> Symptomen an ähnlicher Stelle <strong>aus</strong>gegangen wer<strong>den</strong>. Esergibt sich hier<strong>aus</strong> Grund zu der Annahme, daß <strong>es</strong> sich tatsächlich um rein thorakaleSchmerzen handelt. Das deutsche volkssprachliche Seitenstechen, das sich nachüppigen Mahlzeiten bei körperlicher Belastung einzustellen pflegt, kommtdifferentialdiagnostisch nicht in Frage. Weder handelt <strong>es</strong> sich um eine Krankheit,noch um ein epidemisch auftretend<strong>es</strong> Phänomen. Was eine genauere diagnostischeEingrenzung zusätzlich erschwert, ist die Tatsache, daß <strong>es</strong> sich bei hjartverkr umeinen in der Literatur sehr selten vorkommen<strong>den</strong> Begriff handelt. Die Symptomatikbleibt weitgehend unklar. Reichborn-Kjennerud kennt lediglich ein weiter<strong>es</strong> Beispielim Ynglingatal, wo König Hákon Sverrisson an hjartverkr stirbt. 522 Eine detaillierteB<strong>es</strong>chreibung d<strong>es</strong> Krankheitsverlauf<strong>es</strong> fehlt. In <strong>den</strong> Byskupasögur wirdBauchschmerz zwar insg<strong>es</strong>amt zehnmal thematisiert (Abb. 5), doch kein einzig<strong>es</strong>Mal als hjartverkr bezeichnet.Auf welche Erkrankung letztlich ang<strong>es</strong>pielt wird, wird sich nicht klären lassen.Bezogen auf <strong>den</strong> Herz-, Thoraxbereich gibt <strong>es</strong> keine tödlich verlaufende epidemische(Infektions)Krankheit mit <strong>den</strong> g<strong>es</strong>childerten Symptomen. Sonderbarerweise wurde inDänemark erstmals zu Beginn der 30‘er Jahre d<strong>es</strong> 20. Jahrhunderts 523 eineErkrankung b<strong>es</strong>chrieben, die nach dem Ort ihrer Entdeckung <strong>den</strong> Namen „Bornholm-Krankheit“ (lat. Pleurodynia epidemica) erhielt. Es handelt sich hierbei um eineepidemieartig, meist im Spätsommer auftretende Virusinfektion (Coxsackievirus der521 Baetke 1993 [SSAWL 111], 531.522 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 40.523 Ge<strong>es</strong>ing 2003.157


Gruppe B). Die Ansteckung erfolgt gewöhnlich fäkal-oral (große Mengen d<strong>es</strong>Erregers wer<strong>den</strong> mit dem Stuhl <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chie<strong>den</strong>), über Speichel oder Nasensekret. 524Bei mangelnder Hygiene kann eine Übertragung auch durch kontaminiert<strong>es</strong> Wasserund/oder Lebensmittel stattfin<strong>den</strong>. Neben allgemeinen Symptomen wie Fieber, KopfundGliederschmerzen hat die Krankheit ein klassisch<strong>es</strong> Symptom: Brustschmerz.Di<strong>es</strong>er kann so <strong>aus</strong>geprägt sein wie bei einem Herzinfarkt, 525 was der Krankheit auch<strong>den</strong> Namen „Devil‘s Grip“ 526 eingetragen hat. Verursacht wer<strong>den</strong> die Schmerzenbeim Atmen durch Ausdehnung entzündeter Zwischenrippenmuskulatur. Sie könnenvon Individuum zu Individuum stark variieren und treten überdi<strong>es</strong> nicht bei allenInfizierten auf. Nach ein bis zwei Tagen klingt die Krankheit ab; Komplikationensind eher selten. 527Es soll an di<strong>es</strong>er Stelle nicht behauptet wer<strong>den</strong>, Óláfrs Leute litten an der Bornholm-Krankheit, da die Wahrscheinlichkeit hierfür sehr gering ist. Darüber hin<strong>aus</strong> ist diePleurodynie eine in ihrem Verlauf gutartige Erkrankung und führt nicht zum Tode.Als Hinweis ist sie im Kontext hjartverkr aber erwähnenswert. Denn <strong>es</strong> ist einmerkwürdiger Zufall, daß die Krankheit in der Saga gleichfalls in Dänemark auftritt,epidemisch verläuft und sich durch Brustschmerz <strong>aus</strong>zeichnet.10.5 SchmerzchiffrenIn <strong>den</strong> Sagas, die dem nordischen Männlichkeitsideal verpflichtet sind, fin<strong>den</strong> sichanstelle von Schmerz oft „unverfängliche“, formelhaft verwendete Ausdrücke undRedewendungen. Es handelt sich vor allem um die Ausdrücke blóðrás mœðir e-n(Blutverlust schwächt jmd.), móðr (erschöpft) und stirðr (steif).Beispiel:[…]; sie ging in die Küche und zu dem Bettverschlag, in dem Þórðr lag undschlief; die Tür war zugefallen, aber das Schloß war nicht vorgelegt. Siebetrat <strong>den</strong> Bettverschlag, aber Þórðr schlief und lag auf dem Rücken mit demG<strong>es</strong>icht nach oben. Da weckte Auðr Þórðr, aber er dreht sich auf die Seite, alser sah, daß jemand gekommen war. Sie zückte daraufhin das Kurzschwertund stach damit nach Þórðr und fügte ihm eine große Verletzung zu und trafihn am rechten Arm; er wurde an bei<strong>den</strong> Brustwarzen verwundet; so f<strong>es</strong>tstach sie zu, daß das Kurzschwert in das Bettpolster eindrang. Danach ging524 Harvard Medical School‘s Consumer Health Information 2002.525 Family Practice Notebook 2000, 4212.526 Vgl. Harvard Medical School‘s Consumer Health Information 2002; GP notebook 2003.527 Harvard Medical School‘s Consumer Health Information 2002.158


Auðr fort und zum Pferd und stieg auf und ritt dann nach H<strong>aus</strong>e. Þórðr wollteaufspringen als er die Wunde erhielt und dar<strong>aus</strong> wurde nichts, weil er vomBlutverlust g<strong>es</strong>chwächt war. Dadurch erwachte Ósvífr und fragt, was passiertsei, aber Þórðr sprach, Opfer ein<strong>es</strong> Attentat<strong>es</strong> gewor<strong>den</strong> zu sein. Ósvífr fragt,ob er wisse, wer ihn verletzt habe und stand auf und verband seine Wunde.Þórðr sagte, er vermute, daß Auðr di<strong>es</strong> getan habe. 528Der im Beispiel als Grund für Þórðrs Liegenbleiben genannte Blutverlust ist keinglaubwürdig<strong>es</strong> Argument. Er will sofort nach Erhalt d<strong>es</strong> Schlag<strong>es</strong> aufspringen. Zudi<strong>es</strong>em Zeitpunkt hat er im b<strong>es</strong>ten Fall einige Milliliter Blut verloren, was ihnschwerlich funktionell behindert. Würde er tatsächlich so stark bluten wie behauptet,wäre er schneller tot als Ósvífr <strong>den</strong> ersten Verband anlegen könnte. Vielwahrscheinlicher ist, daß der Schmerz seinen Körper in eine Schonhaltung zwingtund er dadurch nicht aufspringen kann. Da er sich aber nicht die Blöße geben kann,Schmerz zu zeigen, wird auf <strong>den</strong> unverdächtigen Blutverlust <strong>aus</strong>gewichen. Di<strong>es</strong>erschwächt (erschöpft) ihn so sehr, daß er liegenbleiben muß. Das zum Verb mœðagehörige Adjektiv lautet móðr (= müde, erschöpft). Auf das formelhaft verwendetemóðr ok stirðr wurde bereits an anderer Stelle hingewi<strong>es</strong>en. Beispielsweise wirdGísli in der Gísla saga Súrssonar auf der Flucht vor seinem Feind Bôrkr von einemSpeer an der Wade getroffen:Börkr und seine Leute gehen nun auf die Insel, aber Gísli springt ins Wasserund will an Land schwimmen. Börkr wirft ihm einen Speer hinterher und trafihn an der Wade und schnitt ein Stück her<strong>aus</strong> und das war eine große Wunde.Er zieht <strong>den</strong> Speer her<strong>aus</strong>, verliert aber das Schwert, weil er so erschöpft war,daß er <strong>es</strong> nicht f<strong>es</strong>thalten konnte. 529Das Wort móðr nimmt sich in di<strong>es</strong>em Zusammenhang eher fremd <strong>aus</strong> und scheintfehl am Platz. Es wird nicht deutlich, wodurch genau Gíslis Erschöpfunghervorgerufen wird. Eine andere Ursache als die Speerverletzung steht nicht zurAuswahl. Folglich setzt ihm nicht die Schwimmstrecke zu, sondern er wird durch die528 […]; hon gekk til eldhúss ok at lokrekkju þeiri, er Þórðr lá í ok svaf; var hurðin fallin aptr, en eigilokan fyrir. Hon gekk í lokrekkjuna, en Þórðr svaf ok horfði í lopt upp. Þá vakði Auðr Þórð, en hannsnerisk á hliðina, er hann sá, at maðr var kominn. Hon brá þá saxi ok lagði at Þórði ok veitti honumáverka mikla, ok kom á hôndina hœgri; varð hann sárr á báðum geirvôrtum; svá lagði hon til fast, atsaxit nam í beðinum staðar. Síðan gekk Auðr brott ok til h<strong>es</strong>ts ok hljóp á bak ok reið heim eptir þat.Þórðr vildi upp spretta, er hann fekk áverkann, ok varð þat ekki, því at hann mœddi blóðrás. Við þettavaknaði Ósvífr ok spyrr, hvat títt væri, en Þórðr kvazk orðinn fyrir áverkum nôkkurum. Ósvífr spyrr,ef hann vissi, hverr á honum hefði unnit, ok stóð upp ok batt um sár hans. Þórðr kvazk ætla, at þathefði Auðr gôrt. LaxdÍla saga, 98 (Einar Ól. Sveinsson 1934 [ÍF 5]).529 Þeir Bôrkr ganga nú upp á eyna, en Gísli hleypr á sund ok ætlar at leggjast til lands. Bôrkr skýtreptir honum spjóti, ok kom í kálfann á honum ok skar út ór, ok varð þat mikit sár. Hann kemr á brottspjótinu, en týnir sverðinu, því at hann var svá móðr, at hann gat eigi á haldit. Gísla saga Súrssonar,85 f. (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).159


Wunde beim Schwimmen behindert. Di<strong>es</strong> kann sie aber nur, indem sie schmerzt.Eine Fleischwunde an der Wade stellt beim Schwimmen per se keine funktionelleBehinderung dar, so daß auch hier der Eindruck entsteht, daß eigentlich Schmerzgemeint ist, wo Erschöpfung steht. Angenommen, Gísli wäre ein Mensch ohneSchmerzempfin<strong>den</strong>. Wahrscheinlich würde er die Verwundung kaum bemerken. Siewürde ihn beim Schwimmen folglich nicht behindern und er wäre nicht erschöpft.Den Unterschied zwischen erschöpft und nicht erschöpft macht also derWundschmerz. Im unmittelbaren Anschluß wird noch einmal auf Gíslis Zustandang<strong>es</strong>pielt. Wiederum wird Schmerz <strong>aus</strong>geklammert und statt d<strong>es</strong>sen das formelhaftemóðr ok stirðr verwendet:Als er an Land kommt, da läuft er in <strong>den</strong> Wald, weil zu di<strong>es</strong>er Zeit weiteTeile d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> bewaldet waren. Danach rudert Bôrkr mit seinen Leuten anLand und sucht Gísli und sie umzingeln ihn im Wald und er ist so erschöpftund steif, daß er kaum gehen kann und wird nun all der Leute um sich herumgewahr. 530Auch Auðunn Tómasson ist nach dem Kampf am Þverá sehr „erschöpft“:Auðunn fragte, ob Þorgils ihn begnadigen wolle. Er sprach, das gerne tun zuwollen und fragte, ob er irgendwie verwundet sei. Er antwortete, nichtverwundet zu sein, doch sehr erschöpft. Auðunn erklärte, zurückbleiben zuwollen und sich <strong>aus</strong>zuruhen. Þorgils ließ Ingimundr, seinen Bruder und Dal-Jón bei ihm zurück, um ihn zu bewachen. Auðunn setzte sich an derBöschung d<strong>es</strong> Fluss<strong>es</strong> nieder und sagte, er hätte Durst. Ingimundr gab ihmdreimal zu trinken. Dann sank er zurück und starb wenig später. 531Zusätzlich wird neben móðr auch stirðr verwendet. Letzter<strong>es</strong> bezieht sich eindeutigauf die Verletzung und kennzeichnet eine Schonhaltung d<strong>es</strong> Beins durch di<strong>es</strong>chmerzende Wunde. In der Ljósvetninga saga fällt Eyjólfr vom Pferd und kannnicht mehr laufen, weil das Bein „steif“ ist. Zu erwarten wäre jedoch, daß er vorSchmerz nicht auftreten kann:Und als sie vom Kampf über die Vôðlaheide ritten, unterhielten sie sich überdas G<strong>es</strong>chehene und Eyjólfrs Pferd stürzte und er fiel herunter. Und als eraufstehen wollte, wurde ihm das Bein so steif, daß er hinkte. Und als die530 Er hann komsk at landi, þá hleypr hann í skóg, því at þá var víða skógum vaxit. Þá róa þeir Bôrkrat landi ok leita Gísla ok kvía hann í skóginum, ok er hann svá móðr ok stirðr, at hann má varla ganga,ok verðr nú varr við menn alla vega frá sér. Gísla saga Súrssonar, 86 (Björn K. Þórolfsson & GuðniJónsson 1958 [ÍF 6]).531 Spurði Auðun, ef Þorgils vildi gefa honum grið. Hann kvaz þat gjarna vilja ok spurði, ef hann værinÄkkut sárr. Hann kvaz ekki sárr vera, en ákafliga móðr. Auðun kvaz vilja vera eptir ok hvílaz. Þorgilssetti eptir hjá honum Ingimund bróður sinn ok Dal-Jón at gæta hans. Auðun settiz niðr við árbakkanok kvaz þyrsta. Ingimundr gaf honum at drekka þrim sinnum. Síðan hné hann aptr ok dó lítlu síðarr.Þorgils saga skarða, 270 (Kålund 1906-1911 (2)).160


Leute zum Allthing ritten, da bot er keinen Frie<strong>den</strong> an. Aber sein Bein war sosteif, daß er nicht gehen konnte und er ritt zwischen <strong>den</strong> Bu<strong>den</strong>. 532Aus di<strong>es</strong>en Beobachtungen läßt sich der Schluß ziehen, daß der Wortschatz derSagas eine Reihe von „Schmerzchiffren“ enthält. Di<strong>es</strong>e sind weitläufig mit Schmerzverwandt und b<strong>es</strong>etzen Positionen im Text, die eigentlich Schmerz<strong>aus</strong>drückenvorbehalten wären. Es läßt sich allgemein<strong>es</strong> Bemühen erkennen, die B<strong>es</strong>chreibungvon Schmerz zu vermei<strong>den</strong>. Weitere Beispiele:Und als Þorbjôrn <strong>den</strong> Stein werfen wollte, zog <strong>es</strong> ihm die Füße weg und erglitt auf <strong>den</strong> Steinen <strong>aus</strong>, so daß er auf <strong>den</strong> Rücken fiel, aber der Stein fielihm auf <strong>den</strong> Brustkorb und ihm wird ganz seltsam zumute. 533Im folgen<strong>den</strong> Beispiel wur<strong>den</strong> die Leute <strong>aus</strong> Ísafjörður mit Steinen angegriffen:Die Leute <strong>aus</strong> Ísafjörður fuhren nach W<strong>es</strong>ten und waren sehr erschöpft von<strong>den</strong> Steinen und waren mit ihrer Fahrt übel zufrie<strong>den</strong>, wie zu erwarten war. 534Eine häufige Schmerzchiffre ist Schwellung, die zwar gelegentlich mit Schmerzverg<strong>es</strong>ellschaftet auftritt, aber durch<strong>aus</strong> auch alleine stehen kann, wie z.B. in dereingangs zitierten Stelle <strong>aus</strong> der Þórðar saga hreðu. In der Grettis sagaÁsmundarsonar kämpft Grettir (in di<strong>es</strong>er Stelle unter dem Pseudonym G<strong>es</strong>tr) miteiner Trollfrau und b<strong>es</strong>iegt sie. Er ist anschließend am ganzen Körper mitHämatomen übersäht, erschöpft und g<strong>es</strong>chwollen; Schmerz fehlt in di<strong>es</strong>erZustandsb<strong>es</strong>chreibung:G<strong>es</strong>tr war unglaublich müde und doch gab <strong>es</strong> nur zwei Möglichkeiten, sichzusammenzureißen oder sie würde ihn in die Schlucht stürzen. Die ganzeNacht kämpften sie. […]; er griff darauf schnell zum Kurzschwert, das erumgegürtet hatte und zieht <strong>es</strong>, schlägt dann auf die Schulter d<strong>es</strong> Trolls, so daßder rechte Arm abgetrennt wurde und so kam er los, aber sie fiel in dieSchlucht und dann in <strong>den</strong> Wasserfall. G<strong>es</strong>tr war danach sowohl steif als aucherschöpft und lag lange dort auf der Klippe. Dann ging er nach H<strong>aus</strong>e als <strong>es</strong>hell wurde und legte sich ins Bett; er war überall g<strong>es</strong>chwollen und blau. 535532 Ok er þeir riðu ofan yfir Vôðlaheiði frá víginu, þá rœddu þeir um atburðinn, ok hrapaði h<strong>es</strong>tr undirEyjólfi, ok féll hann af baki. Ok er hann vildi upp standa, varð honum stirðr fótrinn, svá at hann gekkhaltr. Ok er menn riðu til alþingis, þá bauð hann engar sættir. En svá var honum fótrinn stirðr, at hannmátti eigi ganga, ok reið hann í milli búða. Ljósvetninga saga, 100 (Björn Sigfússon 1959 [ÍF 10]).533 Ok er Þorbjôrn ætlaði at kasta steininum, skruppu honum fœtrnir, ok varð honum á hált á grjótinu,svá at hann féll á bak aptr, en steinninn fellr ofan á bringspalir honum, ok verðr honum ósvipt við.Hávarðar saga Ísfirðings, 326 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).534 Isfirðingar foro v<strong>es</strong>tr, ok voro miok þrekaþir af griote, ok unðo þeir illa við sina ferð, sem ván varat. Íslendinga saga, 442 f. (Kålund 1906-1911 (1)).535 Þá var G<strong>es</strong>tr ákafliga móðr, en þó varð annathvárt at gera, at herða sik ella myndi hon steypahonum í gljúfrin. Alla nóttina sóttusk þau. […]; hann þreif þá skjótt til saxins, er hann var gyrðr með,ok bregðr því, høggr þá á ôxl trollinu, svá at af tók hôndina hœgri, ok svá varð hann l<strong>aus</strong>s, en honsteypðisk í gljúfrin ok svá í forsinn. G<strong>es</strong>tr var þá bæði stirðr ok móðr ok lá þar lengi á hamrinum.161


In der Gunnlaugs saga ormstungu wird Gunnlaugr beim Ringkampf ein Bein<strong>aus</strong>gekugelt. Es schwillt so stark an, daß er nicht mehr laufen kann, doch er läßt sichnichts anmerken. Schwellung ist das einzige Symptom und steht gleichzeitigstellvertretend für <strong>den</strong> begleiten<strong>den</strong> Schmerz. Das B<strong>es</strong>ondere an di<strong>es</strong>er Stelle ist, daßEinblick in Gunnlaugrs Innenleben gewährt wird. Er ist durch die Intrigen sein<strong>es</strong>Nebenbuhlers um seine Braut betrogen wor<strong>den</strong> und will unbedingt zur Hochzeit.Aufgrund seiner Verletzung ist er nicht imstande, sich fortzubewegen, läßt sich abernichts anmerken. Hier b<strong>es</strong>chränkt sich der Sagaverfasser also nicht bloß auf dasäußerlich Sichtbare (Schwellung), sondern enthüllt auch innere Vorgänge. Selbstwenn Schmerz nicht direkt ang<strong>es</strong>prochen wird, so ist er doch gemeint und hätte indi<strong>es</strong>em Zusammenhang benannt wer<strong>den</strong> können, bzw. müssen:[…] und als sie am nächsten Tag aufeinandertrafen, begannen sie zu ringen.Da schlug Gunnlaugr beide Füße unter Þórðr weg und der fiel hart zu Bo<strong>den</strong>,aber Gunnlaugs Standbein sprang <strong>aus</strong> dem Gelenk und Gunnlaugr fiel da mitÞórðr. […] Gunnlaugr antwortet nicht darauf. Dann wurde das Beinverbun<strong>den</strong> und wieder eingerenkt und schwoll sehr stark an. […] Gunnlaugrsagte, daß er sofort nach Borg reiten wolle. Illugi sagte, daß das nicht ratsamsei und so erschien <strong>es</strong> allen bis auf Gunnlaugr; aber Gunnlaugr war nichtimstande sich fortzubewegen, wegen d<strong>es</strong> Beins, doch er ließ sich nichtsanmerken und d<strong>es</strong>halb wurde nichts <strong>aus</strong> der Reise. 53610.6 Der kämpfende Körper und seine Relation zum SchmerzIn Kampfszenen wird die Schmerzverleugnung oftmals auf die Spitze getrieben. DieKontrahenten agieren wie in Trance und kämpfen trotz teilweise erheblicherVerwundungen ungerührt weiter, bis sie buchstäblich in Stücke gerissen wer<strong>den</strong>.Kann der Betreffende nicht mehr stehen, weil ihm z.B. ein Bein abg<strong>es</strong>chlagen wurde,muß eben ein Baumstamm für die nötige Stabilität beim Kämpfen sorgen:Gunnlaugr hieb schließlich mit einen gewaltigen Schwertschlag nach Hrafnund [hieb] Hrafn das Bein ab; Hrafn fiel jedoch nicht, sondern humpeltemühsam zu einem Baumstamm und stützte sich dort auf <strong>den</strong> Stumpf. 537Gekk hann þá heim, er lýsa tók, og lagðisk í rekkju; hann var allr þrútinn ok blár. Grettis sagaÁsmundarsonar, 212 f. (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).536 […] ok um daginn, er þeir fundusk, tóku þeir til glímu. Þá l<strong>aus</strong>t Gunnlaugr báða fœtrna undanÞórði ok felldi hann mikit fall, en fótrinn Gunnlaugs stôkk ór liði, sá er hann stóð á, ok féll Gunnlaugrþá með Þórði. […] Gunnlaugr svarar engu. Þá var vafiðr fótrinn ok í liðinn fœrðr ok þrútnaði allmjôk.[…] Gunnlaugur kvazk þá þegar vilja ofan ríða til Borgar. Illugi kvað þat ekki ráð, ok svá sýndiskôllum nema Gunnlaugi; en Gunnlaugr var þó ófœrr fyrir fótarins sakar, þótt hann léti ekki á sjásk, okvarð því ekki af ferðinni. Gunnlaugs saga ormstungu, 86 f. (Sigurður Nordal & Guðni Jónsson 1956[ÍF 3]).537 Gunnlaugr hjó þá um síðir til Hrafns mikit hôgg með sverðinu ok undan Hrafni fótinn; Hrafn féllþó eigi at heldr og hnekkði þá at stofni einum og studdi þar á stúfinum. Gunnlaugs saga ormstungu,102 (Sigurður Nordal & Guðni Jónsson 1956 [ÍF 3]).162


Ein góðr drengr reagiert auf Verletzungen nicht mit Schmerz, sondern lediglich miteing<strong>es</strong>chränkter Kampfkraft. Es wird deutlich, daß Schmerz für echte Hel<strong>den</strong> keinGrund ist, sich <strong>aus</strong> einem Kampf zurückzuziehen:Eyjólfr Þorsteinsson stand zu Beginn der Schlacht in der mittlerenSchlachtreihe Hrafns und schlug sich gut und tapfer und dort gab <strong>es</strong> keinenlangen Waffengang, wo er der Gegner war. Er stand f<strong>es</strong>t und die, die ihmfolgten. Eyjólfr hatte im Kampf einen Schlag mit einem Stein auf die Brusterhalten und d<strong>es</strong>halb fiel ihm das Kämpfen eher schwer. Seine Taten warenvon da an weniger als sie sonst gew<strong>es</strong>en wären. Der Kampf gewann mit derZeit sehr an Hitzigkeit. Männer griffen Eyjólfr da heftig an; er wurde daraufvon Erschöpfung geplagt. 538An etlichen Stellen der untersuchten Sagaliteratur begegnet man di<strong>es</strong>erKampf<strong>es</strong>philosophie, was Rückschlüsse auf das Körperverständnis der Hel<strong>den</strong>ermöglicht. Es wird deutlich, daß das Verhältnis zum eigenen Körper ein sehrzwieg<strong>es</strong>palten<strong>es</strong> ist. Auf der einen Seite wird Schmerz als wichtigst<strong>es</strong> körperlich<strong>es</strong>Warnsignal drohen<strong>den</strong> Scha<strong>den</strong>s völlig ignoriert. Man stürzt sich ohne Rücksicht aufdie möglichen Konsequenzen für <strong>den</strong> eigenen Körper in <strong>den</strong> Kampf und nimmt sogar<strong>den</strong> eigenen Tod anscheinend leichtfertig in Kauf oder, was in <strong>den</strong> Sagas beinahenoch schlimmer ist: ein Leben als Behinderter. Denn auf <strong>den</strong> Heilungsverlauf wirdauf der anderen Seite großen Wert gelegt. Wie lange jemand verwundet ist, ob undwann er wieder g<strong>es</strong>und wird, und ob er bleibende Schä<strong>den</strong> davonträgt, hat in <strong>den</strong>Sagas einen hohen Stellenwert. Körperliche Verstümmelungen beeinträchtigen auchdas Ansehen der betroffenen Person. Männlichkeit und g<strong>es</strong>ellschaftliche Stellungnehmen in di<strong>es</strong>en Fällen Scha<strong>den</strong>. Trotzdem wird auf die möglichen Konsequenzenfür <strong>den</strong> Körper in <strong>den</strong> Kämpfen wenig Rücksicht genommen. Ist die körperlicheIntegrität in Gefahr, wird eher der Tod g<strong>es</strong>ucht als das Leben mit einer Behinderungauf sich zu nehmen. In Fortführung obigen Beispiels <strong>aus</strong> der Gunnlaugs sagaormstungu fällt Gunnlaugrs Reaktion auf <strong>den</strong> einbeinigen Hrafn sehr deutlich <strong>aus</strong>:Da sprach Gunnlaugr: „Nun bist du kampfunfähig,” sagt er, „und ich willnicht länger mit dir verstümmeltem Mann kämpfen.” 539538 Eyjólfr Þorsteinsson stóð í miðri fylkingu þeira Hrafns Ändurðan bardagann ok barðiz vel okdrengiliga, ok gekk þar eigi lengi á, er hann var fyrir, stóð hann fast ok þeir sem honum fylgdu.Eyjólfr hafði fengit steinshÄgg [fra]man a briostid i bardaganvm, ok v[ard] [honum] vid [þat] [he]lldrerfit; voro hans atgerdir þadann af minni en elligar [mun]di. Geck þa bardaginn sem snarpaz vm hrid.Sottv [menn] þa fast at Eyjólfi; angradi hann þa m©di. Þorgils saga skarða, 269 (Kålund 1906-1911(2)).539 Þá mælti Gunnlaugr: „Nú ertu óvígr,” segir hann, „ok vil ek eigi lengr berjask við þik, ørkumlaðanmann.” Gunnlaugs saga ormstungu, 102 (Sigurður Nordal & Guðni Jónsson 1956 [ÍF 3]).163


Hrafn hat weit<strong>aus</strong> mehr verloren als sein Bein, nämlich seinen Status. Er ist fürGunnlaugr kein würdiger Gegner mehr und di<strong>es</strong>er lehnt <strong>es</strong> ab, weiter mit ihm zukämpfen. In punkto Blutverlust steht die Textstelle auch im Gegensatz zu weiteroben aufgeführtem Beispiel <strong>aus</strong> der LaxdÍla saga. Obwohl die Amputation ein<strong>es</strong>Bein<strong>es</strong> mit einer erheblichen Blutung einhergeht, wird das Thema hier nichtbehandelt. Hrafn humpelt zu einem Baumstamm und stützt sich dort auf. Der einzigeHinweis auf seinen Schmerz ergibt sich <strong>aus</strong> der Tatsache, daß er mühsam humpelt.Scheinbar unbeeindruckt von seiner lebensbedrohlichen Verletzung schafft er <strong>es</strong>seinerseits, Gunnlaugr eine schwere Verwundung beizubringen:Hrafn antwortete: „So ist das,” sagt er, „daß ich arg mitgenommen bin, aberdoch wird <strong>es</strong> schon gehen, wenn ich etwas zu Trinken bekommen könnte.”Gunnlaugr antwortet: „Betrüge mich nicht,” sagt er, „wenn ich dir Wasser inmeinem Helm bringe.” Hrafn antwortet: „Ich werde dich nicht hintergehen,”sagt er. Dann ging Gunnlaugr zu einem Bach und holte [Wasser] im Helmund gab <strong>es</strong> Hrafn; und er streckte die linke Hand <strong>aus</strong>, aber hieb Gunnlaugrmit dem Schwert in der rechten Hand in <strong>den</strong> Kopf und das war eine sehrgroße Wunde. Da sprach Gunnlaugr: „Übel hast du mich nun verraten undfeige hast du dich gegen mich verhalten, der ich dir traute.” 540Im Rückgriff auf die in Kapitel 10.5 b<strong>es</strong>prochene Verletzung Þórðrs in der LaxdÍlasaga untermauert obige Textstelle die dort geäußerte Vermutung, daß Blutverlustnicht der Grund für Þórðrs Liegenbleiben darstellt. Hrafn behält trotz Amputationeinen großen Teil seiner Kampfkraft. Er blutet zudem über einen längeren Zeitraumals Þórðr, hätte also erheblich stärker g<strong>es</strong>chwächt sein müssen.In Hrafns Verhalten erinnert an die Studienergebnisse von Zborowski, d<strong>es</strong>senPatienten ihren Schmerz als drohende Arbeitslosigkeit oder finanziellen Ruininterpretierten. Bezeichnenderweise sagte einer der Befragten: „Wenn mein Rückenkaputtgeht, geht all<strong>es</strong> kaputt. Man ist <strong>aus</strong> dem G<strong>es</strong>chäft.“ 541Betont wird durch di<strong>es</strong>e Aussage die körperliche Funktion. Schmerz wird mit allenMitteln verdrängt, weil er das reibungslose Funktionieren d<strong>es</strong> Körpers in Frage stellt.Wenn der Körper <strong>den</strong> alltäglichen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist, stehtdas Überleben auf dem Spiel. Die Angst vor existenzbedrohen<strong>den</strong> Konsequenzen540 Hrafn svaraði: „Svá er þat,” segir hann, „at mjôk hefir á leikizk minn hluta, en þó myndi mér ennvel duga, ef ek fenga at drekka nôkkut.” Gunnlaugr svarar: „Svík mik þá eigi,” segir hann, „ef ek fœriþér vatn í hjálmi mínum.” Hrafn svarar: „Eigi mun ek svíkja þik,” segir hann. Síðan gekk Gunnlaugrtil lœkjar eins ok sótti í hjálminum ok fœrði Hrafni; en hann seildisk í mót inni vinstri hendinni, en hjóí hôfuð Gunnlaugi með sverðinu hinni hœgri hendi, ok varð þat allmikit sár. Þá mælti Gunnlaugr: „Illasveiktu mik nú, ok ódrengiliga fór þér, þar sem ek trúða þér.” Gunnlaugs saga ormstungu, 102(Sigurður Nordal & Guðni Jónsson 1956 [ÍF 3]).541 Zborowski 1960, 20.164


ließ Zborowskis Patienten ihren Schmerz bagatellisieren und nach harmlosenErklärungen suchen (z.B. Krampf, Verspannung). Zborowski folgerte: „Man reagiertauf Schmerzen nicht nur als Individuum, sondern auch als Italiener, Jude, […] odernordischer Mensch.“ 542 Die Angst vor bleiben<strong>den</strong> körperlichen Schä<strong>den</strong> und derdamit einhergehen<strong>den</strong> Abwertung ihrer Person mag in <strong>den</strong> Sagas einer der Gründefür die Tod<strong>es</strong>verachtung der Hel<strong>den</strong> sein. Aus Angst vor dem g<strong>es</strong>ellschaftlichen Todbegehen sie quasi Selbstmord.In der Jarteinabók Þorláks byskups in yngsta wird über <strong>den</strong> Bauern Hallur berichtet,der sich bei einem Unfall an einer Sensenklinge die Nase und einen Teil d<strong>es</strong>G<strong>es</strong>icht<strong>es</strong> abschneidet. Er fixiert die abgetrennten G<strong>es</strong>ichtsteile mit <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> anihrem Platz und wird ins Dorf gebracht. Dort fin<strong>den</strong> zunächst Fürbitten statt, an Gottund <strong>den</strong> heiligen Þorlákr. In di<strong>es</strong>em Gebet spiegelt sich Angst vor Arbeitsunfähigkeitund Entstellung wider:[…] und ging dann nach H<strong>aus</strong>e zum Gehöft und als er nach H<strong>aus</strong>e kam,beteten sie beide, der Bauer Andri<strong>es</strong> und Hallur, zuallererst zum allmächtigenGott, und zum seligen Bischof Þorlákr um Fürbitte [und versprachen,] einenhalben Öre an Skálaholt zu geben, damit er wieder g<strong>es</strong>und würde, ohneEntstellung durch die Wunde, und daß ihn das nicht lange an der Arbeithindere. 543Durch ein Wunder d<strong>es</strong> heiligen Þorlákr wird Hallur innerhalb von drei Tagen geheilt.Während di<strong>es</strong>er Zeit verhält er sich wie Zborowskis Patienten: er verdrängt <strong>den</strong>Wundschmerz. Die Furcht vor <strong>den</strong> möglichen Konsequenzen seiner Verletzung läßtihn sich ganz auf seinen Glauben fixieren. In seiner existentiellen Not ang<strong>es</strong>ichtsdrohender Arbeitsunfähigkeit und Entstellung verlieren die Schmerzen an Intensität.Di<strong>es</strong>er Umstand wird in der Saga jedoch als Beweis für die Wirksamkeit der Gebeteinterpretiert:Da war die Wunde derart verheilt, daß alle Schwellung <strong>aus</strong> seinem G<strong>es</strong>ichtverschwun<strong>den</strong> und <strong>es</strong> so makellos war, als ob er nie verletzt wor<strong>den</strong> wäre, nurdie Narbe war zu sehen, die wie ein sehr dünner weißer Fa<strong>den</strong> um dasNasenbein lag. Seit gebetet wor<strong>den</strong> war, hatte er auch zu keiner Zeit so großeSchmerzen oder Brennen in der Wunde, daß er nicht schlafen konnte. 544542 Zborowski 1960, 20.543 […], og gieck so heim til bæjarins, og sem hann kom heim hietu þeir Andri<strong>es</strong> bondi bader ogHallur a almattkann gud ad vpphafe og hinn sæla Thorlak byskup til arnadar ordz ad giefa halfanneyre til Skala hollts, til þ<strong>es</strong>s ad hann mætti heill verda lytal<strong>aus</strong>t af sarinu og ad honum stædi þad eyleingi fyrer vinnu. Þorláks saga C, 357 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).544 […], var þa so groid sarid, ad allur þroti var burtu vr hans andliti, og so lytal<strong>aus</strong>t sem hann hefdialldrei sär ordid, vtan orid matti sia, so sem allmior huytur þrädur lægi vm nefid, var honum og165


In der Heiðarvíga saga, die laut Sigurður Nordal und Finnur Jónsson zu <strong>den</strong> ält<strong>es</strong>tenüberlieferten Texten der Íslendingasögur zählt, 545 wird ebenfalls konkret auf di<strong>es</strong>enPunkt eingegangen:Nun ist von Þorbjôrn und Þóroddr zu berichten; sie gehen an anderer Stelleaufeinander los und <strong>es</strong> fehlt dort nicht an gewaltigen Schlägen und niemandschonte <strong>den</strong> anderen und die meisten [Schläge] waren über<strong>aus</strong> heftig. Undeinen Hieb richtet Þóroddr gegen Þorbjôrn und schlägt ihm <strong>den</strong> Fuß imFußgelenk ab, aber der weicht nicht zur Seite und sticht Þóroddr mit demSchwert in <strong>den</strong> Bauch und der fällt und die Eingeweide liegen her<strong>aus</strong>.Þorbjôrn sieht nun seine Verwandten; findet nun das Leben mit so einerVerstümmelung nicht mehr lebenswert. 546Þorbjôrn weiß, daß er als Behinderter seinen sozialen Status einbüßt. Er ist, um <strong>es</strong>mit <strong>den</strong> Worten von Zborowskis Patienten <strong>aus</strong>zudrücken, „<strong>aus</strong> dem G<strong>es</strong>chäft“ 547 undnicht bereit, damit zu leben. Er b<strong>es</strong>chließt d<strong>es</strong>halb, mit drengskapr zu sterben undkämpft trotz seiner Verletzung wie ein B<strong>es</strong><strong>es</strong>sener weiter:Er läuft dann zu Barðr und kämpft mit ihm. Da sprach Barðr: „Du scheinstmir ein Troll zu sein, so wie du kämpfst, obwohl dein Fuß ab ist; […].“ Dasagt Þorbjôrn: „Es ist kein Trolltum, wenn jemand Wun<strong>den</strong> erträgt und nichtso weichlich ist, daß er sich nicht wehrt, solange er kann; das mag alsdrengskapr ang<strong>es</strong>ehen wer<strong>den</strong> und so sollt<strong>es</strong>t du <strong>es</strong> einschätzen, da du selbstein mutiger Mann genannt wirst und die Leute nicht Troll schelten,. Und daswerdet ihr über mich sagen, ehe ich ins Gras beiße, daß ich <strong>es</strong> fürwahrverstand, meine Waffen zu gebrauchen.“ 548Þorbjôrn gibt hier zu verstehen, daß Wun<strong>den</strong> schmerzen. Sie müssen aber wegen d<strong>es</strong>Verhaltenscodex von drengskapr klaglos ertragen wer<strong>den</strong>. Gleichzeitig spiegelt sichin seiner Replik das Schmerzverständnis von Zborowskis Patienten. Der Schmerzsignalisiert Funktionsverlust, was für ihn mit dem Leben nicht vereinbar ist. In derFolge blendet er <strong>den</strong> Schmerz <strong>aus</strong> und konzentriert sich darauf, tapfer zu sterben.onguann tyma so mikill verkur, edur suidi j sarinu, sydann heytid var ad ey mætti hann sofa fyrer,[…]. Þorláks saga C, 356 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).545 Sigurður Nordal und Finnur Jónsson 1956 [ÍF 3], XCVIII.546 Nú er at segja frá Þorbirni ok Þóroddi; þeir gangask at í ôðrum stað, ok skortir þar eigi hôgg stór, erhvárrgi sparði við annan, ok váru fl<strong>es</strong>t œrit stór; ok eitt hôgg høggr Þóroddr til Þorbjarnar ok af fótinní ristarliðnum, ok eigi bersk hann at síðr ok leggr fram sverðinu í kvið Þóroddi, ok fellr hann, ok liggjaúti iðrin. Þorbjôrn sér nú frændr sína; hirðir nú eigi um líf með ørkumlum þ<strong>es</strong>sum. Heiðarvíga saga,303 (Sigurður Nordal & Guðni Jónsson 1956 [ÍF 3]).547 Zborowski 1960, 20.548 Hleypr hann síðan at Barða ok bersk við hann. Þá mælti Barði: „Þú þykki mér troll, er þú bersksvá, at af þér er fótrinn; […].” Þá segir Þorbjôrn: „Eigi er það trollskapr, at maðr þoli sár ok sé eigi sváblautr, at eigi verisk hann, meðan hann má; má þat virða til drengskapar, ok væri þat svá at virða, entrylla menn eigi, alls þú ert góðr drengr kallaðr, ok þat skulu þér til eiga at segja, áðr en ek hníga ígras, at ek nennta at vísu at neyta vápna.” Heiðarvíga saga, 303 (Sigurður Nordal & Guðni Jónsson1956 [ÍF 3]).166


Gen<strong>aus</strong>o verhält sich auch Hrafn (Gunnlaugs saga ormstungu), indem er trotzAmputation ein<strong>es</strong> Beins weiterkämpft. Di<strong>es</strong>e Einstellung findet sich an vielenweiteren Stellen der Sagaliteratur. Schwerpunktmäßig in der Sturlunga saga findetsich als typische sprachliche Wendung nach schwerer Verletzung das beidhändigeAusteilen mit dem Schwert. Es ist ein äußer<strong>es</strong> Zeichen innerer Vorgänge. Bei <strong>den</strong>Betreffen<strong>den</strong> stellt sich die Erkenntnis ein, so schwer getroffen wor<strong>den</strong> zu sein, daßsie nicht weiterleben möchten (oder können), so daß all<strong>es</strong> auf eine Karte g<strong>es</strong>etzt wirdund sie ohne Selbstschutz mit aller Macht bis zum Tode kämpfen, wie z.B. in derÞorgils saga skarða:Hrafn stach dann sofort nach Þorvarðr und jeder nach dem anderen und sietrafen sich gegenseitig in <strong>den</strong> Mund und beide wur<strong>den</strong> verwundet und dochwurde Þorvarðr schwerer verwundet. Da stach Þorvarðr beidhändig nachAuðunn und traf ihn in die Körpermitte und er fiel so hin, daß die Füße über<strong>den</strong> Kopf schlugen; […]. 549Aus dem hier G<strong>es</strong>agten läßt sich folgern, daß das klaglose Ertragen von Schmerzennur zu einem gewissen Teil auf das Konto nordischer Tapferkeit im Rahmen d<strong>es</strong>Hel<strong>den</strong>- und Männlichkeitsideals geht. Körperbehinderte büßen ihren bisherigeng<strong>es</strong>ellschaftlichen Status ein. Die Bagatellisierung von Schmerz entspringt daher zueinem großen Teil der Angst vor dem Verlust körperlicher Funktionsfähigkeit.Schmerz signalisiert Funktionsstörung und wird folglich <strong>aus</strong> Furcht vor <strong>den</strong>Konsequenzen für <strong>den</strong> eigenen g<strong>es</strong>ellschaftlichen Status verneint. Ein weiter<strong>es</strong>anschaulich<strong>es</strong> Beispiel der Verleugnung von Schmerz findet sich in der Þórðar sagahreðu:Þórhallr bezeichnete ihn als hervorragen<strong>den</strong> Mann – „und mir kommt <strong>es</strong> sovor, als seist du schwer verwundet.” Þórðr sagte, daß <strong>es</strong> damit wenig auf sichhabe, gab aber doch zu, ein paar Schrammen zu haben. In di<strong>es</strong>em Augenblickkam die H<strong>aus</strong>frau her<strong>aus</strong>. […] Die H<strong>aus</strong>frau setzte einen Tisch vor Þórðr under begann zu <strong>es</strong>sen. Danach bereitete sie ihm ein Bad und säuberte seineWun<strong>den</strong>; er hatte viele und große Wun<strong>den</strong>. Þórðr wurde in Ósland so langeversteckt, bis alle seine Wun<strong>den</strong> verheilt waren. 550549 Lagði Hrafn þá þegar til Þorvarðs ok hvárr til annars, ok kom í munn hvárumtveggja, ok varðhvárrtveggi sárr ok þó Þorvarðr meirr sárr. Þá lagði Þorvarðr til Auðunar báðum hÄndum, ok kom áhann miðjan, ok fell hann svá við, at fótunum kastaði fram yfir hÄfuðit; […]. Þorgils saga skarða, 268(Kålund 1906-1911 (2)).550 Þórhallr kvað hann mikinn afbragðsmann, - „ok lízt mér svá sem þú munir vera sárr mjök.” Þórðrkvað ekki mikit bragð at því, en lézt hafa þó skeinur nökkurar. Í þ<strong>es</strong>su kom húsfreyja út. […]Húsfreyja setti borð fyrir Þórð, ok fór hann til matar. Eptir þat bjó hon honum kerlaug ok fægði sárhans; hafði hann mörg sár ok stór. Þórðr var á Óslandi á laun, þar til sem hann var heill orðinn allrasára sinna. Þórðar saga hreðu, 198 f. (Jóhann<strong>es</strong> Halldórsson 1959 [ÍF 14]).167


Typischerweise entpuppen sich die „Schrammen“ letztlich als schwere Wun<strong>den</strong>.Wichtig ist auch der Hinweis am Schluß, daß Þórðr so lange gepflegt wird, bis allseine Wun<strong>den</strong> verheilt sind. Die Funktion ist somit am Ende wiederherg<strong>es</strong>tellt.Bleibende Schä<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> ebenso sorgfältig dokumentiert („Er war sofortkampfunfähig und niemals seitdem erlangte sein Arm seine volle Funktion solange erlebte.“), 551sehr oft auch in Form ein<strong>es</strong> Beinamens (z.B. Þórir viðleggr = ÞórirHolzbein [Eyrbyggja saga]). Den Stellenwert körperlicher Unversehrtheitdokumentieren zwei weitere Beispiele:Der Gode Snorri heilte danach alle Þorbrandssöhne. Und als der HalsÞóroddrs zu verheilen begann, stand der Kopf etwas schief zum Rumpf. Dasagt Þóroddr, daß Snorri ihn zum Krüppel heilen wolle, aber der Gode Snorrisprach, daß er damit rechne, daß sich der Kopf heben werde, wenn dieSehnen zusammenwüchsen; aber Þóroddr wollte nichts ander<strong>es</strong> als daß dieWunde wieder aufgerissen und der Kopf gerader gerückt würde. Aber <strong>es</strong> kam,wie Snorri vermutet hatte, daß, als die Sehnen zusammenwuchsen, sich derKopf hob, aber er konnte ihn von da an immer nur ein bißchen neigen.Þorleifr kimbi ging für alle Zeit danach mit einem Holzbein. 552Þóroddr hat offenbar große Angst vor bleiben<strong>den</strong> körperlichen Schä<strong>den</strong>, die sich inAggr<strong>es</strong>sivität gegenüber Snorri äußert, dem er vorwirft, ihn zum Krüppel machen zuwollen. Er geht sogar so weit, zu verlangen, man möge die Wunde wieder aufreißen,um auf di<strong>es</strong>e Weise eine Korrektur der Schräglage sein<strong>es</strong> Kopf<strong>es</strong> zu erreichen. Snorrilehnt ab und behält am Schluß Recht, indem Þóroddr wieder einigermaßenherg<strong>es</strong>tellt wird. Þorleifr kimbi muß Zeit sein<strong>es</strong> Lebens ein Holzbein tragen.Die Kormaks saga legt Zeugnis ab über die möglichen sozialen Konsequenzen, di<strong>es</strong>ich <strong>aus</strong> körperlicher Versehrtheit ergeben können. Bersi erleidet beim Hólmgangmit Steinarr eine Verletzung. U.a. wird ihm das G<strong>es</strong>äß abg<strong>es</strong>chlagen. Für seine FrauSteingerðr ist das Grund genug, die Scheidung einzureichen:Nach di<strong>es</strong>em Vorfall faßte Steingerðr eine Abneigung gegen Bersi und willsich von ihm schei<strong>den</strong> lassen. Und als sie zur Abfahrt bereit ist, geht sie zuBersi und sprach: „Zuerst wurd<strong>es</strong>t du Eyglu-Bersi genannt und dannHólmgang-Bersi und nun kannst du wahrhaftig Arsch-Bersi genanntwer<strong>den</strong>“ – und erklärt ihre Scheidung von ihm. Steingerðr zieht nach Nor<strong>den</strong>zu ihren Verwandten und trifft ihren Bruder Þorkell und bittet ihn, ihr551 […]; hann varð þegar óvígr, ok aldri síðan varð honum hôndin meinl<strong>aus</strong>, meðan hann lifði.LaxdÍla saga, 167 (Einar Ól. Sveinsson 1934 [ÍF 5]).552 Snorri goði grœddi þá alla, Þorbrandssonu. Ok er hálsinn Þórodds tók at gróa, stóð hôfuðit gneiptaf bolnum nôkkut svá. Þá segir Þóroddr, at Snorri vildi grœða hann at ørkumlamanni, en Snorri goðikvazk ætla, at upp myndi hefja hôfuðit, þá er sinarnar knýtti; en Þóroddr vildi eigi annat en aptr væririfit sárit ok sett hôfuðit réttara. En þetta fór sem Snorri gat, at þá er sinarnar knýtti, hóf upp hôfuðit,ok mátti hann lítt lúta jafnan síðan. Þorleifr kimbi gekk alla stund síðan við tréfót. Eyrbyggja saga,130 (Einar Ól. Sveinsson & Matthías Þórðarson 1935 [ÍF 4]).168


