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Der letzte Ritter des Liberalismus» (PDF) - Die Weltwoche

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Magie <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong><strong>Der</strong> <strong>letzte</strong> <strong>Ritter</strong> <strong>des</strong> LiberalismusVon Philip Plickert _ Wer die immer wiederkehrenden Finanzkrisen verstehen will, kommt amösterreichischen Ökonomen Ludwig von Mises nicht vorbei. Wenig bekannt ist, dass Mises ein grosserLiebhaber der Schweiz war.Ja, wer konnte denn die grosse Finanz- undWirtschaftskrise kommen sehen, die vor fünfJahren ausbrach? <strong>Der</strong> Mainstream der Ökonomenwar jedenfalls völlig überrascht, als die Finanzblaseplatzte. Einer der wenigen, die davorgewarnt hatten, war William White, Chefvolkswirtder Bank für Internationalen Zahlungsausgleich(BIZ) in Basel. Als der BIZ-Chefökonomdie grossen Zentralbanker der Welt mit seinenSorgen konfrontierte, erntete er wütende oderhämische Reaktionen. Wie konnte White, einKanadier mit Vorliebe für Holzfällerhemden,die Ursachen und Vorzeichen der Krise erkennen?Er stützte sich auf die österreichische GeldundKonjunkturtheo rie, die vor allem Ludwigvon Mises (1881 bis 1973) begründet hat.Ihr Hauptargument: Wenn die Zinsen zu tiefgedrückt werden und zu viel Geld über Kreditschöpfungin die Wirtschaft kommt, folgt darausein ungesunder Boom. Das billige Geldwird für Investitionen genutzt, die eigentlichunrentabel sind. Wie verrückt wird gebaut undinvestiert, zudem zieht der Konsum an. <strong>Der</strong>Boom überhitzt schliesslich, steigende Zinsenlassen die Blase platzen. Viele Projekte entpuppensich als nicht mehr finanzierbare Fehlinvestitionen.Sie müssen abgebrochen und liquidiertwerden. <strong>Die</strong> Preise fallen, die Blaseplatzt. Es folgt eine tiefe Rezession.Dass die vor fünf Jahren geplatzte Immobilienblasein den Vereinigten Staaten, die in dieganze Welt ausstrahlte, mit einer zu langenPhase zu expansiver Geldpolitik unter demZentralbankchef Alan Greenspan zu tun hatte,das ist heute eine weithin geteilte Analyse. <strong>Die</strong>beispiellose Aufblähung der Geldmenge war inden Jahren vor der Krise ignoriert worden. <strong>Die</strong>Mises-Jünger fordern <strong>des</strong>halb eine radi kale Lösung:Sie wollen das staatliche Papiergeldmonopolbrechen. Dort liegt ihrer Meinung nachder Kern vieler ökonomischer Fehlentwicklungenund der chronischen Inflation.Ludwig von Mises, geboren 1881 in Lemberg,im damals österreichischen Galizien, und inWien aufgewachsen, war der konsequentesteund radikalste Wirtschaftsliberale <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts.Sein Biograf Jörg Guido Hülsmannnennt ihn den «<strong>letzte</strong>n <strong>Ritter</strong> <strong>des</strong> <strong>Liberalismus»</strong>.Unnachgiebig beharrte er darauf, dassder Staat sich vollständig aus der Wirtschaftheraushalten solle.Berühmt wurde Mises mit dem Sozialismus-Streit, der im Roten Wien und darüber hinaus inganz Europa hohe Wellen schlug. Kurz zuvorwar in Russland die bolschewistische Revolu-Grosser Warner: Ökonom von Mises.66 <strong>Weltwoche</strong> Nr. 40.13Bild: Ludwig von Mises Institute


tion siegreich, weite Teile der linken IntelligenzEuropas begrüssten die Umwälzungen, auchwenn das Land bald mit einem scharfen wirtschaftlichenEinbruch zu kämpfen hatte.Warum der Kapitalismus effizienter ist<strong>Die</strong> falschen Ideen <strong>des</strong> Sozialismus konntennur mit besseren Ideen bekämpft werden. Alsoattackierte Mises in einem Aufsatz das Herzstückder sozialistischen Verheissung: dassnämlich die Wirtschaft nicht nur gerechter, sondernauch effizienter und rationaler geplantwerden könne, wenn der «chaotische» oder «anarchische»Kapitalismus überwunden werde,der nur dem Profitstreben gehorche. Leninschrieb in seinem Büchlein «Staat und Revolution»,dass