16 vinummerlot del ticinoMüsste ich einen Wein nennen,der mich mein Schreib- undTrinkleben begleitet, wäre esder Merlot del Ticino. Aus seinem Stoffwar meine Weinsozialisierung geschnitten.Der Alba der Cantina Sociale Giubiasco,Matascis Selezione d’Ottobre oderdie Riserva Montalbano der Genossen inMendrisio stimulierten die Studentenjahre.Es waren runde, charmante, tanninarmeTropfen, von den Produzenten aufden Geschmack der DeutschschweizerKundschaft hin gekeltert, die zu jener Zeitschon die Hauptabnehmer waren. DieWeine versetzten mich gleichsam in mediterraneGefilde.1986 lernte ich dann als junger <strong>VINUM</strong>-Redaktor einen ernsthafteren Merlot-Stilkennen. Der Malanser Winzer ThomasDonatsch hatte uns auf Werner Stucky aufmerksamgemacht. Da würde ab und zuein junger Zürcher bei ihm vorbeischauen,der im <strong>Tessin</strong> zu winzern begonnen habeund Merlot mitbringe, der so ganz andersschmecke als die eher harmlosen Weineder bekannten <strong>Tessin</strong>er Produzenten.Merlot-RebellenStucky war der Mentor einer Gruppevon jungen Einwanderern mit Namenwie Daniel Huber, Adriano Kaufmann, EricKlausener, Christian Zündel. Alle warensie auf der Suche nach einem alternativenLebensentwurf und günstigem Reblandmit ihren jungen Familien ins <strong>Tessin</strong>übersiedelt und hatten bis auf Zündel, dersich noch als Traubenproduzent und Beerenzüchterbetätigte, gerade ihre erstenJahrgänge gekeltert. Die Chefredaktionbeschloss, der jungen Selbstkelterertruppeeine Reportage zu widmen. Auf derReise begegnete ich hart arbeitenden, entschlossenenjungen Männern und Frauen,die tanninbetontere, kräftiger strukturierteWeine kelterten als die meisten Merlotsder <strong>Tessin</strong>er Betriebe. Weine eben, die ihrVorbild dort suchten, wo die Sorte ihrenUrsprung hat: im Bordelais. Analog zumBordeaux verlängerten sie die Maischegärungund bauten den Jungwein im grossenund kleinen Holzfass aus. Ihre Inspirationund Bibel war das Standardwerk «Legoût du vin» von Émile Peynaud.Die Begegnung schlug sich in einemprovokativen Artikel mit dem Titel «Pioniereim <strong>Tessin</strong>» nieder. Auf dem Aufmacherbildsteht der bärtige Stucky, mit einerMistgabel bewehrt, in seinem steilen Reb-berg in Gudo – die Verkörperung des Merlot-Rebellen.Der mit Herzblut geschriebene,parteiische und viele wirtschaftlicheund strukturelle Sachzwänge nicht berücksichtigendeArtikel störte die Ruheim zufrieden vor sich hin dämmerndenWeinkanton und wurde auch von den <strong>Tessin</strong>ernbreit gelesen. Kritik wurde laut. Ichhätte frühere Pionierleistungen schnödausgeblendet, hiess es etwa. Cesare Valsangiacomoschimpfte, sein Roncobellohätte schon den robusten, reifebedürftigenStil verkörpert, als die hochgejubeltenRevoluzzer noch in den Kinderschuhensteckten. Die Grundaussage aber blieb unbestritten.Sie lautete: «Ticinesi, mit eurenbiederen Weinen verschenkt ihr das Potenzialeiner Sorte, die in Bordeaux bewiesenhat, dass sie zu mehr taugt!»Die Botschaft wurde gehört und lösteauch bei den grösseren Betrieben derWeinhändler – jene im <strong>Tessin</strong> mächtigeKategorie der Traubenzukäufer, die meistauch mit Importweinen handeln – eineproduktive Unruhe aus. Grosszügig undweitsichtig wurde in den folgenden Jahrenin Rebberge und Keller investiert.Weinhäuser wie Valsangiacomo und Tamboriniüberraschten mit markant verbessertenWeinen. Neue Betriebe wie Brivio,Delea, Gialdi und Vinattieri schufen sichmit dichten, seriösen Weinen rasch einenguten Namen. In einer zweiten Welle umdie Jahrtausendwende machten wiederWeingüter aus dem Mendrisotto – Koppvon der Crone, Tenimento dell’Ör, CastelloLuigi – mit aufsehenerregenden Gewächsenauf