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Heidelberger Weltgeschichte, oder: Der Flug des Ikarus

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<strong>Heidelberger</strong><strong>Weltgeschichte</strong> – <strong>oder</strong>:<strong>Der</strong> <strong>Flug</strong> <strong>des</strong> <strong>Ikarus</strong>Im Grunde war es kein Zufall, der diebeiden zusammenführte, und eswar auch kein Zufall, dass sie sichgerade hier begegneten. Hier – daswar das Residenzschloss eines deraktivsten Fürsten im Kampf für denrechten Glauben, die Heimstatt derReformierten, die Zuflucht in der Zeitder Verfolgung. Die beiden – einPrinz im Asyl und eine geflohene undenterbte Prinzessin. Die Zeit – einTag im Frühling 1572. Die beidensahen sich, verliebten sich ineinanderund heirateten drei Jahre später.Weltgeschichtliche Geschehnisse begannen.Das Schloss ist das <strong>Heidelberger</strong>Schloss. Hier entstand 1563 der<strong>Heidelberger</strong> Katechismus, dieLehr- und Bekenntnisschrift derReformierten, hier hatte sich KurfürstFriedrich III., „der Fromme“ offenzur reformierten Lehre bekannt, derjenigenRichtung der Reformation,die nicht durch den AugsburgerReligionsfrieden von 1555 gesichertwar. Hier war auch die protestantischeUniversität, die schon seit 1560den Zuzug reformierter Theologenaus Wallonien, aus Flandern undFrankreich erlebte – die wiederum erheblichenEinfluss auf die Formulierungder reformierten Glaubenspositionen imKatechismus nahmen.Hier aber, in der Regierung FriedrichsIII., wuchs auch schnell die Bereitschaft,Partei zu ergreifen für die verfolgtenVielleicht fand die schicksalhafte Begegnung hierstatt: Arkadengänge im Gläsernen SaalbauMitchristen im Westen Europas, für dieReformierten in Frankreich (die dannso genannten „Hugenotten“) und inden spanischen Niederlanden. Geradeletztere, als Glaubensflüchtlinge inden aufgelassenen Klöstern Schönauund Frankenthal angesiedelt, brachtendas unmittelbare Erleben derakuten Gefährdung mit. Partei für dieVerfolgten zu ergreifen war für FriedrichIII. ein Akt konkreter christlicherSolidarität, die die lutherischen Fürstenim Reich vermissen ließen. ReformierteRichtung war den Lutheranern einGreuel, Ketzerei, und kein Anlass, politischaktiv zu werden. Von dieser Seite16


kam auch der Spottname „Calvinisten“,um neben den „Papisten“ den zweitenFeind der Reformation auszumachen.Konkrete Solidarität hieß für FriedrichIII., aktiv in die Kriege einzugreifen,in denen sich die Hugenotten gegendie Ansprüche <strong>des</strong> französischenKönigtums und der ultrakatholischenPartei der Herzöge de Guise wehrten.Kriegspartei waren hier auf hugenottischerSeite unter anderem Mitglieder<strong>des</strong> Hauses Bourbon, wie der PrinzLouis Condé, <strong>oder</strong> Jeanne d’Albret,die Königin von Navarra. War der ersteHugenottenkrieg in Frankreich 1562/63Oben: Zwei der Protagonisten: Louis Condé (1530- 1569, Schloss Versailles) und Werkstatt FrançoisClouet (1515–1572): Jeanne d‘Albret (1528 -1572), Königin von Navarra (Bibl. nat. France).rechts: Markgraf Philibert von Baden, einerder ersten Interventen. Alle Bilder: WikimediaCommons17


