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HerzSchlag - Peter Mairinger

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<strong>HerzSchlag</strong> (Walter Müller, 17.9.2004, Zell am See)<br />

Der Tod ist ein herzloser Kumpan. Schleicht sich an, hinterrücks, auf<br />

allen Vieren, die Bestie Tod; schleicht sich an, schlägt zu, irgendwie,<br />

irgendwo, irgendwann. Weil er kein Herz hat in seiner Knochenbrust,<br />

hörst du ihn nicht kommen. Das ist die Infamie!<br />

Vor einem halben Jahr hat er sich meinen kleinen Bruder geholt, 48<br />

Jahre jung, in der Krebsklinik in Bad Trissl, Bayern. Auf dem Nachtkästchen<br />

des Bruders, als wir von ihm Abschied nahmen, lag ein Zettel,<br />

handgeschrieben, an die Besucher des kommenden Tages, der nicht<br />

mehr kommen sollte, gerichtet: „Bin spazieren oder im Trainingsraum“.<br />

Wenn der Tod, denk ich mir, tagsüber gekommen wäre, dann hätte er<br />

blöd geschaut. Der Bruder, vom Tumor zerfressen und voller Zukunftspläne,<br />

wäre auf dem Fitness-Rad gehockt, in der Kraftkammer der<br />

Krebsklinik, und hätte den eiskalten Boten im Krankenzimmer drüben<br />

dumm sterben lassen.<br />

Der Tod nämlich, nachdem er die Nachricht auf dem Nachtkästchen<br />

gelesen hätte („Bin spazieren oder im Trainingsraum“), wäre vor Zorn<br />

über meinen widerborstigen, gegen jede Vernunft am Leben hängenden<br />

Bruder schwarzblau angelaufen („Wer bin ich denn! Ich bin ja<br />

nicht dein Kaspar!“) und in tausend Knochenstücke zersprungen, wie<br />

das Rumpelstielzchen anno Schnee. Oder er hätte sich davongestohlen,<br />

kleinlaut, der betrogene Tod, und ward nie mehr gesehen, nicht in der<br />

Krebsklinik, und auch sonst nirgendwo in dieser Welt. - Der Tod ist<br />

mitten in der Nacht gekommen, als mein Bruder im Bett lag, wehrlos.<br />

Ist gekommen und hat ihn geholt. Der herzlose, gnadenlose große Tod.<br />

Vor einem guten Jahr, in diesem mörderisch überhitzten Sommer 2003,<br />

macht aus heiterem Himmel eine Meldung die Runde, wie ein Lauffeuer,<br />

heiß, bizarr, unfassbar. Ein Gerücht, eine Spinnerei, ein Ammenmärchen:<br />

Herzkasperl! Der <strong>Mairinger</strong>! <strong>Mairinger</strong>, der Maler? Nie im<br />

Leben. Jeder andere, aber doch nicht der! Nicht der <strong>Mairinger</strong>! Der hat<br />

das Herz eines Boxers. k.o.-gehen, aufstehen, niemals liegenbleiben.<br />

Der hat das Herz eines Löwen. Löwenherz. Er ist der Löwenherz, Ritter,<br />

Malerfürst, Kraftwerk. Urgewalt durch und durch. Ein Mann wie<br />

ein Baum. An seinen Schultern zerschellen die Feinde. Und die Freunde<br />

können in Deckung gehen hinter diesem Felsen. So einer ist der<br />

<strong>Mairinger</strong>. Der und der Herzkasperl? Lachhaft.


Maler, richtige Maler, begnadete Maler, sind sowieso unsterblich, und<br />

<strong>Peter</strong> Löwenherz <strong>Mairinger</strong> ist unbesiegbar noch dazu. Aus, Amen. Der<br />

lacht sich in die Faust, wegen einer Juxgestalt wie dem Tod. Der hat<br />

schon Ärgeres überstanden. Tod holt Maler - Schnapsidee. Ich kenne<br />

überhaupt nur ein Bild, in dem sich der Tod an einen Maler heranmacht.<br />

Die Szene hat Niklas Manuel vor fast fünfhundert Jahren an die Kirchenmauer<br />