sich aufmerksam. Es verbreitetesich erfrischende Aufbruchstimmung.Was ist heute, 13 Jahre später, davonübrig geblieben? Was treibt die <strong>Tessin</strong>erWinzer heute um? Gibt es eine Unité deDoctrin bezüglich des Merlots? Stehen dieLeute noch hinter ihm? Oder liebäugelnsie vermehrt mit anderen roten Sorten?Eine Reise ins <strong>Tessin</strong> sollte darauf Antwortgeben. Wir baten zunächst die AltmeisterHuber, Stucky, Zündel zu einem Gedankenaustauschim Rahmen einer freundschaftlichenCena. Alle drei Pioniere sindinzwischen grau geworden. Und habendoch ihren spezifischen Charakter bewahrt.Christian Zündel ist so agil, kritischund auf Widerspruchsgeist abonniert wieeh und je. «Ist der Merlot mit seiner etwaseindimensionalen Fülle in Zukunft wirklichnoch die richtige Sorte?», fragt er sich.Wird es im <strong>Tessin</strong> nicht langsam zu warmfür ihn? Verlangt seine sortentypische,durchs feuchtwarme <strong>Tessin</strong>er Klima nochverstärkte Anfälligkeit für den Mehltaunicht einen ökologisch nicht mehr zu verantwortendenmassiven Chemieeinsatz?Oder müsste ihm nicht vermehrt eineKomplementärsorte, wie zum Beispiel derstilistisch interessantere Cabernet Franc,zur Seite gestellt werden? Fragen überFragen, die seine Mitstreiter etwas ratloslassen. Daniel Huber ist sich des MerlotsAchillessehne bewusst, glaubt aber, diePilzkrankheiten mit einer pragmatischenStrategie zwischen biologischer und systemischerBekämpfung in Schach haltenzu können. Gar nicht anfreunden kann ersich mit der These der Klimaerwärmungals Feind des Merlots. «Im Gegenteil, sie istfür uns ein Vorteil.» Sie lasse den Merlot regelmässigausreifen und erzeuge mit Ausnahmedes Jahres 2003 keine Überreife.Dass verbreitete Praktiken wie der Fruchtrutenschnittoder das Traubentrockneneine <strong>Tessin</strong>er Spezialität seien, würdeauch dagegen sprechen. Etwas einsilbiggibt sich Werner Stucky. Ihm scheint dieDiskussion zu akademisch zu verlaufen.«Merlot gibt gute Weine, mit der Rebe istangenehm zu arbeiten. Die Trauben werdenzum richtigen Zeitpunkt reif. Ich liebeden Merlot», bringt er es trocken auf denPunkt. Sorgen bereiten ihm wie allen <strong>Tessin</strong>erProduzenten die Wildschäden, dieJahr für Jahr zunehmen. Rehe, Hirsche,Wildschweine, Dachse entwickeln sichzum Winzerschreck. Rund eine MillionKilo Trauben gehen durch Wildfrass jährlichverloren, lautet die Schätzung. Einhagenist teuer und erschwert das Arbeiten.Die Zusammenarbeit mit den Jägern istschwierig. Hier herrscht Handlungsbedarffür die <strong>Tessin</strong>er Offiziellen.Wer folgt auf die Altmeister?Unsere drei Altmeister bewegen sichauf das Pensionsalter zu. Da stellt sich natürlichdie Frage der Nachfolgeregelung.Bei Christian Zündel ist sie noch hängig,Werner Stucky arbeitet seit einigen Jahreneinvernehmlich mit Sohn Simon zusammen,und Daniel Huber bereitet seinenBetrieb auf die Übernahme durch SohnJonas vor. Verantwortungsbewusst, wie erist, hat er dafür in den letzten Jahren vorsichtigvergrössert. Jonas soll möglichstoptimal starten können.Andere bekannte <strong>Tessin</strong>er Kellereiensehen sich vor dieselbe Herausforderung«Die Klimaerwärmungist nicht unserFeind. Im Gegenteil,sie ist für uns vonVorteil: Sie lässt denMerlot regelmässigausreifen.»Daniel Huber«Merlot gibt guteWeine, mit der Rebeist angenehm zuarbeiten. Die Traubenwerden zum richtigenZeitpunkt reif. Ichliebe den Merlot.»Werner Stucky«Ist der Merlotmit seiner etwas eindimensionalenFülle inZukunft noch die richtigeSorte? Wird es im<strong>Tessin</strong> nicht langsamzu warm für ihn?»Christian Zündel