künftig alle Arbeiter und Angestelltenin einem gewaltigen Kollektivzusammengefasst würden. <strong>Die</strong> Überwachungihrer Arbeit und die Steuerung der Wirtschaftsei dann «äusserst vereinfacht». Es genüge, dassman «die vier Grundrechenarten beherrscht».Nichts war falscher als dies, wusste Mises. Erlegte dar, dass im Sozialismus eine «rationaleKostenrechnung» nicht möglich sei – schlicht,weil die Planer keine realistischen Preise alsOrientierungshilfe hätten. <strong>Die</strong> sozialistischeWirtschaft sei daher zu Ineffizienz und Niedergangverurteilt. Frühere Sozialismus-Gegnerhatten vor allem kritisiert, dass es imSozia lismus zu wenig Leistungs- und Arbeitsanreizegebe, wenn man kein Pri vat eigentummehr haben dürfe. Mises brachte ein anderesArgument: Ohne Privateigentum undmarktwirtschaftlichen Tausch bilden sich keinePreise, welche die relative Knappheit vonGütern anzeigen. <strong>Der</strong> zentrale Planer tappt imDunkeln. Anders als in der Marktwirtschaftkönnen die Konsumenten ihre Wünsche nichtüber preisliche Nachfrage kommunizieren.<strong>Die</strong> Planwirtschaft geht mithin am Bedarf vorbei.Sie ist zu geringer Produktivität, Stagnationund letztlich Niedergang verdammt.In seinem Buch «<strong>Die</strong> Gemeinwirtschaft. Untersuchungenüber den Sozialismus» (1922)zeigte Mises zudem, dass der Sozialismus auchpolitisch gefährlich ist, weil er zu einem autoritärenZwangsregime, ja zur Diktatur führt.«Man kann das sozialistische Gemeinwesen inseinem inneren Aufbau am besten mit einerArmee vergleichen», schrieb Mises. Statt freierBürger in der marktwirtschaftlichen «Verbraucherdemokratie»gebe es im Sozialismus nurnoch Untertanen <strong>des</strong> Beamtenstaates. SeinFreund Friedrich August von Hayek, spätermit dem Wirtschaftsnobelpreis geehrt, hat dieseGedanken aufgegriffen und in seinem Buch«<strong>Der</strong> Weg zur Knechtschaft» (1944) ausgebaut.Wie eine Bombe schlug Mises’ Buch gegenden Sozialismus ein. Seine Attacke gegen diePlanwirtschaft erschütterte eine ganze Generationjunger Ökonomen. Wilhelm Röpke etwabekannte: «Ich wäre ein ganz anderer Typ Nationalökonomund Mensch geworden, wenn<strong>Weltwoche</strong> Nr. 40.13ich nicht zufällig auf das Buch ‹<strong>Die</strong> Gemeinwirtschaft›gestossen wäre.» Noch zwanzigJahre später versuchten sich sozialistische Ökonomenan einer Widerlegung von Mises’ Argument– letztlich gab ihm die Geschichte recht.Eine grosse akademische Karriere hat Misesnie gemacht. Mehr als zwanzig Jahre arbeiteteer in der Wiener Handelskammer, nebenbeilehrte er an der Universität nur als ausserordentlicher,unbezahlter Professor. Als striktmarktwirtschaftlicher Jude war er ein doppelterAussenseiter. Im Herbst 1934 nahm er einAngebot William Rappards an, nach Genf aufeine Professorenstelle ans Institut de hautesétu<strong>des</strong> internationales zu wechseln.An dieser Hochschule vor allem für Diplomaten<strong>des</strong> Völkerbunds traf Mises auf befreundeteliberale Gelehrte wie Röpke. Unterrichtet wurdeauf Französisch und Englisch, wobei Misesim Englisch stets einen schweren österreichischenAkzent behielt. Ein gutes Gehalt und wenigLehrverpflichtungen, dafür aber viel Zeitzum Forschen und Schreiben hatte Mises in dieserZeit in Genf. Zugleich ent deckte er, gemeinsammit seiner Frau, einer Schauspielerin, seineLiebe zum Autofahren in den Schweizer Bergen.«Das waren wohl die glücklichsten Jahre seinesLebens», sagt Biograf Hülsmann – trotzder wachsenden Bedrohung nach dem «Anschluss»Österreichs an NS-Deutschland imMärz 1938. Mises’ Wohnung in Wien wurdeaufgebrochen, Gestapo-Männer schlepptenseine persönliche Korrespondenz, seine Bibliothek,Silber, Gemälde und auch Wäscheweg. <strong>Der</strong> Ausbruch <strong>des</strong> Zweiten Weltkriegesverschlimmerte die Situation für Mises nochmehr, er fühlte sich umzingelt in der Schweiz.Im Juli 1940 flüchtete er mit seiner Frau aufabenteuerliche Weise mit dem Bus durch dasschon halbbesetzte Frankreich und durch Spanien.Schliesslich bestiegen sie in Lissabon einSchiff nach Amerika. Dort wurde er Gastprofessoran der New York University, doch seinGehalt zahlte eine private Stiftung. Sein 1949erschienenes monumentales Werk «HumanAction» erreichte allerdings über die Jahrzehnteeine Auflage von mehreren Hunderttausendenund begeisterte breite Kreise in Amerika.