Eigentum bei Bersi abzuholen, das Brautgeld und die H<strong>aus</strong>leute und sprachkeinen verstümmelten Bersi zum Mann haben zu wollen. 553Schmerz und damit einhergehender Funktionsverlust können aber auch zuautoaggr<strong>es</strong>sivem Verhalten führen. In der Brennu-Njáls saga wird nach demBrandanschlag auf Njáls Familie auf dem Althing ein Prozeß gegen die Täterang<strong>es</strong>trengt. Kläger ist Kári Sölmundarson, der als einziger überlebt hat. ÞórhallrÁsgrímsson soll als einer der b<strong>es</strong>ten Rechtsgelehrten d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> und Schwager d<strong>es</strong>getöteten Helgi Njálsson die Sache vor Gericht vertreten. Kurz vor Prozeßbeginnbekommt er allerdings eine Entzündung am Bein, die ihn zwingt, während d<strong>es</strong>Proz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> in der Thingbude zu bleiben.Þórhallr Ásgrímsson bekam ein so schlimm<strong>es</strong> Beinlei<strong>den</strong>, daß das Beinoberhalb d<strong>es</strong> Knöchels so dick und g<strong>es</strong>chwollen war wie der Oberschenkeleiner Frau und er konnte nicht ohne Stock gehen. Er war ein sehr großgewachsener Mann und kräftig, mit dunklem Haar und ebenfalls dunklemTeint, sehr beherrscht in seiner Rede und doch von heftiger Gemütsart. Erwar einer der drei b<strong>es</strong>ten Rechtsgelehrten auf Island. 554Þórhallr leidet höchstwahrscheinlich an einem Furunkel, bzw. Karbunkel. 555 Untereinem Furunkel versteht man eine „akute eitrige Entzündung ein<strong>es</strong> Haarfollikels undseiner Talgdrüse […] als schmerzhafter, bohnen- bis walnußgroßer, geröteter Knotenmit zentralem Eiterpfropf und starkem Ödem der Umgebung.“ 556 Über dieSchwellung wird in o.g. Stelle berichtet, der zentrale Eiterpfropf im weiteren Verlaufd<strong>es</strong> Text<strong>es</strong> erwähnt (kveisunagl). Die Läsion an Þórhallrs Fuß ist demnach einekveisa. Hierbei handelt <strong>es</strong> sich laut Fritzner um einen Abszeß, bzw. bösartige,schmerzhafte Schwellung („Byld, ondartet med Værk forbun<strong>den</strong> Hævelse”). 557 AuchGrøn interpretiert kveisa als Bezeichnung für G<strong>es</strong>chwüre von meist bösartigem553 Við þ<strong>es</strong>sa atburði lagði Steingerðr leiðendi á við Bersa ok vill skilja við hann, ok er hon er búin tilbrottfarar, gengr hon at Bersa ok mælti: „Fyrst vartu kallaðr Eyglu-Bersi, en þá Hólmgôngu-Bersi, ennú máttu at sônnu heita Raza-Bersi,” – ok segir skilit við hann. Steingerðr ferr norðr til frænda sinna,hittir Þorkel bróður sinn, biðr hann heimta fé sín at Bersa, mund ok heimanfylgju, ok kvezk eigi viljaeiga Bersa ørkumlaðan. Kormaks saga, 254 (Einar Ól. Sveinsson 1939 [ÍF 8]).Anmerkung: Die Bedeutung d<strong>es</strong> Beinamens „Eyglu-“ ist unklar. Sveinsson schlägt eine Deutung i.S.v.„Auge“ vor (ÍF 8, 254).554 Þórhallr Ásgrímsson tók fótarmein svá mikit, at fyrir ofan ôkkla var fóturinn svá digr ok þrútinnsem konulær, ok mátti hann ekki ganga nema við staf. Hann var mikill maður vexti ok ramr at afli,døkkr á hár ok svá á skinnslit, vel orðstilltr ok þó bráðskapaðr. Hann var hinn þriði maðr m<strong>es</strong>trlôgmaðr á Íslandi. Brennu-Njáls saga, 359 (Einar Ól. Sveinsson 1954 [ÍF 12]).555 Siehe auch Sigurður Samúelsson 1998, 146; Kaiser 1998, 182 ff.556 Pschyrembel 1990, 552.557 Fritzner 1973 (2), 368. Übersetzung: Absz<strong>es</strong>s, bösartige, mit Schmerz verbun<strong>den</strong>e Schwellung.169


Charakter. 558 Aus dem Kontext geht jedoch hervor, daß sowohl Fritzner als auchGrøn unter „bösartig“ etwas verstehen, was in der heutigen medizinischenTerminologie der Kategorie „gutartig“ zugeordnet wird. Beide Autoren beziehen sichmit ihren Krankheitsb<strong>es</strong>chreibungen eindeutig auf o.g. Formen subkutanerEntzündungen. Fritzner verweist auf die volkssprachliche Verwendung von kveisafür eine Made oder Insekt. Die Verbindung zur Erkrankung ergibt sich <strong>aus</strong> derVorstellung, daß eine solche kveisa <strong>den</strong> Körper parasitiert. 559 Grøn nennt in di<strong>es</strong>emZusammenhang beispielhaft die deutsche volkssprachliche Bezeichnung„Fingerwurm“ für das Panaritium. 560 Die Schmerzkomponente von kveisa erklärtsich laut Ásgeir Blöndal Magnússon etymologisch <strong>aus</strong> altenglisch cwýsan(


Kätzchen liefen über <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> hinterher. Er zieht <strong>den</strong> Strohhalm immer vorihnen her bis er ihm über <strong>den</strong> Fuß kommt. Und nun laufen die Kätzchenhinzu und stießen gegen <strong>den</strong> Fuß. Aber er sprang auf und <strong>schrie</strong> auf und dasSpielbrett wurde umg<strong>es</strong>toßen. Sie streiten sich nun, wer von bei<strong>den</strong> <strong>es</strong>umg<strong>es</strong>toßen hatte. 564Þórhallrs Schmerz in der Brennu-Njáls saga übernimmt die dramaturgischeFunktion, die juristische Katastrophe vorzubereiten, indem di<strong>es</strong>er sein Bett nichtverlassen kann. Wie groß seine Einschränkung sein muß, ergibt sich <strong>aus</strong> derTatsache, daß er ein handf<strong>es</strong>t<strong>es</strong> Inter<strong>es</strong>se hat, der Verhandlung beizuwohnen. Eineödematöse Schwellung ohne begleiten<strong>den</strong> Schmerz könnte ihn wohl nur schwerlichdavon abhalten. Daß er unbedingt wissen will, was bei Gericht g<strong>es</strong>chieht, zeigt sichin dem Umstand, daß ihn ein Bote ständig über <strong>den</strong> Stand der Verhandlungunterrichtet. Vom Bett <strong>aus</strong> gibt er Ratschläge, was zu tun ist. Trotzdem bewirkt seineAbw<strong>es</strong>enheit, daß sein Vertreter Môrðr Valgarðsson Fehler macht. Schließlich sieht<strong>es</strong> nicht nur so <strong>aus</strong>, als sei der Fall verloren, sondern durch g<strong>es</strong>chickt<strong>es</strong> Taktieren dergegnerischen Partei hat sich das Blatt gewendet und <strong>es</strong> droht allen Beteiligten dieAcht. Als Þórhallr davon erfährt, ist er so aufgebracht, daß er sich <strong>aus</strong> Wut über seineErkrankung einen Speer ins Bein rammt. Di<strong>es</strong>e Maßnahme bewirkt eineAbszeßspaltung und <strong>es</strong> ergießt sich ein Strom von Blut und Eiter <strong>aus</strong> der Wunde. DerEiterpfropf d<strong>es</strong> Furunkels/Karbunkels bleibt dabei am Speer hängen. Dann springt erauf und begibt sich ohne zu humpeln direkt zum Gerichtsplatz. Dort geht er auf diegegnerische Partei los und tötet einen nach dem anderen:Nun ist hierüber zu berichten, daß der Bote zu Þórhallr kommt und ihmberichtet, wie die Dinge stan<strong>den</strong>, daß sie alle möglicherweise geächtetwür<strong>den</strong> und die ganze Totschlagsklage verloren sei. Und als er das hörte,brachte ihn das so auf, daß er kein Wort sprechen konnte. Er sprang <strong>aus</strong> demBett und ergriff <strong>den</strong> Speer Skarpheðinsnaut mit bei<strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> und rammteihn sich durch das Bein. Am Speer blieben Fleisch und der Eiterpfropfhängen, weil er ihn <strong>aus</strong> dem Bein her<strong>aus</strong>schnitt und ein Strom <strong>aus</strong> Blut undEiter ergoß sich auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong>. Er ging dann ohne zu hinken <strong>aus</strong> der Budeund so forschen Schritt<strong>es</strong>, daß der Bote ihm nicht folgen konnte; er begibtsich nun zum Fünften Gericht. Dort traf er auf Grímr <strong>den</strong> Roten, einenVerwandten Flosis und in dem Augenblick, als sie sich begegneten, stachÞórhallr nach ihm mit dem Speer und traf ihn in <strong>den</strong> Schild und spaltete ihn564 En sa maþr er teflldi við avstmaNniN hafþi saran fot. oc þrvtnaþi ta hans oc vegþi. Sigurd settizipalliN oc tecr eitt stra oc dregr eptir golfino en ketlingar hliopo eptir golfino. hann dregr ę firir þeimstrait. þar til er kømr ifir fot honom. oc nv laupa at ketlingarnir oc hnauþ ifotinn. en hann spratt vpp ocqvaþ viþ. en taflit svarfaþiz. gøra þeir nv þrętumal hvaR hafþi. Morkinskinna, 410 (Finnur Jónsson1932 [STUAGNL 53]).171


und der Speer durchbohrte ihn, so daß die Spitze zwischen <strong>den</strong> Schulternwieder her<strong>aus</strong>kam. Þórhallr warf ihn tot vom Speer. 565Ohne <strong>es</strong> richtig zu wollen, heilt Þórhallr sich selbst. Er verfährt dabei nach derantiken Behandlungsrichtlinie: „Ubi pus, ibi evacuo.“ 566Die Stelle ist ein gut<strong>es</strong>Beispiel dafür, wie Schmerz durch emotionale Regung so stark überlagert wer<strong>den</strong>kann, daß er in <strong>den</strong> Hintergrund tritt. Þórhallr ist von der Persönlichkeitsstruktur hersehr emotional veranlagt. Di<strong>es</strong> zeigt schon seine Reaktion auf <strong>den</strong> Tod sein<strong>es</strong>Ziehvaters Njáll:Þórhallr Ásgrímsson ging <strong>es</strong> so nahe, als ihm g<strong>es</strong>agt wurde, daß seinZiehvater Njáll tot war und im H<strong>aus</strong> verbrannt war, daß er am ganzen Körperanschwoll und ein Blutstrahl <strong>aus</strong> jedem Ohr kam, der nicht zum Stillstandgebracht wer<strong>den</strong> konnte, und er fiel in Ohnmacht und dann sistierte dieBlutung. 567Die Nachricht vom g<strong>es</strong>cheiterten Prozeß führt ihm seine Hilflosigkeit vor Augen.Die Entzündung f<strong>es</strong>selt ihn ans Bett, von wo <strong>aus</strong> er als einer der b<strong>es</strong>tenRechtsgelehrten d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> ohnmächtig zusehen muß, wie der wichtigsteRechtsstreit sein<strong>es</strong> Lebens in einer Katastrophe endet. Aufgrund d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> inseinem Bein kann er nicht „funktionieren“. Im Abszeß materialisiert sich derSchmerz und wird zum Ziel von Þórhallrs Wut. Seine emotionale Erregung lenkt ihnso sehr von seiner körperlichen Behinderung ab, daß er <strong>aus</strong> dem Bett springen, sich<strong>den</strong> Speer ins Bein rammen und dann anscheinend schmerzfrei zum Gerichtsplatzrennen kann. Kaiser spekuliert über einen Schmerzrückgang durch dieDruckentlastung nach der Abszeßspaltung. 568 Di<strong>es</strong><strong>es</strong> ist aber nicht wahrscheinlich, dasich der Schmerz in erster Linie <strong>aus</strong> dem Entzündungsg<strong>es</strong>chehen herleitet und derDruck der Eiteransammlung hierfür von untergeordneter Bedeutung ist. Durch die565 Nú er frá því at segja, at sendimaðrinn kemr til Þórhalls ok segir honum, hvar þá var komit, at þeirmundu sekir verða gôrvir allir, en eytt ôllu vígsmálinu. En er hann heyrði þetta, brá honum svá við, athann mátti ekki orð mæla. Hann spratt upp ór rúminu ok greip spjótit Skarpheðinsnaut tveim hôndumok rak í gegnum fótinn á sér. Var þar á holdit ok kveisunaglinn á spjótinu, því at hann skar út órfœtinum, en blóðfossinn fellr ok vágfôllin, svá at lœkr féll eptir gólfinu. Hann gekk þá út ór búðinnióhaltr ok fór svá hart, at sendimaðrinn fekk eigi fylgt honum; hann ferr þar til, er hann kom tilfimmtardómsins. Þar mœtti hann Grími inum rauða, frænda Flosa, ok jafnskjótt sem þeir fundusk,lagði Þórhallr til hans spjótinu, ok kom í skjôldinn, ok klofnaði hann í sundr, ok gekk spjótit í gegnumhann, svá at út kom í millum herðanna. Kastaði Þórhallr honum dauðum af spjótinu. Brennu-Njálssaga, 402 (Einar Ól. Sveinsson 1954 [ÍF 12]).566 „Wo Eiter ist, soll er her<strong>aus</strong>geholt wer<strong>den</strong>.“567 Þórhalli Ásgrímssyni brá svá við, er honum var sagt, at Njáll, fóstri hans, var dauðr ok hann hafðiinni brunnit, at hann þrútnaði allr ok blóðbogi stóð ór hvárritveggju hlustinni, ok varð eigi stôðvat, okféll hann í óvit, ok þá stôðvaðisk. Brennu-Njáls saga, 344 (Einar Ól. Sveinsson 1954 [ÍF 12]).568 Kaiser 1998, 184.172


chirurgische Entlastung ist die Entzündung nicht b<strong>es</strong>eitigt, der Schmerz also nochvorhan<strong>den</strong>. Gegen die Theorie von der Druckentlastung spricht ferner die Tatsache,daß Þórhallr <strong>aus</strong> dem Bett springt, noch bevor er überhaupt <strong>den</strong> Speer in die Handnimmt („Hann spratt upp ór rúminu ok greip spjótit Skarpheðinsnaut tveimhôndum“). Der Karbunkel ist noch gar nicht aufg<strong>es</strong>chnitten, da scheint der Schmerzschon völlig verg<strong>es</strong>sen. Der Grund hierfür ist allein in seiner Empörung über <strong>den</strong>Prozeßverlauf zu suchen.Weiterhin zeigt das ebenfalls von Kaiser behandelte Beispiel von Þorgeirr <strong>aus</strong> derHrafnkels saga, daß Schmerz noch geraume Zeit nach Aufbrechen d<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chwürsb<strong>es</strong>teht. Þorgeirr muß auf dem Althing das Bett hüten wegen ein<strong>es</strong> schmerzhaftenFurunkels/Karbunkels am Fuß. Nach der Schilderung im Text ist mind<strong>es</strong>tens eineNacht vergangen, seit sich der Eiterpfropf gelöst hat und der Eiter abgeflossen ist.Als Þorbjôrn und Sámr in der folgen<strong>den</strong> Nacht an sein Bett kommen und an dementzündeten Zeh reißen, reagiert er heftig. 569 Im Fall von Þorhallr <strong>aus</strong> der Njáls sagakann also nicht davon <strong>aus</strong>gegangen wer<strong>den</strong>, daß ihm die Abszeßspaltung mit demSpeer sofortige Linderung verschafft.10.7 Schmerzverhalten abseits d<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong>idealsIn <strong>den</strong> durch das Hel<strong>den</strong>ideal geprägten Sagas wird Schmerz in einzelnen Fällengezielt zu dramaturgischen Zwecken eing<strong>es</strong>etzt. Hier<strong>aus</strong> lassen sich Rückschlüsseauf seine g<strong>es</strong>ellschaftliche Bewertung abseits d<strong>es</strong> heldischen Schmerzideals ziehen.10.7.1 Spür-Helgis vorgetäuschte SchmerzattackeEin in di<strong>es</strong>er Hinsicht ergiebig<strong>es</strong> Beispiel befindet sich in der Gísla saga Súrssonar.Gísli hat sich auf seiner Flucht bei Ingjaldr und Þorgerðr versteckt. Sein TodfeindBôrkr schickt Spür-Helgi <strong>aus</strong>, Gíslis Versteck <strong>aus</strong>findig zu machen. Spür-Helgiübernachtet bei Ingjaldr und simuliert am Morgen Kopfschmerzen, um sich währendd<strong>es</strong> Tag<strong>es</strong> b<strong>es</strong>ser im H<strong>aus</strong> umsehen zu können:Ingjaldr war ein sehr tüchtiger Mensch; er ruderte je<strong>den</strong> Tag, an dem <strong>es</strong> ging,hin<strong>aus</strong> aufs Meer. Und am Morgen, als er zum Fischfang bereit war, fragt er,ob Helgi keine Lust habe, mitzukommen oder warum er liege. Er sagte, erfühle sich nicht b<strong>es</strong>onders wohl und seufzte und strich sich über <strong>den</strong> Schädel.Ingjaldr bat ihn da, ganz still liegenzubleiben, und er fährt aufs Meer, aberHelgi beginnt, laut zu stöhnen. 570569 Hrafnkels saga Freysgoða, 113 f. (Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]).570 Ingjaldr var iðjumaðr mikill; hann reri á sjó hvern dag, er sjófœrt var. Ok um morgininn, er hannvar búinn til útróðrar, spyrr hann, hvárt Helga er ekki ákaft um ferðina eða hví hann liggr. Hann kvað173


Spür-Helgi wendet eine Strategie an, von der er weiß, daß sie in jedem Fallerfolgreich ist. Er gibt durch G<strong>es</strong>ten zu verstehen, unter starken Kopfschmerzen zulei<strong>den</strong>. Er stöhnt, seufzt und massiert sich <strong>den</strong> Schädel. Körperliche Unpäßlichkeitwar demzufolge in der mittelalterlichen isländischen G<strong>es</strong>ellschaft nicht verpönt. Wiein der modernen G<strong>es</strong>ellschaft war die Krankenrolle ganz offensichtlich auch zurdamaligen Zeit mit sekundärem Krankheitsgewinn verbun<strong>den</strong>. Wer krank ist, brauchtseinen täglichen Verpflichtungen nicht nachzukommen. Ingjaldr fällt auf <strong>den</strong> Trickherein und bittet Helgi, im Bett zu bleiben. Helgis Männlichkeit leidet offenbar nichtunter seinem Schmerzverhalten, das nicht dem Hel<strong>den</strong>ideal entspricht. Kurz daraufverbalisiert Spür-Helgi seine „Schmerzen“ als er beim Spionieren von der H<strong>aus</strong>frauerwischt wird:Helgi klettert hinauf auf <strong>den</strong> Querbalken und sieht, daß dort Essen fürjeman<strong>den</strong> bereit stand und in di<strong>es</strong>em Augenblick kommt Þorgerðr hinein undHelgi dreht sich schnell um und fällt vom Querbalken. Þorgerðr fragt, wi<strong>es</strong>oer sich so aufführe im Dachstuhl herumzuklettern und sich nicht ruhigverhalte. Er sagt da, von so heftigen Knochenschmerzen geplagt zu sein, daßer sich nicht ruhig verhalten könne, - „und ich wollte,” sagt er, „daß du michzu Bett brächt<strong>es</strong>t.” 571In di<strong>es</strong>er komischen Szene sind Hinweise auf die isländische Schmerzkulturenthalten. Auf frischer Tat ertappt, fällt Spür-Helgi vom Dachbalken und gerät inakuten Erklärungsnotstand. Er konstruiert eine seiner Ansicht nach pl<strong>aus</strong>ibleBegründung für sein Verhalten. Vor lauter Schmerz gehe er buchstäblich „die Wändehoch.“ Di<strong>es</strong>e Aussage ist als weiterer Anhaltspunkt dafür zu werten, daß still<strong>es</strong>,heroisch<strong>es</strong> Lei<strong>den</strong> nicht der g<strong>es</strong>ellschaftlich-kulturelle Standard war. Andernfallswürde Helgis sch<strong>aus</strong>pielerische Einlage sofort Verdacht erregen. Seinem„unauffälligen“ Verhalten setzt er schließlich noch eins drauf und läßt sich vonÞorgerðr zu Bett bringen.10.7.2 Der schlimme Zeh ein<strong>es</strong> „góðr drengr“Einen weiteren Hinweis auf die g<strong>es</strong>ellschaftliche Bewertung von Schmerz und dasSchmerzverhalten von Männern, die nach dem Hel<strong>den</strong>ideal leben, erhält man <strong>aus</strong> dersér vera ekki einkar skjallt ok blés við ok strauk höfuðbeinin. Ingjaldr bað hann þá liggja semkyrrastan, ok ferr hann til sjávar, en Helgi tekr at stynja fast. Gísla saga Súrssonar, 79 f. (Björn K.Þórolfsson & Guðni Jónsson 1958 [ÍF 6]).571 Klífr Helgi upp á þilit ok sér, at þar var manni matr deildr, ok í því kemr Þorgerðr inn, ok vinzkHelgi við fast ok fellr ofan af þilinu. Þorgerðr spyrr, hví hann lætr svá at klífa í ræfr upp ok vera eigikyrr. Hann kveðst svá óðvirki vera af beinverkjum, at hann mátti eigi kyrr vera, - „ok vilda ek,” segirhann, „at þú fylgðir mér til rekkju.” Gísla saga Súrssonar, 80 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson1958 [ÍF 6]).174


Hrafnkels saga Freysgoða. Hier kollidieren dramaturgische Inter<strong>es</strong>sen mit dem Bildd<strong>es</strong> „schmerzunempfindlichen“ Hel<strong>den</strong>, so daß ein Blick hinter die Kulissenhel<strong>den</strong>hafter Indolenz möglich wird.In der Saga erschlägt der Häuptling Hrafnkell <strong>den</strong> Sohn d<strong>es</strong> mittellosen BauernÞorbjôrn. Aufgrund d<strong>es</strong> großen Machtgefäll<strong>es</strong> hat Þorbjôrn gegen Hrafnkell auf demAlthing wenig Aussicht auf Erfolg seiner gerichtlichen Klage. Zwar übernimmt <strong>es</strong>sein g<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>kundiger Neffe Sámr, ihn vor Gericht zu vertreten, aber ohneeinflußreiche Verbündete droht der Rechtsstreit von vornherein zu UngunstenÞorbjôrns <strong>aus</strong>zugehen. Anfangs will niemand sie unterstützen, aber dann treffen sieÞorkell Þjóstarsson, der sich bereit erklärt, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.Es sei aber unabdingbar, auch <strong>den</strong> Bruder Þorgeirr von der Sache zu überzeugen. Erhalte das goðorð über einen Teil der W<strong>es</strong>tfjorde und sei jemand, <strong>den</strong> man in so einerSituation gut brauchen könne:„ […] Er ist von hervorragendem Charakter und ein ehrenhafter Mann und injeglicher Weise ein sehr gebildeter und ehrgeiziger junger Mann. SolcheMänner sind am vielversprechendsten, um euch Unterstützung zugewähren.“ 572Die Sache hat allerdings einen Haken: der Bruder müsse erst noch überzeugt wer<strong>den</strong>.Þorkell hat auch gleich einen Plan bei der Hand, wie man <strong>es</strong> am b<strong>es</strong>ten anstellenkönne. Þorgeirr sei zur Zeit krank und das solle man <strong>aus</strong>nutzen. Er habe eine kveisaam Fuß gehabt, die sich in der Nacht zuvor spontan geöffnet habe und schlafe mit<strong>aus</strong> dem Bett hängen<strong>den</strong> Bein. Þorbjôrn und Sámur sollen d<strong>es</strong> nachts in das Zelt derBrüder kommen und f<strong>es</strong>t am Zeh d<strong>es</strong> Bruders ziehen:„[…] Ihr mögt euch drinnen auf der anderen Seite der Bude nach zweiSchlafsäcken umsehen und ich erhebe mich <strong>aus</strong> dem einen, aber in demanderen liegt mein Bruder Þorgeirr. Ein groß<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chwür hat er am Fuß, seiter auf <strong>den</strong> Thing gekommen ist und d<strong>es</strong>halb hat er nachts wenig g<strong>es</strong>chlafen.Aber nun ist der Fuß heute nacht aufg<strong>es</strong>prungen und der Eiterpfropfher<strong>aus</strong>gekommen. Und nun ist er seitdem eing<strong>es</strong>chlafen und hat <strong>den</strong> Fuß <strong>aus</strong>dem Schlafsack g<strong>es</strong>treckt und auf die Fußstütze am Ende d<strong>es</strong> Bett<strong>es</strong> gelegt,wegen der großen Hitze, die in dem Fuß ist. Der alte Mann soll zuerst in dieBude hinein und hindurch gehen. Mir scheint, daß er sehr gebrechlich ist,sowohl an Sehkraft als auch an Alter. Wenn du danach, Mann,“ sagt Þorkell,„an <strong>den</strong> Schlafsack kommst, sollst du stolpern und auf die Fußstütze fallen572 „[…] Hann er skôrungur í skapi ok drengr góðr ok í alla staði vel menntr, ungr maðr okmetnaðargjarn. Eru slíkir menn vænstir til at veita ykkr liðsinni.“ Hrafnkels saga Freysgoða, 112 (JónJóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]).175


und <strong>den</strong> Zeh ergreifen, der verbun<strong>den</strong> ist und zieh ihn kräftig an dich und paßauf, wie er reagiert.“ 573Nach kurzem Zögern stimmen Þorbjôrn und Sámr dem Plan zu. In der Nacht stolpertÞorbjôrn, fällt auf <strong>den</strong> Fuß Þorgeirrs und zieht kräftig an d<strong>es</strong>sen Zeh:Aber als er nahe an <strong>den</strong> Schlafsack herangekommen war, da fiel er auf dieFußstütze und greift <strong>den</strong> Zeh, der übel b<strong>es</strong>chaffen war und reißt ihn an sich.Aber Þorgeirr erwacht dabei und springt im Schlafsack auf und fragte, wersich dort so ung<strong>es</strong>tüm benähme und <strong>den</strong> Leuten auf die Füße laufe, die bereitsübel b<strong>es</strong>chaffen waren. 574In di<strong>es</strong>em Augenblick kommt Þorkell herein und b<strong>es</strong>chwichtigt <strong>den</strong> Bruder. Das mitdem Fuß sei doch all<strong>es</strong> gar nicht so schlimm, anderen ergehe <strong>es</strong> viel schlechter.Þorbjôrn habe durch <strong>den</strong> Verlust sein<strong>es</strong> Sohn<strong>es</strong> einen viel größeren Schmerz erlitten.Auf di<strong>es</strong>e Weise gelingt <strong>es</strong> Þorkell, Þorbjôrns seelischen Schmerz für Þorgeirrkörperlich erfahrbar zu machen. Der schmerzende Fuß läßt ihn am eigenen Leibnachvollziehen, wie sehr Þorbjôrn leidet. Die Taktik hat Erfolg und er bietet sofortseine Hilfe und Unterstützung im Rechtsstreit gegen Hrafkell an:„Sei nicht so ung<strong>es</strong>tüm und wütend darüber, Verwandter, weil dir dar<strong>aus</strong> keinScha<strong>den</strong> entstehen wird. Aber vielen geht <strong>es</strong> schlechter als beabsichtigt und<strong>es</strong> passiert vielen, daß sie überhaupt nicht mehr so gut aufpassen können,wenn ihnen viel im Kopf herumgeht. Aber das ist begreiflich, Verwandter,wenn dir dein Fuß weh tut, der von einem großen Lei<strong>den</strong> befallen gew<strong>es</strong>enwar. Das magst du selbst am meisten fühlen. Aber nun mag <strong>es</strong> auch sein, daßdem alten Mann der Tod sein<strong>es</strong> Sohn<strong>es</strong> nicht weniger weh tut und er erhältdafür keine Kompensation und <strong>es</strong> mangelt ihm selbst an allem möglichen. Erwird das am b<strong>es</strong>ten an sich fühlen und das steht zu erwarten, daß der Mann,dem viel im Kopf herumgeht nicht auf all<strong>es</strong> gut aufpassen kann.“ 575573 „[…] Þit munuð sjá, hvar standa innar um þvera búðina tvau húðfôt, ok reis ek upp ór ôðru en íôðru hvílir Þorgeirr, bróðir minn. Hann hefir haft kveisu mikla í fœtinum, síðan hann kom á þingit, okþví hefir hann lítit sofit um nætr. En nú sprakk fótrinn í nótt, ok er ór kveisunaglinn. En nú hefir hannsofnat síðan ok hefir réttan fótinn út undan fôtunum fram á fótafjôlina sakar ofrhita, er á er fœtinum.Gangi sá inn gamli maðr fyrir ok svá innar eptir búðinni. Mér sýnisk hann mjôk hrymðr bæði at sýnok elli. Þá er þú, maðr,“ segir Þorkell, „kemr at húðfatinu, skaltu rasa mjôk ok fall á fótafjölina ok takí tána þá, er um er bundit, ok hnykk at þér ok vit, hversu hann verðr við.“ Hrafnkels saga Freysgoða,112 f. (Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]).574 En er hann kom mjôk at húðfatinu, þá fell hann á fótafjôlina ok þrífr í tána, þá er vanmátta var, okhnykkir at sér. En Þorgeirr vaknar við og hljóp upp í húðfatinu ok spurði, hverr þar fœri sváhrapalliga, at hlypi á fœtr mônnum, er áðr váru vanmátta. Hrafnkels saga Freysgoða, 113 (JónJóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]).575 „Ver eigi svá bráðr né óðr, frændi, um þetta, því at þik mun ekki saka. En môrgum teksk verr envill, ok verðr þat môrgum, at þá fá eigi alls gætt jafnvel, er honum er mikit í skapi. En þat er várkunn,frændi, at þér sé sárr fótr þinn, er mikit mein hefir í verit. Muntu þ<strong>es</strong>s m<strong>es</strong>t á þér kenna. Nú má ok þatvera, at gômlum manni sé eigi ósárari sonardauði sinn, en fá engar bœtr, ok skorti hvetvetna sjálfr.Mun hann þ<strong>es</strong>s gørst kenna á sér, ok er þat at vánum, at sá maðr gæti eigi alls vel, er mikit býr ískapi.“ Hrafnkels saga Freysgoða, 113 f. (Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]).176


Funktionell übernimmt Schmerz in di<strong>es</strong>er Passage eine Schlüsselposition. Durch dieVerknüpfung von körperlichem und seelischem Leid wird die Handlungvorangetrieben. Dadurch entsteht jedoch eine dramaturgische Kontroverse: der Heldmuß um der Handlung willen seine Schmerzen zugeben. Hierdurch gerät er inKonflikt mit dem männlichen Verhaltenscodex. Þorkell weiß, daß sein Bruder wegend<strong>es</strong> schmerzhaften G<strong>es</strong>chwürs die letzten Nächte nicht schlafen konnte. Di<strong>es</strong>eInformation kann er auf zweierlei Weise erlangt haben. Entweder hat Þorgeirr <strong>es</strong> ihmerzählt oder er ist durch d<strong>es</strong>sen eventuell<strong>es</strong> nächtlich<strong>es</strong> Stöhnen geweckt wor<strong>den</strong>. Inbei<strong>den</strong> Fällen gibt Þorgeirr vom „Drengskapsstandpunkt” keine gute Figur ab. Hat erselbst über seinen Schmerz g<strong>es</strong>prochen, entlarvt er sich als Weichling. ÞorkellsAngaben über das Schmerzempfin<strong>den</strong> d<strong>es</strong> Bruders Dritten gegenüber scha<strong>den</strong>ebenfalls d<strong>es</strong>sen Ansehen. Es drängt sich zwangsläufig die Frage auf, wie so jemandeine effektive Hilfe im Rechtsstreit gegen <strong>den</strong> bösen Hrafnkell sein kann. Eigentlichkäme für di<strong>es</strong>e Aufgabe doch nur jemand in Frage, der auch schon rein äußerlichallen körperlichen Anfechtungen standzuhalten vermag. Dabei wird Þorgeirr als góðrdrengr in die Handlung eingeführt. Als solcher wäre von ihm mehr Schmerzr<strong>es</strong>istenzzu erwarten. Eine Kostprobe seiner Schmerzempfindlichkeit gibt er, als Þorbjôrnüber seinen Fuß stolpert. Der Text verurteilt di<strong>es</strong><strong>es</strong> Verhalten nicht. Was in derFóstbrÍðra saga bei Kimbi und dem spotten<strong>den</strong> Bauern noch als unmännlichangeprangert wird, ist hier ganz normal. Normalität wird durch normiert<strong>es</strong> Verhaltenerzeugt. Þorgeirr zeigt hier mit anderen Worten g<strong>es</strong>ellschaftlich sanktioniert<strong>es</strong>Schmerzverhalten. Dadurch entlarvt die Stelle für einen kurzen Augenblick <strong>den</strong>Mythos vom g<strong>es</strong>tählten, schmerzunempfindlichen Mann. Þorgeirr verhält sichmenschlich: er hat eine schmerzhafte Entzündung und zeigt <strong>es</strong> auch.10.7.3 Der Schmerzensschrei Eriks d<strong>es</strong> RotenDie Eiríks saga rauða enthält <strong>den</strong> einzigen Schmerzensschrei der untersuchtenSagaliteratur. Man nimmt an, daß die Saga kurz nach 1264 auf Snæfellsn<strong>es</strong>entstand. 576 Alle überlieferten Abschriften gehen auf zwei Pergamenthandschriftenzurück, die Skálholtsbók (AM 557 4to) und die Hauksbók (AM 544 4to). DieSkálholtsbók wurde um 1420 auf Nordisland niederg<strong>es</strong>chrieben, wahrscheinlich vonÓláfr Loptsson, dem Sohn Loptr Guttormssons d<strong>es</strong> Reichen. 577 Árni Magnússon576 Pulsiano & Wolf 1993, 704; Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi 2000, 4.577 Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi 2000, 7.177


erwarb die Handschrift 1699 vom Skálholt-Bischof Jón Vídalín; hier<strong>aus</strong> erklärt sichihre Bezeichnung als Skálholtsbók. Von dem schlecht erhaltenen Manuskriptexistieren nur noch 48 Seiten. Die Hauksbók wurde zum größten Teil vomisländischen Rechtsgelehrten Haukr Erlendsson unter Mithilfe von drei Sekretären in<strong>den</strong> Jahren 1302-1310 verfaßt. Sie ist eine der wenigen Handschriften, von <strong>den</strong>enAutor und Entstehungszeit bekannt sind. Gleichzeitig ist sie unter di<strong>es</strong>en die ält<strong>es</strong>te.Insg<strong>es</strong>amt drei Handschriften tragen <strong>den</strong> Namen Hauksbók: AM 371 4to,AM 544 4to und AM 675 4to. Man nimmt an, daß sie ursprünglich Teile ein<strong>es</strong>Manuskripts waren. 578 Die Eiríks saga rauða ist in AM 544 4to enthalten.Die hier vorg<strong>es</strong>tellte Textpassage wird dadurch eingeleitet, daß Eiríkrs Sohn Leifrvor seiner Heimreise nach Grönland von König Óláfr Tryggvason <strong>den</strong> Auftrag erhält,dort das Christentum zu verbreiten. Eiríkr will <strong>den</strong> neuen Glauben nicht annehmen,aber seine Frau Þjóðhildr konvertiert sofort und kurz darauf auch die meistenanderen Angehörigen d<strong>es</strong> H<strong>aus</strong>halts. Die Glaubensfrage führt zu Konflikten imEheleben:Þjóðhildr wollte mit Eiríkr keinen ehelichen Umgang mehr haben, seit sie <strong>den</strong>christlichen Glauben angenommen hatte und das gefiel ihm überhauptnicht. 579Als eine Expedition nach dem kurz zuvor von Leifr entdeckten Vínland geplant wird,schließt Eiríkr sich nach einigem Zögern der Mannschaft an. Am Morgen derAbreise versteckt er eine Kiste mit Gold und Silber vor seiner Frau Þjóðhildr.Offenbar betrachtet er di<strong>es</strong><strong>es</strong> Geld so sehr als sein Eigen, daß er <strong>es</strong> im Falle sein<strong>es</strong>Tod<strong>es</strong> um je<strong>den</strong> Preis der Erbmasse entziehen will. Zwar wäre seine Frau nachseinem Ableben nicht erbberechtigt, doch zeigt sich in seinem Verhalten die Angst,<strong>es</strong> könnte in falsche Hände geraten. Möglicherweise verbirgt sich hier ein heidnischchristlicherKonflikt. Eiríkr benötigt das Geld, um im Jenseits eine hohe sozialePosition beklei<strong>den</strong> zu können und will <strong>es</strong> daher in seinem individuellen B<strong>es</strong>itzbehalten. Unter Umstän<strong>den</strong> fürchtet er außerdem, Þjóðhildr könne <strong>es</strong> an diechristliche Kirche spen<strong>den</strong>. Kurz nach seinem Aufbruch fällt er vom Pferd, brichtsich die Rippen und verletzt sich die Schulter. In der nachfolgen<strong>den</strong> Reaktion Eiríkrsweichen die Handschriften voneinander ab. Während er in der Skálholtsbók vor578 Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi 2000, 6.579 Þjóðhildr vildi ekki halda samfarar við Eirík síðan er hon tók trú, en honum var þat mjôk í mótiskapi. Eiríks saga rauða, AM 557 4to, 416 (Ólafur Halldórsson 1985 [ÍF 4 Erg. Bd.]).178


Schmerz aufschreit, quittiert die Hauksbók die Begebenheit in typisch knappemSagastil:Und als er erst kurz unterwegs war, fiel er vom Pferd und brach sich dieRippen und verletzte seine Schulter und <strong>schrie</strong> auf: „Ái, ái!“ (Skálholtsbók) 580[…], trug <strong>es</strong> sich so zu, daß er vom Pferd fiel und die Rippen in der Seitebrechen und er verletzte sich <strong>den</strong> Arm im Schultergelenk. (Hauksbók) 581Aufgrund der Ausnahm<strong>es</strong>tellung einer Schmerzäußerung in direkter Rede zeigtAbbildung 12 einen Auszug der Skálholtsbók mit eingeblendeter Textverdeutlichung.Abbildung 12: AM 557 4to (Skálholtsbók), Blatt 31rQuelle: Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi mit freundlicher Genehmigung.Texteinblendung: Eigene Bearbeitung.Die L<strong>es</strong>art der Interjektion ist nicht unumstritten. Während Ólafur Halldórsson undJansson <strong>den</strong> Text eindeutig als „Ái, ái!“ i<strong>den</strong>tifizieren, interpretiert Storm die Stelleals „á, já!“ 582 und führt als Übersetzung „Aa ja!“ an. 583 Nach Janssons Auffassunghandelt <strong>es</strong> sich hierbei um eine Mißinterpretation. 584Die Skálholtsbók weicht durch <strong>den</strong> Ausruf in auffälliger Weise vom Sagastil ab. Ankeiner anderen Stelle wird Schmerz so unmittelbar an <strong>den</strong> L<strong>es</strong>er weitergegeben.Eiríkrs Verhalten entspricht einer angeborenen, physiologischen Schmerzreaktion:It is well known that pain elicits stereotypical behaviours in both man andanimals. Grimace, vocalization, licking, limping and rubbing are oftenelicited by a painful stimulus. 585 179580 Ok er hann var skammt á leið kominn fell hann af baki og braut rif sín ok l<strong>es</strong>ti ôxl sína ok kvaðvið: ‘Ái, ái!‘ Eiríks saga rauða, AM 557 4to, 416 (Ólafur Halldórsson 1985 [ÍF 4 Erg. Bd.]).Ólafur Halldórsson kommentiert die Stelle in der Handschrift folgendermaßen: „Ái, ái; skr. ‘a.iai‘ í557, mætti e.t.v. l<strong>es</strong>a Á, jái“ [ebd.].581 […], bar svá til, at hann fell af baki ok brotna rifin í síðunni, en l<strong>es</strong>ti hôndina í axlarliðnum. Eiríkssaga rauða, 213 (Einar Ól. Sveinsson & Matthías Þórðarson 1935 [ÍF 4]).582 Storm 1891 [STUAGNL 21], 22.583 Storm 1899, 19.584 Jansson 1944 [SSSP 5], 156, Fußnote 58.585 Gracely 1999, 394.