18 vinummerlot del ticinogestellt. Ja, es gilt in den kommenden Jahreneine ganze Generation zu ersetzen.Ausgerechnet jene, die für das <strong>Tessin</strong>erWeinwunder verantwortlich ist. Namen,die einem da spontan einfallen, sind AngeloDelea, Feliciano Gialdi, Adriano Kaufmann,Meinrad Perler, Claudio Tamborini.Letzterer hat seinen Rückzug um drei Jahreverschoben. Er ist zuversichtlich, dassseine Tochter Valentina zusammen mitdem Neffen Mattia Bernadoni dann dasSegel des stolzen Weinschiffs, das jüngstso manche Regatta gewann, im steifenWind halten kann.Eine andere Variante hat Feliciano Gialdigewählt. Oder besser gesagt: vorgespurt.Denn man kann sich nicht vorstellen, dassder temperamentvolle Mann sich einmalganz zurückziehen wird: Die Leitung überdie gesamte Produktion von Gialdi undBrivio will er seinem Önologen FredyDe Martin übergeben, während TochterRaffaella sich um Marketing und Verkaufkümmern soll. Fredy De Martin begleitetuns nach dem Kellereibesuch in Mendrisiozu Anna Barbara von der Crone undPaolo Visini auf ihr schönes Weingut inBarbengo. Auch sie brechen eine Lanzefür den Merlot. «Die Sorte ist pflegeleicht.Der durchlässige, sandige Boden schlucktden vielen Regen und ergibt einen ganzeigenständigen Merlot», sagt De Martin.Und Visini setzt hinzu, dass der Wein dieBodenunterschiede beispielhaft spiegle,die gerade im Mendrisiotto auf kleinstemRaum festzustellen seien. Er spricht hieraus Erfahrung, unterscheiden sich dochAnna Barbaras Gota aus Gorla und seinTinello aus Pedrinate markant.Welche Sorten würden die drei demMerlot zumischen, um ihm mehr Biss undKomplexität zu verleihen? Petit Verdot seisicher ein guter Assemblagepartner, meintPaolo Visini. Anna Barbara von der Croneschwört auf Arinarnoa, eine in Bordeauxentwickelte Kreuzung von Merlot und PetitVerdot. Und Fredy De Martin bringt denCabernet Franc ins Spiel, der früher reiftals Cabernet Sauvignon und den er fürBrivios Vigna d’Antan verwendet.Auch Michele Conceprio hält vielvon der würzig-mineralischen Sorte. Sieschenkt dem Castello di Morcote jeneFinesse, die den Wein aus der Grand-Cru-Lage spätestens seit dem Jahrgang 2010so unwiderstehlich macht. Conceprio,ein feiner Önologe und Rebbauexperte,arbeitet zusammen mit Gaby Gianini ausder gleichnamigen Besitzerfamilie an derNeupositionierung der Weine des Castello.Die Idee eines einzigen Grand Vinhat drastisch an Attraktion verloren, seitsich die 30 000 Flaschen zum Preis von42 Franken nur noch stotternd verkaufenlassen. Conceprio will mindestens zweineue Linien einschieben, um den Absatzzu stimulieren.<strong>Tessin</strong> in der Krise?Klagen über Absatzprobleme bilden dieBegleitmelodie unserer Besuche. Das <strong>Tessin</strong>,vor allem der Tourismus, stecken tiefin der Krise, was sich über die eingebrochenenGastroumsätze auch schmerzhaftauf den Weinverkauf auswirkt. Den Vorwurfvon zu hohen Preisen kontern dieWinzer mit der Aufwändigkeit des Hügelrebbaus.Vielleicht haben sie sich auch aufden Lorbeeren ausgeruht, eingelullt vonder Tatsache, dass sich die Weine früherwie von selbst verkauften.Keine Probleme scheinen diesbezüglichVater und Sohn Zanini zu kennen. Ihreteuren Weine Castello Luigi (110 Franken)und Vinattieri Rosso (90 Franken) gingenauf Vorbestellung wie frische Weggli weg.Nur bilden die auch qualitativ singulärenWeine die Spitze ihrer Weinerzeugung. Obdie Zuversicht auf alle Flaschen ihrer Produktionzutrifft, die rund eine halbe Millionbeträgt, darf aber bezweifelt werden.Wie anders ist zu erklären, dass sich LuigiSenior beim Mittagessen darüber enerviert,dass die Walliser zunehmend Merlotzu Tiefpreisen im Denner verkaufen.«Lasst uns unseren Merlot!», schimpft er.