noch ohne deutsches Eingreifen abgelaufen,intervenierte die Kurpfalzim zweiten Hugenottenkrieg 1567 miteinem eigenen militärischen Aufgebot– nicht unter Führung <strong>des</strong> Kurfürstenselbst, sondern unter der seines zweitenSohnes Johann Casimir. Mit vonder Partie war auch Markgraf Philibertvon Baden-Baden, der dann allerdingsdie Fronten wechselte und zweiJahre später auf der Seite <strong>des</strong> französischenKönigs die Hugenottenbekämpfte. Ebenfalls dabei war derjunge Straßburger Student JohannElias Hügeler, der dann in kurpfälzischeDienste trat, an der Hochschulein Neustadt Theologie studierte und diepfälzischen Truppen als Feldpredigerbegleitete. <strong>Der</strong> in<strong>des</strong>sen ist nur eine literarischeFiktion und stellt 2013 dieseZusammenhänge in Schlossführungendar.Johann Casimir war die treibende Kraft,unterstützt von seinem Vater. Ob alsnachgeborener Sohn <strong>des</strong> Kurfürsten,ob als Fürst von Pfalz-Lautern <strong>oder</strong>als Kuradministrator – er zeigte denunbedingten Willen, die Sache derBedrängten, der Reformierten zu Gottesund seiner eigenen Ehre nach Kräftenzu unterstützen.Die zweite Intervention 1569 leistetenicht Johann Casimir, sondern seinVetter Wolfgang von Zweibrücken, der,nachdem er von Ottheinrich Neuburgerhalten hatte, zum Stammvaterder Neuburger Pfalzgrafen undHerzöge geworden war. Wolfgang vonZweibrücken starb in Südfrankreich, be-Schlacht von Moncontour am 3. Oktober 1569 in einem zeitgenössischen Stich.18


Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken (1526 -1569), Intervent in Frankreich 1569, Begründer<strong>des</strong> jüngeren Hauses Pfalz-Neuburg. PfalzgrafWolfgang hängt auch in der kurfürstlkichenAhnenreihe im Rittersaal <strong>des</strong> MannheimerSchlosses.vor der Feldzug in der Niederlage vonMoncontour endete.Inzwischen hatten die Reformiertenin den niederländischen ProvinzenSpaniens sich erhoben und 1566 in einemrevolutionären Bildersturm „papistische“Symbole aus den Kirchen gezerrtund öffentlich verbrannt – wie es auchOttheinrich in Heidelberg 1556 mit eigenerHand getan hatte. <strong>Der</strong> König im fernenMadrid griff mit harter Hand durchDirk van Delen (1605 - 1671): Allegorie auf die Tyrannei <strong>des</strong> Herzogs von Alba, um 1630.Utrecht, Museum Catharijneconvent.19


Grafen Egmont und Horn,unter dem Schwert <strong>des</strong>Scharfrichters – zwei, die in dieniederländischen Geschichteals Freiheitshelden eingehensollten. <strong>Der</strong> „AchtzigjährigeKrieg“ um die Unabhängigkeitder Niederlande begann, unddieser Krieg hatte in Herzogvon Alba ein Feindbild.Diese Vorgeschichte ist prägendfür die eingangs erwähnteBegegnung im <strong>Heidelberger</strong>Schloss. <strong>Der</strong> Prinz im Asylwar Wilhelm von Oranien,Statthalter der spanischenKrone in den ProvinzenHolland, Seeland und Utrecht.Er war zunächst lutherischund musste 1567 vor dem neuund entsandte einen Statthalter,der die Ordnung wiederherstellenund die Ketzerei beseitigensollte. Das war Don FernandoÁlvarez de Toledo y Pimentel,allgemein nur Herzog von Albagenannt. 1567 starben auf demGrote Mart in Brüssel zwei derprominentesten Aufrührer, dieGesucht und gefunden:Antonis Mor (1519–1575): Wilhelmvon Oranien, genannt „derSchweiger“ (1533 - 1584). 1555.Museum Schloss Wilhelmshöhe,KasselDaniël van den Queborn (um 1552–1602) zugeschrieben: Charlotte vonBourbon-Montpensier (1546/47- 1582). Um 1579. HistorischeSammlungen <strong>des</strong> Hauses Oranien20