Cleasby & Guðbrandur Vigfússon verweisen auf die Sæmundar Edda (118), wo ái!als ‚exclamatio dolentis’ verwendet wird. 586 Heggstad, Hødnebø & Simensenübersetzen <strong>den</strong> Ausruf u.a. mit ve. 587 Bei Ve!, zu Deutsch ‚weh!’ handelt <strong>es</strong> sich umeinen „Ausruf, der <strong>aus</strong> einem Naturlaut entstand, […].“ 588 Nach Hoffmann ist er „inallen germ. Dialekten mit Ausnahme d<strong>es</strong> Fri<strong>es</strong>. vorhan<strong>den</strong> und lautet urgerm. *vai,[…] anord. vei, vae.“ 589 Nach Ásgeir Blöndal Magnússon wurde <strong>aus</strong> altnordisch „“neuisländisch „æ”. Er definiert die Interjektion als „tákn um líkamlegan sársauka eðaandleg óþægindi; […]; sbr. og lith. aJ, ái ‘ó‘ og gr. aí, aJ (undrunartákn).” 590 ImDeutschen steht ‚weh!’ ohne weiteren Zusatz normalerweise für einen „Ausdruckvon Trauer und Schmerz.” 591 Zusammen mit dem Dativ verwendet, entstammt <strong>es</strong>dem Sprachgebrauch der Bibel und ist die Übersetzung für griech. „oυαJ”, bzw. lat.„vae.” 592 Es drückt in di<strong>es</strong>er Bedeutung eine Verwünschung <strong>aus</strong>. Etymologisch undlautsprachlich entspräche somit Eiríkrs ái! der deutschen Interjektion ‚wai!’: „au wai(au weih; au weia; au wai g<strong>es</strong>chrien)! = o weh!“ 593Eiríkrs Schrei zerreißt die Stille der Sagas und durchbricht das für gewöhnlichstumme Lei<strong>den</strong> der Sagafiguren. Schlachten, Folter und Verletzungen fin<strong>den</strong>normalerweise unter einer „akustischen Käseglocke“ statt. Rein optisch wird jedeEinzelheit genau b<strong>es</strong>chrieben, aber der zugehörige Ton ist abgedreht. Um so lautererschallt das „ái, ái!“ Eiríks, das <strong>es</strong> schafft, die „Schallmauer“ d<strong>es</strong> Sagastils zudurchbrechen. Für einen kurzen Moment ist der Ton mit voller Lautstärke da. DiePassage ist so auffällig, daß sich die Frage stellt, ob <strong>es</strong> sich um eine stilistischeEntgleisung handelt oder tieferer Sinn dahinter steckt.Jansson unterzieht Hauksbók und Skálholtsbók einer umfassen<strong>den</strong> Analyse in seinerArbeit „Sagorna om Vinland“. Er geht davon <strong>aus</strong>, daß Haukr und der Verfasser derSkálholtsbók für ihre Abschrift Zugang zu derselben Quelle hatten. Nach einem586 Cleasby & Guðbrandur Vigfússon 1957, 41.587 Heggstad, Hødnebø & Simensen 1975, 22.588 Hoffmann 1956 [BDP 10], 39.589 Hoffmann 1956 [BDP 10], 39.590 Ásgeir Blöndal Magnússon 1989, 1213. Übersetzung: […] Zeichen körperlichen Schmerz<strong>es</strong> oderseelischen Unbehagens; […]; vergleiche auch Litauisch aJ, ái ‘ó‘ und Griechisch aí, aJ (Zeichen derVerwunderung).591 Hoffmann 1956 [BDP 10], 40.592 Hoffmann 1956 [BDP 10], 39.593 ILDUS 1984, 3041.180


detaillierten Vergleich von Wortwahl und Stil kommt er zu dem Schluß, daß Haukrund seine drei Sekretäre kleinere, in der Summe aber substantielle Korrekturenzugunsten d<strong>es</strong> klassischen Sagastils vorgenommen haben. 594 Um der Saga einenliterarischen Anstrich zu geben, wur<strong>den</strong> laut Jansson alle volks- undumgangssprachlichen Ausdrücke gegen schriftsprachliche <strong>aus</strong>get<strong>aus</strong>cht. DasErgebnis war ein normierter Sagatext, dem aufgrund di<strong>es</strong>er Tatsache von derForschung zunächst mehr Authentizität beigem<strong>es</strong>sen wurde. 595 Jansson gründet seineAuffassung u.a. auf Kopierfehler in der Skálholtsbók. Offenbar waren mancheStellen der Vorlage nicht zu entziffern, so daß der Autor der Skálholtsbók kurzerhanddas nieder<strong>schrie</strong>b, was er zu erkennen meinte. Es schlichen sich hierdurch teilweisegrobe Fehler ein (z.B. Guðmundr statt Guðríðr). In der Hauksbók kommen di<strong>es</strong>eFehler hingegen nicht vor. Jansson schließt dar<strong>aus</strong>, daß der Verfasser derSkálholtsbók seine Arbeit als unreflektierte Abschreibeübung <strong>aus</strong>geführt hat:Skrivaren gör intryck av att slaviskt följa sin förlaga – slaviskt och utanintr<strong>es</strong>se för innehållet i <strong>den</strong> text han skriver. 596Hier<strong>aus</strong> ließe sich der Schluß ziehen, daß der Text beim Kopieren auch keinewillentlichen Änderungen erfuhr. Die Skálholtsbók stehe der Vorlage demnach vielnäher als die Hauksbók.Damit wäre die Skálholtsbók zwar die jüngere Handschrift, enthielte aber <strong>den</strong> älterenText. Hier<strong>aus</strong> läßt sich schließen, daß <strong>es</strong> sich beim „Ái, ái!“ um einen volks-, bzw.umgangssprachlichen Ausdruck <strong>aus</strong> der Mitte d<strong>es</strong> 13. Jahrhundert handelt, also derBlütezeit der Sagaschreibung. Der Ausruf gibt einen Hinweis auf dasSchmerzverhalten di<strong>es</strong>er Zeit. Zumind<strong>es</strong>t zum Zeitpunkt der schriftlichen Fixierungder Saga scheint Wehg<strong>es</strong>chrei bei Verletzungen eine adäquate Reaktion gew<strong>es</strong>en zusein.Janssons Ansatz wirft trotz seiner Pl<strong>aus</strong>ibilität einige Fragen auf. Wenn <strong>es</strong> sich umeine volkssprachlich geprägte Saga handelt, die offensichtlich wörtlich kopiertwurde, warum fin<strong>den</strong> sich dann nicht weitere Stellen di<strong>es</strong>er Art? Alle übrigenpotentiellen Schmerzereignisse der Eiríks saga rauða sind im Sagastil gehalten. Nurein weiter<strong>es</strong> Mal enthält die Saga eine Interjektion, als Sigríðr, die Frau von EiríkrsSohn Þorsteinn, einen Ausruf d<strong>es</strong> Erschreckens macht: Unter <strong>den</strong> Bewohnern594 Jansson 1944 [SSSP 5], 149.595 Jansson 1944 [SSSP 5], 149.596 Jansson 1944 [SSSP 5], 98. Übersetzung: Der Autor macht <strong>den</strong> Eindruck, seiner Vorlage sklavischzu folgen – sklavisch und ohne Inter<strong>es</strong>se für <strong>den</strong> Inhalt d<strong>es</strong> Text<strong>es</strong>, <strong>den</strong> er schreibt.181


Grönlands geht eine tödliche Seuche um, an der auch Þorsteinn und Sigríðrerkranken. Sigríðr zieht <strong>es</strong> zu einem Hof in der Nachbarschaft und als sie die Türöffnet, sieht sie dort die bisher an der Seuche G<strong>es</strong>torbenen und entdeckt auch sichselbst unter <strong>den</strong> Versammelten. Vor Schreck tätigt sie <strong>den</strong> Ausruf „O!“:Dann erkrankten Þorsteinn Eiríksson und Sigríðr, die Frau Þorsteins. Undein<strong>es</strong> Abends drängte sie darauf, zu dem Hof zu gehen, der sichgegenüber der H<strong>aus</strong>tür befand. Guðríðr folgte und sie traten durch dieTür ein. Da sprach Sigríðr: „O!“ 597Es erscheint recht unwahrscheinlich, daß sich in der Eiríks saga rauða derSkálholtsbók als einzigem Text überhaupt zufällig volkssprachliche Ausdrückegehalten haben. Es stellt sich die Frage, warum nicht auch in anderen Sagas der einoder andere Schmerzensschrei überlebt hat. Stammen die überliefertenÍslendingasögur in Wahrheit <strong>aus</strong> der Feder einer sehr kleinen Gruppe von Schreibern,die, ähnlich Haukr, <strong>den</strong> alten Vorlagen beim Kopieren erst <strong>den</strong> letzten „Sagaschliff“gegeben haben? Warum tauchen keine Interjektionen in <strong>den</strong> anderen Sagagruppenauf? Eiríkrs Schrei bleibt trotz aller Erklärungsversuche rätselhaft, ist aber einwertvoller Hinweis auf das Schmerzverhalten im isländischen Mittelalter.Funktionell übernimmt er im Text die Rolle der B<strong>es</strong>trafung für das Verstecken d<strong>es</strong>Geld<strong>es</strong>. Eiríkr hat nach dem Sturz sofort ein schlecht<strong>es</strong> Gewissen und sendet seinerFrau eine Mitteilung, wo sich das Geld befindet:Aufgrund di<strong>es</strong><strong>es</strong> Vorfalls schickte er seiner Frau eine Botschaft, daß sie dasGeld, das er versteckt hatte, fortnähme, sagte, daß <strong>es</strong> die Strafe dafür sei, daßer das Geld versteckt hatte. (Skálholtsbók) 598Aufgrund di<strong>es</strong><strong>es</strong> Vorfalls sagte er Þjóðhildr, seiner Frau, daß sie das Geldfortnähme; er sagte, daß <strong>es</strong> die Strafe dafür sei, daß er das Geld versteckthatte. (Hauksbók) 599Abg<strong>es</strong>ehen von Janssons Untersuchung zeigt sich in der Skálholtsbókmöglicherweise aber auch der im Eingangskapitel erwähnte Einfluß höfischerLiteratur mit größerer Betonung von Emotionen und Gefühlen. Zwischen derEntstehung der Hauksbók und der Skálholtsbók liegen etwa einhundert Jahre. Die597 Þá tók sótt Þorsteinn Eiríksson ok Sigríðr kona Þorsteins. Ok eitt kveld fýstisk hon atganga til garðs þ<strong>es</strong>s er stóð gegnt útidurum. Guðríðr fylgði , ok sóttu þær í mót durunum. Þákvað Sigríðr: ‘Ó!‘ Eiríks saga rauða, AM 557 4to, 418 (Ólafur Halldórsson 1985 [ÍF 4 Erg. Bd.]).598 Af þ<strong>es</strong>sum atburð sendi hann konu sinni orð, at hon tœki féið á brott, þat er hann hafði fólgit, lézkþ<strong>es</strong>s hafa at goldit, er hann hafði féit fólgit. Eiríks saga rauða, AM 557 4to, 416 (Ólafur Halldórsson1985 [ÍF 4 Erg. Bd.]).599 Af þeim atburð sagði hann Þjóðhildi, konu sinni, at hon tœki féit á brott; lézk þ<strong>es</strong>s hafa at goldit, erhann hafði féit fólgit. Eiríks saga rauða, 213 (Einar Ól. Sveinsson & Matthías Þórðarson 1935 [ÍF4]).182


Skálholtsbók wurde in <strong>den</strong> ersten Jahrzehnten d<strong>es</strong> 15. Jahrhundertsniederg<strong>es</strong>chrieben. Das Zeitalter der Sagaschreibung endete Mitte d<strong>es</strong>14. Jahrhunderts. Damit entstand die Hauksbók in di<strong>es</strong>er Literaturtradition, währenddie Skálholtsbók schon in eine andere literarische Epoche fällt. Altersmäßig ungefährmit der Skálholtsbók vergleichbar ist die Flateyjarbók (GKS 1005 fol.). Die mit225 Blatt umfangreichste erhaltene Handschrift entstand in <strong>den</strong> letzten Jahren d<strong>es</strong>14. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte d<strong>es</strong> 15. Jahrhunderts wurde sie um 23 Blattergänzt, wahrscheinlich durch ihren damaligen B<strong>es</strong>itzer, <strong>den</strong> Amtmann ÞorleifrBjôrnsson <strong>aus</strong> Reykhólar. In ihrem Vorwort wer<strong>den</strong> als Verfasser die bei<strong>den</strong> Pri<strong>es</strong>terJón Þórðarson und Magnús Þórhallsson genannt. Jónsson argumentiert, daß die in ihrenthaltenen Sagas <strong>aus</strong> der Bibliothek d<strong>es</strong> Klosters Þingeyrar stammen. 600 IhrenNamen erhielt die Flateyjarbók nach der Insel Flatey, dem Wohnort ihrer bei<strong>den</strong>späteren B<strong>es</strong>itzer Jón Bjôrnsson und Jón Finnsson (Enkel und Urgroßenkel vonÞorleifr Bjôrnsson). Sie enthält in der Hauptsache Konungasögur, aber auch einigeÍslendingasögur und –þættir, teilweise Material, das sonst nirgends überliefert ist. 601Auch in <strong>den</strong> Texten der Flateyjarbók wird Schmerz häufiger thematisiert als inälteren Manuskripten. Im Vergleich mit Sagatexten anderer Manuskripte erweist sichdie Flateyjarbók für die Schmerzforschung oft ergiebiger. Einige wichtige Passagen,die im Rahmen der vorliegen<strong>den</strong> Arbeit behandelt wer<strong>den</strong>, entstammen di<strong>es</strong>erHandschrift.Die Flateyjarbók enthält auch einen weiteren Text zur Vínland-Thematik, der nurhier überliefert ist: die GrÍnlendinga saga (syn. GrÍnlendinga þáttr). Sie gilt als eineder ält<strong>es</strong>ten überlieferten Sagas. 602 Niederg<strong>es</strong>chrieben wurde sie möglicherweise um1200 in Skagafjörður, 603 möglicherweise aber auch erst im frühen 14. Jahrhundert. 604Der Text ist recht problematisch und soll hier nur der Vollständigkeit halber genanntwer<strong>den</strong>. Hervorstechend<strong>es</strong> äußer<strong>es</strong> Merkmal ist seine Fragmentierung. Er liegt nichtg<strong>es</strong>chlossen vor, sondern als B<strong>es</strong>tandteil unterschiedlicher Sagas der Flateyjarbók.Halldór Hermannsson interpretiert di<strong>es</strong>en Umstand als Zeichen mündlicherÜberlieferung unabhängig vom r<strong>es</strong>tlichen Vínlandstoff. Es sei dabei zu inhaltlichen600 Finnur Jónsson 1927, 168.601 Stofnun Árna Magnússonar á Íslandi2003.602 Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1956, 152 f.603 Pulsiano & Wolf 1993, 704604 Halldór Hermannsson 1936 [ISL 25], 46.183


Verfälschungen und Verdrehungen gekommen, die bei der schriftlichen Fixierungnicht mehr entwirrt wer<strong>den</strong> konnten. 605Auch die GrÍnlendinga saga bezieht sich auf <strong>den</strong> Reitunfall Eiríkrs, aber in starkabgewandelter Form. Vom Glaubensstreit mit seiner Frau wird in der Saga nichtsberichtet. Im Gegensatz zu der Eiríks saga rauða gilt Bjarni Herjólfsson und nichtLeifr Eiríksson als Entdecker d<strong>es</strong> neuen Land<strong>es</strong>. Leifr erhält keinenChristianisierungsauftrag, das Verstecken der Geldkiste findet ebenfalls nicht statt.Als Eiríkr vom Pferd fällt, verletzt er sich das Bein und nicht Rippen und Schulter.Aufgrund di<strong>es</strong><strong>es</strong> Vorfalls bleibt er zu H<strong>aus</strong>e auf Grönland, was in der Eiríks sagarauða ebenfalls keine Erwähnung findet:Und da gab Eiríkr dem Drängen Leifrs nach und reitet von zu H<strong>aus</strong>e weg alssie dazu bereit waren und <strong>es</strong> war nur noch ein kurz<strong>es</strong> Stück bis zum Schiff.Das Pferd, das Eiríkr ritt, stolpert und er fiel herunter und verletzte sich dasBein. Da sprach Eiríkr: „Es ist mir nicht vergönnt, mehr Länder zu entdeckenals das, auf dem wir wohnen; wir wollen nun alle zusammen nicht weiterreiten.“ Eiríkr ritt heim nach Brattahlíð, aber Leifr begab sich zum Schiff undseine Gefährten mit ihm, 20 Männer an der Zahl. 606Der Sturz hat nicht <strong>den</strong> strafen<strong>den</strong> Charakter der Eiríks saga rauða, sondern wird alsWink d<strong>es</strong> Schicksals aufgefaßt, die Fahrt nicht anzutreten. Schmerz erfährt keineThematisierung im Gegensatz zur sonstigen Ten<strong>den</strong>z der Flateyjarbók. Stellt manGrÍnlendinga saga und Eiríks saga rauða einander gegenüber, unterschei<strong>den</strong> si<strong>es</strong>ich hauptsächlich in punkto Christentum. Hier setzt Halldórssons Analyse der Eiríkssaga rauða an. Seiner Meinung nach fügt sich das g<strong>es</strong>amte Kapitel 5, das auchEiríkrs Reitunfall enthält, nicht organisch in <strong>den</strong> G<strong>es</strong>amtkontext ein: „Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Kapitelist eher ung<strong>es</strong>chickt abgefaßt und <strong>es</strong> ist wahrscheinlich, daß der Verfasser sich dortauf eine andere schriftliche Quelle g<strong>es</strong>tützt hat.” 607 In Þjóðhildrs Konvertierung undEiríkrs Weigerung, zum Christentum überzutreten, erkennt er ein Motiv christlicherÜbersetzungsliteratur (Postola sögur [Apostelsagas], Heilagra manna sögur [Sagasheiliger Männer]). 608 Es liegt die Vermutung nahe, daß Eiríkrs Schmerzäußerung mit605 Halldór Hermannsson 1936 [ISL 25], 47.606 Ok þetta lét Eiríkr eptir Leifi ok ríðr heiman, þá er þeir eru at því búnir, ok var þá skammt at fara tilskipsins. Drepr h<strong>es</strong>trinn fœti, sá er Eiríkr reið, ok fell hann af baki, ok l<strong>es</strong>tisk fótr hans. Þá mæltiEiríkr: „Ekki mun mér ætlat at finna lônd fleiri en þetta, er nú byggju vér; munu vér nú ekki lengr faraallir samt.” Fór Eirkíkr heim í Brattahlíð, en Leifr rézk til skips ok félagar hans með honum, hálfrfjórði tøgr manna. GrÍnlendinga saga, 249 (Einar Ól. Sveinsson & Matthías Þórðarson 1935 [ÍF 4]).607 Halldórsson 1985, 353: „Sá kafli er heldur óhönduglega saminn og líkur því að þar hafi höfunduröðrum þræði stuðzt við ritaða heimild.”608 Halldórsson 1985, 359.184


seiner renitenten Haltung in Zusammenhang steht. Er wird dafür b<strong>es</strong>traft, vor derAbreise sein Geld zu verstecken. Warum er di<strong>es</strong> tut, geht <strong>aus</strong> dem Text nichteindeutig hervor. Aus der Handlung d<strong>es</strong> Verbergens läßt sich jedoch ableiten, daß erdi<strong>es</strong><strong>es</strong> Geld unbedingt für sich selbst behalten will. Es ist nicht <strong>aus</strong>zuschließen, daßhier unter Umstän<strong>den</strong> ein heidnisch<strong>es</strong> Glaubenskonzept dahintersteht, das Eiríkr dazubringt, Geld fürs Jenseits beiseite zu schaffen. Vielleicht ist <strong>es</strong> auch Oppositiongegen die religiöse Ausrichtung seiner Frau. Es wird g<strong>es</strong>agt, daß Þjóðhildr schonbald nach ihrem Übertritt eine Kirche bauen läßt, in die viele Menschen zumGott<strong>es</strong>dienst kommen. Hinter Eiríkrs Aktion steht möglicherweise die Angst, seineFrau könnte in seiner Abw<strong>es</strong>enheit noch mehr Geld für <strong>den</strong> neuen Glauben <strong>aus</strong>geben.Indem er ihr christlich<strong>es</strong> Verhalten durch Verweigerung finanzieller Unterstützungzu sabotieren sucht, begeht er <strong>aus</strong> christlicher Sicht eine Sünde, für die ihn derChristengott mit Schmerzen b<strong>es</strong>traft. Hier<strong>aus</strong> würde sich auch die Nachricht nachdem Sturz erklären. Indem er seiner Frau die Schatzkiste zukommen läßt, kauft ersich frei. Daß Eiríkrs Schmerzäußerung nicht in der Hauksbók verzeichnet ist, sprichtnicht zwangsläufig gegen di<strong>es</strong>en Erklärungsversuch. Gemäß Janssons Untersuchungwar Eiríkrs Schmerzensschrei sowohl in der Vorlage der Hauks- als auch derSkálholtsbók vorhan<strong>den</strong>.Ohne das christliche Element fällt Eiríkrs Deutung d<strong>es</strong> Unglücks in derGrÍnlendinga saga ganz anders <strong>aus</strong>. Es ist ein Wink d<strong>es</strong> Schicksals, die Fahrt nichtanzutreten. Die Auswirkung d<strong>es</strong> Christentums auf die Darstellung und Empfindungvon Schmerz ist Gegenstand von Kapitel 12, welch<strong>es</strong> die Untersuchung derByskupasögur zum Thema hat.185


11 Schlaf – ein einfach<strong>es</strong> Instrument zur Schmerzm<strong>es</strong>sungMeßbarkeit von Schmerz ist ein<strong>es</strong> der großen Probleme der Schmerzforschung. Alsmultidimensional<strong>es</strong> Phänomen mit <strong>aus</strong>geprägter psychischer und kulturellerKomponente ist er nur sehr schwer objektivierbar. Während der letzten dreiJahrzehnte wur<strong>den</strong> intensive Anstrengungen unternommen, zuverlässigeMeßinstrumente zu entwickeln. Neben komplizierten T<strong>es</strong>tverfahren mit zum Teilrecht umfangreichen Fragekatalogen, hat sich die Visual Analogue Scale (VAS)aufgrund ihrer einfachen Handhabung im klinischen Alltag bewährt. Auf einemPlastiklineal stellen die Patienten mit einem Schieberegler ihre Schmerzintensität ein.Der Regler reicht von „Schmerzfreiheit“ bis „größter vorstellbarer Schmerz“. DerArzt erhält auf di<strong>es</strong>e Weise eine recht zuverlässige Angabe über die derzeitempfun<strong>den</strong>e Schmerzintensität. VAS hat sich auch in der Lebensqualitätforschungals zuverlässig erwi<strong>es</strong>en. Anstatt nach Schmerz wird kurzerhand nach Lebensqualitätgefragt. Gough und Mitarbeiter verglichen in ihrer Untersuchung unterschiedlicheT<strong>es</strong>tmetho<strong>den</strong> zur Erhebung der Lebensqualität von Krebspatienten. Sie kamen zuder Schlußfolgerung, daß simple T<strong>es</strong>ts durch<strong>aus</strong> mit <strong>den</strong> etablierten „großen“ T<strong>es</strong>tsmithalten konnten. Die Ergebnisse waren bei allen Verfahren ähnlich. Die etabliertenMeßinstrumente seien darüber hin<strong>aus</strong> zu kompliziert, zu zeitraubend und zu schweranalysierbar. Im Prinzip, so Gough, reiche die einfache Frage: „Wie geht <strong>es</strong> Ihnenheute?“. 609Di<strong>es</strong>e Forschungsergebnisse lassen sich natürlich nicht auf die Sagaliteraturübertragen. Sie können aber als Anregung dienen, um für die Schmerzen derSagapersonen ein behelfsmäßig<strong>es</strong> Meßinstrument zu konstruieren. DasHauptproblem b<strong>es</strong>teht darin, daß in der untersuchten Sagaliteratur sehr wenigeAngaben zur Schmerzintensität gemacht wer<strong>den</strong>. Oft ist <strong>es</strong> schon schwer genug,Schmerz überhaupt nachzuweisen. Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen trifft manauf Schilderungen, die Aussagen zur Schmerzintensität, bzw. -qualität erlauben, wiein folgendem Beispiel: eine Frau ist nach einem Unfall bewußtlos und träumt von derHölle. Als sie durch Gott<strong>es</strong> Gnade gerettet wird, peitschen die Teufel zum Abschiedihre Seele:609 Gough & al. 1983.186


Sie schwingen dann eine glühende Knopfpeitsche um die Schultern ihrerSeele, so daß sie von dem bitteren Brennen, das di<strong>es</strong>em Schlag folgte, Qualbis in jede Fingerspitze fühlte, […]. 610Durch ihre starke christliche Prägung und ihren pathetischen Charakter ist diePassage obendrein nicht repräsentativ für <strong>den</strong> in der untersuchten Literaturdominieren<strong>den</strong> Sagastil.Vor allem in <strong>den</strong> Byskupasögur sind gewisse Standardformulierungen zurVermittlung starker Schmerzen anzutreffen. Di<strong>es</strong>e enthalten meist Worte wie: varla(kaum), bera (ertragen), þola (ertragen), œpa (rufen, schreien), óœpandi (ohne zuschreien). Beispiel:Es breitete sich dann in [der Brandwunde] so großer Schmerz <strong>aus</strong>, daß sie <strong>es</strong>nicht ohne zu schreien ertragen konnte. 611B<strong>es</strong>chreibungen di<strong>es</strong>er Art fin<strong>den</strong> sich in <strong>den</strong> anderen Sagagruppen erheblichseltener. Sie eignen sich daher nur bedingt zur gattungsübergreifen<strong>den</strong> Beurteilungder Schmerzintensität. Schlaf ist dahingegen ein Thema, das in fast allen Textenhäufig behandelt wird. Das gilt auch für das Umfeld d<strong>es</strong> Schlaf<strong>es</strong>, insb<strong>es</strong>ondere Bettund Traum. In Anlehnung an die Frage: „Wie geht <strong>es</strong> Ihnen heute?“ könnte man alsoin <strong>den</strong> Sagas die Stärke von Schmerzen folgendermaßen erheben: „Wie haben Sieheute g<strong>es</strong>chlafen?“Eine Durchsicht der verschie<strong>den</strong>en Sagagattungen zeigt, daß das Bett überall vongroßer Bedeutung ist. Es ist Zufluchtsort bei Unpäßlichkeiten aller Art. Vor allem in<strong>den</strong> Íslendingasögur, deren Stil Gefühlen kein Raum gibt, ist <strong>es</strong> ein wichtigerIndikator für innere Vorgänge. Sobald das Leben <strong>aus</strong> <strong>den</strong> Fugen gerät, legt man sichins Bett. Die wohl berühmt<strong>es</strong>te „Bettszene“ der Sagaliteratur befindet sich in derEgils saga. Auf <strong>den</strong> Tod sein<strong>es</strong> Sohn<strong>es</strong> reagiert Egill mit Zubettgehen. Er schließtsich in seine Bettkammer ein, um dort zu sterben. Nur mit List gelingt <strong>es</strong> seinerTochter, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. In der Hávardar saga Ísfirðingsverweigert man Hávarðr Scha<strong>den</strong>ersatz für <strong>den</strong> Tod sein<strong>es</strong> Sohn<strong>es</strong>, woraufhin er sichein Jahr ins Bett legt. Als beim Mordbrand in der Njáls saga das H<strong>aus</strong> in Flammensteht, erwarten Njáll und seine Frau <strong>den</strong> Tod im Bett.610 Fleygja síðan glóandi knappasvipu um þverar herðar sálinni, svá at [af] beiskum bruna, er fylgdiþeim slag, kendi hún kvöl í hvern köggul, […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta, 10 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).611 […].gerþi úiþan í úviþa mikiN. svat hon máte ˚eige o øpaNde bera. Jartegnabók Þorláks byskups enforna, 149 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).187


Zubettgehen ist aber auch ein Anzeichen für Krankheit oder Schmerz. Nicht seltenwird hierdurch auch Lebensgefahr signalisiert. Di<strong>es</strong>er Sachverhalt soll an einigenBeispielen illustriert wer<strong>den</strong>. In der Sturlunga saga wird darüber berichtet, daß SnorriSturlusons Frau Hallveig Ormsdóttir krank wird und sich ins Bett legt. Wenig späterstirbt sie:Die H<strong>aus</strong>frau Hallveig wurde um di<strong>es</strong>e Zeit sehr krank und lag das g<strong>es</strong>amteThing über im Bett. […] Im Sommer zur Jakobsm<strong>es</strong>se starb HallveigOrmsdóttir in Reykjaholt und Snorri erachtete <strong>den</strong> ihm entstan<strong>den</strong>en Scha<strong>den</strong>als sehr groß. 612Kýlan <strong>aus</strong> der Gull-Þóris saga bricht sich die Schulter durch einen Schlag währendein<strong>es</strong> Kampf<strong>es</strong>. Er reagiert mit Zubettgehen:Er schlug so stark auf Kýlans Schulter, daß der Schulterknochen zerbrach[…] Danach fuhren sie nach H<strong>aus</strong>e und Kýlan legte sich ins Bett und der Armwurde unbrauchbar. 613Auf Spür-Helgis Pseudo-Schmerzzustände <strong>aus</strong> der Gísla saga Súrssonar wurdebereits an anderer Stelle genauer eingegangen. Als er von der H<strong>aus</strong>frau Þorgerðurbeim Spionieren erwischt wird, täuscht er starke Schmerzen vor und möchte d<strong>es</strong>halbvon ihr zu Bett gebracht wer<strong>den</strong>:Er sagt da, von so heftigen Knochenschmerzen geplagt zu sein, daß er sichnicht ruhig verhalten könne, - „und ich wollte,” sagt er, „daß du mich zu Bettbrächt<strong>es</strong>t.” 614In der Þorláks saga byskups (Byskupasögur) ist von vielen diversen Krankheiten undZustän<strong>den</strong> die Rede, die durch <strong>den</strong> heiligen Bischof kuriert wer<strong>den</strong>. Bei derB<strong>es</strong>chreibung der Symptomatik wird nicht selten auch das Bett erwähnt, z.B.:Eine Frau brach sich das Bein und <strong>es</strong> schwoll stark an und begann zuschmerzen. Und sie lag lange im Bett, aber ihre Ärzte konnten sie nichtheilen. 615Im Jarteinabók Þorláks byskups in yngsta wird u.a. von einem Mann <strong>aus</strong> Akran<strong>es</strong>berichtet. Aufgrund starker Schmerzen beim Wasserlassen wird er zunächst612 Hallveig husfreia hafði tekit uan-maatt mikinn i þenna tima, ok laa hun i reckiu vm allt þinngit.[…] [U]m sumarit Iakobs m<strong>es</strong>so anndaðiz Hallueig Orms dóttir i Reykiahollti, ok þotti Snora þat allmikillskaði, sem honum var. Íslendinga saga, 450 f. (Kålund 1906-1911 (1)).613 Hann hjó á öxl Kýlans svá hart, at lamdist axlarbeinit, […]. Eptir þat fóru þeir heim, ok lagðistKýlan í rekkju, ok ónýtti höndina. Gull-Þóris saga, 199 f. (Þórhallur Vilmundarson & BjarniVilhjálmsson 1991 [ÍF 13]).614 Hann kveðst svá óðvirki vera af beinverkjum, at hann mátti eigi kyrr vera, - „ok vilda ek,” segirhann, „at þú fylgðir mér til rekkju.” Gísla saga Súrssonar, 80 (Björn K. Þórolfsson & Guðni Jónsson1958 [ÍF 6]).615 Kona ein braut fot sinn ok úlo i uerk ok þrota miklum. Ok l„ hon lengi i reckiu ok mattu lôcknarhenni eigi bot uinna. Þorláks saga A, 234 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).188


ettlägerig und erleidet schließlich einen Harnverhalt. Di<strong>es</strong>er Zustand dauertzweieinhalb Tage lang an:Arnbjörn Jonsson, der dort wohnte, bekam eine schwere Krankheit von derArt, daß er schwer und unter großen Schmerzen Wasser ließ. Er lag sechsWochen im Bett und schließlich kam <strong>es</strong> so, daß er zweieinhalb Tage langüberhaupt kein Wasser mehr lassen konnte. 616Noch öfter als durch Bettlägerigkeit wird Schmerz durch Schlafstörungensignalisiert. Schlaf und Traum wird in <strong>den</strong> Sagas viel Aufmerksamkeit gewidmet.Auffällig häufig wird detailliert über <strong>den</strong> Schlaf von Sagapersonen berichtet.Mehrfach erfolgt überdi<strong>es</strong> der Hinweis, daß sich jemand hinlegt und die Nachtdurchschläft. Im Anbetracht d<strong>es</strong> im übrigen sehr sparsamen Umgang<strong>es</strong> mitInformationen aller Art, wird Schlaf auf di<strong>es</strong>e Weise ein hoher Stellenwertzugeordnet. Er hebt sich überdi<strong>es</strong> auch vom Traum ab, d<strong>es</strong>sen Funktion imparapsychologischen Bereich ang<strong>es</strong>iedelt ist. Die hohe Priorität von Schlaf machtpl<strong>aus</strong>ibel, daß jegliche Störung als empfindliche Einschränkung d<strong>es</strong> täglichen Lebensempfun<strong>den</strong> wird. Ist aufgrund körperlicher B<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Sagas vonSchlafstörungen die Rede, so sind di<strong>es</strong>e vielfach schmerzbedingt. Dar<strong>aus</strong> läßt sichfolgern, daß Schmerz schlafbehindernder Intensität als <strong>aus</strong>g<strong>es</strong>prochen b<strong>es</strong>chwerlichempfun<strong>den</strong> wird. Für die Schmerzm<strong>es</strong>sung kann di<strong>es</strong>er Schwellenwert, bei demSchlaf beeinträchtigt ist, als Orientierungshilfe dienen. Schmerz in di<strong>es</strong>er Stärke istfür die Betroffenen nicht mehr akzeptabel. Ang<strong>es</strong>ichts der sonst so demonstrativenIndolenz könnte dar<strong>aus</strong> g<strong>es</strong>chlossen wer<strong>den</strong>, daß <strong>es</strong> sich um recht starke Schmerzenhandelt. In di<strong>es</strong>em Sinne kann die Antwort auf die Frage: „Wie haben Sie heuteg<strong>es</strong>chlafen?“ durch<strong>aus</strong> zur groben Schmerzgradierung eing<strong>es</strong>etzt wer<strong>den</strong>.Als sich Grettir mit dem Beil verletzt, wird sofort eine Aussage über seineSchlafqualität gemacht:Dann verband Illugi die Schramme Grettirs und <strong>es</strong> blutete wenig und Grettirschlief gut in der Nacht und so vergingen drei Nächte, daß kein Schmerz indie Wunde kam; […]. 617616 […] Arnbiorn Jonson er þar bio, tok kranckleika mikinn vppa þann hätt, ad hann gat torvelldliga,og med miklum särleik geingid hinnar þynnre þurftarinnar. La hann vj. vikur j reckiu og vm syderkom so ad þad var halft þridia dægur, ad han gat med onguo moti fyrr nefndrar þurftar geingid, […].Þorláks saga C, 362 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).617 Þá tók Illugi ok batt um skeinu Grettis, ok blœddi lítt, ok svaf Grettir vel um nóttina, ok svá liðuþrjár nætr, at engi kom verkr í sárit; […]. Grettis saga Ásmundarsonar, 251 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF7]).189


Die sich als tückisch erweisende Wunde wird an di<strong>es</strong>er Stelle anhand zweierAttribute für ungefährlich erklärt: sie blutet wenig und Grettir kann gut schlafen. Esgilt das Motto: „Schlaf gut, all<strong>es</strong> gut“. Nachdem drei Tage vergangen sind,manif<strong>es</strong>tiert sich die Infektion, u.a. mit großen Schmerzen. Wiederum wird noch imselben Satz auf <strong>den</strong> Schlaf verwi<strong>es</strong>en:Dort folgte großer Schmerz, so daß er <strong>es</strong> in keiner Weise still ertragen konnteund er konnte nicht schlafen. 618Das Duo Schlaf und Schmerz geben überdi<strong>es</strong> als „G<strong>es</strong>undheitsbarometer“ Auskunftüber die Prognose einer Erkrankung/Verletzung. Grettirs Schmerzen undSchlaflosigkeit sind erste Vorboten der nahen<strong>den</strong> Tragödie. Sie kündigen <strong>den</strong>baldigen Tod an.Deutlich wird di<strong>es</strong>e Funktion auch in der Hrafnkels saga Freysgoða. Þorgeirr kannwegen der Entzündung am Bein nicht schlafen. Impliziert wird damit, daß er wegend<strong>es</strong> Entzündungsschmerz<strong>es</strong> daran gehindert wird. Als sich der Eiter <strong>aus</strong> demKarbunkel entleert hat und die Heilphase beginnt, kann er wieder schlafen. DerSchmerz ist so weit abgeklungen, daß ihm di<strong>es</strong> erneut möglich ist. Im Gegensatz zumBeispiel <strong>aus</strong> der Grettis saga wird hier eine gute Prognose angedeutet:Ein groß<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chwür hat er am Fuß, seit er auf <strong>den</strong> Thing gekommen ist undd<strong>es</strong>halb hat er nachts wenig g<strong>es</strong>chlafen. Und nun ist der Fuß heute nachtaufg<strong>es</strong>prungen und der Eiterpfropf her<strong>aus</strong>gekommen. Und nun hat er seitdemg<strong>es</strong>chlafen […]. 619Vor allem bei <strong>den</strong> Wunderheilungen der heiligen Bischöfe sind einige Passagen zumSchlaf in seiner Funktion als „Algometer“ zu fin<strong>den</strong>. Im Jarteinabók Þorláksbyskups wird z.B. über einen Pri<strong>es</strong>ter berichtet, der nach einem Sturz starkeSchmerzen in einem Bein verspürt:Ein Pri<strong>es</strong>ter […] stürzte schwer, als er auf dem Nachh<strong>aus</strong>eweg war, und erwar so schlimm dran, daß er meinte, beinahe nicht mehr mit dem Bein gehenzu können, auf das er gefallen war. Mit Mühe und Not wurde er ins H<strong>aus</strong>gebracht und er vermochte fast nicht zu <strong>es</strong>sen und die erste Hälfte der Nachtnicht zu schlafen wegen der heftigen Schmerzen, die im Bein waren. 620618 Þar fylgði mikill verkr, svá at hann mátti hvergi kyrr þola, ok eigi kom honum svefn á auga. Grettissaga Ásmundarsonar, 252 (Guðni Jónsson 1936 [ÍF 7]).619 Hann hefir haft kveisu mikla í fœtinum, síðan hann kom á þingit, ok því hefir hann lítit sofit umnætr. En nú sprakk fótrinn í nótt, ok er ór kveisunaglinn. En nú hefir hann sofnat síðan […]. Hrafnkelssaga Freysgoða, 112 f. (Jón Jóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]).620 Pr<strong>es</strong>tr eiN […] fell eN faÿ miciþ. <strong>es</strong> haN fór heim a leiþ. oc varþ honom sva ilt viþ. at haN þoT<strong>es</strong>cnaliga eki méga útíga afoteN. þaNer niþr hafþi comet. Varþ honom nÃþvliga til hvú comet. oc máTihaN n¡r eki amát taca. oc eki úofa eN fyRa hlvt n¡tr. firer ofverciom þeim <strong>es</strong> iføtinom voro.Jartegnabók Þorláks byskups en forna, 135 f. (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).190


Ob <strong>es</strong> sich bei der Verletzung um eine Fraktur oder nur um eine Prellung handelt,läßt sich nicht <strong>aus</strong> dem Text erschließen. Hier spielt auch die Sichtweise eine Rolle.Aus medizinischem Blickwinkel erleidet der Pri<strong>es</strong>ter eine Prellung, <strong>den</strong>n amnächsten Morgen kann er wieder gehen; das könnte er mit einer Fraktur nicht. Austheologischer Sicht bricht sich der Pri<strong>es</strong>ter ein Bein, <strong>den</strong>n durch ein Wunder d<strong>es</strong>heiligen Þorlákr wird er wieder geheilt. Die g<strong>es</strong>childerten Symptome lassen an einenOberschenkelhalsbruch <strong>den</strong>ken (keine auf <strong>den</strong> ersten Blick vorhan<strong>den</strong>enFrakturzeichen, samt Unfähigkeit, aufzutreten). In jedem Fall kann er zunächstaufgrund der starken Schmerzen nicht einschlafen. Schlaf ist erst möglich, nachdemer <strong>den</strong> heiligen Þorlákr um Hilfe angefleht hat. Hierdurch wird bereits der günstigeAusgang seiner Verletzung impliziert. Folgerichtig erwacht er am nächsten Morgenvollkommen gen<strong>es</strong>en:[…]. Da betete der Pri<strong>es</strong>ter mit ganzem Herzen zum seligen Bischof Þorlákr,daß er ihn sein<strong>es</strong> Lei<strong>den</strong>s gen<strong>es</strong>en lasse. Danach schlief er sehr schnell einund erwachte danach im Morgengrauen völlig g<strong>es</strong>und. 621In dem bereits an anderer Stelle aufgeführten Beispiel vom Bauern Hallr, der aufeine Sense fällt und dabei G<strong>es</strong>ichtsverletzungen erleidet, wer<strong>den</strong> Schlaf undSchmerzintensität ebenfalls in Beziehung g<strong>es</strong>etzt:[…], seit gebetet wor<strong>den</strong> war, hatte er auch zu keiner Zeit so großeSchmerzen oder Brennen in der Wunde, daß er nicht schlafen konnte […]. 622Die Passage macht noch einmal <strong>den</strong> b<strong>es</strong>onderen Stellenwert von Schlaf innerhalb dermittelalterlichen isländischen Kultur deutlich. Schmerz ist der Antagonist d<strong>es</strong>Schlaf<strong>es</strong>. Er stört das Gleichgewicht ein<strong>es</strong> g<strong>es</strong>un<strong>den</strong> Daseins und repräsentiert somitdas Chaos. Der erste Teil d<strong>es</strong> vom heiligen Þorlákr bewirkten Wunders gilt <strong>aus</strong>di<strong>es</strong>em Grunde dem Schmerz. Sofort nach dem Gebet reduziert er sich auf ein Maß,das Hallrs Nachtschlaf nicht beeinträchtigt. Hier<strong>aus</strong> läßt sich schließen, daß sichseine Intensität vorher oberhalb di<strong>es</strong>er Schwelle befun<strong>den</strong> haben muß. Bis zu di<strong>es</strong>emZeitpunkt gibt <strong>es</strong> im Text keinen Hinweis, daß Hallr überhaupt leidet. Erst imZusammenhang mit Schlaf wird di<strong>es</strong><strong>es</strong> Thema aufgegriffen. Der Übergang vomBeten zum Schlafen erfolgt abrupt. Di<strong>es</strong>er Eindruck entsteht durch die Verknüpfungd<strong>es</strong> Hauptg<strong>es</strong>chehens mit einem vermeintlich unwichtigen Detail: dem Zubettgehen.621 […]. þá het preúreN. af øllom hvg. aeN ú¡la Thorlac biúcop. at haN léti honom batna úínú meínú.Efter þat úofanþi haN miÍc bráT. oc vacnaþe úiþan of morgeNeN únema alheil. meþ ollo. JartegnabókÞorláks byskups en forna, 136 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).622 […], var honum og onguann tyma so mikill verkur, edur suidi j sarinu, sydann heytid var ad eymætti hann sofa fyrer, […]. Þorláks saga C, 357 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).191


In einem sich auf das W<strong>es</strong>entliche konzentrieren<strong>den</strong> Text nimmt sich eine solcheNebensächlichkeit zunächst deplaziert <strong>aus</strong>. Dem Schlaf wird damit ein sehr hoherRang im G<strong>es</strong>chehen zugewi<strong>es</strong>en. Im Kontext li<strong>es</strong>t sich das folgendermaßen:[…] und als er nach H<strong>aus</strong>e kam, beteten sie beide, der Bauer Andrés undHallr, […]daß er g<strong>es</strong>und würde […]. Danach verban<strong>den</strong> sie die Wunde undlegten sich schlafen […]. 623Abschließend läßt sich f<strong>es</strong>thalten, daß Schmerz anhand sein<strong>es</strong> Einfluss<strong>es</strong> auf dieSchlafqualität grob gem<strong>es</strong>sen wer<strong>den</strong> kann. Die Toleranzgrenze wird erreicht, wennder Nachtschlaf g<strong>es</strong>tört ist. Jenseits di<strong>es</strong><strong>es</strong> definierten Fixpunkt<strong>es</strong> mindert Schmerzdie Lebensqualität der Betroffenen. Schlaf hat die Funktion ein<strong>es</strong> „Algometers“. ImZusammenspiel mit Schmerz wer<strong>den</strong> überdi<strong>es</strong> prognostische Hinweise zum weiterenVerlauf von Krankheiten oder Verletzungen gegeben.623 […], og sem hann kom heim hietu þeir Andri<strong>es</strong> bondi bader og Hallur […] ad hann mætti heillverda […]. Epter þad bundu þeir vm särid, og föru til suefns, […]. Þorláks saga C, 357 (Jón Helgason1938-1978 [EA A 13]).192


12 Schmerz und christlicher GlaubeDer Einfluß christlicher Glaubensinhalte auf die Darstellung von Schmerz undSchmerzerleben zeigt sich in der untersuchten Literatur überwiegend in <strong>den</strong>Byskupa- und einigen Konungasögur. Es wurde bereits im Rahmen der formalenSchmerzanalyse darauf eingegangen, daß die Byskupasögur die bei weitemhäufigsten B<strong>es</strong>chreibungen von Schmerz aufweisen. Der Hauptanteil di<strong>es</strong>er Stellenrekrutiert sich wiederum <strong>aus</strong> <strong>den</strong> „Wunderbüchern“ im Anhang einiger di<strong>es</strong>er Sagas.Hier wird Zeugnis über das wundertätige Wirken und damit die Heiligkeit derbetreffen<strong>den</strong> Bischöfe abgelegt.12.1 Christliche SchmerzkonzeptionSchmerz ist ein integraler B<strong>es</strong>tandteil christlicher Glaubensinhalte. Der Menschheitals Strafe für die Erbsünde auferlegt, übernimmt er die Funktion von Strafe oderPrüfung. 624 Wie ein roter Fa<strong>den</strong> durchzieht er die Bibel, angefangen vom 1. BuchMose (3,16 625 ) bis zur Offenbarung (21,4 626 ). Durch die Erbsünde ist Schmerzuntrennbar mit dem Bösen verbun<strong>den</strong>. Das <strong>aus</strong> ihm r<strong>es</strong>ultierende Leid ist die„unvermeidliche Konsequenz“ di<strong>es</strong>er Verbindung, „ob <strong>es</strong> für ein Opfer, für einMartyrium oder die Buße für ein Vergehen steht.“ 627 Schmerz im Alten T<strong>es</strong>tamenterinnert die Menschen b<strong>es</strong>tändig „an das g<strong>es</strong>törte Verhältnis zu Gott“ und hält aufdi<strong>es</strong>e Weise „die Sehnsucht nach einer neuen Gott<strong>es</strong>gemeinschaft, nach Erlösungwach.“ 628 Er bildet die „Vor<strong>aus</strong>setzung für das Heil“. 629 Sei <strong>es</strong> in seiner Eigenschaftals Prüfung, Züchtigung, Sühne oder Läuterung: der Weg zum Heil führtzwangsläufig über <strong>den</strong> Schmerz. „Zwischen Schmerz und Heil b<strong>es</strong>teht ein ähnlicherZusammenhang wie zwischen Geburtswehen und Mutterfreu<strong>den</strong>.“ 630 Hierdurch wirddie Schmerzauffassung d<strong>es</strong> Neuen T<strong>es</strong>tament<strong>es</strong> vorbereitet, nach der „die irdischenSchmerzen und Lei<strong>den</strong> nur die Wehen sind, welche der Geburt d<strong>es</strong> neuen624 Brune 1987 [EF B 18], 11; Scharbert 1955 [BBB 8], 134, 138, 161 f., 173 ff.625 Gott sprach zur Frau: „Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unterSchmerzen sollst du Kinder gebären. […].“626 Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid,noch G<strong>es</strong>chrei noch Schmerz wird mehr sein; <strong>den</strong>n das Erste ist vergangen.627 Schwob 1999, 102.628 Scharbert 1955 [BBB 8], 137.629 Scharbert 1955 [BBB 8], 214.630 Scharbert 1955 [BBB 8], 214.193


Gott<strong>es</strong>volk<strong>es</strong> in der <strong>es</strong>chatologischen Zukunft“ vor<strong>aus</strong>gehen. 631 Durch ChristiLei<strong>den</strong>, Sterben und Auferstehung zum Wohle der Menschheit ist die Sünde b<strong>es</strong>iegtund mit ihr theoretisch auch der Schmerz. 632 Brune weist darauf hin, daß J<strong>es</strong>us aufdem Kreuzweg sogar „<strong>den</strong> betäuben<strong>den</strong> Myrrhewein <strong>aus</strong>schlug, um <strong>den</strong> leibhaftigenSchmerz bis zum Ende zu erdul<strong>den</strong>.“ 633 Daß Schmerz trotz Christi Opfer einständiger Begleiter im täglichen Leben ist, erklärt Paulus damit, daß Christuslediglich eine „Anzahlung“ geleistet hat, um der Menschheit zu zeigen, „welcher‚Preis’ zu zahlen ist.“ 634 Für das Individuum stellt sich trotzdem und vor allemang<strong>es</strong>ichts der Vorstellung von einem gütigen Gott immer wieder die Frage nachdem Warum. 635 Warum Gott gerade di<strong>es</strong>en oder jenen Menschen b<strong>es</strong>traft und wofür,wird immer wieder thematisiert. Ang<strong>es</strong>ichts der Unergründbarkeit Gott<strong>es</strong> ist di<strong>es</strong><strong>es</strong>Streben nach Klarheit ein widersinnig<strong>es</strong> Unterfangen. Daher gilt das individuelleErtragen d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> dem Christentum „als Einübung in <strong>den</strong> heilsamen TrostGott<strong>es</strong>.” 636 Di<strong>es</strong>e „christliche Glorifizierung d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>” trägt auch dieBezeichnung „Dolorismus“. 637 Die christliche Lei<strong>den</strong>smystik wurde mit derKanonisierung Franz von Assisis (1182-1226) zum f<strong>es</strong>ten B<strong>es</strong>tandteil d<strong>es</strong> Glaubens:„[…], ihr Ziel ist die Verbun<strong>den</strong>heit oder das Einswer<strong>den</strong> mit dem gekreuzigtenChristus; über das Mitlei<strong>den</strong> (‚compassio’) soll <strong>es</strong> zur Verwandlung (‚transformatio’)kommen. 638 Schmerz dient in di<strong>es</strong>em Sinne als „Mittel der Kontaktaufnahme zumGöttlichen.“ 639 Sein Sinn ist in strikter Trennung von Gut und Böse zu suchen, in der„B<strong>es</strong>trafung von Sün<strong>den</strong> (die Bösen lan<strong>den</strong> im Höllenfeuer)“ oder in der„individuelle[n] bzw. kollektive[n] Buße für die Erbsünde in der mystischenGemeinschaft mit dem Gekreuzigten.“ 640 Nicht nur der „Schmerzensmann“ J<strong>es</strong>usdient hierfür als Vorbild, sondern auch „christliche Märtyrerg<strong>es</strong>talten und b<strong>es</strong>onders631 Scharbert 1955 [BBB 8], 214.632 Laarmann 1995 [LeMa 7], 1502.633 Brune 1987 [EF B 18], 12.634 Schwob 1999, 103.635 Laarmann 1995 [LeMa 7], 1502.636 Laarmann 1995 [LeMa 7], 1502.637 Schwob 1999, 103.638 Engelhardt 1999, 110.639 Morris 1996, 74.640 Schwob 1999, 103.194