«Wir bauen im <strong>Tessin</strong> auch nicht plötzlichChasselas und Pinot Noir an!»Die Zaninis verdichten einen Grossteilihrer Merlots durch angetrocknete Trauben.Roncaia und Ligornetto enthaltenTrauben aus der Trockenzelle. Beim Castellodi Luigi und Vinattieri Rosso schneidensie im Rebberg vor der Ernte dieFruchtrute durch, was den Konzentrationsprozessbegünstigt. Das passt zum Stilder Zanini-Weine, die auf Wucht, Opulenzund Würze, gepaart mit Finesse, aus sindund sich dadurch die grosszügige Holzimprägnierungwie von selbst einverleiben.Es kann aber auch aus dem Ruder laufen,wenn Nachahmer auf den Plan gerufenwerden, die nicht über die Erfahrung, diekellertechnischen Möglichkeiten und dasFingerspitzengefühl der Meister aus demMendrisiotto verfügen.Dieser Gedanke kommt mir bei unseremletzten Besuch in Biasca, als wir mitden Zwillingsbrüdern Meroni im ausgedientenZeughaus ihre Weine aus der BassaLeventina und dem Bleniotal degustieren.Die zwei Hobbywinzer betreibeneinen vorbildlichen, heroischen Rebbau.Teile ihrer Trauben lassen sie antrocknen,keltern sie gründlich und bauen sie in vielneuem Holz aus. Das schenkt ihren Gewächsendörrfruchtige Würze und eine etwasungehobelte Kraft, die die Feinheitendes quasi-alpinen Terroirs zudeckt.Ruhe vor dem SturmDer Halt in Biasca war der letzte vor derRückkehr über den Gotthard. Wie lautetdas Fazit? In Erinnerung geblieben sindspannende Visiten – wie etwa jene mit demliebenswürdigen Mauro Ortelli und seinenfadengeraden Tropfen oder mit Sacha Pelossi,dem stets gut gelaunten Selbstkelterer,der mit kernig-beschwingten Weinenaus Agra und Lamone den Spagat zwischenKraft und Eleganz schafft. Es bleibtauch der Eindruck – wie Anna Barbara vonder Crone es ausdrückt –, dass «die Szeneetwas eingeschlafen ist». Die Ruhe vielleichtvor dem Sturm des grossen Generationenwechsels?Tröstlich dagegen: Diebesten <strong>Tessin</strong>er Gewächse werden auchim Konzert der internationalen Topweinegehört. Uniforme Holzweine sind seltenergeworden. Die Erfahrungen mit den imMémoire des Vins Suisses eingelagertenMerlots von Gialdi, Huber, Kaufmann,Kopp von der Crone Visini und Tenimentodell’Ör zeigen, dass hervorragende rote<strong>Tessin</strong>er die Zehnjahreshürde mit Bravournehmen.Nur, Grund zur Selbstzufriedenheit gibtes wie überall nicht. Noch finden sichauf der Jahrgangspräsentation von TicinoWine viele konstruierte, inszenierte Weine,die zu stark auf Extraktion und Konzentrationhin gekeltert werden. Die Methodeder Traubentrocknung ist meinerMeinung nach in Zeiten der Klimaerwärmungfragwürdig. Deshalb sind die <strong>Tessin</strong>erWinzer gut beraten, Weine zu erzeugen,die in Geruch und Geschmack ihresüdalpine Herkunft offenlegen. Weine auseinem Guss, einfach, aber nicht simpel,profiliert, aber nicht geltungssüchtig. Dieseerzählen dann vom <strong>Tessin</strong>, von seinenBergen, Tälern und Seen, von der üppigenVegetation, aber auch vom besonderenKlima zwischen Milde und Härte.<strong>VINUM</strong> ist Wellness fürGeist, Seele und Geldbeutel.Wir von <strong>VINUM</strong> bedanken uns bei den Abonnenten für die Treue.Mit einem Gutschein-Büchlein im Gesamtwert von CHF 1’250.– für dieschönsten Wellness-Hotels in der Schweiz und den Nachbarländern.Eine Auswahl übrigens, die wir exklusiv für Sie zusammengestellt haben.Gönnen Sie sich ein paar Tage Erholung, geniessen Sie kulinarischeKöstlichkeiten und edle Tropfen aus Weinkellern mit regionalen Perlen –mit 25 Gutscheinen im Wert von je CHF 50.–.Wir wünschen Ihnen genussvolle Tage.Ihr <strong>VINUM</strong>-TeamGutscheineim GesamtwertvonCHF 1250,-<strong>VINUM</strong>-Abonnenten profitieren hier von einemWellness Gutschein-Büchlein im Gesamtwert vonCHF 1’250.–. 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