ernannten Stellvertreter der Königsins Ausland ausweichen – zunächst insein Stammland Nassau, dann nachHeidelberg. 1573 wechselte er zumreformierten Glauben. Die geflohenePrinzessin aber war die ehemaligeÄbtissin der Abtei Notre-Dame deJouarre im heutigen Dept. Seine-et-Marne. Sie war von ihren Eltern zumEintritt ins Kloster gezwungen worden,um das Erbe ihre Bruders nicht zuschmälern. Mit 13 Jahren wurde sieformal Äbtissin, das Amt selbst trat siemit 19 Jahren an. Sie hatte nie Äbtissinwerden wollen, hatte sich mittlerweileder reformierten Konfession zugewandtund floh 1571 aus dem Kloster. Es warCharlotte de Bourbon-Montpensier, eineTante 2. Gra<strong>des</strong> Heinrichs, <strong>des</strong> Königsvon Navarra. Mit ihrer Begegnung,schließlich mit ihrer Heirat 1575 beginntsich das Rad der Geschichte,das Friedrich III. mit dem <strong>Heidelberger</strong>Katechismus aufs Gleis setzte, zu drehen.1581 erklärten unter Wilhelm vonOraniens Führung die sieben nördlichenProvinzen ihre Unabhängigkeit von derspanischen Krone und nahmen damitdas von Calvin zunächst nur angedachte,von seinen Nachfolgern formulierteWiderstandsrecht gegen eine tyrannischeObrigkeit in Anspruch. Die verfassungsrechtlicheStruktur der Provinzenwar kompliziert: Sie blieben selbständig,wählten sich aber in der Person <strong>des</strong>Oraniers einen Repräsentanten derUnion und Oberbefehlshaber der vereinigtenTruppen. Er behielt den traditionellenTitel „Statthalter“. Die „Republikder Sieben Vereinigten Provinzen“der Niederlande gaben damit einModell ab, das die britischen Kolonienin Nordamerika 1774 aufgriffen.Maßgeblich für den Erfolg <strong>des</strong> Oraniersund der Provinzen im Widerstand gegenSpanien war neben Wilhelm, derals Freiheitsheld gilt, auch seine zweiteGemahlin Charlotte de Bourbon-Montpensier. Sie hielt durch ihre Briefedie Verbindung zwischen Wilhelm undden Aufständischen aufrecht, sie pflegteihren durch ein Attentat verwundetenMann bis zur eigenen Erschöpfung.Die Kurpfalz, besonders aberJohann Casimir, griff weiter in dieReligionskriege in den Nachbarländernein. 1574 forderte die Schlacht auf derMooker Heide gegen die Spanier einenerheblichen Blutzoll, indem zweiOraniersöhne und Pfalzgraf Christoph,der dritte Sohn Friedrichs III., auf demSchlachtfeld blieben. <strong>Der</strong> spanischeKönig Philipp II. war dabei der gemeinsameFeind Englands, Frankreichs, derOranier und der Kurpfalz. Und auchder Kaiser selbst war sehr reserviertdem Spanier gegenüber, war doch dasGerücht nicht aus der Welt zu schaffen,Philipp II. wollte seine niederländischenProvinzen aus dem Reich lösenund ihnen damit den Rückhalt derReichsverfassung nehmen.1576 zog Johann Casimir wieder denHugenotten zu Hilfe – diesmal nichtganz eigennützig, schloss er doch seineKoalitionen im Hinblick darauf, dass erauf den Besitz der „drei Hochstifte“, als<strong>oder</strong> weltlichen Herrschaftsgebiete derBistümer Metz, Toul und Verdun, spekulierte.Mit diesem Besitz als französischemLehen hatte er vor, seine eigenegeringe Besitzbasis im FürstentumLautern aufzuwerten. Bei einem seinerFeldzüge bekam er sogar denTitel eines französischen Herzogs vonÈtampes zugesprochen. Papier war in<strong>des</strong>sengeduldig, er sah das Herzogtum21


Unbekannter Maler: Porträt Johann Casimirs von Pfalz-Simmern, Kuradministrator der Pfalz.um 159023