Maria.” 641 Den „Schmerzen Mariens”, ihrem Mitlei<strong>den</strong> unter dem Kreuz, wurde imMittelalter im Zusammenhang mit der Verehrung d<strong>es</strong> Erlöserlei<strong>den</strong>s Christi immermehr Aufmerksamkeit zuteil. Im 13. Jahrhundert bildete sich ein regelrechterMarienkult her<strong>aus</strong>, der sich u.a. in Hymnen, geistlichen Sch<strong>aus</strong>pielen, derEinführung ein<strong>es</strong> eigenen F<strong>es</strong>t<strong>es</strong> durch die Kölner Provinzialsynode und derGründung von Bruderschaften in Köln und Flandern äußerte. Schwerpunktmäßig imRheinland, <strong>den</strong> Niederlan<strong>den</strong> und <strong>den</strong> Nachbargegen<strong>den</strong> kam <strong>es</strong> zur Verehrung der„Königin der Märtyrer”. 642 Auch auf Island war der Marienkult stark <strong>aus</strong>geprägt. 643Überdi<strong>es</strong> zeugten zahlreiche Schriften und bildliche Darstellungen von Märtyrern,die mit Hilfe d<strong>es</strong> Glaubens Schmerzen ertragen oder überwin<strong>den</strong> konnten. 644Entsprechende Schutzheilige im mittelalterlichen Island, die man in Krankheit undLeid anrief, waren der heilige Óláfr, der heilige Þorlákr, der heilige Jón und deroffiziell nie heilig g<strong>es</strong>prochene Guðmundr. Trotz aller Vorbilder wird der Schmerzvom Christen generell eher gefürchtet als begrüßt. 645 Er galt im Mittelalter alsVorg<strong>es</strong>chmack auf die ewigen Qualen der Hölle. Auf di<strong>es</strong>e Weise „konkretisierte[er] <strong>den</strong> Glauben.“ 646 <strong>August</strong>inus kommentiert in seinen Conf<strong>es</strong>sion<strong>es</strong>: „So gibt <strong>es</strong>wohl etwelchen Schmerz, der sich bejahen, aber keinen, der sich lieben läßt.“ 647Insg<strong>es</strong>amt gerät der Christ in einen Teufelskreis. Denn durch Furcht vor Schmerzlädt er Schuld auf sich, die wiederum zur Quelle für Sün<strong>den</strong> wird. 648 In di<strong>es</strong>emZwi<strong>es</strong>palt wurde Flagellation zwecks Buße und Reinigung im 12. und 13.Jahrhundert immer populärer. Dominikaner und Franziskaner propagierten dasGeißeln, und Anfang d<strong>es</strong> 13. Jahrhunderts fand die erste Geißlerproz<strong>es</strong>sion statt,organisiert von Antonius von Padua (1195-1231). 649 „Solche Veranstaltungenschöpften ihren Sinn <strong>aus</strong> der zentralen Wahrheit d<strong>es</strong> mittelalterlichen Lebens: derQual der Kreuzigung.“ 650641 Laarmann 1995 [LeMa 7], 1502.642 LCI (4) 1972, 86.643 Fell 1999 [AUS VII 201], 75 f.644 Engelhardt 1999, 109.645 Schwob 1999, 103.646 Morris 1996, 76.647 <strong>August</strong>inus dt. 1980, 101.648 Schwob 1999, 103.649 Engelhardt 1999, 109.650 Morris 1996, 74.195


12.2 Übergang vom Hei<strong>den</strong>tum zum Christentum: Sturla SighvatssonIm Jahre 1223 wur<strong>den</strong> die Bewohner Roms Zeugen ein<strong>es</strong> schmerzhaften Bußgang<strong>es</strong>.Der Isländer Sturla Sighvatsson wurde barfuß von Kirche zu Kirche geführt und vor<strong>den</strong> meisten größeren Gott<strong>es</strong>häusern gezüchtigt. Er ertrug die Schmerzen gemäß demnordischen Männlichkeitsideal drengiligr, doch die der Zeremonie beiwohnen<strong>den</strong>Römer litten ang<strong>es</strong>ichts seiner Qualen um so mehr. Sie weinten und schlugen sichvor Kummer an die Brust, daß einem so schönen Mann so übel mitg<strong>es</strong>pielt wurde:Sturla erhielt in Rom Vergebung für alle seine Sün<strong>den</strong> und die sein<strong>es</strong> Vatersund er nahm dort schwere Buße auf sich. Er wurde barfuß zu allen KirchenRoms geführt und vor <strong>den</strong> meisten Hauptkirchen gezüchtigt. Er ertrug <strong>es</strong>mannhaft, wie zu erwarten war, aber die meisten Leute stan<strong>den</strong> draußen undwunderten sich, schlugen sich an die Brust und klagten, daß einem soschönen Mann so übel mitg<strong>es</strong>pielt wurde und sowohl Frauen als auch Männerkonnten die Tränen nicht zurückhalten. 651Um zu verstehen, wie <strong>es</strong> zu di<strong>es</strong>er päpstlichen Strafe kam, wer<strong>den</strong> die <strong>aus</strong>lösen<strong>den</strong>politischen Ereignisse der Sturlungenzeit in einem Exkurs wiedergegeben.12.2.1 Exkurs: Die SturlungenStammvater der mächtigen Sturlungenfamilie war Sturla Þórðarson (1115–1183) <strong>aus</strong>Hvammr in Nordw<strong>es</strong>t-Island. 652 Er war durch g<strong>es</strong>chickt<strong>es</strong> Taktieren und unterAnwendung von Gewalt zu Ansehen und Einfluß gekommen. Seine Nachkommenmachten die Familie zu einer der einflußreichsten im Lande und gaben einer ganzenEpoche ihren Namen. 653Sein ält<strong>es</strong>ter Sohn, Þórðr Sturluson war ein mächtiger Häuptling im w<strong>es</strong>tlichenIsland. D<strong>es</strong>sen Sohn war der bereits mehrfach erwähnte Historiker und Kompilatorder Sturlunga saga: Sturla Þórðarson (1214–1284).Sein zweiter Sohn war Sighvatr Sturluson. Er wurde zusammen mit seinem SohnSturla Sighvatsson (1199–1238) tief in die Konflikte der Zeit verwickelt, vor allem indie Auseinandersetzungen mit dem Bischof Guðmundr Arason. Sighvatr Sturlusonerlangte politische Macht, indem er die Schw<strong>es</strong>ter d<strong>es</strong> mächtigsten HäuptlingsNordislands (Kolbeinn Tumason) heiratete.651 Sturla fekk l<strong>aus</strong>n allra sinna mála í Rómaborg ok fÄður síns ok tók þar stórar skriptir, hann varleiddr á millum allra kirkna í Rómaborg ok ráðit fyrir fl<strong>es</strong>tum hÄfuðkirkjum. Bar hann þat drengiliga,sem líkligt var, en fl<strong>es</strong>t fólk stóð úti ok undraðiz, barði á brjóstit ok harmaði, er svá fríðr maðr var sváhÄrmuliga leikinn, ok máttu eigi vatni halda, bæði konur ok karlar. Íslendinga saga, 364 (Kålund1906-1911 (1)).652 Nach seinem Wohnort wurde er auch „Hvamm-Sturla“ genannt.653 Gemeint ist das Sturlungaôld.196


Der jüngste Sohn Hvamm-Sturlas war Snorri Sturluson (1178–1241). Er gilt nichtnur als einer der wichtigsten Schriftsteller im Europa d<strong>es</strong> Mittelalters, sondern warauch ein äußerst ehrgeiziger und erfolgreicher Politiker. Aufgewachsen und erzogenbei Jón Loptsson 654 auf Oddi, heiratete er zweimal sehr vorteilhaft und brachte <strong>es</strong> biszum G<strong>es</strong>etz<strong>es</strong>sprechen (lôgsôgumaðr). Zehn Jahre bekleidete er di<strong>es</strong><strong>es</strong> Amt. 1218fuhr er nach Norwegen, wo <strong>es</strong> ihm gelang, im Handelsstreit zwischen Norwegen undIsland zu vermitteln. Auf Geheiß König Hákon Hákonarsons sollte er Island unternorwegische Herrschaft bringen. Er verfolgte jedoch eigene politische Ziele, was ihm<strong>den</strong> Zorn sein<strong>es</strong> Auftraggebers einbrachte. 1241 ermordete ihn sein ehemaligerSchwiegersohn Gizzurr Þorvaldsson im Auftrag d<strong>es</strong> Königs. Von etwa 1220 bis zumEnde d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong> waren die Sturlungen die mächtigste Familie Islands.12.2.2 Der Konflikt mit Bischof Guðmundr ArasonGuðmundr Arason (1160–1237) war Bischof von Hólar von 1203 bis zu seinem Tod.Wie vor ihm Bischof Þorlákr Þórhallsson in Skálholt war er ein Reformer.Unnachgiebig verfolgte er sein Hauptziel, das staðamál für die Kirche zuentschei<strong>den</strong>. Dabei fehlten ihm jedoch Fähigkeiten, die seinen Kollegen im Sü<strong>den</strong><strong>aus</strong>gezeichnet hatten: taktisch<strong>es</strong> Feingefühl in Verhandlungsfragen und das richtigeTiming.Nach dem frühen Tod sein<strong>es</strong> Vaters wurde er bei seinem Onkel, dem Pri<strong>es</strong>terIngimundr erzogen. Auf B<strong>es</strong>chluß der Familie sollte er zum Geistlichen <strong>aus</strong>gebildetwer<strong>den</strong>, was aber zunächst nicht nach seinem Gusto war. Schon in di<strong>es</strong>en frühenJahren zeigten sich sein Widerspruchsgeist und seine Starrköpfigkeit. Sein Onkelmußte ihn an die Bücher prügeln. 655 Mit 24 Jahren empfing er die Pri<strong>es</strong>terweihe.Eine Zeitlang war er als Kaplan bei Kolbeinn Tumason 656 ang<strong>es</strong>tellt. Dank d<strong>es</strong>seneinflußreicher Verbindungen wurde er im Jahre 1203 zum Bischof ernannt. Kolbeinnhatte sich wohl <strong>aus</strong>gerechnet, ihn kontrollieren zu können, wenn <strong>es</strong> um die Abtretungvon Land an die Kirche ging. Di<strong>es</strong>e Rechnung ging nicht auf. Offenbar wurdeGuðmundr vom Erzbischof in Nidarós dringend nahegelegt, sich der Reform zuwidmen. 657 Er verfolgte seinen Auftrag so lei<strong>den</strong>schaftlich, daß er bald alle654 Vgl. auch Kapitel 6.1. Er war einer der einflußreichsten isländischen Häuptlinge seiner Zeit undder Antagonist Bischofs Þorlákr Þórhallssons.655 Stefán Karlsson 1983 [EA B 6], 34.656 Schwager von Sighvatr Sturluson und mächtigster Häuptling im Nor<strong>den</strong>.657 Fell 1999 [AUS VII 201], 46.197


Häuptlinge gegen sich hatte. Auch mit seinem einstigen Förderer, KolbeinnTumason, verdarb er <strong>es</strong> sich. Streit gab <strong>es</strong> insb<strong>es</strong>ondere in Bezug auf die gerichtlicheZuständigkeit für straffällig gewor<strong>den</strong>e Pri<strong>es</strong>ter. Anders als vor ihm ÞorlákrÞórhallsson drohte er nicht nur mit Exkommunikation, sondern bediente sich ihreroft und gerne. Binnen kurzem hatte er fast alle Häuptlinge exkommuniziert. Damithatte er kein weiter<strong>es</strong> Druckmittel gegen sie in der Hand.Guðmundr kümmerte sich schwerpunktmäßig um die Armen und sozialenRandgruppen der Region, darunter auch viele Kriminelle. Eine größere Anzahlzwielichtiger G<strong>es</strong>talten hielt sich stets in seiner Nähe auf. Er verwendete die Mittelder Diöz<strong>es</strong>e, um sie mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. 658 Sein Vorbild waroffenbar J<strong>es</strong>us:Und als J<strong>es</strong>us in seinem H<strong>aus</strong> beim Essen war, aßen viele Zöllner und Sünderzusammen mit ihm und seinen Jüngern; <strong>den</strong>n <strong>es</strong> folgten ihm schon viele. Alsdie Schriftgelehrten, die zur Partei der Pharisäer gehörten, sahen, daß er mitZöllnern und Sündern aß, sagten sie zu seinen Jüngern: Wie kann erzusammen mit Zöllnern und Sündern <strong>es</strong>sen? J<strong>es</strong>us hörte <strong>es</strong> und sagte zuihnen: Nicht die G<strong>es</strong>un<strong>den</strong> brauchen <strong>den</strong> Arzt, sondern die Kranken. Ich bingekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten. 659Wie bei J<strong>es</strong>us ist auch Guðmundrs Handeln gekennzeichnet durch r<strong>es</strong>pektlosenUmgang mit weltlichen Autoritäten und Regeln. Di<strong>es</strong>e kompromißlose Fixierung aufGott und die Bibel, bei gleichzeitiger Ung<strong>es</strong>chicklichkeit im Umgang mit <strong>den</strong>Häuptlingen der Umgebung, ließ <strong>den</strong> Konflikt schließlich <strong>es</strong>kalieren. 1208 hatteKolbeinn Tumason die Zustände satt und stürmte Hólar mit ein paar hundert Mann,um Guðmundr gefangenzunehmen. Di<strong>es</strong>er konnte fliehen, während Kolbeinn imKampf mit <strong>den</strong> Anhängern d<strong>es</strong> Bischofs getötet wurde. Der Kampf endete zunächstim Rückzug der Bischofsleute, doch kurz darauf kehrte der Bischof zurück und mitihm die alten Probleme.1209 attackierten die immer noch exkommunizierten Häuptlinge ihn erneut.Angeführt von Kolbeinns Bruder Arnórr sowie Sighvatr Sturluson, erstürmten sieHólar mit einer Truppe von 700 Mann. Der Bischof wurde vertrieben und seineAnhänger, die in der Kirche zuflucht g<strong>es</strong>ucht hatten, ins Freie gezogen und getötet.Die Pri<strong>es</strong>ter zwang man, <strong>den</strong> Kirchenbann aufzuheben. Arnórr übernahm dieKontrolle über <strong>den</strong> Bischofssitz. Guðmundr verbrachte <strong>den</strong> Winter bei SighvatrSturlusons Bruder Snorri Sturluson auf Reykholt. Er hatte eine Art totalen Bann über658 Orri Vésteinsson 2000, 175.659 Markus 2, 15-17.198


seine Diöz<strong>es</strong>e verhängt und alle ihre kirchlichen Funktionen eingefroren, was dort zuchaotischen Zustän<strong>den</strong> führte. 1211 wollte er nach Hólar zurückkehren, wurde vonseinen Fein<strong>den</strong> jedoch daran gehindert. Daraufhin zog er durchs Land und hieltM<strong>es</strong>sen in Zelten ab.1214 beorderte schließlich der Erzbischof Guðmundr, Arnórr und fünf weitereHäuptlinge nach Nidarós, um ihren Fall zu prüfen. Er starb jedoch, bevor er zu einerEntscheidung kommen konnte. Guðmundr blieb bis 1218 in Norwegen und kehrteanschließend voll rehabilitiert nach Hólar zurück.Doch die Ereignisse der Vorjahre wiederholten sich. Wieder sammelte sich zumgroßen Mißfallen der Häuptlinge allerlei Volk um <strong>den</strong> Bischof. Zusätzlich eröffnetedi<strong>es</strong>er eine Schule. Abermals bezahlte er all<strong>es</strong> mit <strong>den</strong> Einnahmen der Kirche.Daraufhin nahm Arnórr Guðmundr gefangen. Der konnte jedoch fliehen undvagabundierte über Land, stets begleitet von einer Gruppe krimineller Unruh<strong>es</strong>tifter.Die Bauern der Region fühlten sich bedroht und lösten die Bande gewaltsam auf.Inzwischen war Arnórr Tumason g<strong>es</strong>torben und Guðmundr kehrte nach Hólarzurück. Noch ein weiter<strong>es</strong> Mal wurde er vertrieben, di<strong>es</strong>mal von Sighvatr Sturlusonsanderem Sohn Tumi Sighvatsson.1222 töteten die Anhänger d<strong>es</strong> Bischofs Tumi gegen Guðmundrs Willen. Er mußtefliehen und zog sich mit seinen Männern auf die Insel Grímsey 660 zurück. SighvatrSturluson und Sturla Sighvatsson nahmen die Verfolgung auf, überwältigten dieLeute d<strong>es</strong> Bischofs, nahmen ihn selbst gefangen und schickten ihn nach Norwegenzum Erzbischof. Dort blieb Guðmundr wie schon einmal zuvor vier Jahre und kehrteabermals rehabilitiert zurück. Zwar wurde er bis zu seinem Tod auf Hólar geduldet,doch hatte er all seine Macht eingebüßt. Inzwischen war Arnórr Tumasons SohnKolbeinn Arnórsson Machthaber im Nor<strong>den</strong> und übernahm die Verwaltung Hólars.Guðmundr wurde jegliche Befugnis entzogen. Mittlerweile hatte auch Papst GregorIX von der Angelegenheit erfahren und verfügte die Entlassung Guðmundrs <strong>aus</strong>seinem Amt. Doch bevor der Brief d<strong>es</strong> Papst<strong>es</strong> zug<strong>es</strong>tellt wer<strong>den</strong> konnte, starbGuðmundr im Jahre 1237.Sturla Sighvatsson befand sich nach der Gefangennahme Guðmundrs auf Grímsey ineinem inneren Zwi<strong>es</strong>palt mit seiner christlichen Moral. Auf der Suche nachAbsolution kam <strong>es</strong> im Frühjahr 1228 schließlich zur Aussöhnung mit dem Bischof660 Weitab vom F<strong>es</strong>tland auf dem nördlichen Wendekreis gelegene Insel.199


durch Vermittlung d<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>ters Torfi Guðmundarson sowie Kolli Þorsteinsson. 1232ordnete jedoch der neuernannte Erzbischof Sigurðr Sturlas Wallfahrt nach Rom an,als Sühne für die Gewalttaten auf Grímsey. Dort erhielt er vom Papst Absolution,mußte aber oben g<strong>es</strong>childerten Bußgang unternehmen. Für Fell ist SturlasSubmission ein deutlich<strong>es</strong> Zeichen für die Beeinflußung der nordischen Kultur durchdas Christentum:This account strikingly demonstrat<strong>es</strong> the extent to which the leading men ofthat day accepted the binding charakter of the Church’s laws. A proud andpowerful chieftain, reared in the Viking tradition, voluntarily submits to suchhumiliating treatment! 661Sturlas Läuterung hielt nach di<strong>es</strong>er Episode nur kurze Zeit an. Bereits auf demRückweg mit Zwischenstop in Norwegen versprach er dem König, Island unternorwegische Hoheit zu bringen. Bis zu seinem Tod bei der Schlacht von Ôrlygsstaðir1238 offenbarte er sich als zerrissener Charakter zwischen Gut und Böse. SeinChristsein b<strong>es</strong>chränkte sich auf inhaltslos<strong>es</strong> Ritualisieren christlicher Bräuche. Erließ beispielsweise eine Kirche plündern, die Beute von seinen Männern aber aufKnien her<strong>aus</strong>tragen. Bei seinem hinterhältigen Feldzug gegen Gizzurr Þorvaldssonhielt er sich penibel an das Fastengebot der Kirche. Seinen Vetter Órækja ließ erblen<strong>den</strong> und teilkastrieren. Di<strong>es</strong>er hatte sich zuvor mit seinem Vater Snorri Sturlusongegen ihn verbündet. Órækjas Schmerzverhalten zeugt von tiefer Gläubigkeit undunterscheidet sich damit grundlegend von Texten, die sich dem Christentum wenigerverpflichtet fühlen und die in ähnlichen Passagen keinerlei Schmerzreaktionschildern:Sie fielen dann über Órækja her und Sturla befahl Þorsteinn Langbein, ihn zumißhandeln. Sie hieben ein Stück vom Speerschaft ab und machten einenPflock dar<strong>aus</strong>. Sturla befahl, ihm damit die Augen <strong>aus</strong>zustoßen, aberÞorsteinn gab vor, das nicht zu können. Es wurde dann ein M<strong>es</strong>ser genommenund bis auf etwas mehr als einen Querfinger breit umwickelt. Órækja riefnach Bischof Þorlákr zu seinem Schutz; auch während der Mißhandlungensang er das Gebet Sancta Maria, mater domini nostri, J<strong>es</strong>u Christi. Þorsteinnstach ihm das M<strong>es</strong>ser bis zur Umwicklung in die Augen. Und als das erledigtwar, hieß Sturla ihm, sich an Arnbjörg zu erinnern und befahl, ihn zukastrieren. Er nahm da einen Ho<strong>den</strong> weg. Danach b<strong>es</strong>timmte Sturla Männer,ihn zu bewachen; […]. 662661 Fell 1999 [AUS VII 201], 62.662 LÄgðu þeir þá hendr á Órækju, ok kvaddi Sturla til Þorstein langabein at meiða hann. Þeir skoruðuaf spjótskapti ok gerðu af hæl. Bað Sturla hann þar með ljósta út augun, en Þorsteinn léz ekki við þatkunna. Var þá tekinn knífr ok vafiðr, ok ætlat af meir en þverfingr. Órækja kallaði á Þorlák biskup sértil hjálpar; hann sÄng ok í meiðslunum bænina ‘Sancta Maria mater domini nostri J<strong>es</strong>u Christi’.Þorsteinn stakk í augun knífinum upp at vafinu. En er því var lokit, bað Sturla hann minnaz200


In seiner Not ruft er zuerst nach dem heiligen Bischof Þorlákr und betet während derschmerzhaften Mißhandlung zur „Heilige[n] Maria, Mutter unser<strong>es</strong> Herrn, J<strong>es</strong>usChristus.“ Für Fell unterscheidet sich seine Religösität nicht von derKontinentaleuropäischen:Of course there is no reason to suppose that th<strong>es</strong>e traits of religiousobservance were drastically different from the rough piety prevalentthroughout the whole continent of Europe in the twelfth and thirteenthcenturi<strong>es</strong>. 663Vom Standpunkt d<strong>es</strong> nordisch-männlichen Verhaltenscodex inSchmerzangelegenheiten bieten Gebete in Foltersituationen die Möglichkeit, sich zuartikulieren, ohne dabei das G<strong>es</strong>icht zu verlieren. Darüber hin<strong>aus</strong> mehrt Beten in derStunde d<strong>es</strong> Tod<strong>es</strong> oder der Qual die Mannhaftigkeit („drengskapr“), da <strong>es</strong> dieBetroffenen in die Nähe Heiliger rückt, die <strong>den</strong> Märtyrertod g<strong>es</strong>torben sind.Ebenfalls in der Íslendingasaga findet sich zu di<strong>es</strong>em Punkt folgende Passage:Aber als der Bischof fort war, gingen Arnórr und seine Leute mit Waffen indie Kirche und nötigten jene hin<strong>aus</strong>, die drinnen waren und gegen die sieglaubten,in höchstem Maße Gründe zur Klage zu haben; entweder, sagten sie,wür<strong>den</strong> sie sie angreifen oder in der Kirche <strong>aus</strong>hungern. Da ergriff SveinnJónsson das Wort: „Unter einer Bedingung werde ich hin<strong>aus</strong>gehen.“ Siefragten, welche das sei. „Wenn ihr mich an Armen und Beinen verstümmelt,bevor ihr mir <strong>den</strong> Kopf abschlagt.“ Und das wurde ihm gewährt. Dann ginger hin<strong>aus</strong> und alle anderen, weil sie nicht wollten, daß die Kirche durch sieoder ihr Blut b<strong>es</strong>udelt würde. Alle gingen unbewaffnet hin<strong>aus</strong>. Anschließendwurde Sveinn verstümmelt und sang währendd<strong>es</strong>sen Ave Maria. Dann reckteer <strong>den</strong> Hals während der Enthauptung und seine Tapferkeit wurde über alleMaßen gelobt. 664Die Stelle schildert <strong>den</strong> Angriff auf Hólar im Jahre 1209 bei dem sich einigeAnhänger Guðmundr Arasons zunächst in der Kirche verschanzten und später getötetwur<strong>den</strong>. Sveinn Jónsson wählt ganz bewußt <strong>den</strong> Märtyrertod, indem er Folter vorseiner Hinrichtung verlangt. Er hält seine gewählte Rolle bis zu Ende durch, singtArnbjargar ok gelda hann. Tók hann þá burt annat eistat. Eptir þat skipaði Sturla menn til at geymahans; […]. Íslendinga saga, 485 (Kålund 1906-1911 (1)).663 Fell 1999 [AUS VII 201], 62.664 Enn er biskup var i brottv, gengv þeir Arnorr i kirkio með vapnvm. oc eggioðo vt þa, er inne vorooc þeir þottvz m<strong>es</strong>tar sacir við eiga; lla qvoþvz þeir mundo sækia þa ða svellta þa i kirkionni. Þamælti Sveinn Ions son: „gera ma ek cost a vt at ganga”. Þeir spurðu, hverr sá væri. „Ef þer limit mic athondvm oc fotvm, áðr enn þer hals-hoggit mik”. Oc þ<strong>es</strong>sv var honum iatað. Gecc hann þa vt oc allirþeir, þviat þeir villðv eigi, at kirkiann savrgaðiz af þeim ða bloði þeira. Allir gengv slyppir vt. VarSveinn þa limaðr oc savng meðann Ave Maria. Siþan retti hann halsinn vndir hoggit, oc var all-mioklofvd hans hræysti, […]. Íslendinga saga, 287 f. (Kålund 1906-1911 (1)).201


während der Verstümmelung Ave Maria und bietet <strong>den</strong> Hals zum Schlag dar.Posthum wird er durch di<strong>es</strong>e G<strong>es</strong>te für seine Tapferkeit gerühmt.Ob die Gebete Órækjas erhört wer<strong>den</strong>, bleibt dahing<strong>es</strong>tellt. F<strong>es</strong>t steht je<strong>den</strong>falls, daßer auf wundersame Weise unverletzt bleibt. In Skálholt trifft er wenig später seinePeiniger wieder und ist bei der Begrüßung „der G<strong>es</strong>ünd<strong>es</strong>te“ („inn hr<strong>es</strong>sasti“). 665Sturla ist zum Beichten in Skálholt, da ihn direkt nach seiner Tat offenbar dasschlechte Gewissen plagt. Sein Bruder Þórðr, <strong>den</strong> er in Helgafell b<strong>es</strong>ucht, schickt ihnzum Bischof. Di<strong>es</strong>e Sünde überschreite die Kompetenzen ein<strong>es</strong> normalen Pri<strong>es</strong>ters.Bei Sturlas Tod in der Schlacht von Ôrlygsstaðir fehlt das christliche Element fastgänzlich. Lediglich unmittelbar vor seinem Ableben verlangt er nach einem Pri<strong>es</strong>ter.Im übrigen wird er in seinem letzten Kampf regelrecht massakriert, was in seinerg<strong>es</strong>amten Brutalität bis ins Detail g<strong>es</strong>childert wird. Es treten wieder die alten Musterzu Tage. Feind<strong>es</strong>liebe und Vergebung von Sün<strong>den</strong> sind in di<strong>es</strong>er Szenegen<strong>aus</strong>owenig existent wie Schmerz:Dann griff Koðrán Svarhöfðason Sturla an und stieß nach ihm mit dem Speer.Sturla sprach zu ihm: „Bist du immer noch da, Teufel?“ Koðrán antwortet:„Wo wäre er mehr zu erwarten?“ Das sagen mehrere Leute, daß Sturla durchdi<strong>es</strong>en Stoß nicht verletzt wurde. Dann stand Húnröðr auf und stieß Sturla<strong>den</strong> Speer in die rechte Wange und der blieb im Knochen stecken. Da sprachSturla: <strong>„Und</strong> nun greifen mich die kleinen Teufel an“, sagte er. Dann stießenzwei Männer gleichzeitig nach Sturla; Hjalti Bischofssohn traf ihn in dielinke Wange und der Speer schnitt ein Stück <strong>aus</strong> der Zunge und die Wundereichte bis auf <strong>den</strong> Knochen. Böðvarr der Bärtige, der Sohn von EinarrKuhstall, stieß Sturla <strong>den</strong> Speer in die Kehle und drang damit bis in <strong>den</strong>Mund vor. Sturla schlug nach Hjálmi <strong>aus</strong> Víðivellir und der fiel. Als Sturladrei Wun<strong>den</strong> erhalten hatte, sprach er zu Hjalti: „Gnade, Verwandter!“, sagteer. „Gnade will ich dir gewähren“, sagte Hjalti. Sturla war da aufgequollenvor Erschöpfung und Blutverlust; er stützte sich mit dem Arm auf HjalitsSchultern und so gingen sie vom Hof. Hjalti legte dann einen Arm auf SturlasRücken und stützte ihn so. Sturla warf sich dann nieder als er ein kurz<strong>es</strong>Stück vom Hof weggekommen war; seine Sprache war undeutlich und <strong>es</strong>erschien Hjalti, als verlange er nach einem Pri<strong>es</strong>ter. Hjalti ging dann fort, aberbei ihm stand Óláfr tottr, der Schwager d<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>ters Flosi. Er warf einenSchild über Sturla und Játgeirr Teitsson, der Schwager Gizzurrs, warf einenkleinen Rundschild über ihn. Da kam Gizzurr hinzu und warf <strong>den</strong> Schutz vonihm herunter und dann <strong>den</strong> Stahlhelm. Er sprach: „Hier soll ichreinschlagen.“ Er nahm Þórðr Valdason die Breitaxt <strong>aus</strong> der Hand und hiebSturla damit auf <strong>den</strong> Kopf und brachte ihm an der linken Seite vor dem Ohreine große Wunde bei und die sprang ein wenig auf. Das sagen die Leute, dieanw<strong>es</strong>end waren, daß Gizzurr mit bei<strong>den</strong> Beinen hochsprang, als er nachSturla schlug, so daß man Luft zwischen Füßen und Bo<strong>den</strong> sah. Dann stachKlængr Bjarnarson Sturla in die Kehle, in die Wunde, die schon da war und665 Íslendinga saga, 486 (Kålund 1906-1911 (1)).202


in <strong>den</strong> Mund hinein; die Wunde war insg<strong>es</strong>amt so groß, daß man drei Fingerhineinstecken konnte. Dann kam Einarr Þorvaldsson hinzu und verkündete<strong>den</strong> Tod Sighvatrs. „Daran habe ich nichts zu beanstan<strong>den</strong>“, sagt Gizzurr.Önundr, ein Verwandter d<strong>es</strong> Bischofs, schnitt Sturla <strong>den</strong> Geldbeutel ab undgab ihn Gizzurr. Ein anderer Mann zog ihm einen gol<strong>den</strong>en Ring vom Finger,der vorher Sæmundr <strong>aus</strong> Oddi gehört hatte, mit dunklem Stein undeingraviertem Siegel. Gizzurr nahm <strong>den</strong> Ring und die Waffen Sturlas. MarkúsMarðarson stieß Sturla <strong>den</strong> Speer in <strong>den</strong> Bauch, auf der rechten Seite,oberhalb d<strong>es</strong> Nabels. Drei Wun<strong>den</strong> hatte er auf der linken Brustseite. Naddrhieß der Mann, der auf Sturlas Kehle hieb. Keine der Wun<strong>den</strong>, die er erhielt,blutete, seit Gizzurr auf ihn eing<strong>es</strong>chlagen hatte. 666Die B<strong>es</strong>chreibung von Sturlas letztem Kampf eröffnet in Verbindung mit seinemBußgang durch Rom eine neue Perspektive der Schmerzbetrachtung. Während erselbst in bei<strong>den</strong> Textpassagen keine Reaktion auf die erlittenen Peinigungen zeigt,wird sein Schmerz exkorporiert und auf die Zuschauer übertragen. In ihnen spiegelnsich seine Empfindungen wider. Zwar wer<strong>den</strong> über die Züchtigungen in Rom keinegenaueren Details bekannt, doch kann man an der Reaktion der Zuschauer abl<strong>es</strong>en,daß die Prozedur sehr schmerzhaft sein muß, <strong>den</strong>n sie fühlen mit ihm, schlagen sichan die Brust, klagen und weinen. Es ist der Anblick sein<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>, der di<strong>es</strong><strong>es</strong>pontanen Gefühls<strong>aus</strong>brüche bei ihnen hervorruft. „Diejenigen, welche einenUnglücklichen beobachten, wer<strong>den</strong> durch sein Aussehen, Verhalten und Klagenunwillkürlich zu einer Stellungnahme veranlaßt.“ 667 Di<strong>es</strong>e Stellungnahme äußert sich666 Þa sótti Koðran Suarth¹fða son at Sturlu ok lagði til hans með spioti. Sturla mællti til hans: „ertuþar enn fianndinn”. Koðran suarar: „hvar vÌri hans meiri uaán”? Þat segia fleiri menn, at Sturlaskeinðiz eigi aa þvi lagi. Þa stóð Hunrauðr upp ok lagði spioti i hægri kinn Sturlu, ok nam i beini stað.Þa mællti Sturla: „ok nu uinna smaá-di¹flar aa mer”, sagði hann. Þa laugðu II menn senn til Sturlu;Hiallti biskups son lagði i vinstri kinn honum, ok skar spiotið út ½r tunngu, ok var saarit bein-fast;Bauðuar kampi, son Einars naut-bÌlinngs, lagði spioti i kverkr Sturlu, ok renndi upp i munninn. Sturlalagði til Hiaalms aa Viði-uaullum, ok fell hann við. Þa er Sturla var saárr þremr saárum, mællti hanntil Hiallta: „grið frænndi”! sagði hann. „Grið skalltu af mér hafa”, sagði Hiallti. Sturla var þa þrotinnaf mæði ok bloð-raás; hann studdi þa haundunum aa herðar Hiallta, ok gengu þeir sua ut af gerðinu.Hiallti tók þa annarri henndi aptr aá bak Sturlu ok studdi hann sva. Sturla kastaði ser þa niðr, er hannkom skammt fra gerðinu; maal hans var þa oskýrt, ok þotti Hiallta, sem hann beiddiz pr<strong>es</strong>tz fundar.Hiallti geck þa i braut, enn ifir honum stóð Olafr tottr, maágr Flosa pr<strong>es</strong>tz, hann skaut skilldi ifirSturlu, enn Iatgeirr Teiz son, maágr Gizurar, kastaði buklara ifir hann. Þa kom Gizurr til ok kastaði afhonum hlifunum ok sua staal-hufunni. Hann mælti: „her skal ek at vinna”. Hann tók breiða aúxi ½rhendi Þorði Uallda syni ok hio i havfuð Sturlu vinstra megin fyrir aptan eyrað mikit saár, ok hliop litt isunndr. Þat segja menn þeir, er hia voro, at Gizurr hliop baaðvm fótum upp við, er hann hio Sturlu,sva at lopt saá milli fotanna ok iardarinnar. Þa lagði Klængr Biarnarson i kuerkr Sturlu, i þat saár erþar var aaðr, ok vpp i munninn; var allt saarit sva mikit, at stinga maátti i þrimr finngrvm. Þa komEinarr Þorualldz son þar ok sagði laat Sighvats. „Ecki tel ek at þvi”, segir Gizurr. Aunundr biskupsfrænndiskar punng af Sturlu ok feck Gizuri. Annarr maðr dró gull af fingri honum, þat er aatt hafðiSæmundr i Odda, dauckr steinn i, ok grafit aa inn-sigli. Gizurr tók gullit ok vaápn Sturlu. MarkusMarðar son lagði spioti i kuið Sturlu hægra megin upp fra nafla. Þriu saár hafði hann aá brinngunnivinstra megin. Naddr het maðr, er hio aá barka Sturlu. Enngi saár blæddu, þau er hann feck siðan erGizurr vann aa honum. Íslendinga saga, 528 ff. (Kålund 1906-1911 (1)).667 Scharbert 1955 [BBB 8], 123.203


in Form von Mitleid, das durch symbolisch<strong>es</strong> Mit-lei<strong>den</strong> dem Betroffenen Trostzusprechen soll.Die G<strong>es</strong>te d<strong>es</strong> Sich-an-die-Brust-Schlagens ist überdi<strong>es</strong> ein biblisch<strong>es</strong> Motiv, das in<strong>den</strong> altt<strong>es</strong>tamentarischen Drohre<strong>den</strong> der Propheten als Reaktion auf dasHereinbrechen der göttlichen Strafgerichte g<strong>es</strong>childert wird. 668 Sturlas B<strong>es</strong>trafunglöst einen kollektiven Reu<strong>es</strong>chmerz <strong>aus</strong>:Der Schmerz ein<strong>es</strong> einzelnen Frommen steht in engem Zusammenhang mitder Rettung anderer, da er beiträgt zur Sühne von Schuld. Freilich ist di<strong>es</strong>eWirkung nicht eine magische, sondern auf seiten der Schuldigen muß ihr einaufrichtiger Reu<strong>es</strong>chmerz entsprechen. 669Theologisch betrachtet wird di<strong>es</strong>er Reu<strong>es</strong>chmerz erst durch Gott möglich. Indem er„<strong>den</strong> Geist der Gnade und d<strong>es</strong> Flehens“ 670 über dem Volk <strong>aus</strong>gießt, wird <strong>es</strong> in dieLage versetzt, beim Anblick Sturlas der eigenen Schuld einsichtig zu wer<strong>den</strong>. Ohnedi<strong>es</strong>e Einsicht kann <strong>es</strong> keine Reue geben.Ob auch die brutalen Szenen der weniger christlich geprägten Sagaliteratur, die <strong>den</strong>Schmerz nicht explizit thematisieren auf Mitleid, die „selbstverständliche, durch Sitteund Pietät geforderte Pflicht der Menschlichkeit“ 671 aufbauen, läßt sich nicht soleicht beantworten. Eine Szene, in der jemand<strong>es</strong> Gedärme an einem Baum bef<strong>es</strong>tigtwer<strong>den</strong> und man ihn zwingt, so lange um <strong>den</strong> Baum herumzulaufen, bis sie sichvollständig um <strong>den</strong> Stamm gewickelt haben, wird auf <strong>den</strong> mittelalterlichen L<strong>es</strong>ereine b<strong>es</strong>timmt Wirkung gehabt haben. 672 Es bedarf nicht der Erwähnung, daß di<strong>es</strong>eine sehr schmerzhafte und qualvolle Art zu sterben darstellt. Ob di<strong>es</strong>e Bilder jedochMit-Lei<strong>den</strong> <strong>aus</strong>gelöst haben oder einfach nur als unterhaltend rezipiert wur<strong>den</strong>, bleibtunklar.Entsprechend verhält <strong>es</strong> sich auch mit Sturlas Tod und <strong>den</strong> fürchterlichenVerletzungen, die ihm im Kampf zugefügt wer<strong>den</strong>. Der L<strong>es</strong>er wird praktisch dazu668 Scharbert 1955 [BBB 8], 153 f, 193.669 Scharbert 1955 [BBB 8], 170.670 Scharbert 1955 [BBB 8], 169.671 Scharbert 1955 [BBB 8], 123.672 […]; da wurde Bróðir gefangengenommen. Úlfr hræða schlitzte ihm <strong>den</strong> Bauch auf und führte ihnum eine Eiche und wickelte so die Gedärme <strong>aus</strong> ihm; er starb nicht eher, als bis alle <strong>aus</strong> ihmher<strong>aus</strong>gewickelt waren. ([…]; var þá Bróðir hôndum tekinn. Úlfr hræða reist á honum kviðinn okleiddi hann um eik ok rakti svá ór honum þarmana; dó hann eigi fyrr en allir váru ór honum raktir.)Brennu-Njáls saga, 453 (Einar Ól. Sveinsson 1954 [ÍF 12]).Über di<strong>es</strong>elbe Begebenheit wird auch in der Þorsteins saga Síðu-Hallssonar berichtet, 301 f. (JónJóhann<strong>es</strong>son 1950 [ÍF 11]): Aber Óspakr, sein Bruder, ergriff ihn und sie zogen die Gedärme her<strong>aus</strong>und führten ihn um eine Eiche. (En Óspakr, bróðir hans, tók hann, ok hleypðu út þörmunum ok leidduhann of eik eina.).204


gezwungen, sie sich am eigenen Leib vorzustellen. In Anbetracht der Tatsache, daßdie Zursch<strong>aus</strong>tellung körperlichen Leids in Form öffentlicher Hinrichtungen imMittelalter als Volksf<strong>es</strong>te gefeiert wur<strong>den</strong>, kann man mit einiger Sicherheit davon<strong>aus</strong>gehen, daß die mittelalterlichen L<strong>es</strong>er genannte Textpassage wahrscheinlich eherals unterhaltend <strong>den</strong>n als unbehaglich empfun<strong>den</strong> haben.Sturlas jeweiliger körperlicher Zustand läßt sich an seiner Sprache abl<strong>es</strong>en. Währender sich zunächst noch deutlich artikuliert und geistreiche Kommentare von sich gibt,wer<strong>den</strong> seine Äußerungen mit jeder Wunde verwaschener und undeutlicher. DerWunsch nach einem Pri<strong>es</strong>ter ist schließlich kaum noch zu verstehen. Ohne ein Wortüber Sturlas Schmerz zu verlieren, gelingt <strong>es</strong> dem Sagaautoren, di<strong>es</strong>en allein durchdie B<strong>es</strong>chreibung der Wun<strong>den</strong> dem L<strong>es</strong>er erfahrbar zu machen.12.3 Guðmundr Arason –die Lei<strong>den</strong> ein<strong>es</strong> HeiligenDie Bedeutung körperlichen Schmerz<strong>es</strong> innerhalb der christlichenLei<strong>den</strong>sphilosophie soll am Beispiel d<strong>es</strong> Hólar-Bischofs Guðmundr Arasoneingehender erörtert wer<strong>den</strong>. Selbstzüchtigung und körperlich<strong>es</strong> Leid gewannenEnde d<strong>es</strong> 12. Jahrhunderts für die christliche Lei<strong>den</strong>sdoktrin immer mehr anBedeutung (s.o.). Zeitgenosse Guðmundrs und eine der zentralen Lei<strong>den</strong>sg<strong>es</strong>talten inder G<strong>es</strong>chichte d<strong>es</strong> Christentums war Franz von Assisi (1182-1226). Di<strong>es</strong>erbezeichnete seinen Körper als seinen größten Feind und hatte „ständig an qualvollenKrankheiten zu lei<strong>den</strong>, die in Wundmalen, die <strong>den</strong>en d<strong>es</strong> gekreuzigten Christusgleichen, gegen Ende sein<strong>es</strong> Lebens kulminier[t]en.“ 673 Der trotz B<strong>es</strong>treben seinerAnhänger nie kanonisierte Guðmundr Arason wird in <strong>den</strong> nach ihm benannten Sagasals wundertätiger Heiliger darg<strong>es</strong>tellt. Wie bereits erörtert, war der streitbare Bischofeine der schillerndsten Persönlichkeit in <strong>den</strong> politischen Wirren der Sturlungenzeit.Sein mit Starrköpfigkeit und Kompromißlosigkeit gepaarter Ehrgeiz brachte ihnwährend seiner g<strong>es</strong>amten Amtszeit in Konflikt mit <strong>den</strong> politischen Führern d<strong>es</strong>Land<strong>es</strong>. Auf der anderen Seite erhielt er aufgrund seiner Fürsorge für die sozialSchwachen und Ausg<strong>es</strong>toßenen <strong>den</strong> Beinamen „der Gute“. Im Laufe der Zeit erwarber sich einen Ruf als Heiler, wobei er von seiner Freundschaft zu dem berühmt<strong>es</strong>tenArzt Islands, Hrafn Sveinbjarnarson, profitierte.Die hagiographisch geprägte Guðmundar saga Arasonar eftir Arngrím ábótaBrandsson ist b<strong>es</strong>trebt, Guðmundr mit <strong>den</strong> Attributen ein<strong>es</strong> christlichen Heiligen673 Engelhardt 1999, 110.205