des Berner Dominikanerklosters gemalt. Nachdem der Tod -<br />

in der Tradition der mittelalterlichen Totentänze - das ganze Personal<br />

abgeführt hat: Papst, Bischof, Herzog, Graf, Dirne, Kind undsoweiter<br />

undsofort, kriecht er auf allen Vieren, wie ein vertrocknetes Hundegerippe<br />

auf den Maler zu. Niklas Manuel hat sich selbst in diesem Schlussbild<br />

verewigt. Der Tod kriecht also auf ihn zu und greift dem Maler, der<br />

gerade an einem kolossalen Bild arbeitet, von hinten in den Malstock.<br />

Ich hab das immer für Koketterie gehalten. Den Papst kann er sich holen,<br />

der räudige Tod, den Herzog und die Dirne meinetwegen. Aber<br />

nicht den Maler. Den Maler nie im Leben!<br />

Übel ist ihm geworden, übel und schwindlig, dem <strong>Mairinger</strong>. Das<br />

kennt er, das kommt vor in einem Malerfürstenleben. Sowas gibt sich<br />

schon wieder. Hat sich immer gegeben. Von einer Intensivwoche in der<br />

Steier-mark ist er grad zurückgekehrt - intensive Tage! Und Nächte!<br />

Intensiv gearbeitet, intensiv gelebt. Das macht müde, klar. Der Körper<br />

ist halt auch schon 52einhalb Jahre alt, die Seele aber jung wie bei einem<br />

Maturanten. Die Lunge hält noch hektoliterweise Marlboro-<br />

Dampf aus.<br />

Was hast du geglaubt?! Und dann das Boxerherz, das Löwenherz!<br />

Übel, schwindlig, müde. Anders als sonst. Grad noch Zeit, den Notarzt<br />

zu rufen, die Rettung holen zu lassen. Es ist anders als sonst. Ernster<br />

als sonst. Sehr ernst. Das war’s dann also, geht es <strong>Mairinger</strong>, auf den<br />

Not-arzt wartend, durch den Kopf. Da sitzt schon der Tod an seiner<br />

Seite. And now the end is near...<br />

Okay, denkt dieser <strong>Mairinger</strong> (da ist die Rettung noch unterwegs), es<br />

war, alles in allem, ein prächtiges Leben. Der Tod kann nichts dafür.<br />

Wenn wer was dafür kann, dann ich, <strong>Mairinger</strong>. So eine Art Schlussbilanz,<br />

durchaus zufriedenstellend: glückliche Kindheit, sagenhafte Erfolge<br />

als Künstler, herrliche eigene Kinder; eingesteckt, ausgeteilt, fifty-fifty,<br />

immer mit dem Herzen dabei, viel bekommen, viel gegeben.<br />

Nichts wird bereut. I did it my way. Frank Sinatra summt im Watte-


kopf mit ferner Stimme mit. Dann der Vorhang, Applaus. Danke. Adieu.<br />

Dann steht das Herz still. Kein Herzschlag mehr. Ein Stromschlag, aber<br />

den kriegt er nicht mit. Erst den zweiten. Stromstoß aus dem Defibrillator.<br />

Der Stromstoß schleudert den Maler mit dem stillgelegten Herzen<br />

ins Leben zurück. Wow, schießt es dem <strong>Mairinger</strong> durch den Kopf,<br />

diese Wucht! Ein Mörder-„Klescher“! Ein unerhörtes Erlebnis! Was<br />

für ein kraftvoller Traum: Da ist einer dem Tod von der Schaufel<br />

gesprun-<br />

gen! Da hat sich einer aus der Grube herauskatapultiert!<br />

Dann fängt das Spüren wieder an; das Hirn beginnt zu kombinieren.<br />

Das war ich! Ich bin gesprungen! Ich, <strong>Mairinger</strong>, bin katapultiert worden!<br />

Der Körper schmerzt wie nach einem heftigen Sonnenbrand; aber<br />

das war der Strom. Volle Pulle, höchste Dosis, letzte Chance. Willkommen,<br />

<strong>Mairinger</strong>, zurück aus dem Niemandsland! Der Belzebub und<br />

die Lichtgestalten haben sich nicht einigen können. Himmel oder Hölle<br />

müssen auf einen wie dich verzichten. Die nächsten 47einhalb Jahre.<br />

Die Sonne scheint, und das Spiel wird weitergehen; mit geänderten<br />

Regeln; aber es geht weiter. Herzlich Willkommen! <strong>Peter</strong> <strong>Mairinger</strong>,<br />

geboren am 7. Dezember 1950 und am 27. Juni 2003.<br />

Dann die Intensivstation. Zwei Wochen lang Angst. Ruhe und Angst.<br />

Diese ungewohnte Stille! Auf den Herzschlag horchen. Tag und Nacht<br />

auf das Herz horchen. Schlägt es? Stimmt der Rhythmus? Es geht um<br />

das Herz. Um nichts anderes, rund um die Uhr. Das Krankenzimmer ist<br />

ein einziges riesengroßes Herz. Der Tod ist nur mehr ein kleiner, mickriger<br />