Wittelsbacher. Bis 1742 sollten es vierwerden.Auch als Kuradministrator befürworteteJohann Casimir weiter dieIntervention zu Gunsten der verfolgtenGlaubensbrüder. Den Krieg 1587 zurUnterstützung der Hugenotten befehligteer aber nicht mehr selbst, der standunter dem Befehl seines FeldherrnFabian von Dohna. Johann Casimirselbst arbeitete auf ein Bündnis derprotestantischen Fürsten im Reich hin.Das nahm soweit Gestalt an, dass tatsächlichein gemeinsames Heer aufgestelltwurde. Als Führer dieses protestantischenHeeres, man möchte esfast schon Unionsheer nennen, betrittein Mann die Bühne der Geschichte,der sie schließlich prägen sollte: FürstChristian von Anhalt-Bernburg, der inseinem eigenen kleinen Fürstentum soNetzwerk-DamenUnbek. Zeichner: Amalia von Neuenahr (1539- 1602, links)Crispyn de Passe: Luise Juliana von Oranien-Nassau (1576–1644), Wolfenbüttel, HerzogAugust Bibliothek (rechts)wenig Auskommen hatte, dass er in dieDienste fremder Fürsten treten musste.Konfessionell war er noch nicht so sehrentschieden, dass er nicht nach demKriegszug (der dann doch nicht stattfand)doch wieder in kaiserliche Dienstetrat.Johann Casimir überwarf sich gegenEnde seiner Regierungszeit beinahe mitdem Fürsten von Oranien, man könntealso die nach seinem Tod angebahnteEhe zwischen dem jungen PfälzerKurfürsten und der Tochter Wilhelms I.von Oranien, Louise Juliana, als eineArt von Wiederannäherung sehen.Diese Ehe aber setzt die HeiratsundNetzwerk-Politik fort, die schonFriedrich III. mit seiner 1569 geschlossenenEhe mit Amalie von Neuenahreingeleitet hatte. Friedrich III. warmit dieser Ehe mit den führendenGeschlechtern <strong>des</strong> reformierten niederländischenFreiheitskampfes,mit Egmont und Horn, verschwä-24


gert. Friedrichs IV.Schwiegervater warein Fürst von Oranien,seine Schwiegermuttereine Prinzessin ausdem Haus Bourbon –das war ein Anspruch,mit dem Friedrich IV.selbst zunächst weniganfangen konnte.Um so mehr aberseine Berater, allenvoran der 1595 inpfälzische Dienste tretendeChristian vonAnhalt. Bourbone warauch Heinrich IV.,ehemals König vonNavarra, seit 1589König von Frankreich.Die Bourbonen warenmit ihm die regierendeFamilie in Frankreich.Um es vorwegzunehmen:Heinrichs IV.Sohn Ludwig XIII. undFriedrichs IV. SohnFriedrich V. warenCousins 4. Gra<strong>des</strong>.Nicht sehr eng verwandt,aber in einerZeit, in der man familiäres „Herkommen“sehr hoch achtete, eine nicht zu unterschätzendeGröße im sozialenNetzwerk.Christian von Anhalt hatte eine Lehreaus der politischen Gegenwart gezogen:der Augsburger Religionsfriedevon 1555 war als Instrument derFriedenssicherung im Reich untauglich,und die Hoffnungen, die in ihngesetzt wurden, waren allenfalls geeignet,lutherische Fürsten zufriedenzu stellen. Freiwillig war weder dieUnbekannter Maler: Christian Fürst zu Anhalt-Bernburg, 1517.Privatbesitz. Bild: Kurpfälzisches Museum Heidelberg.katholische Seite noch die lutherischebereit, den Reformierten politischentgegen zu kommen. Und auch dieSituation der Reformierten war allenfallsin Frankreich, nicht aber in denspanischen Niederlanden, in Böhmenund Ungarn als erträglich <strong>oder</strong> gargesichert anzusehen. Wohl um dieJahrhundertwende reifte in Christianvon Anhalt die Erkenntnis, dass nur eingroßer, europäischer Krieg die verhärtetenFronten und die unselige Koalitionder Habsburger in Österreich und inSpanien aufbrechen konnte. Für diesen25


Krieg galt es, die Vorbereitungen zutreffen.Für diese globale Auseinandersetzunggab es einen, der an die Spitze tretenkonnte, ja, treten musste: <strong>Der</strong>Netzwerker mit Kontakten nachFrankreich und den Niederlanden, der,der durch die Politik seines Onkels undseines Großvaters England empfohlenwar: Friedrich IV., Pfalzgraf und Kurfürstbei Rhein. Für ihn arbeitete Christianvon Anhalt weiter an der Politik, dieJohann Casimir eingeleitet hatte, amBündnis der protestantischen Fürstenim Reich, das schließlich mit Gründungder Protestantischen Union 1608Gestalt und Form annahm.Gleichzeitig aber wandelte sich derpfälzische Hof in Heidelberg und erhieltein Gepränge, das der künftigenFührungsrolle in Deutschlandund Europa entsprechen konnte. <strong>Der</strong>Hofstaat wurde vergrößert und entsprachnun mehr und mehr einer „königlichen“Residenz (was sich nichtzuletzt in der Aufstockung <strong>des</strong> sog.„Apothekerturms“ um drei Stockwerkefür die Pagen zeigt). Vor allem aber entstandan der Stelle der alten, baufälliggewordenen Kapelle ein neuer Palast,der Kapelle und Wohngeschosse vereinte.Johannes Schoch, der Architekt, hatteunzweifelhaft genaue Vorgaben für denPalast, den er hier entwarf. Die zumSchlosshof gerichtete Fassade zitiertzunächst auf geradezu provokanteWeise die wenige Jahre zuvor errichteteJesuitenkirche in München, indem zumTeil dieselben Vorfahren bemüht werden,dort als Garanten für die katholische,hier als Garanten für die calvinisti-Anfang und Höhepunkt der Wittelsbacher Mission: Karl der Große und Friedrich IV. alsStandbilder am Friedrichsbau <strong>des</strong> <strong>Heidelberger</strong> Schlosses.26


