Leseprobe zum Buch: Dienstags - diana-von-finck.de

Biographie eines HahnsMeine Schwiegereltern, beide Ärzte, betrieben nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1980erJahre eine kleine Privatklinik mit zehn Betten, die auf einem riesigen Grundstück stand.Maman hatte eine Passion für Geflügel und hielt zeitweise um die zehn Pfauen, an diehundert Hühner und Truthühner, dazu einen Erpel und zwei Colliehündinnen. Die Tiereliefen frei auf dem Grundstück herum und konnten es im Leben nicht schöner haben.Wenn Papa und Maman im Sommer draußen frühstückten, warfen sie den HühnernBrotkrümel hin, die sie aufpickten. Manchmal warf Papa auch eine Zigarettenkippeweg (er rauchte filterlose Roth-Händle und behauptete, die Kippe rauche sich von selberauf), woraufhin einmal ein dummes Huhn die Kippe für einen Brotkrumen hieltund mit der qualmenden Kippe im Schnabel, schielend über den Hof lief. Nun aberzur Hahngeschichte: da er so schön und stolz war, aber etwas in die Jahre gekommenund nicht mehr so gut laufen konnte, weil er vielleicht Ischias hatte, gab Maman ihmein Antiphlogistikum. Das nahm ich zur Kenntnis und dachte nicht weiter darübernach. Eines Tages, an einem Dienstag, kam Papa mit seinem Chauffeur zum StochastischenSalon – und brachte mir eine Überraschung mit. Dianchen, ich habe Dir etwasmitgebracht, einen frisch geschlachteten Hahn! Natürlich hatte ich das medikamentöstherapierte Geflügel längst vergessen und setzte das Geschenk mit Wasser im Kochtopfauf, um daraus ein Hühnerfrikassee zu machen. Normalerweise ist so ein Tier nachanderthalb Stunden gar, doch dieses hier hatte eine sehr dunkelbraune Farbe – undwar nach drei Stunden immer noch zäh wie Leder. Ich beschloss spontan, drei großeDosen Ragout Fin aus dem Keller zu holen, diese aufzuwärmen und unseren Gästenvorzusetzen.45