Wicht in der Ferne. Und Tschüss. Auf Nimmerwiedersehen! Jetzt<br />

geht es um das Herz und um das Weiterleben.<br />

52einhalb Jahre war das Herz kein Thema. Herzschmerz war ein Thema.<br />

Aber nicht die Pumpe, dieser seltsame Muskel. Gefühle waren ein<br />

Thema, die ganze Skala von der Verzweiflung bis zur Euphorie; was<br />

täte ein Künstler ohne diese Tiefen und Höhen! Das Herz ist übergegangen,<br />

dies und jenes ist zu Herzen gegangen, aber richtig zu Herzen;<br />

ein Herz für Kinder, ein Herz für Behinderte, der <strong>Mairinger</strong> - der mit<br />

dem großen Herzen, der mit dem offenen Herzen. Der aus seinem Herzen<br />

keine Mördergrube macht. Der herzensgute, der herzhafte Mensch.<br />

Er hat sein Herz in Hollersbach verloren, bei seinen heißgeliebten Malertagen,<br />

die er seit vielen Jahren leitet, und bei seinen Malstudenten<br />

auf Korfu. Und wenn er Abschied nimmt am Ende eines Malsommers,


schweren Herzens, jeder Abschied erfolgt schweren Herzens, das ist<br />

immer dasselbe, dann weint er herzzerreißend. Das hat er immer schon<br />

gekonnt, herzzerreißend weinen vor Rührung. Geht gar nicht anders.<br />

Da ist er machtlos, der Koloss, der so nahe am Wasser gebaut hat. Das<br />

Herzgefühl war immer groß. Das Herz selber war nur ein Muskel, der<br />

zu funktionieren hatte. Stets zu Diensten. Auf ewige Zeiten. Bis es kaputt<br />

ist. „Sprich nicht vom Herzen, das ist eitel / ein lederner verschrumpfter<br />

Beutel“. Goethe, „Faust“.<br />

Das Herz, <strong>Mairinger</strong>s Herz, pendelt sich auf der Intensivstation wieder<br />

ein. Die Angst wird kleiner, mit jedem kräftigen Pumpsignal, mit jedem<br />

vernünftigen Zacken am Kontroll-EKG. Dann kommt das Rehab-<br />

Zent-rum. Drei Wochen Saalfelden. Ein Neuanfang. Mit Blutdruckmessen<br />

und Gleichgewichtsübungen, Radfahren am Stand und kleineren<br />

Spaziergängen. Ernährungsberatung und so. Verlangsamtes Tempo.<br />

Gut, beruhigend gut, alles in allem.<br />

Aber irgendwas fehlt. Irgendeine Art von Lustgewinn. Wie soll so einer<br />

gesund werden ohne Lustgewinn? Diät schön und gut. Aber keine<br />

Lust-gewinn-Diät! „Tun Sie das, was Ihnen am liebsten ist“, meint der<br />

Primar. Das lässt sich der <strong>Mairinger</strong> nicht zweimal sagen. Im Auto,<br />

fällt ihm ein, liegt sein Notfallkoffer; er fährt ja nie ohne Notfallkoffer<br />

weg. Jetzt holt er das wuchtige silbergraue Gepäckstück ins Krankenzimmer.<br />

<strong>Mairinger</strong>s Notfallkoffer. Darin befinden sich: Stifte und Pinsel<br />

und Ölkreiden und Farben und Zeichenblöcke - die Überlebensutensilien<br />

für einen wie ihn. Der Primar ist ja selbst ein Maler, Gott<br />

sei’s gedankt, dem geht das Herz auf bei so einem Patienten. Und der<br />

Maler <strong>Mairinger</strong> malt sich sein Herz gesund. Malt und zeichnet vier<br />