sche Führungsrolle. Und auch die neuerbaute Kapelle wiederholt auf geradezuverblüffende Weise den jesuitischenGrundriss einer Wandpfeilerkirche. Nureben nicht jesuitisch, sondern reformiert.Mehr noch. Hatte sich Ottheinrich nochan seinem Palast („revolutionär“) ineinem Porträtmedaillon selbst abgebildet,ziert Friedrichs neuen Palastein ganzes Standbild <strong>des</strong> Bauherrn.Ebenfalls revolutionär, zumin<strong>des</strong>t waseinen Schloss-Palast angeht, aber mitVorbild in München. Friedrich mit erhobenemSchwert als der (vorläufig) letzteseiner Ahnenreihe. Den Anfang dieserAhnenreihe bildet Karl der Große,ebenfalls mit erhobenem Schwert.Und Karl der Große als Vorfahr zuhaben gilt das ganze Mittelalter hindurchals Voraussetzung für dieKönigsfähigkeit eines Fürsten. Undkönigsfähig sind die Wittelsbacher,wie die vier Könige in der zweitenReihe beweisen – königsfähig ist damitauch Friedrich IV.Es ist kein Wetterleuchten amHorizont, was 1609 aufblitzt, es istein veritables Donnergewitter. Wiedereinmal geht es um die Anteile von katholischerund protestantischer Parteiam territorialen Kuchen, jetzt ist esdie Erbschaft <strong>des</strong> letzten Herzogsvon Jülich, Kleve und Berg, um diegestritten wird. Anspruchsberechtigtsind zwei protestantische Fürsten,Schwäger <strong>des</strong> letzten Herzogs,das sind der pfälzische Herzogvon Neuburg und der Markgraf vonBrandenburg. Ihnen macht die kaiserlichePartei das Erbe streitig,man rüstet zum großen Krieg –Jülich liegt direkt an der spanischenGrenze. Es entsteht eine Koalitionzwischen England, den Niederlanden,Frankreich, Pfalz-Neuburg, der Kurpfalzund Brandenburg gegen den Kaiser,Bayern und Spanien. Die Armeen sindgeworben, die Truppen gerüstet, dieHabsburger besetzen Jülich. Christianvon Anhalt sieht die Chance für dengroßen europäischen Krieg, der dieleidige Konfessions- (und Macht-)Frage löst, doch da geschehen zweiKatastrophen fast gleichzeitig. <strong>Der</strong>französische König Heinrich IV. wird1610 von einem Attentäter ermordet,Friedrich IV. von der Pfalz stirbt imselben Jahr – zu jung, um die hochfliegendenPläne auch nur ansatzweise zurealisieren. <strong>Der</strong> Krieg findet nicht statt.Die Hofkirche in Neuburg (Donau), als protestantischeHofkirche begonnen, als Jesuitenkirchevollendet27


