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Henry Ford in der Wirkungsgeschichte - von Patrik Schneider

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1<strong>Patrik</strong> Schnei<strong>der</strong>, Achern mail: schnei<strong>der</strong>patrik@aol.com<strong>Henry</strong> <strong>Ford</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirkungsgeschichte</strong>:Upton S<strong>in</strong>clair: Am Fließband, 1937 undAldous Huxley, Schöne neue Welt, 1932In zwei Romanen ist die Sozialgeschichte, die <strong>Henry</strong> <strong>Ford</strong> provozierte, narrativ verarbeitet.Die beiden literarischen Werke liefern genau den Zündstoff, <strong>der</strong> notwendig ist, Geschichte alsSelbstreflexion des Geistes zu begreifen. Sie s<strong>in</strong>d gestaltete Modelle, die verdichtetDeutungszusammenhänge philosophisch und theologisch schaffen und die Frage nach <strong>der</strong>Gerechtigkeit und dem Guten evozieren. Sie deuten geschichtliche Erfahrung – <strong>in</strong> diesem Falle dieIndustriegeschichte des <strong>Henry</strong> <strong>Ford</strong>, schälen die Defekte <strong>in</strong> narrativer Form heraus – <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e alsdystopischer, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e als Reportage Roman und zeigen die möglichen Wirklichkeiten, die sichsozial- und <strong>in</strong>dividualethisch aus diesem System entwickeln können.Beide <strong>in</strong> unterschiedlicher Absicht: S<strong>in</strong>clair nimmt die Sichtweise <strong>der</strong> Benachteiligten e<strong>in</strong> und will sie <strong>in</strong>ihren Möglichkeiten und ihrem Kampf um mehr Gerechtigkeit stärken, Huxley fragt grundsätzlichernach Chancen und Risiken für die mögliche Zukunft <strong>der</strong> Menschheit. Indem beide Möglichkeiten <strong>in</strong>verdichteter Form zu Wirklichkeit werden lassen werden sie zu Modellen, an <strong>der</strong>enAuse<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung sich ethische Grundfragen für das Verhalten <strong>von</strong> Menschen stellen und an denendidaktisch gelernt werden kann.Spannend ist bei beiden, dass sie die religiöse Deutungsebene e<strong>in</strong>schließen. Sie geschieht mitunterschiedlichen Akzenten: S<strong>in</strong>clair beschreibt eher den <strong>Ford</strong>ismus als „Evangelium <strong>der</strong> Arbeit“, dieals Produktionsmethode göttliche Züge annimmt, Huxley spielt die Vergöttlichung e<strong>in</strong>es Menschen undse<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dustriellen Methode mit all ihrer ethischen Konsequenz durch.Das determ<strong>in</strong>istische Verständnis <strong>der</strong> Arbeit, das den Arbeiter als Hilfswerkzeug (animlal laborans) <strong>der</strong>Masch<strong>in</strong>e degradiert, raubt ihm Würde und S<strong>in</strong>nhaftigkeit. Se<strong>in</strong>e Rolle wird auf die des Konsumentreduziert. Tätigkeit <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne ist s<strong>in</strong>nentleert. Der Glaube an dieses Modell <strong>von</strong> Arbeit schafftzwar Wohlstand für alle. Dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d sich beide e<strong>in</strong>ig. Doch um welchen Preis: es ist <strong>der</strong> Preis <strong>der</strong>Freiheit und <strong>der</strong> autonomen Selbstbestimmung. Nach S<strong>in</strong>clair will <strong>Ford</strong> dafür den unbed<strong>in</strong>gtenGehorsam und die Gefolgschaft se<strong>in</strong>er Arbeiter, nach Huxley wird nach dem Modell <strong>Ford</strong>grundsätzlich zwar alle technologischen Probleme <strong>der</strong> Welt lösbar, aber nur <strong>in</strong> dem Religion undKultur als Deutungsmuster des H<strong>in</strong>terfragens verboten werden. Der Mensch selbst wird zumverfügbaren Produkt, zum Sklaven <strong>der</strong> Technologie. Huxley betont <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en späteren Schriften dieBedeutung <strong>der</strong> Erziehung zur Freiheit des Menschen. Im aufsteigenden Nationalsozialismus erfährtse<strong>in</strong> Modell e<strong>in</strong>, wenn nicht technologisches, so doch national ideologisches Realität, die ihm selbstEntsetzen e<strong>in</strong>jagt.Der Glaube an e<strong>in</strong> amoralisches, technisches System, das im Vollzug angebetet und verherrlicht wird,schafft selbst sterile Amoral, weil es den Menschen se<strong>in</strong>er Freiheit und Verantwortlichkeit beraubt. Erist selbst als Produkt Geschöpf se<strong>in</strong>er Anbetung: Sklave, Diener und Mittel <strong>der</strong> Gottheit und nichtEbenbild <strong>der</strong> Gottheit. Für Huxley wird <strong>der</strong> Mensch sozialethisch zum Sklaven des Systems, <strong>der</strong> mitDrogen und Konditionierung still <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Suchen und Fragen gehalten wird und damit je<strong>der</strong>menschlichen S<strong>in</strong>nerfahrung beraubt wird. Erfahrung wird im Kern abgetötet und se<strong>in</strong>er S<strong>in</strong>nhaftigkeitim sittlichen Reflexion unterdrückt. – mehr noch: <strong>der</strong> Mensch selbst verkommt als Geschöpf zumProdukt, zum Werkzeug, zum Mittel <strong>der</strong> neuen Gottheit. Als Homo Oeconomicus wird er religiös e<strong>in</strong>Werkzeug des Deus Oeconomicus. Der amerikanische Wahn <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>jahre mit se<strong>in</strong>em bl<strong>in</strong>denFortschrittsglauben wird entlarvt. Die Dystopie e<strong>in</strong>er fordschen Gesellschaftsform zeigt Gefahren desnicht ethisch, son<strong>der</strong>n naturwissenschaftlich reflektierten Fortschritts für die Menschheit und ihreÜberzeugung <strong>von</strong> <strong>der</strong> autonomen Freiheit und Sittlichkeit. Aktuelle Diskussionen über die Nachteilee<strong>in</strong>er demokratischen – und damit schwerfälligeren Gesellschaft angesichts <strong>der</strong> (sche<strong>in</strong>bar)ökonomischen Überlegenheit nichtdemokratischer, leichter zu lenkenden Ordnungen machen dieLiteratur aktuell.Für S<strong>in</strong>clair führt die Verselbstständigung des fordschen Imperiums zu sozialen Zwangssystemen,Gewalt und Irrationalismus, weil es Grenzen überschreitet. Wer Christus aus se<strong>in</strong>er Seele reißt, setztCäsar an dessen Stelle. Das Imperium des <strong>Henry</strong> <strong>Ford</strong> braucht e<strong>in</strong>en Kaisar, um zusammengehaltenzu werden – es wird zum militanten Zwangssystem: Veni, vidi vici ist das Erfolgsgeheimnis des <strong>Henry</strong><strong>Ford</strong>, das um den Preis <strong>der</strong> Zwangsloyalität aufgebaut wird und militant gesichert werden muss. Darangeht selbst <strong>der</strong> Kaisar zugrunde, weil er e<strong>in</strong>sam wird. Äußerer Reichtum, <strong>der</strong> <strong>in</strong>nerlich zur Armut führt.