Blöcke voll, fast<br />

zweihundert Bilder. Herzbilder.<br />

Wir befinden uns in einem Krankenzimmer mit richtigem Krankenbett<br />

und komplizierten Apparaten für alle Eventualitäten. Nach drei Tagen<br />

ist das Krankenzimmer ein Maleratelier, in dem auch ein Krankenbett<br />

steht. Noch ein paar Tage später ein Atelier samt Galerie, denn er klebt<br />

jedes fertige Blatt sofort an die Wand, Herzen, Herzen, lauter Herzen,<br />

und wenn eine Krankenschwester oder ein Arzt die Türe öffnet, flattern<br />

und tanzen die Herzen im Wind. Ach ja, ein Bett steht auch im Galerie-<br />

Atelier, notgedrungen.<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Mairinger</strong> lässt sich auf sein Herz ein, studiert das Herz, vertieft<br />

sich in dieses komplexe Wesen. Das Ultraschallherz, das Herzmodell<br />

mit den zuckenden Lichtlein, das Herz im Herzinfarktbuch, das er sich


als Lektüre mitgenommen hat. Wenn er sich über das Zeichenblatt beugt,<br />

ist all das vergessen, die ganze Herztheorie, dann malt er aus dem Bauch<br />

heraus, dann skizziert er sich einen Fleischklumpen zurecht und ritzt ihm<br />

Fantasieäderchen ein, geheimnisvolles Faserwerk; Herzmassagen mit<br />

Kreide und Pinsel. Arterien-Poesie. Kunstgeflechte aus dem Herzen heraus.<br />

Manchmal kratzt er sich durch pechschwarze Angstschatten, einmal<br />

deckt er den empfindlichen Herzbeutel mit beklemmend schönen<br />

Schutzengelflügeln zu.<br />

„Herzklopfen im Rhythmus der Bauchschmetterlinge“. „Auch du<br />

wirst mich einmal betrügen, auch du!“ <strong>Mairinger</strong> malt und malt.<br />

Nimmt sich selbst und sein Herz mit solchen Titeln auf die Schaufel.<br />

„Na, Alter, noch mal Glück gehabt“. Auch so ein Titel. Grad erst von<br />

der Schaufel gesprungen, und schon wieder den Schalk im Nacken. Er<br />

malt, und wenn der amtliche Maltherapeut keine Zeit hat, übernimmt<br />

der <strong>Mairinger</strong> auch noch dessen Stunden und zeigt den anderen Rekonvaleszenten,<br />

was Malen heißt. Was Malen bewirken kann.<br />

<strong>Mairinger</strong> ist wieder ganz der Alte. Ohne Marlboro und mit einem geänderten<br />

Tempo. Diese Gelassenheit auf einmal! Der Löwenherz teilt<br />

sich die Kräfte besser ein, aber sie sind ihm nicht verloren gegangen,<br />

keinen Deut. „Freudig seh ich dich mir, in dem Glanze der Jugend,<br />

vielgeliebtes Geschöpf, wieder am Herzen belebt!“ Auch Goethe. Den<br />

Freunden fällt ein Stein vom Herzen.<br />

Ein Jahr ist vergangen. Die Bilder von damals, die Rehab-Herzbilder,<br />

hängen in einem Galerieraum, ganz ohne Spitalsbett. Als das, was sie<br />

sind: Kunstwerke, keine Krankenbilder! Echte <strong>Mairinger</strong>s. Stark, pulsierend,<br />

von bestechender Schönheit, Kraft und Zärtlichkeit. Der Herzinfarkt<br />

lässt sich nicht aus der Biografie streichen. Die Begegnung mit<br />

dem Tod ist keine Traumepisode.<br />

Die Begegnung mit dem Tod hat ihn nicht klein und zaghaft, sondern stärker<br />

und bewusster gemacht. Dankbar. So einen „Klescher“ kriegt nicht jeder<br />

verpasst. Und nicht jeder kommt geläutert und heil davon. <strong>Peter</strong> <strong>Mairinger</strong><br />

hält seine Kurse ab wie eh und je, nächstes Jahr kommen die ersten<br />

Chinesen nach Hollersbach, zu ihm, zum Malen-Lernen; er entwirft und<br />

bastelt Bühnenbilder für Theaterproduktionen, hat neulich erst im Pinzgau<br />

mit Behinderten ein erstaunliches Verkehrsmahnmal aus Holz und Steinen<br />

an den Straßenrand gezaubert, lässt echte <strong>Mairinger</strong>s für gute Zwecke versteigern,<br />

stellt aus (in Osttirol gibt es nächstes Jahr die größte <strong>Mairinger</strong>-<br />

Schau aller Zeiten) und malt und malt. Gut wie immer, besser denn je.<br />

Ohne Marlboro. Dafür mit Ruhepausen. Und Golfrunden zwischendurch.


Mir ist er ans Herz gewachsen. Indianerbruderherz <strong>Mairinger</strong>. Gottbegnadeter<br />

Künstler. Ich lege Ihnen seine Bilder dringend ans Herz.

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