<strong>aus</strong>zustatten. Hierzu gehört vor allem auch die literarische Ausschmückungkörperlichen Leids. Di<strong>es</strong>e Ten<strong>den</strong>z findet sich nur in abg<strong>es</strong>chwächter Form in derschwerpunktmäßig historisch <strong>aus</strong>gerichteten Guðmundar saga Arasonar.Ähnlich anderen Heiligen, wie z.B. Franziskus, wird auch Guðmundr zu Lebzeitenschweren körperlichen Prüfungen unterworfen. Als junger Diakon bricht er sich beieinem Schiffsunglück ein Bein, das aufgrund von Komplikationen bei der Heilungzweimal gerichtet wer<strong>den</strong> muß:Und weil <strong>aus</strong> Prüfungen Ruhm erwächst, bekommt er eine schwere Plag<strong>es</strong>einem Rang entsprechend, weil ihm auf einer Schiffahrt der eineUnterschenkel zermalmt wurde. Mit di<strong>es</strong>er Verletzung ging solcherleiB<strong>es</strong>chwernis und Lei<strong>den</strong> einher, bevor sie heilte, wie bekannt ist, weil dieerste Schienung nichts taugte und man das Bein ein zweit<strong>es</strong> Mal brechenmußte. All das ertrug er mit f<strong>es</strong>tem Sinn, weil er wohl wußte, daß er<strong>den</strong>jenigen, <strong>den</strong> die Gnade unser<strong>es</strong> Herrn in di<strong>es</strong>er Welt plagt, <strong>aus</strong>ersehen hatals Sohn zu seiner Rechten im Leben nach dem Tode. Denn der, der alleDinge einteilt, weiß ganz genau, daß Buße leichter zu ertragen ist. 674Die Passage entstammt der Mitte d<strong>es</strong> 14. Jahrhunderts 675 entstan<strong>den</strong>en Guðmundarsaga Arasonar d<strong>es</strong> Abt<strong>es</strong> Arngrímr Brandsson. Im Vergleich mit der etwa 50 Jahreälteren 676Guðmundar saga Arasonar ein<strong>es</strong> unbekannten Verfassers wird ihrvorwiegend hagiographischer Charakter deutlich. Das Thema Schmerz wird imälteren Text nicht mit christlichen Lei<strong>den</strong>svorstellungen in Zusammenhanggebracht. 677 In typisch nüchternem Sagastil b<strong>es</strong>chreibt er eine Unterschenkelfrakturund ihre Behandlung. In di<strong>es</strong>er im Vergleich zur obigen Stelle viel <strong>aus</strong>führlicherenSchilderung ist zu erfahren, daß der 19-jährige Guðmundr zusammen mit seinemZiehvater Ingimundr auf dem Weg nach Norwegen auf Höhe der W<strong>es</strong>tfjorde in einenSturm gerät. In der rauhen See droht ihr Schiff zu kentern und Guðmundr wird unterdem herunterfallen<strong>den</strong> Segel begraben. An der Bordwand eingeklemmt liegt erbewegungsunfähig am Bo<strong>den</strong> mit über die Reling hängendem Bein:674 En sakir þ<strong>es</strong>s, at af mannraunum vaxa manndýrðir, fær hann þúnga plágu í geindum stètt, þvíat ískipferð nokkurri muldi sundr fótlegginn annan, fylgdi þeim meizlum slík mæða ok meinlæti, semkunnigt er, áðr greri, þvíat í fyrri f<strong>es</strong>tíng dugði eigi ok varð at brjóta í annat sinn; bar hann þetta alltmeð megnu hugskoti, þvíat hann vissi vel, at þann sem várs herra miskunn mæðir í þ<strong>es</strong>sum heimi,hefir hann disponerat at gjöra sinn hægri handar son í andligu lífi, þvíat sá veit gjörst, er greinir allahluti, hvár skriptin er léttbærri. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 11 f.(Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).675 Schier 1970 [SM M78], 70.676 Schier 1970 [SM M78], 71.677 Die Passage ist in mehr oder weniger i<strong>den</strong>tischem Wortlaut auch in der Pr<strong>es</strong>tssaga GuðmundarArasonar von Lambkár Þorgilsson enthalten (Entstehungszeit ws. 1240/49 nach Schier 1970 [SMM78], 71). Es wird daher nur <strong>aus</strong> einer Saga, in di<strong>es</strong>em Fall der Guðmundar saga Arasonar, zitiert.Das G<strong>es</strong>agte gilt in gleichem Maße für die Pr<strong>es</strong>tssaga.206


Ingimundr fragte, warum er nicht aufstehe. Aber er sprach, eine solche Lastauf sich zu haben, daß er nicht aufstehen könne. Da war [das Segel] von ihmgehoben und trotzdem konnte er nicht aufstehen. Da fragte ihn Ingimundr,warum er nicht aufstehe, aber er antwortete, daß sein Bein so schwer sei, daßer sich nicht rühren könne. „Es wird doch nicht gebrochen sein?“ fragteIngimundr. Er sagte: „Ich weiß nicht, ich fühle nichts.“ Es wurde daraufhinnachg<strong>es</strong>chaut und das Bein war an der Bordwand d<strong>es</strong> Boot<strong>es</strong> so klein wiezerbrochene Muschelschalen zertrümmert wor<strong>den</strong> und die Zehen zeigten indie Richtung, in die die Ferse zeigen sollte. Da legten sie ihn ins Boot undversorgten ihn. 678Das von Arngrímr Brandsson b<strong>es</strong>chriebene Leid wird nicht thematisiert; ganz imGegenteil: Guðmundr verspürt explizit keinen Schmerz. Dabei wird seinUnterschenkel regelrecht zermalmt und grot<strong>es</strong>k verdreht. Erst später im Text erfährtman, daß <strong>es</strong> sich außerdem um eine offene Fraktur handelt. Auffällig ist dieTatsache, daß er sich nicht bewegen kann. Zusammen mit der g<strong>es</strong>childertenGefühllosigkeit wäre di<strong>es</strong> eher ein Symptom für einen zusätzlich erlittenenNervenscha<strong>den</strong> im Rückenmark. Wie jedoch <strong>aus</strong> dem weiteren Handlungsverlaufhervorgeht, ist dem nicht der Fall.Zunächst wird Guðmundr von zwei Männern an Land getragen und dort von demortsansässigen Arzt Snorri Arngeirsson behandelt. Schmerz wird in di<strong>es</strong>emZusammenhang ebenfalls nicht genannt. Snorri versorgt <strong>den</strong> Bruch so gut er kann(„[…] und behandelte ihn so gut er konnte, […].” 679 ). Das R<strong>es</strong>ultat ist nicht vollzufrie<strong>den</strong>stellend, da nach einem halben Jahr 680 immer noch ein Knochenfragment<strong>aus</strong> der Wunde her<strong>aus</strong>ragt. In di<strong>es</strong>em Zustand geht er zu Fuß (!) die etwa 50 km nachBreiðabólstað im Steingrímsfjord, um Ingimundr zu treffen. Nach Ostern begeben si<strong>es</strong>ich nach Reykjahólar zum Pri<strong>es</strong>ter Helgi Skeljungsson, der außerdem alshervorragender Arzt gilt („hinn m<strong>es</strong>te l©knir” 681 ). Unter zweifellos sehrschmerzhafter Gewaltanwendung gelingt <strong>es</strong> ihm, das Knochenfragment zu entfernen.Die Verletzung verheilt anschließend unter Erhalt der vollen Funktionalität:678 Jngimun(d)r spur(ðe) hui hann st©ðe eigi upp. eN hann quað sua þungt aser at hann matte eige uppstanda. Þa var lypt af honum. ok matte hann eigi at helldr upp standa. Þa r©dde Jngimun(dr) vm huihan steðe eigi upp. eN hann s(uaraðe). kuað ser þungt vm foteN. at hann matte sic eigi hr©ra. Man eigibrotinn quað Jngimun(dr). Hann s(agðe). veit ek. Ekke kenne ek til. Þa uar at hugat. ok varbroteN fotriN aborðe bazins. sua | smatt sem skelea mole. ok hørfðu þangat t©r er h©ll skyllde. Þa løgðoþeir ibatiN ok biøGu vm hann. Guðmundar saga Arasonar, 43 f. (Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).679 […] ok gerir við hann kunne bezst. […]. Guðmundar saga Arasonar, 45 (StefánKarlsson 1983 [EA B 6]).680 Guðmundr verletzt sich in der ersten Oktoberwoche und geht eine Woche vor Palmsonntag nachBreiðabólstað.681 Guðmundar saga Arasonar, 46 (Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).207


Und direkt, nachdem er dorthin gekommen war, erwärmte Helgi das Beinsehr stark und zwei Männer zogen mit Zangen an dem Knochen, bevor erher<strong>aus</strong>kam, und danach heilte er und zu <strong>den</strong> Ziehtagen wurde er g<strong>es</strong>und undnach <strong>den</strong> Ziehtagen fährt er nach Nor<strong>den</strong> nach Breiðabólstað. 682Die Gegenüberstellung der bei<strong>den</strong> Sagas zeigt deutlich, daß Schmerz ins Zentrumder Betrachtung rückt, wenn <strong>es</strong> um primär christliche Inhalte geht. Obwohl derUnfall bei Abt Brandsson eher p<strong>aus</strong>chal in wenigen Sätzen abgehandelt wird, stehtGuðmundrs Schmerz im Mittelpunkt. Sein Leid wird gezielt zur Unterstreichungseiner Heiligkeit instrumentalisiert. Der g<strong>es</strong>chichtliche Text fokussiert dahingegenauf <strong>den</strong> medizinischen Aspekt. Arzt, Therapieform, Krankheitsverlauf und Funktiond<strong>es</strong> Beins haben deutliche Priorität vor dem verletzungsbegleiten<strong>den</strong> Schmerz.Di<strong>es</strong>er stilistische Unterschied läßt sich beim intertextualen Vergleich konstantbeobachten. Die Erstürmung Hólars durch Arnórr Tumason im Jahre 1219 mitGefangennahme d<strong>es</strong> Bischofs wird in der Guðmundar saga Arasonarfolgendermaßen g<strong>es</strong>childert:Sie ergriffen Guðmundr in seinem Bett und zogen ihn <strong>aus</strong> dem H<strong>aus</strong>. Erklammert sich mit Hän<strong>den</strong> oder Füßen an Türpfosten oder Holzwände, abersie zogen um so f<strong>es</strong>ter, so daß <strong>es</strong> mit großen Verletzungen einherging. GegenMorgen bekamen sie ihn in w<strong>es</strong>tlicher Richtung <strong>aus</strong> dem H<strong>aus</strong>. Sie legten ihndann auf in einen Wagen und fuhren mit ihm nach Ás zum H<strong>aus</strong> Arnórrs. 683Die Guðmundar saga Arasonar Abt Brandssons hat an di<strong>es</strong>er Stelle hingegendeutlich werten<strong>den</strong> Charakter. Wurde in o.g. genanntem Zitat mit harðara lediglichein Adjektiv verwendet, fin<strong>den</strong> sich bei Brandsson fünf. Der Text erhält hierdurcheine deutliche ten<strong>den</strong>zielle Färbung. Für <strong>den</strong> klassischen Sagastil völlig untypisch,ergreift der Erzähler Partei und b<strong>es</strong>chränkt sich nicht darauf, lediglich Fakten zupräsentieren. Mitunter teilt er dem L<strong>es</strong>er auch die Gedanken der Handeln<strong>den</strong> mit.Um Guðmundrs Heiligkeit zu unterstreichen, wer<strong>den</strong> seine Widersacher alsAbg<strong>es</strong>andte der Hölle charakterisiert. Die Szene unterstreicht die christlicheVorstellung, daß „suffering is a consequence of the direct activity of the Devil ordevils“. 684 Der Teufel und seine Alliierten vertreten das Prinzip d<strong>es</strong> Bösen. Somit682 EN bratt er hann kom þangat. bakaðe Helge fotinn. mioc. ok toguðu .ij. karlar beinit með tÃng aðrbrot genge. eN þa gr¡dde hann eptir. ok varþ hann heill n©r fardøgum. EN eptir fardaga feR hann norðraBreiða b(ol)st(að). Guðmundar saga Arasonar, 47 (Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).683 Þeir toko G(uðmund) ihuilo sinni. ok drogo hann ofan eptir husunum. Hann l©tr hendr e(ða) f©tridyre stafe e(ða) þile. eN þeir drogu hann þui harðara. sua at uið stormeizlum var buit. Þeir komohonum vm morGinin u<strong>es</strong>tr or husunum. løgðo þeir hann þa iuagir. ok oku með hann iÁs til búsArnors. Guðmundar saga Arasonar, 179 (Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).684 Bowker 1970, 51.208


wird der Konflikt zwischen weltlichen Oberhäuptern und dem übereifrigen Bischofzu einem Kampf zwischen Gut und Böse hochstilisiert. Jede Verletzung im Ringenmit dem „Antichrist“ bringt Guðmundr dem Märtyrertod und damit der Seligkeit einStück näher:[…], umzingelt das H<strong>aus</strong> d<strong>es</strong> Bischofs mit seinen Soldaten, dringt mit seinemGefolge in sein Schlafgemach ein und ergreift ihn selbst in seinem Bett mit soviel furchtbarem Zorn, daß <strong>es</strong> abscheulich ist, davon zu berichten, daß sie <strong>den</strong>g<strong>es</strong>albten Bischof völlig gegen seinen Willen <strong>aus</strong> dem Zimmer ziehen. Daskann man daran sehen, daß er Hände und Füße dahin setzt, wo sich einVorsprung befindet. Aber die Glieder d<strong>es</strong> Teufels tun ihm nur noch mehrGewalt an, so daß fast die Knochen brechen und Verstümmelung selbst droht,bevor sie ihn <strong>aus</strong> dem H<strong>aus</strong> bekommen; legen ihn sodann wenig sorgsam ineinen Wagen und fahren in dunkler Nacht davon nach H<strong>aus</strong>e zum HofArnórrs. 685Guðmundr weiß, daß irdisch<strong>es</strong> Leid die Vor<strong>aus</strong>setzung für <strong>den</strong> Eintritt ins Paradi<strong>es</strong>darstellt 686 und nimmt willig jede Peinigung auf sich. Di<strong>es</strong>er Grundeinstellung wirdim weiteren Handlungsverlauf explizit Ausdruck verliehen. Arnórr sperrt <strong>den</strong>Bischof zunächst in eine dunkle Kammer, die er nur zum Zwecke der Notdurftverlassen darf. In Abt Brandssons Saga wird über einen Vermittlungsversuch d<strong>es</strong>Erzbischofs unter Beteiligung Bischofs Magnúss berichtet. Als di<strong>es</strong>er scheitert, heißt<strong>es</strong>:Herr Guðmundr Bischof steht um so f<strong>es</strong>ter, je mehr er mit körperlicher Peinund Verleumdungen g<strong>es</strong>chlagen ist und betet so darum, daß seine FeindeHand an ihn legen mögen, weil er weiß, daß g<strong>es</strong>chrieben steht, daß jeder, der[im Jenseits] gut leben will, im Di<strong>es</strong>seits Verfolgungen ertragen muß. 687Guðmundr nimmt die Märtyrerrolle ganz bewußt an, um sich damit nach seinemAbleben ein Anrecht auf Aufnahme ins Himmelreich zu erwerben. Er wünscht sichdas Lei<strong>den</strong> sogar regelrecht herbei, nach dem Motto: je mehr Schmerz im Di<strong>es</strong>seits,d<strong>es</strong>to größer die Belohnung für die Qualen im Jenseits. Di<strong>es</strong>er Wunsch geht bald in685 […], umkríngir herbergi biskups með herfólk sitt, gengr inn með sinni fylgð í hans dormitorium,ok tekr hann sjálfan í sinni sæng, með svá greypri grimd, sem ferligt er frásagnar, at þeir dragasmurðan biskupinn fullkomit nauðgan fram eptir herbergjum; þat til marks, at hann setr hendr ok fætrhvar fornám er fyrir; en þeir úvinarins limir bjóða honum afl æ því meira, svá at liggr við beinbrot okmeiðzlin sjálf, áðr þeir færa hann út af húsunum, leggja hann síðan í vagn lítt vandaðan, ok aka bröttaf staðnum á náttarþeli heim á búgarð Arnórs. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta, 106 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).686 Die Bibel: Matth. 5: 11-12: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen b<strong>es</strong>chimpft und verfolgt undauf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freu euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird großsein.”687 Herra Guðmundr biskup stendr æ því fastara, sem hann er meirr at knúinn með líkamligri pínu okuml<strong>es</strong>trum, ok bíðr svá þ<strong>es</strong>s, er hans fjandmenn vilja at honum færa, þvíat hann veit skrifat, at hverrsem vel vill lifa mun hèr ofsóknir þola. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrímábóta, 107 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).209


Erfüllung, als Arnórr Guðmundrs Verlegung nach Seleyrr b<strong>es</strong>chließt, um ihn vondort <strong>aus</strong> nach Norwegen vor <strong>den</strong> Erzbischof zu bringen. Während der drei Tagedauern<strong>den</strong> Reise wird der Bischof fast zu Tode gequält:Und als er zu Beginn d<strong>es</strong> Sommers zum Aufbruch bereit ist, holt er HerrnGuðmundr <strong>aus</strong> der Stube und läßt ihn auf eine Bahre zwischen zwei Pferd<strong>es</strong>etzen und so <strong>den</strong> Weg nach Seleyrr treiben, nicht weniger als drei großeTag<strong>es</strong>reisen weit weg, mit so wenig Schonung und Menschlichkeit, daß sieihn so hart trieben, daß die Bahre dem zeitweise nicht gewachsen war undzerbricht, aber die Pferde ziehen <strong>den</strong> Bischof nackt über Geröll und Heide mitso viel Scha<strong>den</strong>, daß er sich beinahe die Knochen bricht, […]. 688Zwar haben die Leute Mitleid, aber <strong>aus</strong> Furcht vor Arnórr traut sich niemand, ihm zuhelfen. Ausdrücklich wird auf Guðmundrs Qualen hingewi<strong>es</strong>en:Und obwohl vielen die Qualen d<strong>es</strong> Herrn Bischof beklagenswert erschienen,trauten sich die Männer wegen der Macht Arnórrs nicht, sich oder ihr Habund Gut in Gefahr zu begeben, […]. 689Hilfe wird schließlich vom Schmerzensmann J<strong>es</strong>us Christus selbst g<strong>es</strong>chickt:[…], und weil der Herr J<strong>es</strong>us Christus sich immer um <strong>den</strong> Trost seinerFreunde kümmert, obwohl er all ihre Qual in di<strong>es</strong>er Welt auf sich nimmt,macht er <strong>den</strong> Sinn ein<strong>es</strong> Mann<strong>es</strong> so furchtlos in Bezug auf d<strong>es</strong> BischofsFreiheit, daß er sich vor keinem der Schwager fürchtet [gemeint sind ArnórrTumason und Sighvatr Sturlusson]. Di<strong>es</strong>er Mann heißt Eyjólfr Kársson, einfrüherer Freund Herrn Guðmundrs; […]. 690Die G<strong>es</strong>chichte endet mit Guðmundrs nächtlicher Befreiung während ein<strong>es</strong>Unwetters durch Eyjólfr Kársson.All di<strong>es</strong>e Verweise auf das Christentum fehlen in der Guðmundar saga Arasonar. Eswird lediglich kurz der Transport nach Seleyrr g<strong>es</strong>childert. Konsequenterweise wirdauch hier auf wertende Kommentare verzichtet. Daß Guðmundr Schmerzen erleidet,läßt sich <strong>aus</strong> der B<strong>es</strong>chreibung vermuten, wird im weiteren Textverlauf jedoch nichtthematisiert:688 Ok þann tíma öndvert sumar, sem hann er heiman búinn, tekr hann herra Guðmund út af stofunni,ok lætr setja upp í barir millum tveggja h<strong>es</strong>ta, ok svá reka fram í veg til Seleyrar, eigi skemra en þrjárstórar dagleiðir, með svá lítilli vægð ok manndóm, at þeir ráku svá hart, at stundum þoldu ei bararnarok brotna í sundr, en h<strong>es</strong>t[a]r draga biskupinn beran um grjót ok móa, með svá miklum váða at heldrvið beinbrot, […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 107 (GuðbrandurVigfússon & al. 1878).689 En þótt mörgum þætti hörmuligt herra byskups harmkvæli, treystust menn eigi fyrir uppgangiArnórs at leggja sik eða sitt góðs í hættu, […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta, 107 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).690 […], en fyrir þá grein, at drottinn J<strong>es</strong>ús Christus lítr jafnan til hugganar sinna vina, þótt hann þoliþeirra þröngving í þ<strong>es</strong>sum heimi, eflir hann eins manns hug svá óskelfan til frelsis biskupinum, athann óttist hvárngi þeirra mága; þ<strong>es</strong>si maðr heitir Eyjólfr Kársson, einn af fyrrum vinum herraGuðmundar; […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 108 (GuðbrandurVigfússon & al. 1878).210


Im Sommer darauf trugen sie Bischof Guðmundr auf einer Bahre nach Sü<strong>den</strong>zum Fluß Hvítá. Auf di<strong>es</strong>er Fahrt mußte er eine so üble und rauheBehandlung ertragen, daß er sich dem Sagen der meisten Leute nach beinahedie Knochen brach. Die Pferde wur<strong>den</strong> unter ihm angetrieben, so daß dieBahre umg<strong>es</strong>toßen wurde und Bischof Guðmundr über Heide und Geröllgezogen wurde und er erhielt von niemandem Hilfe. 691Schließlich muß Guðmundr einige Bl<strong>es</strong>suren bei seiner Gefangennahme auf Grímseyhinnehmen. Nachdem seine Leute Tumi Sighvatsson ermordet haben, kommend<strong>es</strong>sen Vater Sighvatr Sturluson und Bruder Sturla Sighvatsson auf die Insel, umRache zu nehmen:Nun soll sich wieder Grímsey zugewendet wer<strong>den</strong>: <strong>den</strong> Klerus schän<strong>den</strong>Vater und Sohn so, daß sie einen Pri<strong>es</strong>ter töten und zwei kastrieren, nahe derKirche d<strong>es</strong> hl. Óláfr dort auf der Insel. Nachdem sie die Glieder gepeinigt undgeplagt haben, fährt so der Teufel in sie, daß sie nicht einmal mehr dasOberhaupt r<strong>es</strong>pektieren, nehmen <strong>den</strong> Bischof gefangen und mißhandeln ihnso schwer, wie seine Gebeine in der heiligen Kirche von Hólar nun Zeugnisablegen, übrigens wollen schriftliche Aufzeichnungen bekräftigen, daß dreiRippen gebrochen waren. Danach schaffen sie ihn aufs Schiff. 692Inter<strong>es</strong>santerweise berichtet die Guðmundar saga Arasonar trotz großerAusführlichkeit bei der B<strong>es</strong>chreibung der Grímsey-Fahrt nur über die Kastration derbei<strong>den</strong> Pri<strong>es</strong>ter. Guðmundrs Verwundungen wer<strong>den</strong> nicht weiter b<strong>es</strong>chrieben.Zusammenfassend wird über Guðmundrs Gefangennahme und Martyrium in derhistorisch <strong>aus</strong>gerichteten Guðmundar saga Arasonar viel knapper berichtet als in derhagiographischen Guðmundar saga Arasonar eftir Arngrím ábóta Brandsson. Diekurze Schilderung der Ereignisse erfolgt im Sagastil. Der Transfer von GuðmundrsLei<strong>den</strong> zu christlichen Glaubensinhalten wird nicht vollzogen. Dahingegen baut derBrandsson-Text Guðmundr zum Märtyrer und Heiligen auf, der <strong>den</strong> aufreiben<strong>den</strong>Kampf mit <strong>den</strong> Mächten der Hölle durch Gott<strong>es</strong> Beistand überlebt.Zusätzlich zu <strong>den</strong> Qualen der Mißhandlungen hat Guðmundr Zeit sein<strong>es</strong> Lebensunter diversen schmerzhaften Krankheiten zu lei<strong>den</strong>. Im Alter von 25 Jahren erkrankt691 UM sumarit eptir. baro þei[r] G(uðmund) byskup í bÃrum suðr til Huit ár. I þui þolþe hann sua illtok hart at h[el]lt við bein brøt at fl<strong>es</strong>tra manna søgn. H<strong>es</strong>tarnir voro elltir undir honuM. sua at bararnarhrutu ofan. eN G(uðmundr) byskup dragnaðe um móa. ok um griot. ok hafðe af øngum þeira hialp.Guðmundar saga Arasonar, 180 (Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).692 Nú er at snúa aptr til Grímseyjar: klerkdóminn svívirða þeir svá feðgar, at þeir drepa einn pr<strong>es</strong>t, enafeista tvá, nærri kirkju ins heilaga Ólafs þar í eyjunni. Sem þeir hafa limina pínt ok plágat, gengr sváúvinrinn í þá, at ei heldr þyrma þeir nú höfðinu, taka byskupinn höndum, ok farga hann svá þúngt sembein hans í heilagri Hólakirkju bera nú vitni, en þó vilja bækr sanna, at þrjú rifin hafi brotnað. Eptirþat fanga þeir [hann] til skips. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 117 f.(Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).211


er an Migräne. 693 Der erste Anfall wird <strong>aus</strong>gelöst, als er mit frischgewaschenenHaaren im Winter bei starkem Frost ins Freie geht, um zwei Norwegern in derKirche die Beichte abzunehmen. Für Migräne ist eine gewisse familiäre Dispositionbekannt und auch in seinem Fall erfährt man, daß schon die Mutter an Anfällengelitten hatte:Aber sein Kopf war naß und frisch gewaschen und <strong>es</strong> herrschte starker Frostund die Kälte fährt ihm in <strong>den</strong> Kopf und von da ab hatte er die Krankheit, di<strong>es</strong>eine Mutter hatte und die sie oft befiel, bevor er über ihr sang. Danachverschwand das Lei<strong>den</strong> bei ihr vollkommen und di<strong>es</strong>elbe Krankheit befielihn. 694Die migränetypischen Kopfschmerzen treten kurz nach dem <strong>aus</strong>lösen<strong>den</strong> Ereignis(nasser Kopf bei Minusgra<strong>den</strong>) auf. Sie wer<strong>den</strong> nur bei Abt Brandsson b<strong>es</strong>chrieben:[…], und nach kurzer Verweildauer außer H<strong>aus</strong> befiel ihn so starkerKopfschmerz mit dem Scha<strong>den</strong>, daß er nicht sprechen konnte und er lag sodrei Stun<strong>den</strong> bis Gott von seinem Sitz die betrüblichen Tränen erblickte, diealle Leute im Dorf in seinem Ang<strong>es</strong>icht vergossen für die Gen<strong>es</strong>ung ihr<strong>es</strong>geistlichen Vaters; […]. 695In der Guðmundar saga Arasonar ist lediglich von <strong>den</strong> neurologischenBegleitsymptomen die Rede: „[…], und er konnte nicht sprechen und nicht stillliegen, […].“ 696 Ob <strong>es</strong> sich um ein einmalig<strong>es</strong> Auftreten der Erkrankung handelt,geht <strong>aus</strong> dem Text nicht hervor. Der Hinweis, daß er dasselbe Lei<strong>den</strong> wie seineMutter bekommt und sie oft darunter zu lei<strong>den</strong> hatte, läßt nachfolgendeMigräneanfälle vermuten. In <strong>den</strong> diversen Sagas über ihn wird auf weitereKopfschmerzattacken jedoch nicht eingegangen. Was in der B<strong>es</strong>chreibung überdi<strong>es</strong>693 Sigurður Samúelsson 1998, 222. Sigurður Samúelsson geht in di<strong>es</strong>em Zusammenhang auch aufGuðmundrs hellseherische Fähigkeiten ein und kommentiert di<strong>es</strong>e auf eine für einen Arztungewöhnliche Weise: „Außerdem hatte er hellseherische Fähigkeiten, er hatte das zweite G<strong>es</strong>icht.Ein Spezialist auf di<strong>es</strong>em Gebiet, der Arzt Prof. Gunnar Guðmundsson berichtet mir <strong>aus</strong> eigenerAnschauung, daß Migräne und die Gabe d<strong>es</strong> Hellsehens bei manchen di<strong>es</strong>er Patientenzusammenfallen“ („Auk þ<strong>es</strong>s hafði hann ófr<strong>es</strong>kigáfu, hann var skyggn. Sérfræðingur á þ<strong>es</strong>su sviði,próf. Gunnar Guðmundsson, læknir, segir mér að hann hafði séð að saman fari heilakveisa (migraene)og skyggnigáfa hjá sumum þ<strong>es</strong>sara sjuklinga”). In di<strong>es</strong>er F<strong>es</strong>tstellung zeigt sich anschaulich der f<strong>es</strong>t inder isländischen Kultur verankerte Glaube an das Übernatürliche.694 EN høfut hans uar uatt ok ny þuegit. eN frost mikit ok lystr kulþa ihøfut honum. ok þaðan af flo ahann mein þat er hafðe moðir hans. ok kom opt at henne. aðr hann søng yfir henne. Eptir þat toc afhenne meinit. algerliga. ok kom at honum. it sama mein. Guðmundar saga Arasonar, 84 f. (StefánKarlsson 1983 [EA B 6]).695 […], ok eptir litla útivist hrapaði á hann svá strangr höfuðverkr með váða, at hann varð úmáli, ok lásvá um eina eykt, þar til er drottinn leit af sæti sínu þau hörmulig tár, er allr lýðr á bænum steypti út íhans augliti fyrir heilsubót síns andligs föður; […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta, 22 f. (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).696 […] ok matte hann ecke m©la. ok eige liGia kyR. Guðmundar saga Arasonar, 85 (Stefán Karlsson1983 [EA B 6]).212


für Migräne spricht, ist die Tatsache, daß <strong>es</strong> ihm am Abend wieder so gut geht, daßer die M<strong>es</strong>se l<strong>es</strong>en kann. In der Regel dauern Migräneanfälle nur einige Stun<strong>den</strong>.Beide Sagas beziehen die Heilung auf Gott<strong>es</strong> Erbarmen ang<strong>es</strong>ichts der vielen Gebetefür Guðmundr. In <strong>den</strong> letzten Jahren sein<strong>es</strong> Lebens auf Hólar verschlechtert sich seinG<strong>es</strong>undheitszustand. Nach und nach erblindet er und wird überdi<strong>es</strong> von einemschmerzhaften G<strong>es</strong>ichtslei<strong>den</strong> befallen:Lange war er wenig g<strong>es</strong>und, weil er keine Bücher mehr l<strong>es</strong>en konnte, als er<strong>aus</strong> Höfði wegfuhr, aber vollständig blind war er im letzten Jahr, das er lebte.Er hatte ein G<strong>es</strong>ichtslei<strong>den</strong>, das mit Schmerzen in seiner rechten Wangeoberhalb d<strong>es</strong> Aug<strong>es</strong> einherging. 697In der Saga von Abt Brandsson wird die Erblindung in einen Zusammenhang mitdem G<strong>es</strong>ichtslei<strong>den</strong> gebracht (s.u.). Sigurður Samúelsson differenziert hier jedochzwischen unterschiedlichen Krankheiten. Seiner Meinung nach handelt <strong>es</strong> sich beider nachlassen<strong>den</strong> Sehkraft um die Auswirkungen ein<strong>es</strong> Glaukoms (grüner Star). 698Die Guðmundar saga eftir Arngrímr ábóta Brandsson legt bei der langsamenErblindung viel Nachdruck auf <strong>den</strong> christlichen Ask<strong>es</strong>e- und Lei<strong>den</strong>saspekt. Intotaler Entsagung an die Welt erträgt der Bischof seine Gebrechen in Demut:Die vier letzten Jahre seiner Tage ließ Herrn Guðmundrs Sehkraft aufgrundvon Altersschwäche sehr nach. Nach Gott<strong>es</strong> Willen verschlimmerten sich dieB<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong>, so daß er die letzten zwei Jahre nicht mehr l<strong>es</strong>en konnte. Dasaß er unablässig in einer kleinen Stube zwischen <strong>den</strong> Gott<strong>es</strong>diensten d<strong>es</strong>Tag<strong>es</strong> und lebte ein so einfach<strong>es</strong> Leben wie ein mustergültiger undschweigsamer Eremit, jeglichem weltlichen Trubel <strong>aus</strong> dem Wege gehend,außer daß er <strong>den</strong>en still eine Audienz gab, die von weither kamen, um ihn zutreffen. 699Es geht <strong>aus</strong> dem Abschnitt deutlich hervor, daß ihm all di<strong>es</strong> widerfährt, weil Gott <strong>es</strong>so b<strong>es</strong>timmt hat. Auch das schmerzhafte G<strong>es</strong>ichtslei<strong>den</strong> erduldet er als Prüfungseiner Glaubensstärke:Und in di<strong>es</strong>em letzten Jahr, das er in di<strong>es</strong>er Welt lebte, vom 8. Tag nachWeihnachten über <strong>den</strong> Feiertag d<strong>es</strong> hl. Gregor, bekam er ein Augenlei<strong>den</strong> undverlor auch <strong>den</strong> R<strong>es</strong>t seiner Sehkraft. Di<strong>es</strong>e Krankheit entwickelte sich so,daß das G<strong>es</strong>icht anschwoll und Schmerz sich meist in der rechten Wange697 Löngum var hann lítt heill, þvíat hann var eigi bókskygn er hann fór or Höfða, en blindr með ölluinn síðasta vetr er hann lifði. Anlits mein hafði hann, ok lá verkr í kinn hans enni hægri ofan fráauganu. Brot úr miðsögu Guðmundar, 584 (Jón Sigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).698 Sigurður Samúelsson 1998, 197.699 Fjögr síðustu ár sinna daga hrymdist herra Guðmundr byskup mjög fyrir sýnar sakir, fór þat svávaxanda með guðs vilja, at tvau síðarri ár var hann ei bókskygn, sat hann þá sífellt í stofu lítilli tíða ímillum, ok leiddi fram svá einfalt líf, seim einn ágætr ok hljóðlyndr heremita, forðandis allan þysveraldarmanna, utan gaf kyrt orlof þeim er langsóttu til at finna hann. Saga Guðmundar Arasonar,Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 155 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).213


<strong>aus</strong>breitete, aber was ihm auch auferlegt wurde, lobte er Gott ohne Unterlaßund unterwarf sich der von ihm auferlegten Strafe mit Worten und mit demHerzen. 700In der Literatur herrscht Übereinstimmung darüber, daß <strong>es</strong> sich bei derKrankheitsbezeichnung andlitsmein um einen b<strong>es</strong>timmten Hautkrebs handelt.Wahrscheinlich ist das in di<strong>es</strong>er Altersgruppe und b<strong>es</strong>onders in angegebenerLokalisation häufig vorkommende Basaliom gemeint. 701Es „ist der häufigstenichtbenigne Tumor der Haut, der vor allem im höheren Lebensalter und nur anhaarfollikeltragen<strong>den</strong> Körperregionen auftritt.“ 702Vorzugsweise ist <strong>es</strong> am Kopflokalisiert, was damit zu tun hat, daß UV-Licht als stärkster pathogener Faktorang<strong>es</strong>ehen wird. B<strong>es</strong>onders häufig tritt <strong>es</strong> im G<strong>es</strong>icht auf, und zwar „an der Nase,perinasal, in der Orbital- und Präaurikulärregion.“ 703Die Lokalisation vonGuðmundrs Erkrankung wird mit der rechten Wange in Augennähe angegeben,befindet sich also in der Orbitalregion. Das Basaliom gehört zu <strong>den</strong> sog.semimalignen Tumoren, weil <strong>es</strong> zwar invasiv wächst, aber so gut wie niemetastasiert. Von seinen verschie<strong>den</strong>en klinischen Unterformen zeichnen sich dasUlcus ro<strong>den</strong>s sowie das Ulcus terebrans durch größere Aggr<strong>es</strong>sivität und schneller<strong>es</strong>Wachstum <strong>aus</strong>. Reichborn-Kjennerud und Grøn erkennen in derKrankheitsb<strong>es</strong>chreibung das Ulcus ro<strong>den</strong>s wieder. Es handelt sich bei di<strong>es</strong>em„nagen<strong>den</strong> G<strong>es</strong>chwür“ um ein „langsam fortschreitend<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chwür mitleistenartigem, perlmuttglänzendem Rand.“ 704 Differentialdiagnostisch räumt auchSigurður Samúelsson die Möglichkeit ein, daß <strong>es</strong> sich bei Guðmundrs Krankheit umein Ulcus ro<strong>den</strong>s handeln könnte. Die Lokalisation kinn deutet er als Befall d<strong>es</strong>Kieferknochens. Wegen di<strong>es</strong>er mutmaßlichen Knochenbeteiligung spricht er sicheher für einen hochmalignen Tumor <strong>aus</strong> und spekuliert auf ein Sarkom (bösartigeFleischg<strong>es</strong>chwulst). 705 Das Ulcus terebrans wurde von der Forschung bisher nochnicht in Erwägung gezogen. Sein Erscheinungsbild vereint die D<strong>es</strong>truktivität d<strong>es</strong> eher700 En er þat síðasta ár, er hann lifði þ<strong>es</strong>sa heims, frá átta degi jóla fram yfir f<strong>es</strong>tum sancti Gregorii,tók hann augnaverk ok lèt meðr öllu litla sýn; fór þar með sá krankdómr, at þrútnaði andlitið ok láverkr m<strong>es</strong>tr í hægri kinn, en hvað er á lagðist lofaði hann guð án afláti, ok kraup allr undir hansráðníng bæði með orðum ok hjarta. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta,155 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).701 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 159; 1943, 169; Sigurður Samúelsson 1998, 197.702 Lange & <strong>August</strong>in 2002, 118.703 Lange & <strong>August</strong>in 2002, 118.704 Lange & <strong>August</strong>in 2002, 119.705 Sigurður Samúelsson 1998, 197.214


seltenen Sarkoms mit der Häufigkeit d<strong>es</strong> Basalioms. Per definitionem ist <strong>es</strong> ein„primär d<strong>es</strong>truierend wachsend<strong>es</strong>, in der Tiefe auf Knochen und Knorpelübergreifend<strong>es</strong>, zerfallend<strong>es</strong> Basaliom.“ 706 Ein solcher Tumor würde wahrscheinlichauch mehr Schmerzen verursachen als ein eher auf Hautniveau begrenzter Prozeßwie das Ulcus ro<strong>den</strong>s. Abt Brandsson weiß zu berichten, daß Guðmundrs Schmerzennicht sehr <strong>aus</strong>geprägt sind. Der Hinweis ergibt sich nach dem „Algometer derSagaliteratur“, dem Schlaf. Seine letzten Jahre verbringt Guðmundr auch nachtsbetend und seine Freunde und Verwandten l<strong>es</strong>en ihm Tag und Nacht vor. Brandssonbeeilt sich, darauf hinzuweisen, daß di<strong>es</strong> einer alten Gewohnheit der Bischofsentsprochen habe. Er sei an wenig Schlaf gewöhnt gew<strong>es</strong>en; das Lei<strong>den</strong> selbst habeihn nicht daran gehindert:[…], er betete nachts so eifrig nach langer und lobenswerter Gewohnheit, daßdie Natur sehr wenig Schlaf forderte, obwohl das Lei<strong>den</strong> die Ruhe nichtverbot. 707Die von Brandsson g<strong>es</strong>childerte G<strong>es</strong>ichtsschwellung ist für Sigurður SamúelssonSymptom d<strong>es</strong> Krebslei<strong>den</strong>s. Eine infektiös bedingte Schwellung schließt er <strong>aus</strong>.Begründung: die B<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong> erstrecken sich über ein Jahr. 708 Die Möglichkeiteiner bakteriellen Superinfektion zieht er nicht in Betracht. Dabei ist gerade hierfürdie Gefahr sehr groß. An der g<strong>es</strong>chädigten Stelle kann die Haut ihre protektiveBarrierefunktion nicht mehr erfüllen mit der Folge, daß sich leicht Keime in derWunde ansiedeln. Schlechte hygienische Verhältnisse und sehr begrenzteBehandlungsmöglichkeiten können durch<strong>aus</strong> zu einem prolongierten Verlauf einerInfektion beitragen.Der überdi<strong>es</strong> bei Brandsson genannte Terminus augnaverkr ist vor dem Hintergrundder bisherigen diagnostischen Überlegungen nicht eindeutig zuzuordnen. Zwarbedeutet der Begriff wörtlich übersetzt Augenschmerz, aber laut Reichborn-Kjennerud handelt <strong>es</strong> sich davon abweichend um eine Globalbezeichnung fürErkrankungen d<strong>es</strong> Aug<strong>es</strong>. Die norröne Namensgebung habe sich hier an Symptomenorientiert. Augnasótt (Augenkrankheit) und augnamein (Augenlei<strong>den</strong>) seien erst auf706 Lange & <strong>August</strong>in 2002, 119.707 […], var um nætr svá iðinn at bænum eptir löngum ok lofligum vana, at náttúran beiddi harðlalítinn svefn, þó at meinlætin bannaði eigi hvíldina. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta, 155 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).708 Sigurður Samúelsson 1998, 197.215


literarischem Weg durch Bücher der Heilkunde in die Nomenklatur aufgenommenwor<strong>den</strong>:Der gewöhnlichste [Symptomname] war augnaverkr (verkr í augum), waseigentlich Brennen und Schmerzen in <strong>den</strong> Augen entsprechen sollte, aberdi<strong>es</strong><strong>es</strong> Wort wurde im großen und ganzen für alle Augenkrankheiten mitdi<strong>es</strong>en Symptomen verwendet. 709Sigurður Samúelsson bezieht augnaverkr auf die Schmerzen in der Wange, derenLokalisation so nahe am Auge gelegen ist, daß man <strong>den</strong> Terminus Augenschmerzverwendete. 710 Hält man sich jedoch an <strong>den</strong> Quellentext, wird deutlich, daß sichBrandsson direkt auf das Auge bezieht. Die völlige Erblindung wird mit augnaverkrursächlich in Zusammenhang gebracht und nicht als Endstadium der schon seitJahren rückläufigen Sehfähigkeit interpretiert. Überdi<strong>es</strong> b<strong>es</strong>chränken sich dieSchmerzen nicht auf die rechte Wange, sondern sind hier nur überwiegend lokalisiert(„[…], ok lá verkr m<strong>es</strong>tr í hægri kinn, […]”). Es muß also auch ein gewisserSchmerz im Auge selbst vorhan<strong>den</strong> sein. Warum jedoch <strong>aus</strong> einseitiger Erkrankungdoppelseitige Erblindung folgt, ist <strong>aus</strong> dem Text nicht ersichtlich.Insg<strong>es</strong>amt nimmt Schmerz in <strong>den</strong> hagiographischen Texten über GuðmundrArason großen Raum ein. In stärkerem Maße als bei der historischenBerichterstattung wird für jed<strong>es</strong> schmerzhafte Ereignis der Bezug zum Christentumherg<strong>es</strong>tellt. Aus di<strong>es</strong>em Umstand ergibt sich die Notwendigkeit, das Vorhan<strong>den</strong>seinvon Schmerz und Leid aufzuzeigen. Nur so läßt sich ein Anspruch auf Heiligkeitbegrün<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n hierzu gehört nunmal auch eine gewisse Märtyrereinstellung. OhneLei<strong>den</strong> im Namen J<strong>es</strong>u wäre Schmerz sinnlos und seine Erwähnung redundant.Hierin liegt der prinzipielle Unterschied zu <strong>den</strong> Hel<strong>den</strong>, deren Schmerzen einemvöllig anderen sozialen und kulturellen Regelwerk unterliegen. Der am Anfang dervorliegen<strong>den</strong> Untersuchung konstatierte Unterschied an Schmerzhäufigkeit zwischeneher christlich und eher heidnisch geprägten Texten findet hier seinen Niederschlag.Guðmundr Arason ist eine facettenreiche Persönlichkeit. Während er als BischofWunder vollbringt, <strong>den</strong> Bedürftigen hilft und groß<strong>es</strong> körperlich<strong>es</strong> Leid klagloserträgt, gibt der Politiker Guðmundr Arason ein ganz ander<strong>es</strong> Bild ab. Kompromißlosund zielstrebig verfolgt er seine Ziele und schöpft hierzu das g<strong>es</strong>amte ihm zurVerfügung stehende Machtpotential <strong>aus</strong>. „Liebt eure Feinde“ 711 und: „Du sollst709 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (5), 5.710 Sigurður Samúelsson 1998, 197.711 Matth. 5: 43-8; Lukas 6: 35 ff.216


deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ 712 gehört nicht unbedingt zu seinenWahlsprüchen, <strong>den</strong>n wer opponiert, wird mit einer der höchsten Strafen belegt, diedie Kirche zu vergeben hat: der Exkommunikation. Auch seine Rolle als B<strong>es</strong>chützerund Versorger der Armen ist nicht eindeutig. Die Sekundärliteratur äußert sich zudi<strong>es</strong>em Punkt recht inhomogen und charakterisiert seine Aktivitäten mal Fürsorge, 713mal als kriminelle Machenschaften. 71412.4 Heilung unter Schmerzen – der Heilige als ArztDie Heiligenverehrung hatte im isländischen Alltag d<strong>es</strong> Mittelalters einen hohenStellenwert. Dementsprechend häufig fin<strong>den</strong> sich in <strong>den</strong> christlich geprägten TextenBeispiele für Wunderheilungen. Hier kann wiederum unterschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> zwischenHeilung durch geweihte Dinge (Wasser, Salbe, Gras, etc.), Reliquien oder durch <strong>den</strong>jeweiligen Heiligen selbst. Überliefert sind Wunder sowohl lebender als auch toterHeiliger. Nicht selten findet die Behandlung im Schlaf statt, wo der zuvor um HilfeGebetene <strong>den</strong> Betroffenen im Traum erscheint. Die Kanonisierten haben mituntereine sehr ruppige Art, mit ihren Patienten umzugehen. Di<strong>es</strong> äußert sich ingrobschlächtigen Therapiemetho<strong>den</strong>, bei <strong>den</strong>en die Kranken vor ihrer Gen<strong>es</strong>ungzunächst große Schmerzen erdul<strong>den</strong> müssen. Di<strong>es</strong>e brutale Vorgehensweise bildeteinen krassen Gegensatz zum Wirken Christi, der Krankheiten per Handauflegenmildtätig verschwin<strong>den</strong> läßt. Zwar gehört di<strong>es</strong>e Behandlungsmethode auch zu ihremRepertoire, wird aber gerne durch handf<strong>es</strong>tere Praktiken ergänzt. Im Alten T<strong>es</strong>tamentvermitteln die Psalmen die Botschaft, daß Schmerz „dem Menschen nicht nur dieRuhe raubt, sondern auch Heilung einleitet.“ 715 Der betont heftige Schmerz, der <strong>den</strong>Kranken von <strong>den</strong> Heiligen in ganz offensichtlich therapeutischer Absicht zugefügtwird, markiert deutlich <strong>den</strong> Beginn der Heilungsphase. Ein ähnlich<strong>es</strong> Heilkonzeptoffenbart sich in der Volksweisheit, daß Medizin bitter schmecken muß, damit siehilft.Zu <strong>den</strong> Wundern d<strong>es</strong> heiligen Óláfr zählt die Wiederherstellung d<strong>es</strong> schwermißhandelten Pri<strong>es</strong>ters Rikarðr. Das Ereignis ist B<strong>es</strong>tandteil aller überlieferten Sagasüber König Óláfr, inklusive Snorris Heimskringla. Grundlage der folgen<strong>den</strong>712 Matth. 22: 39.713 Sigurður Samúelsson 1998, 228.714 Fell 1999 [AUS VII 201], 48; Orri Vésteinsson 2000, 176.715 Scharbert 1955 [BBB 8], 183.217