Drei Jahre später, 1613, treten derNeuburger zum katholischen Glauben,der Brandenburger zum reformiertenGlauben über.Christian von Anhalt spinnt seinNetzwerk weiter, er gibt nicht auf, erhat noch eine Atempause für seineVorbereitungen. England muss mitins Boot geholt werden, der englischeKönig muss mit mehr gebundenwerden als mit vagenHilfsversprechen. Jakob I.hat eine Tochter, im selbenAlter wie der kurz vor seinerVolljährigkeit stehende jungeKurfürst Friedrich V., nochdazu bildschön. Seine Politiktrifft auf die Wünsche <strong>des</strong> englischenParlaments, das einekatholische Verbindung fürdie Königstochter, wie sie dieMutter gerne hätte, rundumablehnt. Das protestantischeLager auf beiden Seiten zustärken ist die Leitlinie derPolitik.Friedrich V. ist nicht nur Spross der pfälzischenKurfürsten, hat nicht nur KönigRuprecht (und dazu Karl den Großen)in seiner Vorfahrenschaft, sondern erist auch Spross der Bourbonen und<strong>des</strong> Hauses Oranien. Das verpflichtetso sehr, dass er seinen Palast, den erbeginnen lässt, als die Vorbereitungenfür die englische Hochzeit gerade erstin den ersten Vorgesprächen gesteckthaben mögen, nach dem herrschaftlichstenStil bauen lässt, den die Zeitzu bieten hatte. Nach dem Königs-Anspruch <strong>des</strong> Ottheinrich-Palastes,dem Königs-Anspruch <strong>des</strong> Friedrichs-Palastes ist er, der Englische Palast,der dritte mit dieser klar formuliertenAussage. Im Stil der palladianischen,28der klassizistischen Spät-Renaissancewird erst Ludwig XIV. von Frankreichbauen, in diesem Stil plant Inigo Jonesdie ersten Neubauten von Whitehall inder Nähe von London. Das ist königlicherStil.Ende <strong>des</strong> Jahrzehnts krönt er denKönigspalast in Heidelberg noch mitdem prächtigsten Festsaal, den dieEin Saal der seinesgleichen sucht: <strong>Der</strong> Festsaal auf demDicken TurmWelt bis dahin gesehen hat, dem Saalauf dem Dicken Turm <strong>des</strong> <strong>Heidelberger</strong>Schlosses – 40 Meter über der Stadt,an die 450 m² groß, mit riesigenFenstern, die einen gewaltigen undbeeindruckenden Rundumblick überStadt und Land bieten. Das sollte keineinfacher Theatersaal sein, das war einköniglicher Festsaal, der seinesgleichensuchte.Dieser Saal war eben fertiggestellt,als die Nachricht aus Böhmen eintraf,dass sich die böhmischen Stände aufihr calvinistisches Widerstandsrechtberiefen und ihren als tyrannisch eingeschätztenkatholischen Habsburger-König absetzen. Ihre erste Wahl wäreder Kurfürst von Sachsen gewesen,


doch der winkte ab. Er wollte sich nichtmit dem Kaiser anlegen. Zweite Wahlwar der pfälzische Kurfürst FriedrichV. <strong>Der</strong> nahm nach einigem Zögerndie Wahl an, unterstützt und beratendurch den Mann, der seit 20 Jahren aufdie große Konfrontation hinarbeitete,durch Christian von Anhalt. Er wusste,dass die pfälzische Oberpfalz mit ihrerEisenindustrie nach der Ergänzungdurch das reiche Böhmen verlangte, erwusste, dass Böhmen die vierte protestantischeKurstimme werden konnte.Andere warnten, lehnten ab, die Mutter<strong>des</strong> Kurfürsten, die Oranierin LuiseJuliane etwa <strong>oder</strong> der SchwiegervaterJakob I. in London. Friedrich V. sah inder durch die Böhmen ausgesprochenenWahl die Berufung Gottes, der er– ganz im reformierten Sinn – sich nichtentziehen konnte.Die Geschichte ist bekannt, Friedrichzog mit Pomp nach Prag, nahm Goldund Silber mit, seine geliebte ElizabethStuart wird dort kaum Sauerkrautgegessen haben, wie es ihr dieÜberlieferung andichtete. Die katholischeReaktion traf ihn mit aller Härteund er verlor alles.Kriegsziel <strong>des</strong> Bayernherzogs, derdie Strafexpedition gegen den Pfälzerführte, war nicht etwa die Herstellunggeordneter (und damit katholischer)Verhältnisse in Böhmen. Sein Ziel warganz eindeutig formuliert die pfälzischeKurwürde und die reiche Oberpfalz.Dass er ganz nebenbei die Pfalz intellektuell„enthaupten“ konnte, indemer die Bücherschätze aus Heidelbergwegführen ließ, war ein willkommenerNebeneffekt.Die Medien <strong>des</strong> 17. Jahrhundert nennenFriedrich V. schnell „Winterkönig“,und die folgenden Jahrhunderte werdendenken, das sei, weil er nur einenWinter König war. Was aber wirklichhinter diesem Spottnamen steckte, warein Volksbrauch, ähnlich dem hiesigenSommertagszug. Wenn der neueMaikönig gekrönt war, wurde auch einWinterkönig bestimmt, der dann aus derStadt getrieben wurde. Seine GemahlinElizabeth allerdings bestand ihr ganzesLeben lang darauf, als „Königin vonBöhmen“ angesprochen zu werden.Und so liegt sie auch in WestminsterAbbey begraben.Damit, und spätestens mit demÜbergang der Kurpfalz an die katholischeLinie Pfalz-Neuburg, könntedie Geschichte <strong>des</strong> <strong>Heidelberger</strong>Katechismus und der Auswirkungen derreformierten Konfession der pfälzischenKurfürsten beendet sein. Friedrich V.und Elizabeth Stuart, das Traumpaarder Reformierten, hatten aber Kinder,13 an der Zahl, und unter ihnen istnur Karl Ludwig als der Nachfolgerin der Kur für die Kurpfalz selbst vonBedeutung.Karl Ludwigs jüngerer Bruder Rupertist das niederländische Exil der Familiepolitisch zu eng. Nach einem missglücktenVersuch, die Kurpfalz zurück zuerobern, geht er nach England zu seinemOnkel Karl, mischt im englischenBürgerkrieg auf Seiten der Königlichengegen das Parlament mit, wird mit 23Jahren der erste englische „Generalof Horse“, bringt seine Reputation zumin<strong>des</strong>tbei seinen Feinden soweit,dass sein Name mit Entschlossenheitund Schrecken verbunden wird – seinglühend verehrtes Vorbild ist KurfürstFriedrich I. („Morgen Kurfürst <strong>oder</strong> nie!“)– und fällt dann den Schwierigkeiten<strong>des</strong> Hoflebens zum Opfer, dem er sich29