2S<strong>in</strong>clairs Bild vom Gefangenen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dollarmilliarde entlarvt die Selbst – Erniedrigung des Menschen<strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergöttlichung se<strong>in</strong>es Tuns: Er wird zum Gefangenen se<strong>in</strong>er selbst – ohnmächtig <strong>der</strong> Realität <strong>in</strong>sAuge zu sehen. Cäsar scheitert, mit Christus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Brust wäre er reich geblieben. DieSündenfallgeschichte mit ihren Folgen kl<strong>in</strong>gen assoziativ: Die Scham, die Mühsal kl<strong>in</strong>gen demTheologen hier <strong>in</strong> den Ohren.S<strong>in</strong>clair predigt ke<strong>in</strong>en Umsturz, da bleibt er dem amerikanischen Traum <strong>von</strong> <strong>der</strong> Freiheit verhaftet – sowie die gesamte amerikanische Arbeiterbewegung, die niemals an sozialistische Utopien glaubte(Angster..) . Er ist, wenn überhaupt, „demokratischer Sozialist“. Er beschreibt e<strong>in</strong>fühlsam denalternden <strong>Ford</strong> als Gefangenen se<strong>in</strong>es eigenen Systems, dem die S<strong>in</strong>nhaftigkeit und das Guteentglitten ist: Damit macht S<strong>in</strong>clair <strong>Ford</strong> zum Opfer – Individualethisch sieht er ihn als gebrochenenMann, als Gefangenen, <strong>der</strong> droht am eigen geschaffenen Imperium, das sich mit göttlichen Zügenverselbstständigt zu Grunde zu gehen und mit ihm das Milieu, das sich darum aufgebaut hat.Das System frisst se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong>, lässt sich <strong>in</strong> Anlehnung an den berühmten Satz <strong>der</strong> Revolution sagen.Gewerkschaftlicher Wi<strong>der</strong>stand wird zur Pflicht, um dem entgegen zu wirken. In <strong>der</strong> fiktivenFamilienbiografie des Mr. Shutt werden die psychologischen Schwierigkeiten <strong>der</strong> abhängigBeschäftigten erkennbar, die <strong>Ford</strong> lange Jahre Gefolgschaft und Verehrung zukommen ließen. Esbedarf e<strong>in</strong>er langen Phase <strong>der</strong> Reflexion bestehen<strong>der</strong> Verhältnisse, um aus dieser Nachfolge herauszu kommen und für Freiheit zu kämpfen.Was lässt sich daraus lernen?Modell Huxley: Welche Götter beten wir an? Wo verabsolutieren und verherrlichen wir Mächte, die <strong>in</strong>Totalitarismus führen? Demokratie als Anhängsel <strong>der</strong> Wirtschaft? Grenzen des Wachstums und desFortschritts? Führungsstile?

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