Untersuchung di<strong>es</strong>er Stelle bildet die Heimskringla. Auf Abweichungen in <strong>den</strong>anderen Texten wird an gegebener Stelle eingegangen.Der Pri<strong>es</strong>ter Rikarðr wird von Einarr und seinen Leuten ergriffen und schwergefoltert:Darauf fuhren sie an einen geheimen Ort, dann baten sie <strong>den</strong> Knecht, ihmeinen Schlag mit dem Axthammer zu versetzen. Er schlug <strong>den</strong> Pri<strong>es</strong>ter, sodaß er bewußtlos wurde; und als er zu sich kam, sprach er: „warum wird mirjetzt so übel mitg<strong>es</strong>pielt?“ Sie antworteten: „obwohl keiner <strong>es</strong> dir sagt, sosollst du nun erfahren, was du getan hast“ – und trugen dann ihreB<strong>es</strong>chuldigungen vor. Er sagte, er sei unschuldig, bat Gott und <strong>den</strong> heiligenÓláfr, zwischen ihnen zu richten. Dann brachen sie ihm <strong>den</strong> Unterschenkel;dann zogen sie ihn zwischen sich in <strong>den</strong> Wald und ban<strong>den</strong> ihm die Hände auf<strong>den</strong> Rücken. Dann legten sie ihm ein Seil um <strong>den</strong> Kopf und ein Dielenbrettunter die Schultern und Kopf und bef<strong>es</strong>tigten einen Pflock mit Leine an demSeil. Dann nahm Einarr einen Stab und setzte ihn auf das Auge d<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>tersund sein Diener stand daneben und schlug mit der Axt darauf und das Augelief her<strong>aus</strong>, so daß <strong>es</strong> sofort hinunter auf <strong>den</strong> Bart spritzte; und dann setzte er<strong>den</strong> Stab auf das andere Auge und sprach zu dem Diener: „schlag etwasvorsichtiger“. Er tat wie ihm geheißen; dann rutschte der Stab vom Auge abund riß ihm das Augenlid weg. Danach nahm Einarr das Augenlid mit seinerHand und hielt <strong>es</strong> hoch und sah, daß der Augapfel dort war. Dann setzte er<strong>den</strong> Stab an der Wange auf und der Diener schlug dann und das Auge sprangauf <strong>den</strong> Wangenknochen hinunter, dort, wo er am höchsten war. Dannöffneten sie seinen Mund und ergriffen die Zunge und zogen sie her<strong>aus</strong> undschnitten sie ab, und danach lösten sie die F<strong>es</strong>seln an Hän<strong>den</strong> und Kopf. 716Die Szene fällt auf durch ihre detaillierte Schilderung übelster Gr<strong>aus</strong>amkeiten.Gleichzeitig wird vermie<strong>den</strong>, auf die Schmerzen d<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>ters Ridarðr genauereinzugehen. Gleich zu Anfang wird er durch <strong>den</strong> Schlag d<strong>es</strong> Axthammers bewußtlosund fällt auch während der Folterungen in Ohnmacht, wie sich im Anschlußher<strong>aus</strong>stellt:716 Þá fóru þeir í nôkkurn leyndan stað, þá báðu þeir verkmannin ljósta hann øxarhamarshøgg. Hannsló pr<strong>es</strong>t, svá at hann lá í svíma. En er hann vitkaðisk, mælti hann: „Hví skal nú svá hart við mikleika?“ Þeir svôruðu: „Þótt engi segi þér, þá skaltu nú finna, hvat þú hefir gôrt“ - báru síðan sakir áhendr honum. Hann synjaði ok mælti, bað guð skipta milli þeira ok inn helga Óláf konung. Síðanbrutu þeir sundr fótlegg hans. Þá drógu þeir hann milli sín til skógar ok bundu hendr hans á bak aptr.Síðan lôgðu þeir strengi at hôfði honum ok þilju undir herðar ok hôfuðit ok settu í sneril ok snøru atstrenginn. Þá tók Einarr hæl ok setti á augat pr<strong>es</strong>ti, ok þjónn hans stóð yfir ok l<strong>aus</strong>t á með øxi okhleypði út auganu, svá at þegar stôkk niðr á kampinn; en þá setti hann hælinn á annat augat ok mæltivið þjóninn: „Ljóstu mun kyrrara“. Hann gerði svá. Þá skauzk hællinn af augasteininum ok sleit fráhonum hvarminn. Síðan tók Einarr hvarminn með hendi sinni ok helt af upp ok sá, at augasteininn varþar. Þá setti hann hælinn við kinnina ut, en þjónninn l<strong>aus</strong>t þá, ok sprakk augasteinninn á kinnarbeinitniðr, þar er þat var hæst. Síðan opnuðu þeir munn hans ok tóku tunguna ok drógu út ok skáru af, ensíðan leystu þeir hendr hans ok hôfuð. Heimskringla (3), Haraldssona saga, 335 f. (BjarniAðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).218


Sobald er zu sich kam, kam <strong>es</strong> dazu, daß er die Augäpfel an ihren Platz unterdie Brauen legte und hielt sie dort mit bei<strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> f<strong>es</strong>t, so gut er konnte. 717Darüber hin<strong>aus</strong> wer<strong>den</strong> keine Angaben über seine Lei<strong>den</strong> gemacht. Sie schleppen ihnauf ihr Schiff und fahren zu einem Dorf, d<strong>es</strong>sen Bewohnern sie eine Nachrichtschicken, daß sie ihnen einen Pri<strong>es</strong>ter überlassen wollen. Während sie auf dieRückkehr d<strong>es</strong> Boten warten, t<strong>es</strong>ten sie seine Zungenfertigkeiten. Weil er <strong>den</strong>Zungenstumpf noch hin- und herbewegen kann, schnei<strong>den</strong> sie noch dreimal nach:Dann b<strong>es</strong>chnitten sie <strong>den</strong> Zungenstumpf mit einer Zange und zogen undschnitten zweimal von dort und ein dritt<strong>es</strong> Mal an der Zungenwurzel undließen ihn dort halbtot liegen. 718Auch jetzt wird Rikarðrs Befin<strong>den</strong> <strong>aus</strong>geklammert, trotz d<strong>es</strong> inhumanen Vorgehensvon Einarr. Erst nachdem er von einer armen Frau und ihrer Tochter aufgenommenund versorgt wor<strong>den</strong> ist, erfährt man genauer<strong>es</strong> über seinen subjektiven Zustand:Er lag dann, der verwundete Pri<strong>es</strong>ter, erbärmlich zugerichtet, fortwährend aufGott<strong>es</strong> Gnade hoffend und zog di<strong>es</strong>e nie in Zweifel; stumm betete er zu Gottin Gedanken und mit bekümmertem Herzen, je f<strong>es</strong>ter, d<strong>es</strong>to kränker er warund schickte seine Gedanken zu dem gütigen König, Óláfr dem Heiligen,Gott<strong>es</strong> Liebling und vorher hatte er viel über seine wunderbaren Taten sagenhören und glaubte d<strong>es</strong>to entschlossener an ihn mit ganzem Herzen für alleHilfe in seiner Not. Und als er dort lag, lahm und all seiner Kraft beraubt, daweinte er bitterlich und stöhnte, betete mit wundem Herzen zu di<strong>es</strong>emLiebling, König Óláfr, ihm beizustehen. 719Als er daraufhin nach Mitternacht einschläft, kommt im Traum ein Mann zu ihm, dersich im Nachhinein als König Óláfr her<strong>aus</strong>stellt. Óláfr ergreift <strong>den</strong> Zungenstumpfund reißt so f<strong>es</strong>t daran, daß <strong>es</strong> ihm weh tut. An di<strong>es</strong>er Stelle wird zum ersten Maldarauf eingegangen, daß ihm überhaupt etwas Schmerzen bereitet. Auch sein<strong>es</strong>tummen Gebete sind eher von Verzweiflung über die Situation als durch Schmerzgeprägt. Als einziger Hinweis auf körperlich<strong>es</strong> Leid kann sein Stöhnen gewertetwer<strong>den</strong>. Auffällig ist die unverhältnismäßige Verteilung der Schmerzthematisierung.717 Þegar er hann vitkaðisk, þá varð honum þat fyrir, at hann lagði augasteinana upp við brýnnar í staðsinn ok helt hann þar at báðum hôndum, sem hann mátti. Heimskringla (3), Haraldssona saga, 336(Bjarni Aðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).718 Síðan klýpðu þeir tungustúfinn með tông ok toguðu ok skáru tysvar þaðan frá ok í tungurótunum itþriðja sinn ok létu hann þar liggja hálfdauðan. Heimskringla (3), Haraldssona saga, 336 (BjarniAðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).719 Hann lá þá, inn sári pr<strong>es</strong>tr, aumliga búinn, vilnaðisk jafnan guðs miskunnar ok tortryggði þat aldri,bað guð máll<strong>aus</strong>s með hugrenningum ok sútfullu hjarta, því ôllu tr<strong>aus</strong>tara er hann var sjúkari, okrenndi huginum til þ<strong>es</strong>s milda konungs, Óláfs ins helga, guðs dýrlings, ok hafði hann áðr heyrt martsagt frá hans dýrðarverkum ok trúði því ôllu hvatara á hann af ôllu hjarta til allrar hjálpar í sínumnauðum. En er hann lá þar lami at ôllu megni numinn, þá grét hann sárliga ok stundi, bað með sárubrjósti þann dýrling, Óláf konung, duga sér. Heimskringla (3), Haraldssona saga, 336 (BjarniAðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).219


Zwar verliert Rikarðr unter Einarrs Mißhandlungen zweimal das Bewußtsein, aberüber Schmerz wird erst im Zusammenhang mit König Óláfr berichtet. Dabei dürfteihm das Her<strong>aus</strong>schnei<strong>den</strong> und dreimalige Nachsezieren der Zunge kaum wenigerweh getan haben als König Óláfrs Behandlung. Der Wortlaut im Quellentext stelltsich folgendermaßen dar:Und nach Mitternacht, da schlief der verwundete Pri<strong>es</strong>ter ein; da meinte ereinen prächtigen Mann zu sich kommen zu sehen und zu sich sprechen zuhören: „Schlimm bist du mitgenommen, Freund Rikarðr. Ich sehe, daß deineKraft im Moment nicht groß ist“. Er meinte, das zu bejahen. Da sprach di<strong>es</strong>erzu ihm: „Du hast Erbarmen nötig“. Der Pri<strong>es</strong>ter sagt: „Ich hätte das ErbarmenGott<strong>es</strong> und d<strong>es</strong> heiligen Königs Óláfr nötig.“ Er sagt: „Du sollst beid<strong>es</strong>haben“. Als nächst<strong>es</strong> ergriff er <strong>den</strong> Zungenstumpf und zog ihn so f<strong>es</strong>t an sich,daß <strong>es</strong> dem Pri<strong>es</strong>ter weh tat. Danach strich er ihm mit <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong> überAugen und Unterschenkel, dann über die anderen schmerzen<strong>den</strong> Glieder. 720In der „Legendarischen“ Óláfs saga hins helga wird die B<strong>es</strong>chreibung derMißhandlungen in geraffter Form präsentiert. Über die zweifache OhnmachtRikarðrs erfährt man nichts, auch die Passage d<strong>es</strong> stillen Gebet<strong>es</strong> an Gott liefertkeine weiteren Informationen. Dahingegen ist die Schmerzreaktion anläßlich KönigÓláfrs Therapie deutlich <strong>aus</strong>geprägter als in oben zitierter Passage:Und dann ergriff er die Zunge und zog die Zungenwurzel zu sich hin mit sogroßer Kraft, daß der Pri<strong>es</strong>ter rief und <strong>schrie</strong> und <strong>es</strong> nicht ertragen konnte. 721Der kürz<strong>es</strong>te Text befindet sich in der sog. Ält<strong>es</strong>ten Óláfs saga hins helga. Trotz dernur wenige Sätze umfassen<strong>den</strong> Darstellung der Begebenheit wird auf Schmerz an derentsprechen<strong>den</strong> Stelle nicht verzichtet:Da ergriff er <strong>den</strong> Zungenstumpf und zog so f<strong>es</strong>t daran, daß <strong>es</strong> ihm weh tat. 722Hier<strong>aus</strong> ergibt sich die Schlußfolgerung, daß Schmerz ein unabkömmlicherB<strong>es</strong>tandteil di<strong>es</strong><strong>es</strong> Wunders ist. Es fällt ferner auf, daß Óláfrs übrige Behandlungkeine Schmerzen bereitet.720 En eptir miðja nótt þá sofnaði pr<strong>es</strong>tr inn sári. Þá þóttisk hann sjá mann gôfugligan koma til sín okmæla við sik: „Illa ertu nú leikinn, Ríkarðr félagi. Sé ek, at eigi er nú máttrinn mikill“. Hann þóttisksanna þat. Þá mælti sá við hann: „Miskunnar ertu þurfi“. Pr<strong>es</strong>tr segir: „Ek þyrfta miskunnar guðsalmáttigs ok ins helga Óláfs konungs.“ Hann segir: „Þú skalt hafa ok“. Því næst tók hann tungustúfinnok heimti svá hart, at pr<strong>es</strong>tinum varð sárt við. Því næst strauk hann hendi sinni um augu honum ok umbein, svá um aðra limi, er sárir váru. Heimskringla (3), Haraldssona saga, 336 f. (BjarniAðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).721 Oc þa tok hann tõl tungunnar oc togaðe tõl úõn tungu rätrnar með úva mõklu mægnõ, at preútrennquað võð oc äpte oc fecc æõgõ þolat. Olafs saga hins helga, 97 (Johnsen 1922).722 þa tok hann i tungo|stufinn oc heimti sva hart at honom vard sart vid. Otte Brudstykker af <strong>den</strong>ældste Saga om Olav <strong>den</strong> Hellige, 14 18-20 (Storm 1893).220


Insg<strong>es</strong>amt läßt sich das Fazit ziehen, daß dreimalig<strong>es</strong> Abschnei<strong>den</strong> der Zunge keinenSchmerz zur Folge hat, der der <strong>aus</strong>drücklichen Erwähnung Wert wäre. Sobald jedochdas religiöse Element in Form d<strong>es</strong> heiligen König Óláfr hinzutritt, ändert sich dieSzenerie. Schmerz nimmt im Therapieg<strong>es</strong>chehen eine zentrale Stellung ein. D<strong>es</strong>sennarrative Funktion b<strong>es</strong>teht darin, <strong>den</strong> Beginn der Heilung zu markieren. Ab di<strong>es</strong>emZeitpunkt geht <strong>es</strong> g<strong>es</strong>undheitlich für Rikarðr nur noch bergauf. Kaiser äußert sichüber Therapiekonzepte in <strong>den</strong> Íslendingasögur folgendermaßen:Die Therapieversuche stammen […] nicht nur <strong>aus</strong> der Medizin, sondern auch<strong>aus</strong> der Magie, Zauberei und Volksheilkunde. Wichtig ist, daß die Therapiefür das Sagapublikum nachvollziehbar und – nach Annahme d<strong>es</strong>Christentums in Island – dem christlichen Glauben gemäß ist. 723Während Óláfrs Handauflegen sich durch<strong>aus</strong> mit <strong>den</strong> christlichenGlaubensvorstellungen deckt, wird di<strong>es</strong> bei der Therapie der Zungenverletzung nichtoffenbar. Er weicht hier vom Vorbild Christi ab, dem zu folgen seine Aufgabewäre. 724 Nach christlicher Auffassung ist der Weg in die Erlösung mit Leidgepflastert, aber die Erlösung von Leid g<strong>es</strong>chieht nicht durch das Zufügen weiterenLeid<strong>es</strong>. Am eh<strong>es</strong>ten läßt sich hier die altt<strong>es</strong>tamentarische Auffassung vermuten, daßSchmerz auch heilsam sein kann. Hinter Óláfrs Vorgehen steckt das Therapiekonzeptsimilia similibus curantur (Gleich<strong>es</strong> mit Gleichem heilen), wodurch sich Parallelenzum Volksglauben über Ätiologie und Therapie von Krankheiten ergeben. Esherrschte die Vorstellung, daß di<strong>es</strong>e nicht nur durch sog. Krankheitswichte(sykdomsvetter) 725 hervorgerufen, sondern auch geheilt wur<strong>den</strong>, „[…] <strong>den</strong>n in derTrollmedizin soll man Hilfe suchen, wo die Ursache zu fin<strong>den</strong> ist.” 726 Es galt dieParole: „du sollst geheilt wer<strong>den</strong> wie du zu Tode gekommen bist.” 727 Im Christentumist Gott nicht nur der Verursacher, sondern gleichzeitig auch der Erlöser vonSchmerz.In obigem Textbeispiel stellt der Schmerz d<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>ters überdi<strong>es</strong> ein physisch<strong>es</strong>Signal dar, welch<strong>es</strong> das stattgehabte Wunder anzeigt.Der „heilsame Schmerz“ zeigt sich auch in einzelnen Wunderheilungen GuðmundrArasons, die der Bischof zu Lebzeiten vollbracht haben soll. Per Fußtritt heilt er die723 Kaiser 1998, 101.724 Siehe Kaiser 1998, 80.725 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 46.726 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 46.727 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (1), 46.221


verkrüppelte Hand einer Frau. Der mit dem Tritt einhergehende Schmerz fungiert alsIndikator der nunmehr in Gang g<strong>es</strong>etzten Heilung:Von dort fuhr er ins Haukadal zu Árni Rotbart. Und am Abend, als er zu Bettging, wurde eine Frau zu ihm g<strong>es</strong>chickt, sein Bein zu kratzen. Sie hatte eineverkrüppelte Hand, so daß drei Finger in der Handfläche lagen. Aber als erdas Gefühl hatte, <strong>es</strong> würde zu sachte gekratzt, da trat er mit dem Fuß sehr f<strong>es</strong>tzu und die Ferse kommt an die Krümmung der Finger, die verkrüppelt warenund er tritt dorthin, so daß <strong>es</strong> ihr ein bißchen weh tut. Und wenige Nächt<strong>es</strong>päter kam sie zu ihm und zeigte ihm ihre g<strong>es</strong>unde Hand. Und alle danktenGott, die <strong>es</strong> sahen. 728Die Frau leidet an einer Dupuytren‘schen Kontraktur. Es handelt sich hierbei umeinegutartige, primär schmerzlose, knotige und strangförmige Fibromatose derHand, die zu einer Streckhemmung und gelegentlich zu einerAdduktionskontraktur der Finger, auch Abduktionskontraktur d<strong>es</strong>Kleinfingers führt. Bevorzugte Lokalisation: Hohlhand, Ringfinger,Kleinfinger, Mittelfinger, seltener Daumen und Zeigefinger.“ 729Die Krankheit ist höchstwahrscheinlich erblich. Wie <strong>aus</strong> dem Kontext hervorgeht,entspricht <strong>es</strong> nicht Guðmundrs Absicht, die Frau von ihrer Krankheit zu heilen.Vielmehr gibt er mit einem Fußtritt nonchalant zum Ausdruck, daß er mit ihrerArbeit unzufrie<strong>den</strong> ist. Da <strong>es</strong> sich jedoch um einen heiligen Fußtritt handelt, erweister sich als segensreich. Er tut der Frau zwar weh, kuriert sie aber von ihrem Lei<strong>den</strong>.Ohne di<strong>es</strong>en Schmerz würde die gerade eingeleitete Wunderheilung nicht ersichtlich.Er übernimmt somit eine wichtige Funktion innerhalb di<strong>es</strong>er Episode. Die Szene hatüberdi<strong>es</strong> noch einen überraschen<strong>den</strong> Nebenaspekt. Sie führt einen Guðmundr vor,d<strong>es</strong>sen jähzornig<strong>es</strong> Verhalten nicht mit dem im Einklang steht, was man heutzutageunter Heiligkeit versteht. Als die Frau ihre Arbeit nicht zu seiner Zufrie<strong>den</strong>heit<strong>aus</strong>führt, tritt er sie. Di<strong>es</strong>er Widerspruch war bei der Niederschrift der Sagaanscheinend nicht vorhan<strong>den</strong>. Di<strong>es</strong> könnte darauf schließen lassen, daßGewaltanwendung in der mittelalterlichen isländischen G<strong>es</strong>ellschaft einen insg<strong>es</strong>amtanderen Stellenwert b<strong>es</strong>aß. Noch deutlicher wird der Handlungsverlauf in der728 Þaðan for hann i Hav[ka-]dal til Arna ravðscegs. Oc vm qvelldit, er hann com i hvilo, var fenngintil kona at kla fot hans. Hon var hanðmeidð, sva at III fingrnir lagv i lofa. Enn er honum þotti of kyrtklgit, þa spyrnir hann við fætinvm miok hart, oc kemr hllinn i bvg fingrana þeira, er kreptir voro, okspyrnir hann þar í, svá at henni verðr sárt við nÄkkut. Enn fam nottvm siðarr kom hon a fvnd hans ocsyndi honum hond sina hila, oc þockoðv allir gvði, þeir er sa. Pr<strong>es</strong>tssaga Guðmundar Arasonar, 228(Kålund 1906-1911 (1)).Siehe auch Guðmundar saga Arasonar, 110 (Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).729 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachg<strong>es</strong>ellschaften 2001.222


Guðmundar saga Arasonar von Abt Brandsson. Di<strong>es</strong>er b<strong>es</strong>chreibt zusätzlich, daßGuðmundr <strong>den</strong> ihm angebotenen Dienst anfangs eigentlich gar nicht wünscht:Ein ander<strong>es</strong> Mal ereignete sich das, daß im Rahmen d<strong>es</strong> liebevollenEmpfangs bei seinem B<strong>es</strong>uch eine Frau b<strong>es</strong>chafft wurde, sein Bein zukratzen, als er zu Bett ging. Und obwohl er nicht auf so etwas drängte, sowollte er <strong>es</strong> doch wegen seiner Gemütsruhe nicht ablehnen, weil die Liebe<strong>den</strong> Dienst forderte. Di<strong>es</strong>e Frau hatte eine für Arbeit untaugliche Hand, weildrei Finger verkrüppelt in der Handfläche lagen. Und als sie kratzt, scheint <strong>es</strong>Herrn Guðmundr, daß sie zu zaghaft arbeite und tritt mit dem Fuß inRichtung Fußstütze. Die verkrüppelten Finger kommen dazwischen, so daßdie Ferse die Krümmung trifft, direkt auf die Sehne, die gezogen hatte. Aberdie Schmerzen, die die Frau hierdurch verspürte waren <strong>es</strong> ihrer Meinung nachwert, <strong>den</strong>n innerhalb weniger Tage sind alle Finger vollständig gerade,[…]. 730Guðmundr heilt auch einen Diakon von einer G<strong>es</strong>chwulst am Kopf. Während einerM<strong>es</strong>se lieg sein Ellenbogen auf der erkrankten Stelle. Wiederum übernimmt derhierdurch <strong>aus</strong>gelöste Schmerz die Aufgabe, heilende Wirkung zu signalisieren:Selbiger Diakon hatte eine G<strong>es</strong>chwulst an seinem Kopf. Und einmal, als erbei der M<strong>es</strong>se unterhalb der Arme d<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>ter Guðmundr stand, lag seinEllenbogen auf der G<strong>es</strong>chwulst und das tat ihm sehr weh. Aber als die M<strong>es</strong>se<strong>aus</strong> war, fühlte er die G<strong>es</strong>chwulst nicht mehr. 731Die „Behandlung“ erfolgt wie zuvor bei der Frau ohne Vorwarnung. Hierinunterschei<strong>den</strong> sich di<strong>es</strong>e bei<strong>den</strong> Beispiele von <strong>den</strong> „gewöhnlichen“Wunderheilungen: die Betroffenen haben nicht um Hilfe gebeten. Guðmundr wirdzwar therapeutisch tätig, verhält sich aber nicht gemäß dem ärztlichenVerhaltenscodex. Ein Arzt wird mit Ausnahme akuter Notsituationen nicht aufeigene Initiative tätig. Der Patient muß selbst um Hilfe nachsuchen und seineEinwilligung in eine Therapie geben. In <strong>den</strong> hier vorg<strong>es</strong>tellten Beispielen heiltGuðmundr jedoch nicht als Arzt, sondern zufällig und Kraft seiner Heiligkeit. EineBerührung mit ihm genügt und Krankheiten verschwin<strong>den</strong>. Die Ähnlichkeit mitbiblischen Wunderheilungen ist mit Sicherheit beabsichtigt. Die Episode mit dem730 Í annan tíma var þat, at í blíðum viðrtektum hans gistíngar var fengin til kona nökkur at klá fóthans, er hann kom í sæng; en þó at hann fýsti eigi þvílíks, vildi hann sakir hógveri eigi neita, síðanástin beiddi þjónustu. Kona sú hafði vanfæra hönd til vinnu, þvíat þrír fingr lágu krepptir í lófa; en erhún klær, líkir sira Guðmundi þat sem honum þykki hún ofkyrt vinna, ok spyrnir fætinum atfótafjölinni; verða þar í millum þeir krepptu fingr, svá at hællinn kemr í buginn, rètt á þá sin, semdregit hafði; en í móti þeim sárleika, er konan kendi hèr af, finnr hún þat verðkaup, at innan fárra náttaeru þeir sömu fingr alrèttir; […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 29(Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).731 Sa inn sami diacnn hafdi svll i havfdi ser; oc eitt sinn er hann stoð vndir hondvm Guðmundi pr<strong>es</strong>ti im<strong>es</strong>so, oc la olbogi hans a svllnvm, oc varð honum sart við miok; enn er svngin var m<strong>es</strong>sann, kenðihann hvergi svllsins. Pr<strong>es</strong>tssaga Guðmundar Arasonar, 230 (Kålund 1906-1911 (1)).Siehe auch Guðmundar saga Arasonar, 114 (Stefán Karlsson 1983 [EA B 6]).223


Diakon findet sich in Variation bei Abt Brandsson, doch das Zufallselement bleibterhalten:Ein dritt<strong>es</strong> Mal, als er Gott<strong>es</strong>dienst abhielt, steht sein Diakon bei ihm, der einegroße G<strong>es</strong>chwulst mitten auf dem Kopf hatte. Und als das officio kommt, sodaß Herr Guðmundr seine g<strong>es</strong>egneten Hände emporhebt, trifft der eineUnterarm direkt die Mitte der G<strong>es</strong>chwulst d<strong>es</strong> Geistlichen, so daß er bei derBerührung große Schmerzen empfindet, aber wenig später wur<strong>den</strong> si<strong>es</strong>chwächer, so daß noch nicht einmal eine Stunde verging, ehe er von derPeinigung dort nichts mehr spürte. Er berichtete seinem Meister über di<strong>es</strong>eAngelegenheit und dort kam wie gewohnt taubengleiche Einfalt undDankbarkeit gegenüber dem höchsten Gott zurück. 73212.5 Schmerz in <strong>den</strong> Krankeng<strong>es</strong>chichten der ByskupasögurDie Byskupasögur enthalten eine große Anzahl Berichte über wunderbare Heilungendiverser Krankheiten oder Verletzungen. Die meisten fin<strong>den</strong> sich in <strong>den</strong>Wunderbüchern (Jarteinabækur), <strong>den</strong> Sammlungen über das wunderbare Wirkeneinzelner Bischöfe. Inhaltlich geht <strong>es</strong> sowohl um die Heilung krankhafter Zuständedurch Bischöfe oder Reliquien als auch um Krankheitsentstehung <strong>aus</strong> christlicherSicht. Die Fallbeispiele erinnern in ihrem Aufbau an das Schmerzmuster im„deuteronomistischen G<strong>es</strong>chichtswerk“ 733 d<strong>es</strong> Alten T<strong>es</strong>tament<strong>es</strong>. Nach Mißachtungvon Gott<strong>es</strong> G<strong>es</strong>etz schreien die Betroffenen im Schmerz oftmals „zu Jahwe umErbarmen und Hilfe. […] Dadurch wird Jahwe b<strong>es</strong>änftigt und zum Mitleid bewogen;er schickt Tröster und Helfer in G<strong>es</strong>talt von kraftvollen Männern, welche dasSchicksal wen<strong>den</strong>.“ 734 Es ergibt sich dar<strong>aus</strong> das Schema: „Strafe für Untreue –Seufzen und Aufschrei zu Gott – Verzeihung und Hilfe.“ 735 In di<strong>es</strong>emZusammenhang hat Schmerz nicht nur „reinen Straf-, sondern auchGna<strong>den</strong>charakter.“ 736 Zwar gilt nach Scharbert di<strong>es</strong>e „einfache Theologie d<strong>es</strong>732 Í þriðja tíma, sem hann flutti guðs embætti, stendr djákn hans hjá honum, er hafði mikinn sull ímiðju höfðinu; en er þar kemr officio, at sira Guðmundr hefr upp sínar blezuðu hendr eptir upphaldit,mætir annarr handleggrinn rètt miðjum sullinum klerksins, svá at í ákvámunni verðr honum mjök sárt,en litlu síðarr varð því linara, því at aldri nè eina stund upp frá því kendi hann þar meinlætis af; tjáðihann meistara sínum þenna hlut, en þar kom í móti eptir vana dúfuligt einfeldi ok þakklæti við hinnhæsta guð. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 29 (Guðbrandur Vigfússon& al. 1878).733 Brockh<strong>aus</strong> 1995, 707: Deuteronomistisch<strong>es</strong> G<strong>es</strong>chichtswerk: „[…] <strong>aus</strong> der Mitte d<strong>es</strong> 6. Jh.s v. Chr.stammende Darstellung der G<strong>es</strong>chichte Israels von der Landnahme bis zur BabylonischenGefangenschaft.734 Scharbert 1955 [BBB 8], 145 f.735 Scharbert 1955 [BBB 8], 146.736 Scharbert 1955 [BBB 8], 146.224


Schmerz<strong>es</strong>“ in b<strong>es</strong>onderem Maße „für <strong>den</strong> ‚deuteronomistischen Rahmen‘“. 737 Doch„daß der Zorn der Gottheit b<strong>es</strong>änftigt oder ihr Mitleid erregt wird, wenn Menschen inihrem Schmerz zu ihr schreien, ist die Überzeugung aller echten Religionen.“ 738 Indi<strong>es</strong>em Zusammenhang bemerkt Scharbert treffend, daß <strong>es</strong> ja nur dann überhauptSinn mache, sich an Gott zu wen<strong>den</strong>, „wenn man glaubt, daß di<strong>es</strong>er sich dadurchbeeinflussen läßt.“ 739Die Wunder der Byskupasögur sind analog aufgebaut:Einleitend wird anhand einer kurzen Anamn<strong>es</strong>e das g<strong>es</strong>undheitliche Problemb<strong>es</strong>chrieben. Entweder am Anfang oder am Ende der G<strong>es</strong>chichte wird oft einHinweis gegeben auf einen Verstoß gegen Gott<strong>es</strong> G<strong>es</strong>etz. Anders als bei Sagas, dieüberwiegend dem Verhaltenscodex der Hel<strong>den</strong> unterliegen, wird auchSchmerzverhalten darg<strong>es</strong>tellt. D<strong>es</strong>sen narrative Funktion ist offensichtlich: j<strong>es</strong>chlimmer das Leid, d<strong>es</strong>to größer das Wunder. Im weiteren Verlauf wird ein Heiligerum Hilfe gebeten, oft verbun<strong>den</strong> mit einem Eid. Inhalt di<strong>es</strong>er sich großer Beliebtheiterfreuen<strong>den</strong> Eide ist das Versprechen einer Gegenleistung für <strong>den</strong> Fall derG<strong>es</strong>undung. 740 In <strong>den</strong> allermeisten Fällen ist der Heilige bereit, zu helfen; alternativentfalten eine Reliquie, Weihwasser, Salbe, etc. ihre wunderbare Wirksamkeit. DieWunder dienen als Belege der Heiligkeit ein<strong>es</strong> Bischofs. Letztlich ist di<strong>es</strong>er einVertreter Christi, wie Kaiser formuliert:Das Anliegen der Sagaautoren ist <strong>es</strong>, das mittelalterliche Sagapublikumdavon zu überzeugen, daß Christus als ‚summus medicus’ über allenweltlichen Ärzten steht und daß die christliche Lehre d<strong>es</strong>halb auch jedermedizinischen Therapie überlegen ist. 741Die Byskupasögur unterstützen damit auch der F<strong>es</strong>tigung d<strong>es</strong> Christentums, <strong>den</strong>n sievermitteln, daß der Glaube an Gott und die Heiligen Krankheiten kurieren kann.Kaiser bezeichnet di<strong>es</strong> als „Heilmagie“:Bei der Heilmagie bedarf <strong>es</strong> keiner Therapeutika, <strong>den</strong>n Christus und seinedurch ihn zur Heilung befähigten irdischen Vertreter fungieren als ‚medicus’und ‚medicamentum’ zugleich. […] Heilkunde ist […] verknüpft mitHeilskunde und versteht sich als Verherrlichung Gott<strong>es</strong> vor dem Hintergrundchristlichen Weltverständniss<strong>es</strong>. 742737 Scharbert 1955 [BBB 8], 146.738 Scharbert 1955 [BBB 8], 205.739 Scharbert 1955 [BBB 8], 205.740 Siehe auch Kapitel 5.2.1 Religiös<strong>es</strong> Leben bis zum Ende d<strong>es</strong> Freistaat<strong>es</strong>.741 Kaiser 1998, 79.742 Kaiser 1998, 89.225


Wichtig ist in di<strong>es</strong>em Zusammenhang, daß Heilexempel an Durchschnittsmenschenstatuiert wer<strong>den</strong>. Volksnähe ist wichtig, damit jeder sich in <strong>den</strong> Wundernwiederentdecken kann. Es soll das Gefühl vermittelt wer<strong>den</strong>, man könne inNotsituationen auf die Hilfe Gott<strong>es</strong> und der Heiligen bauen. Dementsprechend findetman in <strong>den</strong> Byskupasögur mehr Beispiele zu Schmerz bei Frauen und Kindern alsirgendwo anders in der untersuchten Sagaliteratur. Meyer rückt <strong>den</strong> Glauben anWunderheilungen in die Nähe d<strong>es</strong> Aberglaubens. Ihr „practischer Werth“ liege darin,„auch bei spätern [sic!] Generationen eine hohe Bedeutung zu sichern.“ 743In der Guðmundar saga Arasonar eftir Arngrím ábóta Brandsson wird überein Mädchen berichtet, das schreckliche Bauchschmerzen bekommt, nachdem <strong>es</strong>Wasser getrunken hat:[…]; ihre Mutter geht zum Brunnen und trägt Wasser ins H<strong>aus</strong> und gab ihrdavon und die Jüngere trank. Nach kurzer Zeit schreit sie laut und als dieMutter das hört, fragt sie, was los sei. Die junge Frau antwortet: michschneidet von innen so schmerzhaft, sagt sie, daß ich weiß, daß etwas sehrUnrein<strong>es</strong> im Wasser gew<strong>es</strong>en ist. Mit di<strong>es</strong>en Worten preßt sie sich die Händeauf <strong>den</strong> Bauch, so f<strong>es</strong>t sie kann, und wälzt sich von einer Seite auf die andereund schreit vor Schmerzen. 744Die Passage zeigt beispielhaft <strong>den</strong> großen Unterschied zu <strong>den</strong> zuvor analysiertenSchmerzschilderungen der weniger christlich geprägten Literatur, die das nordischeHel<strong>den</strong>ideal zum Vorbild haben. Das Mädchen zeigt <strong>aus</strong>geprägt<strong>es</strong> Schmerzverhalten:sie hält sich <strong>den</strong> Bauch, wälzt sich hin und her und schreit. Mit präzisen Wortenb<strong>es</strong>chreibt sie bildhaft ihren Schmerz. In di<strong>es</strong>em Zusammenhang gebraucht sie dasselten verwendete Verb skera (= schnei<strong>den</strong>). Ang<strong>es</strong>ichts ihrer kläglichen Lage machtsie <strong>den</strong> Vorschlag, <strong>den</strong> guten Bischof Guðmundr um Hilfe zu bitten. Gleichzeitigschwört sie mit ihrer Mutter einen Eid:Meine Mutter, sagt sie, laß uns <strong>den</strong> guten Bischof Guðmundr anrufen! – undsie tun <strong>es</strong> so und schwören <strong>den</strong> Eid, daß sie beide bei der ersten Gelegenheitnach Hólar gehen wer<strong>den</strong> und dort ein Öre Stoff geben und ein paarmal dasVaterunser sprechen. 745743 Meyer 1884, 149.744 […]; móðir hennar gengr til brunns, ok berr inn vatnið ok gaf henni, en in ýngri drakk. Eptir lítinntíma æpti hún hátt, ok er móðirin heyrir þat, spyrr hún hverju gegni. Únga kona svarar: mik skerrinnan svá sárt, segir hún, at ek veit, at nokkut hefir verit í vatninu mjök úhreint. Meðr þ<strong>es</strong>sum orðumheldr hún at sèr höndunum sem fastast, ok veltir sèr á ymsar hliðar ok æpir mjök sárt. SagaGuðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 171 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).745 Móðir mín, segir hún, heitum við á hinn góða Guðmund byskup! – ok þær gera svá með föstu heiti;at þær báðar skulu ganga til Hóla sem fyrst verða þær liðugar, gefa eyri söluvoðar ok nökkurumsinnum Pater noster. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 171(Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).226


Als die Tochter daraufhin anfängt zu erbrechen, wird Licht gemacht und dasErbrochene nach Parasiten untersucht. Bereits zuvor hat die Tochter ihren Zustandmit dem Wasser in Verbindung gebracht. Da die bei<strong>den</strong> nicht zuerst an eineVergiftung <strong>den</strong>ken, könnte man schließen, daß parasitäre Erkrankungen häufigerwaren:Und als das getan ist, wird dem Mädchen übel und <strong>es</strong> setzt stark<strong>es</strong> Erbrechenein und als Licht herbeigetragen wird, wird genau<strong>es</strong>tens untersucht, ob sichein Lebew<strong>es</strong>en in dem befände, was sie hinaufbefördert hatte und <strong>es</strong> wurdeüberhaupt nichts gefun<strong>den</strong>. Danach machte ihre Mutter <strong>es</strong> ihr bequem, weildas Mädchen sehr kraftlos und in schlechtem Zustand war. So liegt sie biszum Abend […]. 746Die Nacht über wacht die Mutter bei ihr. Mittlerweile sind die anfänglichenB<strong>es</strong>chwer<strong>den</strong> verschwun<strong>den</strong> und die Schmerzen haben sich vom Bauch in die Brustverlagert. Als sie schließlich einschläft, kommt im Traum der Bischof zu ihr:Das Mädchen sagt, daß sie große Schmerzen in der Brust habe, das Schnei<strong>den</strong>aber nicht mehr zu spüren meine, seit sie sich übergeben habe. Und im Laufeder Nacht schläft sie ein. Im Traum erscheint ihr ein edler Mann in dunklemMeßgewand mit leuchtendem Antlitz […]. 747Von ihm erfährt sie, daß sie ihren Zustand selbst verschuldet habe. Da sie vor demTrinken nicht das Kreuz über dem Wasser g<strong>es</strong>chlagen habe, hätte sie eine„Wasserschlange“ verschluckt:[…], er spricht so: die dir nah<strong>es</strong>tehen<strong>den</strong> Menschen wundern sich sehr überdeine Krankheit, aber sie befiel dich verdientermaßen wegen derUnachtsamkeit, die du auf vielerlei Weise gezeigt hast und sieh nur, was füreinen Gast du aufgenommen hast. Er streckte <strong>den</strong> Arm <strong>aus</strong> und zeigte ihr eineWasserschlange, die in seiner Handfläche lag. Die Schlange wollte zu ihr hinkriechen, aber di<strong>es</strong>er hervorragende Arzt ritzte einen Ring mit dem Finger aufseine Handfläche und die Schlange schlängelte sich innerhalb d<strong>es</strong>selben undtraute sich nicht, <strong>den</strong> Ring zu verlassen. Di<strong>es</strong>er spricht so: d<strong>es</strong>halbverschluckt<strong>es</strong>t du di<strong>es</strong>e Schlange, weil du das Kreuzzeichen vergaß<strong>es</strong>t unddich nicht davon überzeugt<strong>es</strong>t, was dir gereicht wurde, als du im Dunkelnnichts sehen konnt<strong>es</strong>t; […]. 748746 Ok sem þat er gjört, leggst stúlkunni fyrir brjóst, ok setr at henni spýju mikla, ok sem ljós er tilborit, ok leitað sem gjörst, ef nökkut fyndist kvikt í því, er hún upp seldi, ok fannst þat meðr engumóti. Eptir þetta leitaði móðirin henni hæginda, þvíat stúlkan var þá mjök meginl<strong>aus</strong> ok lítt haldin;liggr hún þannveg þar til um kveldit […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrímábóta, 171 f. (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).747 Mærin segir, at hún hefir mikinn sárleik fyrir brjóstinu, en þykkist ei kenna skurðarins síðan er húnspjó. Ok sem á leið nóttina sofnar hún; í þeim [svefni] birtist henni tíguligr maðr í dökkri kórkápu meðbjartri ásjónu […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 172 (GuðbrandurVigfússon & al. 1878).748 […], hann talar svá: mjök undra nálægir menn krankdóm þinn, en hann kom þèr til makliga sakirgáleysis, er þú hefir á margan hátt, en sjá nú, hvern g<strong>es</strong>t þú hefir viðtekit. Hann rétti fram höndina, oksýndi einn vatnorm, er lá í hans lófa. Ormrinn vildi hrökkvast til hennar, en þ<strong>es</strong>si hinn ágæti læknir227


Guðmundr legt schließlich seine Hände auf die schmerzende Stelle und löst sichanschließend in Luft auf. Als das Mädchen erwacht, ist sie g<strong>es</strong>und. Späterunternehmen Mutter und Tochter die versprochene Wallfahrt nach Hólar:Danach legt er seine Hände auf ihren Körper, dort, wo <strong>es</strong> am meisten weh tat.Als das beendet war, verschwand er vor ihren Augen, aber sie erwachte mitFreude und sagte <strong>es</strong> ihrer Mutter und vielen anderen und alle lobten Gott. 749Laut Reichborn-Kjennerud war <strong>es</strong> im Mittelalter eine weitverbreitete Ansicht, daßSchlangen Menschen parasitieren, wenn sie dazu die Gelegenheit erhalten. 750Mehrere nordische Werke der Heilkunde <strong>aus</strong> di<strong>es</strong>er Zeit geben Ratschläge, was indi<strong>es</strong>en Fällen zu tun sei. Di<strong>es</strong>er Volksglaube ist im Nor<strong>den</strong> bis ins 20. Jahrhunderthinein lebendig geblieben. Reichborn-Kjennerud führt eine G<strong>es</strong>chichte an, die 1921als „Ente“ durch die norwegische Tag<strong>es</strong>pr<strong>es</strong>se ging: Eine junge Frau hätte sich imWald schlafen gelegt und träumte, sehr durstig zu sein und Wasser zu trinken.Unmittelbar danach erwachte sie mit starken Magenschmerzen und wurde schließlichins Rikshospitalet eingeliefert und dort geröntgt. Zur großen Überraschung erblickteman in ihrem Magen eine Kreuzotter, die <strong>es</strong> sich dort bequem gemacht hatte. Sie wardurch nichts hervorzulocken, so daß die Ärzte ratlos waren. Einmal hätte sich dasTier so weit vorgewagt, daß sein Kopf sichtbar wurde. Man hätte <strong>es</strong> aber nichtgreifen können. Kurz darauf, so Reichborn-Kjennerud, sei das Rikshospitalet mitBriefen überschüttet wor<strong>den</strong>. Aus allen Teilen d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> schickten die LeuteBerichte über ähnliche Beobachtungen oder Behandlungsratschläge. Im Nachhineinerwi<strong>es</strong> sich die „Kreuzotter“ als Spulwurm, <strong>den</strong> man im Krankenh<strong>aus</strong> in Drammenanläßlich einer Blinddarmoperation gefun<strong>den</strong> hatte. 751 Der Spulwurm (Ascarislumbricoid<strong>es</strong>) ist ein häufiger Parasit d<strong>es</strong> Menschen. Weltweit sind schätzungsweiserund eine Milliarde Personen infiziert. 752 Seine Eier wer<strong>den</strong> auf dem fäkal-oralenÜbertragungsweg in <strong>den</strong> Körper aufgenommen. Die Larven schlüpfen im Darm,reist einn hring í lófa sèr með fingrinum, ok hröktist ormrinn þar innan í, en þorði alldri á at ráðahringinn. Þ<strong>es</strong>si talar þá: því gleyptir þú þenna orm at þú gleymdir krossmarki ok gjörðir þat eigi fyrirþèr, þar er þú máttir ekki sjá í myrkrinu, hvat er þèr var borit; […].” Saga Guðmundar Arasonar,Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 172 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).749 Eptir þetta leggr hann sínar hendr á hennar líkam, þar sem sárastr var. At þ<strong>es</strong>su lyktuðu hvarf hannaf hennar augsýn, en hún vaknaði með feginleik, ok sagði mæðr sinni ok mörgum öðrum, ok lofuðuallir guð. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 172 (Guðbrandur Vigfússon& al. 1878).750 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 64 ff.751 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 65.752 Liu & Weller 1998, 1208.228


durchdringen die Darmwand und gelangen über das Pfortadersystem der Leber bis indie Lunge. Über die Bronchien wandern sie zur Speiseröhre, wo sie g<strong>es</strong>chlucktwer<strong>den</strong> und schließlich im Dünndarm zu g<strong>es</strong>chlechtsreifen Tieren heranwachsen.Dort legen die <strong>aus</strong>gewachsenen Spulwürmer bis zu 240.000 Eier täglich, die ihr Wirtmit dem Stuhl <strong>aus</strong>scheidet. Der Kreislauf beginnt von neuem. Spulwürmer erreicheneine Länge von bis zu 40 cm und können <strong>aus</strong> di<strong>es</strong>em Grund von entsetztenBeobachtern leicht für Schlangen gehalten wer<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n die Tiere sindunternehmungslustig. Auf ihren „Entdeckungsreisen“ gelangen sie mitunter bis in dieobersten Etagen d<strong>es</strong> Gastroint<strong>es</strong>tinaltrakt<strong>es</strong>. Dann kann so ein Wurm schon maldurch Mund oder Nase her<strong>aus</strong>schauen (wie im Zeitungsbericht b<strong>es</strong>chrieben). Haltensich bei schweren Infektionen viele Würmer im Magen auf, können Bauchschmerz,Übelkeit und Erbrechen die Folge sein. Di<strong>es</strong> gilt b<strong>es</strong>onders für Kinder. ImErbrochenen findet sich meist ein Knäuel Würmer (siehe obig<strong>es</strong> Textbeispiel: Mutterund Tochter untersuchen das Erbrochene sorgfältig auf Parasiten). 753 DieBezeichnung „Wasserschlange“ im Sagatext ergibt sich <strong>aus</strong> dem Volksglauben,Schlangen müßten viel trinken und hielten sich daher im Wasser auf. 754Gleich im Anschluß an obige Passage verschluckt eine andere Frau eineWasserschlange:[…], und im Schlucken meinte sie zu spüren, wie sie ein Haar oder eine ArtStrohhalm zusammen mit dem Wasser verschluckte. 755Die wenig später einsetzen<strong>den</strong> Magenschmerzen wer<strong>den</strong> <strong>aus</strong>führlich b<strong>es</strong>chrieben:Und im Frühling nach Ostern fühlte sie, daß sie von innen g<strong>es</strong>tochen wurde,wie wenn man sich selbst mit einer Nadelspitze ins Fleisch sticht, […]. IhreKrankheit verschlimmerte sich mit brennen<strong>den</strong> Qualen und schmerzhafterPein und ihr Körper schwoll so sehr an, daß sie <strong>aus</strong>sah, als sei sie mitZwillingen schwanger. Sie wurde auf kläglichste Weise von inneng<strong>es</strong>chnitten als sie fastete und am eh<strong>es</strong>ten schien ihr Linderung zuverschaffen, indem sie so oft wie möglich trank. 756753 Liu & Weller 1998, 1208 f.754 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (2), 66.755 […], ok í sylgnum þóttist hún kenna þvílíkt, sem hún gleypti hár eða nokkurs háttar strá meðvatninu. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 173 (Guðbrandur Vigfússon& al. 1878).756 Ok eptir páska um várit fann hún með sèr, at hún var stúngin innan, því líkast sem þá er maðrpikkar sjálfs síns kjöt með nálarodd, […]. hennar þ<strong>es</strong>si krankleiki vex með svíðandi kvöl ok sárligripínu, ok hennar líkami þrútnar svá, at hún hafði digrleika til þótt hún gengi með tveimr börnum; þávar hún hörmuligast innan skorin er hún fastaði, en helzt þótti henni til linanar at drekka sem optast.Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 173 (Guðbrandur Vigfússon & al.1878).229