höherem Alter gründet er, ermutigtdurch wirtschaftlichenErfolg im Nordamerikahandel,die Hudson Bay Company undgeht als erster Gouverneur dennach ihm benannten „Rupert’sLand“ nach Kanada. 1861wird die königlich privilegierteHudson Bay Company ihrePrivilegien an die Krone zurückgebenund das „Dominionof Canada“ wird gegründetwerden. Eine Stadt namens„Prince Rupert“ wird das westlicheEnde der Eisenbahnlinequer durch Kanada, bis kurzvor die Grenze zu Alaska, bezeichnen.Nur in der Liebe hat PrinceRupert kein Glück. Bei einemAufenthalt in Heidelberg wirftUnbekannter Maler: Prince Rupert, um 1645nicht eingliedern kann und mag. Nachder Hinrichtung <strong>des</strong> Königs 1648 geht„Prince Rupert“ als Freibeuter auf Seeund kämpft gegen die Schiffe <strong>des</strong> britischenParlaments. Zurück in England– sein Cousin Charles II. ist König– baut er die britische Flotte nach seinerAuffassung von Kriegführung um.Seine Kapitäne sollen ihre Befehlebefolgen, ja, aber wenn sie außerhalbdieser Befehle eine Chance sehen,sollen sie sie ergreifen. Das ist einefast schon kreative und individualistischeKriegführung, die den Grundsteinlegt für die britische Seeherrschaft. InPeter Lely (1618 - 1680): Frances Bard, dieGeliebte Prince Ruperts, um 1660.30