«Ihr seid doch alles Sozialisten»Mises, der kompromisslose, oft liebenswürdigwitzige,manchmal auch schroffe Liberale, bliebdennoch am Rande <strong>des</strong> Wissenschaftsbetriebs –auch wegen seiner rigiden methodologischenAnsichten. <strong>Die</strong> Mathematisierung der Ökonomielehnte Mises strikt ab, weil sie relativistischenAnsichten Vorschub leiste. Je nach denAnnahmen, die man in die Formeln und Modelleeinbaut, kann man praktisch zu jeder Schlussfolgerungkommen. Selbst mit seinen Freundengab es Konflikte, wenn sie seiner Linie nichtfolgten. Legendär ist die Szene, wie Mises beieiner Debatte über den Goldstandard im Kreiseder liberalen Mont Pèlerin Society einmal «Ihrseid doch alles Sozialisten» rief und daraufhinwutentbrannt den Raum verliess.Unterstützer fand Mises in der kleinen, aberwachsenden radikal-liberalen Szene, in Denkfabrikenauf der ganzen Welt. Auch in Europasind kleinere Think-Tanks aktiv, etwa in Zürichdas Liberale Institut; sogar weit in Osteuropasind nach 1990 Institute gegründetworden, die seine Ideen verbreiten.Wie sehr Mises die Schweiz geliebt hat,zeigte er in seinem <strong>letzte</strong>n Lebensjahr: Kurzvor seinem Tod 1973 äusserte er den Wunsch,noch einmal die Schweiz zu sehen – nichtÖsterreich. Seine Frau organisierte den Flug,sie verbrachten ein paar Tage in einem Kurortin den Bergen nahe Luzern. Auf dem Rückflugverschlechterte sich Mises’ Zustand. Einen Tagnach seiner Ankunft in New York kam er insKrankenhaus. Dort starb er am 10. Oktober –vor genau vierzig Jahren.Mises war ein grosser Warner. Er sei letztlich«Geschichtsschreiber <strong>des</strong> Niedergangs geworden»,schrieb er in seinen Memoiren in densiebziger Jahren. Dabei sah er nicht nur denkommunistischen Ostblock, sondern auch denWesten auf einem verhängnisvollen, staatsinterventionistischenWeg. Dazu muss mansein Konzept der Interventionsspirale verstehen,die immer tiefer alle Bereiche von Wirtschaftund Gesellschaft erfasst. Greift der Staatan einer Stelle in das Wirtschaftsgeschehen einund setzt er Preise oder Angebotsmengen fest,so zieht dies nach Mises unweigerlich dennächsten, angeblich korrigierenden Eingriffnach sich. Eine Intervention folgt der nächsten.Am Ende rutsche man über immer mehrDirigismus in die Planwirtschaft.Beispiele für Interventionsspiralen gibt es genug.Besonders in der Geldpolitik ist Mises’Warnung vor der Interventionsspirale sehr berechtigt.<strong>Der</strong> keynesianischen Theorie folgend,wonach tiefe Zinsen die Wirtschaft stimulieren,haben Zentralbanken immer wieder die Leitzinsenniedriger als angemessen angesetzt. UnterBerücksichtigung der Inflationsrate warendie Leitzinsen oft sogar negativ. Es bildeten sich– von Amerika ausgehend – wandernde Blasenund Verzerrungen. Zu viele sinnlose Finanzprodukte,zu viele Baukapazitäten. Doch statt eineschmerzhafte Bereinigung und Abschreibungender Überkapazitäten und Fehlinvestitionenzuzulassen, versuchen die Zentralbanken mittelsultraniedriger Zinsen gegenzusteuern.Auch heute sind die Leitzinsen wieder negativ,und die Geldpolitik soll noch lange sehrexpansiv bleiben. Nicht nur strikte Mises-Anhänger, auch die Ökonomen der BIZ fürchten,dass eine lange Billiggeldflut den Keim fürdie nächste Krise legt. Doch die grossen Zentralbankender Welt scheinen die Warnungwieder zu ignorieren.Philip Plickert ist Wirtschaftsredaktor der FrankfurterAllgemeinen Zeitung.67

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