Ihr Pri<strong>es</strong>ter betet daraufhin zu Gott und Bischof Guðmundr, gibt ihr„Knochenwasser“ d<strong>es</strong> Bischofs zu trinken; zusätzlich leistet sie einen Eid. Daraufhinerbricht sie die Wasserschlange unter großen Qualen:[…], spürt sie, wie sich etwas unter großen Schmerzen die Kehleheraufdrängt, so daß sie Blut erbricht. Und als der Pri<strong>es</strong>ter das sieht, nimmt ermit seinem Finger von ihrer Kehle die Wasserschlange weg, die <strong>aus</strong> ihrgeboren wurde, von der Größe wie ein kleiner Lachs eine Spanne lang. Siehatte sowohl einen Bug als auch einen Schwanz. 757Auch an anderer Stelle ist von Schlangen in <strong>den</strong> Eingewei<strong>den</strong> die Rede. In di<strong>es</strong>emZusammenhang soll näher auf die Christianisierungsmetho<strong>den</strong> König ÓláfrTryggvasons eingegangen wer<strong>den</strong>. Als der heidnische Häuptling Rauðr sich nichttaufen lassen will, läßt er ihn mittels einer Kreuzotter gr<strong>aus</strong>am zu Tode foltern:Rauðr weigerte sich, sagt, daß er niemals an Christus glauben werde undlästerte Gott in übler Weise. Der König wurde da böse und sagte, Rauðr solle<strong>den</strong> schlimmsten Tod erlei<strong>den</strong>. Dann ließ der König ihn ergreifen und mitdem G<strong>es</strong>icht nach oben auf einen Balken bin<strong>den</strong>, ließ ihm ein Holzstückzwischen die Zähne setzen und so <strong>den</strong> Mund öffnen. Dann ließ der Königeine Kreuzotter nehmen und an seinem Mund tragen, aber die Schlangewollte nicht in <strong>den</strong> Mund und kroch davon, weil Rauðr gegen sie bli<strong>es</strong>. Daließ der König ein Rohr <strong>aus</strong> einem Engelwurzstengel nehmen und Rauðr in<strong>den</strong> Mund stecken – aber manche Leute sagen, daß der König sein Kriegshornnehmen und ihm in <strong>den</strong> Mund stecken ließ – und ließ die Schlange dorthineinsetzen und mit einer glühen<strong>den</strong> Eisenstange her<strong>aus</strong>treiben. DieSchlange kroch da in Rauðrs Mund und dann in <strong>den</strong> Hals und schnitt sich <strong>aus</strong>seiner Seite wieder her<strong>aus</strong>; Rauðr ließ dort sein Leben. 758Ang<strong>es</strong>ichts solch barbarischer Metho<strong>den</strong> stellt sich die Frage nach ÓláfrTryggvasons christlicher Moral. Am eh<strong>es</strong>ten scheint sie dem Alten T<strong>es</strong>tament zuentstammen, das das Konzept ein<strong>es</strong> strafen<strong>den</strong> Gott<strong>es</strong> vertritt. 759 Scharbert bemerktin Bezug auf die nachexilischen G<strong>es</strong>chichtsbücher d<strong>es</strong> Alten T<strong>es</strong>tament<strong>es</strong>:Der Schmerz der Gottlosen hat keinerlei Heilsbedeutung, sondern trägt reinenStrafcharakter. In Chr b<strong>es</strong>teht ähnlich wie in Kg die Strafe für die gottlosen757 […], þykkir henni nökkvat þröngvast upp í kverkrnar með miklum sárleik, svá at hún spýr blóði.En er pr<strong>es</strong>trinn sèr þat, tekr hann með sínum fingrum bröt af hennar kverkum þann vatnorm, er meðhenni fæðzt hafði, á vöxt sem lítill silúngr spannar langr; hann hefir bæði bægsl ok sporð. SagaGuðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 173 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).758 Rauðr œpði á móti því, segir, at aldri skyldi hann á Krist trúa, ok guðlastaði mjôk. Konungr varð þáreiðr ok sagði, at Rauðr skyldi hafa inn versta dauða. Þá lét konungr taka hann ok binda opinn á sláeina, lét setja kefli á millum tanna honum ok lúka svá upp munninn. Þá lét konungr taka lyngorm einnok bera at munni honum, en ormrinn vildi eigi í munninn ok hrøkkðisk frá í brot, því at Rauðr blés ímóti honum. Þá lét konungr taka hvannjólatrumbu ok setja í munn Rauð – en sumir menn segja, atkonungr léti lúðr sinn setja í munn honum – ok lét þar í orminn, lét bera útan at slájárn glóanda.Hrøkkðisk þá ormrinn í munn Rauð ok síðan í hálsinn ok skar út um síðuna. Lét Rauðr þar líf sitt.Heimskringla (1), Óláfs saga Tryggvasonar, 327 (Bjarni Aðalbjarnarson 1941-1951 [ÍF 26-28]).759 Scharbert 1955 [BBB 8], 190 f.230


Könige nicht im Schmerz, der zu Reue und Umkehr führen könnte, sondernin gewaltsamem Tod, der für Reue keine Zeit mehr läßt […]. 760Der gottlose Häuptling Rauðr wird von Óláfr Tryggvason für seine Halsstarrigkeitund sein Freveln b<strong>es</strong>traft. Der König bezieht die Legitimation für sein Handelnsicherlich zum Teil <strong>aus</strong> seiner Rolle als Kriegsherr, zum Teil aber auch <strong>aus</strong> seinemchristlichen Fanatismus. Rauðrs Weigern, zum Christentum überzutreten und seinGott<strong>es</strong>lästern bedeuten seinen Tod. Als unverb<strong>es</strong>serlicher Heide ist seine Seeleverloren, so daß ihn der rächende Arm Gott<strong>es</strong> in G<strong>es</strong>talt Óláfr Tryggvasons trifft.D<strong>es</strong>sen Vorgehensweise erinnert dabei an Jdt 16 17 , wo <strong>es</strong> heißt:Gott wird am Gerichtstage Rache an ihnen nehmen und ‚Feuer und Würmerin ihrem Fleisch ansetzen, daß sie vor Schmerz weinen in Ewigkeit’. 761Rauðr selbst zieht <strong>aus</strong> seinem Schmerz keinen Nutzen. Er hat auf ihn keinenläutern<strong>den</strong> Effekt und kann ihn somit nicht vor ewiger Verdammnis retten. Auschristlicher Sicht liegt der Sinn sein<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> allein in der exemplarischenAbschreckung. Indem die brutale Hinrichtung Rauðrs die Furcht vor Gott<strong>es</strong>Strafgericht vermehrt, wird der psychologische Druck auf Hei<strong>den</strong> und Gottloseerhöht.Auch die Byskupasögur kennen Beispiele, in <strong>den</strong>en mangelnde Frömmigkeiternsthafte Konsequenzen in Form ein<strong>es</strong> schmerzhaften Tod<strong>es</strong> und mutmaßlicherpostmortaler Höllenqualen nach sich zieht. In der Guðmundar saga Arasonar eftirArngrím ábóta Brandsson wird über einen wenig gott<strong>es</strong>fürchtigen Schafhirtenberichtet, der stirbt, nachdem er vergiftet<strong>es</strong> Wasser <strong>aus</strong> einem Bach getrunken hat.Daß hier ein hoh<strong>es</strong> Maß an Eigenverschul<strong>den</strong> vorliegt, wird bereits in der Einleitungklarg<strong>es</strong>tellt:Ein Schafhirte war wenig gläubig und unklug. Er lief morgens zum Vieh,indem er sich kaum bekreuzigte, und er vernachlässigte die Kirche. Er war indem Dorf, wo Herr Guðmundr die Kruzifixe und das Gras weihte. Nun trägt<strong>es</strong> sich ein<strong>es</strong> Morgens zu, als er das Vieh nach H<strong>aus</strong>e getrieben hat und vomLaufen müde ist, daß er sich bei einem Bach niederwirft und sofortunbekreuzigt trinkt wie ein Tier. 762760 Scharbert 1955 [BBB 8], 153.761 Zitiert <strong>aus</strong> Scharbert 1955 [BBB 8], 153.762 Smalamaðr var einn trúlítill ok úskynsamr, hann hljóp til fjár um morgna, svá at hann signdi sikvarla, ok fyrirlèt kirkjuna. Hann var á þeim bæ, er herra Guðmundr vígði krossana ok grösin vaxa. Núgengr svá til einn morgin, sem hann hefir heim rekit fè ok er mæddr af hlaupi, at hann fleygir sèr niðrat læk, ok drekkr þegar ósigndr sem eitt kvikvendi. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta, 87 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).231


Die Quittung für sein wenig durchdacht<strong>es</strong> Verhalten, das ihm <strong>den</strong> Vergleich miteinem Tier einbringt, bekommt er prompt präsentiert. Es stellen sich unerträglicheBauchschmerzen ein. Er selbst ist davon überzeugt, daß sich ein Teufel in seinenEingewei<strong>den</strong> eingenistet hat und verbalisiert damit die Konsequenz sein<strong>es</strong> zuvorg<strong>es</strong>childerten Verhaltens. Indem er sich nicht durch Schlagen d<strong>es</strong> Kreuz<strong>es</strong> vorAngriffen d<strong>es</strong> Teufels g<strong>es</strong>chützt hat, hat er ihm eine Chance gegeben:Aber nach di<strong>es</strong>em Trank richtet er sich mit einem lauten und gellen<strong>den</strong> Schreiauf und sagt, daß der Teufel, <strong>den</strong> er <strong>aus</strong> dem Bach verschluckt hat, alle seineEingeweide zerreißt und durchschüttelt. 763Um <strong>den</strong> Teufel <strong>aus</strong>zutreiben, wird sofort das geweihte Gras herbeig<strong>es</strong>chafft, wasauch seine Wirkung nicht verfehlt:So schnell <strong>es</strong> geht, wird das Gras von der Kirche herbeigeholt, das HerrGuðmundr geweiht hatte, und kaum daß <strong>es</strong> in seinen Bauch kommt, bekommter einen so starken Krampf, daß das giftige Zaubermittel, das er g<strong>es</strong>chluckthatte, gleich einem Wasserfall <strong>aus</strong> seinem Munde schoß, schmal und schwarzmit scharfen Zacken, so schnell und behende, daß <strong>es</strong> sofort zurück in <strong>den</strong>Bach verschwand; […]. 764Allerdings beten weder der Schafhirte, noch die Bewohner d<strong>es</strong> Dorf<strong>es</strong> zu Gott oderdem Bischof Guðmundr. Auf di<strong>es</strong>e Tatsache wird im Quellentext zwar nichteingegangen, doch <strong>es</strong> fällt auf, daß die sonst üblichen Gebete fehlen. Auf di<strong>es</strong>eWeise wird noch einmal die mangelnde Gott<strong>es</strong>furcht d<strong>es</strong> Schafhirten unterstrichen.Zudem wird hierdurch zum Ausdruck gebracht, daß er im Dorf nicht b<strong>es</strong>ondersbeliebt ist, weil niemand für ihn betet. Di<strong>es</strong> ist offenbar der Grund dafür, daß derTeufel nicht locker läßt. Das Gras kann ihn zwar kurzfristig vertreiben, aber alsd<strong>es</strong>sen Wirkung nachläßt, kehrt er zurück und holt sich die Seele d<strong>es</strong> Hirten. EinzigGott hätte ihn retten können, aber di<strong>es</strong>e Chance ist vertan.Der Mann ist so lange Zeit bewußtlos, von der zu erwarten war, daß <strong>es</strong> zurnatürlichen Verdauung d<strong>es</strong> Gras<strong>es</strong> brauchen würde. Als di<strong>es</strong>e Zeit um war,schreit er ein zweit<strong>es</strong> Mal unter fürchterlichem Zähneknirschen und solchen763 En eptir þann drykk setr honum upp stór óp, sem gellr í, segir þar með, at sá úvinrinn, er hanngleypti af læknum, rífr ok ruggar öll hans iðr. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrímábóta, 87 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).764 Nú er runnit sem hvatast eptir at taka gras þat, er herra Guðmundr vígði, af kirkjunni, ok ei seinnaen þat kemr í hans kvið fær hann svá harðan kreppíng, at með fossfalli skýzt fram af hans munni þateitrfulla lif, er hann svalg, mjótt ok svart með snörpum tindum, svá fljótt ok frátt, at þegar [tók] á rásaptr í lækinn; […]. Saga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 87 (GuðbrandurVigfússon & al. 1878).232


Worten: nun ist der Teufel zurückgekommen, mich zu töten und wenig späterstirbt er. 765Die G<strong>es</strong>chichte unterstreicht durch die Heilkraft d<strong>es</strong> Gras<strong>es</strong> die HeiligkeitGuðmundrs und macht gleichzeitig unmißverständlich deutlich, daß derjenigeverdammt ist, der nicht nach Gott<strong>es</strong> Gebot lebt. Mittels <strong>aus</strong>drucksstarkerUmschreibung d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong> gibt Brandsson einen Vorg<strong>es</strong>chmack auf die Qualender Hölle. Die Passage dient der Abschreckung. Dem L<strong>es</strong>er sollen die Schmerzen d<strong>es</strong>Hirten plastisch vor Augen geführt und mittels der hiermit erzeugten Angstkonform<strong>es</strong> Verhalten erzwungen wer<strong>den</strong>.Neben Beispielen, in <strong>den</strong>en die Betroffenen aufgrund sündhaften Handelns odermangelnder Gott<strong>es</strong>furcht selbstverschuldet in Notlagen geraten, verzeichnen dieWunderbücher eine Reihe kurzer „Miniwunder“, in <strong>den</strong>en Heiligen, Reliquien, Betenetc. rein medizinische Bedeutung zukommt. Jemand wird krank oder erleidet einenUnfall, betet und wird wieder g<strong>es</strong>und. Auch in di<strong>es</strong>en kurzen Episo<strong>den</strong> ist oft vonSchmerz die Rede, um <strong>den</strong> Ernst der Lage zu verstärken. Ein Beispiel:Óláfr hieß ein Mann, der eine unangenehme Krankheit am Abend vor derersten Marienm<strong>es</strong>se bekam. Sein ganzer Körper schwoll an und <strong>es</strong> folgtenheftige Schmerzen, so daß er kaum wußte, wohin er sich wen<strong>den</strong> sollte. Dabeteten für ihn sein Vater und seine Mutter zum seligen Bischof Þorlákr undsangen fünf Mal das Vaterunser mit Ave Maria und er wurde völligg<strong>es</strong>und. 766Es handelt sich in di<strong>es</strong>er Stelle wahrscheinlich um eine generalisierte allergischeReaktion. Sigurður Samúelsson stellt eine Sammlung solcher Allergiefälle vor, derenSymptomatik überall ähnlich g<strong>es</strong>childert wird: allgemein<strong>es</strong> Anschwellen, gefolgt vonSchmerzen, Jucken, Blasen auf der Haut, Hautrötung. 767In einem anderen Beispiel bekommt ein Diakon akute Kopfschmerzen,wahrscheinlich Migräne und wird durch das Fingerglied einer Johann<strong>es</strong>reliquiewiederherg<strong>es</strong>tellt:765 […]; liggr maðrinn sem í dái svá langan tíma, sem vánligt var, at grasit móaðist með honum eptirnáttúru. Eptir þat liðit æpir hann í sinn annat með ógurligum tannagníst ok svá föllnum orðum: nú erúvinrinn aptr kominn at drepa mik, ok litlu síðarr deyr hann. Saga Guðmundar Arasonar,Hólabiskups, eptir Arngrím ábóta, 87 (Guðbrandur Vigfússon & al. 1878).766 Oläfur hiet madur er tök ohægliga sött vmm aftaninn fyrer Märiu m<strong>es</strong>su dag enn fyrra, hann bli<strong>es</strong>allan og fylgdu æseliger verker suo ad hann visse valla huÓrt hann skyllde hafa sig, þä hietu fyrerhonum fader hanz og möder ä enn sæla Thorlak byskup, og sungu v. sinnum pater noster, med Märiuverse, og vard hann alheill. Jartegnabók Þorláks byskups Ännur, 395 (Jón Helgason 1938-1978 [EA A13]).767 Sigurður Samúelsson 1998, 69 ff.233


Ein Mann hieß Einarr und war geweihter Diakon. Er hatte die Aufgabe, <strong>den</strong>Kirchenschmuck zu verwahren und andere wertvolle Dinge. Während er nundabei war, <strong>den</strong> Altar zu schmücken für <strong>den</strong> genannten Meßtag, da befiehl ihnplötzlich eine so große Plage und Kopfschmerzen, daß er glaubte, seinenDienst nicht weiter versehen zu können. Darauf nimmt er ein Fingerglied vonder Hand d<strong>es</strong> heiligen Johann<strong>es</strong> und legt ihn sich auf <strong>den</strong> Kopf, dort wo dieSchwellung am stärksten war und ging danach hin<strong>aus</strong>. Und als er nach H<strong>aus</strong>egehen will, sich hinzulegen, erfährt er so schnelle Heilung, daß er keineKopfschmerzen mehr fühlte und er ging froh in die Kirche zurück, Gottdankend und dem heiligen Johann<strong>es</strong> […]. 768Charakteristisch für di<strong>es</strong>e kleinen Episo<strong>den</strong> ist ihre „H<strong>aus</strong>haltstauglichkeit“.Thematisiert wird der Schmerz der kleinen Leute. Ihnen stößt zu, was jedempassieren kann. Ziel ist die Möglichkeit zur I<strong>den</strong>tifikation mit <strong>den</strong> Betroffenen: demJungen von nebenan mit der Allergie, Diakon Einarr mit seinen Kopfschmerzen oderH<strong>aus</strong>frau Þórný, die einen Unfall bei der H<strong>aus</strong>arbeit hat:In Flóa ereignete sich di<strong>es</strong>e Begebenheit, daß eine Frau, die Þórný heißt,einen K<strong>es</strong>sel vom Feuer hob. Aber ein Holz lag ihrer Ferse im Weg und siefiel auf <strong>den</strong> Rücken und der K<strong>es</strong>sel ergoß sich brodelnd über sie und sieverbrannte sich sehr, so daß die Leute glaubten sie werde sterben. Es stellt<strong>es</strong>ich dann so heftiger Schmerz ein, daß sie ihn nicht ohne zu schreien ertragenkonnte. Aber dann betete sie mit aller Kraft zum seligen Bischof Þorlákr, daßer <strong>den</strong> Schmerz so weit abklingen lasse, daß sie ihn ertragen könne, so daßdie anderen ihrer Anw<strong>es</strong>enheit nicht überdrüssig wür<strong>den</strong>, deren Hilf<strong>es</strong>tellungsie bedurfte. Und beinahe augenblicklich, nachdem sie gebetet hatte, daverschwand sämtlicher Schmerz und sie überkam schwere Müdigkeit. Undals sie erwachte, da glaubte sie, schließlich geheilt wor<strong>den</strong> zu sein und <strong>es</strong>wurde die Stelle inspiziert, an der sie schwere Verbrennungen erlitten hatteund <strong>es</strong> war dort junge und dünne Haut zu sehen und schon am nächsten Tagstand sie wieder auf, vollkommen gen<strong>es</strong>en und lobte Gott und <strong>den</strong> seligenBischof Þorlákr. 769768 Maðr hèt Einarr, ok var djákn at vígslu; hann átti at geyma skrúða kirkjunnar ok aðra dýrgripi. Núsem hann var at skrýða altarit á móti fyrr nefndum m<strong>es</strong>sodegi, þá kom at honum svá mikit váveifi okhöfutverkr, at hann þóttist eigi mega þjónostunni fram halda. Síðan tekr hann einn köggulinn or hendiins heilaga Johannis ok leggr viðr höfut sér, þar sem þrotinn var m<strong>es</strong>tr í, ok gekk síðan út; ok er hannsneri heim til húsanna, ætlandi niðr at leggjast, fær hann svá bráða bót, at hann kenndi eigihöfuðverkjar, ok gekk hann þá glaðr aptr til kirkjunnar, gerandi guði þakkir ok inum heilaga Jóhanne,[…]. Jóns biskups saga, eptir Gunnlaug múnk, 253 (Jón Sigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).769 I Floa varþ úa atbvrþr at kona ú½er Þorný heiter hóf ketil af elde. Enþa varþ tre firer hlom heNe. ocfell hon abac aftr En ketilliN vellaNde úlagnaþe a hana. oc braN hon miÍc. svát moNom þóte tra½t lífúvón. gerþi úiþan í úviþa mikiN. svat hon máte °eige o øpaNde bera. Enúiþan het hon meþ ologa miclom.aeN ú¡la Thorlac biúcop at haN úcylde sva linasc láta úviþa. at hon m¡te bera. svát øþrom þøTe °eige ilthiá vistar. þeim <strong>es</strong> heNe þvrfto þá at þióna. En nalega þegar <strong>es</strong> hon hafþe heitit. þatóc ór allan úviþa. ocfell ahana úvefn høfge. Ener hon vacnaþe. þa þoT<strong>es</strong>c hon heil vera orþeN til lox. oc var þa úiþan. tilleitat. þarer hon hafþi acaflegast brvNen verit. oc var þa úcin á v÷t oc þvnt. oc reis hon vp þegar aNandag °efter alheil lofaNde Gvþ oc eN ú¡la Thorlac biúcop. Jartegnabók Þorláks byskups en forna, 149(Jón Helgason 1938-1978 [EA A 13]).234


Die Botschaft hinter di<strong>es</strong>en Beweisen der Heilkraft Gott<strong>es</strong> und der Heiligen lautet:Religion ist Medizin und Gott ist der oberste aller Ärzte. Gott heilt die Gläubigenund befreit sie von ihren Schmerzen. Bemerkenswerterweise handelt <strong>es</strong> sich umSchmerzen, die bereits im Di<strong>es</strong>seits und nicht erst im Jenseits von <strong>den</strong> Betroffenengenommen wer<strong>den</strong>. Jeder kann sich an ihn wen<strong>den</strong> und auf Hilfe und Linderungseiner Schmerzen hoffen, ungeachtet sein<strong>es</strong> Stand<strong>es</strong>.Abschließend sei auf das kuriose „Kompetenzgerangel” der Heiligen in der Jónssaga helga hingewi<strong>es</strong>en. Rannveig, die Frau d<strong>es</strong> Pri<strong>es</strong>ters Jón erkrankt akut an einerschmerzhaften Schwellung d<strong>es</strong> G<strong>es</strong>icht<strong>es</strong>:Ihr G<strong>es</strong>icht schwoll stark an, begleitet von rasendem Schmerz und sie fühltein der Umgebung der Schwellung auch bald ein ander<strong>es</strong> Lei<strong>den</strong>. 770Ihr Mann betet für sie zum heiligen Bischof Þorlákr, der bald darauf einer jungenFrau erscheint und ihr verkündet, daß er wegen Überlastung zur Zeit nicht helfenkönne:Danach erschien der heilige Bischof Þorlákr einer jungen Frau und sprach zuihr: „Es soll euch nicht wundern, daß ich nicht nach jedermanns Gebetenhandele, <strong>den</strong>n viele Menschen haben <strong>es</strong> sehr verdient und Wunder wer<strong>den</strong>einem nach dem anderen gewährt.“ Danach erwacht sie und erzählte <strong>es</strong> <strong>den</strong>Leuten. 771Während der darauffolgen<strong>den</strong> Tage verschlimmert sich das Lei<strong>den</strong> so sehr, daß sieweder sprechen, noch richtig schlafen kann. Wie bereits <strong>aus</strong>führlich behandelt, istletzter<strong>es</strong> als Zeichen für große Schmerzen zu werten. Rannveig übernimmt daherselbst das Fürbitten und wendet sich an <strong>den</strong> heiligen Jón unter gleichzeitigemAblegen ein<strong>es</strong> Eid<strong>es</strong>:Nun verging Weihnachten und das Lei<strong>den</strong> der Frau wuchs. Nun kam dernächste Sonntag nach dem 13. Tag nach Weihnachten und ihr Lei<strong>den</strong>verschlimmerte sich so sehr, daß sie kaum schlafen oder sprechen konnte.Und als <strong>es</strong> Nacht wurde, begann sie, mit großer Betrübnis zum heiligenBischof Jón zu beten. Dann gelobt sie, jede Woche fünf Vaterunser zu770 Blástr mikill ok þroti með óðaverk kom í andlit henni, ok kenndi af þrotans víðara bráðliga, ok sváannarra óhæginda. Jóns biskups saga helga, eptir Gunnlaug múnk, 254 (Jón Sigurðsson &Guðbrandur Vigfússon 1858).771 Eptir þat vitraðist hinn heilagi Þorlákr biskup [til] meyjar nokkurrar, ok mælti við hana: „eigi skuluþèr þat undrast, þótt ek láta eigi at hvers manns áheiti, með því at fleiri menn eru mikilla verðleika, oker annat öðrum til handa varðveitt í jarteinu[m]“. Eptir þat vaknar hon ok sagði mönnum frá. Jónsbiskups saga helga, eptir Gunnlaug múnk, 254 (Jón Sigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).235


Singen, zur Ehre d<strong>es</strong> heiligen Bischof Jón und ein Ave Maria an dem Tag derWoche, der seinem M<strong>es</strong>setag am nächsten war. 772Gott erhört sofort ihre Gebete an seinen „lieben Freund” Jón und gewährt ihr Hilfe.Sie schläft ein und erwacht am nächsten Morgen vollkommen g<strong>es</strong>und:Und als der allmächtige Gott ihr Bitten um Fürsprache sein<strong>es</strong> lieben Freund<strong>es</strong>hört, weil sie so inbrünstig gebetet hat, da schlief sei ein und erwachte nichtvor dem Morgen als sie der Pri<strong>es</strong>ter weckte. Da war <strong>aus</strong> ihrem G<strong>es</strong>ichtjegliche Schwellung verschwun<strong>den</strong> und nach wenigen Tagen war sie völliggeheilt und lobte Gott und <strong>den</strong> heiligen Bischof Jón. 773Die Stelle führt deutlich vor Augen, daß Rannveigs Schmerz überhaupt keinen Sinnhat. Weder hat sie explizit Schuld auf sich gela<strong>den</strong>, noch soll sie von Gott geprüftwer<strong>den</strong>. Denn erst als sie sich mit ihrer Fürbitte an <strong>den</strong> heiligen Jón wendet, erfährtGott von ihrem Problem. Das Gebet ihr<strong>es</strong> Mann<strong>es</strong>, der darüber hin<strong>aus</strong> auch nochPri<strong>es</strong>ter ist, verhallt von Gott offenbar ungehört. Der in die Handlung eingeführteheilige Bischof Þorlákr benimmt sich eher wie ein g<strong>es</strong>treßter Mensch und nicht wieein Heiliger. Er verläßt das G<strong>es</strong>chehen gen<strong>aus</strong>o schnell wie er gekommen ist, ohneeinen Vertreter zu schicken und ohne Gott zu informieren. Die Saga vermittelt damiteine sehr hierarchische Vorstellung vom Göttlichen Wirken. Den allwissen<strong>den</strong> Gottgibt <strong>es</strong> nicht, dafür diverse Hierarchieebenen auf <strong>den</strong>en die Probleme der Menschenin Eigenregie der verantwortlichen Heiligen gelöst wer<strong>den</strong>. Nur die wichtigstenAngelegenheiten dringen zu Gott durch.Es erstaunt, daß Rannveig erst mit dem Beten anfängt, als ihre Krankheit absolutunerträglich wird und <strong>es</strong> bis dahin ihrem Mann überläßt, Kontakt mit Gott und <strong>den</strong>Heiligen zu suchen.12.6 ZusammenfassungSchmerz und Leid sind elementare B<strong>es</strong>tandteile d<strong>es</strong> Christentums. Seit demSün<strong>den</strong>fall ist Schmerz zum ständigen Begleiter der Menschheit gewor<strong>den</strong>. Seine772 Nú liðu af jól, ok óx meinsemi konunnar. Nú kom dróttinsdagr næsti eptir xiij. dag, ok óx svá mjökhennar meinlæti, at hon mátti varla sofa nè mæla. En er náttaði, tók hon með mikilli sorgmæði at kallaá heilagan Jón biskup. Síðan heitr hon fyrir sér, at sýngja í hverri viku fimm pater noster til dýrðarhinum heilaga Jóni biskupi ok vers Mariu drottníngar með, þann dag í vikunni, sem næst hefðim<strong>es</strong>sodag [hans] á borit. Jóns biskups saga helga, eptir Gunnlaug múnk, 254 (Jón Sigurðsson &Guðbrandur Vigfússon 1858).773 Ok þegar heyrir almáttigr guð hennar ákall, fyrir árnaðarorð síns ástvinar, því at þegar hon hafðif<strong>es</strong>t heitið, þá sofnaði hon, ok vaknaði eigi fyrr en um myrgininn, þá er pr<strong>es</strong>tr vakti hana; þá var orandliti hennar allr þroti, ok á fám dögum varð hon alheil, ok lofaði guð ok inn heilaga Jón biskup.Jóns biskups saga helga, eptir Gunnlaug múnk, 254 (Jón Sigurðsson & Guðbrandur Vigfússon 1858).236


Funktion ist <strong>aus</strong> christlichem Verständnis vielfältig und erstreckt sich von Strafe fürbegangene Sün<strong>den</strong> bis zur Prüfung durch Gott. Durch Christi Lei<strong>den</strong>, Sterben undAuferstehung sind Sünde und Schmerz theoretisch b<strong>es</strong>iegt. Christus hat jedoch nurdie Richtung vorgegeben, so daß der Rückweg ins Paradi<strong>es</strong> für die Menschenweiterhin schmerzhaft bleibt. Di<strong>es</strong>e Affinität zum Schmerz zeigt sich deutlich in <strong>den</strong>christlich geprägten Texten der für di<strong>es</strong>e Arbeit untersuchten Sagaliteratur.B<strong>es</strong>onders die Byskupasögur spiegeln in vielen Beispielen die christlicheLei<strong>den</strong>sdoktrin wieder. Gott und die Heiligen sind jedoch immer zur Stelle, <strong>den</strong>Gläubigen beizustehen. Der „summus medicus“ Christus und seine Vertreterb<strong>es</strong>iegen <strong>den</strong> Schmerz der Lei<strong>den</strong><strong>den</strong>, indem sie als „medicus“ und „medicamentum“zugleich fungieren. Der Schmerz selbst übernimmt in <strong>den</strong> Wunderheilungenzweierlei Funktion: auf der einen Seite läßt er die Wunder der heiligen Bischöfegrößer erscheinen (je schlimmer der Schmerz, d<strong>es</strong>to größer das Wunder) undunterstreicht so ihre Heiligkeit; auf der anderen Seite markiert schmerzhafte Therapieeiner Krankheit oder Verletzung die einsetzende Heilung. Für Gottlose hat er reinenStraf- und Vernichtungscharakter. Indem hierdurch auch <strong>den</strong> Gläubigen die Qualender Hölle vor Augen geführt wer<strong>den</strong>, übt er gleichzeitig eine abschreckende Wirkungauf potentielle Sünder <strong>aus</strong>. Am Beispiel d<strong>es</strong> umstrittenen Bischofs Guðmundr Arasonwird die Bedeutung von Schmerz im Leben ein<strong>es</strong> (potentiellen) Heiligen aufgezeigt.Heiligkeit und Märtyrertum sind eng verwandt, was b<strong>es</strong>onders in der Guðmundarsaga Arasonar d<strong>es</strong> Abt<strong>es</strong> Arngrímr Brandsson deutlich wird. In der hauptsächlichhistorisch <strong>aus</strong>gerichteten Guðmundar saga Arasonar wird Schmerz hingegen nur amRande behandelt.Auch die Sturlunga saga enthält einige christliche Elemente. Am Beispiel SturlaSighvatssons läßt sich erkennen, wie sehr das Christentum die isländischeG<strong>es</strong>ellschaft d<strong>es</strong> 13. Jahrhunderts bereits geprägt hatte. Im Zusammenhang mitseinem Bußgang in Rom ergeben sich neue Perspektiven der Schmerzbetrachtung. Eswird deutlich, daß auch Außenstehende über das Phänomen d<strong>es</strong> Mitleids vomSchmerz der Lei<strong>den</strong><strong>den</strong> mitbetroffen sind.237


13 Schmerz in <strong>aus</strong>gewählter Sagaliteratur – eine BilanzDie vorliegende Untersuchung setzte sich mit dem Schmerzphänomen in <strong>den</strong>Íslendingasögur und –þættir, <strong>den</strong> Konungasögur, der Sturlunga saga und <strong>den</strong>Byskupasögur <strong>aus</strong>einander. Die Primärquellen ließen sich inhaltlich grob danachunterteilen, ob sie sich am nordischen Hel<strong>den</strong>ideal oder dem Christentumorientierten. Das Vorhan<strong>den</strong>sein körperlichen Schmerz<strong>es</strong> konnte für alle Textenachgewi<strong>es</strong>en wer<strong>den</strong>. Unterschiede ergaben sich hauptsächlich in Bezug auf dieFrequenz, das Schmerzverhalten und die Betroffenen. Es zeigte sich, daß auch di<strong>es</strong>cheinbar schmerzr<strong>es</strong>istenten Sagahel<strong>den</strong> sehr wohl Schmerz empfin<strong>den</strong>. Er tritt beiihnen jedoch nur selten offen zutage und spielt sich meist auf der Metaebene ab.Christlich geprägte Texte thematisierten Schmerz ungleich öfter. Vor allem dieWunderbücher der Byskupasögur entpuppten sich als reichhaltige Quellen. Bei <strong>den</strong>Betroffenen handelte <strong>es</strong> sich hier in erster Linie um Personen <strong>aus</strong> der breiten Masseder Bevölkerung. Di<strong>es</strong>er Beobachtung lagen in erster Linie pragmatische Motivezugrunde. Als Beweis für die Heiligkeit der kanonisierten Bischöfe bedurfte <strong>es</strong>Wunderheilungen. Volksnähe war dabei ein entschei<strong>den</strong>der Faktor. So erhielt dieBevölkerung die Möglichkeit, sich mit <strong>den</strong> Personen in <strong>den</strong> Sagas zu i<strong>den</strong>tifizieren.Das einfache Volk sollte wissen, an wen <strong>es</strong> sich in Notzeiten wen<strong>den</strong> konnte. Ausdi<strong>es</strong>em Grund sind <strong>es</strong> „Leute wie du und ich“, die von schmerzhaften Krankheitenund Verletzungen heimg<strong>es</strong>ucht wer<strong>den</strong> und nicht Hel<strong>den</strong>. Überdi<strong>es</strong> nimmt Schmerzin der christlichen Lehre breiten Raum ein. Durch die Ursünde ist der Mensch per sezum Schmerz verdammt. J<strong>es</strong>us hat mit seinem Tod lediglich einen Teil der Schuldabgetragen. Gott straft die Menschen für die Sün<strong>den</strong> d<strong>es</strong> täglichen Lebens mitSchmerz und stellt auf di<strong>es</strong>e Weise auch ihre Glaubensstärke auf die Probe.13.1 Schmerz und Schmerzverhalten der Hel<strong>den</strong>Als „Hel<strong>den</strong>“ wur<strong>den</strong> in di<strong>es</strong>er Arbeit alle Männer behandelt, die <strong>den</strong> Werten d<strong>es</strong>nordischen Männlichkeitsideals verpflichtet sind. Di<strong>es</strong>e Definition orientiert sich anMiller, der Íslendingasögur und Gegenwartssagas in ein und <strong>den</strong>selben sozialenKontext einordnet. Di<strong>es</strong>en bezeichnet er als „Saga society“. 774 Folglich fallen auchdie Sturlunga saga und ein großer Teil der Konungasögur unter die heroischeLiteratur. Hel<strong>den</strong> sind fatalistisch eing<strong>es</strong>tellte Charaktere der oberen sozialen774 Miller 1990, 8.238


Schichten. Sie betrachten Ehre und Familie als höchste Güter ihrer Existenz undverteidigen sie mit ihrem Leben. In di<strong>es</strong>em Zusammenhang steht der Begriffdrengskapr für ‚männlich<strong>es</strong> Verhalten, Ritterlichkeit’ und verkörpert die innereEinstellung ein<strong>es</strong> Hel<strong>den</strong>. Jeder Held ist b<strong>es</strong>trebt, <strong>den</strong> Anforderungen ein<strong>es</strong> góðrdrengr zu genügen. Elementarer B<strong>es</strong>tandteil d<strong>es</strong> heroischen Verhaltenscodex<strong>es</strong> ist <strong>es</strong>,Verletzungsschmerz nicht offen zu zeigen.13.1.1 SchmerzverhaltenWie in der vorliegen<strong>den</strong> Untersuchung darg<strong>es</strong>tellt wer<strong>den</strong> konnte, mindertWehleidigkeit <strong>den</strong> Hel<strong>den</strong>status. Schmerz wird daher im Text oftmals nicht direktgenannt, sondern durch „unverfänglichere“ Begriffe ersetzt. Am häufigsten gelangendie Wörter móðr ‚erschöpft’ und stirðr ‚steif’ zur Anwendung. Schwächung durchBlutverlust fällt ebenfalls in di<strong>es</strong>e Kategorie. Di<strong>es</strong>e Begriffe und Redewendungenunterstreichen überdi<strong>es</strong> die Männlichkeit der Betroffenen, indem sie die Härte d<strong>es</strong>jeweiligen körperlichen Einsatz<strong>es</strong> verdeutlichen.Schmerzverhalten, und hier vor allem das Ausstoßen von Schmerzensschreien, giltals Zeichen von Schwäche. Þormóðr kolbrúnarskáld entlarvt <strong>den</strong> betrügerischenKimbi und einen großspurigen Bauernsoldaten als schwache Menschen mit niedererG<strong>es</strong>innung. Durch sein Schwert verwundet, haben sie nicht die Möglichkeit, sich zukontrollieren und zeigen das Schmerzverhalten, das sie zuvor bei anderenkritisierten. Bei <strong>den</strong> Schilderungen zur Schlacht von Stiklastaðir und in derVatnsdÍla saga wird mit schreien<strong>den</strong> Wun<strong>den</strong> ein Schmerzmodell vorg<strong>es</strong>tellt, dasbislang in der Forschung keine Beachtung gefun<strong>den</strong> hat und in der zeitgenössischeneuopäischen Literatur keine Entsprechung findet. Demnach haben große Wun<strong>den</strong> dieEigenschaft, Schreie <strong>aus</strong>zustoßen, während die Verwundeten selbst nichtsdergleichen tun. Da sie keine Möglichkeiten haben, das Verhalten ihrer Wun<strong>den</strong> zukontrollieren, ist ihre Ehre nicht gefährdet.In der vorliegen<strong>den</strong> Untersuchung wurde dargelegt, daß Schmerz von <strong>den</strong> Hel<strong>den</strong>unter funktionellen G<strong>es</strong>ichtspunkten interpretiert wird. Nach Zborowski richtet sichSchmerzverhalten nach der sozialen und ethnischen Herkunft mit der für diejeweilige Gruppe typischen Ausprägung. 775 Körperliche Behinderung ist mit demHel<strong>den</strong>status nicht vereinbar, da eine reibungslose Körperfunktion nicht mehr775 Zborowski 1960, 20.239


gegeben ist. Hel<strong>den</strong> suchen nach schweren Kampfverletzungen daher oftmals <strong>den</strong>Tod. Unter Vernachlässigung d<strong>es</strong> Eigenschutz<strong>es</strong> kämpfen sie mit erbarmungsloserKampf<strong>es</strong>wut bis zum Ende. Auch wenn sie aufgrund fehlender Gliedmaßen kaumnoch in der Lage sind, eine Waffe zu führen, kämpfen sie weiter, wenn auch mitverminderter Kampfkraft. Das Schmerzverhalten der Hel<strong>den</strong> b<strong>es</strong>teht also nicht imtypischen Einnehmen einer Schonhaltung, sondern <strong>aus</strong> dem Gegenteil.Am Beispiel Þórhallr Ásgrímssons <strong>aus</strong> der Brennu-Njáls saga wurde aufgezeigt, wi<strong>es</strong>chmerzbedingter Funktionsverlust zu autoaggr<strong>es</strong>sivem Verhalten führen kann.Aufgrund einer schmerzhaften Entzündung am Bein muß er das Bett hüten und kannnicht am Prozeß gegen die Mörder Njáls und seiner Familie teilnehmen. Als einerder b<strong>es</strong>ten Rechtsgelehrten d<strong>es</strong> Land<strong>es</strong> kann er somit nicht verhindern, daß dieGegenpartei <strong>den</strong> Spieß umdreht und beinahe die Ächtung der klagen<strong>den</strong> Opferdurchsetzt. Als er die Nachricht erhält, springt er vor Wut <strong>aus</strong> dem Bett und rammtsich einen Speer ins Bein. Di<strong>es</strong>e Handlung richtet sich gegen <strong>den</strong> Schmerz, der ihndaran hindert, seine Funktion als Anwalt wahrzunehmen.13.1.2 Sinn und narrative Funktion d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>Schmerz hat in der heroischen Sagaliteratur nicht selten strafen<strong>den</strong> Charakter.Nachlässigkeit bei der Versorgung von Wun<strong>den</strong> ist ein wiederkehrend<strong>es</strong> Motiv. AufWundtoilette wird oft eingegangen, wor<strong>aus</strong> sich folgern läßt, daß der Zusammenhangzwischen Wundhygiene und Heilungskomplikationen bekannt war. So haben jeneTextstellen belehren<strong>den</strong> Charakter, in <strong>den</strong>en sorgloser Umgang mit VerletzungenSepsis und Tod zur Folge hat. Mit erhobenem Zeigefinger wird dem L<strong>es</strong>er vorAugen geführt, welche Folgen <strong>aus</strong> Fahrlässigkeit erwachsen können. Der hierb<strong>es</strong>chriebene Schmerz unterstreicht als Warnsignal einer gefährlichen Infektion <strong>den</strong>Ernst der Lage und kündet <strong>den</strong> nahen<strong>den</strong> Tod an. An di<strong>es</strong>em Punkt kann praktischnur noch ein Wunder helfen. Bannerträger Þórðr Folason, dem in der Schlacht beiStiklastaðir ein Finger teilamputiert wird, überlebt nur dank Wunderheilung durchKönig Óláfr. Auch Þormóðr Bersason steht unter Óláfrs Schutz und verdankt ihmsein Überleben, als er entkräftet von Wun<strong>den</strong> und Infektion auf einer kleinen Schäreliegt.Magie ist ein weiterer Urheber von Schmerz. Selbst Hel<strong>den</strong> haben <strong>den</strong> dunklenMächten nur wenig entgegenzusetzen. Der Hel<strong>den</strong>schmerz unterstreicht die Machtmagischer Handlungen. B<strong>es</strong>onders deutlich wird di<strong>es</strong>er Umstand bei Verletzungen240


durch Zauberschwerter, deren Schnei<strong>den</strong> als vergiftet galten. Gift hat <strong>den</strong> Charaktereiner ätzen<strong>den</strong> Säure, deren Kontakt mit der Haut starke Schmerzen hervorruft.Insb<strong>es</strong>ondere die Wun<strong>den</strong> d<strong>es</strong> Schwert<strong>es</strong> Skôfnungr sind sehr schmerzhaft.Ebenfalls qualvoll ist die Epidemie, die sich unter König Óláfrs Männern <strong>aus</strong>breitet,nachdem ein Finne einen Handschuh mit einem geheimnisvollen Staub auf ein<strong>es</strong>ihrer Schiffe geworfen hat. Der Schmerz unterstreicht die scha<strong>den</strong>magische Wirkungdi<strong>es</strong>er als „Herzschmerz“ bezeichneten Krankheit.13.1.3 Verkr – Symptom und KrankheitIn Bezug auf die Wundinfektionen wurde das Wort verkr einer g<strong>es</strong>ondertenUntersuchung unterzogen. In sämtlichen verwendeten altnordischen Wörterbüchernund Übersetzungen wird ihm die Bedeutung ‚Schmerz’ zugewi<strong>es</strong>en. Es konnte indi<strong>es</strong>er Arbeit nachgewi<strong>es</strong>en wer<strong>den</strong>, daß verkr in erweiterter Bedeutung fürschmerzhafte Wundinfektionen steht. Dahinter steckt ein Prinzip, das <strong>aus</strong> demBereich der Augenkrankheiten bekannt ist. Anstelle ein<strong>es</strong> Krankheitsnamensbezeichnet das Leitsymptom Schmerz die jeweilige Krankheit. AlleAugenkrankheiten wer<strong>den</strong> daher Augenschmerz (augnaverkr) genannt. 776 DaSchmerz ein charakteristisch<strong>es</strong> Entzündungszeichen darstellt, steht verkr auch fürWundinfektionen aller Art. Im Text ließ sich aufgrund d<strong>es</strong> Kontext<strong>es</strong> zuverlässigdifferenzieren, ob bei verkr von ‚Schmerz’ oder ‚Wundinfektion’ die Rede war.Es ergaben sich ferner Hinweise, daß zumind<strong>es</strong>t im Bereich d<strong>es</strong> Wundschmerz<strong>es</strong>eine im Vergleich zu heute modifizierte Schmerzphilosophie zur Anwendungkommt. B<strong>es</strong>onders Grettirs und Þormóðrs Beinverletzung legten <strong>den</strong> Schluß nahe,daß Schmerzdefinition und –wortschatz vom heutigen Verständnis abwichen.Obligatorischer Wundschmerz fand in <strong>den</strong> Texten keine g<strong>es</strong>onderte Erwähnung.Vereinzelte Anmerkungen über <strong>den</strong> generell schmerzhaften Charakter von Wun<strong>den</strong>bildeten die Ausnahme. Es wurde in di<strong>es</strong>em Zusammenhang in der vorliegen<strong>den</strong>Untersuchung dargelegt, daß das Wort für Wunde (sár) seine etymologischenWurzeln im Schmerz hat und das zugehörige Adjektiv sárr ’schmerzhaft’ auf di<strong>es</strong>enUrsprung verweist. Der Wundschmerz ist in der Bezeichnung für Wunde alsoenthalten, bedarf im Prinzip demzufolge keiner g<strong>es</strong>onderten Erwähnung. So erklärtsich möglicherweise der explizite Hinweis bei Grettir, die Wunde sei zunächstschmerzfrei. Schmerzfrei bedeutet höchstwahrscheinlich: das zu erwartende Maß776 Reichborn-Kjennerud 1927-1947 (5), 5.241