er ein Auge auf eine junge, bezauberndeHofdame seiner Schwägerin. Pechfür ihn, dass diese Dame, Louise vonDegenfeld, die Geliebte seines kurfürstlichenBruders Karl Ludwig ist. <strong>Der</strong> verweigertihm später auch die Apanageeines angemessenen Fürstentums,damit Rupert stan<strong>des</strong>gemäß heiratenund Söhne in die Welt setzen könne.Die Pfalz war zu klein, zu ausgeblutetdurch den Krieg. ImNachhinein hätte dieGeschichte so andersverlaufen können mitRuperts Söhnen alsstan<strong>des</strong>gemäßenErben. Und es gab soviel zu erben.Dass zwei Schwestern<strong>des</strong> ungleichenBrüderpaarsÄbtissinnen wurden,mag in Adelskreisenüblich gewesen sein,dass aber die eineevangelische, dieandere, die heimlichkatholisch wurde,katholische Äbtissinwurde, ist fast schonStoff für m<strong>oder</strong>neFamilientherapie.Die jüngste Schwesteraber, Sophie, wird zurTrägerin eines besonderenGeschicks.Es war 1612, als dieHochzeit zwischenFriedrich V. und Elizabeth Stuart verabredetwurde, nicht abzusehen, dassdaraus tatsächlich ein Erbanspruchentstehen würde. Nachdem die späteGeschichte <strong>des</strong> Hauses Stuart davongekennzeichnet war, dass die englischeThronfolge mangels „ordentlicher“Erben alle Schwiegersöhne durchlief,schließlich Königin Anne kinderlos bliebund das britische Parlament 1702,ganz im Sinn der Vorgaben von 1612,den „Act of Settlement“ verabschiedete,nach dem nur ein protestantischerAbkömmling der Stuarts erbberechtigtsei, sah sich Sophie, die verheirateteHerzogin von Braunschweig-Lüneburg,Unbekannter Künstler: Sophie von Hannover, Tochter der Königinvon Böhmen, Mutter <strong>des</strong> englischen Königs George I.in der Situation, dass ihr Sohn GeorgAugust diesen Erbanspruch einesTages verwirklichen würde. Und er bestiegauch 1714 als George I., als dererste König aus dem Haus Hannover,31


den englischen Thron. Hannover regiertheute noch, auch wenn nach QueenVictoria und Queen Elizabeth II. juristischandere Namen gelten mögen.Und genau dieses Haus Hannoververliert 1774 seine Kolonien in Neu-England an den calvinistischenAnspruch, eine Herrschaft, die demEvangelium widerspricht, zu ändern<strong>oder</strong> abzuschaffen. „To alter or to abolishit“, formuliert die „Declarationof Independance“ als Credo ihresStrebens nach Selbständigkeit. Lutherwar davon weit entfernt. „Du sollstdeiner Obrigkeit gehorsam sein, denndeine Obrigkeit ist von Gott“ zitiert erden Apostel Paulus – und legt damitden Grundstein für den deutschen Weg,sich der Obrigkeit zu fügen.Wirkt nur in Farbe: Begeisterte Anhängerinder niederländischen Monarchie beimKöniginnentagNur noch eins zum Schluss. Dass dieniederländische Fußballmannschaftorange trägt, dass das ganze Land amKöniginnentag orange aufblüht, ist nurein Wortspiel. Oranje, <strong>oder</strong> auf deutschOrange, ist das Fürstentum, das sichauf die französische Stadt Orange ander Rhone gründet. Die Römer nanntensie nach den Kelten Arausio. Die Farbein<strong>des</strong>sen kommt von der Apfelsine(niederländisch Sinaasappel), die ihrenNamen über die Spanier (naranja) vonarabischen narandsch hat.<strong>Der</strong> Vergleich mit <strong>Ikarus</strong> trifft das politischeAbenteuer, auf das sich FriedrichV. eingelassen hatte, besser als diezeitgenössischen Bilder vom Glücksrad,das ebenso schnell wieder für denAbsturz sorgt wie es den Aufstiegverschafft hatte. <strong>Ikarus</strong>, der unbesonneneHöhenflieger, der der Sonne zunah kam, hatte zwei politische Väter,zweimal Dädalus, gefangen in ihrer jeweiligenpolitischen Wirklichkeit, aberausbruchsbereit – Johann Casimir undChristian von Anhalt. Letzterer trägtmit seinem Willen zum Krieg durchausm<strong>oder</strong>ne Züge, die ihm auch einenPlatz in der Vorgeschichte <strong>des</strong> ErstenWeltkriegs hätten verschaffen können.Diese Geschichte in ihren europäischenVernetzungen ist Gegenstandder Ausstellung „Macht <strong>des</strong> Glaubens“,besonders in dem Teil, der sich imOttheinrichsbau <strong>des</strong> <strong>Heidelberger</strong>Schlosses dem Aspekt der Macht widmet.<strong>Der</strong> <strong>Heidelberger</strong> Katechismus istnicht Auslöser für diese weltgeschichtlichenVerstrickungen, er ist Teil dieserGeschichte, er ist insofern ihr Exponent,als seine Niederschrift und der Willezur aktiven Politik zu Gunsten der reformiertenSache aus derselben Wurzel,derselben Entschlossenheit kommen.Fast alle Bilder dieses Artikels: Wikimedia Commons32

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