nicht überschreitend. Erst die Entzündung führt dazu, daß das Bein anfängt, weh zutun. Der Entzündungsschmerz überschreitet die Intensität d<strong>es</strong> Wundschmerz<strong>es</strong> undsignalisiert Komplikationen bei der Heilung. Das veränderte Wundgefühl wird alsSchmerz bezeichnet. 77713.1.4 Schmerzwahrnehmung der Sagahel<strong>den</strong>Es stellte sich ang<strong>es</strong>ichts solch bemerkenswerter Indolenz die Frage, wie <strong>es</strong> generellum die neurale Schmerzleitung der Hel<strong>den</strong> b<strong>es</strong>tellt ist. Liegt ihre Schmerzschwell<strong>es</strong>o hoch, daß sie tatsächlich nichts spüren, wenn sie verletzt wer<strong>den</strong>? Die Frage ließsich zwar nur spekulativ beantworten, aber mit einiger Sicherheit konnte<strong>aus</strong>g<strong>es</strong>chlossen wer<strong>den</strong>, daß <strong>es</strong> sich bei <strong>den</strong> Sagahel<strong>den</strong> um schmerzunempfindlicheÜbermenschen handelte. Es fan<strong>den</strong> sich genügend Hinweise auf die prinzipiellschmerzhafte Natur von Wun<strong>den</strong>. Bekannt ist, daß sich Schmerzempfin<strong>den</strong> trainierenund sich auf di<strong>es</strong>e Weise die persönliche Schmerzschwelle heraufsetzen läßt. DieSagahel<strong>den</strong> wur<strong>den</strong> im „Drengskapsideal“ erzogen. Öffentlich<strong>es</strong> Zursch<strong>aus</strong>tellen vonSchmerz war tabuisiert. Es kann davon <strong>aus</strong>gegangen wer<strong>den</strong>, daß <strong>aus</strong> di<strong>es</strong>er Haltungher<strong>aus</strong> das Ertragen von Schmerz von Kind<strong>es</strong>beinen an geübt wurde. Darüber hin<strong>aus</strong>beobachtete Beecher an verwundeten Soldaten d<strong>es</strong> 2. Weltkrieg<strong>es</strong> mitunter eineerstaunliche Schmerzunempfindlichkeit. 778 Anhand experimentell gewonnener Datenmehrten sich in <strong>den</strong> letzten Jahren die Anzeichen, daß der Körper in StreßsituationenMorphinderivate freisetzt und damit das allgemeine Schmerzempfin<strong>den</strong>herabsetzt. 779 Auch di<strong>es</strong>er Effekt mag bei einzelnen Sagahel<strong>den</strong> eine Rolle spielen,wenn sie schwerverletzt und trotzdem ohne äußere Anzeichen von Schmerz mit einerFeind<strong>es</strong>übermacht kämpfen. Auch die Psyche trägt ihren Teil zumSchmerzphänomen bei. Entschei<strong>den</strong>d ist die Grundeinstellung zum Schmerz. WerAngst hat, leidet intensiver. Wer sich auf andere Dinge konzentriert und nicht an <strong>den</strong>Schmerz <strong>den</strong>kt, leidet weniger.All<strong>es</strong> in allem wäre eine hohe Schmerzschwelle der Sagahel<strong>den</strong> <strong>den</strong>kbar, auchEndorphinwirkung in Streßsituationen. Das Streben nach drengskapr birgt777 Für Schmerzbegriffe als Transportmittel kultureller Inhalte siehe auch Leiss 1983, 89 f. In einemVergleich der Wörter Schmerz und Pain zeigt er auf, daß der englische Schmerzbegriff die christlicheVorstellung von Schmerz als Strafe beinhaltet, während das Wort Schmerz sich nur auf „eine vonaußen einwirkende Kraft, die zur Gewebsschädigung führt“ bezieht.778 Beecher 1946.779 Van der Kolk & al.1989; Pitman & al. 1990.242


zwangsläufig ein hoh<strong>es</strong> Verletzungsrisiko mit ständiger Schmerzkonfrontation,sowohl körperlich als auch geistig. Bei <strong>den</strong> Sagahel<strong>den</strong> handelt <strong>es</strong> sich umg<strong>es</strong>ellschaftlich hochstehende Persönlichkeiten, die in ein eng<strong>es</strong> Korsett vonVerhaltensregeln gepreßt wer<strong>den</strong>. Ein positiv<strong>es</strong> Verhältnis zum Schmerz istgewissermaßen die Grundvor<strong>aus</strong>setzung für <strong>den</strong> Erhalt d<strong>es</strong> eigenen sozialen Status.Wer in di<strong>es</strong>em Punkt Schwäche zeigt, wird zum Außenseiter g<strong>es</strong>tempelt. 780 DieRegeln der mittelalterlichen isländischen G<strong>es</strong>ellschaft lassen <strong>den</strong> Hel<strong>den</strong> für Schmerzwenig Spielraum.13.1.5 Statistische UntersuchungDi<strong>es</strong>e Beobachtung ließ sich auch statistisch quantifizieren. Gem<strong>es</strong>sen an <strong>den</strong>Szenen, die von ihrer Art her Schmerz enthalten könnten, war der dokumentierteSchmerzanteil in der heroischen Literatur äußerst gering. Insg<strong>es</strong>amt war alle 30-40 Stellen einmal von Schmerz die Rede. Im Vergleich dazu lag die Quote in <strong>den</strong>Byskupasögur bei etwa 2:1. Schmerzursache Nummer eins bildeten Verletzungen; in<strong>den</strong> Byskupasögur waren <strong>es</strong> Krankheiten. Wenn aber in der heroischen Literatur vonKrankheit die Rede war, zeigte sich Schmerz in ähnlicher Häufigkeit wie bei <strong>den</strong>christlichen Texten.13.2 Schmerz und Schmerzverhalten abseits d<strong>es</strong> heroischen ProtokollsDie Untersuchung der heroischen Literatur ergab zwar vereinzelte, aber distinktiveHinweise auf eine Grundeinstellung zum Schmerz, die der heutigen nicht unähnlichzu sein scheint. Am Beispiel von Þorgeirr <strong>aus</strong> der Hrafnkels saga Freysgoða wurdegezeigt, daß jemand ein góðr drengr sein kann und gleichzeitig mit einemschmerzhaften Abszeß das Bett hüten darf, ohne an Status zu verlieren. Auch780 Vgl. auch Brennu-Njáls saga. Als Njáls Familie verbrannt wird, verhöhnt Gunnarr Lambason NjálsSohn Skarpheðinn, indem er ihm unterstellt, er würde weinen. Skarpheðinn beeilt sich, daraufhinzuweisen, daß dem nicht so sei (333): Gunnar Lambason sprang die Wand hinauf und siehtSkarpheðinn und sprach: „Weinst du nun, Skarpheðinn?“ „Das tue ich nicht“, sagt er, „aber das istwahr, daß mir die Augen brennen.“ (Gunnar Lambason hljóp upp á vegginn ok sér Skarpheðin okmælti: „Hvárt grætr þú nú, Skarpheðinn?” „Eigi er þat,” segir hann, „en hitt er satt, at súrnar íaugunum.”). Gunnarr verbreitet später, Skarpheðinn habe in di<strong>es</strong>em Augenblick geweint, undverhöhnt ihn auf di<strong>es</strong>e Weise (443): König Sigtryggr fragte: „Wie ertrug Skarpheðinn seineVerbrennung?“ „Lange Zeit gut,“ sagt Gunnar, „aber doch endete <strong>es</strong> so, daß er weinte.“ (Sigtryggrkonungur spurði: „Hversu þolði Skarpheðinn í brennunni?“ „Vel fyrst lengi,“ segir Gunnarr, „en þólauk svá, at hann grét.“).243


Þórhallr in der Brennu-Njáls saga muß zunächst wegen ein<strong>es</strong> Absz<strong>es</strong>s<strong>es</strong> im Bettbleiben und kann einer wichtigen Gerichtsverhandlung nicht beiwohnen. SeinVerhalten wird in der Saga ebenfalls nicht negativ kommentiert. Die Protagonistenwirken an di<strong>es</strong>en Stellen demaskiert und authentisch zugleich. Ihr Schmerz verleihtihnen menschliche Züge, die durch <strong>den</strong> Verhaltenscodex der Hel<strong>den</strong> normalerweisenicht zum Vorschein kommen. Di<strong>es</strong>er Eindruck b<strong>es</strong>tätigte sich auch in der Eiríkssaga rauða, die <strong>den</strong> einzigen Schmerzensschrei der behandelten Sagaliteraturverzeichnet. Erik der Rote fällt vom Pferd, bricht sich die Schulter und schreit: „Ái,ái!“ Er wird auf di<strong>es</strong>e Weise dafür b<strong>es</strong>traft, daß er vor seiner Abreise eineGeldkassette vor seiner Frau versteckte. Der Schrei erscheint als natürliche undverständliche Reaktion auf die Verletzung; sein Status leidet nicht unter di<strong>es</strong>er„Entgleisung.“ Die Hel<strong>den</strong> lassen also die Maske für einen kurzen Augenblick fallenund geben <strong>den</strong> Blick frei auf ein Schmerzverständnis, das ihnen durch ihrenVerhaltenscodex verboten ist. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> „andere“ Schmerzverständnis scheint demallgemein gültigen Modell der Durchschnittsbevölkerung zu entsprechen. Einenwichtigen Hinweis liefert die Gísla saga Súrssonar. Spür-Helgi täuscht bei seinenNachforschungen nach Gísli Kopf- und Gliederschmerzen vor, um sich ung<strong>es</strong>tört imH<strong>aus</strong> umsehen zu können. Die List ist nur d<strong>es</strong>halb erfolgreich, weil er sich derRegeln d<strong>es</strong> gelten<strong>den</strong> Schmerzmodells bedient. Wer sich nicht wohl fühlt, wird vonseinen Pflichten entbun<strong>den</strong> und darf im Bett bleiben.In di<strong>es</strong>em Zusammenhang ergab sich ein inter<strong>es</strong>santer Aspekt <strong>aus</strong> Janssonsvergleichender Analyse der Vínlandssagas. Anhand einer Gegenüberstellung derEiríks saga rauða in der Skálholtsbók mit der Hauksbók stellt er erheblicheStilkorrekturen durch Haukr Erlendsson zugunsten ein<strong>es</strong> normierten Sagastils f<strong>es</strong>t. Ergeht davon <strong>aus</strong>, daß der Schreiber der Skálholtsbók di<strong>es</strong>elbe Kopiervorlage benutzte,warhrscheinlich jedoch aufgrund mangeln<strong>den</strong> Ehrgeiz<strong>es</strong> oder mangels Kompetenzauf Textänderungen verzichtete. Auf di<strong>es</strong>e Weise wurde Eiríkrs Schmerzensschreiüberliefert. Es stellte sich in Bezug auf <strong>den</strong> Schmerz die Frage, wie viele weitereSchmerzensäußerungen in der r<strong>es</strong>tlichen Sagaliteratur beim Kopiervorgang <strong>den</strong>Stilvorgaben zum Opfer fielen. Da nur Kopien der Originalhandschriften überliefertsind, ist di<strong>es</strong><strong>es</strong> Problem nicht lösbar. Spekulieren ließe sich über eine relativ kleineGruppe von Schreibern, die die vorliegen<strong>den</strong> Sagas beim Abschreiben ähnlichHaukrs Vorgehen dem Sagastil anpaßten. Schließlich ist <strong>es</strong> eine Tatsache, daßHel<strong>den</strong> der oberen sozialen Schicht entstammten, die ihrerseits für <strong>den</strong> größten Teil244


di<strong>es</strong>er Literatur verantwortlich zeichnete. 781 Möglicherweise hätte ein Studium derleider nicht überlieferten Kopiervorlagen ein ganz ander<strong>es</strong> Ergebnis hervorgebracht.Vielleicht handelt <strong>es</strong> sich beim Schmerzverständnis der Hel<strong>den</strong> um ein nachträglicheingefügt<strong>es</strong> Stilmittel, das anfänglich nicht vorhan<strong>den</strong> war.13.3 Der Einfluß d<strong>es</strong> Christentums auf die Hel<strong>den</strong> und die heroischen SagasAm Beispiel Sturla Sighvatssons wurde der Einfluß d<strong>es</strong> Christentums auf heldisch<strong>es</strong>Verhalten erörtert. 1232 wurde er von Erzbischof Siðurðr auf Bußgang nach Romg<strong>es</strong>chickt. Anlaß war sein Rachefeldzug gegen Bischof Guðmundr Arason für dieErmordung sein<strong>es</strong> Bruders Tumi. Der Einfluß d<strong>es</strong> christlichen Glaubens auf <strong>den</strong>Verhaltenscodex der Hel<strong>den</strong> ist in di<strong>es</strong>em Beispiel bereits so groß, daß sich Sturlader Anordnung fügt und in Rom alle Strafen vorbildlich und ohne Äußerung vonSchmerz über sich ergehen läßt. Anhand di<strong>es</strong>er Szene ließ sich eine weitereDimension der Schmerzbetrachtung aufzeigen: der Schmerz d<strong>es</strong> Zuschauers, bzw.L<strong>es</strong>ers. Die der B<strong>es</strong>trafung Sturlas beiwohnen<strong>den</strong> Römer zeigen <strong>aus</strong> Mitleid mitseinen Qualen <strong>aus</strong>geprägt<strong>es</strong> Sympathieverhalten. In Analogie zu di<strong>es</strong>er Beobachtungergab sich die Frage, ob der Schmerz d<strong>es</strong> L<strong>es</strong>ers in der heroischen Literatur eineRolle spielen könnte. Der L<strong>es</strong>er ist ebenfalls „Zuschauer” und auch wennSchmerzäußerungen der Hel<strong>den</strong> in der Regel unterbleiben, ist er doch gezwungen,sich ihre Schmerzen am eigenen Leibe vorzustellen. Aufgrund einer anderenEinstellung zu Gewalt lassen sich zu di<strong>es</strong>em Punkt <strong>aus</strong> heutiger Sicht keine exaktenAussagen treffen. Außer über Sturla wird auch auf andere Beispiele eingegangen, in<strong>den</strong>en sich hel<strong>den</strong>hafte Schmerzr<strong>es</strong>istenz mit christlichen Glaubensinhalten paart(z.B. das Singen von Psalmen unter der Folter).13.4 Die Darstellung von Schmerz in <strong>den</strong> Byskupasögur13.4.1 Statistische UntersuchungWie die sprachliche Analyse der Byskupasögur ergab, verfügen di<strong>es</strong>e Sagas über <strong>den</strong>reichhaltigsten Wortschatz zum Schmerz mit insg<strong>es</strong>amt 40 verschie<strong>den</strong>en „direkten“und „indirekten“ Schmerzbegriffen. Die vom Textcorpus her weit<strong>aus</strong>umfangreicheren Íslendingasögur brachten <strong>es</strong> im Vergleich lediglich auf35 unterschiedliche Wörter zum Schmerz. Die „Schmerzquote“ der Byskupasögur781 Meulengracht Sørensen 2000 [CSML 42], 24.245


lag bei ca. 50 %. Damit wurde Schmerz in etwa jeder zweiten „potentiellen“Schmerzstelle thematisiert. Auch die Zusammensetzung d<strong>es</strong> betroffenenPersonenkreis<strong>es</strong> unterschied sich grundsätzlich von <strong>den</strong> heroischen Sagas. Diemeisten Schmerzopfer fan<strong>den</strong> sich in <strong>den</strong> Wunderbüchern. Es handelte sich umanonyme oder (literatur-)historisch unbedeutende Zeitgenossen derLandbevölkerung. Mit 61 % Männeranteil, 27 % Frauen und 12 % Kindern war dieKlientel der von Schmerz Betroffenen recht gemischt. Zum Vergleich: derMänneranteil der heroischen Sagaliteratur lag bei über 90 %. Weiterhin ergab dieUntersuchung eine höhere Schmerzanfälligkeit von Frauen. Deren Schmerzquote lagbei rund 68 %, während sich der Wert bei <strong>den</strong> Männern bei 45 % bewegte. Mädchenhatten eine Schmerzquote von knapp 78 %. Die Aussagekraft der Schmerzquote bei<strong>den</strong> Mädchen wurde jedoch stark eing<strong>es</strong>chränkt durch die geringe Fallzahl(7 Ereignisse).13.4.2 Narrative Funktion d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>Insg<strong>es</strong>amt konnte in <strong>den</strong> Byskupasögur <strong>aus</strong>geprägt<strong>es</strong> Schmerzverhalten beobachtetwer<strong>den</strong>. Ihm kommt die dramaturgische Aufgabe zu, die Heiligkeit b<strong>es</strong>timmterBischöfe zu legitimieren. In <strong>den</strong> Wunderheilungen der Heiligen offenbart sich dasWirken Christi. Je <strong>aus</strong>geprägter das Leid, d<strong>es</strong>to größer das Wunder.Bezeichnenderweise trifft <strong>es</strong> hierbei gerade Durchschnittsmenschen. So wirdvermittelt, daß Jedermann göttliche Hilfe erhalten kann.13.4.3 Christliche SchmerzkonzeptionDas Christentum ist durch <strong>den</strong> Schmerz geprägt. Als Strafe für die Ursünde liegt erseit der Vertreibung <strong>aus</strong> dem Paradi<strong>es</strong> als Fluch auf der Menschheit. Seine Rolle istvielfältig und die Ursünde ist nur eine von mehreren Ursachen. Er bedeutetobendrein Strafe für sündigen Lebenswandel (durch Gott im Di<strong>es</strong>seits, durchHöllenqualen im Jenseits), Strafe für Gottlosigkeit und Prüfung durch Gott.Obendrein hat er auch reinigende Funktion. Vielfach wird in <strong>den</strong> Byskupasögur aufseinen Strafcharakter ang<strong>es</strong>pielt. Es müssen ind<strong>es</strong>sen nicht immer Sün<strong>den</strong> sein, diekörperlich<strong>es</strong> Leid nach sich ziehen. Oft ist <strong>es</strong> schlicht Nachlässigkeit in der täglichenAusübung d<strong>es</strong> Glaubens, die <strong>es</strong> <strong>den</strong> bösen Mächten ermöglicht, die Oberhand zu246


gewinnen. In <strong>den</strong> in di<strong>es</strong>er Arbeit aufgeführten Beispielen geht <strong>es</strong> z.B. um Trinken,ohne zuvor das Kreuz über dem Becher g<strong>es</strong>chlagen zu haben oder um allgemein zugeringe Frömmigkeit, wodurch der Teufel vom Körper d<strong>es</strong> Betroffenen B<strong>es</strong>itzergreifen kann.13.4.4 Allgemein<strong>es</strong> SchmerzverständnisDie Reaktion d<strong>es</strong> Umfeld<strong>es</strong> auf Schmerzverhalten in <strong>den</strong> christlichen Texten istgeprägt durch Mitleid und Sorge um <strong>den</strong> Betroffenen. Oftmals sind <strong>es</strong> Verwandte,die für ihre Angehörigen beten oder eine Therapie mit geweihtem Wasser oderReliquien einleiten. Es zeigte sich deutlich: Schmerzverhalten ist g<strong>es</strong>ellschaftlichnicht geächtet. Hierin b<strong>es</strong>tätigte sich der Eindruck, <strong>den</strong> die Episode um Spür-Helgi inder Gísla saga Súrssonar erweckt hatte. In di<strong>es</strong>em Zusammenhang stellte sich dieFrage, inwieweit sich die Beobachtungen der christlichen auf die heroischen Texteübertragen lassen. Das Schmerzverständnis der allgemeinen Bevölkerung scheint inbei<strong>den</strong> Textgattungen gleich zu sein, während der Verhaltenscodex der Hel<strong>den</strong> nurfür di<strong>es</strong><strong>es</strong> kleine Kollektiv gilt. Das Gros der Bevölkerung hat wahrscheinlich mitdi<strong>es</strong>en Regeln nichts zu tun.In di<strong>es</strong>e Überlegungen fließt auch die Entstehungszeit der Texte ein. DieHauptentstehungszeiten der unterschiedlichen Sagagattungen überlappen sich(Abbildung 1). In Analogie zur Th<strong>es</strong>e von <strong>den</strong> Íslendingasögur als g<strong>es</strong>ellschaftlichemAbbild der Sturlungenzeit kann diskutiert wer<strong>den</strong>, inwieweit sich auch in <strong>den</strong>Byskupasögur di<strong>es</strong>elben kulturellen und sozialen Grundströmungen wiederfin<strong>den</strong>.Aufgrund ihrer ähnlichen Entstehungszeit scheint di<strong>es</strong>e Möglichkeit durch<strong>aus</strong>gegeben.13.4.5 Guðmundr Arason – ein Bischof als HeilerAm Beispiel d<strong>es</strong> umstrittenen und trotz nachg<strong>es</strong>agter Wundertätigkeit nie heiligg<strong>es</strong>prochenen Bischofs Guðmundr Arason („Guðmundr der Gute”) von Hólar wurdeein Heiligenleben näher analysiert. Es zeigte sich, daß Schmerz im hagiographischenTextmaterial eine größere Rolle spielte als im g<strong>es</strong>chichtlichen. Körperlich<strong>es</strong> Leid warnach Franz von Assisi gewissermaßen eine Grundvor<strong>aus</strong>setzung für <strong>den</strong>Heiligenstatus. Es bedeutete Einswer<strong>den</strong> mit dem gekreuzigten Christus und dient<strong>es</strong>omit der Kontaktaufnahme mit dem Göttlichen.247


Einzelne Wunderheilungen Guðmundrs, bei der <strong>es</strong> zu (zufälligen) Berührungen miterkrankten Körperteilen Anderer kommt, belegen in Analogie zu biblischenWunderheilungen seine Heiligkeit.13.4.6 Der Heilige als ArztEs wurde beobachtet, daß die Therapien der Heiligen oft qualvoll für dieHilf<strong>es</strong>uchen<strong>den</strong> sind. Der Schmerz markiert im Text <strong>den</strong> Beginn d<strong>es</strong>Heilungsproz<strong>es</strong>s<strong>es</strong>. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> wird d<strong>es</strong>halb so deutlich, weil vorher in vielen Fällen trotzeindeutig schmerzhafter körperlicher Zustände nicht von Schmerz die Rede war. DieSchilderung vom schwer mißhandelten Pri<strong>es</strong>ter Rikarðr <strong>aus</strong> der Haraldssona sagamacht di<strong>es</strong><strong>es</strong> Phänomen beispielhaft deutlich. Trotz der gr<strong>aus</strong>amen Quälereien durchEinarr und seine Männer wird Schmerz erst thematisiert, als König Óláfr ihm imTraum erscheint und ärztlich tätig wird.13.5 Bevorzugte Körperregionen d<strong>es</strong> Schmerz<strong>es</strong>Schmerz trat in der untersuchten Sagaliteratur bevorzugt im Kopfbereich (hier vorallem an <strong>den</strong> Augen), an der unteren Extremität und im Brustkorb auf. Augen undHerz b<strong>es</strong>aßen schon seit der Antike starken Symbolcharakter und <strong>es</strong> ist daher nichtverwunderlich, wenn Schmerzzustände di<strong>es</strong>er wichtigen Organe häufig g<strong>es</strong>childertwer<strong>den</strong>. Zudem wer<strong>den</strong> Augenschmerzen generell als störender empfun<strong>den</strong> alsSchmerzen in anderen Körperregionen, was auf der starken Innervation di<strong>es</strong><strong>es</strong>Sinn<strong>es</strong>organs beruht. Bei Schmerzen der unteren Extremität spielt der Aspekt derFortbewegung eine wichtige Rolle. Ohne funktionierende Beine ist die Mobilitätstark eing<strong>es</strong>chränkt, was die individuell g<strong>es</strong>ellschaftliche Stellung bedroht mit derFolge sozialer Ausgrenzung.13.6 Schlaf als SchmerzindikatorSchlaf gehört zusammen mit <strong>den</strong> Bereichen Bett und Traum zu <strong>den</strong> häufigverwendeten Motiven der untersuchten Sagaliteratur. Schlafstörungen treten in allenSagagattungen mehrfach schmerzbedingt auf und erfüllen auf di<strong>es</strong>e Weise dieKriterien ein<strong>es</strong> Meßinstrument<strong>es</strong> für Schmerz. Wenn Schlaf nicht mehr möglich ist,ist auch die Toleranzgrenze für Schmerz erreicht. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> ist ein deutlich<strong>es</strong> Zeichenfür die Stärke d<strong>es</strong> hiermit verbun<strong>den</strong>en Distr<strong>es</strong>s<strong>es</strong>. Wenn nach schmerzhafterKrankheit Schlaf wieder möglich ist, findet di<strong>es</strong> in <strong>den</strong> Sagas <strong>aus</strong>drücklichErwähnung. Es läßt sich also anhand d<strong>es</strong> Nachtschlaf<strong>es</strong> abl<strong>es</strong>en, wie stark eine248


Person durch Schmerz beeinträchtigt wird, auch wenn darüber im Text keineweiteren Hinweise zu fin<strong>den</strong> sind.13.7 Kurzzusammenfassung der wichtigsten UntersuchungsergebnisseKörperlicher Schmerz zeigt sich in der untersuchten Sagaliteratur auf höchstunterschiedliche Weise. Mal ist er kunstvoll zwischen <strong>den</strong> Zeilen versteckt, mal tritter offen zu Tage. Im übergeordneten Zusammenhang erweist sich Schmerz alsliterarisch<strong>es</strong> Stilmittel, mit d<strong>es</strong>sen Hilfe der Status b<strong>es</strong>timmter Charaktere g<strong>es</strong>tärktwird. In <strong>den</strong> durch das Hel<strong>den</strong>ideal geprägten Sagas sind di<strong>es</strong> die Hel<strong>den</strong>. Sieverfügen eindeutig über Schmerzempfin<strong>den</strong>, treten aber gleichzeitig als d<strong>es</strong>senBezwinger auf. In <strong>den</strong> christlich geprägten Sagas übernimmt Gott die Rolle d<strong>es</strong>Bezwingers durch seine irdischen Vertreter. Er befreit ganz normale Menschen vonihren Qualen und demonstriert auf di<strong>es</strong>e Weise seine Omnipotenz. ImSchmerzphänomen als kulturell geprägter Erscheinung sind Schmerz und Hel<strong>den</strong>tumin <strong>den</strong> Sagas miteinander verflochten. Hel<strong>den</strong> sind zwar schmerzempfängliche, dochletztlich schmerzr<strong>es</strong>istente Vorbilder. In einer als chaotisch empfun<strong>den</strong>en Weltsorgen sie für Ordnung. In <strong>den</strong> Einführungskapiteln di<strong>es</strong>er Arbeit wurde kurzdarg<strong>es</strong>tellt, wie die isländische G<strong>es</strong>ellschaft vor und während der Sturlungenzeitimmer weiter <strong>aus</strong>einanderbrach. In <strong>den</strong> Jahrzehnten vor und nach dem Ende d<strong>es</strong>Freistaat<strong>es</strong> war Orientierung und Führung wichtiger <strong>den</strong>n je. Es ist vermutlich keinZufall, daß viele der untersuchten Sagas <strong>aus</strong>gerechnet während di<strong>es</strong>er Zeitentstan<strong>den</strong>. Im Schmerz d<strong>es</strong> täglichen Lebens bildeten sie <strong>den</strong> Kontrapunkt zur Prosader Verhältnisse.249


14 Literatur- und Quellenverzeichnis14.1 SiglenASAW = Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften,Philologisch-historische Klasse.AUS VII = American university studi<strong>es</strong> : Reihe VII : Theology and religionBBB = Bonner Biblische Beiträge.BDP = Beiträge zur deutschen Philologie.BHL = Bibliotheca Historica Lun<strong>den</strong>sisCSML = Cambridge Studi<strong>es</strong> in Medieval Literature.DNLS = Det Nordiske Literatur-Samfund.EA A = Edition<strong>es</strong> Arnamagnæanæ : Reihe AEA B = Edition<strong>es</strong> Arnamagnæanæ : Reihe BEF B = Erlanger Forschungen : Reihe B : Naturwissenschaften und MedizinERGA = Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde.IASP = International Association for the study of pain.ÍF = Íslenzk Fornrít.ILDUS = Illustriert<strong>es</strong> Lexikon der Deutschen Umgangssprache.ISL = Islandica.KAL = Kommissionen for det Arnamagnæanske Legat.KLNM = Kulturhistorisk Leksikon for Nordisk Middelalder.LCI = Lexikon der christlichen Ikonographie.LeMa = Lexikon d<strong>es</strong> Mittelalters.ODS = Ordbog over Det Danske Sprog250


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15 AbbildungsverzeichnisAbbildung 1: Entstehungszeiträume der untersuchten Sagaliteratur im Überblick ...32Abbildung 2: Häufigkeit von Schmerz in <strong>den</strong> untersuchten Sagas ............................77Abbildung 3: Schmerzquote .......................................................................................78Abbildung 4: Potentiell schmerzhafte Ereignisse im Überblick ................................78Abbildung 5: Schmerzursachen im Überblick ...........................................................79Abbildung 6: Schmerz in <strong>den</strong> Byskupasögur: beteiligte Körperregionen..................83Abbildung 7: Schmerz in <strong>den</strong> Konungasögur: beteiligte Körperregionen .................83Abbildung 8: Schmerz in der Sturlunga saga: beteiligte Körperregionen..................84Abbildung 9: Schmerz in der Íslendingasögur: beteiligte Körperregionen................84Abbildung 10: Handlungsverläufe zwischen Þormóðrs Verwundung und Tod imÜberblick..........................................................................................118Abbildung 11: Gasödem...........................................................................................179Abbildung 12: AM 557 4to (Skálholtsbók), Blatt 31r..............................................179272


16 TabellenverzeichnisTabelle 1: „Direkte“ Schmerzbegriffe........................................................................70Tabelle 2: „Indirekte“ Schmerzbegriffe .....................................................................71Tabelle 3: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in <strong>den</strong> Byskupasögur............73Tabelle 4: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in <strong>den</strong> Konungasögur...........73Tabelle 5: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in der Sturlunga saga............74Tabelle 6: Häufigkeitsverteilung der Schmerzbegriffe in <strong>den</strong> Íslendingasögur.........74Tabelle 7: G<strong>es</strong>chlecht und Alter in <strong>den</strong> „potentiellen Schmerzstellen“ .....................80Tabelle 8: G<strong>es</strong>chlecht und Altersstruktur in <strong>den</strong> „tatsächlichen Schmerzstellen“ .....80Tabelle 9: Schmerzquote nach G<strong>es</strong>chlechtern............................................................80Tabelle 10: Schmerzursachen-Analyse Männer/Frauen in <strong>den</strong> Byskupasögur..........81Tabelle 11: Erkrankte Männer....................................................................................82273


17 RegisterAAlexander Jóhann<strong>es</strong>son, 66, 67, 69, 71, 127andlitsmein, 214Antonius von Padua, 195Arons saga, 132Assisi, Franz von, 194, 206Aufmerksamkeit, 23augnamein, 215augnasótt, 215augnaverkr, 87, 127, 216, 215–16, 241<strong>August</strong>inus, 195Ausbildung, 27–28<strong>aus</strong>tmaðr, 49, 171Árni Pálsson, 51Ásgeir Blöndal Magnússon, 127, 170, 180BBaetke, 67, 94, 101, 115, 127, 157Bakan, 140Bandamanna saga, 5, 91Bandler & Keay, 13Bandler & Shipley, 13Bandler, Carrive & Zhang, 13Basaliom, 214–15Bárðar saga SnÌfellsáss, 88Beecher, 15, 17, 125, 126, 242Bellgowan & Helmstetter, 13bera, 187Berchtold & al., 105, 116, 133–35Beth, 144Bett, 187–89Bibel, 193Bindehautentzündung, 85Bißverletzung, 133Björn Þorsteinsson, 44, 49, 52, 54blástr, 130blóðrás mœðir e-n, 149, 158Bootzin, 24Bornholm-Krankheit. siehe Pleurodynia epidemicaBowker, 208bóndi, 44, 47, 52Brennu-Njáls saga, 96, 97, 169, 172, 204, 240, 243,244Brot úr miðsögu Guðmundar, 22, 213Brune, 193–94Brustschmerz, 89–91Byock, 55Byskupasögur, 36–37, 42, 62, 73, 75–83, 89, 92,93, 133, 157, 187, 193, 224–36, 237, 243, 245–49CCastro-Lop<strong>es</strong>, 19Cervero, 16Christianisierung, 26, 27, 44, 52, 61, 102Christus, 155, 194, 198, 205, 210, 216, 225, 237,247Cleasby & Guðbrandur Vigfússon, 127, 155, 180Cogg<strong>es</strong>hall, 19Cortex, somatosensorischer, 13Cousins & Power, 25, 139Craig 1999, 14, 15DDahlerup, 52De Vri<strong>es</strong>, 66, 67, 71, 127Derby, 76Devil‘s Grip. siehe Pleurodynia epidemicaDolorismus, 194Doubell & Woolf, 19Doubell, Mannion & Woolf, 18Drangey, 115drengskapr, 101–2, 166, 201, 239, 242Dupuytren‘sche Kontraktur, 222Durrenberger, 39, 43, 50, 51, 101, 124EEccl<strong>es</strong>ton, 23Egils saga, 132, 187Egils þáttr Síðu-Hallssonar, 150–55Ehre, 99, 100, 102Eigentumsdefinition, 52Einar Arnórsson, 57274


Einar Ól. Sveinsson, 39, 184Eiríks saga rauða, 178, 179, 182, 244Eiríkur Oddsson, 29Endorphine, 16–17, 23, 126Engelhardt, 194, 195, 205Entzündung, 15–16Entzündungszeichen, 16, 134, 241Exkommunikation, 56, 59, 198, 217Extremitätenschmerz, 87–89Eyrbyggja saga, 22, 132, 168FFagrskinna, 34, 35farbann, 50farmaðr, 49Fell, 33, 39, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 99, 101,102, 197, 200, 201, 217Fields, 12, 24fjörbaugsgarðr, 46Flagellation, 195Flateyjarbók, 33, 103, 104, 121, 142–43, 183–84FljótsdÍla saga, 89, 98Fluchtreflex, 13, 15Foote, 51, 60Foote & Wilson, 51FóstbrÍ ðra saga, 86, 90, 103–20, 138Franklin, 13Freeman & Watts, 13, 20friðarôld, 33Fritzner, 66, 71, 127, 137, 155, 169, 170Fröhlich, 98Fülleborn, 65Furunkel, 171, 174–77Definition, 169Gasbrand, 134Gasödem, 134, 135Gate Control Theory, 11Ge<strong>es</strong>ing, 157Gegenwartssagas, 30Geißlerproz<strong>es</strong>sion, 195Gelsinger, 49G<strong>es</strong>etz von Úlfljótr, 44G<strong>es</strong>etzlose, 46GGizurarsáttmáli, 55Gizurr Þorvaldsson, 55Gizzurr Ísleifsson, 33Gizzurr Þorvaldsson, 197Gísla saga Súrssonar, 12, 101, 159, 160, 173, 174,188, 244, 247Gísli Pálsson, 44Gode, 47–48Go<strong>den</strong>, 48goðorð, 47Gough & al., 186Gracely, 179Grágás, 42, 46, 47, 60Grettis saga, 9, 10, 115, 128–30, 134–36, 139, 140,161, 162, 189, 190Grevert & Goldstein, 23Grimm, 112GrÍnlendinga saga, 183–85Grøn, 137, 152, 156, 170Guðmundar saga Arasonar, 24, 25, 69, 207, 208,211, 212, 205–17, 221–24, 226–33, 237Guðmundar saga dýra, 72, 132, 142Guðmundr Arason, 36, 59, 195, 196, 197, 205–17,237, 245, 247Guðrún Nordal, 27, 28, 33, 37, 38, 39Guillemeau, 125Gull-Þóris saga, 133, 138, 146, 188Gunnar Karlsson, 54Gunnlaugr Leifsson, 30Gunnlaugs saga ormstungu, 162, 163, 164gørningasótt, 152HHalldórsson, 184Hallr Þórarinsson, 28Haraldssona saga, 220, 248harmkvôl, 68harmkvæli, 68harmr, 69Hartmann, 67Hastrup, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 53,54, 55, 60, 100Haukr Erlendsson, 178Hauksbók, 103, 177, 179, 185, 177–85, 244Hákon Hákonarson, 55275


Hákonar saga Hákonarsonar, 34Hávarðar saga Ísfirðings, 161Heggstad & al., 71, 127, 155, 180Heiðarvíga saga, 87, 139, 166HeiligeDer Heilige als Arzt, 217–24Heiligenkult, 62Heimskringla, 34, 35, 103, 106, 132, 217, 218, 219,220Held, 240Definition, 100Schmerzverhalten, 93–102HerzSymbolik, 89–90Heusler, 26Hexenschuß, 91Hinterhorn, 11, 12, 18, 19hjartverkr, 89, 152, 155–58Hoffmann, 65–68, 180Hohlwunde, 104Holzer, 16Holzhauer, 112Hólar, 28, 36, 57, 58, 59, 197, 198, 199, 201, 208,228Hrafn Sveinbjarnarson, 205Hrafnkels saga Freysgoða, 173, 175, 176, 190, 243Hreinn Benediktsson, 8, 26, 27, 33, 49, 56Hyperalg<strong>es</strong>ie, 16, 18Hypersensibilität, 19Hyposensibilität, 18Hödl, 89Hölle, 186, 208, 211, 233Höllenfeuer, 194Höllenqualen, 195, 231, 237, 246Höllenstrafe, 67IASP, 9Impulshemmung, 12Infantizid, 63Infatizid, 51Inhibition, 18Ísleifr Gizzurarson, 57Íslendinga saga, 131, 132, 161, 188, 196, 200–203Íslendingabók, 34, 42–44, 60IÍslendingasögur, 38–39, 47, 74, 75–82, 84, 93–94,99, 123, 182, 221, 238, 245, 247Íslendingaþættir, 39–40JJansson, 179, 181Jartegnabók Þorláks byskups en forna, 187, 190,191, 234Jensen, 10Johnsen, 104Jon<strong>es</strong>, 50Jómsvíkinga saga, 14, 15, 72Jón Jóhann<strong>es</strong>son, 49, 50, 51, 60, 183Jón Ögmundarson, 58, 195Jónas Kristjánsson, 33, 35, 37, 38, 39, 94, 132Jóns biskups saga helga, eptir Gunnlaug múnk, 234,235, 236Jóns biskups saga, hin elzta, 14, 68Jóns saga helga, 68KKaiser, 4, 110, 115, 145, 146, 148, 151, 154, 155,169, 172, 173, 221, 225Karl Jónsson, 29Katon, 15Kimbi, 117–19Kirby, 58Kleven, 52, 100Klima, 49Kluge, 65, 67, 68Klöster, 29–30, 60Konsolidierung d. Christentums, 56–60Konungasögur, 34–35, 73, 75, 76, 78–83, 102, 183,193, 238Kormaks saga, 169Krankheitswichte, 221Kremer, Block & Atkinson, 15kveisa, 169kveisunagl, 169kvôl, 67, 68Körperhöhle, 104Laarmann, 194, 195L276


Landnámabók, 34, 42, 43, 51landvættir, 61Latein, 27, 28, 36, 57, 61LaxdÍla saga, 145, 147, 148, 159, 168Leid, 193, 236leiðendi, 68leiðr, 67, 68leiglendingr, 45Leiss, 242Lembeck & Holzer, 16Leriche, 123Levine, 23Levine, Gordon & Fields, 23leysingi, 44Ljósvetninga saga, 161lôgrétta, 60lôgsôgumaðr, 26, 48, 197Lungenembolie, 91Lungenentzündung, 91lyfsteinn, 145, 148Lynn, 16MMaggi & Meli, 16Magie, 58–62, 115, 144–58, 221, 225, 240Magnúss saga lagabœtis, 34Mandel, 99Männlichkeitsideal, 6, 102Margrét Hermanns-Auðardóttir, 44MariaMarienkult, 195Mayer & al., 12Mayer & Price, 12McCaul & Malott, 23meinlæti, 68meinsemd, 68Melzack & Wall, 11Melzack, Wall & Ty, 20Meulengracht Sørensen, 30, 31, 43, 44, 55, 102,146, 245Migräne, 212Miller, 94Missionsbischöfe, 56Mitleid, 194, 204, 210, 224, 225, 237, 245, 247Modi der Schmerzverarbeitung, 20Morkinskinna, 34, 35, 170, 171Morris, 4, 9, 13, 41, 42, 102, 122, 140, 194, 195móðr, 158, 159, 160, 239Möðruvallabók, 33nauðr, 66Neckel, 90Nidarós, 58, 197, 199Njáls saga, 187not, 65, 66Nozizeptoren, 11, 16Nylander, 52œpa, 187NŒOOlafs saga hins helga, 71, 104, 105, 106, 109, 117,119, 124, 131, 137, 220Olafur Lárusson, 50Orkneyinga saga, 133Orri Vésteinsson, 33, 48, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58,198, 217Otte Brudstykker af <strong>den</strong> ældste Saga om Olav <strong>den</strong>Hellige, 220óhœgendi, 68Ólafur Halldórsson, 29, 179Óláfr Haraldsson, 35, 56, 103, 121, 125, 127, 138,139, 141, 143, 152, 154–55, 157, 195, 217–21,240, 248Óláfr Tryggvason, 27, 35, 178, 230–31óœpandi, 187PPächter, 45Perl, 16Pettersson, 145Pferdefleisch, 51, 63Phlegmone, 134Pitman, 17, 126, 242pína, 66, 68Placeboeffekt, 23–25, 147277


plága, 67Pleurodynia epidemica, 157Pneumothorax, 91, 104, 105, 116Pr<strong>es</strong>tssaga Guðmundar Arasonar, 76, 79, 206, 222,223Pri<strong>es</strong>ter, 27, 56–57, 58, 60, 190, 191, 198, 202, 217,230RReichborn-Kjennerud, 5, 85, 89, 90, 91, 127, 136,137, 151, 152, 155, 156, 157, 214, 215, 216,221, 228, 229, 241Reiss, 24Reliquien, 24, 61, 62, 63, 217, 224, 233, 247Reynolds, 12Ridder, 101Riede & Schaefer, 16, 129Romano & Turner, 15Rüttimann, 138, 140SSaga Guðmundar Arasonar, Hólabiskups, eptirArngrím ábóta, 69, 86, 187, 206, 209, 210, 211,212, 213, 214, 215, 223, 224, 226, 228, 229,230, 231, 232, 233Saga Óláfs konungs hins helga, 86, 106, 120, 125,150, 152, 153, 155Sagaliteratur, 31Sagastil, 94, 244Sagazeit, 31Sauerbruch & Wenke, 125Sawyer & Sawyer, 43sár, 66sárleikr, 66, 120sárr, 66, 120, 241sársauki, 66, 120, 123Scharbert, 193, 194, 217Schiefenhövel, 10Schier, 27, 28, 29, 30, 31, 34, 36, 37, 146, 206Schlaf, 187–92Schleusener-Eichholz, 85Schmerzakuter, 6Chiffren, 158–62chronischer, 6Definition, 6, 9Sinn und dramat. Funktion, 140–58Schmerzensmann, 210Schmerzerlebenindividuell<strong>es</strong>, 41Schmerzkultur, 42Schmerzverhalten, 10, 13–15Schmerzverständnischristlich<strong>es</strong>, 193–95Schück, 52Schwerter, 145–49Schwob, 6, 17, 93, 193, 194, 195seer, 65sending, 91, 96, 150, 151Sepsis, 134, 170siða, 157Sighvatr Sturluson, 196Sigurður Nordal, 30, 35, 87, 88, 132, 133, 139, 166Sigurður Samúelsson, 4, 68, 91, 134, 151, 156, 169,212, 213, 214, 215, 216, 217, 233Simek, 4, 58Skálholt, 28, 33, 37, 53, 57, 60Skálholtsbók, 177–85, 244Skene, 19Sklaven, 46skot, 91, 151skógarmaðr, 46skóggangr, 46skrækr, 115Snorri Sturluson, 28, 34, 35, 39, 103, 197, 198, 200Sprenger, 66, 69staðamál, 52, 59, 100, 197Stiklastaðir, 78, 121, 153, 239, 240stingasótt, 91stingi, 91stirðr, 98, 158, 159, 160, 239Storm, 49, 179, 220Sturla Sighvatsson, 196, 199–205Sturla Þorðarson, 31Sturla Þórðarson, 196Sturlunga saga, 37–38, 53, 59, 62, 74, 75–84, 93,102, 141, 167, 188, 196, 237, 238Sturlungen, 33, 55, 196–97Konflikt mit Guðmundr Arason, 197–99SvarfdÍla saga, 132Sveinbjörn Rafnsson, 51278


Sverris saga, 34, 35, 130, 141svíða, 127Sæmundr Sigfússon, 28Teitr Ísleifsson, 28Thalamus, 12, 17Thing, 48–49Trübner, 65Turk & Flor, 13Turner & Romano, 15TUUlcus ro<strong>den</strong>s. siehe BasaliomUlcus terebrans. siehe BasaliomUrban & Gebhart, 12útilegumenn, 47VVan der Kolk, 17, 126, 242VatnsdÍla saga, 111, 116Vergangenheitssagas, 30verkr, 6, 16, 22, 66, 69, 75, 122, 123, 133, 127–37,141, 143, 144, 189, 190, 213, 214, 216, 241–42Vilhjálmur Finsen, 46, 47, 60, 100Visual Analogue Scale, 186Vorzeitsagas, 31WWall, 11, 15, 21–24, 126, 139Wallén, 49Walter, 7, 26, 27, 28, 29, 31, 43, 56, 57, 71Watzlawick, 42Wickramasekera, 24Wikinger, 3, 10, 14, 26, 45, 72Woodbury, 76Wund<strong>es</strong>chreiende, 111–16Wunderbücher, 36, 62, 193, 224, 233, 238, 246Wunderheilungen, 225–26Wundschmerz, 122–27Yaksh, 13, 15, 17YZZborowski, 41, 94, 138, 164, 165, 166, 239Zehnte, der, 52–54, 57Zhuo & Gebhart, 12Þingeyrar, 29, 123þingfararkaup, 48þingmaðr, 45, 48, 54þola, 71, 187Þorgils saga skarða, 160, 163, 167Þorhallur Vilmundarson, 51Þorlákr Þórhallsson, 59, 195Þorláks saga, 133, 165, 166, 188, 189, 191, 192Þormóðr Bersason ("Kolbrúnarskáld"), 102–21,142–44Þórðar saga hreðu, 167Þórðar saga kakala, 11þroti, 134þræll, 44ætt, 99, 100ÞÆ279

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